Autor: Dr. med. Thomas Walser

  • Jogging – Gehen

    Jogging – Gehen

    „Verlieren Sie vor allem nicht die Lust zu gehen. Ich laufe mir jeden Tag das tägliche Wohlbefinden an und entlaufe so jeder Krankheit. Ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen und ich kenne keinen Gedanken, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen los würde.“ Søren Kierkegaard

    Diese Haltung und Bewegung können Sie im „Rolfing“ lernen.
    Mehr darüber hier: dr-walser.ch/rolfing/

    Alles ist schon da!

    Wir sind doch eigentliche Laufwesen. Unser Körper ist in seinem Aufbau, in seiner Statik, mit allen seinen Organen und Funktionskreisläufen im Grossen und Ganzen immer noch der eines Läufers oder Gehers. Man schaue sich nur das kräftige, grosse Gesäss (super zur Stabilisierung), die mächtigen Oberschenkel und die insgesamt langen Beine an. Sind die etwa nur zum Sitzen oder Liegen gemacht?
    Auch die hochkomplizierte Mechanik des Fusses, welche wie eine Längsfeder die Aufprallenergie speichern und zum Abstossen nutzen kann. Dies brauchen wir nicht, um in Autos ein- und auszusteigen… Unsere Atmungsorgane sind wirkungsvolle Energiebeschaffer, deren wahre Kapazität brachliegt.
    Unser Organismus funktioniert noch weitgehend so, wie er für das Leben eines Läufers vorgesehen war, der lange Strecken unterwegs sein musste. Ein kräftiges Nackenband hält zum Beispiel trotz enormen Schlägen unseren Kopf immer oben. Unter speziellen Bedingungen – über sehr grosse Distanzen und bei grosser Hitze – ist der Mensch tatsächlich allen anderen Läufern überlegen, was auf der Jagd ein enormer Überlebensvorteil war. Der Mensch ist Weltmeister im Schwitzen (Genaueres über diesen anthropologischen Aspekt lesen Sie hier >>> ausdauerraeuber.pdf)!

    Unser Gangmuster ist ein Paradebeispiel, wie unser Bewegungsapparat die Schwerkraft auf dieser Erde nutzt, sich mit möglichst wenig Energieaufwand fortzubewegen. Die Belastung in aufrechter Position gegen die Schwerkraft ergibt Muskelzuwachs und mehr Knochendichte. Ausschliessliche Schwimmer oder Radfahrer haben diesen benefit durch die Schwerkraft kaum. Wir sehen hier zum Beispiel vermehrt Osteoporose und allgemein eine verschlechterte Funktionalität unseres Körpers. Gehen, Laufen und Springen gehört also bei Schwimmern und Radfahren immer auch dazu. Auch die mächtigen Hüftstrecker des Menschen werden in mehrheitlicher Hüftbeugung (Sitzen, Radfahren…) nicht genügend ausgebildet. Dies kan auch in einer schlechteren Stabilität des unteren Rückens münden.

    Laufen zum Abnehmen…

    Achtung beim Ziel „Abnehmen„: Laufen suggeriert unserem Gehirn Stress! Im Steinzeitmodus ist Jagen/Gejagt werden reiner Stress. Daher reagieren wir aufs Joggen/Laufen mit der Ausschüttung von endorphinen Hormonen (Kortisol, Adrenalin = Überlebensmodus) aber kaum mit Fettabbau! Hier ist mässige und regelmässige Bewegung optimaler – also Gehen, Wandern, Spazieren, Flanieren…

    Wir brauchen nichts und niemanden zum Laufen.

    Weil nun diese natürliche Verbindung zum Laufen verloren gegangen und die Legende von unserer Laufuntauglichkeit entstanden ist, konnten „Power- und Wellnessjoggen“, „Walking“ oder „Nordic Walking“, „Softrunning“ und andere Bewegungsevents Fuss fassen. Laufen oder das, was davon übrig blieb, ist zu einem käuflichen Modetrend gemacht worden, flankiert und getragen von Büchern und schönen Bildern, Outfit und Drinks, Normen und Messgeräte, Gurus und Ideologien.

    Es ist an der Zeit, das Laufen zu vereinfachen, aus seiner medialen und mystischen Vereinnahmung zu befreien und den Ballast aus Lifestyle und Leistung abzuwerfen, der aufgepfropft wurde. Wir brauchen nichts und niemanden zum Laufen. Nur gute Schuhe brauchen wir, obwohl Barfusslaufen das absolut Beste wäre. Sonst ist alles schon da. Ein laufbereiter, ja laufbegieriger Körper, Wege und Bahnen, frische Luft und natürlich die Einsicht, es tun zu wollen.

    Über das Gehen, Wandern, Spazieren, Flanieren kann man praktisch dasselbe sagen >>> siehe hier!

    Übers Joggen kursieren viele Mythen

    Mythos 1: Rennen ist für alle gut!

    Rennen ist nicht für jeden „gut“!
    Gut wäre: Freude daran zu haben und zufrieden zu werden. Aber… Gefühle wie Freude, Glücklichsein dürfen kein Zwang sein – sonst wird man garantiert unglücklich! Man kann sich die Freude zuerst mal „vortäuschen“ und „so tun als ob“. Häufig erfolgt die Freude dann von selbst!

    Vielleicht ist Wandern, Spazieren oder Flanieren als Bewegung glücklich machender?
    Oder vielleicht auch eine „Reise nach Innen“?

    Sieben weitere Mythen habe ich hier aufgeführt >>> Laufen

    Langsamkeit und Wohlgefühl

    Langsamkeit ist der entscheidende Faktor, der uns von der Hektik der Welt fern hält und uns hilft, das eigene Tempo zu finden. Wir entschleunigen, anstatt wie üblich zu beschleunigen. Wir normieren uns nicht durch Tabellen und Messgeräte. Nur unser Tempo kann das richtige Tempo sein. Für die meisten bedeutet das, weniger zu tun, als sie glauben, tun zu müssen. Statt Sport betreiben wir Bewegung. Statt objektiv etwas zu messen, spüren wir uns subjektiv. Statt wegzurennen, laufen wir nach innen. Statt etwas zu trainieren, lassen wir los und finden unseren persönlichen Rhythmus und unsere Einheit. Bei zu hohem Tempo kommen wir ausser Atem, Hören und Sehen vergehen uns, und das Laufen kann zu einem unangenehmen Erlebnis werden.
    Weiter ist es nicht gesund,  Sport im Stress zu machen. Stress steigert unser Hormon Kortisol, was wiederum eher dick macht. Und dummerweise genau das für Herz und Kreislauf gefährliche viszerale Bauchfett. Also besser gelassen und locker trainieren!
    Beginnen Sie 3 mal pro Woche mit nur 15 Minuten im Aeroben. Am besten nur auf ebenem Gelände oder nur leicht ansteigend.
    Steigern Sie dann langsam auf 60  Minuten aerob. Dazu benütze ich selbst nie einen Pulsmeter, wobei ich nur auf meine Atmung achte. Jeder soll aber „auf seine Facon selig werden“.

    Machen Sie immer wieder mal eine „Gehpause“: Wer seine Laufkarriere verlängern will, sollte in seinen Laufalltag darum stets Phasen mit Gehen einbauen. Aus vielen Gründen. Der wichtigste: Gehen beansprucht den Bewegungsapparat sehr viel weniger als Laufen – und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, weniger verletzt und dafür länger läuferisch aktiv zu sein. Also lohnt es sich, wer langfristig denkt, immer wieder Gehpausen einzubauen.
    Zudem schadet zu langes intensives Joggen unserem Herz und unseren Gefässen. Unser Organismus kann „Leistungssport“ nicht von Dauerstress unterscheiden – mit all seinen hässlichen Folgen.

    Für die Gesundheit ist wohl auf Länge die „3in3-Regel“ wichtig, was meint:
    3 Stunden maximal wöchentlich in entspanntem, genussvollem Tempo, verteilt auf mindestens 3 Mal – und es muss nicht intensiver und langdauernder Sport sein (was nachweislich schädlich ist!), sondern die Bewegung kann (für die Gesundheit und nicht unbedingt für die Ausdauer) kurz und moderat, jedoch dann täglich und häufig sein – dies aber im Wechsel mit Sekundenlangen Intensivteilen (HIIT), wie zum Beispiel kurze schnelle Anstiege im Gelände.

    Viel Lächeln

    Wichtig ist auch, dass die menschliche Leistungsfähigkeit nicht durch die Muskeln, sondern durch das Hirn kontrolliert wird. Man sollte also bei Anstrengungen, also auch beim Joggen möglichst viel Lächeln.

    Wie viel ist noch gesund?

    Neuere grössere Studien mit Zehntausenden von untersuchten Ausdauerläufer und -Velofahrer zeigen, dass es eine Grenze bei 2 bis 5mal wöchentlichem moderaten, nicht zu intensivem Training bis insgesamt 30 km Länge einen Überlebensvorteil von 20% gegenüber Nichttrainierten gibt. Darüber gibt es aber keine Steigerung mehr. Es besteht nun sogar der Verdacht, dass stundenlanges Training, bei dem die fünffache Blutmenge durch das Herz gepumpt werden muss, mit der Zeit zu Vernarbungen in der Herzwand führt, die dann wiederum Rhythmusstörungen, insbesondere das Vorhofflimmern begünstigen kann. (>>> weiter unten).

    „Alles mit Mass!“ oder „Bloss nicht übertreiben!“ hat als Motto für Jogger eine lebenswichtige Berechtigung, wie nun eine dänische Langzeitstudie der Uni Kopenhagen zeigt: 1000 Läufer wurden 13 Jahre lang beobachtet und die Sterberate mit der von 4000 Untrainierten verglichen. Wie vermutet, hatten die Jogger insgesamt eine höhere Lebenserwartung als die Sportmuffel. Doch diejenigen Läufer, die oft und hart trainierten, überlebten die 13 Jahre deutlich seltener als die Schleicher. Schlimmer noch: Die Überlebensquote der Hochtrainierten war kaum höher als die der Stubenhocker.
    Nach dieser grossen Studie ist das ideale Laufpensum 1 bis 2,5 Stunden pro Woche. Und die optimale Geschwindigkeit: bedächtig. (DOI: 10.1016/j.jacc.2014.11.023)

    Achtsamkeit

    Für wahrhafte und stabile Prozesse ist unsere Anwesenheit nötig. Wenn wir essen, dann essen wir. Wenn wir laufen, dann laufen wir. Wir lenken uns beim Laufen durch nichts ab. Wir setzen keine zusätzliche Reize. Wir nehmen nur das Laufen wahr und erleben es. Wir rennen nicht mit einem Walkman im Ohr oder mit Stöcken in den Händen. Statt erschöpft werden wir durch achtsames Laufen erfrischt und erholen uns paradoxerweise, weil wir Unangenehmes zulassen und nicht wegrennen vor unseren Empfindungen.
    Der Blick ist offen, aber nicht fixiert (auch nicht aufs Ziel oder eine Zeit). Lassen Sie die ganze Umgebung „reinkommen“. Auch das Innenohr ist offen für alle Umgebungsgeräusche.
    Das grosse Sinnesorgan „Fuss“ öffnet sich gegen den Boden.
    Öffnen Sie sich, ergreifen Sie nichts. Die Bewegung wird nur stabil und ökonomisch, wenn Ihre Sinne auf diese Weise aktiv sind.
    Die unten angeführte Laufhaltung führt uns weg vom TUN, hinein ins SEIN.

    Haltung/Laufstil/Technik

    Warum besitzen die Spitzenlangstreckenläufer von Kenia so vogelähnliche dünne Beine?
    Jürg Wirz diskutiert darüber in seinem Buch „Run To Win“ auf mehreren Seiten und befindet sich in guter Gesellschaft , wenn er das Naheliegende übersieht (siehe dieselbe Diskussion über die Pferdebeine):
    Sie laufen bereits die ganze Jugend mehrheitlich barfuss und schulen so ihr „Sinnesorgan Füsse“ ideal. Sie erreichen dadurch den unten beschriebenen Laufstil, der schlussendlich viel mehr Stabilität für Gelenke und Bänder ergibt und weniger oberflächliche Beinmuskelkraft benötigt.
    (Lesen Sie mehr über den „Afrikanischen Laufstil“ – und in Kurzformat hier)

    Mit und nicht gegen die Schwerkraft

    Wir lassen einfach los und die Schwerkraft, unser Gewicht wirkt.
    Wie erreiche ich dies? Das Gewicht des Oberkörpers ist der Motor. Man läuft dazu mit wenig Vorlage im Brustbereich. Der Schwerpunkt liegt immer vor dem Lot. Das Gewicht zieht uns also nach vorne! Man kann sich ein Gummiband vorstellen, das uns am Brustbein nach vorne zieht. Das Ziel zieht uns damit an – wir fixieren uns nicht auf das Ziel oder eine Leistung. Sie sollten das Gefühl haben, der Rumpf werde vom Brustbein her, das fast senkrecht steht, nach vorn und gleichzeitig in die Länge gezogen. Selbstverständlich drücken Sie nicht die Brust raus. Das Becken scheint vergleichsweise weit hinten zu „hängen“. Dadurch schwingen die Beine wie von selbst (aus den tiefen Schwingmuskeln, dem Filet = Iliopsoasmuskeln) und es entsteht kein muskelaktives Vorsetzen (durch den „oberflächlichen“ Quadriceps-Muskel). Das Knie des Schwungbeines ist bei der „normalen Bewegung“ leicht einwärts gedreht und schwingt innen durch nach vorn. Man setzt so auch automatisch auf der Aussenseite der Ferse ab, die dafür viel besser geschaffen ist und nicht wie die Innenseite des Fusses kollabieren kann . Die natürliche. spiralige, strukturelle Verschraubung des menschlichen Gewebes kommt so voll zum Tragen und erhöht die Stabilität des Beines.
    Sehr eindrücklich sieht man dies auf dem untenstehenden Foto von Simone Niggli-Luder, der mehrfachen Schweizer OL-Weltmeisterin – hier im Schlusshang des Jungfrau-Marathons (42 Kilometer und 2000 Höhenmeter).

    Es folgt automatisch (ohne dass man was „tut“) eine runde Abrollbewegung im Fuss von der Ferse (zuerst aufsetzen) zum Vorfuss. Das „Abrollen“ ist eigentlich unrichtig: Der Fuss ist nicht gegen unten rund wie ein Pneu, er ist eher ein Saugnapf, der unter Druck nach vorne und nach hinten auseinander geht und selbst ganz entspannt bleibt. Praktisch immer ist ein Fuss am Boden und nie beide gleichzeitig in der Luft . Wir wollen ja nicht in die Luft springen und so viel Energie verlieren, sondern vorwärts kommen! Man drückt also den Vorfuss nicht ab. Man lässt den Fuss solange am Boden bis er von selbst wieder abhebt und nach vorne schwingt. Probieren Sie die Füsse gegen den Boden zu öffnen und so den Boden durch die Laufschuhe zu spüren. Die Füsse setzen abwechselnd beinahe in einer geraden Linie am Boden auf und deshalb schaukelt auch der Rumpf nicht hin und her.

    Der Kopf balanciert auf der Mittelachse des Halses. Er ist nicht nach vorne gestreckt. Man kann sich den Kopf als eine Boje oder einen Luftballon vorstellen, der locker auf allem sitzt. Er dreht sich vielleicht leicht in Richtung des jeweiligen Schwungbeines. Auch ein leichtes Ja-Nicken ist möglich (lockerer Schädel-Atlas-Übergang). Man sieht dies sehr deutlich und typisch bei Paula Radcliffe, der britischen Top-Marathonläuferin. Der Blick ist offen, nicht-fixiert und auf den Horizont gerichtet. Wir leben ja in einer Kultur des gesenkten Blickes: Smartphone, Laptop, Touchscreen… Es tut uns sehr gut, den Blick wieder zu heben: man kommt zur Ruhe.

    Das Seil, das uns imaginär zieht ist nicht an der Stirn befestigt, sondern am Brustbein. Das Brustbein schwebt wie vorne weg. Der Schultergürtel liegt leicht auf dem Körper (wie ein leichtes Joch) und alles, auch die Arme hängen daran. Spüren Sie das Gewicht der Arme in den Ellbogen, die waagrecht vor- und zurückpendeln, aber weder hinten noch vorn hochkommen. Die Arme bewegen sich frei durch den Schultergürtel aus der Gegend um das Schulterblatt und aus der Rumpfseite. Lassen sie den Rumpf und den Schultergürtel recht ruhig nach vorne bewegen. Zur Vermeidung einer länger dauernden isometrischen Kontraktion (mit negativer Minderdurchblutung und folgenden Verspannungen, resp. Ansatzbeschwerden v.a. im Ellbogen- und Schulterbereich) soll immer wieder mal die Faust (falls vorhanden) geöffnet oder stets mit offenen oder halboffenen Händen gerannt werden. Lassen Sie auch immer wieder mal die Arme frei hängen und mitbaumeln.
    Daraus lässt sich auch ersehen, dass sog. „heavy hands“ (Gewichte, die man in den Händen hält) oder Stöcke in den Händen eine sehr negative Wirkung haben können, da die Gefahr besteht, die Faust beim Vorschwingen der Arme nicht zu öffnen.

    Das Becken hängt wie ein Topf (Die oberflächlichen Bauchmuskeln, Gesäss, Beckenboden (vor allem hinten um den Anus) sind entspannt. Man soll den Mut haben, alles hinten raus zu lassen… zu sch…). Lassen Sie das Becken nicht seitlich abkippen. Die Beine hängen aus dem Becken raus (wie Pendel, die hinten bis zu den Rippen rauf reichen = tiefe Schwingmuskeln). Das Becken „schwebt“ mit dem Oberkörper ruhig durch den Raum und unten schwingen die Beine. Als Trainingseinheit empfiehlt es sich, mit einem gefüllten Wasserglas in der Hand zu laufen. Wenn dies gelingt, ohne etwas zu verschütten, ist der ideale Laufstil bald erreicht.

    Gehen Sie im Geiste immer wieder Ihren Körper durch. Spüren Sie, wie die Füsse frei an den Unterschenkeln und diese wiederum an den Oberschenkeln hängen und wie die Drehachsen genau waagrecht liegen. Die Beine hängen wie Pendel aus dem Bauchraum, wie von den Rippen und schwingen durch den Beckengürtel. Sie haben das Gefühl, als trügen die Beine den völlig entspannten Rumpf entlang einer geraden Linie gleichmässig vor sich her.
    Dies ergibt eine katzenartige, leichte, entspannte Schwungbewegung (man hängt quasi in seinem Bindegewebe) und nicht ein muskelzentriertes, angestrengtes Kraftlaufen.

    >>> Mehr zur Haltung bei weiteren Sportarten und -übungen.

    Ganzfusstechnik – nicht nur der Vorfuss

    Gemeint ist also nicht die forcierte, reine „Vorfusstechnik“ (die leider auch für Laiensportler propagiert wurde), sondern sozusagen eine „Ganzfusstechnik“ (oder manchmal auch „Mittelfusstechnik“ genannt).  Man setzt zuerst ganz leicht mit der Ferse auf, die aber noch kaum Gewicht trägt. Erst beim Aufsetzen des Mittel- und Vorfusses kommt dann der Hauptteil des Körpergewichts zum Tragen. Der ganze Fuss wirkt dabei wie eine Längsfeder.
    Die reine „Vorfusstechnik“ (bei der man die Ferse nicht aufsetzt sondern direkt den Vorfuss) erachte ich als medizinisch bedenklich und resultiert in vielen Bindegewebsproblemen im Unter- und auch im Oberschenkel. Der Vorfussläufer fängt sein Körpergewicht nach dem Vorfuss und der Plantarfaszie vor allem über die Wadenmuskulatur und die Achillessehne ab. In diesen Strukturen finden sich dann auch meist die Überlastungsreaktionen und Symptome.

    Die Vorfusstechnik wird oft von schnellen Läufern, die leistungsbetont auf Zeit laufen, angewendet, da damit die kleinste Fläche auftritt und die Reibung am geringsten bleibt. Im Marathon wird dies vor allem in der ersten Hälfte benützt, um später – bei Ermüdung – auf die hier beschriebene Ganzfusstechnik umzusteigen. Ich schreibe hier aber nicht für die Spitzenläufer, sondern für diejenigen Läufer, die mit ihrem Laufstil auch noch nach 10, 20 oder mehr Jahren gesund sein wollen.

    Natürlich ist auch die „Rückfusstechnik“ (Gewicht auf der Ferse) ein Ausdruck von Ungleichgewicht und unökologischem Kraftaufwand. Der Schwerpunkt ist zu weit hinten. Ich werde deshalb von meinem Gewicht nach hinten gezogen und renne auch in der Ebene immer „bergauf“! Beim Rückfusslauf wird, um beim Bodenkontakt sein Körpergewicht abzufangen, als natürliches Dämpfsysteme die Pronationsbewegung im Rückfuss eingesetzt, die zu einer entsprechend hohen Belastung der am Innenknöchel liegenden Tibialis-posterior-Sehne führt. Überlastungsreaktionen beim Rückfussläufer betreffen daher bevorzugt die Sehnenregion am Innenknöchel aber auch z.B. das mediale Schienbeinkantensyndrom (mehr hier).

    Wichtig ist der Schwerpunkt beim Laufen, der am optimalsten etwas vor dem Lot liegen sollte. Dadurch kommt man automatisch mit nur noch sehr wenig Gewicht zuerst auf die Ferse, dann aber sofort mit dem Hauptgewicht in den Mittelfuss und auch auf den Vorfuss. Der sogenannte „Ballengang“ ist also nicht ganz ein ausschliesslicher Vorfussgang.

    Auch gemäss einer grossen neuen Studie einer internationalen Forschergruppe im Journal of Experimental Biology ist die effizienteste Fortbewegungsart des Menschen, dass Abrollen des Fusses über die Ferse zuerst bis zu den Zehen (Cunningham CB et al., J Exp Biol. 2010 Mar 1;213(5):790-7).

    Von aussen nach innen

    Durch diese Art Laufen wird ein Extra-Stretching kaum mehr nötig (>>> Stretching).
    Man kann ein Gefühl entwickeln, wenn die Grenze erreicht ist, wo ich von der oben beschriebenen Aktivität aus den intrinsischen, inneren, achsennahen Muskeln mit begleitendem Bindegewebe in die überwiegende Bewegung mit extrinsischen, äusseren Muskeln wechsle. Diesen inneren, tiefen Raum nennt man auch „Core“ oder Kern. Dazu gehört der dabei aktivierte und lang gebliebene Psoasmuskel (= Schwingen der Beine hinten weit in den Bauch hinein von den Rippen her) oder auch der, beim Joggen stets aktive, tiefste Bauchmuskel, der Transversus abdominis. Dann die kleinen Muskeln direkt an der Wirbelsäule, die Multifidi- und Rotatores-Muskeln.
    Die äusseren Haltemuskeln (v.a. tonische Anteile) neigen viel stärker zu Verspannungen und Verkürzungen und man staucht damit auch seinen Innenraum.
    Lassen Sie also überall dort los, wo Sie spüren, dass die gerade Vorwärtsbewegung gehemmt wird.  Im günstigsten Fall haben Sie das Gefühl, Ihr Körper laufe von selbst. Versuchen Sie zum Beispiel, das Tempo nur dadurch zu erhöhen, dass Sie Widerstände eliminieren und die Körpergeometrie optimieren.
    >>> Mehr zu dieser tiefen Stabilisierung der Bewegung: Tonic Function Model von Hubert Godard.

    Zum idealen Gleichgewicht benötigen wir einen guten Fuss-Boden-Kontakt, ein „peripheres“ Raumempfinden über die Augen (Bilder locker reinlassen und nicht fixiert anstarren) und ein waches Innenohr. Das Letztere können wir aktivieren, indem wir auch mal kurze Zeit blind weiterrennen. Wir spüren dann die Füsse und die Umgebungs-Töne viel deutlicher.

    Nicht verkürzen.

    Unseren Innenraum versuchen wir während dem Joggen (und überhaupt in jeder Bewegung und Haltung – siehe „Normal Function“ im Rolfing) im ganzen Körper möglichst zu erhalten – idealerweise sogar zu verlängern.
    Für was ist dies gut?
    Es ist gelenkschonend. Das Gelenk verliert nicht an Innenraum – auch nicht  im Zwischenwirbelraum. Es ist gewebeschonend (für Muskeln, Sehnen, Bänder und deren Knochenansätze). Die Eingeweide haben mehr Platz und damit ideale Lebensbedingungen (auch die Lunge). Das Blut zirkuliert freier … und auch die Seele fühlt sich wohl…
    Wie erreiche ich dies?
    Siehe oben: möglichst wenig Muskeln benötigen (v.a. nicht die oberflächlichen Bewegungsmuskeln, die bei Tätigkeit – ohne die Stabilisierung der tieferen intrinsischen Muskeln – zur Verkürzung neigen) -> Bewegung mit einer Entspannung und nicht mit einer Kontraktion beginnen -> „Gratiskräfte“ einsetzen (Schwerkraft/Gewicht, elastische Spannkraft des Bindegewebes/Fasziennetzes -> geschmeidige Schwing- oder Katapultbewegungen).

    Der Schwerpunkt soll in der Bewegung möglichst ruhig auf einer Linie bleiben und dabei möglichst tief liegen. Ergibt weniger Abnützung und grösseres Gleichgewicht, wie bei einem Rennwagen. Die Faltbewegung in der Zickzacklinie (Folding im Rolfing) erfüllt diese Bedingungen (inklusive Innenraumerhaltung) auf ideale Weise.
    Stellen Sie sich Ihren Schwerpunkt vor und vermindern Sie auf unebenem Gelände seine Ausschläge nach oben und unten. Sie strecken sich etwas gegen den Boden, wenn Sie in ein Loch treten und lassen sich tiefer ins Falten sinken, wenn Sie auf eine Erhöhung treten. Sowohl geradeaus, als auch bergaufwärts, aber auch bergabwärts versucht man diese Vorlage im Oberkörper und das Becken hinter der Mittellinie beizubehalten.
    Ein Gelenk hat bei Bewegung am meisten Platz, wenn sich mit der Tätigkeit der Agonisten (z.B. Beugemuskeln) auch die Antagonisten (z.B. die Strecker) entspannen. Beim Joggen soll also sowohl die Vorder-, wie auch die Hinterseite des Körpers entspannt und damit lang bleiben.

    Bergläufe: Bergauf- und Bergabgehen oder -Laufen

    Die Haltung beim Gehen, wie auch beim Laufen sind grundsätzlich die gleiche. Beim Laufen wird die Vorlage des Oberkörpers nur noch etwas verstärkt.

    Bergauf:
    Man probiert möglichst mit dem Gewicht des Oberkörpers in Vorlage in den Hang reinzuliegen. Man lässt sich bildlich wie eine Standseilbahn schräg nach oben ziehen. Das Seil ist am Brustbein angehängt. Man ist aber nur im Hüftgelenk gebogen, der Po bleibt hinten und das Brustbein und der Kopf drauf bleiben senkrecht  (konvexe Mittellinie des Oberkörpers).
    Im Schwungbein beuge ich das Knie zuerst etwas mehr  als geradeaus und lasse dann das Bein (wie oben beschrieben) locker und entspannt aus der Hüfte raus nach vorne schwingen. Der Fuss „schlägt“ dann mit kleinen Schritten wieder in den Hang – man „stolpert“ den Berg rauf.
    Die gefühlte Anstrengung sollte dabei beim Laufen kaum grösser sein als wenn man Gehen würde. Man macht wirklich ganz kleine Schritte.

    Bergab:
    Auch hier  mit fast noch grösserer Vorlage als beim Bergauf-Laufen (mit konvexer Mittellinie des Oberkörpers mit senkrechtem Brustbein weit vorne)  und starker Beugung im Hüftgelenk . So hat man den Schwerpunkt immer weit vorne über den drei wichtigen Federn unseres Körpers: Fuss, Knie und Hüftgelenk. Bei der häufig gesehenen Rücklage werden die Knie durch den schlechten Hebel und durch den Ausfall der Federung im Hüftgelenk und auch im Fuss massiv belastet. Zudem ist der Stand durch den Schwerpunkt, der hinter den Füssen liegt, sehr schlecht und bei nassem, glitschigen Grund ist die Gefahr gross, dass man nach hinten hinfällt. Die Bergsteiger kennen dies schon immer: Wie ein Affe sollte man mit Falten im Hüftgelenk (Po hinten und Brustbein vorne, oben) eine steile Geröllhalde oder nasse Wiese runtergehen.
    Beim Bergablaufen hat man alle Vorteile des negativ dynamischen (exzentrischen) Krafttrainings: Die Spannungsspitzen sind weit über dem positiv dynamischen (konzentrischen – beim Bergauflaufen) mit Maximalkraftwerten (exzentrisches Kraftmaximum 30-40% grösser als das isometrische, dieses 10-15% über dynamisch-konzentrischem Kraftmaximum). Es kommt zu einer ausgeprägteren Hypertrophie des Muskels (langer Reiz) und zu einem deutlichen Zuwachs auch bei hohem Trainingsniveau.
    Diese Haltung ist nicht nur die (tritt-)sicherste, sondern aus verschiedenen Gründen (Tiefenaktivität und oberflächliche Entspannung, grösste Federung, Trittsicherheit und Gleichgewicht) die gesündeste.

    Lesen Sie noch mehr über den Berglauf hier auf dieser Website: berglauf/

    Treppensteigen (auch die ideale Haltung auf dem Stepper)

    Ganz ähnlich wie Bergauf oder Bergab geht das Treppensteigen auf ökonomische Art:
    Das Gewicht des Oberkörpers zuerst über die nächste Stufe bringen (Brustbein bleibt senkrecht und wird nach vorne geschoben – braucht beim Treppeabsteigen etwas Mut…) – das Schwungbein hat gebeugtes Knie und pendelt dann wie von alleine hinten nach…


    Sind Wanderstöcke beim Berggehen sinnvoll?

    Dazu lesen Sie eine meiner Blog-Beiträge.

    Wie trägt man eine Rucksack richtig?

    Auch dazu habe ich einen Blogbeitrag verfasst.

    Diese Haltung und Bewegung können Sie bei mir im „Rolfing“ lernen.

    Empfehlen kann ich auch die erfahrene Rolferin Astrid Widmer in Zürich, die das Joggen nach derselben „afrikanischen“ Methode lernt: www.rolfingpraxis.ch.

    Laufschuhe – auf dem Weg zum Natural Running

    Der Fuss ist ein eigentliches Sinnesorgan (mit mehr als 30’000 Nervenendigungen), der möglichst viele Reize erhalten will. Wenn immer möglich sollten Sie deshalb auch mal barfuss laufen. Wer barfuss läuft, läuft instinktiv richtig. Der Fuss öffnet sich gegen den Boden und die wichtigen Muskeln der Beine und des „Core“ werden dabei angesprochen und so wieder in ihren Normalzustand gebracht. Beim Barfussgehen ist die maximale Pronation kleiner als mit Schuhen. Schuhe (und vor allem eine Dämpfung im Fersenbereich) provozieren immer eine Pronation. Ein Laufschuh (und übrigens auch ein Alltagsschuh) soll also möglichst nah beim Barfusslaufen sein: eher dünne, flexible, flache Sohle (keine mit dieser enormen Dämpfung – hier wird ein Grossteil der aufgewandten Läuferenergie schlicht und einfach vernichtet und steht für die Fortbewegung nicht mehr zur Verfügung. Auch resultieren daraus durch zusätzliche Seitwärtskippbewegungen und Instabilität des Rückfusses u.a. Achillessehnenprobleme.). Dass moderne Laufschuhe für die Gelenke des Beines schädlicher sein können als barfuss zu Joggen zeigt auch eine Studie von Forschern der University of Virgina, die im Fachmagazin «The Journal of Injury, Function and Rehabilitation» veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler liessen gesunde Sportler auf einem Laufband trainieren – mit Schuhen und barfuss. An Hüfte, Knie und Fussgelenk stellten die Experten höhere Belastungen fest, wenn die Jogger Schuhe trugen. Die Belastung für die Gelenke war laut den Angaben sogar höher als das Gehen auf hochhackigen Schuhen. Die Hüfte wurde in der Studie mit Laufschuhen durchschnittlich um 54 Prozent stärker belastet als barfuss, im Knie lagen die Werte zwischen 36 und 38 Prozent. Dem Fuss gaben die Trainingsschuhe dagegen einen guten Halt. Die negativen Effekte auf die Gelenke würden wahrscheinlich zu grossen Teilen von dem erhöhten Absatz und Stützmaterial unter dem Fussgewölbe verursacht. Beides sei charakteristisch für heutige Laufschuhe (diese Studie finden Sie hier >>>).
    Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat die Schuhindustrie endlich diese Gedanken aufgenommen und entwickelt nun auch Laufschuhe, die nah am Barfusslaufen sind (z.B. Nike Free oder Biom von Ecco und On von On – auch Scott oder Newton haben nun Schuhe, die in diese Richtung gehen).
    Die neue Devise ist: keine Dämpfung, keine Stützung, keine Führung.

    Falls eine Dämpfung, dann nur einen extrem weichen Dämpfungsring mit einem ellipsenförmigen Querschnitt rund um den Fersenbereich – analog zum natürlichen Fettring, der rund um die Ferse schon besteht. Sie finden übrigens am Körper keine Struktur, die eckig ist. Alle Knochen sind rund, ja die Natur ist rund. Deshalb sollten auch Schuhe runde Formen haben und keine eckigen.

    Laufschuhe sollten zudem auch nicht durch Unterstützung dem Laufstil angepasst werden. Man sollte keine Korrektur von Pronieren (Abrollen über Innenrand des Fusses) oder Supinieren (Aussenrand) mit Sohlenverstärkungen mehr machen. Man hat gemerkt, dass die Schulung der Propriozeption viel wichtiger ist, sprich: mehr Reize für den Fuss, eben wie beim Barfusslaufen, barfuss joggen, ev. neuromuskuläre Einlagen (man könnte aber auch etwas feinen Kies in den Schuh schütten…). Mit Barfusslaufen hat man keinen Spannungsverlust der Pronationsunterstützung durch die eigene  Muskelschlinge (m.tibialis posterior und lange Zehenflexoren). Dazu darf eine Sohle nicht zu steif sein.
    Zudem ist die wichtigste Laufphase für die Biomechanik die Abstossphase des Fusses und eben gerade dann nützen Einlagen und Unterstützungen meist nichts!
    Dann hat man auch gefunden, dass der mechanische Reiz des Stosses vom Boden her gut ist für einen starken Knochenwachstum, also stark gegen die Osteoporose wirkt. Eine Dämpfung im Laufschuh vernichtet diesen gesundheitlichen Profit. Durch diesen Stoss werden auch die tiefen Stabilisatoren der Rumpfmuskeln zur Arbeit angeregt, was der erste und wichtigste Schritt zum Gleichgewicht in der Bewegung ist.
    Mir schwebte immer ein Schuh vor, der wie Gummimilch um den Fuss und alles Zehen einzeln eine leichte schützende Schicht bildet. Die Vibram FiveFingers kommt dem recht nahe.

    Unter diesem Aspekt ist sogar das Alter der Laufschuhe nicht mehr so wichtig. Am besten hat man dennoch mehrere Laufschuhe, die man im Wechsel benutzt. So lässt sich der negative Einfluss eines Paares auf ein Minimum reduzieren.

    Noch ein Tipp: Stellen Sie den Laufschuh leer auf den Tisch: Die Ferse sollte eindeutig horizontal sein. Aber auch sollten Vor- und Rückfuss keinen Höhenunterschied aufweisen und gegeneinander gut beweglich sein und der Schuh vor allem im vorderen Bereich flexibel.

    Und noch was: Wechseln Sie vom bisherigen Laufschuh auf die neuen Fast-Barfuss-Schuhe (Typ Nike Free) nur schrittweise und langsam. Tragen Sie anfangs nur kurze Abschnitte die neuen Schuhe und verlängern Sie dies sehr behutsam. Dies sollten vor allem Läufer tun, die eine starke Pronation aufweisen. Zu schnelles Umsteigen kann sich zum Beispiel in Überlastung der inneren Kniesehnen zeigen (Pes anserinus-Beschwerden). (Siehe dazu: Entwicklung der Laufschuhe; Fit for Life Sonderheft Laufsport; Interview Dr. B. Segesser, 3971 KB)

    Was ist mit Einlagen?

    Einlagen sind für 90 Prozent der Einlagenträger nicht notwendig, mitunter gar schädlich. Es braucht sie nur, wenn eine Pathologie vorliegt. Dann aber sollte man unter Umständen das Laufen eher sein lassen – und besser nur gehen.

    Warum existiert dann eine ganze Einlagen-Industrie im Sport, wenn sie unnötig ist?
    Weil viele noch immer statisch denken. Eine Einlage soll bei dieser Statik und zur Aufrechterhaltung der geraden Rückfussausrichtung helfen. Diese Denkweise aber ist durch viele Studien überholt.

    Stretching – Dehnen

    Vor dem Laufen, der Turnstunde oder dem Tanzkurs ein paar Dehnübungen zum Aufwärmen: Das gehört fast überall dazu. So macht man beispielsweise einen kleinen Ausfallschritt und zieht die Unterschenkelmuskeln in die Länge. Diese Spannung hält man einige Sekunden. In Fachkreisen spricht man vom statischen Dehnen, weil man in der Spannung verharrt. Freizeitsportler sollten jedoch zum Aufwärmen möglichst auf statisches Dehnen verzichten. Dieser Ansicht sind auch Forscher der Universität Jena in Deutschland. Sie haben herausgefunden, dass man beim statischen Dehnen kurzzeitig bis zu 30 Prozent der Muskelkraft verliert. Die Folge: Die Muskulatur und Leistungskraft schwindet, dafür steigt das Risiko einer Verletzung.

    Wer seine Muskeln vor dem Sport aufwärmen will, der macht besser dynamische Dehnübungen. Das Prinzip: Man verharrt nicht in der Position, sondern macht federnde Bewegungen mit 10 bis 15 Wiederholungen.

    Ein Beispiel: Man sitzt aufrecht auf dem Boden und drückt die Fusssohlen aneinander. Nun bewegt man die Knie leicht nach unten und lässt sie wieder los. Die Dehnung erfolgt, indem man die Muskulatur langsam an- und entspannt. Oder man stellt sich im hüftbreiten Stand auf eine Matte und kreist dabei langsam die Hüfte oder die Arme. Eine weitere Variante ist, dass die Dehn-Bewegung durch eine äussere Kraft erzeugt wird. Beispielsweise, indem man die Übung an einer Wand ausführt oder mit der Hand oder einem Fitnessband für die Dehnung sorgt. Das Gute: Fast jede Dehnübung kann man dynamisch oder statisch ausführen.

    Der Vorteil von dynamischen Dehn-Übungen: Sie aktivieren in kurzer Zeit die Muskulatur und die Gelenke. In der Folge wird die Muskulatur warm und beweglich. Dynamisches Dehnen ist deshalb fürs Aufwärmen die erste Wahl. Besonders eignet es sich für Sportarten, bei denen man rasche und kraftvolle Bewegungen macht, beispielsweise beim Fussball oder in der Leichtathletik. Aber auch wer vor einem Lauf seine Muskulatur aufwärmt, macht dies am besten mit dynamischen Dehn-Übungen.

    Gut zu wissen: Keine Dehnart verhindert einen Muskelkater, das haben mehrere Studien gezeigt. Trotzdem verbessert richtiges Dehnen das Körpergefühl und Wohlbefinden.

    Ich selbst ziehe als dynamisches Aufwärmen den „Adlerflug“ vor. Er soll aber möglichst gut erlernt sein und aus dem „Core“ raus geschehen.

    Am besten ist es auch, einfach langsam loszulaufen. Dieses Warming-Up bereitet nicht nur die Muskeln vor, auch alle Organe, mein ganzer Körper wird aufgewärmt. Dann kommt man vom Gehen zum Joggen, indem man sich durch das imaginäre Gummiband am Brustbein nach vorne ziehen lässt (nicht mit den Beinen Tempo machen). Fühlen Sie das Gewicht des Oberkörpers, dass Sie leicht nach vorne zieht.

    Nach intensivem Joggen sollte ebenfalls nicht statisch gedehnt werden. Denn das drosselt die Durchblutung und verzögert die Regeneration. Zudem können dadurch kleine Muskelfaserverletzungen (von denen es nach 60 Minuten Laufen immer einige hat) noch vergrössert werden. Auch hier lautet die Devise: langsam auslaufen! Cool-Down!
    Anders nach Krafttraining: Dehnen Sie dort kurz den ganzen Körper. Vor allem wenn Sie Ihre Bauchmuskeln trainieren, sollten Sie diese abschliessend dehnen, damit sie geschmeidig bleiben. „Zähe“ und angespannte Bauchmuskeln stören nämlich die normale Bewegung am häufigsten und nachhaltigsten.

    Krafttraining

    Bei den meisten Sportarten – auch beim Laufen – stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Kraft und Technik. Offensichtlich optimiert die oben beschriebene „normale“ Bewegung Ihre Technik. Meistens will man jedoch mit dem Naheliegenden, nämlich mehr Kraft, die Leistung steigern. Der Einfluss der Technik ist dagegen schwerer fassbar. Eine bessere Technik erhöht Ihre Leistung jedoch ebenfalls, weil Sie damit den Wirkungsgrad des Krafteinsatzes verbessern.
    Von der Kraftkomponente drohen sogar einige Nachteile. Dickere und kräftigere Muskeln tendieren nämlich dazu, mehr aktive Spannung auszuüben. dadurch wird Ihr Körper unnötig verkürzt und gestaucht. Das wiederum bedeutet, dass Bewegung gegen einen höheren Widerstand durchgesetzt werden muss, die Muskeln also quasi gegen sich selbst arbeiten müssen. Man gerät dabei leicht in einen Teufelskreislauf, an dessen Ende man sich vor lauter Kraft und Anstrengung kaum mehr rühren kann!
    Beachten Sie auch einen weitere Auswirkung übermässigen Krafttrainings: Die Faszien hochtrainierter Muskeln verdicken und verhärten sich. Die Geschmeidigkeit der Muskeln geht verloren und der Körper kann sich in der Bewegung kaum mehr verlängern.
    Es besteht also ein gewisser Gegensatz zwischen Kraft und Technik. Für den Organismus, seine Gesundheit und Flexibilität ist es vorrangig, dass der Körper beweglich und geschmeidig ist. Denken Sie wieder an eine Katze, deren Muskeln extrem weich und „dünn“ sind. Sie trainiert nie ihre Kraft, doch sie dehnt sich immer wieder, um ihren Körper und sein Gewebe geschmeidig zu halten.
    Damit will ich nicht sagen, dass Sie nicht auf Kraft trainieren sollten – wenn Sie das möchten. Beachten Sie dabei aber unbedingt zwei wichtige Dinge. Erstens sollten Sie alle Übungen „natürlich und ökonomisch“ ausführen, vor allem wenn Sie an Kraftmaschinen arbeiten, will heissen: Lassen Sie sich Ihren Körper auf keinen Fall stauchen! Spüren Sie immer bevor Sie mit der eigentlichen Übung beginnen, wo Ihr Körper gegen den Boden, eine Sitzbank o.ä. gestützt ist. Fühlen Sie zu diesem Zweck Ihr ganzes Gewicht. Dann drücken Sie gegen den Boden, so dass als Folge davon erst der Körper sich streckt, dann das Gewicht am anderen Ende Ihres Körpers bewegt wird. Zum zweiten sollten Sie am Schluss des Trainings wie oben unter „Stretching“ beschrieben den ganzen Körper, insbesondere die Bauchmuskeln immer kurz dehnen.
    Als Trick für guten Muskelaufbau kann man  bis maximal 60 Minuten nach dem Krafttraining 10 Gramm hochwertiges Protein zu sich nehmen (dazu soll man nicht die teuren Proteinbüchsen kaufen, sondern viel besser einfach ein Glas Milch (3 DL) trinken. Die wichtigste Aminosäure für den Muskelaufbau ist Leucin und die hat’s genügend und optimal in der Milch!).
    Man muss übrigens dazu nicht in teure Fitnessstudios: Tägliches Hanteltraining (Kurz- oder Langhanteln, aber auch das Theraband) reichen. Und es braucht dabei keine grossen Gewichte, ein leichter Widerstand reicht aus – allerdings ist Regelmässigkeit unumgänglich). Der Zeitpunkt spielt eine grosse Rolle: vor dem Zu-Bett-Gehen ist am idealsten (da nachts günstiges Hormonprofil zum Muskelaufbau aufgrund der zirkadianen Schwankungen besteht).

    >>> Mehr zum Krafttraining (z.B. Exzentrisches) hier: www.dr-walser.ch/krafttraining/

    Dieses Bewegungsmodell in der Kunst

    Wir finden dieses Modell des Laufens in der Kunst bei Leonardo Da Vinci, der in seinem Bild des Menschen als Fünfstern im Kreis ein Zentrum im Körper annahm, aus dem die Beine, aber auch die Arme und als 5. Strahl Hals und Kopf kommen. Dies ist sehr treffend für dieses Bewegungsmuster, das ich hier beschreibe:
    Die Beine pendeln beim optimalen Laufen mit den Psoasmuskeln (dem „Filet“ des Menschen) aus dem Körperzentrum raus – und auch die Arme hängen am Schultergürtel und pendeln von selbst aus den tiefen Schulterblattdrehern… aus demselben Zentrum wie die Beine. Ebenfalls balanciert der Kopf frei (wie eine Boje) obendrauf und ist durch die tiefen Halsmuskeln (M. Longus Colli) auch mit demselben Zentrum im Körper verbunden.
    Diese fünf Strahlen können sich nur frei bewegen, falls die oberflächliche Verbindung der Strahlen entspannt sind und damit die Bewegung aus dem Zentrum nicht behindern.

    Flüssigkeitsersatz

    Alltäglich: Als Basis immer viel trinken, d.h. 2 bis 2,5 Liter Wasser täglich. So kann man die anfallende Harnsäurekristalle loswerden und diese werden nicht nach und nach u.a. ins Gleitgewebe der Sehnen abgelagert. Daraus würde eine langsame Abnahme der Elastizität des Bindegewebes, eine zunehmende Steifigkeit und erhöhte Verletzungsneigung resultieren.
    Jemand, der in einer Stunde 12 km läuft, verliert etwa 1,2 Liter Schweiss. Ein Leistungssportler, der in der gleichen Zeit 18 km zurücklegt, schwitzt 1,8 Liter. Nimmt das Gesamtkörperwasser um 2% (nur 0,6 bis 0,8 Liter!) ab, drohen Muskelkrämpfe, und ab 4% reduziert sich auch die sportliche Leistung messbar.
    Als Regel kann gelten, dass wer weniger als eine Stunde trainiert, keine Leistungseinbussen erwarten muss, und es reicht dann, wenn man nach dem Sport ausreichend trinkt. Bei Longjogs sollte man während der ersten zwei Stunden hypotone Getränke zu sich nehmen, die angebotenen isotonen  also mit Wasser verdünnen. Falls man länger als zwei Stunden rennt, muss man unbedingt nach dieser 2.Stunde auf hypertone Getränke umsteigen und am besten auch vor dem Lauf hyperton trinken. Ist man länger als 60 Minuten aktiv, sollte sowieso schon vor und während des Rennens Flüssigkeit zu sich genommen werden, d.h. schon eine halbe Stunde vor dem Start 400 bis 600 ml und dann alle 10 bis 20 Minuten 100 bis 250 ml „nachfüllen“ (Achtung: die Magenentleerungsrate beträgt nur 0,8 Liter pro Stunde – mehr zu trinken, wäre also blanker Unsinn. Zudem sind Mengen über 0.8 Liter pro Stunde auch gefährlich, da es zu einem Absinken des Natriums im Blut kommen kann und damit zum lebensgefährlichen Hirnödem!). Hier sind kohlehydratreiche Getränke besser geeignet (wenn keine feste Nahrung aufgenommen wird).
    Hypotone Getränke: Mineralwasser, Tee, Bouillon, Tomatensaft.
    Isotone: Optimal ist ein Gemisch von 2 bis 3 Teilen (natriumreichem) Mineralwasser mit einem Teil (kaliumreichem) Fruchtsaft (Orangensaft, Johannisbeernektar, Apfelsaft oder Traubensaft). Teure, konfektionierte isotone Getränke kann man sich damit ersparen. (Quelle: u.a. A.Schek, Giessen; Ernährungs-Umschau, 47.Jg., Heft 6 (2000), Seite 228-234))

    >>> Mehr dazu für Marathonläufer: dr-walser.ch/hyponatriaemie/

    Ernährung

    Während Training lesen ambitionierte Läuferinnen hier Genaueres.
    Zum häufigsten Mangel an Magnesium und Eisen >>> siehe unten.

    Im Hinblick auf den Wettkampf:
    Achtung vor (Hype!) Low-Carb-Ernährung, die dann mit vielen Bauchsymptomen während Wettkampf in High-Carb gewechselt wird. Lösung dieses Problems:

    Vor Wettkampf („natürliches Doping“):
    Dies soll unbedingt mindestens einmal vorgängig bei einem weniger wichtigen Wettkampf oder vor einem intensiven Training ausprobiert werden.
    Etwa eine Woche vor dem Wettkampf Beginn mit kohlehydratreichem Essen (so 70% der Nahrung): Brot, Teigwaren, Pizza, Reis, Kuchen, Kekse… Dazu morgens eine Handvoll Nüsse (Magnesium!) und etwas Apfelessig und ein Gramm L-Carnithin (beides vergrössert das mögliche Glykogendepot).
    Täglich ein halber Liter Randensaft steigert die körperliche Ausdauer.  Beginnen Sie mindestens eine Woche vor dem Lauf.
    Die Wirkung beruht sehr wahrscheinlich in einem verringerten Sauerstoffbedarf, was Studien auf die hohe Nitratkonzentration des Rote-Bete-Getränks zurückführen. Nitrate werden im Körper zu Stickoxid umgewandelt und beeinflussen die Sauerstoffverwertung in den Mitochondrien (Bailey SJ et al., J Appl Physiol 2009).
    Am Vortag sehr viel trinken.  Am Vorabend keinen Alkohol und am Wettkampfmorgen Honigbrötchen und Konfitüretoast – ein Glas Wasser direkt vor Start.
    Während des Rennens: Sportriegel enthalten meist viel zuviel Fett – was wirklich hilft sind Gemische von schnell aufschliessbaren Kohlenhydraten mit solchen die bis zu einer Stunde wirken, am besten in flüssiger Form, da so magenverträglich (z.B. Powergel) – von diesen jede Stunde eine Portion. Schon nach wenigen Kilometern wenig trinken und dies dann alle 5 Kilometer/ 30 Minuten. Zu Beginn (eines Marathons z.B.) eher hypoton, d.h. immer isotonisches Getränk PLUS Wasser und erst gegen Schluss iso- oder hyperton.
    Ein sehr gutes Abstrakt über „die optimierte Ernährung“ des Sportlers von Dr. med. Reinhard Wittke, Bayreuth findet man hier.

    Wann?

    Selbst ausprobieren!
    Mein Tipp: Sie sollten nicht die Primetime Ihres geistigen Höhenflugs (meist vormittags) verschenken und die dem Körper widmen. Joggen Sie in ihren „Down-Phasen“ nach energetischen Hochs (also meist abends oder im „Mittagstief“). Es wird dann auch wunderbar entspannend wirken – und der Geist kann ruhen.
    Aber… morgens sind dann auch während des Laufens die Gedanken klarer… es gibt Raum für Neues… die Luft ist reiner…
    Sport VOR dem Essen führt zu besserer Fettverteilung: Das Nahrungsfett geht dann direkt in die Muskeln (deren Fettdepot im Sport geleert wurden) und nicht in den Bauch! Dies entspricht dem altbewährten Muster: Jagen und dann Essen! >>Weiterführendes zum Abnehmen siehe hier auf meiner Seite!
    Studien zeigen auch, dass Sportler, die strikte Trainingspläne einhalten, sich vermehrt verletzen! Laufen Sie also, wie sie Lust haben! Dann hört man einfach mehr auf die Signale des Körpers…

    Gesund ist wohl auch, nur jeden zweiten oder dritten Tag zu joggen: siehe hier >>>

    Bewege ich mich genügend? einfacher Test hier >>>

    Aerob oder anaerob – und optimaler Trainingspuls?

    Ich selbst trainiere ohne Pulskontrolle und vertraue ganz auf mein subjektives Anstrengungsgefühl. Die eigene Einschätzung der Strenge der Belastung ist sehr zuverlässig – sie berücksichtigt alle individuellen Spezialitäten, auch das Fest vom Vorabend z.B.. Aufmerksamkeit und feine Wahrnehmung sind gefragt. Wir haben eine zuverlässige „innere Pulsuhr“. Als grobe Orientierung mag die Atmung dienen: Man sollte noch während dem Joggen reden und durch die Nase atmen können (z.B. auch von eins bis zehn zählen – und dies ruhig in einer einzigen Ausatmung). Auch eine Strophe in normaler Lautstärke singen, ist ein wertvoller Test.
    Falls man es doch mit Pulsmessung kontrollieren will – und dies vor allem als Unterstützung beim Erforschen der obigen inneren Pulsuhr dient:
    Es gibt zwei Möglichkeiten, wirksam zu trainieren: mit konstantem Trainingspuls oder im optimalen Trainingsbereich.
    Konstanter Trainingspuls: Für über 40jährige gelten 170 Schläge minus das halbe Alter als vernünftig. Ein 46jähriger sollte also mit einem Puls von 147 Schlägen trainieren. Die Formel für unter 40jährige lautet: 180 Schläge minus Alter. Die individuelle Variation ist aber enorm.

    Die Formel „220 minus Alter“ für die maximale Herzfrequenz ist übrigens überholt und falsch. Der Maximalpuls ist unabhängig von der Fitness völlig verschieden. Ein guter Test, um seinen individuellen Maximalpuls herauszufinden, ist folgender: Nach einem Warm-up gibt man für 2 Minuten Vollgas und misst dann seine Herzfrequenz.
    Optimaler Trainingsbereich:

    • Für die Grundlagenausdauer (Hauptteil des Trainings) zwischen 60 und 75 Prozent des Maximalpulses.
    • Für die ideale Fettverbrennung aber bei moderat Trainierten bei 75% +/-10% und bei  Untrainierten bis Guttrainierten (ganzes Spektrum) sogar zwischen 40 bis 90%.
    • Für Regeneration nur bis 60%
    • Für Kraftausdauer zwischen 75 und 85%
    • Für Vorbereitung auf Wettkampfbelastung zwischen 85 und 95%
    • Im Wettkampf zwischen 95 und 100%

    Schnelles Ausrechnen der persönlichen Trainingsintensität finden Sie hier: www.conconi.ch/maxhf.html

    Ein guter Mix ist auch 65% Ausdauertraining (aerob), 25% Tempo- und Geschwindigkeitsentwicklung (anaerob – soll die Fähigkeit des Körpers vergrössern, sich den Sauerstoff zunutze zu machen – etwa mit Intervall-Training in Form des Fartlek oder „Fahrtspiels“) und 10% Widerstandstraining zum Aufbau der Körperkraft unter hoher Belastung (etwa durch Hügel oder Sanddünen jagen, ev. auch Workouts mit leichten Gewichten, Langhanteln).
    Ein guter Mix beinhaltet immer wieder Reize, d.h. Abwechslung für den Körper. Immerdauernd lange, wenig belastende Läufe sind barer Unsinn. Eingestreute Speed-Sandwiches von 15 bis 20 Sekunden lockern auch das extensive Grundlagentraining immer wieder auf. In dieser Phase einer ev. Laufvorbereitung sollte nie über 1 Std. 40 Min. lang en bloc gelaufen werden. Siehe auch unten beim Marathonkapitel.

    Nasenatmung

    Den Reflex der Mundatmung mit bewusstem Atemtraining auf reine Nasenatmung umprogrammieren kann sehr förderlich sein. Nasenatmung ist „Bauchatmung“, resp. Zwerchfellatmung. Das aktiviert den Parasympathikus-Teil des vegetativen Nervensystems und reduziert dadurch die Ausschüttung von Stresshormonen. Sie werden ruhiger und bleiben besser im Aeroben. Man fühlt sich wesentlich ausgeglichener und deutlich weniger stressempfindlich. Das können wir rasch anhand der Herzfrequenz bestätigen, die abnimmt. Gemäss persönlichen Mitteilungen von Athleten war bei gleicher Leistung die Ansammlung der Milchsäure (Lactat) im Blut, ein Abfallprodukt der Muskelarbeit, unter der Nasenatmung im Vergleich zur Mundatmung deutlich geringer. Zu Beginn kann mit Nasenatmung wegen der geringeren Sauerstoffaufnahme pro Zeit nicht die gleiche Leistung erzielt werden. Längerfristig jedoch mobilisiert man im Ausdauerbereich Reserven für eine markant bessere Leistungsentfaltung (Reduktion der Ermüdbarkeit durch Stresshormone und Leistungssteigerung der Atemmuskulatur).
    Zudem dient die Nasenatmung auch der Infektprophylaxe, denn die Einatmungsluft wird besser gereinigt, angefeuchtet und erwärmt. Dies hilft beispielsweise auch allen Asthmatikern.
    Voraussetzung für eine leichtgängige Nasenatmung ist eine tägliche Nasenhygiene: So wie man Zähne putzt, sollte man auch die Atemwege pflegen (tagtägliche Nasendusche, es genügt physiologische Kochsalzlösung (eine Prise Salz in ein Glas Wasser) – aus der Hohlhand reinziehen und wieder rausschnauben).

    Einen Marathon rennen…
    …ist leichter als Sie zu denken wagen

    • Eine kompakte Anleitung habe ich hier bereitgestellt: www.dr-walser.ch/marathon.pdf
    • Die ökonomische Laufhaltung finden Sie oben.
    • Voraussetzung ist eine gute Gesundheit (Bei gesunden Personen unter 35 Jahren geht es um den Ausschluss von Herzmissbildungen bei über 35jährigen um die Schätzung des Risikos einer Herzkranzgefässerkrankung: Beides kann auch der Hausarzt gut abklären!), ideale Ernährung (siehe>>>), Kenntnisse der wichtigsten Laufregeln (siehe>>>).
    • Ein plötzlicher Herzstillstand (sudden cardiac arrest, SCA) beim oder nach dem Sport kündigt sich in der Zeit vor dem Ereignis fast immer durch Warnsymptome an und meistens liegt eine unentdeckte koronare Herzerkrankung (KHK) zugrunde. Das belegen Daten des Sudden Death Expertise Center in Paris.
      70 Prozent der Patienten in dieser Studie hatten vor dem Ereignis bereits kardiovaskuläre Warnzeichen. Davon hatten 80 Prozent Brustschmerzen. Viele litten auch an Palpitationen (Herzstolpern) oder hatten bereits Synkopen (kurze Bewusstlosigkeiten) erlebt. Treten diese Warnzeichen auf, sollte der Läufer nicht einfach weiter machen wie bisher, wie es leider oft passiert. Er sollte den Sport sofort unterbrechen und baldmöglichst die Arztpraxis aufsuchen, um die Ursachen abzuklären.
      Ein plötzlicher Herzstillstand im Zusammenhang mit sportlicher Betätigung ist ein sehr seltenes Ereignis. Eine prospektive Studie aus Frankreich nennt – je nach Lebensalter – 3 bis 8 Fälle pro 100.000 Personen pro Jahr. 90% davon sind Männer. Berichte über junge Profisportler, etwa Fussballspieler, die durch plötzlichen Herztod gestorben sind, finden jedoch ein grosses Echo.
      >>> mehr hier unten.
    • Verinnerlichen soll man sich die Mentalität eines Langstreckenläufers: In kleinen Schritten weit kommen! Weniger ist mehr! Langsam beginnen, langsam steigern, langsam bleiben mit vielen Ruhephasen (v.a. vor und nach Wettkämpfen oder Longjogs oder nach Speedläufen in der Mittelphase der Vorbereitung).
      Ein guter Mix beinhaltet immer wieder Reize, d.h. Abwechslung für den Körper.
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      Als gutes Beispiel für LSD = Long Slow Distance ist Eliud Kipchoge. Er ist ein Langweiler. Denn der Marathon-Weltrekordhalter von 2023 aus Kenia mag es gern gemütlich. Bis zu zehn Stunden schläft der 38-Jährige pro Nacht, auch über den Mittag legt er sich meistens hin oder liest. Sein Trainingsalltag ist monoton und beinhaltet nur wenige verrückte Intervalleinheiten. Und wie norwegische und amerikanische Wissenschaftler im vergangenen Jahr in einer Arbeit herausgefunden haben, trainiert der schnellste Mann über die 42,195 Kilometer oft sehr, sehr langsam.
      In der Arbeit, an der auch der Sportwissenschaftler Stephen Seiler beteiligt war, haben sie die Trainings von 59 Weltklasse-Langstreckenläuferinnen und -läufern sowie die Philosophien von 16 Coachs analysiert. Das Ergebnis: Während eines Grossteils der Trainingszeit sind die Allerbesten eher gemächlich unterwegs. Besonders eindrücklich ist dies bei Kipchoge, dem König des Marathons, der rund 85 Prozent aller Trainingskilometer in einem lockeren Tempo abspult. Auch der Äthiopier Kenenisa Bekele oder die Marathon-Rekordhalterin Brigid Kosgei aus Kenia joggen neben ein paar harten Tempotrainings meist relativ locker.
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      Warum tun die besten Athletinnen und Athleten das? Und warum sollten auch Hobbyläufer so trainieren, anstatt immer aufs Tempo zu drücken? Lorenz Leuthold, Bewegungs- und Sportwissenschaftler bei Training and Diagnostics in Zürich, sagt, dass gerade auf längeren Distanzen die aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit und eine effiziente Fettverbrennung entscheidend seien. Und diese trainiert man besonders gut im niedrigintensiven Bereich. 
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      Doch was genau heisst locker beziehungsweise niedrigintensiv? Eine gute und anerkannte Grundregel lautet, dass lockere Trainings gut eine bis eineinhalb Minuten pro Kilometer langsamer absolviert werden können als beim Marathontempo – oder sogar noch langsamer. Kipchoge beispielsweise läuft an lockeren Tagen bis zu zweieinhalb Minuten pro Kilometer gemächlicher als seine Marathongeschwindigkeit. Wer nach Puls trainiert, orientiert sich daran, bei rund 70 Prozent der maximalen Herzfrequenz oder darunter zu bleiben. Wer auf Gadgets verzichten möchte, sollte darauf achten, dass während eines lockeren Trainings mit dem Partner nebenan noch in ganzen Sätzen geredet werden kann.
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    • Machen Sie immer wieder mal Gehpausen:
      Gehen nimmt (langen) Distanzen den Schrecken. Gerade das Marathonlaufen wird gerne mit Schmerzen assoziiert – oder dem in Laufkreisen gefürchteten Hammermann. Dass langes Laufen, zumindest bis zu einer bestimmten Distanz, aber zwingend mit Schmerzen verbunden sein muss, ist auch eine Mär.
      Gerade Gehen hilft, dass man seine Kraft sehr viel besser einteilen und damit über mehr Kilometer konservieren kann. Es beugt einer vorzeitigen Ermüdung stärker vor und proportioniert Distanzen in Teilabschnitte. Das ist sehr nützlich für den Geist. Überdies erholt sich schneller, wer regelmässig beim Laufen geht, weil er den Körper weniger stark beansprucht.
    • 6 Monate vor dem Marathon mit Regelmässigkeit des Grundlagentrainings beginnen. Am besten zu zweit (als Paar-Erlebnis und -Ziel) oder unter Teilnahme eines der diversen Lauftreffs in der Nähe (zu finden u.a. bei www.in-team.ch oder um und in Zürich: www.cityrunning.ch.). Nur jeden zweiten Tag joggen und nur 4-6 Stunden pro Woche insgesamt (zuviel ist hier krass ungesund!). Eingestreute Speed-Sandwiches von 15 bis 20 Sekunden lockern auch das extensive Grundlagentraining immer wieder auf. Viele Reize und Abwechslungen setzen! In dieser Phase der Laufvorbereitung sollte kaum über zwei Stunden lang en bloc gelaufen werden.
    • Steigerung der Distanz v.a. in der Periode 8 bis 4 Wochen vor dem Marathon. In dieser Zeit kann man einmal wöchentlich auf 2 bis 3 Stunden und einmal monatlich auf 3:30 steigern (Gesamtkilometer pro Woche bis 80 Kilometer). Nach diesen Longjogs, in denen man auch mal sauer werden darf, unbedingt 72 Stunden Erholung!
    • Tapering:
      Mit „Tapering“ bezeichnet man die Reduktion der Leistung in den Wochen und Tagen vor einem Rennen, um mit optimaler Energie in den Wettkampf steigen zu können.
      Optimal für die Wettkampfleistung und auch am gesündesten, scheint eine Reduktion in den 4 Wochen vor dem Marathon auf höchstens 60 Kilometer in der Woche (dabei eher Tempo pflegen – am besten meist nur 30 Minuten lang, aber teils auch Speed), in den letzten 2 bis 3 Wochen noch 80 Prozent und in der Woche direkt vor dem Wettkampf nur noch 60 Prozent der üblichen Leistung. Das Tapering ist eine Kunst für sich: Wer vor dem Wettkampf zu wenig trainiert, fühlt sich im Rennen „wie im Urlaub“, d.h. kraftlos. Wer zu viel tut aber ausgelaugt.
      Wer einen exakteren Vorschlag will:
      7 Tage davor 60% des gewohnten Longjog (15 km)
      6 Tage davor Ruhe / Regeneration
      5 Tage davor 15′ aufwärmen, 15 min im Wettkampftempo, 15′ auslaufen
      4 Tage davor Ruhe / Regeneration
      3 Tage davor Ruhe / Regeneration
      2 Tage davor 15′ aufwärmen, 4 – 8 Steigerungsläufe, 10′ auslaufen
      1 Tag davor Ruhe / kohlenhydratreiche Ernährung / genügend Flüssigkeit
      Tag 0 Wettkampf
    • Die Regenerationsphase nach dem Marathon dauert 3 bis 4 Wochen: nur 2mal wöchentlich ca. 8 Kilometer sehr leichten Dauerlauf und viele Ausgleichssportarten.
    • Ich trainiere fast ausschliesslich in hügeligem Natur-Gelände und habe dadurch viele Kraftanteile und ein natürliches Fahrtspiel gleich stets inbegriffen.
    • Wichtig ist auch, dass die menschliche Leistungsfähigkeit nicht durch die Muskeln, sondern durch das Hirn kontrolliert wird. Man sollte also bei Anstrengungen, also auch im Training möglichst viel Lächeln!
    • Regelmässig Ausgleichssportarten geniessen (Radfahren, Schwimmen, Skating, Volleyball, Wandern…).
    • Unbedingt ein Zwischenziel als wettkampfmässigen Halbmarathon ca. 2 bis 3 Monate vor Marathon planen. Zwischenziele sind für die Psyche wichtig – Geschmack eines Massenrennens, Wettkampfatmosphäre, Material unter Belastung (v.a. auf Asphalt)…).
    • Gegen Schluss den Anteil Asphaltunterlage nicht steigern, da hier eine Anpassung so oder so kaum möglich ist – und zudem ungesund!
    • Man muss sich im Klaren sein, dass der Marathon selber wohl meist „ungesund“ ist. Es gibt Studien, die zum Beispiel zeigen, dass 82% aller Läufer eines Marathons ein akutes Nierenversagen, Stadium 1 erleiden!
      Was soll dann das Ganze?! Vielleicht  ist die Vorbereitung hingegen gesundheitlich sehr wertvoll.
      Sicher also: In der Vorbereitungszeit nie einen vollen Marathon laufen!
    • Im eigentlichen Wettkampf schmälert ein zu starkes Fixiertsein auf Leistung und Zeitvorgaben das einzigartige, fast mystische Erlebnis eines Marathons schwer! Eine verbesserte Bestzeit kann eine weitere Freude bedeuten, aber soll nie das Ziel sein! (siehe gleich unten bei der Midlife Crisis).
    • Mindestens 50% der Leistung läuft im Rennen mental ab! Es ist der Kopf, der Dich zum Erfolg bringt oder nicht. Du musst Dich mental auf die Länge des Wettkampfes einstellen. Das braucht Konzentration und positives Denken. Wenn während des Wettkampfes der Gedanke aufkommt: Ach, wie lange geht es noch?, dann ist es vorbei!
    • Ernährung vor dem Wettkampf („natürliches Doping“):Täglich ein halber Liter Randensaft steigert die körperliche Ausdauer: Beginnen Sie mindestens eine Woche vor dem Lauf.
      Die Wirkung beruht sehr wahrscheinlich in einem verringerten Sauerstoffbedarf, was Studien auf die hohe Nitratkonzentration des Rote-Bete-Getränks zurückführen. Nitrate werden im Körper zu Stickoxid umgewandelt und beeinflussen die Sauerstoffverwertung in den Mitochondrien (Bailey SJ et al., J Appl Physiol 2009).
    • Am Vortag sehr viel trinken.  Am Vorabend keinen Alkohol und am Wettkampfmorgen Honigbrötchen und Konfitüretoast – ein Glas Wasser direkt vor Start.
      Ein sehr gutes Abstrakt über „die optimierte Ernährung“ des Sportlers von Dr. med. Reinhard Wittke, Bayreuth findet man hier !
    • Dies soll unbedingt mindestens einmal vorgängig bei einem weniger wichtigen Wettkampf oder vor einem intensiven Training ausprobiert werden.
      Etwa eine Woche vor dem Wettkampf Beginn mit kohlehydratreichem Essen (so 70% der Nahrung): Brot, Teigwaren, Pizza, Reis, Kuchen, Kekse… Dazu morgens eine Handvoll Nüsse (Magnesium!) und etwas Apfelessig und ein Gramm L-Carnithin (beides vergrössert das mögliche Glykogendepot).
    • Während des Rennens: Sportriegel enthalten meist viel zuviel Fett – was wirklich hilft sind Gemische von schnell aufschliessbaren Kohlenhydraten mit solchen die bis zu einer Stunde wirken, am besten in flüssiger Form, da so magenverträglich (z.B. Powergel) – von diesen jede Stunde eine Portion. Schon nach wenigen Kilometern wenig trinken und dies dann alle 5 Kilometer/ 30 Minuten. Zu Beginn (eines Marathons z.B.) eher hypoton, d.h. immer isotonisches Getränk PLUS Wasser und erst gegen Schluss iso- oder hyperton.
    • Zur Flüssigkeitsaufnahme während eines Marathons habe ich eine eigene Seite geschrieben: www.dr-walser.ch/hyponatriaemie/
    • zum Magnesium- und Eisenmangel siehe unten>>>
    • Marathon und Schmerzmittel: Nein!
      Marathonläufer, die vor dem Start oder während des Laufs Schmerzmittel einnehmen, haben ein zwei- bis sechsfach höheres Risiko für schwere Gesundheitsprobleme wie Kreislaufversagen, Nierenversagen, Erbrechen oder Magen-Darmblutungen. Schmerzmittel vor dem Lauf nutzen sehr wenig und schaden nachhaltig! Alle Schmerzmittel sind gefährlich, speziell aber NSAR (Diclofenac, wie Voltaren, etc. – Ibuprofen, wie Brufen, etc. und Acetylsalicylsäure, wie Aspirin, etc.. Nur wenig besser schneidet auch Paracetamol (Panadol, Dafalgan,…) ab.

    Auch kein altersbedingter Abbau der Muskeln

    Seniorensportler dominieren ultralange Sportveranstaltungen wie Ultramarathons! Dies beweist, dass der altersbedingte Abbau der Muskelmasse durch regelmässigen Sport auf ein Minimum reduziert werden kann. >>> Lesen Sie den Medizinartikel darüber hier: seniorenlaeufer.pdf

    Bewegung als Selbsttherapie

    Wer joggt, hat eine Leistung persönlich und allein erbracht!

    Dann mal unbedingt einen Gedanken verschwenden an die inneren Triebfedern und Stimmungen, als all dieses Laufen begonnen hat!?
    Der typische Marathonläufer ist heute zwischen 40 und 50 Jahre alt… und steckt in einer Midlife Crisis!
    Er rannte typischerweise bis 30, 35ig irgendeinem Ball hinterher, merkte dann aber, dass die Jungen im Fussball spritziger sind und im Volleyball höher sprangen. Er hörte damit auf und der Bauch begann zu wachsen. Zudem will er seine brüchigeren Knochen und Sehnen nicht mehr länger riskieren. Der Hausarzt findet bald einen hohen Blutdruck und rät zu mehr Bewegung. Laufen ist dann für viele naheliegend und die zweite Sportkarriere.
    Gesundheitliche Gründe und Lebensstil sind dabei fast immer mit Leistungsmotiven kombiniert. Viele Marathonläufer kommen aus leistungsorientierten Berufen. Die meisten sind Büromenschen. Soweit recht und gut! Fanatisches Ausdauertraining und extreme Wettkämpfe sind aber häufig Ausdruck einer Midlife Crisis: Die Kinder flügge, im Job endlich Prokurist, ein schönes Haus – und noch immer die gleiche Frau… Die einen gehen fremd, die anderen kaufen eine Harley und die Dritten trainieren wie wild. Die Ehefrauen der Ultra-Sportler haben am Abend einen müden Mann zu Hause, stinkende Sportlerwäsche und im Küchenschrank nur Energieriegel. Zudem haben Ausdauersportler häufig einen sehr einseitigen und asketischen Freundeskreis – was zusätzlich belasten kann.
    Also mal innehalten und in sich reinhorchen – dann seine Liebste fragen, ob ihr was aufgefallen ist…
    Viele Läufer begannen in einer Lebenskrise mit dem Laufen. Für sie ist und bleibt Bewegung eine Selbsttherapie. Mit der Entscheidung zu joggen ist der erste Schritt bereits getan – denn wer sich entschliesst, übernimmt Verantwortung für sich selbst, wird zum Steuermann seines eigenen Schicksals und damit zu einer selbstbestimmten und aktiv handelnden Person.
    Wenn die Messlatte für die Laufleistung richtig, also relativ niedrig, angesetzt wird, sind Erfolgserlebnisse programmiert, die dann unser Selbstwertgefühl stärken. Laufanfänger fürchten oft. die Strecke nicht zu schaffen. Durch ein allmähliches Verlängern der Laufzeiten hangeln sich Laufneulinge von Termin zu Termin und kommen langsam zu immer längeren Bewegungseinheiten. Dieses Heranführen an angstbesetzte Handlungen und die allmähliche Überwindung der Angst nennt man in der Verhaltenstherapie Desensibilisierung. Wenn sie im Sport glückt überträgt sich dieser Angstabbau auch auf andere Lebensbereiche.

    Jogging als Meditation

    Man erlebt beim Laufen auch häufig den „grübelfreien Zustand“ (ohne ärgerliche Gedanken und Ängste) oder „meditatives Laufen“, der ein eigentlicher Gedankenstopp bewirkt, um unerwünschte Gedankenketten zu unterbrechen.
    Wer will, kann diese „Bewegte Meditation“ noch verstärken, indem man nach dem Joggen 10 bis 15 Minuten (oder länger) innehält und sich ruhig hinsetzt. Liegen führt weniger zu der achtsamen Stille, in die man sich führen will. Yogasitz, wer sich gewöhnt ist – oder kniend mit einem hohen Kissen zwischen den Beinen – oder auch auf einem normalen Stuhl (Sitzhaltung siehe hier >>>). Lassen Sie dabei vollkommene Stille zu. Die Gedanken werden dabei weiterhin kommen und gehen. Doch wir lassen sie wie Vögel oder Wolken durchziehen und haften nicht an ihnen. Wir nehmen sie einfach wohlwollend wahr und bewerten sie nicht. Wir spüren das Pochen des Herzens, hören wie der Atem ein- und ausströmt. Dabei begegnen wir uns selbst, unserer eigenen Kraft. „In der eigenen Kraft sein“ wird erlebbar.
    Dies probieren wir mit in den Alltag zu nehmen.

    Nutzen

    Gesundheitlicher Nutzen regelmässiger (als Rhythmus kann 3in3 gelten: maximal 3 Stunden wöchentlich, verteilt auf mindestens 3mal – siehe meinen Blogbeitrag dazu! – aber auch eher bedächtig als hart und nicht zu viel), nachhaltiger körperlicher Bewegung:

    • Bewegung verbrennt das „schlechte“ Fett: Regelmässige sportliche Ausdauerbetätigung reduziert das Gewicht zwar nur minimal (siehe Tabelle auf meiner Abnehm-Seite), dafür kann sie das schlechte, da stoffwechselaktive Bauchfett, das innere Organe umgibt, verbrennen. Zu viel Bauchfett erhöht das Risiko für Diabetes, Herzkreislaufkrankheiten und Krebs (siehe unten). Zur Kontrolle eines gesundheitlichen Trainingseffekts ist also nicht das Gewicht massgebend, sondern der Bauchumfang (siehe hier).
    • Rückgang der Mortalität: Man lebt länger (vergleichbar mit dem Aufhören von Zigarettenrauchen)! hier >>>
      >>> mehr Jahre selbständigen Lebens für ältere Personen.
    • Psychischer Nutzen hier >>>
      Gegen Angst und Depression hilft regelmässige Bewegung wie starke antidepressive Medikamente.
      Wer läuft, nimmt seinen Körper besser wahr, empfindet Stolz auf die eigene Leistung und verliert mit zunehmenden Laufpensum die Angst zu versagen. Joggen macht kontaktfreudiger und psychisch stabiler. (Literatur dazu: Ulrich Bartmann, „laufen und Joggen für die Psyche“, DGVT). 44% aller leichten Depressionen haben sogar Bewegungsmangel als Ursache.
      Für hirnphysiologisch Interessierte: Bewegung fördert die Bildung neuer Nervenzellen, v.a. im Hippocampus (der bei chronischem Stress und schweren Depressionen schrumpft) und dort insbesondere im Gyrus dendatus. Dadurch wird auch das Gedächtnis und andere kognitive Leistungen stark verbessert.
      Viele Patienten mit chronischen Erkrankungen leiden unter Ängsten, die oft unbemerkt und damit auch unbehandelt bleiben. 40 Studien wurden darüber ausgewertet und gefunden, dass regelmässige Sportübungen von 10 bis 30 Minuten und länger diese Ängste vertreiben (je intensiver und ausdauernder desto mehr). Die positive Wirkung zeigte sich unabhängig vom Alter und vom Geschlecht. Und es spielte keine Rolle, wie schweisstreibend der Sport war, ob nur moderat oder energisch trainiert wurde. (Matthew P.Herring u.a.: The effect of exercise training on anxiety symptoms among patients. Archives of Internal Medicine, 170/4, 2010, 321-331)
    • Das tumorassoziierte Fatigue-Syndrom tritt unter einer Krebsbehandlung bei bis zu 70% der Patienten auf. Operation, Chemotherapie und Bestrahlungen schädigen den Organismus zunehmend und führen einerseits zu körperlichen Symptomen, andererseits fördern sie aber auch psychische Erkrankungen. Die Menschen sind ständig schlapp und müde, klagen über Herzrasen und Kurzatmigkeit und weisen Symptome auf, die bis hin zur manifesten Depressionen reichen.
      Dagegen gibt es ein einfaches Gegenmittel: Sport! Untersuchungen zufolge können Betroffene durch ein tägliches Ausdauertraining von nur 30 Minuten ihre körperliche Leistungsfähigkeit immens steigern. Sowohl die psychischen als auch die physischen Fatigue-Symptome werden parallel dazu gemindert. In Einzelfällen verschwinden sie sogar ganz. (M.Houf, Sportmedizin Update 2010)
    • 30 % Risiko-Reduktion der Entwicklung von zu hohem Blutdruck
      8-10 mmHg-Rückgang des Blutdruckes von Personen mit zu hohem Blutdruck (d.h. eine mit Medikamenten vergleichbare Wirkung). Auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und der Gesamtmortalität sinkt um 30% – bei drei Stunden Sport pro Woche.
      50 % Rückgang des Herzinfarktrisikos (d.h. eine mit dem Nichtrauchen vergleichbare Risikoverminderung)
    • 50 % Rückgang des Risikos der Entwicklung von Diabetes («Erwachsenendiabetes»)
    • 50 % Reduktion des Risikos von Fettstoffwechselstörungen, respektive der Adipositas:
      Alleine über Sport und Bewegung abzunehmen ist schwierig: Um überhaupt messbar an Gewicht abzunehmen, sind täglich mindestens 20 Minuten Bewegung ohne Unterbrechung von mittlerer Intensität erforderlich. Allerdings erleichtert Bewegung das Abnehmen erheblich und wirkt auch einem Teil der Risikofaktoren der Fettsucht entgegen (über eine Reduktion des Bauchfettes: siehe oben). (Dunn AL, Marcus BH, Kampert JB, et al.Comparison of lifestyle and structured interventions to increase physical activity and cardiorespiratory fitness: a randomized trial.JAMA.1999;281:327-334)
      Dazu muss gesagt werden, dass intensives Joggen häufig bei Menschen mit Essstörungen angetroffen wird (nach neueren Studien bis 18%!).
    • Sportler schütten in Stresssituationen weniger vom Nebennierenhormon Kortisol aus und die Pulsfrequenz bleibt tiefer als bei Untrainierten. Sie sind stressresistenter.
    • Schutz vor Dickdarm- und Brustkrebs (Halbierung des Risikos). 70%-ige Reduktion, einen Prostatakrebs zu bekommen (Studie siehe >>>)
    • Verzögerung des Auftretens von Osteoporose und Vorbeugen von Stürzen älterer Personen
    • Wenn man sich regelmässig bewegt, profitieren  auch die Augen davon: Der Augendruck bleibt tiefer und das Risiko für  altersbedingte Schäden an der Netzhaut sinkt. Das sagen Forscher aus  Neuseeland. Sie haben verschiedene Studien zu diesem Thema analysiert.
      (Survey of Ophthalmology · Volume 46, Issue 1, July-August 2001, Pages 43-55)
    • Ausdauersport (Joggen, Radeln, Schwimmen,…) macht in der ersten Nächten nicht schläfriger – hilft aber längerfristig dennoch: Ein über 16 Wochen dauerndes aerobes Training verbessert die Nachtruhe von Schlafgestörten merklich. Also: Dranbleiben und regelmässig sporteln! Erst durch die körperliche Umstellung wird die Übererregung im Gehirn nach und nach heruntergefahren, die als Ursache von Schlafstörungen vermutet wird.

    Die Evidenz des Benefits durch Bewegung lesen Sie in folgendem Artikel ausführlich >>> hier

    Lebensverlängerung (Anti-Aging)

    In einer grossen mehr als 20jährigen Beobachtungsstudie (Arch Intern Med; 168(15):1638-1646, 11/15 August 2008; Reduced Disability and Mortality Among Aging Runners. Eliza F. Chakravarty et al.) zeigte sich ein eindrucksvoller Zusammenhang von regelmässigem Rennen bei über 50jährigen mit kleinerer Mortalität (längerem Leben) und besserer Gesundheit. Am Schluss blieb ein im Schnitt fast 40 Prozent niedrigeres Sterberisiko für die Läufer!
    Genaueres darüber hier>>>

    Abnehmen (Fettverbrennung)

    Bewegung allein bringt nichts beim Abnehmen!
    Bei starkem Übergewicht muss zuerst mit Essensreduktion an Gewicht verloren werden, ansonsten zu starkes Laufen Schäden am Bewegungsapparat hervorrufen kann. Was oben über die Langsamkeit gesagt wurde, gilt hier noch viel extremer.
    Genaueres darüber hier>>>

    Medizinische Probleme beim Joggen

    Seitenstechen: „Seitenstechen“ ist eine Verspannung oder bereits Krampf des Zwerchfells (des grossen, glockenförmigen Muskels zwischen Lungen und Bauchraum). Man löst ihn am besten – auch während des Rennens (Wettkampfs) – durch tiefes Atmen in den Bauch. Dazu hält man die Hand vor oder etwas unter den Schmerzort und atmet so tief ein, dass sich die Bauchwand unter dieser Hand vorwölbt. Beim Ausatmen senkt sich dann die Hand wieder. Schön regelmässig tief Ein- und Ausatmen.

    Laufverletzungen: Läufer, die sich immer wieder verletzen, sollen v.a. die wöchentliche Laufleistung auf weniger als 30 km reduzieren! Dann müssen alle Verletzungen gut ausgeheilt werden, bevor Training und Wettkampf wieder aufgenommen werden. Das Training soll abwechslungsreich sein und begleitende Massnahmen wie Krafttraining und Stretching sowie ausreichende Pausen beinhalten. Neue Schuhe haben ev. gar keinen wesentlichen Effekt auf die Prävention von Verletzungen wie immer wieder behauptet wird.

    Speziell noch zum medialen Schienbeinkantensyndrom (sog. Shin Splint): Überbeanspruchung von Fussmuskeln, die an der Innenseite der Schienbeinkante ansetzen. Dort setzten nach oder während des Lauftrainings Schmerzen ein und dort findet man auch eine Druckschmerzhaftigkeit >>>mehr hier

    Dasselbe gibt es auch am Oberschenkel: Das mediale Stresssyndrom des Femur (sog. Thigh Splints): Überbeanspruchung der Adduktoren-Muskeln, die an der Innenkante des Femurs ansetzen und dort schmerzen. Abzugrenzen davon ist die Ermüdungsfraktur des Femurschafts.

    Ermüdungsbruch oder Stressfraktur: Belastungsabhängige Schmerzen mit oft tastbaren Schwellungen können ein Hinweis auf eine sog. Stressfraktur sein. Betroffen sind ausschliesslich die Knochen des Fussskeletts sowie des Ober- und Unterschenkelknochens sowie sehr selten das Becken. Die Diagnose ist in der Regel durch eine ärztliche Untersuchung sowie eine Röntgenaufnahme der schmerzhaften Region zu stellen. Im Zweifelsfall kann in der Frühphase eine Magnetresonanztomografie (MRT) oder eine Szintigrafie (=eine nuklearmedizinische Untersuchung des Skeletts) die Diagnose sichern. Die Therapie erfolgt in aller Regel durch Entlastung der betroffenen Extremität sowie einer Physiotherapie unter entzündungshemmenden Schmerzmitteln. Ferner sind Risikofaktoren aufzudecken. Bei jungen weiblichen Patienten müssen eventuell vorhandene Menstruationsstörungen sowie Essstörungen therapiert werden. Die meisten Stressfrakturen heilen innerhalb von drei bis zwölf Wochen aus (selten: bei Grad 4 nach Fredericson auch mehr als 16 Wochen). Frakturen in speziellen Bereichen, wie an der Schienbeinkante oder im Mittelfuss können problematisch sein und erfordern mitunter eine operative Therapie. Nach der Abheilung ist auf ein entsprechendes Aufbautraining viel Wert zu legen.

    Zu Sehnenverletzungen (insbesondere die Achillodynie) auch hier>>>

    Spezialfall Plantarfaszie:


    45-jähriger Patient. Sehr sportlich, läuft Marathon. Seit 2 Monaten Schmerzen plantar bei Belastung. Während Lauftraining plötzlich starke Schmerzen mit Hämatom plantar.
    Diagnose: Ruptur der Plantarfaszie bei wahrscheinlich vorbestehender Plantarfasziitis.
    Therapie ist konservativ mit Sportkarenz für 4-6 Wochen.
    (aus Rheuma Schweiz Weekly #20/18)

    Zu Knieschmerzen hier>>>
    insbesondere: das Tractus-iliotibialis-Scheuersyndrom (Iliotibial Band Syndrome)
    und das Jogger’s Knee oder Runner’s Knee

    Zu Hüftschmerz hier>>>

    funktionelle Verbandstechnik per Taping: www.tapeverband.com

    „Allzu viel ist ungesund!“ oder „Weniger ist mehr!“:

    • Übertrainingssyndrom (ÜTS):
      Zu kurze Regenerationsphasen nach extremen Trainingseinheiten oder in kurzer Zeit stark hochgepowerte Trainingsumfänge überfordern den Organismus. Typische Stressfaktoren wie Prüfungen, Beziehungsprobleme und knappes Zeitmanagement im Alltag begünstigen zusätzlich die Auslösung des Übertrainingssyndroms mit der Trias „Leistungsabfall, verminderte Belastbarkeit und schnelle Ermüdung“.
      Man unterscheidet zwei Haupt- und viele Mischformen:
      a) Bei der sympathikotonen, „basedowoiden“ Form dominieren vegetative Störungen wie Tachykardie (schneller Herzschlag), Schlafprobleme, emotionale Instabilität und organbezogene Beschwerden.
      b) Schwerer zu erkennen ist die parasympathikotone „addisonoide“ Form, bei der eine phlegmatische bis depressive Komponente im Vordergrund steht.
      Blutwerte nützen zur Diagnose wenig. Differentialdiagnostisch müssen v.a. Infekte ausgeschlossen werden (Mononukleose=Pfeiffersches Drüsenfieber, Zahnwurzelherd, Myokarditis=Herzmuskelentzündung), dann auch Eisenmangelanämie sowie hormonelle Störungen (Schilddrüse, Nebenniere).
      Die einzig wirksame Therapie des ÜTS besteht in der Reduktion der Trainingsintensität und des Trainingsumfangs – evtl. bis hin zur Trainingspause. Eine spezifische Therapie, etwa mit Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln, gibt es nicht. (u.a. Axel Urhausen et al., Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 2002;53:121-122 oder http://www.physsportsmed.com/issues/2003/0603/hawley.htm)

    Sportverletzungen durch Überbeanspruchung im Kindes- und Jugendalter:
    Sport bei Kindern und Jugendlichen geht mit einem inhärenten Verletzungsrisiko einher, wobei auch Schäden durch Überbeanspruchung mit eingeschlossen sind. Eine Verletzung der Wachstumsfuge des proximalen Humerus äussert sich durch laterale Schulterschmerzen und ist normalerweise selbstlimitierend, hingegen benötigt die Apophysitis des medialen Epicondylus durch Überbelastung eine komplette Ruhigstellung für 4 bis 6 Wochen mit nachfolgender Rehabilitation. Ebenso häufig ist die Spondylolyse, eine Stressfraktur der Pars interarticularis der Wirbelkörper. Als Folgeerkrankung einer Spondylolyse kann eine Spondylolisthese auftreten, welche mittels Röntgen nachgewiesen werden kann. Ein M. Osgood- Schlatter macht sich durch Schmerzen am Tuberculum tibiae bemerkbar, die Diagnosestellung ist klinisch. Dorsale Schmerzen der Ferse im Bereich des Achillessehnenansatzes sind oftmals auf eine Calcaneus Apophysitis zurückzuführen (M. Server). Die Behandlung der meisten Frakturen erfolgt normalerweise konservativ; diagnostisch reicht das Spektrum vom a.p. Röntgen über Computer Tomographie, Knochenscan und Single Photonen Emissions CT bis zur Magnet Resonanz Tomographie. (Kyle J. Cassas M.D. et Amelia Cassettari-Wayhs M.D.
    Am Fam Physician 2006 ; 73 :1014-22
    )

    • Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern:
      Wer unter 50 Jahre alt ist und fünf bis sieben Mal pro Woche joggte, hat ein erhöhtes Risiko, im Lauf einer 12-jährigen Beobachtungsdauer Vorhofflimmern zu bekommen. Bei dieser häufigen (und oft unbemerkten) Herzrhythmusstörung geraten die Herzvorhöfe aus dem Takt. Es besteht dabei eine leicht höheres Risiko für Gerinnselbildung im Vorhof. Bei mehr als fünf Mal Joggen pro Woche (oder mehr als 32 km wöchentlich), Brustschmerzen oder einem unregelmässigen Herzschlag soll man deshalb den Hausarzt aufsuchen. (Am J Cardiol 2009;103:1572-1577)
    • Japanische Forscher untersuchten die Herzen vor und nach einem 100-km-Lauf und fanden nach dem Rennen alle untersuchten Werte im pathologischen Bereich. Schlussfolgerung: Während des Langstreckenlaufs erlitten alle subklinische Herzmuskelzellzerstörungen. Es kam zumindest lokal zu Funktionsstörungen der Herzkammern. 100 Kilometer ist also eindeutig zuviel und im ungesunden Bereich und auch für gesunde Herzen keineswegs harmlos! (Hartuo Ohba et al.; American Heart Journal Vol. 141 (2001), S.751-758)
      Das Risiko, unter körperlicher Belastung einen Herzinfarkt zu erleiden, ist tatsächlich erhöht. Darüber sind sich die Fachleute einig. In zwei grossen Untersuchungen (American Journal of Physiology 282, 2216-23 (2002); New England Journal of Medicine 346, 793-801 (2002)) wurde im Vergleich zur Ruhe bei körperlicher Belastung durchschnittlich ein sechsfach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, gefunden. Dieses Risiko war bei Personen, die nicht regelmässig körperlich aktiv waren, sogar 100-mal höher als in Ruhe (deshalb ist Schneeschaufeln so gefährlich!). bei Personen hingegen, die fünfmal oder häufiger pro Woche Sport trieben, war es nur verdoppelt. Dass sich körperliches Training dennoch lohnt, liegt in der Tatsache, dass bereits ein Ausdauertraining von zwei Stunden pro Woche genügt, um das Risiko eines Infarkts in Ruhe, um zwei Drittel zu senken. Da auch der leidenschaftlichste aller Freizeitsportler die meiste Zeit seines Tages ruhend verbringt, geht diese Risikoberechnung zu seinen Gunsten auf.
      Zum plötzlichen Herztod bei Marathon und beim Triathlon siehe weiter unten>>>
      Zur Beurteilung der Sporttauglichkeit gehört v.a. eine Abklärung der Herz-Kreislaufsituation, was auch der Hausarzt sehr gut erbringen kann: siehe Genaueres hier >>>
    • Nierenschäden:
      Man muss sich im Klaren sein, dass bereits eine Marathondistanz wohl meist „ungesund“ ist. Es gibt Studien, die zum Beispiel zeigen, dass 82% aller Läufer eines Marathons ein akutes Nierenversagen, Stadium 1 erleiden!
    • Asthma:
      Dass Ausdauersport auf höchstem Niveau die Lungen schädigt weiss man schon seit mindestens 1993. Doch über die die Ursachen der Asthmaentstehung rätseln Fachleute bis heute. Klar ist nur, dass bei den Sportlern – im Gegensatz zu normalen Asthmatikern – Allergien meist keine Rolle spielen. Als Ursache für die geschädigten Bronchialschleimhäute kommen verschiedene äussere Einflüsse, v.a. Training unter ungünstigen Umweltbedingungen in Frage: Einatmen grosser Mengen an Abgasen auf Strassen; Wintersportler werden durch extrem kalte Atemluft belastet; Schwimmer atmen grosse Mengen an Chlordämpfen ein. Hinzu kommt, dass das schnelle, tiefe Atmen der Spitzensportler die Schleimhäute austrocknet. Weniger dramatisch ist die Situation für „normale“ Leistungssportler. So zeigte etwa eine Untersuchung, die Bruno Knöpfli, Chefarzt an der Alpinen Kinderklinik Davos durchführte, dass Asthma bei Leistungssport treibenden Schülern des Sportgymnasiums Davos nicht erhöht war.
      Hingegen müssen Sportler zwischen zehn und 20 Jahren mit bekanntem Asthma schwer aufpassen, da sie nach neusten Untersuchungen während und direkt nach dem Sport tödlich verlaufende Asthmaanfälle haben können (Becker JM et al.: Asthma deaths during sports. J Allergy Clin Immunol 113 (2004) 264-67)
      .
    • Unser Immunsystem leidet nach grosser körperlicher Anstrengung (Marathonlauf)? Ist nach neusten Studien eher widerlegt oder es gilt sogar das Gegenteil: Die Immunlage wird dadurch eher verbessert: immunsystem-und-marathon.jpg
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    • Knieschäden: Im MRT findet man regelmässig sichtbare Knorpelschäden im Kniegelenk nach langen Laufbelastungen (Systematic Review. Am J Sports Med 2017;45:1206-1217)
      Jedoch erhöhen sie laut einer US-Langzeitstudie mit knapp 1.200 Probanden selbst bei älteren und übergewichtigen Menschen nicht das Risiko einer Gonarthrose. (https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2765373)
    • Hüftverschleiss muss man NICHT fürchten! Wie eine Metaanalyse aus 13 Studien zeigte, ergibt sich aus der Renn-Leidenschaft kein erhöhtes Risiko für Coxarthrose (Walther M et al., Z Orthop Ihre Grenzgeb 2004; 213-220).
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    • Frauen, die in den ersten 18 Schwangerschaftswochen vier oder mehr Stunden pro Woche Joggen (auch Ballsport und Tennis ist gefährlich – Aerobic oder Walking weniger und Schwimmen gar nicht), haben ein erhöhtes Risiko für eine Fehlgeburt. Nach der 18. Woche erhöht Sport die Gefahr nicht mehr.
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    • Magen-Darm-Probleme beim Ausdauersport:
      • Ursache:

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    • Magnesium und Eisen
      Mehr als die Hälfte aller aktiven Sportler, v.a. im Ausdauerbereich, leiden an einem Magnesiummangel. Wird hier nicht richtig substituiert, drohen Muskelkrämpfe und Herzrhythmusstörungen (Petra Saur, Deutsche Zeitschr Sportmed 2004; 55: 23-24). Durch die erhöhte Stoffwechselaktivität ist der Bedarf erhöht – insbesondere nach Ausdauerbelastung mit vermehrter Lipolyse. Zusätzlich verlieren die Athleten viel Magnesium über Schweiss und Urin. Eine Unterversorgung mit dem Spurenelement, das als essenzieller Kofaktor an mehr als 300 enzymatischen Vorgängen im Körper beteiligt ist, kann zu Muskelkrämpfen und schlimmstenfalls zu Herzrhythmusstörungen und generalisierten Krampfanfällen führen. Auch die Leistungsfähigkeit sinkt. Als Routinetest kann die Bestimmung der Magnesium-Konzentration im Plasma gelten. Liegt diese unter 0,76 bis 1,1 mmol/l, ist eine Substitution mit 0,2 mmol//kgKG täglich sinnvoll. Bei Leistungssportlern mit sehr hoher Aktivität im Ausdauerbereich (Marathonläufer!), die für einen Mangel prädestiniert sind, sollte man auch bei normalen Spiegeln eine Substitution erwägen. Eine Überdosierung ist kaum möglich (ausser bei einer Niereninsuffizienz muss man extrem vorsichtig sein!), 200 bis 300 mg abends an Trainingstagen (und nichts an Wettkampftagen, da auch dämpfender und relaxierender Effekt auf Muskulatur!) ist meist genügend.Da ein Eisenmangel die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen kann (Müdigkeit, Schlappheit, Erschöpfung, beeinträchtigte aerobe Kapazität, beeinträchtigte mentale und immunologische Funktion, erhöhter Puls, erhöhte Laktatwerte,…) und Eisenmangel den verbreitetsten bekannten Mangel eines einzelnen Nährstoffs darstellt, ist es nicht verwunderlich, dass die Sportwelt darauf sensibilisiert ist. Dabei stellen sich aber bei der klinischen Diagnose, besonders bei Sportlern, einige Probleme. Man darf sich nicht alleine auf das Hämoglobin und das Ferritin abstützen (wie so häufig getan), sondern muss  auch speziell den löslichen Transferrinrezeptor (sTfR – soluble transferrin-receptor) mit einbeziehen. Er ist der beste Marker des funktionellen Kompartiments. Der sTfR ist z.B. nicht durch Belastungen am Vortag und vor allem nicht durch Entzündungen beeinflusst (wie das Ferritin = Mass des Eisenspeichers). Der sTfR-Level liegt bei Gesunden um 5 +/- 1 mg/l und Werte über rund 8 mg/l deuten auf einen (funktionellen) Eisenmangel und damit auch eine mangelnde Leistungsfähigkeit hin.  Ein tiefes Ferritin, d.h. entleerte Eisenspeicher müssen die Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigen, solange das Hämoglobin noch normale Werte hat.
      Kurzum: Eisen erst zuführen, falls das Ferritin unter 12 – 20 ug/l fällt oder der sTfR über 8 mg/l ansteigt. Eisen sonst nicht einnehmen, da damit andere Mineralstoffe in ihrer Aufnahme gehemmt werden könnten (Zink, Kupfer) – und umgekehrt. (Samuel Mettler, Ferrum – ein Mineralstoff im Sport, Schweiz. Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie, 2004;52(3):105-114).

    Zur besseren Eisenaufnahme beachten Sportler fünf „eiserne“ Regeln:
    – Regelmässig Fisch, Geflügel und rotes Fleisch essen – mindestens drei Portionen pro Woche.
    – Dazu Orangen- oder Mehrfruchtsaft trinken bzw. Früchte oder Rohkost verzehren – dies hilft dem Körper das angebotene Eisen besser aufzunehmen.
    – Trinken Sie zwei Stunden vor den Mahlzeiten weder Kaffee noch Tee.
    – Essen Sie zu Eisenlieferanten keine Getreide- oder Milchprodukte.
    – Meiden Sie nach Möglichkeit Fertiggerichte und Cola.

    Zu weiteren Nahrungsergänzungen im Leistungssport (Proteine, Aminosäuren, Vitamine, Spurenelemente) >>> siehe Genaueres hier!

    Copyright Sonntagszeitung
    • Todesfälle beim Sport sind zu 70% Herzkreislauf-bedingt und zu fast 30% durch Unfall. Bei unter 20jährigen spielt auch Asthma eine Rolle (siehe oben). Bei Erwachsenen droht aber die grösste Gefahr beim Sport dem Herzen – bei kleineren Distanzen aber nur, wenn bereits eine Vorschädigung besteht, bei über 35-Jährigen eine koronare Herzkrankheit (mit Tod durch Herzinfarkt) und jünger eine Myokarditis (Entzündung meist in Begleitung einer viralen Erkältung).  Die Schlussfolgerung: Über 35-Jährige sollten bei Risikofaktoren für die KHK vorgängig zum Arzt für ein Belastungs-EKG und Jüngere + Ältere sollen nie mit Fieber oder einer Erkältung joggen gehen! (Christoph Raschka, et. al., Medizinische Klinik, 94. Jg., Nr. 9 (1999), S. 473 – 477). Für längere Distanzen siehe oben!
      Ein plötzlicher Herzstillstand (sudden cardiac arrest, SCA) beim oder nach dem Sport kündigt sich in der Zeit vor dem Ereignis fast immer durch Warnsymptome an und meistens liegt eine unentdeckte koronare Herzerkrankung (KHK) zugrunde. Das belegen Daten des Sudden Death Expertise Center in Paris 2017.
      70 Prozent der Patienten in dieser Studie hatten vor dem Ereignis bereits kardiovaskuläre Warnzeichen. Davon hatten 80 Prozent Brustschmerzen. Viele litten auch an Palpitationen (Herzstolpern) oder hatten bereits Synkopen (kurze Bewusstlosigkeiten) erlebt. Treten diese Warnzeichen auf, sollte der Läufer nicht einfach weiter machen wie bisher, wie es leider oft passiert. Er sollte den Sport sofort unterbrechen und baldmöglichst die Arztpraxis aufsuchen, um die Ursachen abzuklären.
      Dazu: Eine Studie über 3’292’268 Marathonteilnehmer ergab ganze 26 Fälle von plötzlichem Herztod oder 0,8 auf 100’000. Die für den Marathonlauf geschlossenen Strassen verhindern 46 Verkehrstote: also 1,8 verhinderte Todesfälle und netto keine Marathontodesfälle entgegen anekdotischer Angaben, weil sie von den Medien gefördert werden! (Redelmeier D, et al. Competing risks of mortality with marathons. BMJ. 2007;335:1275-7)
      2012 zeigte eine noch grössere Studie von 11 Millionen Marathon- und Halbmarathonläufer, dass lediglich 59 einen Herzstillstand erlitten und nur 42 dabei starben. Männer waren dabei häufiger betroffen als Frauen. Ursache Nr.1: hypertrophe Kardiomyopathie (bei den jüngeren Läufern) gefolgt von Herzinfarkt (Einengung der Kranzgefässe). Die Überlebenschancen sind bei der zweiten höher als bei der hypertrophen Myopathie und wenn eine sofortige Reanimation erfolgt. Also Echokardiographien für alle Langstreckenläufer? (N Engl J Med. 2012;366:130).
      Triathlon hat ein viel grösseres Risiko für einen plötzlichen Herztod (doppelt so häufig wie beim Marathon). Bei 2846 Triathlonwettkämpfen der Jahre 2006 bis 2008 mit insgesamt 992’810 Teilnehmern starben 11 an einem plötzlichen Herztod, davon sind zehn ertrunken.

    Links

    Lauftreffs in Deutschland: www.lauftreff.de
    Schweizer Lauftreffs zum Mittrainieren: www.cityrunning.ch

    Strukturelle Bewegungslehre in Kürze: oekonomie_der_bewegung.pdf und das Tonic Function Model von Hubert Godard: hubertgodard.pdf

    Bin ich sporttauglich?: sportauglichkeit.pdf

    Sieben grosse Mythen übers Joggen: laufen/

    Kurz und bündig zum ökonomischen Gehen/Laufen.

    Zur Haltung bei anderen Sportarten und bei bekannten Körperübungen: www.dr-walser.ch/haltung_im_sport/

    Viele Ideen und bildhafte Vergleiche, die ich hier benütze, sind von meinem Lehrer Hubert Godard, meinem Freund und Kollege Hans Flury und auch von Willi Harder, der viel zu jung gestorben ist – drei geniale Köpfe, die das Rolfing wieder viel näher zu den Visionen der Ida Rolf gebracht haben.

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    19. März 2025

  • Kaffee

    Kaffee

    Unsere Suchtpolitik – das Resultat von Moral, Business und Macht

    Falls Sie gerne Kaffee trinken, hätten Sie vor 300 Jahren in Zürich etwas Verbotenes getan. Der Stadtrat verbot „das Trincken von Café by zwänzig Bazen Buss“, da es den Geist verwirre. In Istanbul drohten bei Kaffeekonsum gar Verstümmelung und Todesstrafe.
    Dazu einfach einen kurzen Blick auf die heutigen Drogenverbote (Cannabis, Ecstasy, LSD, …), hinter denen statt primär gesundheitliche Überlegungen, vor allem machtpolitisch motivierte Gründe stehen.
    Zum Schutz der Bevölkerung – insbesondere der Jugend – und im Sinne der Schadensminderung muss diese Prohibition dringend reformiert werden.

    Voltaire und Kaffee

    Der französische Philosoph Voltaire war der Legende nach ein sehr gieriger Kaffeetrinker. Er soll mindestens 30 Tassen Kaffee am Tag getrunken haben, manche Historiker sprechen sogar von 50 bis 80 Tassen täglich. Der Philosoph dachte, dass seine Gedanken durch das damals noch exotische Elixier stimuliert würden. Den Kaffee mischte er oft mit Schokolade, damals ebenfalls eine Delikatesse aus einem fernen Land, die ja auch anregend wirkt.
    Voltaire lebte trotz ungehemmter Kaffeeleidenschaft und der Warnungen seines Arztes übrigens bis ins hohe Alter von 84 Jahren. Von ihm stammt auch der Satz: »Es gibt keine wahren Genüsse ohne wahre Bedürfnisse.«

    Wann Kaffee trinken?

    Kaffee beeinflusst unseren inneren Rhythmus gewaltig, falls man ihn irgendwann tagsüber trinkt. Man sollte seinen individuellen täglichen Energie-Rhythmus kennen lernen (Literatur dazu: Verena Steiner, Energiekompetenz) und den Kaffee dann nur in den „Up-Phasen“ vor unseren Energiehochs einnehmen und nie zur (gesundheitlich bedenklichen) Überbrückung unserer „Down-Phasen“! Aus diesem Grund sollte man auch auf den Espresso nach dem Mittagessen verzichten (und erst recht nach dem Abendessen).

    Kaffee am Morgen schützt das Herz, wie eine neue Studie zeigt. Menschen, die morgens Kaffee trinken, sterben seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als jene, die keinen oder den ganzen Tag über Kaffee trinken.

    Die Forscher der Tulane University in den USA analysierten Daten von über 40.000 Erwachsenen. Morgendliche Kaffeetrinker hatten ein um 31 Prozent geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Todesfälle und ein um 16 Prozent geringeres Risiko für die Gesamtsterblichkeit im Vergleich zu Kaffeeabstinenzlern. Teilnehmer, die den ganzen Tag über Kaffee tranken, zeigten hingegen keine derartigen gesundheitlichen Vorteile.

    Übrigens: Kaffee, ausnahmsweise zum Wachhalten eingesetzt, hilft viel besser, falls man viele einzelne, kleinere Schlückchen über den Tag verteilt einnimmt, als die eine grosse Tasse am Morgen (James Wyatt in Sleep, 27, S.374).

    Vor allem Menschen mit Schlafstörungen sollten nach 12 Uhr keinen Kaffee mehr zu sich nehmen.

    Wirkungen und Nebenwirkungen

    • Für Hirn nicht mehr als 3 Tassen/Tag:
      Der tägliche Konsum von mehr als drei Tassen Kaffee beschleunigt den Abbau der kognitiven Fähigkeiten, wie eine gross angelegte Studie zeigt. Die Forscher untersuchten, wie verschiedene Mengen Kaffee und Tee die fluide Intelligenz beeinflussen, also die Fähigkeit, logisch und abstrakt zu denken, Probleme zu lösen und Muster zu erkennen. Personen, die vier oder mehr Tassen Kaffee täglich trinken, zeigen den stärksten Rückgang der fluiden Intelligenz. Dies im Vergleich zu Personen mit moderatem (ein bis drei Tassen täglich) oder keinem Kaffeekonsum.Es ist eine alte Weisheit: Ein Zuviel ist nie gut. Ausgewogenheit ist der Schlüssel. Moderater Kaffeekonsum ist in Ordnung, aber zu viel ist wahrscheinlich nicht ratsam.Gleichzeitig deuten die Daten darauf hin, dass mässiger Kaffeekonsum (1-3 Tassen/Tag) als Schutzfaktor gegen den kognitiven Abbau wirken kann.

      Beim Tee zeigte sich ein anderes Muster. Personen, die nie Tee tranken, erlebten einen stärkeren Rückgang der fluiden Intelligenz als solche mit mässigem oder starkem Teekonsum.


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    • Wieviel Kaffee täglich ist gesund?
      Heute muss man langsam und auch vorsichtig antworten:
      Sehr wahrscheinlich sind 3-4 Kaffeedosen pro Tag für Herz und Hirn noch gesund, falls man denn nicht Herzsymptome bekommt und nervös oder ängstlich ist. Mehr dagegen wohl eher weniger.
      Ein günstiger Einfluss von regelmässigem Kaffeekonsum auf die Rate kardiovaskulärer Erkrankungen ist bereits häufiger berichtet worden.
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    • 3 Langzeitstudien belegen einen Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und einer geringeren Mortalität: Wer regelmässig Kaffee trinkt wird weniger krank und lebt länger.
      1. Gunter MJ, et al: Annals of Internal Medicine (online) 11. Juli 2017
      2. Park SY, et al: Annals of Internal Medicine (online) 11. Juli 2017
      3. weiter unten auf dieser Seite
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    • Im spanischen SUN-Projekt, an dem 2017 rund 20.000 teilnehmen, wurde eine inverse Assoziation zwischen dem Kaffeekonsum und der Gesamtmortalität an Herz-Kreislaufkrankheiten gefunden. Bei Personen, die mindestens 4 Tassen täglich konsumierten war die Mortalität um 65% geringer als bei Personen, die nie oder fast nie Kaffee tranken. Besonders deutlich zeigte sich der Zusammenhang bei über 45-Jährigen. Pro zusätzliche 2 Tassen Kaffee täglich, verringerte sich die Gesamt-Mortalität im rund 10-Jahres-Follow-up um 30%. Auch wer viel Kaffee trinkt, setzt seine Gesundheit nicht aufs Spiel: Das zeigt eine grosse Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (Floegel A et al; Am J Clin Nutr. 2012 Apr;95(4):901-8.). Bei 43000 Menschen wurden zwei Gruppen verglichen: Vieltrinker, die täglich vier oder mehr Tassen Kaffee tranken, und Wenigtrinker mit weniger als eine Tasse pro Tag. Nach neun Jahren konnten sie für Krebs, Herz-Kreislauf (inkl. Schlaganfall) und auch für Diabetes ein Bonus für die Vieltrinker ausmachen: Ihr Risiko für alle diese Leiden war deutlich tiefer.
      Einerseits steigt das Gesamtcholesterin und LDL-Cholersterin bei über 6 Tassen Kaffee täglich zwar etwas. Anderseits: Bei regelmässigen Kaffeetrinkern bleiben die Halsschlagader elastischer und das Infarkt-Risiko sinkt. Bereits eine bis zwei Tassen pro Tag genügen. Das fanden Forscher der Universität Athen in einer Studie mit 235 Senioren heraus. Förderlich sind vermutlich die Polyphenole und andere gesunde Inhaltsstoffe von Kaffee. (European Society of Cardiology)
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    • 09/2024 die Meta-Studie „Habitual Coffee, Tea, and Caffeine Consumption, Circulating Metabolites, and the Risk of Cardiometabolic Multimorbidity“, Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism (JCEM):
      Betrachtet man den Nutzen über das gesamte Spektrum der Einnahme, so sieht man wieder diese U-förmige Kurve, die darauf hindeutet, dass der optimale Wert für den täglichen Konsum bei etwa 3 Tassen Kaffee oder Tee (oder 250 mg Koffein) liegt. Ein Standard-Energydrink enthält etwa 120 mg Koffein.
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    • Führt Kaffee zu Rhythmusstörungen?
      Studien im Zusammenhang mit Kaffee – einem der meist konsumierten Getränke überhaupt – üben eine besondere Faszination aus. Anders kann man es sich kaum erklären, dass diese solid durchgeführte, aber doch relativ kleine Studie derart hochrangig publiziert werden konnte.
      Es wurden dazu 100 Probanden (mittleres Alter 39 Jahre, 51% Frauen) während zwei Wochen kontinuierlich hinsichtlich Auftretens von Extrasystolen und zur Messung von Schrittzahl und täglicher Schlafdauer monitorisiert. Die Studienteilnehmenden wurden sodann mittels SMS zufällig angewiesen, an bestimmten Tagen Kaffee zu trinken respektive darauf zu verzichten. Die Anzahl Kammer-Extraschläge veränderte sich durch den Kaffeekonsum nicht signifikant. Gut vereinbar mit diesen Resultaten wiesen ja bereits vorgängige Beobachtungsstudien darauf hin, dass Kaffeetrinkende kein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Vorhofflimmern haben.
      Interessant sind aber auch die Daten zu den sekundären Endpunkten der Studie: An «Kaffeetagen» war die nächtliche Schlafdauer im Schnitt eine halbe Stunde kürzer und die Probanden legten im Mittel 1000 Schritte mehr zurück. Zudem traten deutlich häufiger ventrikuläre Ektopien auf. Ob Letzteres ein Surrogatmarker für Folgekomplikationen ist, muss offenbleiben. Die bisherigen Mortalitätsdaten zum Kaffeekonsum sprechen nicht dafür. Wie die Autorenschaft selber konkludiert, generieren diese Resultate Hypothesen für weitere Studien.

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    • Medizinische Studien über Kaffee haben aber auch ihre Tücken – vor allem die, für den Kaffeegenuss negativen. Sorgfältige Arbeiten (z.B. über Kaffeekonsum in der Schwangerschaft und vermehrte Früh- oder Fehlgeburten und untergewichtige Kinder bei der Geburt) zeigen, dass diese Komplikationen meist nur scheinbar mit dem Kaffeekonsum zusammenhängen. Berücksichtigt man nämlich dass sich bei den „schweren“ Kaffeetrinkerinnen (mehr als 4 Tassen täglich) auch die Mehrheit der Raucherinnen und ein Drittel der Alkohol-konsumierenden Frauen, bei den Kaffee-Abstinentinnen aber nur 16% Raucherinnen und 14% Alkoholtrinkende befinden, so liess sich kein erhöhtes, durch Kaffeegenuss bedingtes Risiko mehr feststellen! (The New England Journal of Medicine 343, 1839-1845 (2000))
      Diesen Störfaktor in Studien bezeichnet man als „Confounder“.
    • Dieselben Überlegungen muss man beim vermeintlichen Osteoporoserisiko durch Kaffeekonsum anstellen, denn chronischer Alkohol- und Nikotinkonsum sind dort nachgewiesenermassen ein hohes Risiko. Sonstige Risikofaktoren für die Entwicklung einer Osteoporose im Alter sind auch viel höher einzustufen: Frauen nach der Menopause; enge Verwandte leiden bereits unter Osteoporose; Kalzium- und kalorienarme Ernährung und wenig Bewegung vor 15jährig; Frauen mit früher Menopause, entfernten Eierstöcken und Kinderlosigkeit; aber auch Konsum vieler phosphathaltiger Nahrungsmittel (wie „Soft-Drinks“=Colagetränke, Knäckebrot und bestimmte Wurstwaren, die entsprechend gesalzen sind); und eben chronischer Alkohol-, Nikotin- und möglicherweise Kaffeekonsum.
    • Menschen, die 3 oder mehr Kaffee täglich trinken haben gemäss einer grossen Studie (Bhupathiraju SN, Pan A, Manson JE, et al. Changes in coffee intake and subsequent risk of type 2 diabetes: three large cohorts of US men and women. Diabetologia. 2014;57:1346-1354. Abstract ) 37% weniger Risiko einen Diabetes Typ II zu entwickeln, als diejenigen die nur einen Kaffee täglich tranken.
      Auch konnten die Leute mit eineinhalb Kaffee mehr täglich ihr Risiko um 11% senken.
    • Kaffee hält Gefässe im Hirn fit:
      Frauen, die ein bis vier Tassen Kaffee am Tag trinken, verringern ihr Risiko für einen Schlaganfall um rund einen Viertel. Dies zeigte Susanna Larsson vom Karolinska Institut, die mit ihrem Team die Gesundheitsdaten von mehr als 34000 Frauen analysierte. Eine frühere Studie aus Finnland weist darauf hin, dass Kaffee auch Männerhirne schützt.
      (Larsson SC et al, Coffee consumption and risk of stroke in women; Stroke, 2011 Apr;42(4):908-12. Epub 2011 Mar 10)
    • Hoher Koffeinkonsum ist sogar mit einer signifikant tieferen Wahrscheinlichkeit verknüpft, an Morbus Parkinson zu erkranken (jama.ama-assn.org/issues/v283n20/full/joc91293.html).
      Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass ein moderater Kaffeekonsum die Entwicklung einer Demenz bei älteren Frauen verhindern kann (Neurology 2007;69:536-545 August 7 2007 American Academy of Neurology The neuroprotective effects of caffeine. The Hree City Study. K.Ritchie et al.)
    • Jedoch kann hoher Konsum von Energydrinks Herz und Nieren schädigen.Ein 21Jähriger mit  seit 2 Jahre langem grossen Konsum von Energydrinks wird mit Herz- und Nierenversagen hospitalisiert.
      Der zugrunde liegende Mechanismus der Herzinsuffizienz durch Energydrinks ist nicht vollständig geklärt. Das hoch konzentrierte Koffein in Energydrinks hat positive chronotrope und inotrope Eigenschaften, vor allem durch seine Wirkung als kompetitiver Antagonist von myokardialen Adenosin-Rezeptoren und auf die Katecholamin-Freisetzung.
      Eine chronische sympathische Überstimulation durch exogenen Koffeinkonsum kann also auch eine Stresskardiomyopathie auslösen.
      Es ist auch bekannt, dass Energydrinks den Blutdruck erhöhen und eine Reihe von Arrhythmien wie Vorhofflimmern sowie supraventrikuläre und ventrikuläre Ektopien auslösen können. Im schlimmsten Fall kann es zu Herzversagen kommen.
      Dieser Fall verdeutlicht, wie wichtig es ist, bei Patienten mit Kardiomyopathie unklarer Ätiologie sorgfältig nach einer bestimmten Ursache zu suchen. Dies schließt eine gründliche Anamnese auch zum Konsum von Energydrinks ein.
      Künftige Studien sind notwendig, um herauszufinden, welche Faktoren für schweres Herzversagen oder Herzrhythmusstörungen nach Energydrinks prädisponieren. So könnten dann Risikogruppen identifiziert und entsprechend aufgeklärt werden.
      (univadis.de/viewarticle/s/lebensbedrohliche-kardiomyopathie-durch-energydrinks)
    • Gicht: Je mehr Kaffee Männer trinken, desto seltener erkranken sie an Gicht (Arthritis & Rheumatism). Männer, die vier bis fünf Tassen täglich tranken, hatten ein 40% geringeres Risiko an Gicht zu erkranken wie Männer, die keinen Kaffee tranken. Bei sechs oder mehr Kaffees pro Tag sank das Gichtrisiko sogar um 60%.)
    • Schon mehrere Studien haben gezeigt, dass Kaffee die Leber gesund erhält. Auch Leberkranke profitieren von dem Getränk. In einer Studie von 2009 mit 760 Hepatitis C-Patienten hatten Kaffeetrinker Vorteile: Bei ihnen schritt die Krankheit nur halb so oft fort wie bei den anderen!
    • Krebs: Reichlich Kaffeegenuss bewahrt Frauen möglicherweise vor Brustkrebs. Trägerinnen gewisser Genvarianten, die mindestens zwei Tassen Kaffee pro Tag tranken, erkrankten zu 30% seltener als die anderen (E.Bageman et al., Cancer Epidemiology Biomarkers & Prevention 17: 895-901).
    • Sonstige Nebenwirkungen von Kaffee hingegen sind unbestritten: Pulsbeschleunigung, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Zittern und Muskelschmerzen. Absetzen von Koffein vermag Entzugskopfschmerz auszulösen. Kaffee steigert Angst. (Leute, die unter Ängstlichkeit leiden oder sogar Panikattacken erleben, sollten sicher nicht mehr als 400mg täglich aufnehmen oder besser gleich ganz auf Kaffee verzichten!). Personen mit Leberzirrhose oder Schilddrüsenüberfunktion laufen Gefahr verstärkter Koffein-Störwirkungen.
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    • Schon fünf Tassen Kaffee am Tag steigern das Risiko (akustische) Halluzinationen zu bekommen, vorrausgesetzt man hat eine Neigung dazu.
      Australische Wissenschaftler in der Zeitschrift “Personality and Individual Differences” kamen zu diesem erschreckenden Ergebnis. “Koffein und Stress in Kombination steigern das Risiko für Psychose- ähnliche Symptome”, so Studienleiter Simon Crowe von der La Trobe University.
      Die Wissenschaftler haben 92 gesunde Studienteilnehmer in Situationen mit viel oder wenig Stress versetzt. Anschliessend befragten sie die Teilnehmer, wie viel Kaffee sie an diesem Tag getrunken hatten. Man spielte ihnen ein Tonbeispiel mit einem weissen Rauschen vor und bat sie jedes Mal sich zu melden, sobald sie das Lied “White Christmas” von Bing Crosby hörten. Das Lied wurde tatsächlich nie eingespielt, trotzdem glaubten mehrere es zu hören, und zwar vor allem jene, die unter hohem Stress standen und viel Kaffee getrunken hatten.
      Wer in dieser Hinsicht bereits verletzbar ist, kann durch Stimulanzien derart erregt und unruhig werden, dass das Sensorium durchdreht. Ängste, Schlaflosigkeit bis hin zu Halluzinationen im Sehen oder Hören können die Folge sein.
      Vor allem Nikotin und Koffein nehmen Schizophrene häufig zu sich, was nur plausibel ist: Neben Produktivsymptomen wie etwa Trugbilder sind auch sogenannte „Negativsymptome“ Kennzeichen der Krankheit. Dazu zählen die Antriebsschwäche, Kraftlosigkeit, Müdigkeit sowie Konzentrationsstörungen. Durch Zigaretten und Kaffee versuchen viele, diese Probleme zu überwinden.
      Ohne entsprechende Vorgeschichte wird niemand halluzinieren, auch wenn er fünf Tassen Kaffee pro Tag trinkt.
      Die Australier mahnen dennoch zur Vorsicht. Zuviel Koffein verbunden mit hohen Stress könnten auch bei normalen Menschen miteinander interagieren, wie die Untersuchung gezeigt habe. Kaffee als häufigste Alltagsdroge sei deshalb weniger harmlos wie oft dargestellt wird.

    Achtung: Der Mode-Putscher GUARANA enthält mit 3-8% deutlich mehr Koffein als Kaffeebohnen (1-2%) oder Teeblätter (1-4%).
    Nochmals Achtung: Koffein ist in vielen Mischmedikamenten gegen Schmerzen enthalten (die man sowieso meiden sollte).

    Auch mit koffeinfreiem Kaffee  lebt man länger

    (Prospektive Kohortenstudie mit 500.000 Menschen im Journal of the American Medical Association (JAMA)) Erstmals wurde dabei der individuelle Koffein-Metabolismus der Teilnehmer berücksichtigt, der sich genetisch bedingt unterscheidet – und es wurde differenziert, ob die Menschen koffeinhaltigen oder koffeinfreien Kaffee bevorzugen.

    Das Mortalitätsrisiko war bei den Kaffeetrinkern allgemein geringer und sank tendenziell mit der Menge getrunkener Tassen im Vergleich zu Nicht-Kaffeetrinkern: So lag die Hazard Ratio (HR) mit einer Tasse pro Tag bei 0,92, bei 4 bis 5 Tassen bei 0,88 und bei 8 oder mehr Tassen bei 0,86. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Person ein guter oder schlechter „Koffein-Verwerter“ war (also wie aktiv der genetisch bedingte Koffein-Metabolismus war) und ob laut Antwortbögen koffeinfreier, gefilterter oder löslicher Kaffee getrunken worden war.
    Am Koffein liegt es also wohl nicht, dass Kaffee das Mortalitätsrisiko eher senkt als steigert., aber es sind natürlich wesentlich mehr Substanzen als nur Koffein im Kaffee. So fördert Kaffee etwa den Spiegel des körpereigenen Peptids Adiponektin im Blut, das mit einer erhöhten Insulinsensitivität in Verbindung gebracht wird.

    Weiterhin schlüsselten Loftfield und Kollegen nach Geschlecht (45% Männer, 55% Frauen), Alter (unter und über 55 Jahren), Raucherstatus, allgemeinem Gesundheitsstatus (gut ca. 75% / schlecht ca. 25%), BMI, Diabetes (bei ca. 5%) sowie dem Auftreten von Krebs, Herzinfarkt und Schlaganfall (gemeinsam ca. 10% der Teilnehmer) auf. In allen Subgruppen blieb der Trend erhalten, dass Kaffee, auch in grosser Menge von über 6 Tassen täglich, das Mortalitätsrisiko senkte.

    Für die Belastbarkeit der getroffenen Aussagen spricht auch, dass sie die Ergebnisse vieler bereits veröffentlichter Studien zum Thema Kaffeekonsum bestätigen.
    Kaffee, aber auch Tee, sind keine Medikamente, der Genuss geht meist mit Ruhe und einer Parasympathikus-Aktivierung einher, was sich nur positiv auf die Gesundheit auswirkt.

    Lediglich Schwangere sollten sich etwas zurückhalten. Allen anderen empfehle ich: Zurücklehnen und den Kaffee guten Gewissens geniessen!

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    16. Januar 2025

  • Knieschmerz

    Knieschmerz

    Knieschmerz hat mit Vertrauen zu tun…

    Knieschmerzen können uns stark verunsichern, da wir dadurch in unserer Stabilität getroffen werden. Wir verlieren das Vertrauen in den Boden, den man hat, in die Standhaftigkeit – auch ins Aufrichten (Resilienz…), in unsere Schritte, die man vorwärts geht…

    Differentialdiagnose des Knieschmerzes

    Vergrössern >>>

    Vordere Knieschmerzen: Jumper’s Knee – Patellaspitzensyndrom

    Es handelt sich um eine schmerzhafte chronische Überlastung des Ansatzes der Kniescheibensehne am unteren Patellapol und wird, dem Namen entsprechend, häufig bei Sprungsportarten diagnostiziert. Es sei hier erwähnt, dass es bei jüngeren Sportlern noch im Wachstum ein ähnliches Krankheitsbild gibt, eine Wachstumsstörung mit Name Sinding-Larsen-Johanson.
    Der Betroffene ist meist in der Lage, sein Problem recht präzise zu schildern: Er hat sehr genau lokalisierbare Schmerzen an der Patellaspitze, die in der ersten Phase (Grad I) nur nach Belastung auftreten, dann auch in Ruhe vorhanden sein können (Grad II). Der selten vorkommende Grad IV entspricht einer Sehnenruptur.
    Bei der klinischen Untersuchung kann dieser Schmerz sehr leicht reproduziert werden.
    Die Therapie besteht aus einer Modulation der Belastung (bedeutet nicht Sportuntauglichkeit!), physiotherapeutische Massnahmen wie Faszientechnik (Rolfing). Durch Bewegungsmuster mit viel Länge und Entspannung im Oberschenkel (Normal Function) und Dehnen des Quadricepsmuskels kann (natürlich auch prophylaktisch) viel erreicht werden.

    Knieschmerz unter der Kniescheibe (d.h. zwischen Kniescheibe und Knochen darunter) – patellofemorales Schmerzsyndrom

    Insbesondere bei jungen und sportlich aktiven Menschen sind Schmerzen unter der Kniescheibe (Patella) weit verbreitet. Typische Auslöser des „patellofemoralen Schmerzsyndroms“, das vielen unter seiner früheren Bezeichnung „Chondropathia patellae“ bekannt ist, sind Treppensteigen, Bergablaufen oder sportliche Aktivitäten, die mit Belastungen in tiefer Hocke verbunden sind. Aber auch längeres Sitzen kann zu den Kniebeschwerden führen.

    Patella falsch gezogen?

    Provozieren lassen sich die Schmerzen bei der klinischen Untersuchung typischerweise durch Druck auf die Kniescheibe. Verantwortlich für die Beschwerden kann zum Beispiel eine fehlerhafte Zugausrichtung der Patella sein. Die exakte Ursache bleibt jedoch meist trotz genauer Untersuchung unklar.
    Solange man keinen Grund für die Schmerzen findet, macht eine Operation – in der vagen Hoffnung, dass dann alles besser wird – keinen Sinn. Den Anteil der Patienten, bei denen die Operation eines patellofemoralen Schmerzsyndroms indiziert ist in einer normalen orthopädischen Praxis unter 1 %. Und selbst bei einem selektionierten Patienten-Kollektiv wie in der orthopädischen Universitätsklinik z.B. in Homburg sind es gerade mal 5 %. So ist das patellofemorale Schmerzsyndrom eine Domäne der konservativen Therapie.

    Keine Kniebeugen mit Gewicht, keine Froschsprünge, kein Entengang

    Es empfiehlt sich zunächst nach schmerzauslösenden Belastungen zu suchen, die man dann möglichst vermeiden sollte. Für Sportler heisst das zum Beispiel, auf veraltete Trainingsmethoden, wie etwa Froschsprünge oder den Entengang, bei dem man sich in der Hocke wie eine Ente watschelnd fortbewegt, zu verzichten. Diese Übungen gehen mit hohem Druck im Bereich der Kniescheibe einher. Ebenfalls nicht zu empfehlen sind Kniebeugen mit Gewichten. Deutlich sinnvoller lässt sich die Oberschenkelmuskulatur nämlich mit Übungsgeräten trainieren, wie sie in jedem halbwegs modernen Fitnesszentrum stehen. Dabei sitzt der Sportler auf einer Bank und streckt das Knie gegen ein gepolstertes Gewicht am distalen Schienbein. Der Druck hinter der Kniescheibe hält sich dann in Grenzen.

    Dehnen schont das Gelenk

    Neben den prophylaktischen Massnahmen können auch Übungen hilfreich sein. So stabilisiert der Musculus quadriceps vastus medialis an der distalen Oberschenkelinnenseite die Patella bei der Kniebeugung. Ist der Muskel zu schwach, was man insbesondere im Seitenvergleich sehen oder tasten kann, sollte man den Muskel unter Anleitung auftrainieren. Wichtig ist aber nicht nur Kräftigung, auch auf eine gute Dehnbarkeit der Kniebeuger ist zu achten. Andernfalls erhöhen die straffen ischiokruralen Muskeln an der Oberschenkelhinterseite bei jeder Kniestreckung den Druck auf die Gelenkflächen. Therapeutisch hilft hier auch eine tiefe Bindegewebsarbeit wie sie hervorragend im sog. Rolfing als strukturelle Integration angewendet wird.

    Die Übung zur Verkleinerung des „Schmerztores“ zum Hirn kann auch sehr wirksam sein: Weiterlesen >>>

    Das Märchen vom kaputten Knorpel

    Die Ursache de patellofemoralen Schmerzsyndroms ist unklar. Die früher angeschuldigten Knorpelläsionen an der Patellahinterseite scheinen jedenfalls nicht den Hauptgrund darzustellen (z.B. Arbeiten von E.O.Münch, 17.Jahreskongress der Deutsch-Österreichisch-Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin in München, Sommer 2002).

    Zur Chondopathia Patellae: siehe auch hier auf dieser Website.

    Knieschmerzen seitlich aussen (lateral) oder innen (medial) im Gelenkspalt

    können auf einen Meniskusschaden hinweisen. Der innere Meniskus ist dabei viel häufiger als der äussere betroffen.
    Ein sehr guter Selbsttest ist der Thessaly-Test: Sie stehen auf dem Bein, das weh tut und halten sich an etwas fest, um sich zu stabilisieren. Nun rotieren Sie mit am Boden fixierten Fuss im Kniegelenk und Rumpf dreimal nach aussen und dreimal nach innen. Liegt eine Mensikusläsion vor, spüren Sie Schmerzen und/oder ein Schnapp-Phänomen im Knie.
    Der „Meniskusschmerz“ ist aber häufig ein Schmerz aus den benachbarten Weichteilen und sollte dann auch demenentsprechend (physiotherapeutisch) behandelt werden. Hier wird viel zu häufig und zu schnell operiert! Weiterlesen >>>

    Knieschmerzen seitlich aussen (lateral)
    Runner’s Knee = das Tractus-iliotibialis-Scheuersyndrom (Iliotibial Band Syndrome)

    Dieses Schmerzsyndrom ist verursacht durch eine übermässiges Scheuern des distalen Tractus iliotibialis (Fascia lata) über der seitlichen Femur-Condylen durch repetiertes Beugen und Strecken im Knie v.a. bei Läufern und Fahrradfahrern. Dieser Bandabschnitt kann sich dadurch entzünden und an dieser Stelle auch verdicken. Verstärkend und fördernd wirken vorbestehende Verdickungen des Bandes, sehr hohes Trainingspensum in Kilometern oder Zeit, Läufe auf einer Rennbahn oder Intervall-Training. Auch muskuläre Schwäche der Kniestrecker und – Beuger, sowie v.a. der Hüftabduktoren (v.a. m.gluteus medius) führen zu diesem Schmerzsyndrom.
    Der Schmerz findet sich ca. 2 cm über dem seitlichen Kniegelenkspalt. Im Stehen bei 30-Grad-Beugung des Knies scheuert dieses Band über die Erhöhung am Oberschenkelknochen (laterale Femur-Condyle) und tut am meisten weh. Es existiert ein spezifischer Test (Obers Test >>> siehe American Family Physician-Artikel).

    Therapie: Zuerst sollte eine akute Entzündung des Iliotibial-Tracts abgeheilt werden: Trainingsreduktion bis Pause (andere Bewegungsabfolgen wie Schwimmen), lokal 15%iger MSM-Gel, kühle Kompressen, ev. antientzündliche Medikamente. Wenn die Entzündung abgeklungen ist, kann der Tractus gestreckt werden  und die Hüftabduktoren gekräftigt (siehe Übungen im AFP-Artikel). Ev. vorhandene Triggerpunkte in den am Iliotibialtrakt beteiligten Muskeln müssen behandelt werden. Prophylaktisch muss auch meist ein neues Gangbild mit einer neuen Haltung (im Gleichgewicht!) gelernt werden (siehe Rolfingtherapie).

    Weitere Differentialdiagnostische Erwägungen beim lateralen Knieschmerz neben dem lateralen Meniskusschaden: siehe hier.

    Knieschmerzen unterhalb des inneren Kniegelenkspaltes

    vor allem morgens oder nach Belastung sprechen für Bursitis (Schleimbeutelentzündung) oder Tendinitis (Sehnenentzündung) des Pes anserinus (Sehnenansatz der inneren und hinteren-inneren Oberschenkelmuskeln am Knie) – Folge einer Überpronation (Pronation = es wird v.a. über das innere Fussgewölbe abgerollt). Während der Belastung geht es oft besser. Typisch: Der Läufer schafft problemlos ein hartes Training, kann aber am Morgen darauf kaum noch laufen. Der Schmerz kann provoziert werden, wenn man das Knie beugt und gegen Widerstand innenrotiert (d.h. Unterschenkel nach aussen drehen).


    MCL ist Mediales Collaterales Band  (Copyright emedicine.medscape.com)

    In letzter Zeit sehe ich dies vermehrt bei Läufern, die zu schnell auf die neue Generation Laufschuhe umsteigen, die praktisch keine Pronationsunterstützung mehr haben (Typ Nike Free). Dann sollte man die alten Laufschuhe wieder herausholen und den Umstieg langsam in kleinen Schritten bewerkstelligen.

    Zu Kniegelenkschäden beim Sport lesen Sie auch hier eine interessante Arbeit der Rennbahnklinik, Muttenz BL.

    Weitere ähnliche Themen auf meiner Homepage:
    Richtig Joggen

    Sehnenschmerz
    Kniegelenke schonen

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    11. Juli 2024

  • Krafttraining

    Krafttraining

    Kraft und Technik

    Bei den meisten Sportarten – auch beim Laufen – zählen zwei Dinge: Kraft und Technik. Meist versucht man, mit mehr Kraft die Leistung zu steigern. Die Technik bleibt oft im Hintergrund, weil ihr Einfluss schwerer greifbar ist. Doch eine bessere Technik steigert die Leistung ebenfalls, indem sie den Krafteinsatz effizienter macht.

    Mehr Kraft bringt jedoch auch Nachteile. Grössere und stärkere Muskeln üben oft mehr Spannung aus, was den Körper unnötig verkürzt und staucht. Dadurch wird jede Bewegung mühsamer, weil die Muskeln gegen einen höheren Widerstand arbeiten – letztlich sogar gegen sich selbst. So gerät man leicht in einen Teufelskreis: Je mehr Kraft und Anstrengung, desto unbeweglicher wird man, bis man sich wie ein massiver Kleiderschrank kaum noch rühren kann.

    Ein weiteres Problem übermässigen Krafttrainings: Die Faszien der Muskeln verdicken und verhärten sich. Die Muskeln verlieren ihre Geschmeidigkeit, und der Körper kann sich kaum noch strecken oder verlängern.

    Kraft und Technik stehen also in einem gewissen Gegensatz. Für Gesundheit und Flexibilität ist es entscheidend, den Körper beweglich und geschmeidig zu halten. Denken Sie an eine Katze: Ihre Muskeln sind weich und schlank. Sie trainiert nie ihre Kraft, dehnt sich aber ständig, um ihren Körper und das Gewebe elastisch zu halten.

    Die auf dieser Website beschriebene „Normale“ Bewegung aus dem Rolfing optimiert die Technik auf natürliche Art und Weise.

    Viel Lächeln

    Wichtig ist auch, dass die menschliche Leistungsfähigkeit nicht durch die Muskeln, sondern durch das Hirn kontrolliert wird. Man sollte also bei Anstrengungen, also auch im Training möglichst viel Lächeln!

    Welche Haltung?

    Damit will ich nicht sagen, dass Sie nicht auf Kraft trainieren sollten – wenn Sie das möchten. Beachten Sie dabei aber unbedingt zwei wichtige Dinge. Erstens sollten Sie alle Übungen „natürlich und ökonomisch“ ausführen, vor allem wenn Sie an Kraftmaschinen arbeiten, will heissen: Lassen Sie sich Ihren Körper auf keinen Fall stauchen! Spüren Sie immer bevor Sie mit der eigentlichen Übung beginnen, wo Ihr Körper gegen den Boden, eine Sitzbank o.ä. gestützt ist. Fühlen Sie zu diesem Zweck Ihr ganzes Gewicht. Dann drücken Sie gegen den Boden, so dass als Folge davon erst der Körper sich streckt, dann das Gewicht am anderen Ende Ihres Körpers bewegt wird. Zum zweiten sollten Sie am Schluss des Trainings wie auf dieser Website unter „Stretching“ beschrieben (www.dr-walser.ch/jogging/)  den ganzen Körper, insbesondere die Bauchmuskeln immer kurz dehnen.

    In Bezug aufs Muskelwachstum zeigen die Daten, dass zwei Krafttrainings pro Woche ideal sind – für uns Hobbysportler, das ist wichtig zu sagen. Die Daten zeigen auch: Wer ein drittes Training pro Woche absolviert, erzielt nur noch einen ganz kleinen zusätzlichen Effekt. Wichtig auch: Das Training sollte aus mindestens zwei Sets bestehen. Das Gewicht sollte dabei so gewählt sein, dass man bei der letzten Wiederholung findet: Jetzt bin ich müde. Was es nicht braucht: sich an den kompletten Anschlag zu pushen.

    Wann?

    Für Krafttraining ist der späte Nachmittag die beste Wahl.
    Forschende der Universität Birmingham haben festgestellt, dass die körperliche Leistungsfähigkeit im Tagesverlauf um bis zu 26 Prozent schwankt. Frühmorgens Gewichte stemmen oder ein intensives Intervalltraining? Keine gute Idee. Zwar ist das muskelaufbauende Hormon Testosteron zwischen 6 und 8.30 Uhr besonders aktiv, doch gleichzeitig steigt der Cortisolspiegel – ein Stresshormon, das den Muskelabbau fördert.

    Wann ist der Körper am leistungsfähigsten? Zwischen 10 und 12 Uhr sowie vor allem zwischen 17 und 19 Uhr erreicht er seine Spitzenwerte. Der Vormittag eignet sich für intensive Ausdauertrainings, der späte Nachmittag für Krafttraining. Dann ist der Testosteronspiegel hoch, der Cortisolwert niedrig – ideale Bedingungen für den Muskelaufbau. Auch Koordination und Konzentration sind jetzt auf ihrem Höhepunkt. Der Feierabend bietet sich daher perfekt für komplexe, technische oder mentale Sportarten an.

    Wieviel Trainings pro Woche? Wieviel Gewicht und Wiederholungen?

    Betreffend Trainings pro Woche sind zwei klar besser als eines, drei hingegen kaum viel effektiver bezüglich Muskelwachstum als zwei.

    Wer vor allem kräftiger werden will, sollte besser mit hohen Gewichten und folglich weniger Wiederholungen pro Set arbeiten.

    Lassen Sie sich nicht von all diesen vielen verschiedenen Programmen, die existieren, verrückt machen. Krafttraining für Hobbysportler ist relativ simpel.

    Wer in möglichst kurzer Zeit möglichst effektiv trainieren will, sollte sich mit dem Thema des „Drop-Satzes“ beschäftigen. Er geht so: Man absolviert Übung X mit Gewicht Y und Wiederholungszahl Z bis zur Ermüdung. Dann wiederholt man ohne Pause dieselbe Übung mit weniger Gewicht erneut bis zur Ermüdung, insgesamt circa vier Sets.

    Allgemein, besser nur wenig Krafttraining als gar keines. Wer also 15 Minuten pro Woche ins Krafttraining investiert statt null Minuten: super, weiter so! Entscheidend ist, dass man etwas tut, das ist der wahre Hebel.

    Man muss dazu nicht in teure Fitnessstudios: Tägliches Hanteltraining (Kurz- oder Langhanteln, aber auch das Theraband) reichen. Und es braucht dabei keine grossen Gewichte, ein leichter Widerstand reicht aus – allerdings ist Regelmässigkeit unumgänglich).
    Der Zeitpunkt spielt eine grosse Rolle: vor dem Zu-Bett-Gehen ist am idealsten (da nachts günstiges Hormonprofil zum Muskelaufbau aufgrund der zirkadianen Schwankungen besteht).

    Die Tendenz bei der Frequenz der Bewegung allgemein, aber auch beim Krafttraining geht immer mehr zu kurzen intensiven Anteilen (“explosive Kraftteile” beim Kraftsport oder HIIT-Speed-Sandwiches) und lang andauernden, dann aber nicht zu intensiver, sondern moderater Intensität.

    Exzentrisches Krafttraining (oder auch „negativ dynamisch“)

    Ein gutes Beispiel für den Gegensatz zwischen exzentrischem und konzentrischem Krafttraining ist Folgendes: Eine Skination hat konzentrisch trainiert und ist auf Kästen hochgesprungen, die anderen haben exzentrisch trainiert und sind heruntergesprungen. Letztere waren in der Saison besser und verletzten sich viel weniger!
    Laufen oder Joggen nach der „Rolfing-Methode“ ist auch weitgehend exzentrisch, weil das Bein beim Aufprall bremsen muss, während Radfahren konzentrisch ist, weil Druck auf die Pedalen ausgeübt wird. Exzentrisches Training ist schneller und effektiver. Man kann es auch ganz leicht mit dem Thera-Band machen, indem man das Lockerlassen des Bandes aus der höchsten Dehnung langsam und bewusst ausführt.

    Bei der Muskelarbeit unterscheidet man 3 Formen der Kontraktion: Die Konzentrische ( die sog. „positive“ Kontraktion die durch das Gewicht anheben stattfindet ), die Exzentrische („negative“ Bewegung, also das Herablassen des Gewichtes) und die isometrische (statisches Halten eines Gewichtes ). Die Konzentrische Bewegung, also die Bewegung wo der Kraftaufwand stattfindet ist für den Muskelzuwachs primär von Bedeutung, da hier für den Muskel der stärkste Kraftaufwand stattfindet. Der Kraftzuwachs findet hier ausschliesslich über den konzentrischen Weg statt. Die exzentrische Bewegung, also das langsame Herablassen und Gegenhalten komplettiert den Bewegungsablauf und gibt auch die Gelegenheit, einige Wiederholungen zu gewinnen, indem eine zweite Person hilft das Gewicht anzuheben und du es dann alleine langsam herunter lässt. Optimal wäre am höchsten Punkt der konzentrischen Bewegung noch für 2-3 Sekunden einen isometrischen Kraftakt auszuüben. Das heisst, das Gewicht statisch halten und dann langsam herablassen.

    Vorteile des negativ dynamischen Trainings:

    • Spannungsspitzen weit über positiv dynamischen und Maximalkraftwerten (exzentrisches Kraftmaximum 30 – 40 % grösser als das isometrische, dieses 10 – 15 % über dynamisch-konzentrischem Kraftmaximum)
    • ausgeprägte Hypertrophie (langer Reiz)
    • deutlicher Zuwachs auch bei hohem Trainingsniveau

    Nachteile des negativ dynamischen Trainings:

    • Hilfestellung nötig (abhängig von Übung und Gerät)
    • hohes Verletzungsrisiko bei Kontrollverlust und falschem Bewegungsablauf
    • zeitliche Beschränkung (nur in der Vorbereitungsphase eines Wettkampfes, da Maximallasttraining sich negativ auf die Kontraktionsgeschwindigkeit auswirkt – die Kraft nimmt zu, die Geschwindigkeit ab!)

    Einige gängige Kraftübungen:

    * LIEGESTÜTZE

    * BAUCHMUSKELTRAINING – SITUPS

    * KNIEBEUGE

    * SEILSPRINGEN

    * TREPPENSTEIGEN (STEPPER)

    Liegestütze

    Die Ellbogen sollen seitlich nach aussen gehen und dabei bleibt der Rumpf zuerst ruhig und die Höhe des Schultergürtels wird möglichst lange eingehalten. Denken Sie an „auseinander“ und nicht „nach unten“. Diese Phase möglichst langsam ausführen. Es ist die wertvolle exzentrische (negativ dynamische) Kraftphase.

    Die Fersen zeigen etwas zu den Seiten, der Kopf sieht frei beweglich nach unten oder sogar etwas nach vorne (nicht kurz werden im vorderen Brustbereich) und das Becken (oder die Sitzbeinhöcker) bleibt immer der höchste Punkt des Körpers. Der Abstand vom Schambein bis zum Brustbein bleibt möglichst lang. Wieder zurück, beim Nach-Oben-Gehen beginnt die Bewegung in den Sitzbeinhöcker, die sich  zuerst nach oben heben. Diese konzentrische (positiv dynamische) Kraftphase schnell und kurz machen.
    Oben angekommen 2-3 Sekunden innehalten (isometrische Kraftphase).


    Sit-ups / Bauchmuskelübung

    1. Rectus: verkürzt die vordere Körperlinie des Oberkörpers (=Hauptfehler bei den Bauchmuskelübungen!) >> Achtung: Six-Pack nie ohne Hauptaktivität des tiefen, queren Transversus!
    2. Obliquus Externus und
    3. Obliquus Internus sind die beiden schrägen Bauchmuskeln, die bereits eine bessere Bauchwandstabilität ergeben (nie Rectus allein!)
    4. Transversus = querer, tiefster Bauchmuskel und der Wichtigste! Hält die Bauchwand ohne Verkürzungen am schönsten nach hinten!

    Das Ziel ist also, in der Bauchwand lang zu bleiben und nicht zu verkürzen (spätere Spitzbauchbildung!). Es darf kein Hohlkreuz entstehen. Dort soll es eher wie eine Schale gegen hinten rund werden und eng bleiben. Und das Schambein sollte nie in Richtung Kinn gezogen werden. Man legt die Unterschenkel mit 90-Grad-gebeugten Hüft- und Kniegelenken auf einen Stuhl und hebt den Kopf in einer Linie mit dem Brustbein nur sehr wenig. Verkürzen Sie dabei nicht die vordere Linie vom Kinn zum Schambein. Der rechte Ellbogen (bei angewinkelten Armen) geht nur wenig und eher schnell und kurz (da konzentrische Muskelaktivität) gegen das linke Knie und umgekehrt. Dann 2-3 Sekunden Stellung halten (isometrisch) und wieder sehr langsam zurück in die Liegestellung (exzentrisch).

    Auch die klassische Übung zur Tiefenaktivierung der Rumpfstabilisatoren ist eine ausgezeichnete Übung für die tiefste Bauchmuskelschicht, den M. Transversus Abdominis:
    Man liegt entspannt auf dem Rücken, Beine ausgestreckt, das Kreuz nicht auf den Boden drücken, Arme seitlich des Körpers, Nacken entspannt, Kopf auf beide Seiten drehen und wieder zurück zur Mitte, Blick offen und entspannt zur Decke gerichtet (keinen fokussierten, starren Blick).
    Nun stellt man den rechten Fuss an (linkes Bein bleibt ausgestreckt). Die rechte Fusssohle (auf dem Boden) wahrnehmen. Der Fuss ist weich und entspannt. Das rechte Knie verlängert sich langsam in den Raum raus.

    Durch diese Bewegung hebt sich die rechte Beckenhälfte unwillkürlich vom Boden ab – ohne aktives Tun.
    Bei dieser Übung gibt es vom entspannten Beckenboden her, eine Rotation des Rumpfes nach links (Wirbel für Wirbel langsam nach oben). Wenn diese Drehung auf der Höhe des Zwerchfells angelangt ist, nimmt man den rechten Arm dazu, der wie von einem Magneten (in die linke obere Wandecke) gezogen wird. (Achtung: Schulter und Hals sollen entspannt bleiben). Wenn der Kopf vom Boden abheben würde, stoppt man die Armbewegung. Man lässt den Arm einen Moment in dieser Position wie eingefroren stehen.
    Nun spürt man das Becken schwer werden und lässt es langsam zum Boden zurücksinken. Wirbel für Wirbel kommen zum Boden zurück bis die ganze Wirbelsäule ausgestreckt am Boden liegt. Gleichzeitig bewegt sich die rechte Schulter und der Oberarm, Unterarm.. zurück in die Ausgangsposition.

    –   Während der ganzen Übung entspannte Atmung und Bewegungsfluss.
    –   Übungen jeweils zwei- bis dreimal wiederholen, dann Seite wechseln.

    Kniebeuge (Halbe Hocke: Gewichtheben)

    Bei der Kniebeuge ist wichtig, dass nur die Weichteile der Beine trainiert und das Kniegelenk selber und der ganze Rücken möglichst geschont werden. Die oberflächlichen Muskeln im ganzen Oberkörper sollten entspannt bleiben und die Aktivität der tiefen Rumpfstabilisatoren zunehmen. Dies erreicht man in der sog. „Halben Hocke“, der Haltung, die auch ideal und maximal Rücken entlastend beim Heben von Lasten ist (physiopraxis 2011; 9(1): 30-33). Deshalb kann dies auch als beste Haltung für das Gewichtheben angesehen werden.

     
     
     
     „Ganze Hocke“

    Wurde in der „alten Rückenschule“ noch als richtig gelernt. Entspricht der alten Vorstellung, dass eine „Korsett-Bildung“ (Gebrauch und Training der oberflächlichen Rumpfmuskeln) günstig („entlastend“) für den Rücken sei.

    Heute weiss man, dass eben diese Haltung im argen Ungleichgewicht eine Tiefenaktivierung verhindert und den Zwischenwirbelraum arg komprimiert!

    „Halbe Hocke“

    Im Gleichgewicht mit entspannter Oberfläche und optimalster Aktivierung der tiefen Rumpfstabilisatoren. Damit die kleinste Kompression und Verkürzung des Wirbelraums – grösste Rückenschonung!

     

     

     

     

     

     

     

     

     
    Der „alte“ Gewichtheber wusste dies schon immer! Man bringt so übrigens das Gewicht auch am besten und entspanntesten an den eigenen Knien vorbei…

    Stellen Sie dazu die Füsse beckenbreit auseinander und parallel (nicht zu weit auseinander und auch keine nach auswärts gedrehte Füsse, wie man häufig auf erläuternden Fotos sieht). Dann gehen Sie zuerst in die Hüften und noch nicht in die Knie (Man sollte also eher „Hüftbeuge“ sagen!). Dies erreichen Sie am besten und mit grösster Entspannung der  oberflächlichen Muskeln des Oberkörpers, indem man sich das Becken als eine Schublade vorstellt, die sehr entspannt und leicht horizontal nach hinten gleitet.
    Bauchwand, Gesäss und Hüften sind locker (Die Tiefe, nämlich der Transversusmuskel, etc. sind dann automatisch sehr aktiv.).
    Der Schultergürtel befindet sich immer etwas weiter vorne als die Knie. Die Hüftgelenke sind also immer etwas mehr gebeugt als die Knie. Dadurch kommt das Gewicht in den Füssen automatisch mehr auf den Mittel- und Vorfuss: Die ganze Fuss-Längsfeder wird gespannt. Die Hüftfederung und diese Fussfeder entlasten die Knie enorm.
    Das Brustbein bleibt senkrecht und vorderster Punkt des Körpers. Der Kopf sitzt wie eine Boje auf der senkrechten Halswirbelsäule und der Schultergürtel liegt entspannt wie ein leichtes Joch auf dem Rumpf. Der Oberkörper bleibt so in seiner vorderen Mittellinie sehr lange und die Wirbelsäule sehr gerade.
    .

    Auch bei der Kniebeuge stellt man sich vor, man würde eine Kiste heben, die vor einem auf dem Boden steht. Man kommt dazu vor allem aus der Hüftbeugung und weniger aus den Knie mit den Händen bis an den Boden.
    Die Retourbewegung nach oben startet dann in den Füssen. Man stösst dabei vom Boden ab, indem man zuerst die Knie nach hinten bewegt und dann erst die Hüften nach vorne. Der Oberkörper macht dabei möglichst wenig Arbeit und bleibt vor allem in der Oberfläche (Bauchwand, Gesäss, Schultern,…) völlig entspannt.

    Seilspringen

     
    Man springt in einer akzentuierten Faltbewegung (wie hier ausführlich beschrieben): Vor allem das Becken, der Po ist weit hinten damit die Hüftgelenke gut federn können. Der Oberkörper wird dann aufrecht (Brustbein senkrecht), die Schultern entspannt und nicht nach oben gezogen. Der Kopf liegt leicht wie eine Boje auf dem Hals – der Blick locker und nicht fixiert in die Weite zum Horizont. Man landet nicht auf der Fussspitze, sondern auf dem ganzen Fuss, der dadurch wie eine Längsfeder gespannt wird und wieder abfedert. Seilspringen ist eine wunderbare Art, Haltungsverbesserung, Konditionssteigerung und Aktivierung der tiefen Rumpfstabilisatoren mit einfachsten Mitteln und auf engstem Raum zu praktizieren.

    Rundrücken durch Krafttraining/Bodybuilding – Folgen des Sixpacks…

    Leider muss man erwähnen, dass das Auftrainieren unserer oberflächlichen Muskeln häufig ein Ungleichgewicht ergibt:
    Vorderseite kräftiger (und auch verkürzt!) – Hinterseite/Rücken schwächer und mit Rundrücken im Brustbereich!
    Z.B. ein „Sixpack„, also ein auftrainierter Rektusbauchmuskel ist immer verkürzt und zieht unser Brustbein sehr stark nach unten (und bildet so den Buckel mit). Erst recht einen zu kräftigen (und damit verkürzten!) grossen Brustmuskel.

    Man sieht den Rundrücken und das damit zusammenhängende starre Hohlkreuz sehr offensichtlich bei allen Bodybuildern:

    (Foto KEYSTONE/JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

    Weiterlesen über den Rundrücken >>>
    und über den flachen Bauch >>>

    Nächtliche Wadenkrämpfe werden durch Stretching vor dem Schlafengehen besser

    Nächtliche, meist frühmorgendliche, Beinkrämpfe sind bei älteren Menschen häufig und unangenehm. Quininpräparate, Magnesium und/oder Vitaminpräparate werden mit unterschiedlichem Erfolg verschrieben.

    In einer neuen Studie (Hallegraeff JM et al. Stretching before sleep reduces the frequency and severity of nocturnal leg cramps in older adults: a randomized trial. J of Physiotherapy 2012;58:17-22) wurde nun untersucht welchen Effekt ein sechs-wöchiges Stretching welches etwa 3 Minuten dauert und vor dem Schlafengehen gemacht wurde bei älteren Patienten mit nächtlichen Wadenkrämpfen hat.

    Das Resultat war eindrücklich: Die Wadenkrämpfe sanken auf ein Drittel und diese waren auch etwas weniger intensiv. Nebenwirkungen traten keine auf.

    Hier finden Sie auf meiner Website die zwei Stretchingübungen beschrieben (oberflächliche und tiefe Wadenmuskeln): dr-walser.ch/waden-stretching.pdf

    Funktionelles und Zirkeltraining

    Auf dem Fitnessmarkt erfreuen sich funktionelles Training und Zirkeltraining bewegter Beliebtheit. Funktionelles Training meint lebensnahe, mehrgelenkige Übungen, oft mit dem eigenen Körpergewicht. Das Zirkeltraining verzichtet weitgehend auf Pausen und kombiniert so Kraft- mit Ausdauertraining. Klingt super, oder? Nicht so langweilig wie monotones Maschinentraining! Doch die modischen Trainingsregimes haben eine Schattenseite: Sie sind das Abbild der radikal nutzenorientierten, atemlosen 24/7-Multioptionsgesellschaft, in der man nie zur Ruhe kommt und immer Multitasking betreibt. Und gelten sie auch als „kreativer“ als das Pumpen an Maschinen, so fehlt ihnen für echte Kreativität doch eines: eine Kultur der Pause, wie sie im guten alten Bodybuilding üblich ist. Die paar Minuten Erholung zwischen schweren Sätzen, in denen man ziellos durchs Studio stromert und Gedanken durchs Hirn kullern lässt – solche vordergründig verschwenderischen Leerlaufphasen und effizienzmindernden Unbestimmtheitsstellen sind es, die der Nonstop-Gesellschaft fehlen.(Konsumkritik von Jörg Scheller in Psychologie Heute, 10/2023)

    Proteine nicht vergessen

    Sportler brauchen mehr Eiweiss, weil sie durch ihre Aktivität körpereigenes Protein stärker beanspruchen und oft mehr Muskelmasse besitzen. Für sie gelten 1,6 bis 2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht als Richtwert. Frauen liegen meist am unteren, Männer am oberen Ende dieser Spanne.

    Eiweiss ist ein unverzichtbarer Baustoff, um als Athlet die Leistung zu steigern. Doch der Markt, bestimmte Firmen und Influencer übertreiben seine Bedeutung. In Sportlerkreisen wird zu viel über Eiweiss geredet, obwohl andere Faktoren wichtiger sind. Wer Fortschritte machen will, muss vor allem genug Energie aufnehmen. Wer seinen Körper täglich hart trainiert, aber zu wenig Kohlenhydrate isst, wird trotz reichlich Eiweiss keine Verbesserungen erzielen.

    Kraftsportler benötigen etwas mehr Protein, da sie ihre gesamte Muskulatur stärker belasten und auf Massezuwachs abzielen. Ausdauersportler hingegen optimieren vor allem ihren Stoffwechsel und die Fettverbrennung. Für Fitnessstudio-Besucher empfehle ich die obere Grenze von 1,8 bis 2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht. Ausdauerathletinnen kommen meist mit 1,6 Gramm aus, sofern sie ausreichend Energie zuführen.

    Hobbysportlerinnen und -sportler brauchen die Proteinzufuhr nicht zu erhöhen, um ihren Bedarf zu decken. So sei die empfohlene Menge von etwa 1 g pro kg KG auch dann noch ausreichend, wenn jemand bis zu vier- oder fünfmal pro Woche eine halbe Stunde trainiert.

    Mit zunehmendem Alter wird es schwieriger, Muskelmasse zu erhalten. Ab 30 beginnt der Abbau, wenn die Muskulatur nicht gefordert wird, und ab 50 verstärkt sich dieser Prozess. Daher sind zwei Dinge im Alter entscheidend: regelmässiges Krafttraining und eine um 10 bis 20 Prozent erhöhte Proteinzufuhr. Das Problem: Ältere Menschen essen oft weniger. In Kombination mit dem Muskelabbau kann das zu einer Abwärtsspirale führen. Nicht aktive Menschen sollten täglich 1,5 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen. Ältere Sportler sind mit 2 Gramm auf der sicheren Seite.

    Der Glaube, direkt nach dem Training Eiweiss konsumieren zu müssen, ist ein Mythos. Die Muskelproteinsynthese bleibt 24 bis 72 Stunden nach dem Training erhöht, der Körper nimmt also lange Eiweiss auf. Ob man es sofort oder erst Stunden später zuführt, spielt für den Muskelaufbau meist keine Rolle. Entscheidend ist die Gesamtmenge und ihre Verteilung über den Tag.

    Die Eiweissmengen werden in der Wissenschaft in Gramm pro Kilogramm Körpergewicht angegeben. Eine Ausdauersportlerin mit 60 Kilo, die 1,6 Gramm Protein pro Kilogramm benötigt, sollte etwa 100 Gramm Eiweiss täglich essen. Ein Ei liefert 7 Gramm, 100 Gramm Rindfleisch 26 Gramm, ein Glas Vollmilch 8 Gramm und 100 Gramm Erdnüsse 25 Gramm – und am besten in mehreren Portionen über den Tag verteilt – auch rein pflanzlich möglich (Hülsenfrüchte, Nüsse, Vollkorn).

    Vom Sport in die Magersucht >>> bei Männer meist unter dem Bild einer Muskelsucht

    Immer mehr Männer erkranken an einer Essstörung. Diese wird oft lange nicht erkannt, da die Krankheit bei ihnen meist anders aussieht als bei Frauen.
    Frauen wollen eher schlank sein, Männer meistens muskulös. Muskelsüchtige wollen zum Beispiel Muskeln und Gewicht gewinnen, aber Fett verlieren. Sie haben eine verzerrte Körperwahrnehmung und entwickeln ein gestörtes Essverhalten.
    https://desktop.12app.ch/articles/27786785?

    Körperbildstörung Muskeldysmorphie – Die Angst, nicht genügend Muskeln zu haben

    Neben der Sportsucht gibt es eine weitere psychische Störung im Zusammenhang mit Sport: Muskelsucht oder Muskeldysmorphie. Sie zählt wie die Anorexie (Magersucht) oder die Bulimie (Ess-Brech-Sucht) zu den «Körperbildstörungen», bei denen die Einstellung zum eigenen Körper stark beeinträchtigt ist. Betroffen sind vorwiegend Männer, daher werde sie auch «male anorexia» (männliche Magersucht) genannt, sagt Simone Munsch, Psychologin an der Universität Freiburg. Betroffene stemmen täglich Hanteln, legen dabei an Muskulatur zu und finden trotzdem, ihr Körper sei zu wenig männlich oder muskulös. Anders als die Sportsucht ist die Muskeldysmorphie eine anerkannte Diagnose einer psychischen Störung.

    Ähnlich wie bei der Sportsucht gibt es keine verlässlichen Zahlen zu den Betroffenen mit Muskeldysmorphie. In Fitnessstudios könnten es Schätzungen zufolge bis zu 20 Prozent der Trainierenden sein. Vor allem aber nimmt die Zahl zu.

    Eine Muskelsucht kann zu auffälligem Verhalten führen. Betroffene ziehen sich zum Beispiel vor der Freundin nicht mehr aus, weil sie glauben, sie seien zu dünn. Sie gehen deswegen nicht mehr ins Schwimmbad, sie duschen nicht mehr im Fitnessstudio. Betroffene trainieren zudem auch dann weiter, wenn sie wegen Übertraining Schmerzen haben. Testosteron wird dann häufig angewendet.

    Die ganze Mühe der Betroffenen ist auch umsonst. Denn Männer unterliegen einem Trugschluss, wenn sie meinen, Frauen würden besonders muskulöse Körper attraktiv finden. Das ist aber nicht so, Frauen finden extrem muskulöse Körper nicht speziell attraktiv, weniger muskulöse Körper sind für sie attraktiver. Der Unterschied in der männlichen und weiblichen Wahrnehmung beträgt etwa fünf bis zehn Kilo Muskelmasse.

    Doch woher kommt dies alles? Weiterlesen >>>

    Anabolika…

    Längst helfen nicht mehr nur Spitzensportler nach, wenn die Leistungsfähigkeit an Grenzen stösst. Auch Freizeitsportler, vor allem Bodybuilder, greifen zunehmend zu Dopingmittel. Bis zu 45% der Besucher von Sportstudios versuchen, ihren Muskelaufbau mit gängigen anabolen Steroiden zu steigern! Sie gebrauchen aber auch in der Tierzucht verwendete Mittel oder hierzulande nicht handelsübliche, über den Schwarzmarkt bezogene Abkömmlinge. Über Risiken wie Hodenschrumpfung (resp. Klitorisvergrösserung), Unfruchtbarkeit, Lebererkrankungen und Lebertumoren, Gelbsucht, Herzschäden, Heraustreten der Augäpfel, Brustdrüsenwachstum (beim Mann) und Prostatakrebs wissen die Anwender meist kaum etwas. Hauterscheinungen wie schwerer Akne kommt eine Signalwirkung für Anabolikamissbrauch zu. Auch psychische Auswirkungen geben zu Besorgnis Anlass: Bei regelmässigem Gebrauch mit hohen Dosierungen fallen nicht selten paranoide, schizophrene, aggressive, asoziale, narzisstische und theatralische Wesensänderungen auf. Soweit rückblickende Befragungen der Bodybuilder eine Einschätzung erlauben, unterschieden sich die Charaktere vor Beginn des Missbrauchs nicht wesentlich von denen der Durchschnittsbevölkerung. Nach Absetzen der Anabolika wird auch sehr häufig schwere Depressionen beobachtet. Testosteron kann Dich für immer ruinieren: Es als Anabolikum zu nehmen birgt das bedeutende Risiko, dass die Hypophyse irreversibel einschläft und ein bleibender sog. „hypogonadotroper Hypogonadismus“ entsteht.
    Ein Kommentar erübrigt sich.

    Der Mann, der zu viel wusste

    Der Mann ist seit Jahren mit einer Wissenschaftsjournalistin verheiratet. Was sie an neuen Studien auf den Tisch bekommt, wirkt sich unmittelbar auf seinen Alltag aus – bis zur nächsten Studie. Nun hat sie Erkenntnisse über Krafttraining mit nach Hause gebracht…

    Meine Grossmutter hätte gesagt, ich sei ein kräftiger Mann. Leider ist sie vor längerer Zeit gestorben, ich würde mich gern hin und wieder an dieser Formulierung wärmen. Es klingt stark. Allerdings meinte sie, wenn sie diese Formulierung auf jemanden anwendete: stattlich, breit, wohlgenährt. Eigentlich eine Statur, in der man sich als Mann in der Lebensmitte gut einrichten könnte. Ich würde es mir gern darin gemütlich machen, nur in Omas Sinne ein kräftiger Mann zu sein und nicht sportlich gesehen. Aber meine Frau, die Wissenschaftsjournalistin, berichtet mir mit steigender Frequenz von Studien, die zeigen, dass Krafttraining für die Gesundheit viel wichtiger ist als bisher angenommen. Vor allem ab den mittleren Jahren, sagt sie, sei Muskelaufbau das A und O.

    Ich verweise darauf, dass ich gerade dabei bin, mich an YouTube-Yoga zu gewöhnen, und dass ich bis vor vier, fünf Jahren jährlich einen Halbmarathon gelaufen bin. Dehnbarkeit ist wichtig, sagt sie, aber du zehrst von der Substanz. Ich gebe zu bedenken, dass in der Familie immer noch ich es bin, der dafür zuständig ist, Gurkengläser aufzumachen. Während ich es ausspreche, wird mir klar, dass diese Rolle längst mein Sohn übernommen hat. Meine Frau sagt: Du musst Krafttraining machen, um mit wachsendem Alter den Status quo zu erhalten. Use it or lose it. Nutz es, oder verlier es. Also sie. Die Muskeln.

    Es fällt mir schwer, mich englischen Spruchweisheiten zu entziehen, die sich reimen. Fake it til you make it habe ich immer beherzigt, warum also nicht use it or lose it. Ist es gut, das zu wissen, oder wäre ich lieber im Unklaren geblieben und hätte mich an meinen Spaziergängen und meinen alten Halbmarathon-Teilnahme-Medaillen erfreut? Meine Freude, wenn ich 8.000 Schritte am Tag erreiche, ist getrübt dadurch, dass ich denke: Na gut, schön rumgelatscht, aber nicht Richtung Krafttraining.

    Eigentlich dachte ich, Krafttraining sei etwas für junge Menschen, die das aktuelle Körperideal noch erfüllen können. Mein Sohn, 20, ist sehr trainiert, er hat grosse Muskeln und verwendet viel Zeit darauf, damit sie so bleiben. Ich möchte mich da eigentlich nicht einmischen, irgendwie ist das sein Bereich. Aber meine Frau, die es hasst, wenn Dinge rumstehen, und den Familienrat einberuft, wenn ein kleinflächiges neues Küchengerät angeschafft werden soll, denkt plötzlich über die Anschaffung einer Kraftstation für den Keller nach. Sie zeigt auf ihre Studien, auf all die positiven Gesundheitswirkungen, vor allem im Alter, und sagt, diese Kraftstation sei eine Investition in unsere Zukunft.

    Bis ich die entsprechende Fläche im Keller frei geräumt habe, geht sie einmal die Woche in einen Muskelaufbau-Kurs, den ihre Krankenkasse finanziert. Kurz denke ich über Eigengewichtsübungen nach, wegen des niedrigen logistischen Aufwands, finde dann aber, dass ich vielleicht doch etwas leichter einsteigen sollte, wegen recht hohen Eigengewichts. Ich melde mich im Fitnessstudio an, finde den Kraftraum dort eigentlich ganz angenehm, lasse mir ein paar Übungen zeigen und gehe dann nie wieder hin. Es tut mir leid, ich kann es nicht erklären, ich habe dieses Verhalten in den Neunzigerjahren verinnerlicht, ihr könnt einem alten Hund keine neuen Tricks beibringen.

    Meine Frau budgetiert die Anschaffung der Kraftstation, ich werfe die Frage auf, ob sich das wirklich lohnen würde, denn wie lange würden wir die benutzen – bis wir Mitte sechzig sind oder so?

    Sie sieht mich an und sagt, nein, also nach ihrer Kenntnis, nach den Studien, sei das für immer, bis ans Ende. Für den Stoffwechsel, den Knochenbau, die Beweglichkeit im Alltag, gegen alles, was krank macht. Muskel ist Leben, sagt sie. Pumpen, bis der Arzt nicht mehr kommt. Ich nicke, das Verstehen sickert ein. Meine Vision fürs Alter war bisher, dass ich wie ein alter Mann in einem portugiesischen Dorf in Anzughose und kurzärmeligem Hemd am Brunnen sitze und ab und zu meinen Gehstock schwenke und dass der Rest mir egal ist. Jetzt muss ich das so visualisieren, dass sich unter dem Hemd dickere Bi- und Trizepse spannen, als ich sie jetzt gerade habe. Dass Altern nichts für Feiglinge ist, wurde mir schon häufiger mitgeteilt, aber ich dachte, es sei wenigstens was für Faulpelze.
    (Till Raether ist Journalist und Schriftsteller. © Zeit Wissen 06/2024)

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    30. Januar 2025

  • Krebs und Genesung

    Krebs und Genesung

    Die Diagnose akzeptieren, aber nicht die Prognose

    Unerklärliche Rückbildungen von Krebstumoren, die als unheilbar galten, sogenannte „Spontanremissionen“ sind sehr interessant für die medizinische Forschung. Was haben diese Leute gemeinsam? Daraus könnte man viel zur alternativen Krebsheilung lernen! Eines ist aber dabei sicher: Diese „Wunderheilungen“ sind zu selten, als dass man sich darauf verlassen und auf eine konventionelle Behandlung verzichten könnte.

    Was also ist diesen Leuten mit „Krebsheilung“ gemeinsam:

    • Viele Patienten, die überraschend wieder gesund geworden sind, berichten, dass sie sich und ihr Leben grundlegend verändert haben.
    • Die meisten besassen einen sehr starken Lebenswillen, das heisst, wie Caryle Hirshberg es ausdrückt: 
      Sie akzeptierten die Diagnose, aber nicht die Prognose!

      So sagte eine Frau zu ihrem Arzt, der ihr noch maximal ein Jahr zu leben gab: „Hören Sie zu, ich bin jetzt 55, und ich lade Sie hiermit zu meinem 60. Geburtstag ein, denn ich habe vor, dann noch da zu sein.“ Über 70 Prozent der Befragten kreuzten Selbstcharakterisierungen an wie „kämpferischer Geist“, „Betrachtung der Krankheit als Herausforderung“, „Übernahme von Verantwortung“ und am häufigsten (75 Prozent) „Glaube an einen positiven Ausgang“.
      Lesen Sie dazu meine Ausführung des Kohärenzgefühls.
    • Ausserdem hielten 70 Prozent spirituelle Faktoren wie Glaube, Meditation und Gebete für sehr wichtig. „Es ist interessant festzustellen, dass Beten oft mit jenen seelischen Zuständen einhergeht, die wir bei ungewöhnlichen Heilungen ausgemacht haben: die besondere Konzentration auf einen Gegenstand, seelische Entspannung und Entlastung, Ausschalten des rationalen Denkens, Visualisierungen, aktive Imagination und einheitliche Intentionen…“
    • Auch die soziale Unterstützung scheint eine grosse Rolle zu spielen (soziale Anerkennung und Integration). Zum Beispiel waren über 70 Prozent der Überlebenden waren seit mehr als 20 Jahren verheiratet, 40 Prozent sogar schon seit 30 Jahren.
    • Schliesslich betätigten sich drei Viertel der befragten genesenen Patienten regelmässig und teilweise ernsthaft künstlerisch-kreativ.
    • Viele stellten ihre Ernährung grundlegend (vor allem auf hochwertige Nahrungsmittel, die möglichst wenig bearbeitet sind) um. >>>mehr über Krebs und Ernährung
    • Eine stoische Lebenshaltung kann sehr viel zu Innerem Frieden beitragen – aber auch zu mehr Lebendigkeit!
      Einer meiner Patienten hatte eine Blasenentzündung. Ich sagte ihm, das sei ungewöhnlich für einen Mann in seinem Alter, und ordnete weitere Tests an. Das Ergebnis: Er hatte Prostatakrebs.
      Die Blasenentzündung war ein Glücksfall gewesen, dank ihr wurde der Krebs sehr früh erkannt. Dieser Mann hat nie geraucht, trinkt nicht, macht Sport und ernährt sich extrem gesund. Ein geringeres Risiko für Prostatakrebs hätte er nur haben können, wenn er eine Frau gewesen wäre. Trotzdem wurde er krank. Aber statt zu verzweifeln und das Schicksal zu verfluchen, wandte er die Grundsätze an, von denen er gelernt hatte, dass sie ein gutes und glückliches Leben möglich machen.
      1. Stell dir vor, was hätte passieren können, das noch schlimmer gewesen wäre – statt dir das zu wünschen, was besser gewesen wäre.
      2. Ändere, was du ändern kannst – und akzeptiere, was du nicht ändern kannst.
      3. Erlaube der Angst nicht, dein Leben zu beherrschen.
      .
    • Eine prospektive Beobachtungsstudie untersuchte den Zusammenhang von sportlicher Aktivität und dem Auftreten von Rezidiven bei Brustkrebspatientinnen in Hinblick auf die Überlebensrate. 2987 erkrankte Krankenschwestern wurden in 5 verschiedene Aktivitätsgruppen eingestuft und über mehrere Jahre begleitet. Frauen in der mittleren Gruppe (3 bis 5 Stunden Spazieren gehen pro Woche) hatten, verglichen mit der inaktiven Gruppe, das niedrigste relative Risiko an den Folgen des Krebses zu sterben (RR= 0.50). Die sportlicheren Teilnehmerinnen hatten ebenfalls ein geringeres Mortalitätsrisiko als die Inaktiven, aber weniger Gewinn als die mittlere Gruppe. Es scheint, dass moderate körperliche Aktivität ein wichtiger Faktor zur Senkung des Rezidivrisikos ist, vermutlich nicht nur bei Brustkrebs.

    Lebensstil – ein Faktor bei der Krebsbehandlung

    In vielen Studien wurden ein holistischer Zugang im Management von Krebserkrankungen diskutiert. (Craig Hassed MBBS, Australian Family Physician 2006;35(4)
    Hirshberg und Barasch fassen die Charakteristika so zusammen:
    „Wir fanden mehrere Gemeinsamkeiten: eine Entschlossenheit weiterzuleben, die sich auf das Selbstwertgefühl gründete, eine typische Konzentration auf das Positive und ein reiches Innenleben, das den einzelnen selbst angesichts des Todes noch mit den Freuden des Lebens beglücken kann.“
    Noch kürzer könnte man es auf den Punkt bringen:
    Was Menschen, die besser mit Krankheiten fertig werden, auszeichnet, ist ein „fester Glaube“ und ein „fester Wille“.
    Man entdeckt bei manchen Überlebenden auch ein Verhalten, dass man als „positive Verleugnung“ bezeichnen könnte. So geht ein Mann, einfach weiterhin zur Arbeit und sagt, dass die Krankheit für ihn „nur wenig Realität besitzt“. Und eine Frau, die von einem bösartigen Bauchtumor genesen ist, erklärte: „Ich habe die Diagnose, dass es eine bösartige Krebserkrankung ist, zur Kenntnis genommen, aber eigentlich nie das Thema Tod als eine Alternative für mich angesehen.“

    Man kann zu dem Schluss kommen dass es nicht den richtigen Weg zur Heilung gibt. Jeder Mensch, der den Krebs erfolgreich bekämpft hat, hat das vielmehr auf seine eigene, einzigartige Weise getan.

    Nach dem bisherigen Stand des Wissens ist es für Arzt und Patient zur Zeit unmöglich, Spontanremissionen bewusst und gezielt herbeizuführen. Andererseits kann man darauf hinweisen, dass es, gerade weil Ärzte so wenig über diese Phänomene wissen, menschlich nicht vertretbar und wissenschaftlich unhaltbar sei, genaue Prognosen über die nach einer Krebsdiagnose verbleibende Lebenszeit abzugeben.
    Und Caryle Hirshberg zog aus ihrer Forschung die Erkenntnis: „Statt uns so viele Sorgen über falsche Hoffnungen zu machen, sollten wir vielleicht der Gefahr, unnötige Verzweiflung auszulösen, ebenso grosse Aufmerksamkeit schenken.“

    Schönreden kontraproduktiv

    Was hier beschrieben wird, ist nicht das „Positive Denken“ (Positive Thinking) mit seinen aufmunternden Formeln, das heute hoch im Kurs ist. Wichtig ist dabei das Mass des bestehenden Selbstwertgefühls. In grossen Studien (z.B. Joanne V. Wood et al: Positive self-statements. Psych Science, 5/2009, 1467) zeigte sich, dass Menschen mit geringem Selbstwertgefühl sich selbst widersprechen, wenn sie positive Gedanken wie Mantras wiederholen. Auf diese Weise wird eine vorhandene negative Selbsteinschätzung nur noch verstärkt!
    Hier wird im Gegensatz von Ansprechen von vorhandenen Ressourcen gesprochen, die dadurch verstärkt werden.

    „Krieg gegen den Krebs“ ist keine gute Metapher

    Wenn wir von der Krankheit Krebs reden, ist die Sprache ziemlich kriegerisch. Wer der Krankheit erliegt, hat nicht genug „gekämpft“, das Deutsche Krebszentrum in Heidelberg bezeichnet Krebszellen als „gefährliche Schläfer“, Nixon rief schon 1972 die Wissenschaft zum „war on cancer auf“.
    Diese Sprache ist einerseits verständlich und sinnvoll, weil sie Menschen das Gefühl gibt, nicht hilflos zu sein. Sie hat aber auch einen Nachteil. Die martialische Art, wie wir über die Krankheit sprechen, bestimmt nicht unwesentlich, wie wir sie erleben“. Die Oma der Autorin dieses Zeit-Artikels etwa war kein Kämpfertyp. Die Forderung, gegen ihren Darmkrebs zu „kämpfen“, hätte sie überfordert und sie sich noch hilfloser fühlen lassen. Ihr Tod lässt sie als Verliererin erscheinen. Wer kämpft, muss ausserdem stark sein – und kann Ängste kaum zulassen, die im Heilprozess wichtig sein können: Weiterlesen >>>

    Therapie durch ein erfülltes Leben

    Die „Meaningful Life Therapy“ (MLT, etwa „Therapie durch ein erfülltes Leben“), die Jinroh Itamie vom Shibata Hospital in Japan entwickelt hat, zielt darauf ab, die Furcht vor dem Tod zu bewältigen, die mit chronischen Krankheiten wie Krebs einhergeht, und herauszufinden, wie die Patienten ein erfülltes Leben führen können. Man kann dadurch, die Selbstheilungskräfte des Körpers stärken.
    Die Therapie folgt fünf Grundregeln. Der Patient soll

    • sich aktiv an der Bewältigung der Krankheit beteiligen und sich nicht nur auf den Arzt verlassen;
    • sich kurzfristige Lebensziele setzen und jeden Tag bewusst einer sinnvollen Tätigkeit Zeit widmen;
    • etwas für andere tun;
    • lernen, mit der Angst vor dem Tod umzugehen, und den Lebenswillen stärken;
    • den Tod als natürliches Phänomen akzeptieren (wie Stürme oder Erdbeben) und sich so praktisch und konstruktiv wie möglich auf den eigenen Tod vorbereiten.

    Diese Leitgedanken soll der Kranke seinem Alltag zugrunde legen, jeden Tag dieselbe Zeit für ihre Befolgung aufwenden und jeden Tag dieselben Ziele verfolgen – unabhängig vom Gesundheitszustand. Er soll versuchen, weiterhin als normales Mitglied in der Gemeinschaft weiterzuleben. Keinesfalls ist aber die MLT ein Programm in fünf Schritten „So heile ich Krebs“. Es handelt sich vielmehr um Anregungen, wie man das Leben – auch mit der Krankheit – positiv und sinnerfüllter gestalten und erst in zweiter Linie dadurch vielleicht verlängern kann.

    Weiterlesen über Strategien gegen die Todesangst >>>

    Die Krebsreise

    Moses G.Steinvorth schlägt in seinem sehr brauchbaren Büchlein „Die Krebsreise“ vor, die Krebserkrankung als eine „Reise“ zu betrachten. Dieses Bild der Reise legt nahe, Krebs als einen Prozess zu erleben, als einen Vorgang und nicht als ein „Ding“, das man „hat“ oder „nicht hat“. Die Krebserkrankung ist immer in Entwicklung begriffen, sieht in jedem Moment wieder anders aus und kann sich auch zurück entwickeln. Krebs ist immer in Bewegung. Der Augenmerk ist auf den Verlauf gelenkt (statt auf die elende Frage nach dem „Warum“!) und der Verlauf ist das, was man am ehesten selbst beeinflussen kann. Auch wenn man nicht genau weiss, wo die Reise hingeht, kann man doch auf die Route Einfluss nehmen, wie man das vielleicht auf einer Abenteuerreise tun würde. Auch wenn Sie in gewisser Weise eine „Pauschalreise“ gebucht haben, können Sie doch immer noch auf einzelne Umstände der Reise Einfluss nehmen und sie evtl. nach Ihrem individuellen Geschmack verändern. Sie können kleine Touren auf eigene Faust unternehmen und ganz sicher auch einmal die Umgebung ohne Touristenführer und ohne die „Herde“ der übrigen Pauschaltouristen erkunden. Es ist enorm wichtig, hier alle Möglichkeiten der Individualisierung zu nutzen, weil Ihr persönlicher Heilungsprozess etwas ganz Einmaliges ist und viel mit Ihrer besonderen Persönlichkeit zu tun hat: kein Mensch wird genau auf dieselbe Art gesund wie der andere. Jeder ist anders!

    Sie können das Bild der „Reise“ auch noch so verstehen, dass Sie aufgefordert sind, eine Reise „nach innen“ anzutreten, wenn Sie wieder gesund werden wollen; eine Reise, die Sie vielleicht in dunkle und unheimliche innere Gegenden führen wird, die Sie gewöhnlich lieber meiden, eine Art „Heldenreise“ also, wo Sie durchaus damit rechnen müssen, dass Sie manchmal mit alten Gespenstern oder inneren Drachen und Dämonen kämpfen müssen. Reisen sind oft ziemlich anstrengend; man kämpft auch gegen miserables Wetter und Unbill, wird vielleicht sogar verletzt. Sie ist aber auch interessant und spannend und lässt einem zum Schluss häufig sehr viel reifer und bereichert zurück.

    Ängste nach der Krebsdiagnose

    Mit der Angst ist es so eine Sache. Sie wird kleiner, je mehr man sich ihr nähert. Deshalb lohnt es sich, behutsam auf das zuzugehen, vor dem man sich fürchtet: Was genau macht mir Angst? Sind es die nächsten Behandlungsschritte, die anstehen? Nebenwirkungen, die nach der Chemotherapie oder Bestrahlung auftreten könnten? Graut es mir vor allem davor, anderen zur Last zu fallen? Oder fürchte ich insgeheim, mich äusserlich zu verändern?
    Was hilft, ist, sich den bedrohlichen Gedanken zu stellen. Nimmt die Angst überhand, sollte man sich dafür psychotherapeutische Unterstützung holen. Eine meiner Patientinnen fürchtete sich am meisten davor, sie könnte eines Tages tot in ihrer Wohnung liegen und niemand findet sie. Dabei ruft ihre Schwester täglich an und würde sofort merken, wenn sie nicht ans Telefon geht. Die Frau musste das Szenario gezielt zu Ende denken, um ihm den Schrecken zu nehmen. Es ist immer besser, den Scheinwerfer in die Dunkelheit zu richten und sich das, wovor man sich fürchtet, einmal genau anzusehen.

    Bei den meisten weckt eine Krebserkrankung Gedanken an die eigene Endlichkeit – selbst wenn die Prognose gut ist. Erstaunlich vielen gelingt es, die Angst vor dem Tod zu bewältigen. Einigen hilft es, die eigene Beerdigung zu planen. Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht mit dem Thema befassen möchten.

    Manche können durch einen veränderten Bewusstseinszustand existenzielle Ängste bewältigen: An der Johns Hopkins University im US-amerikanischen Baltimore nahmen Krebspatienten begleitet von einem Psychotherapeuten den Wirkstoff Psilocybin ein, der in sogenannten Magic Mushrooms enthalten ist, also psychoaktiven Pilzen. Ähnliche Studien wurden in der Schweiz bereits mit LSD durchgeführt. Durch die Substanz schafften es die Patienten, eine neue Perspektive einzunehmen. Sie konnten die Widrigkeiten, die mit der Krankheit kamen, besser akzeptieren – und das auch noch Monate später. Einige kamen auf ihrem psychedelischen Trip sogar zu Einsichten, die ihre Einstellung zum Tod von Grund auf veränderten. Es geht aber auch weniger radikal: Hypnose kann ebenfalls erwiesenermassen Ängste bei Krebspatienten lindern.

    Der Tod als Grenzüberschreitung

    Ich erlebe immer wieder in meiner Praxis, dass Menschen, die über ihre Komfortzone hinaus an ihre Grenzen gelangen ein enormes Potential zum Wachstum haben und dies als grosse Chance erfahren. Auch der Tod, der so nah verwandt mit der Krebserkrankung ist, wird häufig von jemandem, der „gut gelebt“ hat als  faszinierendes Grenzerlebnis wahrgenommen. Jetzt, da er das Leben kennen gelernt hat, möchte er auch wissen, was es mit dem Tod auf sich hat. Das Leben kennt er nun und es war wunderbar. Jetzt will er sehen, was der Tod ist. Er ist bereit zu einem neuen Abenteuer.

    Was hilft bei der Fatigue?

    Fatigue ist eine stark belastende Nebenwirkungen der Chemotherapie. Sie ist eines der am stärksten belastenden Symptome für die Patienten, weil es die Alltagsaktivitäten einschränkt. Wir Ärzte thematisieren diese Nebenwirkung auch wenig, weil wir keine effiziente Therapie dafür haben.
    Während der Chemotherapie sind 60 bis 96% der Patienten von einer Fatigue betroffen. Auch 6 Monate nach der Chemotherapie berichten noch ca. 30% der Patienten über mässige bis starke Fatigue.

    Operation, Chemotherapie und Bestrahlungen schädigen den Organismus zunehmend und führen einerseits zu körperlichen Symptomen, andererseits fördern sie aber auch psychische Erkrankungen. Die Menschen sind ständig schlapp und müde, klagen über Herzrasen und Kurzatmigkeit und weisen Symptome auf, die bis hin zur manifesten Depressionen reichen.

    Chinesische Bewegungsform – Qigong:
    Das in einer Studie (www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6771138/) erforschte Qigong gehört zu den gering intensiven Bewegungsarten – es geht vorwiegend um die Muskeldehnung. Nach der chinesischen Lehre wird die Lebensenergie „Qi“, der Blutfluss und körperlicher Funktionalität gefördert.

    Baduanjin Qigong ist leicht zu erlernen, das Aktivitätslevel ist für Patienten mit chronischen Erkrankungen angemessen. Eine spezielle Ausrüstung wird nicht benötigt. Die Übungen können zu Hause oder draussen, alleine oder in der Gruppe ausgeübt werden. Üben in der Gruppe fördert nach Meinung der Autoren auch die Adhärenz, längerfristig dabei zu bleiben.
    Die Patienten wurden zunächst per App eingeladen, sie sahen sich dann Videos an, in denen die Übungen erklärt wurden. Das war ein Aufwand von 2 x 40 Minuten. Die Patienten mussten 5 x pro Woche Qigong machen, wobei eine Session jeweils 20 bis 40 Minuten dauerte. Das war also schon sehr intensiv.
    In der Interventionsgruppe hatten nach 24 Wochen weniger Patienten moderate bis starke Fatigue. Der Unterschied war mit 23,2% in der Interventionsgruppe vs. 59,1% in der Nichtinterventionsgruppe signifikant. Die moderate bis starke Fatigue ist also um mehr als die Hälfte zurückgegangen, das ist sehr beeindruckend.
    Interessant ist, dass sich nach 12 Wochen noch keine Unterschiede gezeigt haben. Das heißt, wir müssen die Patienten motivieren, diese Übungen nicht nur über 3 Monate zu machen, sondern dauerhaft. Das ist m.E. neben der guten Wirkung die wichtigste Botschaft.

    Und… falls man keinen Zugang zu einer Qigong-Gruppe in der Nähe findet: Bewegung aller Art, so intensiv betrieben, hilft auch (wenn auch vielleicht nicht gar so effektiv). Untersuchungen zufolge können Betroffene durch ein tägliches Ausdauertraining von nur 30 Minuten ihre körperliche Leistungsfähigkeit immens steigern. Sowohl die psychischen als auch die physischen Fatigue-Symptome werden parallel dazu gemindert. In Einzelfällen verschwinden sie sogar ganz. (M.Houf, Sportmedizin Update 2010)

    Die Fatigue ist wohl auch eine Form von Neuroinflammation.

    Kurzfristiges Fasten – kein längeres!

    Wiederholtes kurzfristiges Fasten (also nur 16 bis 72 Stunden) führt zu „zellulärem Selbstmord“ von Krebszellen (Autophagie). In neueren Studien fand man, dass wiederholtes Kurzfasten effektiver und praktikabler ist als langfristiges. Das Fasten löst eine Art zellulären Stress aus. Bei gesunden Zellen führt dies zu Reaktionen, die gegen Schäden durch Sauerstoffradikale schützen. Solche Moleküle entstehen bei Hunger vermehrt. Ihre Produktion wird aber auch durch viele Chemotherapeutika angeregt und gilt als Hauptursache von deren starken Nebenwirkungen. 24 bis 72 Stunden Fasten vor der Chemotherapie bereitet normale Körperzellen offenbar gut auf hohe Konzentrationen von Sauerstoffradikalen vor. Sie sind deshalb eher in der Lage, sich gegen die aggressiven Moleküle zu wehren. Krebszellen hingegen sind kaum fähig, diese Schutzmechanismen anzuschieben. Sie stellen sogar selber zusätzlich noch reichlich aggressive Moleküle her. Das führt dann dazu, dass sie letztlich „zellulären Selbstmord“ begehen!
    Eine optimale Möglichkeit wäre an der Mehrheit der Tage eine 16:8-Ernährung.

    Führen Sie also nicht von sich aus längere Fastenkuren aus (welche katastrophale Folgen auf den Krebsverlauf haben können) – lassen Sie sich durch einen erfahrenen Arzt begleiten! Vor allem das kurze Fasten vor und nach Chemotherapieschüben muss mit den behandelnden Ärzten abgesprochen sein.

    Drogen in der Therapie gegen Krebssymptome

    Die vielfältige gute Wirkung von Cannabis gegen verschiedenen Symptomen von Krebs selbst (z.B. Schmerzen) wie auch der Chemotherapie (z.B. Übelkeit) ist schon länger bekannt.
    Auch Psilocybin aus Magic Mushrooms wirkt gut und lang andauernd gegen Angstgefühle und Depressionen bei Krebskranken im fortgeschrittenen Stadium. Die einmalige (orale) Einnahme von Psilocybin wirkte mehrere Monate lang.
    Dasselbe kann von LSD gesagt werden. (Pilot Study of Psilocybin Treatment for Anxiety in Patients With Advanced-Stage Cancer. Grob CS et al., Arch Gen Psychiatry. 2010 Sep)

    Mehr zur Therapie durch Dissoziation (seine gesunden, liebenswerten, freudvollen Seiten erleben!) mit psychedelischen Drogen >>>

    Krebstherapien – alternative vs. konventionelle

    Die Wissenschaftler einer grossen Metastudie, die die statistischen Analysen getrennt nach Krebsart durchführten, berichten, dass die Alternativmedizin – im Vergleich zur konventionellen Behandlung – mit einem Anstieg des Sterberisikos bei Brustkrebspatientinnen um fast das 6-Fache assoziiert gewesen sei. Bei Darmkrebspatienten stieg das Risiko zu sterben bei alleiniger Alternativbehandlung um das 4,5-Fache und bei Lungenkrebspatienten um das 2-Fache.
    Die alternativmedizinische Behandlung war zudem mit einer signifikant schlechteren 5-Jahre-Überlebensrate assoziiert als die konventionelle Therapie: Brustkrebs 58,1% versus 86,6%, Lungenkrebs 19,9% versus 41,3% und Darmkrebs 32,7% versus 79,4%. Median wurden die Patienten 66 Monate nachbeobachtet.

    Auffällig war, dass die Alternativmedizin in der 4. untersuchten Untergruppe, nämlich bei den Prostatakrebspatienten, keinen Nachteil darstellte. Sie war im Vergleich zur konventionellen Behandlung nicht mit einem signifikant erhöhten Sterberisiko assoziiert. Und die 5-Jahres-Überlebesrate war ähnlich (86,2% vs 91,5%). Doch die Wissenschaftler hatten das schon kommen sehen: „Dieses Ergebnis kommt nicht unerwartet angesichts der langsamen natürlichen Progression von Prostatakarzinomen und der kurzen medianen Nachbeobachtung.“
    (Johnson SB, et al: Journal of the National Cancer Institute (online) 10. August 2017)

    Der Krebskranke und seine Angehörigen

    Wer von seinem Arzt die Diagnose Krebs erhält, muss diese schlechte Botschaft relativ schnell selbst überbringen: dem Partner, den Kindern, den Eltern oder Freunden. Die Psychoonkologin Martina Prinz-Zaiss aus Freiburg unterstützt Krebspatienten und ihre Angehörigen dabei, über die Krankheit zu sprechen (aus DIE ZEIT, 40/2022):
    Wie sage ich meinen Angehörigen, dass ich Krebs habe?
    Martina Prinz-Zaiss: Das Wichtigste ist Offenheit. Ich erlebe immer wieder Patienten, die ihrer Familie häppchenweise von der Krankheit erzählen. Das ist gut gemeint, man will seine Liebsten nicht ängstigen. Gerade die Menschen, die einen gut kennen, spüren jedoch, dass da mehr ist, als man gerade sagt. Und das löst genau die Ängste und Sorgen aus, die man vermeiden möchte.

    Warum genau sind viele Patienten nicht hundertprozentig offen?
    Martina Prinz-Zaiss: Weil die Angehörigen mantraartig wiederholen: »Du schaffst das!« – »Du bist stark!« – »Du musst kämpfen!« Das ist für Menschen mit Krebs schwer auszuhalten. Sie wollen Familie und Freunde nicht enttäuschen, doch die Therapie verlangt ihnen viel Kraft ab.

    Was raten Sie in solchen Fällen?
    Martina Prinz-Zaiss: Ein Erkrankter muss nicht dauernd den Kampfgeist hochhalten und den Tapferen spielen. Er darf sich elend fühlen, und er darf und sollte auch darüber sprechen. Sich gegenseitig Ängste einzugestehen ist wichtig. Seitens der Angehörigen sollte es allerdings kein Dauerthema werden. Die Betroffenen haben meist ein gutes Gespür dafür, welche Gedanken sich ihre Nächsten machen. Aber sie sollten nicht die ganze Zeit Trost spenden müssen, wenn sie mit sich selbst beschäftigt sind. Als Angehöriger gilt es, mit dem Patienten mitzuschwingen, seine Tiefs auszuhalten und ihn einfühlsam zu begleiten, wenn es ihm schlecht geht. Ihn zu fragen: Was kann ich tun? Was brauchst du? Und zwar ohne ungebeten Ratschläge und Empfehlungen zu geben.

    Wie gehe ich damit um, wenn meine Liebsten immer wieder »Du packst das«-Parolen äußern?
    Martina Prinz-Zaiss: Wer an Krebs erkrankt ist, sollte sich abgrenzen, wann immer er das Bedürfnis danach verspürt. Zum Beispiel dann, wenn er gerade eben keine Durchhalteparolen hören kann. Es ist in Ordnung, nicht ans Telefon zu gehen, wenn Freunde und Familie anrufen, oder Besuch abzulehnen. »Ich kann jetzt nicht« oder »Mir geht es nicht gut« reichen als Begründung aus, wenn überhaupt. Der Selbstschutz geht vor. Die Liebsten meinen es nur gut, sehen allerdings oft nicht, wie sehr ein »Du packst das« unter Druck setzen und demoralisieren kann, eben wenn man es gerade mal nicht packt. Die Therapie ist so unfassbar anstrengend, das kann sich niemand vorstellen, der das nicht selbst erlebt hat.

    Gerade Eltern von erwachsenen Krebskranken scheinen viel Trost vom Patienten zu benötigen.
    Martina Prinz-Zaiss: Für Eltern ist es furchtbar, wenn ihr Kind lebensbedrohlich erkrankt. Sie sind dann sehr in Not und Sorge und wollen natürlich gerne beruhigt werden. Es ist aber nicht die Aufgabe der Betroffenen, sie zu trösten. Das sollten andere Familienmitglieder oder Freunde übernehmen.
    »Für Eltern ist es furchtbar, wenn ihr Kind lebensbedrohlich erkrankt. Sie sind dann sehr in Not und Sorge und wollen natürlich gerne beruhigt werden«

    Wie stärke ich meine Angehörigen, ohne Trost spenden zu müssen?
    Martina Prinz-Zaiss: Fast allen hilft es, wenn sie etwas tun können. Geben Sie Ihren Angehörigen Aufgaben, überlegen Sie, was eine sinnvolle Unterstützung für Sie wäre. Vor allem Männer können sich durch das aktive Tun besser stabilisieren. Davon profitieren dann wiederum auch die Patienten.

    Wie spreche ich mit Kindern über meine Krebserkrankung?
    Martina Prinz-Zaiss: Grundsätzlich gilt auch hier: offen sein und auf keinen Fall die Erkrankung verheimlichen, auch wenn es mit der besten Absicht geschieht. Weiß ein Kind nicht, was los ist, warum es Papa schlecht geht und Mama oft traurig ist, sucht es schnell die Schuld bei sich selbst. Als erkrankter Vater oder als erkrankte Mutter kann man sagen: »Ich habe eine schwere Krankheit und werde dagegen behandelt.« Es darf auch das Wort Krebs fallen. Weil viele Kinder, übrigens auch viele Erwachsene, Krebs mit Tod assoziieren, gehört auch immer der Satz dazu: »Ich kann wieder gesund werden.« In den meisten Fällen ist Krebs heute kein Todesurteil mehr. Das Wissen darum kann dem Ganzen die Schwere nehmen.

    Sollte man die Themen Tod und Sterben generell vermeiden?
    Martina Prinz-Zaiss: Im Gegenteil! Man sollte sie frühzeitig mit in die Gespräche aufnehmen. Wenn die Diagnose Krebs gefallen ist, ist die Angst vorm Sterben und Tod sowieso da, bei allen Beteiligten. Sie auszusprechen entlastet enorm. Ebenso wie mit seinen Liebsten bestimmte Dinge zu regeln. Die Hoffnung wird ja nicht kleiner, weil man Vorkehrungen trifft. Viele Patienten fühlen sich jedoch besser, wenn sie dieses Thema einmal für sich und mit ihrer Familie durchgespielt haben.
    »Es mag vielleicht einen bösartigen Tumorbefund geben, aber der oder die Kranke besteht noch zu 99 Prozent aus gesunden Zellen«

    Gibt es noch weitere Tabus, wenn man über Krebs spricht?
    Martina Prinz-Zaiss: Viele Krebspatienten empfinden Scham, weil sie krank sind. Sie fühlen sich versehrt, nicht mehr vollständig, reden aber kaum darüber. Einige haben auch Schuldgefühle. Sie nehmen an, dass der Krebs die Strafe dafür ist, dass sie sich falsch verhalten haben. Manche sind wütend auf die Erkrankung, das Universum. Andere sind neidisch auf den gesunden Partner oder die gesunden Freunde. All diese Gefühle sind normal und sollten nicht tabuisiert werden. Was nicht bedeutet, dass man über diese Gefühle sprechen muss.

    Wie erhalten wir einen normalen Umgang mit Krebs in der Sprache?
    Martina Prinz-Zaiss: Indem wir uns klarmachen, dass Krebs nicht automatisch Sterben und Tod bedeutet. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich viel getan. Viele Krebspatienten können geheilt werden, bei anderen kann der Krebs in eine chronische Erkrankung umgewandelt werden. Es mag vielleicht einen bösartigen Tumorbefund geben, aber der oder die Kranke besteht noch zu 99 Prozent aus gesunden Zellen. Das sollte der Ausgangspunkt für jedes Gespräch über Krebs sein.

    Bücher

    Für Krebskranke und Angehörige gibt es mittlerweile eine Reihe guter Bücher. Mit dem Phänomen Spontanheilung befassen sich:
    * Eva-Maria Sanders: Leben! Ich hatte Krebs und wurde gesund, Nymphenburger Verlag, München 1997
    * Caryle Hirshberg, Marc Ian Barasch: Gesund werden aus eigener Kraft, Droemer Knaur, München 1997 + Unerwartete Genesung. München 1995
    * Bernie Siegel: Prognose Hoffnung, Düsseldorf 1988
    * Greg Andersen: Der Krebsüberwinder, Freiburg 1998
    * Moses G. Steinvorth: Die Krebsreise, Deutscher Psychologen Verlag, Bonn 2004
    * Herbert Kappauf, Walter M. Gallmeier: Nach der Diagnose Krebs – Leben ist eine Alternative, Herder, Freiburg i. Br.

    für Kinder:

    * Andrea Caprez, Nadia Khan: Sven. Edition Moderne, Zürich 2006
    * Christophe Badoux, Nadia Khan: Fatmas fantastische Reise. Edition Moderne, Zürich 2006
    * Online-Spiele von Andrea Caprez für Kinder mit Moyamoya: www.strapazin.ch/moyamoya

    Eindrücklicher Film über Krebs und Genesung (schweizerdeutsch)

    Foto von Aarón Blanco Tejedor auf Unsplash

    Veröffentlicht am 14. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    09. Oktober
    2024