Kategorie: Allgemein

  • Cholesterin und Trigyzeride

    Cholesterin und Trigyzeride

     Ist der Cholesterinwert ein Mythos?

    Selten dringt historische Forschung in die besten klinisch-medizinischen Zeitschriften vor. Doch Kearns und Kollegen gelang dies, und ein begleitendes Editorial würdigte ihre Arbeit besonders.

    Sie zeigen anhand von Dokumenten der University of Illinois und der Harvard School of Public Health, dass die Zuckerindustrie ab 1960 begann, die Forschung zu beeinflussen. Mal subtil, mal offensichtlich lenkten sie den Fokus weg vom Zucker hin zu Fetten, vor allem gesättigten Fettsäuren, als Hauptschuldige der Ernährungsforschung. Was geschah? Anfang der 60er Jahre deuteten Hinweise darauf hin, dass Zucker erheblich zur steigenden Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitrug. Der britische Epidemiologe John Yudkin verbreitete diese Idee, gestützt durch Daten. Auf der Gegenseite standen Verfechter der Lipidhypothese wie Ancel Keys, die Fette, besonders gesättigte Fettsäuren aus tierischen Quellen wie Butter, Schmalz, Käse, Wurst, Fleisch und Eiern, als Übeltäter ansahen. Ancel Keys setzte sich durch und prägte die US-Ernährungsrichtlinien massgeblich, obwohl die Datenbasis dafür dünn war. (Lesen Sie mehr dazu im Blog von Prof. Harald Walach).

    Mythos vom guten und bösen Cholesterin

    Die drei gängigsten Mythen werden in Frage gestellt:

    1. Das HDL ist der gute Anteil des Cholesterins.
      Unumstritten ist, dass eine HDL-Konzentration unter 1 mmol/l mit einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko verbunden ist. Umgekehrt bedeutet ein hohes HDL aber keineswegs Entwarnung. Normales HDL verfügt über antientzündliche und antioxidative Eigenschaften. Genau diese können aber bei Patienten mit Autoimmunstörungen (z.B. Diabetes oder rheumatoider Arthritis) abhanden kommen! In Studien ist also eine HDL-Erhöhung keine guter Parameter.
    2. Der Lipidstatus wird obligat in einer Nüchternblutprobe bestimmt.
      Stimmt nicht mehr! Fakt ist, dass erstens eine erhöhte Triglyzeriden im Nicht-Nüchternplasma stärker mit dem Risiko für Herz-Kreislaufkrankheiten assoziiert ist als in einer Nüchternblutprobe und dass zweitens HDL- und LDL-Cholesterin nur wenig durch Essen beeinflusst wird.
    3. LDL ist das gefährlichste Cholesterin.
      Fakt ist: Die Mehrzahl der kardiovaskulären Ereignisse (Herzinfarkt, Hirnschlag) wird trotz effektiver LDL-Senkung nicht verhindert.

    Risikofaktor für die Arterienverkalkung und damit für den Herzinfarkt oder den Hirnschlag

    Hier muss zuerst angemerkt werden, dass wir uns mit einem erhöhten Blutfett bereits irgendwo weit vorne in der Folgekette von primären Ursachen befinden. Wie ich auf meiner Seite über Herz/Kreislauf deutlich gemacht habe, ist ursächlich der chronische psychosoziale Stress (vs. Entspannung), das Bauchfett bei Bewegungsarmut und ein hoher Alkoholkonsum (neben dem Rauchen) ins Visier zu nehmen – prophylaktisch und therapeutisch.

    Die folgenden Richtlinien helfen Ihnen, dass Ihre erhöhten Blutfettwerte keine bösen Folgen haben:

    • Das Rauchen muss unbedingt gestoppt werden.
    • Eine Unterfunktion der Schilddrüse sollte im Blut ausgeschlossen werden (TSH-und fT4-Bestimmung: TSH zu hoch, fT4 zu tief).
    • (am besten täglich 30 Minuten) Ausdauersport (Jogging, schnelles Wandern, Velo, Schwimmen,…). Sport VOR dem Essen führt zu besserer Fettverteilung im Körper: Das Nahrungsfett geht dann direkt in die Muskeln (deren Fettdepot im Sport geleert wurden) und nicht in den Bauch (Das Bauchfett ist das Labor für die gefährlichen Stoffwechselschritte, die zu erhöhten Blutfetten führen. Deshalb ist auch der Bauchumfang das Mass aller Dinge und besser als das Gewicht oder der BMI>>>
      Dies entspricht dem altbewährten Muster: Jagen und dann Essen.
    • Sparen Sie vor allem mit Zucker und allen Kohlenhydraten.
      Low-carb-Ernährung ermöglicht erst das Weglassen von sämtlichen Zwischenmahlzeiten, von Nur-noch-zwei-bis-drei-Mal-Essen pro Tag, von Dinnercancelling, sogar schliesslich von Kurz- oder Intervallfasten.
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    • Sparen Sie auch mit tierischen Fetten im Essen – ausser Fisch und Fischöl. Dies wirkt günstig bei erhöhten Blutfetten, v.a. bei Triglyzeriden – Fischöl allein erhöht aber das Cholesterin, zusammen mit Antioxydanzien aus einer mediterranen Ernährung senkt es auch dieses.
      Fettarmes Essen muss aber mit einem deutlichen Gewichtsverlust einhergehen, sonst steigen die Triglyzeride und das HDL-Cholesterin (der „gute“ Anteil im Gesamtcholesterin) bleibt niedrig.
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    • WENIG ROTES FLEISCH
      Man sollte auf seine Darmflora, also die rund 100 Billionen Bakterien aufpassen und sie gut pflegen. Was heisst dies konkret?
      Normalerweise leben die Vertreter der Darmflora (Mikrobiom) einträchtig mit ihrem Wirt. Sie verdauen für uns komplexe Kohlenhydrate, mit denen menschliche Enzyme nicht umgehen können. Und sie wehren auch Infektionen krank machender Bakterien ab.
      Nun wird als Beispiel das Carnitin im roten Fleisch (Rind, Schwein oder Lamm) von den Darmbakterien zu Trimethylamin verdaut, welches dann in der Leber zu Trimethylamin-N-Oxid (TMAO) umgewandelt wird. Carnitin verstärkt u.a. auch die schädliche Wirkung vom Cholesterin. Dies löst eine Kette von Ereignissen aus, die letztlich zu einer Arteriosklerose (Versteifung der Arterien) führt und damit auch zum Herzinfarkt, Hirnschlag,…
      Es hat sich nun gezeigt, dass ein Vegetarier ein Steak essen kann und dass sich dann die (ideale) Zusammensetzung seiner Darmbakterien diesen TMAO-Spiegel nicht erhöhen lassen.
      Vegetarische Ernährung ergibt eine fürs Immunsystem und für unsere Blutgefässe optimale Darmflora.
      >>> Weiterlesen
    • Verwenden Sie vor allem pflanzliche Fette mit einem hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (Olivenöl und v.a. Lein- und Rapsöl und in vielen Nüssen (speziell wieder in Baumnüssen und Mandeln).
      Dagegen haben Sonnenblumen-, Maiskeim- und Distelöl die eher ungünstige Omega-6- Fettsäuren: siehe hier) – Walnüsse senken auch stark das Cholesterin.
    • Täglich eine Handvoll Baumnüsse (etwa 50 Gramm) senkt den Cholesterinspiegel (Nutrients 2017; online 6. Oktober)
    • Auch 40 g Mandeln am Tag für mind. 4 Wochen – am besten an Stelle eines anderen kalorienmässig gleichwertigen Essens (z.B. Chips) macht eine Reduktion des Gesamtcholesterins um 4%, des Non-HDL-Cholesterins um 5% und des LDL-Cholesterins um 7%. (Lee Y, et al: J Am Heart Assoc 2017;6:e005162)

    • Bevorzugen Sie ballaststoffreiche Nahrungsmittel (2 bis 4 grosse Äpfel täglich, Vollkornprodukte).
      3 Esslöffel Haferflocken pro Tag senken das Gesamtcholesterin bis 16%.
      Viel Hülsenfrüchte im Essen (Bohnen, Erbsen, Kichererbsen und Linsen) senken das LDL-Cholesterin und damit das kardiovaskuläre Risiko stark (Ha V et al. Effect of dietary pulse intake on established therapeutic lipid targets for cardiovascular risk reduction: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. CMAJ 2014 (13. Mai); 186: E252-62)
    • Sojaprodukte haben eine cholesterinsenkende Wirkung. Soja enthält viele Phytoöstrogene, sog. Isoflavone, welche Blutfette senken.
    • Artischockenblätterextrakte senken Gesamtcholesterin um 12% (ebenfalls die Triglyzeride – höhere Werte werden stärker gesenkt) – z.B. 5 Kapseln Hepa-S® täglich.
    • 1 Avocado pro Tag senkt das Cholesterin in wenigen Wochen um 10%.
    • Phytosterole als Zugabe in Nahrungsmittel (v.a. Margarine) sind gar nicht zu empfehlen, sondern wirken gemäss neueren Studien sogar konträr.
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    • Bei erhöhten Triglyzeriden immer und beim hohen Cholesterin zusätzlich:
      Keine Zwischenmahlzeiten und langes Nachtfasten (die Triglyzeride sind ein Mass für den sog. Hyperinsulinismus – zum Nachtfasten siehe auch hier >>>).
      Eine Studie bei gesunden, aber übergewichtigen oder adipösen Personen zum Intervallfasten zeigt jetzt, dass dieser Ansatz den Triglyzeridspiegel nach einer Mahlzeit um bis zu 40% stärker reduziert als eine herkömmliche Diät mit täglicher Kalorienreduzierung.
      Zudem bei hohen Trigyzeriden:
      Lassen Sie reinen Zucker ganz weg und schränken Sie die zucker- und stärkehaltigen Nahrungsmittel ein (wenig Weissbrot, Reis, Pasta, süsses Obst, Süssgetränke) + absolut keine alkoholischen Getränke.
      Falls die Triglyzeride sehr hoch sind (über 6 mmol/l), behandle ich sofort mit Medikamenten, da eine akute Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung) droht.
    • Stehpult verbessert Blutwerte:
      Wer den ganzen Tag sitzt, läuft eher Gefahr, Herzkrankheiten oder Diabetes zu bekommen. Jetzt zeigt eine Studie: Büroangestellte, die einen Teil der Arbeit am Stehpult leisten, leben gesünder. Australische Mediziner untersuchten rund 700 Personen. Dabei fanden sie heraus, dass Personen, die zwei Stunden pro Tag stehen, bessere Cholesterin- und Blutzuckerwerte haben. (European Heart Journal)

    • Ich benütze auch die Fettsenker-Medikamente (Statine) in der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen (Herzinfarkt, Hirnschlag,…) häufig bei Männer, weniger bei Frauen.
      Dazu gibt es neue Meta-Analysen zur Statintherapie:
      Sind Statine bei Frauen weniger wirksam? (Gutierrez J, Ramirez G, Rundek T et al. Statin therapy in the prevention of recurrent cardiovascular events: A sex-based meta-analysis. Arch Intern Med 2012 (25. Juni); 172: 909-19)
      Der Nutzen von Statinen in der Primär- und Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse wurde in den letzten Jahren intensiv und kontrovers diskutiert. Der Nutzen in der Sekundärprävention ist dabei kaum umstritten. In der aktuellen Meta-Analyse wurde jetzt untersucht, ob Statine kardiovaskuläre Rezidivereignisse bei Frauen und Männern im gleichen Masse verhindern.
      11 randomisierte Studien, in denen Statine in der Sekundärprävention mit Placebo verglichen worden waren, wurden in die Meta-Analyse aufgenommen. Bei Frauen ist dabei die Wirksamkeit von Statinen (auch) in der Sekundärprävention weniger gut belegt als bei Männern. Zwar lässt sich eine signifikante Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen in ähnlichem Ausmass wie für Männer auch für Frauen nachweisen, nicht aber eine Mortalitätsreduktion oder eine Reduktion von Schlaganfällen. Das ist die Hauptaussage dieser Meta-Analyse. Dieser Unterschied kann zwar mit der geringeren Zahl von Frauen in den Studien erklärt werden. Die niedrigeren relativen Risiken für Schlaganfälle und Todesfälle lassen aber für Spekulationen Raum, ob doch geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich Wirksamkeit der Statine existieren könnten.
    • Bei der sog. Primärprävention „gibt es mittlerweile eine Reihe von Studien, in denen eine Minderung der Herzinfarktrate durch Statine dokumentiert wird. Der Nutzen ist bei geringem kardiovaskulären Ausgangsrisiko (siehe hier >>>) jedoch entsprechend klein. Die Gesamtsterblichkeit dürfte bei diesen Patienten erst bei hohem Risiko von über 20% in zehn Jahren durch Statin-Therapie gemindert sein.“ (Zitat arznei-telegramm 2012, Nr.8, S.69)

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    01. Dezember 2024

  • Morbus Crohn / Colitis ulcerosa

    Ich gehe hier nicht auf die gängige Schulmedizinische Behandlung ein, die bei diesen Krankheiten v.a. antientzündlich und immunschwächend einwirken.
    Hier erläutere ich einige komplementäre Zusatztherapien und Thesen. Man kann – wie so oft – zwei Stossrichtungen dieser Therapien ausfindig machen: Den Aufbau der Abwehr, die Stärkung des Terrains und dann die Bekämpfung gewisser Angreifer oder schädigender Dinge (Bakterien,…).

    Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind nicht die Folge einer „Immunschwäche“, sondern eines hyperaktiven Immunsystems!

    Die Pest in unseren Genen

    Gewisse Gen-Konstellationen hatten bei der Pest offensichtlich einen Überlebensvorteil. Bei der Gen-Untersuchung von Pesttoten aus dem Mittelalter zeigt sich, dass besonders eines wichtig ist („ERAP2“). Wer einst zweimal eine Variante namens „rs2549794“ dieses Gens im Erbgut gehabt hat, dessen Immunabwehr-Zellen ist es besser gelungen, eine Infektion mit Yersinia pestis zu erkennen, das Wachstum dieser Bakterien einzudämmen und seine Zellen zu schützen. Menschen mit dieser Genvariante hatten bei einer Infektion mit der Beulenpest eine um 40 Prozent höhere Überlebenschance gehabt.
    Bis heute findet sich dieses Erbe der Pest in unseren Genen – und das ist nicht immer ein Vorteil. Denn dieselbe Genvariante, die gegen das Pestbakterium hilft, macht nun anfälliger für den Morbus Crohn!
    Andere Gene, die gegen die Pest von Vorteil sind, sind zudem eine Schwachstelle, wenn es um andere Infektionskrankheiten oder um rheumatoide Arthritis geht.
    „Ein hyperaktives Immunsystem konnte in der Vergangenheit grossartig sein“, sagt der Anthropologe Hendrik Poinar von der McMaster-Universität in Hamilton, einer der Autoren der Studie. „Aber in der heutigen Umwelt ist dies häufig nicht mehr so hilfreich!“

    Mebendazol (Vermox®) und Colitis ulcerosa

    In einer dänischen Kohortenstudie, die rund 1,5 Millionen Personen umfasste, beobachtete man, dass Individuen, die bis zum Alter von 5 Jahren zur Behandlung einer Wurminfektion Mebendazol erhalten hatten, im Erwachsenenalter signifikant häufiger an einer Colitis ulcerosa erkrankten. Im Vergleich zu Leuten ohne Mebendazol-Exposition betrug die «Hazard Ratio» 1,32 (1,12–1,55). Vermutlich beeinflussen Wurminfektionen bei kleinen Kindern das Immunsystem in einer Weise, dass ein Schutz gegenüber einer Colitis ulcerosa aufgebaut wird. (Infomed, 26. Januar 2023)
    Kurzform der Studie aus dem «American Journal of Gastroenterology»: Early-Life Mebendazole Exposure Increases the Risk of Adult-Onset Ulcerative Colitis: A Population-Based Cohort Study

    Antibiotika können IBD auslösen

    Beta-Lactam-Antibiotika können IBD auslösen. Dies sind Penicilline, Cephalosporine und Beta-Lactamase-Inhibitoren.

    Abwehraufbau – Terrainstärkung

    • Der Konsum von hochverarbeiteter Nahrungsmittel ist dosisabhängig mit
      IBD („inflammatory bowel disease“) korreliert. Der Zusammenhang war bei separater Analyse sowohl bei M. Crohn wie auch Colitis ulcerosa vorhanden, bei letzterer etwas weniger signifikant.
      Es
      zeigte sich einen Zusammenhang von IBD mit verarbeitetem Fleisch, gebratenen Nahrungsmitteln, Softdrinks und salzigen Snacks; der Salzkonsum selber war hingegen nicht mit IBD assoziiert. (Link zum Volltext der PURE-Studie: Narula N, Wong ECL, Dehghan M et al.: Association of ultra-processed food intake with risk of inflammatory bowel disease: prospective cohort study. BMJ 2021, 374: n1554.)
      Man sollte also unbedingt auf verarbeitetes Fleisch, gebratene Nahrungsmitteln, Softdrinks und salzigen Snacks verzichten.
      Ein akuter Entzündungsschub hingegen wird nicht durch „falsches Essen und Trinken“ hervorgerufen.
      Von pauschalen Crohn- oder Colitis-Ernährungsempfehlungen sowie unnötigen, nicht fundierten Nahrungsmitteleinschränkungen ist schwer abzuraten. Sie erhöhen das Risiko einer Malnutration (Unterernährung). Hingegen hat die bedarfsgerechte Ernährung im akuten Entzündungsschub sowie in der Remission einen wesentlichen Einfluss auf Schweregrad und Verlauf der Erkrankung. Aus Angst vor Schmerzen oder einem Rezidiv („Ich esse lieber nichts als etwas Falsches“) wird meist zu wenig gegessen. Dazu kommt auch eine Malnutration als Folge von Entzündungen im Darm, ein intestinaler Proteinverlust (50 bis 70% der Crohn-Patienten leiden im akuten Entzündungsschub darunter!) und ein gesteigerter Energieverbrauch bei Sepsis oder Abszessen. Die durch die Malnutration hervorgerufenen Komplikationen können den Patienten oftmals mehr schwächen als der zugrunde liegende entzündliche Prozess.
      Man sollte immer nach Untergewicht, Anämie, Folsäuremangel, Vitamin-B12-, Eisen-, Vitamin-D- und Zinkmangel suchen!
      Im akuten Schub empfiehlt sich nahrungsfaser- und laktosearm zu essen. Es besteht (v.a. beim Crohn) ein sekundärer Laktasemangel. Es kommt zu einer zeitlich begrenzten Laktoseintoleranz (Laktose ist der Milchzucker). Dies ist individuell sehr verschieden. Es ist deshalb für jeden Einzelnen wichtig zu wissen, bei welcher Menge Laktose er mit Beschwerden (Blähungen, Durchfall) reagiert. Milch und Buttermilch haben am meisten Laktose. Besser verträglich ist Käse (problemlos Hartkäse), auch Jogurt, Kefir und Sauermilch. Kefir zeigt sogar therapeutische Fähigkeiten (siehe unten unter Präbiotika). Allgemein besser werden Milchprodukte ertragen, wenn sie zusammen mit einer Mahlzeit und nicht zwischendurch allein genossen werden.
      Eventuell benötigt man im akuten Schub zusätzliche bilanzierte, energiereiche Trinknahrung (im Mittel zusätzlich ca. 600 Kcal pro Tag). In der Remission sollte man essen, was mir gut bekommt, bedarfsdeckend und ausgewogen (Weiterlesen >>>).
    • Zuviel Hygiene lässt unsere Darmflora verarmen! Dies zeigt wieder eine Studie aus Schwellenländern (Brasilien, Taiwan…), wo durch Zunahme der Hygiene die Häufigkeit von M.Crohn und Colitis ulcerosa stark ansteigen. Die Daten bestätigen die aktuelle Annahme, dass die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bei entsprechender genetischer Vorbelastung durch zivilisations-assoziierte Umwelteinflüsse wie z.B. bessere Hygiene ausgelöst werden können (ced_in_schwellenlaendern.pdf).
      Deshalb wohl ist ähnlich wirksam wie Mesalazin bezüglich der Remissionserhaltung bei CED (Crohn und Colitis) der Indische Flohsamen (Plantago ovata Samen). Er enthält sog. Präbiotika (komplexe Kohlenhydrate), die im Dünndarm nicht verdaut werden und unverändert in den Dickdarm gelangen und dort fermentiert werden.  Kurzkettige Fettsäuren, vornehmlich Acetat, Propionat und Butyrat, die von anaeroben Kolonbakterien produziert werden, stellen eine hauptsächliche Ernährungsquelle für das Kolonepithel dar. Butyrateinläufe zeigen positive Effekte bei Patienten mit aktiver distaler Colitis ulcerosa. Da durch die Fermentation von indischem Flohsamen im Colon Butyrat entsteht, stellt man sich die Wirksamkeit unter diesem Mechanismus vor. Dies führt auch zu einer Bereicherung der Darmflora.Weiter wichtige Massnahmen, die gegen die Verarmung der Darmbakterien wirken sind Ernährungsumstellungen. Vor allem die sog. Mediterrane Ernährung bekämpft die Verarmung dieser Darmbakterien.
      Weiterlesen zur Darmflora >>>

    Noch ein therapeutischer Schritt weiter gehen Stuhltransplantationen:
    2000 wagte Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich erstmals den unorthodoxen Eingriff bei einer Patientin, die wegen einer Infektion mit dem Darmkeim Clostridium difficile an krampfartigen Bauchschmerzen, Durchfall und Fieber litt. Die Ärzte spülten den Darm der Patientin und spritzten danach gereinigten Kot einer Verwandten ein. Die Therapie war erfolgreich. Seither hat Rogler 14 weitere Patienten mit einer C.-difficile-Infektion behandelt – bis auf einen sind alle geheilt.
    Derweil testen Forscher weltweit die Stuhltransplantation bei einer Reihe weiterer Darmerkrankungen wie Reizdarm, chronischer Verstopfung, Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Holländische Forscher haben die Methode bei Patienten, die am metabolischen Syndrom leiden, erprobt – ebenfalls mit Erfolg. Bei den Patienten hat sich nach der Transplantation mit aufgereinigtem Kot eines dünnen Spenders die Insulinsensitivität erhöht.
    Wirklich appetitlich ist diese Therapie nicht, dafür anscheinend umso wirksamer: Stuhltransplantationen können lebensbedrohliche Darminfektionen heilen – und möglicherweise noch viel mehr.  Unterdessen wird übrigens auch bereits mit Stuhl in speziellen Kapseln getestet, die man oral aufnimmt.

    • In dieselbe Richtung zielt die Behandlung mit Probiotika:
      Probiotika haben eine heterogene mikrobielle Zusammensetzung, sind also nicht miteinander vergleichbar*:
      * Beste Evidenzen für ein Präparat, das Streptococcus thermophilus, 4 Stämme von Laktobazillen und 3 Stämme von Bifidobakterien enthält, Tagesdosen typischerweise 300–900 Mrd. Bakterien.
      > antientzündliche Effekte, beste Evidenz für Prävention und Remissionserhaltung der sog. Pouchitis;
      > gewisse positive Effekte bei Induktion/Erhaltung von Remissionen bei Colitis ulcerosa;
      > keine überzeugende Evidenz bei Morbus Crohn.
    • Ein sehr interessanter Therapieansatz wurde in wenigen Studien (leider nur unkontrollierte und kleine Anwendungsbeobachtungen) untersucht (Summers RW et al., Am J Gastroenterol 2003; 98: 2034-2041 und Marcovitch H. Can worms treat Crohn’s disease? BMJ 2005;330:330): Den Colonkranken wurden Wurmeier verfuttert (Schweinepeitschenwurm-Trichuris suis – jeweils 2500 intakte Eier als Einzeldosis. Der für den Menschen apathogene Schweine-Peitschenwurm wird nach 8 bis 10 Tagen wieder ausgeschieden.). Die daraus resultierende Darminfektion (die ja bei unserem sterilen Trinkwasser und Essen und von der Schulmedizin seit Jahrzehnten radikal bekämpft, fehlen) bindet soviel Abwehrkraft des Immunsystems, dass gleich auch die bestehende Colitis (Crohn oder ulcerosa) weggefegt wurde und geheilt war! Die These geht dahin, dass wir seit Jahrtausenden Würmer im Darm hatten und unser Immunsystem damit beschäftigt war. Seit 50 Jahren fehlen diese Parasiten und das Abwehrsystem hat nun überschiessende Kräfte und richtet diese auch mal gegen den eigenen Körper und bildet z.B. Crohn und Colitis ulcerosa. In der Woche 24 einer offenen Studie waren 21/29 in Remission, bei 2/29 zeigten sich Verbesserungen. Der Effekt ist zwar temporär, aber die Therapie wiederholbar. Der Vorschlag der Studienleiter waren den auch eine Wiederholung mit 2500 Eier alle drei Wochen, welches ebenso wenig Nebenwirkungen zeigte wie eine Einzeldosis.
    • Dreimal wöchentlich Sport (siehe 3in3-Regel):
      Zweimal wöchentlich ein 90-minütiges Lauftraining plus eine Trainingseinheit in Eigenregie, drei Monate lang unter Anleitung und für weitere 9 Monate als Hausaufgabe steigerte die Remissionsrate von Crohnpatienten enorm (Studie des Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main).
      Als einfache Regel gilt also auch hier 3in3: im Minimum 3 Stunden Sport wöchentlich, verteilt auf mindestens 3mal! Dies scheint bei diversen Dingen die beste Prophylaxe oder Therapie zu sein, so u.a. zur Prophylaxe des Prostatakrebs.  („3in3-Rhythmus“ wäre fast treffender: siehe meinen Blogbeitrag dazu!) – und es muss nicht intensiver und langdauernder Sport sein, sondern die Bewegung kann (für die Gesundheit und nicht unbedingt für die Ausdauer) kurz und moderat, jedoch dann täglich und häufig sein!

    Angreifer- oder Schädigungsbekämpfung

    • Interessanterweise gibt es bei Tieren eine nahezu identische Störung wie der Morbus Crohn, die Johne’sche Erkrankung, auch Paratuberkulose genannt. Allerdings wissen die Tierärzte im Gegensatz zu ihren humanmedizinischen Kollegen sehr genau über die Ursache Bescheid. So haben sie vor einiger Zeit ein Bakterium mit Namen Mycobacterium avium, Subspezies paratuberculosis (kurz MAP), als Übeltäter identifiziert. Das MAP wird nun von den infizierten Tieren im Kot ausgeschieden. Es ist sehr resistent und kann z.B. Trockenzeiten von neun Monaten überstehen und durch die übliche Chlorierung von Trinkwasser nicht abgetötet werden. Infizierte Kühe, Schafe und Ziegen scheiden MAP auch in der Milch aus. Pasteurisierung derselben tötet MAP nicht sicher ab! In der Schweiz ist fast 20% der Milch mit MAP kontaminiert ( Corti S, Stephan R.: Detection of MAP in bulk-tank milk samples. BMC Microbiology, 2002: 2; 15). Diese Omnipräsenz steht im Gegensatz zu den Schwierigkeiten, den Erreger auch nachweisen zu können. Zumindest in einigen Fällen gelang nun, MAP aus der Dünndarmschleimhaut mit M.Crohn erkrankter Patienten zu isolieren und anzuzüchten. Greenstein fand das MAP-DNA mit Hilfe von PCR sogar in 90%, mit In-situ-Hybridisierung in 70% und mit RT-PCR für MPA-RNA in 100% der Crohn-Erkrankten (Greenstein RJ, Collins MT. Emerging pathogens: is Mycobacterium avium subspecies paratuberculosis zoonotic? Lancet 2004;364:396-7). Amerikanische Forscher fahndeten auch im Blut von 28 Patienten mit M.Crohn, 4 mit Colitis ulcerosa und 3 Darmgesunden nach MAP. Mittels PCR spürte man bei 46% der Crohn- und 45% der Colitis-Patienten MAP-DNA auf. Bei den Kontrollpersonen liess sich MAP nur in 20% nachweisen. Lebensfähige Mykobakterien fanden sich allerdings ausschliesslich bei Crohn und Colitis (zu 50% bzw. 22%). Naser SA et al., BMJ 2004; 364: 1039-1044. 
      Mit Antibiotika der Familie Makroliden über mehrer Monate konnte bei einem Drittel der Patienten eine völlige Ausheilung erreicht werden. Und bei 72 bis 91% gingen die Krankheitszeichen so stark zurück, dass die Patienten auf die Einnahme von weiteren Medikamenten verzichten konnten (The Lancet Infectious Diseases 3, 507-513 (2003).
    • Fischöl wirkt gegen die Entzündung als Langzeitbehandlung (ev. auch nur als Zusatzbehandlung mit Spareffekt für die schulmedizinischen Entzündungshemmer): 4 Gramm Omega-3-Fettsäuren täglich in Kapselformen. Unwirksam bei Morbus Crohn!
    • Transdermales Nikotin (z.B. Nicotinell TTS-Pflaster) fördert unter fortgeführter Standardmedikation Remissionen. Dies bei der Colitis ulcerosa. Beim M.Crohn nur strikte Nikotinenthaltung. Hier ist jede Zigarette zuviel!
    • Das Harz des Weihrauchbaumes Boswellia serrata (z.B. in H 15 Ayurmedica) enthält Inhaltsstoffe, die Boswelliasäuren, die in In-vitro-Untersuchungen nachgewiesenermassen über eine spezifische Hemmung der 5-Lipoxygenase die Leukotriensynthese hemmen und somit antiinflammatorisch wirken. Es wird deshalb auch vorrangig gegen entzündliche rheumatologische Erkrankungen eingesetzt (aktive chronische Polyarthritis). Es hat sich aber gezeigt – und ich habe sehr positive Erfahrungen damit -, dass es auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen hervorragend wirkt. Es wirkt dabei ähnlich stark wie Mesalazin ohne dessen Nebenwirkungen. Als Nebenwirkung habe ich sehr selten Juckreiz und urtikarielle, selten ekzematoide Effloreszenzen erlebt. In der Schwangerschaft würde ich es nicht abgeben.
    • Eine Hypothese besagt, dass durch die Gabe von Antibiotika im Kindesalter die mikrobielle Darmflora verändert und das Auftreten entzündlicher Darmerkrankungen begünstigt wird. Dies wurde nun mit einer Studie klar bestätigt: Kinder, bei denen vor dem Alter von 5 Jahren eine Otitis media (Mittelohrentzündung) diagnostiziert wurde, litten 2,8-mal häufiger an Morbus Crohn und dreimal häufiger an Colitis ulcerosa. Penicillin war dabei das am häufigsten verwendete Antibiotikum. Otitis media beim Kleinkind also nie mit Antibiotikum behandeln, sondern nur mit allen Mitteln Schmerzen lindern.
      (Shaw SY, et al. J Pediatr. 2012)
    • Übrigens verändert ein Hund im Haushalt die Darmflora eines Säuglings zum guten!
    • Und wie bereits ganz oben erläutert: Kleinkinder, die bis zum Alter von 5 Jahren zur Behandlung einer Wurminfektion Mebendazol erhalten hatten, entwickelten im Erwachsenenalter signifikant häufiger eine Colitis ulcerosa.

    Fokus auf Komplementärmedizin bei entzündlichen Darmerkrankungen

    • Häufigkeit des Gebrauchs alternativer Methoden bei diesen Krankheiten: 20–60%.
    • Nur ¼ berichtet dies dem Arzt (oder werden befragt).
    • Probiotika haben eine heterogene mikrobielle Zusammensetzung, sind also nicht miteinander vergleichbar*:
      > antientzündliche Effekte, beste Evidenz für Prävention und Remissionserhaltung der sog. Pouchitis;
      > gewisse positive Effekte bei Induktion/Erhaltung von Remissionen bei Colitis ulcerosa;
      > keine überzeugende Evidenz bei Morbus Crohn.
    • Curcumin: wirksam als Begleittherapie bei Colitis ulcerosa, nicht bei Morbus Crohn.
    • Cannabis: kein überzeugender Effekt auf klinische Remissionen.
    • Fischöle: fraglicher Steroid-sparender Effekt bei Colitis ulcerosa, unwirksam bei Morbus Crohn.
    • Akupunktur, Yoga, Hypnotherapie, körperliche Aktivitäten, kognitive Verhaltenstherapien können wirksam sein (Details in Tab. 2 der Arbeit).

    * Beste Evidenzen für ein Präparat, das Streptococcus thermophilus, 4 Stämme von Laktobazillen und 3 Stämme von Bifidobakterien enthält, Tagesdosen typischerweise 300–900 Mrd. Bakterien.

    Quelle: Gastroenterol Hepatol (NY). 2018;14:415–25.
    ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6111500/.

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    18. November 2024

  • Depression

    Depression

    Was ist eine „Depression“?

    „Die grösste aller Gefahren, sich selbst zu verlieren, kann sich in der Welt ganz leise ereignen, als ob es gar nichts wäre. Kein anderer Verlust kann so leise eintreten; jeder andere Verlust – ein Arm, ein Bein, fünf Euro, eine Frau, usw. – wird sicher bemerkt werden.“ (Kierkegaard) – Meine neue Lieblingsdefinition von „Depression“ (im Moment).

    Das Problem mit der Depression beginnt schon vor der Diagnose, nämlich bei der Definition, was eine Depression ist. Die Krankheit Depression wird aufgrund von Symptomen definiert und kann nicht aufgrund somatischer Marker definiert werden (Ausnahme: Entzündungsmarker?). Es könnte also auch sein, dass Ärzte die diagnostischen Kriterien etwas anders gewichten als die, die diese Kriterien erstellt haben.
    Zudem ist es schwierig auf einer kontinuierlichen Skala, die bei jedem Menschen zwischen „überhaupt nicht depressiv“ und „schwerst depressiv“ liegt, den Punkt festzulegen der Depression von Nicht-Depression unterscheidet.

    Disease Mongering

    Mit der Definition von allen psychischen Krankheiten verhält es sich ähnlich. 2013 enthielt das neue DSM 5, die international geltende «Bibel der psychischen Erkrankungen», zahlreiche zusätzliche Leiden und hatte bei vielen anderen die Hürde für eine Diagnose gesenkt. ADHS zum Beispiel erforderte nicht mehr sechs Symptome, sondern nur noch fünf. Dass sich psychische Erkrankungen fast immer nur an Symptomen orientierten und diese dann auch noch subjektiv interpretiert würden, komme «so in kaum einem anderen Bereich der Medizin vor», kritisiert der langjährige Direktor des amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH), Thomas Insel, seit Jahren. Er spricht gar von «Zuständen wie in vorwissenschaftlichen Zeiten».

    Tatsächlich gleichen viele Diagnosen eher eine Art Definitionsfrage. Und so wird aus der herkömmlichen Schüchternheit eine soziale Phobie oder aus der Trauer, die nach dem Tod eines nahestehenden Menschen länger als zwei Wochen andauert, eine Depression. Denkt man diese Entwicklung konsequent weiter, ist – überspitzt formuliert – irgendwann überhaupt niemand mehr psychisch gesund.

    Dass bereits eine „Miese Stimmung“ eine „Depression“ und damit krankhaft sein soll, davon ist hier also nicht die Rede. Ich plädiere dezidiert gegen das Diktat des „positiven Denkens„! Ich glaube sogar, dass diese „miese“ Stimmung zu einem grossen Teil durch das „positive Denken“ einer ganzen Kultur mitverursacht wird. Ich meine hier nicht nur die Methode des positiven Denkens, sondern gesellschaftlich immer weiter verbreitete Werte wie Spass, Fröhlichkeit, Zwangs-Optimismus (siehe dazu auch das sehr aktuelle Buch von Arnold Retzer (Miese Stimmung. Eine Streitschrift gegen positives Denken. S.Fischer, Frankfurt 2012).

    Auch der neue Hype des sogenannten „Manifestierens“ beschönigt die gleiche verblendete Logik, die behauptet, Armut sei eine Wahl, und die vielen politischen Desinformationen zugrunde liegt. Wenn die Realität nur das ist, was wir aus ihr machen, dann werden die Skrupellosesten die meiste Macht haben, die Zukunft zu gestalten. Weiterlesen >>>

    Menschen suchen nach Glück und Zufriedenheit. Doch auch Trübsinn hat Vorzüge:
    „Das Vergnügen traurig zu sein!“.

    Was tun? >>> direkt zu den Therapieansätzen

    Wie die Evolution unsere Biologie formt

     Oder: In welchen Situationen ist eine gedrückte Stimmung nützlich?

    Randolph Nesse gilt als Mitbegründer der evolutionären Medizin. Der Psychiater erforscht, wie die Evolution den Menschen geformt – und für bestimmte Krankheiten anfällig gemacht hat. Er schrieb ein Buch mit dem bekannten Evolutionsbiologen George Williams, war Gründungsdirektor des Centers for Evolution and Medicine an der Arizona State University. Mit ZEIT ONLINE spricht er 12/2022 über sein neuestes Buch „Good Reasons for Bad Feelings„.
    zeit.de/gesundheit/2022-12/mentale-gesundheit-depression-angst-evolution-randolph-nesse

    Seiner Ansicht nach kann Niedergeschlagenheit ein Hinweis darauf sein, dass wir gerade Energie verschwenden. Zum Beispiel, wenn wir ein Ziel verfolgen, das nicht zu unserer Lebenslage passt. Oder wenn das Erreichen des Ziels aussichtslos erscheint, wir aber nicht davon lassen können. Wenn wir in einer Sache blockiert sind. 

    Er plädiert dafür, auch mal aufzugeben und nicht verbissen an etwas festzuhalten, das uns offensichtlich gar nicht guttut: „In meiner Karriere gelangen mir allerdings einige der größten Heilungen, als ich Menschen geholfen habe zu realisieren, dass sie etwa seit fünfzehn Jahren an dieser Ehe arbeiten, aber eigentlich gar nicht mehr daran glauben, dass sie sie noch retten können. Dass sie jetzt den Status quo entweder akzeptieren müssen oder unter Schmerzen einen Schlussstrich ziehen. Im Aufgeben liegt oftmals der Schlüssel, um eine Depression zu überwinden.“

    Nur gute Menschen werden depressiv!

    Im Ansatz der Persönlichkeitstheorie tönt dies so:
    „Damit sich natürliche Traurigkeit in eine Depression verwandelt, muss man sich nur selbst die Schuld an dem Unglück geben, das einem widerfahren ist!“ (Dorothy Rowe)

    Wenn wir damit aufhören könnten, uns selbst die Schuld für schlimme Ereignisse in unserem Leben zu geben, würde die Depressionsrate rapide sinken, lautet Dorothy Rowes Prämisse. Und ihre Therapieerfolge sprechen für sich. Normalerweise wachsen wir in der Überzeugung auf, dass es in der Welt gerecht zugeht und uns Gutes widerfährt, wenn wir uns entsprechend verhalten. Doch was bedeutet das im Umkehrschluss? Wenn wir davon überzeugt sind, dass die Guten belohnt und die Schlechten bestraft werden, kommen wir zwangsläufig zu dem Schluss, dass wir für alles Schlechte in unserem Leben selbst verantwortlich sind.
    In solchen Situationen fragen wir oft: „Warum passiert das ausgerechnet mir?“ Wir blicken zurück, um herauszufinden, was wir beigetragen haben, selbst wenn es um eine Naturkatastrophe geht. Irrationale Schuldgefühle, Hilflosigkeit und Scham entstehen, eine Depression kann die Folge sein. Rowe ist der Ansicht, dass wir unsere Überzeugungen selbst erschaffen. Sobald uns das klar geworden sei, könnten wir uns von dem Glauben an eine gerechte Welt verabschieden und negative Erfahrungen, z.B. einen Jobverlust, rationaler verarbeiten. Katastrophen widerfahren uns nicht, weil wir zum Unglück verdammt sind oder sie verdienen. Wir sollten damit aufhören, Ereignisse persönlich zu nehmen, und uns darüber klar werden, dass Schlimmes einfach geschieht! (Nur gute Menschen werden depressiv – aus „Das Psychologie-Buch“, Dorling Kindersley, London, 2012)

    Weiterlesen: Auch „Einsamkeit“ muss nicht zur Depression führen.

    Ursache ist wohl schwache Plastizität unseres Hirns und nicht ein Mangel an Botenstoffe (v.a. Serotonin)

    Dauerstress und Depression

    Auf diesen starken Zusammenhang kam Forscher nun wieder bei der Enträtselung der antidepressiven Wirkung der psychedelisch wirkenden Drogen, wie Ketamin. Diese Droge verbessert die Übertragung von Informationen zwischen den Hirnzellen, stellten die Forscher fest. Sie lässt sogar neue Verbindungsstellen, Synapsen, entstehen. Herkömmliche Antidepressiva tun das auf Umwegen auch. »Plastizität« nennen Fachleute dieses Phänomen. Es ist entscheidend für das Lernen.
    Eine neue Hypothese war geboren: Depressionen entstünden, wenn diese Plastizität unseres Hirns sinke. Erhöhe man sie, lasse sich die Krankheit lindern.

    Für diese Vermutung spricht einiges, denn Stress senkt die Plastizität. Und Stress entsteht durch akute oder chronische Überlastungen genauso wie durch frühe Traumata – alles bekannte Ursachen von Depressionen. Wenn Menschen aber nicht mehr so gut Neues lernen können, bleiben sie leichter in Grübelschleifen hängen, ziehen sich zurück. Die Verbindungen (Synapsen) im Gehirn leiden, die Verbindungen im Leben ebenfalls.

    Eine weitere Erklärung für den Zusammenhang von Dauerstress und Depression führt über unseren Darm und sein Mikrobiom: Der Stress lässt unsere Darmflora massiv verarmen, was wiederum zur Depression führen kann (siehe weiter unten).

    Mangel an Botenstoffe?

    Lange Zeit glaubte man, dass ein Mangel an Botenstoffen, insbesondere an Serotonin, die Ursache für Depressionen sei. Diese Annahme beruhte auf der Wirkweise herkömmlicher Antidepressiva, die die Konzentration von Serotonin zwischen den Hirnzellen erhöhen. Obwohl sie vielen Patienten helfen, wirken sie nicht bei allen. Inzwischen ist klar, dass diese Serotonin-Hypothese nicht ausreicht. Vor mehr als 20 Jahren fiel Ärzten auf, dass es manchen depressiven Menschen nach einer Operation unter Vollnarkose mit dem Mittel Ketamin deutlich besser ging. Anfang des Jahrtausends bestätigten erste Tests an Patienten mit Depressionen die Wirkung des Stoffs. Es zeigte sich, dass Ketamin die Übertragung von Informationen zwischen den Hirnzellen verbessert und sogar neue Verbindungen – Synapsen – spriessen lässt. Fachleute nennen diesen Mechanismus “Plastizität”. Die neue Hypothese besagt, dass Depressionen dadurch entstehen, dass ebendiese Plastizität sinkt. Ein Gehirn, das sich nur noch wenig verändern kann, wird krank. Wenn bei Menschen mit Depressionen dieser Prozess gestört ist, lernen sie nicht mehr so gut Neues und bleiben in den immer gleichen Grübelschleifen hängen. Dazu passt, dass typische Auslöser einer Depression wie frühe Traumata und akute oder chronische Überlastung Stress verursachen – und dass Dauerstress wiederum die Plastizität senkt (siehe weiter oben).

    Ketamin gegen Depression

    Ketamin ist ein vielversprechendes Mittel gegen Depressionen. Die dissoziative Wirkung von Ketamin ist nicht entscheidend für seinen antidepressiven Effekt. Eine Übersichtsarbeit von 2020 ergab, dass nur in drei von acht Studien überhaupt ein Zusammenhang zwischen dissoziativen Symptomen und der antidepressiven Wirkung bestand. Und auch in diesen Fällen erklärten die rauschhaften Erfahrungen nur 12 bis 21 Prozent der Unterschiede in der Wirkung auf die Depression. Das unterscheidet Ketamin wahrscheinlich von psychedelischen Drogen wie Psilocybin und MDMA; bei ihnen ist der Rausch tiefgreifender und deshalb wohl wichtiger für die Wirkung.

    Plastizität an sich hilft aber noch nicht. Sie schafft nur die Möglichkeit, dass sich etwas ändert. Ob es besser wird oder sogar schlechter, hängt von der Umwelt ab. Damit Menschen mit Depressionen von der wiedergewonnenen Flexibilität im Hirn profitieren, brauchen sie hilfreiche Erfahrungen, wohltuende Begegnungen – und meist eine Psychotherapie.

    Symptome einer Depression

    „Wahre“ Schwere Depressionen gehören zu den quälendsten Leiden überhaupt: Kranke, die den jähen Schmerz eines Herzinfarkts und eine Depression erlebt hatten, hielten im Nachhinein die Depression für weitaus unangenehmer.
    Gemeinsam ist fast allen Depressionen die gedrückte, traurige Grundstimmung, die die Zukunft meist sehr schwarz und negativ aussehen lässt. In vielen Fällen ist der Zustand des Kranken in den Morgenstunden am schlechtesten – Sie können auch frühmorgendlich zwei oder mehr Stunden vor der gewohnten Zeit erwachen. Abends hellt sich die Stimmung wieder etwas auf.
    Nur wenige Depressive denken überhaupt nicht an Selbstmord.
    Interessenverlust, Unzufriedenheit, Lustlosigkeit und Freudlosigkeit, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle, Gefühle der Wertlosigkeit, Negativ-pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidale Gedanken oder Handlungen, Ein- bzw. Durchschlafstörungen mit Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf, Müdigkeit und Energielosigkeit, Appetitlosigkeit – auch mit Gewichtsverlust (mehr als 5% des Körpergewichts im letzten Monat), deutlicher Libidoverlust,  Entscheidungsschwierigkeiten, Leere und Reizbarkeit. Psychomotorisch kann eine Hemmung oder eine Agitiertheit bestehen.

    Jedes der folgenden Symptome verdoppelt etwa die Wahrscheinlichkeit einer Depression: Schlaflosigkeit (Insomnie), Müdigkeit, chronische Schmerzen, Veränderung in den Lebensumständen, ungeklärte physische Symptome, mäs­sige bis schlechte ­Gesundheit in Selbsteinschätzung der Patienten.

    Es gibt viele Screening-Methoden, der PHQ-9 («Patient Health Questionnaire-9») scheint am weitesten verbreitet zu sein und gute Qualitätscharakteristika aufzuweisen (Sensitivität/Spezifität bei je 85%). > www.depressionscreening100.com/phq

    Berechneter SkalensummenwertSchweregrad der Depression
    1-4Minimale depressive Symptomatik
    5-9Milde depressive Symptomatik
    10-14Mittelgradige depressive Symptomatik
    15-27Schwere depressive Symptomatik

    …und für Männer bestehen zudem oder alternativ noch andere Symptome: siehe hier

    Körperliche Symptome, die eine Depression maskieren können (sogenannte „larvierte Depression“)

    • Kopfschmerzen
    • Nacken-Schulterschmerzen (siehe gleich unten)
    • Rückenschmerzen
    • Atembeschwerden
    • Herzbeschwerden
    • Magen-Darm-Beschwerden
    • Rheumatische Beschwerden
    • Unterleibsbeschwerden

    Steifer Nacken, trübe Gedanken?

    Können unelastische Faszien zu Depressionen führen? Forschende haben den Zusammenhang in zwei Studien untersucht.

    Gibt es eine Wechselwirkung zwischen dem Fasziengewebe im Nacken- und Schulterbereich und der Neigung zu negativen Gedanken? Für diese Frage interessierten sich der Forscher Johannes Michalak und sein Team von der Universität Witten-Herdecke in zwei Studien. (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34955570/)

    Das Ergebnis: Womöglich haben Menschen mit Depressionen steifes, unelastisches Fasziengewebe. Das könnte es ihnen erschweren, negative Gedankenschleifen zu beenden.

    Für die erste Studie wurde zunächst die Steifigkeit des Fasziengewebes von 80 Depressiven und Nichtdepressiven gemessen. An der zweiten Studie nahmen 69 Personen teil, bei denen eine Depression festgestellt worden war. Rund die Hälfte massierte sich 30 Sekunden lang selbst Schultern und Nacken, indem sie über eine Faszien-Schaumstoffrolle hin und her rollten. Die Kontrollgruppe legte sich mit Nacken und Schultern auf die gleiche Rolle und bewegte sich nur auf und ab, sie massierten sich also nicht richtig.

    Anschliessend wurde allen eine Liste mit positiven und negativen Begriffen vorgelesen, die sie sich merken sollten. Diejenigen, die Schultern und Nacken mit der Schaumstoffrolle „geknetet“ hatten, merkten sich deutlich mehr positive Wörter. Die Autorinnen und Autoren betonen, dass es eine kurze Behandlung und ein vorübergehender Effekt war.
    (Susanne Ackermann, 15. Sep 2023 in PSYCHOLOGIE HEUTE)

    Angst und Depression

    Angst vor dem Kommenden, vor der Zukunft – und Niedergeschlagenheit angesichts des Gewesenen, vor der Vergangenheit: Die Angst und Depression sind zwei Seiten derselben Medaille, ängstliche Menschen sind nicht selten auch depressiv und umgekehrt. Im Persönlichkeitsmodell der „Big Five“ sind Ängstlichkeit und Niedergeschlagenheit zwei Facetten ein und derselben Grundeigenschaft, des „Neurotizismus“, der emotionalen Labilität. Besonders frappant ist die Verkoppelung bei der „generalisierten Angststörung“, bei der sich die Angst verselbständigt hat und frei von Auslösern kommt und geht, wie sie will.
    Meist kommt erst die Angst im Leben, und wenn sie nicht vergehen will, gesellt sich in späteren Jahren die Depression hinzu.
    Auch Studien haben nun ergeben, dass Menschen während einer Depression ihr Denken auf die Vergangenheit fokussieren. Haben Menschen hingegen Angst, so gehen ihnen vor allem zukünftige Ereignisse durch den Sinn, die sie als Bedrohung empfinden. Vergangene Dramen stimmen also eher depressiv, künftige ängstlich!
    (A.Pomeranz, P.Rose: Is depression the past tense of anxiety? Int Journal of Psych, DOI: 10.1002/ijop.12050).

    Ängste sind wie Rauchmelder, die zu sensibel eingestellt sind. Sie schrillen schon bei sehr wenig Rauch los und stellen uns auf Alarm – bis zur Panikattacke.

    Therapeutische Folgerungen zeigen zeitlich in die Mitte: Das achtsame Fokussieren auf die Gegenwart, auf das, was gerade in diesem Moment, im Hier und Jetzt geschieht, hilft sowohl gegen Angst als auch gegen die Depression!  Die verschiedensten Meditationsformen sind dazu ein fantastisches Instrument, jedoch auch Yoga, Tanzen, Singen und Spaziergänge in der Natur.

    Demütigungen und Kränkungen

    Neuere Studien zeigen, dass Demütigungen und Kränkungen zu den häufigsten Ursachen von Depressionen zählen.
    Wie schaff ich in solchen Situationen „Distanz zu mir“?

    Macht mein verarmtes Mikrobiom im Darm mich depressiv?

    In diesem interessanten Zusammenhang wird die Ernährung und die Entzündung bei der Depression immer wichtiger: Lesen Sie dazu weiter unten!
    Dies übrigens eine weitere Erklärung für den Zusammenhang von Dauerstress und Depression: Auch der Stress lässt unsere Darmflora massiv verarmen, was wiederum zur Depression führen kann.

    Besonderes bei der Frau

    Während der depressiven Episoden treten bei Frauen häufiger chronische Müdigkeit, gesteigerte Schläfrigkeit und eine psychomotorische Verlangsamung auf.
    Literatur: Kelly Brogan: „Die Wahrheit über weibliche Depression. Warum sie nicht im Kopf entsteht und ohne Medikamente heilbar ist.“ >> daraus: Die Depression ist ein Symptom. An irgendeiner Stelle im Körper gibt es eine Unausgewogenheit…

    Besonders bei Frauen hilft eine Ernährung, die reich an Gemüse und Ballaststoffen ist und Fleisch, Fast Food und Zuckerprodukte minimiert.
    Frau sollte aber ihr Eisen und Vitamin B12 im Blut messen lassen: zu tiefe Werte können auch depressive Symptome (Müdigkeit…) verursachen.

    Besonderes beim Mann

    Männer hingegen berichten eher von Schlaflosigkeit, motorischer Unruhe und gesteigerter körperlicher Erregbarkeit (auch chronische Schmerzen gehören hier dazu).
    „Male Depression“: Eine Depression äussert sich bei Männern oft untypisch. Männer, die ihre Depression „externalisieren“, versinken weder in Schwermut, noch wirken sie niedergeschlagen oder ziehen sich zurück. Sie nehmen zwar einen starken inneren Druck wahr, fühlen sich aber nicht psychisch krank. Vielmehr fallen sie auf, weil sie plötzlich und uncharakteristisch für ihren Charakter verärgert und gereizt sind, rasch die Be-herr-schung verlieren oder hohe Risiken eingehen, etwa im Strassenverkehr. Solche Auffälligkeiten werden – wenn überhaupt – als Persönlichkeitsstörung oder Neurose fehlinterpretiert. Männer kompensieren häufig durch verstärkten Konsum von Suchtmitteln wie Zigaretten und Alkohol, auch Sex und auch durch starke körperliche Aktivitäten wie Sport. Männer drücken ihr gesundheitliches Befinden weniger differenziert aus, verarbeiten ihre Beschwerden weniger introspektiv, funktionieren weiterhin im Alltag und suchen seltener Hilfe als Frauen.

    • vermehrter sozialer Rückzug, der oft verneint wird.
    • berufliches Überengagement, das mit Klagen über Stress maskiert wird.
    • Abstreiten von Kummer und Traurigkeit.
    • zunehmend rigide Forderungen nach Autonomie (in Ruhe gelassen werden).
    • zunehmende Intensität oder Häufigkeit von Wutanfällen, Impulsivität.
    • Hilfe von anderen nicht annehmen: das „Ich kann das schon allein“-Syndrom.
    • ab- oder zunehmendes sexuelles Interesse.
    • vermehrter bis exzessiver Alkohol- und/oder Nikotinkonsum.
    • anderes Suchtverhalten: TV, Sport, Glücksspiel, Internet etc..
    • ausgeprägte Selbstkritik, bezogen auf vermeintliches Versagen, Versagensangst.
    • andere für eigene Probleme verantwortlich machen.
    • verdeckte oder offene Feindseligkeit.
    • Unruhe und Agitiertheit
    • Chronische Schmerzen (siehe dazu diesen eindrücklichen Bericht bei Piqd www.piqd.de/gesundheit/manner-suchen-seltener-nach-hilfe-das-muss-sich-andern „Frauen suchen Hilfe – Männer sterben!“ Das ist der beunruhigende Titel einer Forschungsarbeit an der Universität Innsbruck. Dahinter steckt die These, dass Depressionen bei Männern oft nicht erkannt werden, weil Männer seltener Hilfe suchen.

      Männliche Vegetarier könnten ein höheres Risiko für Depressionen haben als Männer, die Fleisch essen! Darauf deutet eine Studie der USamerikanischen National Institutes of Health (NIH) mit mehr als 9.600 Männern hin: Vegetarische Kost bei Männern mit mehr Depressionen assoziiert.

      Ein Beispiel männlicher Depression: Nick Kyrgios und seine Ausraster!
      Der australische Tennisstar spricht in einem Interview 10/2020 über den ständigen Druck auf der Profi-Tour.

    Tennisspieler Nick Kyrgios hat seine Ausraster auf dem Platz mit seinem Kampf gegen innere Dämonen erklärt. Er habe Probleme mit Depressionen, sagte der 25-Jährige. «Ich bin eines Tages in Schanghai aufgewacht, es war vier Uhr am Nachmittag, und ich lag immer noch bei gezogenen Vorhängen im Bett. Ich wollte das Tageslicht nicht sehen», berichtete Kyrgios, der für sein temperamentvolles Verhalten berüchtigt ist. Er sei «an einem einsamen, dunklen Ort» gewesen. «Ich fühlte mich, als wäre niemand an mir als Person interessiert. Alle sahen mich nur als Tennisspieler und wollten mich benutzen. Ich verlor die Freude am Spiel und geriet ausser Kontrolle.» Der ständige Druck habe ihn in die Depression getrieben. Zuletzt im 2020 war Kyrgios im Tennisgeschäft die Stimme der Vernunft im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Er verzichtete auf die Teilnahme an den US und den French Open.

    Und seine emotionale Wendung:
    Im Verlaufe des Frühjahrs 2022 begann er konstanter zu spielen. «Ich hatte es einfach satt, die Leute im Stich zu lassen», sagte er nun. «Ich war sehr egoistisch. Ich war deprimiert, bemitleidete mich die ganze Zeit. Das wollte ich ändern. Ich schaute die Menschen um mich herum an, ich wollte sie nicht mehr enttäuschen. Jetzt mache ich sie stolz. Jetzt werden nicht mehr so viele negative Dinge über mich gesagt. Ich wollte das Narrativ verändern.»
    Die Liebe spielt dabei eine wichtige Rolle. Seit vergangenem Dezember ist er mit einer wunderbaren Frau zusammen. Nach seinen Matchs lässt er kaum eine Chance aus, sich bei ihr im Platzinterview zu bedanken.
    Der Unterschied zu früher ist bei Kyrgios, dass er es nun schafft, sich nach seinen Wutausbrüchen und Schimpftiraden wieder schnell zu beherrschen. Er verliert die Kontrolle nicht mehr. Der Ärger geht nicht mehr tief.

    Genau dies berichtet auch der Dalai -Lama, dass selbst er manchmal Ärger verspürt – diesem aber keinen grossen Platz gewährt, so dass dieser nicht tief gehen kann und schnell wieder weg ist.

    Weiterer prominenter Mann: Kevin-Prince Boateng

    Der frühere Fussballprofi fiel während seiner Karriere in eine Depression. Er sagt, wie er diese erlebte – und wie er seinen Stolz beiseitelegen musste, um sie zu überstehen.

    Copyright Tagesanzeiger

    „Solche psychischen Probleme sind natürlich tricky, weil sie sich ganz langsam in dein Leben schleichen. Es gibt nicht den Moment, in dem du sagst: Hier habe ich die Depression gefühlt. Sie kommt langsam, nimmt dir Kraft und Energie oder deinen Willen, irgendetwas zu tun. Und irgendwann sass ich dann da und war komplett leer.“

    Ausdruck einer anderen Krankheit oder einer Medikamenten-Nebenwirkung?!

    Immer muss ausgeschlossen werden, dass diese depressive Symptomatik nicht durch organische Erkrankungen bzw. die Einnahme von Arzneimitteln (Anabolika, Interferon, Isotretinoin, Kortikosteroide, Antibabypille, Antiepileptika) oder Drogen  (Alkohol, Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Kokain, Halluzinogene, Narkotika) verursacht werden.

    Abzugrenzen ist (v.a. beim älteren Menschen) eine Demenz (Alzheimer z.B.), die auch obige Symptome aufweisen kann. Die Orientierung ist bei der reinen Depression jedoch meist normal und in der Demenz gestört. Und die Psychomotorik ist beim Depressiven oft verändert und bei der Demenz meist normal (Genaueres dazu siehe auch hier).
    Ein sehr hilfreiches Instrument dazu ist die Cornell-Skala. Dieser Test umfasst 19 Items, welche Veränderungen der Stimmung, des Verhaltens, vegetativer Funktionen wie Appetit und Schlaf sowie weitere Störungen erfassen. Von anderen Depressionsskalen unterscheidet sich die Cornell-Skala dadurch, dass sie nicht nur durch ein Gespräch mit dem Patienten erhoben wird, sondern sich vor allem auf Beobachtungen der Pflegenden stützt, die im Zeitraum von einer Woche erhoben werden.

    Dann auch Neurologische Erkrankungen wie Zerebrovaskuläre Erkrankungen, Epilepsie, Hydrocephalus, Infektionen (inkl. HIV und Neurosyphilis), Migräne, Morbus Huntington, Morbus Parkinson, Morbus Wilson, Multiple Sklerose, Narkolepsie, Neoplasmen (Krebs), Schlafapnoe, Neurologisches Trauma.

    Dann Internistische Erkrankungen:
    Endokrinologische: Hyperaldosteronismus, Hyper- bzw. Hypoparathyreodismus, M.Cushing, M.Addison, PMS, Schilddrüse (Hypo-, Hyperthyreose).
    Infektionen und rheumatische Erkrankungen: Borreliose, HIV, Hepatitis B, Lues; Rheumatoide Arthritis; Polymyalgia rheumatica; Sjögren Syndrom, Systemischer Lupus Erythematodes; Tuberkulose.
    Diverse: Porphyrie, Urämie; Vitamindefizite (C, B12, Folsäure, Niacin, Thiamin), Eisenmangel.

    Depression (MDD) scheint durch Entzündungen mitverursacht oder verschlechtert (Entzündungsmarker sind regelmässig pathologisch).
    (J Neurol Neurosurg Psychiatry 2012;83:495-502: Depression: an inflammatory illness? Rajeev Krishnadas, J.Cavanagh; a review)
    Bei der Depression findet man auch meist eine Neuroinflammation, eine Entzündung der Nerven und des Hirns, was in einer grösseren Reizbarkeit für Schmerzen, in Hypersensibilitätszustände mündet. Deshalb findet man zusammen mit depressiven Zuständen auch häufig somatische Symptomenkomplexe, wie Reizdarm, Reizblase, Unterleibschmerzen (Beckenschmerzen), Kopfschmerzen – also Schmerzzustände aller Art.
    Man kann sich mit der Neuroinflammation auch erklären, weshalb mässige, aber regelmässige Bewegung die Depression stark bessert, da durch die Muskeltätigkeit ausgelösten Stoffwechselvorgänge die Neuroinflammation wesentlich vermindern.

    (Copyright Prof. Jürgen Sandkühler, Zentrum für Hirnforschung, Medizinische Universität, Wien; http://chr.meduniwien.ac.at)

    Dein Smartphone macht Dich depressiv.

    Generation „Kopf unten“ aufgepasst. Wer sein Smartphone häufig benutzt (also fast jeder), riskiert ernsthafte Depressionen.
    Das haben Forscher der University of Auckland festgestellt.
    Der Grund ist ganz einfach: Wer viel textet und surft, lässt auch viel den Kopf hängen. Buchstäblich.

    Wir bekommen nicht nur bei Selbstwertproblemen und mieser Stimmung eine schlechte Körperhaltung, sondern auch anders herum – eine schlechte Körperhaltung krümmt unseren Geist und dämpft unser Selbstwertgefühl.
    Nichts anderes passiert, während wir aufs Handy schauen: Kopf runter, Schultern runter. Nimm einem, der so da steht, das Smartphone aus der Hand und er sieht aus, als wäre er verdammt deprimiert. Dem Gehirn reicht diese Haltung als Signal, es zieht seinen Schluss aus dieser Haltung.
    Diese Körperhaltung ruiniert neben der Laune auch unser Selbstvertrauen und unsere Leistungsfähigkeit in Tests sowie die generelle Produktivität, ausserdem fällt es uns so schlechter, uns an gute Dinge zu erinnern, während sich die schlechten nur so aufdrängen.
    Über die Therapie dieser Haltungsstörung siehe hier auf dieser Website!

    Und… zum Digital-Detox hier in meinem Blog

    Die Arbeitswelt macht depressiv

    Die Welt des Lebendigen mit seinen Rhythmen und Zyklen (Atmung, Puls, Tag/Nacht, Jahreszeiten…) steht im Widerstreit mit dem modernen Projekt des linearen Fortschritts und des unaufhörlichen Wachstums unserer Wirtschaft, also mit unserer Arbeitswelt. Dies kann depressiv machen und in ein Burnout führen.
    Es braucht einen neue Versöhnung dieser gegensätzlichen Prinzipien, eine Arbeitswelt, in der auch die zyklische Regeneration von uns Menschen, aber auch der Natur um uns Platz hat.
    Vertiefen >>> Sternstunde Philosophie, 01/24 mit Thomas Fuchs, Psychiater und Philosoph

    Spätaufstehen macht depressiv

    Um 23% liesse sich das Risiko einer Depression verringern, wenn Spätaufsteher eine Stunde früher aufstünden (und zu Bett gingen). Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher nach der Auswertung von Daten aus mehreren Studien. Würden Spätaufsteherinnen es schaffen, zwei Stunden früher aus dem Bett zu kommen, liesse sich das Risiko weiter senken. Sie sollten tagsüber möglichst viel Licht bekommen. (Iyas Daghlas u.a.: Genetically proxied diurnal preference, sleep timing, and risk of major depressive disorder. JAMA Psychiatry, 2021)

    Antibabypille und Depression

    Spätestens seit 2016 wird die Depression bei jungen Frauen untrennbar mit der Pille verbunden. Damals zeigte eine grosse Untersuchung aus Dänemark, dass Frauen, die mit der Pille verhüteten, ein um 80 Prozent höheres Risiko hatten, in eine Depression zu rutschen. Die Selbstmordrate war sogar dreimal so hoch wie in der Kontrollgruppe (die absoluten Suizidzahlen lagen mit 71 Fällen unter den 500.000 Befragten allerdings auf sehr niedrigem Niveau).
    Den negativen Einfluss auf die Stimmung bestätigte aber zuletzt im Juni 2023 nochmals eine grosse Studie mit britischen Daten: Hier war das Risiko depressiver Symptome bei Patientinnen, die sich in ihrer Jugend für die Pille entschieden hatten, um 130 Prozent erhöht.

    Diagnostik-Test

    Sich selber testen: PHQ-Test!

    …und eher für Fachkräfte:

    Sehr hilfreich zur Abgrenzung gegen eine Demenz (Alzheimer) ist die oben beschriebene Cornell-Skala, die sich vor allem auf Beobachtungen der Pflegenden stützt.

    Die Hamilton-Skala (Hamilton Rating Scale of Depression – HRSD) ist ein standardisiertes diagnostisches Instrument für den Arzt zur Beurteilung des Schweregrades einer Depression. Die Hamilton Skala dient insbesondere dazu, die Wirksamkeit verschiedener Therapien, z.B. von Medikamenten in Zulassungsstudien, zahlenmässig exakt zu erfassen. Die Skala wurde 1960 von dem deutschstämmigen englischen Psychiater Max Hamilton (”Himmelschein”) eingeführt.
    In der ursprünglichen, auch heute noch oft verwendeten Fassung, werden 21 Symptomenkomplexe systematisch vom Untersucher mit Punkten bewertet.
    Untersuchungspunkte sind z.B. die depressive Stimmung (Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Wertlosigkeit), Schuldgefühle, Selbstmordgedanken, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden, Sexualität, Gewichtsverlust.
    Die Bewertung erfolgt aus dem Punktetotal. Je höher die Punktzahl, um so stärker ist die Depression. 66 ist die höchste, 0 die niedrigste erreichbare Punktzahl. Es gibt keinen “Normalwert”, aber es hat sich eingebürgert, ab 10 Punkten von einer leichten, ab 20 von einer mittelschweren und ab 30 von einer schweren Depression zu sprechen.
    Die Hamilton Scale in Englisch zum Download – Testinstrument für Ärzte, ungeeignet zur Selbstdiagnose!

    Kardiovaskuläre Erkrankungen und Depression

    Diese zwei Krankheiten scheinen häufig gekoppelt zu sein. Nach einem Herzinfarkt besteht ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine Depression und nach Hirnschlag ein 3-faches oder höher (Lesperance et al. Psychosomat Med 1996; Morris et al. Am J Psychiatry 1993).

    Depression fördert gestörte Schmerzwahrnehmung im Darm und damit den Reizdarm

    Depression und Angststörungen sind häufige, d.h. in etwa 40% Komorbiditäten des Reizdarmsyndroms. Aktuelle Daten weisen nun in Richtung einer gestörten Verarbeitung viszeraler Schmerzreize in den Gehirnen von IBS-Patienten (Neuroinflammation). Diese Auffälligkeiten sind umso ausgeprägter, wenn Patienten deutlichere Anzeichen einer Depression zeigen. Sie sind weniger gut in der Lage, Schmerzsignale aus dem Darm zentral zu unterdrücken.

    Zudem gibt es einen klaren Zusammenhang einer verarmten Darmbesiedlung (ungünstiges Mikrobiom) mit der Depression: siehe hier: Mikrobiom-und-Depressionen.pdf!

    Es existiert aber das Paradoxon!
    Männliche Vegetarier könnten ein höheres Risiko für Depressionen haben als Männer, die Fleisch essen! Darauf deutet eine Studie der USamerikanischen National Institutes of Health (NIH) mit mehr als 9.600 Männern hin:
    Vegetarische Kost bei Männern mit mehr Depressionen assoziiert.pdf

    Familiär gehäuft

    Es gibt Dispositionen zur Depression (gehäuft in Familien). Es existiert dann der Aspekt einer sog. Vererbung. Ich sage „sogenannt“, da genauso bei einer familiären Situation das Erleben der Nichtkontrolle von Unangenehmen eine Verringerung der Motivation, eine Passivität, eine Hilflosigkeit hervorrufen kann (also doch keine „Vererbung“).

    Das erschöpfte Selbst

    Die heutige Häufung von Depressionen und Suchtkrankheiten aller Art führt man auch auf die Überforderung des heutigen Menschen zurück, in Erfüllung des Versprechens der autonomen Persönlichkeit jederzeit für alles selbst verantwortlich sein zu sollen. Depressiv wird der Mensch demnach nicht, weil ihm Möglichkeiten verwehrt bleiben, sondern weil er die Illusion ertragen muss, dass ihm alles möglich ist. Unter diesem Druck fällt er empfindungslos zusammen und explodiert in der Sucht nach Reizen.
    Drückte Menschen früher eher die Tatsache nieder, dass sie keine (oder kaum eine) Wahl hatten – wobei sie eben darin Statussicherheit, eventuell auch Seelenruhe finden konnten – wird nunmehr die Wahl die Norm und die Unsicherheit ihr Preis.

    Bewegungsarmut und Depression

    Sicher 40% aller leichten Depressionen kommen ursächlich aus einem Bewegungsmangel im Alltag! Das Risiko ist um das Dreifache verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung erhöht. Weiterlesen >>>

    Endogen?

    „Endogene“ Depression (also von innen kommend) heisst vorerst mal: nicht induziert (z.B. durch andere schwere psychische oder körperliche Krankheit), nicht postinfektiös (nach schwerer Infektionskrankheit), nicht traumatisch (z.B. frühkindliche Trennung) – nicht „reaktiv“ also.
    „Endogen“ wurde auch wieder populär, da der Hirnstoffwechsel von Depressiven offensichtlich anders funktioniert und dies der Ansatz der antidepressiven Medikamente ist, die diesen Stoffwechsel wieder normalisieren und damit der Mensch überhaupt wieder fähig ist, die Denkmuster zu verändern. Diese Hirnstoffwechselstörung als Ursache und nicht als sekundäres Phänomen zu sehen, ist aber rein hypothetisch.
    Wir als Betreuer müssen die Hoffnung übernehmen, weil wir wissen, das Medikamente und Psychotherapie helfen können. Wir müssen die Frequenzen wieder etwas zum schwingen bringen („es gilt das Herz zu rühren, des Königs steinern Herz…“). Denn die Sinne etwas wahrzunehmen, sind beim Depressiven immer noch offen – im Gegensatz zum Geist.

    Burnout und Depression

    Es ist umstritten, wo die Definition eines „Burnout“ beginnt und wo die einer „Depression“ aufhört. Überschneidungen sind gross – Unterscheidung nur partiell möglich. Die Prophylaxe beider Zustände ist ähnlich – die Therapie zum Teil und betrifft beim Burnout häufiger in Arbeitssituationsverbesserungen: siehe dazu die eigene Seite über das „Burnout“ auf dieser Website.

    Therapieansätze

    Was tun?

    Als Hausarzt interessiert mich zuerst mal:
    Wie steht es um Ihre engsten Beziehungen?
    Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Wohnsituation?
    Und wie am Arbeitsplatz?
    Dies wären die drei wichtigsten Bereiche des Lebens, die zu körperlicher und seelischer Gesundheit beitragen. Stimmt es hier nicht, kann eine Depression die Folge sein.
    Es sind auch vor allem in obigen drei Dingen die eigenen Bedürfnisse, der „Innere Ruf“, deren Nicht-Befolgen in eine Depression münden kann!

    Bei einer Depression kommt es darauf an, sich gerade gegenteilig zu verhalten wie mit Depression. Also etwa so:

    • Kopf rauf. Blick nach vorn.
    • Sorgfältige Kleidung tragen. Sich schön machen.
    • Musik. Singen unter der Dusche – und ausserhalb (siehe unten).
    • Sport. Rausgehen.
    • Mit allen möglichen Leuten zu Spaziergängen abmachen.
    • Ein Internet/Social Media welches mir dient und von dem ich nicht beherrscht werde!

    Chorsingen hilft gegen Depressionen. Dies zeigt eine Übersichtsstudie der University of Queensland, Australien. Die Forscher analysierten dazu sieben Studien und fanden heraus: Durch das Gruppensingen fühlten sich die Teilnehmer weniger psychisch belastet. Regelmässiges Chorsingen macht Menschen emotional stärker und gibt ihnen Lebenssinn.
    („The European Journal of Health“, 2018)

    • Immer sollten persönliche, soziale Missstände aufgedeckt, angeschaut und verändert werden. Auch deshalb ist eine Gesprächs- oder andere Psychotherapie (auch eine Paartherapie kann sehr förderlich sein) bei einem Psychologen/-In oder psychotherapeutisch ausgebildeten Psychiater oder Hausarzt sehr erlösend. Ihr Hausarzt kennt gute Adressen oder kann Ihnen auch selbst mit Gesprächen und ev. sogar Medikamenten helfen. Er sollte auch seltene Ursachen, die zu denselben Symptomen führen können, ausschliessen (z.B. Veränderungen des Hirns).
      Schwerpunkte der Paartherapie bei Depression ist die Förderung der Kohäsion des Paares, der gegenseitigen Unterstützung, der Kommunikation der Partner, der gegenseitigen Akzeptanz und der Unabhängigkeit/Autonomie – aber auch der Abbau von ambivalentem Verhalten, Drohungen bezüglich Trennung, abschätziger Kritik/Abwertung, inadäquater Unterstützung und der Monotonie in der Beziehung (siehe auch meine Seite über „besseren Sex“!).
      Zur Persönlichkeitstheorie siehe hier oben >>>
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    • Bezwingen Sie negatives Denken:
      Alle Menschen haben die Tendenz, mehr über schlechte Erfahrungen nachzudenken als über positive. Das ist eine evolutionäre Anpassung – das Überwinden von gefährlichen oder verletzenden Situationen, die uns im Laufe des Lebens begegnen (Mobbing, Trauma, Verrat), hilft uns, sie in Zukunft zu vermeiden und in einer Krise schnell zu reagieren.
      Aber das bedeutet, dass Sie etwas härter arbeiten müssen, um Ihr Gehirn zu trainieren, negative Gedanken zu überwinden. Und so geht’s:
      Versuchen Sie nicht, negative Gedanken zu stoppen.
      Wenn Sie sich sagen: „Ich muss aufhören, darüber nachzudenken“, werden Sie nur noch mehr darüber nachdenken. Machen Sie sich stattdessen Ihre Sorgen zu eigen. Wenn Sie sich in einem negativen Kreislauf befinden, benennen Sie ihn: „Ich mache mir Sorgen um Geld.“ „Ich bin besessen von den Problemen auf der Arbeit.“ Behandeln Sie sich selbst wie einen Freund.
      Wenn Sie sich selbst gegenüber negativ eingestellt sind, fragen Sie sich, welchen Rat Sie einer Freundin geben würden, die niedergeschlagen ist. Versuchen Sie nun, diesen Rat auf sich selbst anzuwenden. Stellen Sie Ihre negativen Gedanken in Frage.
      Sokratisches Hinterfragen ist der Prozess des Hinterfragens und Änderns irrationaler Gedanken. Studien zeigen, dass diese Methode Depressionssymptome reduzieren kann. Das Ziel ist, Sie von einer negativen Denkweise („Ich bin ein Versager.“) zu einer positiveren zu bringen („Ich habe in meiner Karriere viel Erfolg gehabt. Dies ist nur ein Rückschlag, der nicht auf mich zurückfällt. Ich kann daraus lernen und besser werden.“) Hier sind einige Beispiele für Fragen, die Sie sich stellen können, um negatives Denken herauszufordern. Schreiben Sie zunächst Ihren negativen Gedanken auf, z. B. „Ich habe Probleme bei der Arbeit und zweifle an meinen Fähigkeiten.“
      Fragen Sie sich dann: „Was sind die Beweise für diesen Gedanken?“
      „Beruht er auf Fakten? Oder auf Gefühlen?“
      „Könnte ich die Situation falsch interpretieren?“
      „Wie könnten andere Menschen die Situation anders sehen?
      „Wie würde ich diese Situation sehen, wenn sie jemand anderem passiert wäre?“ Die Quintessenz: Negatives Denken passiert uns allen, aber wenn wir es erkennen und dieses Denken hinterfragen, machen wir einen grossen Schritt in Richtung eines glücklicheren Lebens.

      Dann machen Sie die »Was gut gelaufen ist«-Übung:

      Es gibt gute evolutionäre Gründe dafür, dass die meisten von uns nicht annähernd so geübt darin sind, der guten Ereignisse eingedenk zu sein, wie sie im Analysieren unglücklicher Vorfälle sind. Jene unter unseren Vorfahren, die viel Zeit damit verbracht haben, sich im Sonnenschein angenehmer Ereignisse zu räkeln, während sie sich besser auf Schlimmes vorbereitet hätten, haben die Eiszeit nicht überlebt. Um also die natürliche Neigung unseres Gehirns, sich auf Katastrophen einzustellen, überwinden zu können, müssen wir an der Fähigkeit des Denkens an Dinge, die gut gelaufen sind, arbeiten und sie einüben. Nehmen Sie sich in den folgenden Wochen jeden Abend, bevor Sie ins Bett gehen, zehn Minuten Zeit für diese Übung. Schreiben Sie drei Dinge auf, die heute gut gelaufen sind und warum sie gut gelaufen sind. Sie können ein Tagebuch oder Ihren Computer dazu verwenden, diese Ereignisse festzuhalten, aber es ist wichtig, dass Sie eine greifbare Aufzeichnung besitzen. Die drei Dinge müssen nicht weltbewegend wichtig sein (»Mein Mann hat heute auf dem Heimweg mein Lieblingseis zum Nachtisch besorgt«), aber sie können das natürlich auch sein (»Meine Schwester hat heute einen gesunden Jungen zur Welt gebracht«). Beantworten Sie nach der Benennung des positiven Ereignisses auch die Frage: »Warum ist es dazu gekommen?« Wenn Sie zum Beispiel geschrieben haben, dass Ihr Mann Eiscreme besorgt hat, dann notieren Sie: »Weil mein Mann manchmal sehr aufmerksam ist« oder »Weil ich daran gedacht habe, ihn anzurufen und ihn daran zu erinnern, in den Supermarkt zu gehen«. Oder wenn Sie geschrieben haben: »Meine Schwester hat gerade einen gesunden Jungen zur Welt gebracht«, dann könnten Sie als Grund angeben: »Weil der liebe Gott es gut mit ihr meint« oder »Weil sie während der Schwangerschaft alles richtig gemacht hat«.

      Darüber zu schreiben, warum die positiven Ereignisse in Ihrem Leben geschehen sind, mag sich zuerst seltsam anfühlen, aber bleiben Sie eine Woche lang dabei. Es wird immer leichter werden. Es ist wahrscheinlich, dass Sie nach etwa sechs Monaten geradezu süchtig nach dieser Übung sind und weniger deprimiert und glücklicher sein werden.
      (aus:
      Flourish – wie Menschen aufblühen: Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens, Martin Seligmann)

    • Das beste antidepressiv wirksame Medikament ist die ERNÄHRUNG!
    • Nichts bringt besser positive Gefühle zum Vorschein als Essen, das mit Liebe gekocht wurde.
    • Vegetarische Ernährung verbessert stark unser Mikrobiom (Darmbesiedlung mit Bakterien) und damit eine Depression! Dies gilt vielleicht für Männer nicht!
      Dabei aber das Eisen und Vitamin B12 im Blut im Auge behalten, da eine Mangel Depressions- ähnliche Symptome (Müdigkeit…) machen kann.
    • Kurzfasten, optimal als 16:8 wirkt antidepressiv, wahrscheinlich über eine stark antientzündliche Wirkung (gegen die Neuroinflammation).
    • Viel Fisch, aber auch Walnüsse, Oliven-, Raps- und Leinöl in der Ernährung stabilisiert auch die Seele. Ein niedriger Omega-3-Fettsäuren-Spiegel führt zu Serotoninmangel, was depressive Störungen hervorrufen kann.
      Ein Therapieversuch mit Fischöl-Kapseln jedoch scheint nach neusten Studien sogar kontraproduktiv! Eine Studie mit rund 18 ​000 Probanden aus dem Jahr 2021 gezeigt, dass bei über 50-jährigen Personen, die Omega-3 mit Fischölkapseln supplementierten, das Risiko einer Depression anstieg.
      V.a. in der Schwangerschaft hat die Mutter einen besonders hohen Omega-3-Bedarf – das Depressionsrisiko ist dann auch massiv erhöht. Fettiger Meerfisch und Leinöl (jeden Tag ein bis zwei Esslöffel) sind also in der Schwangerschaft sehr wichtig.
    • Eine Mediterrane Diät (Vollkornprodukte, Gemüse, Hülsenfrüchte, Früchte, Fisch, low-fat und ungesüsste Milchprodukte, mageres rotes Fleisch, Geflügel, rohe ungesalzene Nüsse, Eier, Olivenöl, …), bis 2 Gläser Wein pro Tag) wirkt prophylaktisch und auch therapeutisch gegen eine Depression! (http://www.evimed.ch/journal-club/artikel/detail/therapie-einer-depression-mit-diaet/)
    • Wer im Alter Depressionen vorbeugen möchte, sollte grünen Tee trinken – vier Tassen pro Tag halbieren das Risiko nahezu! (Takahashi H, Am J Clin Nutr 2009; 90: 1615-1622)
    • Dunkle Schokolade: Neuere Studien zeigen eine klar antidepressive Wirkung. „Das Problem ist, wenn man Menschen sagt, dunkle Schokolade sei gut, dann essen sie wahrscheinlich eine Menge dunkler Schokolade anstelle von Obst und Gemüse. Vor allem ist aber Bewegung und eine gute, ausbalancierte Ernährung wichtig“, betont Riba im Begleittext der Studie.
    • Mehr über Ernährung und Depression hier in meinem Blog: http://walserblog.ch/2015/10/09/brainfood/ !
    • Depression und Hypnose:
      Hypnose ist weit mehr ist als ein billiger Trick – auch bei Depression und Angst. Ihre Wirksamkeit wurde wiederholt wissenschaftlich belegt. Es existieren mehrere Metaanalysen, das sind Auswertungen möglichst aller relevanten Studien, die es zu einem Thema gibt. Zwei Metaanalysen von 2019 stellen eine Wirksamkeit bei Depressionen und Angstzuständen fest.
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    • Depressionen und psychodelische Drogen wie Ketamin!
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    • Der Verzicht auf die eigene Bedürfnis kann in eine DEPRESSION führen!
      Fragen nach den Ausnahmen: kein Problem ist ständig da oder immer gleich stark. Also Fragen nach problemfreien oder problemarmen Zeiten…
      Hier ist besonders wichtig, welche Teile des Lebens noch gelingen, wo es Inseln des Erfolges und der Zufriedenheit gibt. Was macht trotz Depression noch Freude oder was hat früher Freude bereitet (Freudentagebuch!)?!
      Welche positiven Effekte hat die Depression im System, im Lebenszusammenhang?
      z.B. Ich bekomme eine Pause, wenn ich überfordert bin… ich werde in Ruhe gelassen…
      Ich werde endlich beachtet und ein wenig versorgt… die anderen verlangen nicht mehr soviel von mir…
      Ich kann erleben, wer wirklich für mich da ist, wer mich wirklich so liebt, dass er auch so zu mir steht…
      Depressives Verhalten führt oft dazu, dass andere mehr Verantwortung übernehmen, mehr Rücksicht nehmen… So tritt Entlastung für den Leidenden auf…
      Eine Art Notbremse, ein Frühwarnsystem…
      Normalerweise kann ich nicht Nein sagen – jetzt geht es nicht anders…

    Lösungsorientiert ist auch die „Wunderfrage„: Wenn über Nacht ein Wunder passieren würde und das Problem würde wie weggezaubert aus dem Leben verschwinden: Was wäre morgen anders?
    Woran würdest Du nach dem Aufwachen als Erstes bemerken, dass das Problem weg ist? Ganz konkret?
    Was würdest du am Morgen danach als Erstes tun? Was dann?
    Wer würde als Erster bemerken, dass das Problem weg ist? Wer dann?
    Was würdest du am meisten vermissen in deinem Leben, wenn das Problem plötzlich weg wäre?
    Wenn du einen Grossteil der Probleme bewältigt hast, wie sehe dann dein Leben aus, was würdest du anders machen als heute?
    Woran würden die anderen eine Behebung/Verbesserung des Problems festmachen?
    Wer würde am meisten überrascht sein?
    Wer würde stark, wer schwach und wer gar nicht darauf reagieren, wenn es weg wäre? Wie stark würde jeder reagieren? Kannst du dies auf einer Skala von 1 bis 10 einschätzen (je höher der Wert, desto grösser die Reaktion)?

    • Achtsamkeitstraining, z.B. die Mindfulness-BasedCognitiveTherapy (MBCT) kann den Betroffenen einen Weg weisen, ihren Ängsten und depressiven Episoden entgegenzutreten, sich selbst aus den düsteren Gedankenzirkeln zu befreien und vor Rückfällen zu schützen. Achtsamkeit hilft, satt im Tun-Modus, im Sein-Modus offen zu sein für die Erfahrung im jeweiligen Augenblick, ohne sie verändern zu wollen.
      Literatur dazu: Petra Meibert: Der Weg aus dem Grübelkarussel. Achtsamkeitstraining bei Depression, Ängsten und negativen Selbstgesprächen. Das MBCT-Buch. Kösel, 2014.
      Siehe dazu auch die zeitliche Zusammenhang zwischen Depression und Angst – und der Ausweg über die „Mitte“, über das „Hier und Jetzt“!
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    • Sicher 40% aller leichten Depressionen kommen ursächlich aus einem Bewegungsmangel im Alltag! Das Risiko ist um das Dreifache verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung erhöht.
      Hier wird auch immer als zentrales Thema, die Besserung einer Neuroinflammation durch Bewegung angesehen.
      Was also bei Depressionen immer auch positiv wirkt sind tägliche Waldläufe, Wanderungen oder andere körperliche Betätigungen (Joggen: siehe hier!) (30 Minuten täglich, gemäss British Journal of Sports Medicine, Bd.35, S.114 – siehe auch Lawlor DA, Hopker SW. BMJ 2001; 322: 763-7).
      Die Dosis macht‘s! Sport scheint die seelische Gesundheit deutlich zu verbessern – doch zu viel bewirkt das Gegenteil! In einer Querschnittsstudie zeigten 3 bis 5 Trainingseinheiten mässiger Intensität pro Woche zu je 45 Minuten die besten Ergebnisse. (Sammi R. Chekroud und Kollegen in Lancet Psychiatry, 2018). Mehr war viel schlechter!
      Bei 44% aller leichten Depressionen ist der Bewegungsmangel sogar die Ursache!
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      Eine Metaanalyse mit 218 Originalarbeiten (14 170 Teilnehmende, 495 Behandlungsarme) verglich den antidepressiven Effekt verschiedener Sportarten gegenüber herkömmlichen Behandlungsoptionen (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [SSRI], Psychotherapie). Den besten Erfolg zeigten Spazieren («walking»), Joggen, Yoga und Krafttraining, wobei die Wirksamkeit mit der Intensität der Aktivität korrelierte. Insgesamt waren die erzielten Behandlungseffekte vergleichbar mit psychotherapeutischen und pharmakologischen Ansätzen, auch schnitt die Kombination von SSRI und Aktivität besser ab als die isolierte medikamentöse Therapie. Die Studie unterstreicht damit den wichtigen Stellenwert körperlicher Aktivität in der Behandlung einer Depression. (BMJ. 2024, doi.org/10.1136/bmj-2023-075847)
    • Schaukeln hilft auch: Es sollten aber schon ein bis zwei Stunden täglich sein (Schaukelstuhl, etc.
    • Yoga ist nicht nur gut für den Körper, sondern es ist auch gleich wirksam wie eine Psychotherapie. Zu diesem Ergebnis kommen Psychologen der Universität Jena. Sie werteten 25 Studien mit über 1300 Personen aus. Alle von ihnen machten klassisches Hatha-Yoga mit Atem- und Körperübungen, um psychische Störungen wie Depression, Süchte oder Ängste zu behandeln.(Deutsches Ärzteblatt,2016 – Studie aus Jena)
    • Neu wird auch wieder „partieller Schlafentzug“ als äusserst erfolgreich beschrieben: Während der zweiten Nachthälfte müssen sie wach bleiben (d.h. Wecker auf 2 – 3 Uhr stellen, falls sie um 22 oder 23 Uhr ins Bett gehen). In einer Woche wiederholen sie dies in drei Nächten und stoppen dann wieder. Dies ergibt bereits in 2/3 aller Fälle eine anhaltende Besserung. Bereits nach der ersten Nacht merken sie übrigens genau, ob diese Methode bei ihnen anschlägt, denn schon dann sollte eine klare stimmungsaufhellende Wirkung vorhanden sein.
      Der Nachteil dieser Therapie liegt auf der Hand: die Müdigkeit.
      An der Freiburger Uniklinik wird deshalb ein anderes Verfahren erprobt: der Schlafentzug mit anschliessender Schlafphasenverschiebung. Nach einer vollständig durchwachten Nacht dürfen die Patienten täglich sieben Stunden schlafen, allerdings zu vorgezogenen Zeiten: in der ersten Nacht von fünf Uhr nachmittags bis Mitternacht, in der zweiten von sechs bis eins usw., bis sie nach einer Woche wieder gewöhnliche Schlafenszeiten erreicht haben.
      Bei Depressiven scheint in irgendeiner Weise die Synchronisierung von Schlaf-Wach-Zyklus und inneren Rhythmen gestört zu sein. Dafür gibt es verschiedene Anhaltspunkte: Viele Patienten fühlen sich morgens besonders mies und abends relativ gut. Diese Leute sprechen übrigens besonders gut auf Schlafentzug und Schlafphasenverschiebung an!
      Ausserdem wirkt der partielle Schlafentzug in der zweiten Nachthälfte etwas besser als in der ersten. Und Vormittagsnickerchen nach einer durchwachten Nacht führen häufiger zu einem Rückfall in die Depression als Nachmittagsnickerchen.
      Dies alles bestätigt eine Hypothese, dass es in den frühen Morgenstunden eine kritische Phase gibt. Schläft ein depressiver Mensch zu diesem Zeitpunkt, wird eine Art Schalter umgelegt, der die Stimmung verschlechtert. Bleibt er hingegen in der kritischen Phase wach, umgeht er den Absturz in die Schwermütigkeit.
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    • Lichttherapie: Winterdepressionen, d.h. depressive Verstimmungen in der sonnen- und lichtarmen Jahreszeit (auch saisonale Depression genannt, seltener existiert also auch eine Sommerdepression!) kann durch morgendliches (zwischen 5:30 und 9:00) anstrahlen von 2’500 (für ein bis zwei Stunden) bis 10’000 (während 30 Minuten) Lux-Lampen (weisse Leuchtstoffröhren) sehr positiv beeinflusst werden. Bereits nach 10 bis 14 Tagen hebt sich die Stimmung. Es wird empfohlen, eine Lichttherapie solange durchzuführen, bis die Frühjahrssonne wieder mehr Licht liefert. (z.B. Archives of general Psychiatry, Vol. 58, No.1 (2001), S.69 – 75).

      Eine Möglichkeit „natürlicher“ Lichttherapie besteht darin, dass die Morgendämmerung simuliert wird: noch während die Betroffenen schlafen, wird ein Licht eingeschaltet und über ein bis zwei Stunden langsam heller gemacht, bis zur ungefähren Aufwachzeit die volle Lichtstärke erreicht ist.
      Winterdepressionen sind (im Gegensatz zur selteneren Sommerdepression) häufig von so genannten atypischen Depressionssymptomen begleitet; dazu gehören zum Beispiel vermehrter Schlaf und verstärkter Appetit (vor allem für Süsses) mit Gewichtszunahme.
      Auf www.chronobiology.ch findet sich eine Liste, welche die Schweizer Institutionen angibt, in denen eine Lichttherapie möglich ist. Diese Seite liefert auch weitere nützliche Infos, wie z.B. Adressen von Firmen, die Tischgeräte für die Heim-Lichttherapie vertreiben.
      Gemäss neueren Studien hilft die Lichttherapie aber auch sämtlichen über 60jährigen mit Major Depression: 1 Stunde morgens mit ca. 7500 Lux! (Arch Gen Psychiatry 68(1):61-70, January 2011 © 2011 to the American Medical Association; Bright Light Treatment in Elderly Patients With Nonseasonal Major Depressive Disorder-A Randomized Placebo-Controlled Trial. Ritsaert Lieverse, Eus et Al.)
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    • Botulinumtoxin unter die Haut zwischen die Augen gespritzt, dort wo sich die Zornesfalten bilden, kann eine (auch schwere) Depression stark verbessern.
      Als Begründung wird die sogenannte Facial-Feedback-Hypothese angesehen, eine gegenseitige Wechselwirkung von Emotionen und der Mimik (die umgekehrte Abhängigkeit ist ja altbekannt). Als Beispiel sind die Versuche bekannt, dass Menschen Comics anschauen und dabei einen Stift nur mit den Zähnen und nicht mit den Lippen im Mund halten. Diese Aktivierung der Lachmuskeln macht, dass die Comics lustiger empfunden werden!
      Diese Rückkoppelung vermag Botulinumtoxin nun offenbar zu unterbrechen.
      (J Psychiatr Res. 2012 Feb, Facing depression with botulinum toxin: A randomized controlled trial. Wollmer)
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    • Bei älteren Menschen mit Depression wirkt auch sehr gut:
      – mehr Kinobesuche
      – mehr Konzerte, Opern, Theater,…
      – mehr Kunstausstellungen!
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    • Medikamente Antidepressiva:
      Antidepressiv wirkende Medikamente (SSRI) können allein genommen oder mit Psychotherapie kombiniert werden. Sie sind laut umfassenden und neueren Studien leider nicht so wirksam, wie sie dargestellt werden. Psychotherapie ist bei leichten und mittelgradigen Depressionen wirksamer, als Medikamente es sind. Das gilt nicht unbedingt für die Akutbehandlung, wohl aber für die Wirkung auf lange Sicht.. Medikamente führen nach Absetzen häufiger zu einem Rückfall. Das Risiko für eine erneute depressive Episode steigt nach erfolgreicher Behandlung durch ein Medikament allein um das Drei- bis Fünffache. Bei frühzeitiger psychotherapeutischer Behandlung sinkt aber das Risiko für weitere Depressionen (Robert DeRubeis, Nature Review Neuroscience).
    • Antidepressiva können die Plastizität erhöhen – unter bestimmten Bedingungen:
      Auch herkömmliche Antidepressiva erhöhen die Plastizität im Gehirn, wie Forscher beim Ketamin gefunden haben, und zwar, indem sie an Kalzium-Kanäle von Nervenzellen andocken. Sie binden ausserdem – genauso wie Ketamin – an spezielle Rezeptoren der Hirnzellen und verändern deren Gestalt, sodass ein bestimmter Wachstumsfaktor besser andocken kann. Er sorgt dafür, dass mehr dieser Rezeptoren in die Hülle der Nervenzellen eingebaut werden und verstärkt so die Übertragung von Signalen (Cell: Casarotto et al., 2021).
      Und schliesslich könnte die neue Hypothese sogar eine Erklärung dafür liefern, warum Antidepressiva kein Allheilmittel sind und nicht in jedem Fall helfen. Dass sich Hirnzellen besser verschalten, ist nämlich nur die Grundbedingung für die Genesung. Medikamente können ein Fenster öffnen. Aber damit sich wirklich etwas zum Guten verändert, muss es draussen etwas Neues zu sehen geben.
      Zum Umlernen braucht es beides, Plastizität im Hirn und neue Erfahrungen: Aktivitäten, die Freude bereiten; Menschen, die einem guttun. Und manchmal eine Psychotherapie.
      Tatsächlich wirkt die Kombination von Antidepressiva und Psychotherapie besser als jede der Behandlungen allein, das zeigen verschiedene Metaanalysen (World Psychiatry: Cuijpers et al., 2020,Depression and Anxiety: Cuijpers et al., 2009, Psychological Medicine: Kamenov et al., 2017 ). Diese Situation wird mit einer Autopanne verglichen: Antidepressiva können das Auto reparieren, aber welche Richtung die Patienten danach einschlagen, hängt von vielen Faktoren ab. Eine Psychotherapie wirkt wie eine Beschilderung, die den Weg zur Genesung zeigt.
    • Die Erkenntnisse der Forscher fügen sich allmählich zu einem neuen Bild der Depression – und der Effekte von Antidepressiva: Die Medikamente wirken vermutlich gar nicht per se stimmungsaufhellend, sondern ermöglichen vor allem Veränderung, indem sie Menschen empfänglicher für Einflüsse von aussen machten.
      Das würde auch den merkwürdigen Befund der Wissenschaftlerinnen vom Istituto Superiore di Sanità erklären: Wenn das soziale Umfeld stabil ist, können die Medikamente dessen positiven Wirkungen verstärken. Wenn aber Beziehungen und Sicherheit fehlen, dann können die Pillen auch diese negativen Einflüsse verschärfen!
      Umso wichtiger ist es also, dass besonders Patientinnen und Patienten in schwierigen sozialen Situationen nicht nur Antidepressiva, sondern auch Unterstützung von Psychotherapeuten erhalten. Die Realität sieht jedoch anders aus: Gerade Kranke mit niedrigem Einkommen, einem geringen Sozialstatus und ohne Arbeit bekommen häufiger Psychopharmaka auf Dauer verschrieben. Und wer weniger gebildet ist, nimmt seltener eine Psychotherapie in Anspruch.
      Zudem leiden Menschen mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung ohnehin fast doppelt so häufig unter Depressionen wie Menschen mit einem hohen sozialökonomischen Status.
      Diejenigen, die es ohnehin nicht leicht haben, trifft es also gleich dreifach schwer: Sie bekommen eher eine Depression, ihnen helfen Antidepressiva offenbar im Schnitt weniger gut und sie erhalten seltener eine Psychotherapie. Höchste Zeit, nicht ein vermeintliches chemisches Ungleichgewicht zu behandeln – sondern ein soziales.
      (zitiert aus der ZEIT, 28. März 2023, von Stefania Kara)
    • Antidepressiva nützen nur, wenn der Patient diese auch will und sich eine gute Wirkung erhofft!
    • Medikamentöse antidepressive Therapie beginnt man mit niedriger Dosierung, eventuell zusammen mit Tranquilizer oder Hypnotikum, gibt möglichst rasch eine mittlere Dosis und wechselt das Mittel, wenn keine Zustandsverbesserung nach 3-4 Wochen und Maximaldosis während 10-14 Tagen.
      Auch ein hochdosiertes Johanniskraut-Extrakt über mindestens 3 und mehr Monaten eingenommen, kann wesentlich erleichtern. (Achtung: zahlreiche Interaktionen, die wahrscheinlich zum Teil auf Induktion CYP-450-abhängiger Enzyme beruhen, sind inzwischen beschrieben: erniedrigte Plasmaspiegel von oralen Antikoagulanzien, Digoxin, Ciclosporin, Theophyllin und trizyklische Antidepressiva, Durchbruchblutungen unter desogestrolhaltigen Antibabypillen und Symptome eines Serotoninsyndroms bei Kombination mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (neuere Antidepressiva). Zwei Wochen Abstand zwischen Einnahme von Johanniskraut und den Antidepressiva, aber auch vor Operationsnarkosen (!) erscheint ratsam. (arznei-telegramm 1/2000, 15)
    • Psychedelika (Ketamin) gegen Depressionen
      Wie wirkt dies?
      Der Körper wird leicht und schwebt.
      Das unaufhörliche Rasen negativer Gedanken stoppt. Plötzlich kann man sich auf ein Detail im Raum oder einen kleinen Teil seines Körpers konzentrieren.
      Es ist erleichternd, einfach mal eine Pause vom eigenen Kopf zu haben.
      Diese Leichtigkeit, diese Pause zu erfahren, ist wichtig für Patienten, die schon monatelang depressiv sind. Ketamin zeigt ihnen, dass dieses gute Gefühl noch in ihnen steckt, nur durch die Depression verschüttet.
      Man muss verstehen, was eine Depression mit der Lernbereitschaft des Menschen zu tun hat. Lernen ist eine wichtige Aufgabe des Gehirns. Wenn ich viel Französisch spreche, werde ich mit der Zeit immer besser. Das funktioniert, weil sich die Zellen im Hirn neu verdrahten.
      Die Depression dagegen ist eine Fehlfunktion des Lernens. Patienten kreisen immer um das gleiche Problem oder kommen nicht über ein Trauma hinweg. Heilung bedeutet, dass sie lernen, aus diesen Gedankenschleifen auszubrechen und eine andere Sichtweise auf ihr Problem einzunehmen.
      Man nimmt an, dass Psychedelika bei diesem Lernprozess helfen, indem sie die Neuroplastizität erhöhen. Das bedeutet: Die Nervenzellen werden kommunikativer. Ihre Zellfortsätze verlängern und verästeln sich. Sie wachsen zu Bäumchen und nehmen Kontakt mit Nachbarn auf.
      Wenn die Nervenzellen Bäume sind, so sind Psychedelika ihr Dünger. Sowohl Ketamin als auch klassische Psychedelika sorgen dafür, dass die Zellen der äusseren Hirnrinde ein Molekül herstellen, das die Nervenzellen anregt, zu wachsen und sich zu vernetzen. Unklar ist noch, wie lange die erhöhte Neuroplastizität anhält.
      Aber selbst wenn der Patient nur ein begrenztes Zeitfenster gewinnt, um aus der Blockade, die die Depression auslöst, herauszufinden, reicht das, um eine neue Erfahrung zu machen. Traut er sich wieder aus dem Haus, dann hat bereits eine Verhaltensänderung, ein Lerneffekt stattgefunden. Und das motiviert, weiter an der Depression zu arbeiten.
      Man kann sich das auch so vorstellen: Bei einer Depression laufen die Gedanken wie auf einer vorgespurten Loipe im Schnee. Und das immer wieder in der gleichen Spur. Einmal drin, kommt man schwer wieder raus. Psychedelika verwischen diese Loipe. Sie erlauben den Gedanken, neue Spuren durch den Schnee zu finden.

    …und dann noch:

    • Viele Internetseiten versprechen Hilfe bei depressiven Störungen. Doch welche wirken? Zu den von der Stiftung Warentest als wirksam getesteten Angeboten zählt moodgym.de.
      Fünf Übungsblöcke auf verhaltenstherapeutischer Basis helfen bei leicht depressiver Symptomatik, neue Wahrnehmung zu trainieren und unterstützendes Verhalten zu lernen, beispielsweise belastende Gedankenmuster durch neue zu ersetzen.
    • Depression & Erschöpfung:
      kostenlose Onlinetrainings von Universitäten-Gruppe:
      https://geton-training.de/: bei Tumorerkrankungen; bei koronaren Herzkrankheiten; bei Diabetes; bei Rückenschmerz und Arbeitsunfähigkeit
    • und ein interessantes Buch zum Thema:
      David Servan-Schreiber: Die neue Medizin der Emotionen: Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente, 2003, Goldmann.
    • Liebe und Kunst helfen uns, unsere Melancholie in gute Bahnen zu lenken – das Glück, traurig zu sein: Joke J. Hermsen, Melancholie in unsicheren Zeiten. HarperCollins, Hamburg 2021
    • Randolph Neeses Buch „Good Reasons for Bad Feelings lesen.
    • UNTER DER GLASGLOCKE:
      Depressionen sind eine Krankheit der Lebenswelt, eine des Leibes, des Raumes, der Zeit und mithin der Intersubjektivität. Depressionen haben heisst keine Zukunft zu haben, weder denken noch fühlen zu können, dass sich an der konturlosen Unzeit, die man sein Leben nennt, irgendetwas ändert. Es heisst, sich nicht da-seiend, nicht präsent zu fühlen, die Gegenwart als zähe Dauer zu erfahren – die Zeit zu erleben, anstatt sie zu leben – , und von einer lastenden Vergangenheit bedroht, beschämt und grausam erniedrigt zu werden. Was in vermeintlicher Nähe geschieht, fühlt sich unendlich fern an. Die Welt ist stumm, sie spricht nicht zu dir, oder in bedrohlicher Weise. Das Bewusstsein für jeden Horizont ist zerrüttet, das Angebot, das einem die Welt offeriert, verknappt sich auf radikale Weise. Potentialitäten verheissen nichts mehr, versprechen nur Schlimmeres vom Gleichen.
      (Christoph David Piorkowski veröffentlicht am 29 Juni 2022  in PhilosophieMagazin)

    Die beste Nachricht kommt ganz zum Schluss: Depressionen können sehr schwer sein – aber sie sind fast immer heilbar. Den allermeisten Menschen geht es irgendwann wieder gut, auch wenn sie sich das in ihren dunkelsten Tagen nicht vorstellen können.

    Das Leben wird wieder hell und leicht.

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    11. April 2025

  • Diabetes Typ 2

    Diabetes Typ 2

    Was tun? Neue Ansätze, um den Diabetes zu verzögern und Risiken zu senken

    • Gewicht abnehmen
    • Mediterrane Küche mit Oliven-, Lein- oder Rapsöl, Nüssen (eine Handvoll täglich) und viel Gemüse, Obst (nur 2 Handvoll!) und v.a. viel Hülsenfrüchte – wenig Fleisch.
      In Kürze hier in meinem Blog.
    • KEIN BROT! KEINE FRUCHTSÄFTE!
    • Keine Zwischenmahlzeiten: maximal nur 2 bis 3mal täglich essen – mit mindestens 4.5 Stunden Intervall (aber auch nicht nur einmal!).
      Längere Zeitabschnitte (am besten 16 bis 72 Stunden) ohne jegliche Hartnahrung: Kurz- oder Intervallfasten (16:8 oder 14:10).
    • Die ideale Reihenfolge während einer Mahlzeit ist:
      1. zuerst die Ballaststoffe (Gemüse, Salat, Nüsse), dann
      2. die Proteine (Käse, Hülsenfrüchte, Fisch, Ei) und nur zum Schluss eventuell
      3.) die Stärke (Brot, Pasta) und wenig Zucker (als Dessert!).
      .
    • Kein oder wenig Grillieren von rotem Fleisch.
    • Grüntee (4 Tassen/d) – Zimt (1 bis 6 Gramm pro Tag) – Hafer (3 oder mehr Esslöffel Flocken täglich – an 2 Tagen im Monat nur Haferprodukte essen mit viel Tee und Wasser)
    • Kaffee (3 bis 4 täglich – auch ohne Koffein)
    • Ein Ei täglich essen.
    • Ferritin (Eisenspeicher) senken – Blut spenden, Konsum an rotem Fleisch senken!
    • Selten stark verarbeitete, nicht naturbelassene Nahrungsmittel (Fertigpizza)
    • Keinerlei Süssstoffe
      .
    • genügende Schlafdauer
    • Metformin (bei einem BMI über 30 ev. auch als Prävention?)
    • Falls man Blutdruckmedikamente schlucken muss: ABENDS einnehmen.

    Pro 1 Kilogramm Gewichtsverlust ergibt sich eine Reduktion des Diabetes um 13 Prozent. Bei Gewichtsverlust von 20 kg verschwindet der Diabetes mellitus-Typ II in 95 Prozent.

    Die Ergebnisse der untenstehenden Studie liefern klare Hinweise, dass ein Typ-2-Diabetes – der nicht länger als 6 Jahre bekannt ist – keine lebenslange Erkrankung ist. Mit einer Gewichtsreduktion kann die diabetische Stoffwechsellage bei einem erheblichen Teil der Patienten normalisiert werden. (Lean MEJ et al. Primary care-led weight management for remission of type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet 2018; 391: 541-51)

    Das metabolische Syndrom und der Typ-2-Diabetes als Wegbereiter des Herzinfarktes >>> siehe hier

    „Prädiabetes“ – Wie steigert man in der Gesellschaft die Anzahl „prä-kranker“ Menschen?

    Kommentar zum Systematic Review im BMJ über Prädiabetes (Barra E. et al. Efficacy and effectiveness of screen and treat policies in prevention of type 2 diabetes: systematic review and meta-analysis of screening test and interventions. BMJ 2017; 356: i6538):
    „Diese Studie ist ein Beispiel dafür, was Eugen Bleuler (Psychiater, Direktor an der Psychiatrischen Uniklinik Zürich) vor 100 Jahren mit dem Titel seines Buches „Das autistisch-undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung“ angesprochen hat.
    Es wird ein neuer – eine Krankheit andeutenden – Begriff kreiert, von wem auch immer, der einen nicht unbeträchtlichen Teil der Menschen als zumindest prä-krank klassifiziert. Zu alledem kommt noch, dass diese „Prä-Krankheit“ nicht einmal klar definiert ist, also je nach Interesse einmal so oder so definiert wird. Wissenschaftliche Medizin setzt voraus, dass Begriffe und Kategorien klar definiert werden.
    Die Undiszipliniertheit ist noch nicht überwunden. Man sollte sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung den krankmachenden Institutionen und Behörden nur noch den Rücken zeigt!“ (www.evimed.ch/journal-club/artikel/detail/prae-diabetes-wie-steigert-man-in-der-gesellschaft-die-anzahl-praekranker-menschen/ – aus dem Horton-Zentrum für evidenzbasierte Medizin der Universität Zürich)

    Beim «Altersdiabetes» oder Typ-2-Diabetes ist nicht nur der Kohlehydratstoffwechsel gestört

    In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die zum Typ-2-Diabetes führenden Veränderungen im Kohlehydratstoffwechsel zusammen mit Übergewicht, Bluthochdruck und abnormen Blutfettwerten Ausdruck einer komplexen metabolischen Störung sind. Zum metabolischen Syndrom, wie die Kombination dieser kardiovaskulären Risikofaktoren heisst, kommt es durch Wechselwirkung von genetischen und Umweltfaktoren.

    Der Diabetes mellitus Typ 2 (früher auch Altersdiabetes genannt) hat laut wiederkehrenden Meldungen epidemische Ausmasse erreicht – die Zahl der Zuckerkranken, die heute weltweit auf gut 150 Millionen geschätzt wird, soll sich bis ins Jahr 2025 gar verdoppeln. Neben den direkten Kosten durch die Diabetes-Therapie und der Tatsache, dass das Leiden eine wichtige Ursache der Erblindung, des chronischen Nierenversagens sowie von Amputationen darstellt, wird das gegenüber Nichtdiabetikern ganz erheblich erhöhte Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten betont – Diabetiker erleiden nämlich doppelt bis viermal so häufig einen Herzinfarkt. Besonders beunruhigend ist, dass die arteriosklerotischen Veränderungen oft schon Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit nachgewiesen werden können, offenbar verursacht durch bestimmte Stoffwechselstörungen, wie sie im Rahmen des sogenannten metabolischen Syndroms auftreten. Dieser Symptomkomplex umfasst eine Reihe von Merkmalen, die allesamt Risikofaktoren für kardiovaskuläre Krankheiten sind. Das offenkundigste Zeichen des metabolischen Syndroms, die Fettleibigkeit (Adipositas), gilt denn auch als eigentliche Ursache der weltweiten Diabetes-Epidemie.

    Studiendaten haben in letzter Zeit eine reziproke Wechselwirkung von Glukosemetabolismus und Lipidstoffwechsel suggeriert: Personen mit genetisch bedingt tiefem LDL-Cholesterin haben ein höheres Diabetesrisiko als Personen mit hohem LDL-Cholesterin. Eine Statintherapie (=Fettsenker) scheint hier zusätzlich zu interferieren und erhöht entsprechend das Risiko für einen neu diagnostizierten Diabetes mellitus, wobei es sich vorwiegend um einen Typ-2-Diabetes handelt.

    Der Bauchumfang ist der Indikator für das Diabetesrisiko

    Allein der Bauchumfang kann vorhersagen, ob jemand an Diabetes erkranken wird. So haben Frauen mit einem Bauchumfang von mehr als 89 cm ein 32-fach erhöhtes Diabetesrisiko im Vergleich zu Frauen mit weniger als 80 cm.
    Und Männer mit einem Bauchumfang von mehr als 102 cm sind 22-mal stärker Diabetes-gefährdet als Männer mit weniger als 94 cm Bauch!

    Alles beginnt oft schon im Kindesalter

    Siehe dazu den sehr informativen offenen Brief der foodwatch.org an die deutsche Regierung!

    Insulinresistenz, Hyperinsulinismus und Betazell-Dysfunktion

    Die Einsichten in die dem Typ-2-Diabetes zugrunde liegenden genetischen und biochemischen Veränderungen und deren enge Verknüpfung mit der Fettleibigkeit und der Entstehung von Herz- Kreislauf-Krankheiten haben sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Diabetes, Bluthochdruck, Fettleibigkeit oder abnorme Blutfettwerte werden heute nicht mehr als eigenständige Risikofaktoren betrachtet, sondern gelten allesamt als Ausdruck einer komplexen Stoffwechselstörung, deren metabolisches Leitsymptom die sogenannte Insulinresistenz ist: das ungenügende oder fehlende Ansprechen der Muskel-, Fett- und Leberzellen auf die Wirkungen von Insulin. (Wird vom Hausarzt mittels des oralen Glukosetoleranztests gemessen).

    Bis vor nicht allzu langer Zeit glaubte man, dass der Diabetes mellitus Typ 2, an dem rund 90 Prozent aller Zuckerkranken leiden, Ausdruck eines Defektes der Insulinrezeptoren an den Körperzellen sei. Doch nur in ganz seltenen Fällen findet sich tatsächlich eine Mutation auf Rezeptorebene. Viel eher scheinen zahlreiche, vom im übermässig vorhandenen Bauchfett abgegebene Substanzen, vermehrt im Blut zirkulierende Fettsäuren sowie möglicherweise auch Störungen im Eisenstoffwechsel, die an der Vermittlung der Insulinwirkung beteiligten intrazellulären Proteine und Mechanismen zu beeinflussen, so dass es zur Insulinresistenz kommt. (Der Typ-1-Diabetes dagegen ist eine Autoimmunerkrankung.)

    Typ-2-Diabetes ist auch eine Entzündungskrankheit

    Es existiert eine klare Interaktion zwischen dem Stoffwechsel und dem Immunsystem. Steroidhormone (Kortison!) als potente Immunsuppressoren sind schon lange auch für ihre hyperglykämische Wirkung bekannt. Die Insulinresistenz und der Insulinsekretionsdefekt ist in wesentlichen Aspekten eine pathologische Reaktion des Immunsystems – auch die wichtigsten Komplikationen des Diabetes: Herz-Kreislauf, Nieren- und Augen-Krankheiten.

    Dieser Zusammenhang von Immunsystem und Stoffwechsel (auch Immuno-Metabolismus genannt) beschreibt Jacques Philippe schön in einem Artikel der Schweiz Med Forum 2018 (aber auch die Ernüchterung einer antientzündlichen, medikamentösen Therapie dagegen).

    Auch die Zusammensetzung unserer Darmflora spielt in diesem Zusammenhang wahrscheinlich eine sehr grosse Rolle bei der Entstehung der Insulinresistenz (siehe dazu weiter unten).

    Diabetes und Psyche: Angst vor Folgekrankheiten ist die grösste Belastung

    Diese Angst und eine folgende Depression kann auch die Zytokine erhöhen und damit die Entzündungsneigung erhöhen – und dies wiederum den Diabetes verstärken: ein unheilvoller Teufelskreislauf!

    Diabetes und die Entzündung des Nervensystems

    Dies ist der gemeinsame Nenner von vielen Krankheiten, die mit dem Diabetes kombiniert auftreten können: Weiterlesen >>>

    Hyperinsulinismus – stets zu viel Insulin im Blut

    Während langer Zeit kann das verminderte Ansprechen von Muskulatur, Fett- und Lebergewebe mit einer gesteigerten Insulinproduktion kompensiert werden, denn die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse vermögen ihre Leistung um das Zehnfache zu steigern. Dadurch bleiben die Blutzuckerspiegel vorerst normal bei allerdings gleichzeitig erhöhten Insulinwerten.
    Dieser sogenannte Hyperinsulinismus ist wahrscheinlich mitbeteiligt an der Entstehung des Bluthochdrucks und beeinflusst zudem die Verteilung der Blutfette ungünstig – beides wohlbekannte kardiovaskuläre Risikofaktoren. (Ich muss betonen, dass ich hier nicht von der sehr seltenen genetischen Stoffwechselstörung spreche, von der es auf der Erde wenige 100 Familien gibt, die ein HI-Kind haben. Diese Kinder leiden stark unter dem erhöhten Insulin, dass zu ständigen Hypoglykämien führt und dadurch Hirnstörungen verursachen kann. Diese Kinder müssen  trotz Essstörungen entweder mit Peg-Sonde oder mit Zwang mit Kohlehydraten ernährt werden, da die Kinder sonst nicht überleben. Diese Kinder kommen häufig mit einem Blutzuckerspiegel von 0 auf die Welt: mehr Infos darüber unter www.hyperinsulinismus.de).
    In der Praxis ist der Insulinspiegel jedoch nicht zuverlässig messbar. Einen Hinweis auf die Insulinsekretion bzw. auf ein Insulinresistenzsyndrom erhält der Arzt aus dem Body-Mass-Index (über 25) sowie dem Quotienten aus Triglyceriden und dem HDL-Cholesterin (TG/HDL-Ratio > 3,5).
    Nach Jahren vermag die Bauchspeicheldrüse schliesslich den immer grösseren Insulinbedarf nicht mehr zu decken: Die Betazellen erschöpfen sich und gehen teilweise zugrunde. Die Blutzuckerspiegel steigen an, der Diabetes wird manifest. Die Inselzellen brennen also einerseits regelrecht aus. Andererseits scheinen sie aber auch direkt durch die vermehrt zirkulierenden Fettsäuren sowie chronisch erhöhte Glukosespiegel geschädigt zu werden.

    Doch die Insulinresistenz ist nicht alleinige Ursache der zunehmenden Überforderung der Insulin produzierenden Zellen. Vielmehr dürfte eine vorbestehende, vererbte Schwäche der Betazellen durch die erhöhten Anforderungen demaskiert werden. So ist bei Personen, die später einen Diabetes mellitus entwickeln, die sogenannte Frühphase der Insulinsekretion bereits Jahre vor Ausbruch der Krankheit (meistens unerkannt) gestört – die Bauchspeicheldrüse ist also schon frühzeitig nicht mehr in der Lage, die Spitzen der Blutglukosewerte, wie sie unmittelbar nach einer Mahlzeit auftreten, aufzufangen.
    Ein ganzes Paket an Studien weist sogar darauf hin, dass die Hyperinsulinämie an der Entstehung unterschiedlicher Krankheitsbilder wesentlich mitbeteiligt ist. Sie scheint ein „Missing Link“ zu sein, der begründet, warum beispielsweise Übergewicht zu höheren Fallzahlen von Brust-, Dickdarm- oder Prostatakrebs führt. Daneben kann eine Fettleber (nicht-alkoholische) entstehen, polyzystische Ovarien und eine Schlafapnoe!
    Beste und einfachste Massnahme gegen den Hyperinsulinismus: Längere Zeitabschnitte (am besten 16 bis 72 Stunden) ohne jegliche Hartnahrung: Kurz- oder Intervallfasten (16:8 oder 14:10), dann kann der Insulinspiegel regelmässig wieder sinken und auf Null zurückgehen. Der gesamte Insulinstoffwechsel erholt sich!

    Wechselwirkung von Genen und Umwelt

    Unterdessen ist klar, dass in der Entstehung des Typ-2-Diabetes eine Vielzahl von genetischen und Umweltfaktoren wie Fehlernährung und mangelnde Bewegung zusammenspielen, die schliesslich zur zunehmenden Entgleisung des Stoffwechsels führen. Auf Grund von Tiermodellen, den raren Fällen des dominant vererbten, sogenannten Mody-Diabetes sowie Untersuchungen bei verschiedenen ethnischen Gruppen mit unterschiedlicher Diabetes-Häufigkeit konnten in den letzten Jahren verschiedene Gendefekte festgemacht werden, die mit einem erhöhten Diabetes-Risiko einhergehen. Doch weder bei den verschiedenen Typen des Mody-Diabetes noch bei den Pima-Indianern in Arizona, die im Rahmen der zunehmenden «Verwestlichung» immer dicker geworden sind und unterdessen die weltweit höchste Diabetes-Prävalenz aufweisen, gibt es ein eigentliches «Diabetes-Gen». Auch in diesen Fällen scheinen Mutationen in verschiedensten Genen in jeweils unterschiedlicher Kombination zu den fatalen Stoffwechselstörungen zu führen.
    Dass die Gene beim Typ-2-Diabetes eine grosse Rolle spielen, zeigt die Tatsache, dass zuckerkranke Patienten in rund 40 Prozent der Fälle mindestens einen Elternteil haben, der ebenfalls an einem Diabetes mellitus Typ 2 leidet. Und bei eineiigen Zwillingspaaren beträgt die Konkordanz gar fast 90 Prozent. Zudem zeigen Kinder diabetischer Eltern oft schon früh Zeichen der Insulinresistenz und erhöhte Insulinwerte im Blut, selbst wenn sie nicht übergewichtig sind.

    Ob dicke Personen mit einer Insulinresistenz tatsächlich eine genetische Ausstattung haben, die ihnen vor Jahrtausenden das Überleben auch bei äusserst knapper Nahrung ermöglicht hätte, wie dies eine gängige Theorie postuliert, muss offen bleiben. Ebenso spekulativ ist der unter anderem auf Grund der Analyse von knapp 70 000 Frauen (im Rahmen der sogenannten Nurses Health Study) vermutete Zusammenhang zwischen einem niedrigen Geburtsgewicht (was auf einen vorgeburtlichen Nährstoffmangel schliessen lässt) und einem späteren Diabetes. Nur diejenigen der untergewichtigen Kinder, so die Idee, die besonders gut mit den knappen Ressourcen umgehen können, überleben. Tatsache aber ist, dass dieser evolutionär möglicherweise vorteilhafte Genotyp heute zur oft tödlichen Bürde geworden ist.

    Mediterrane Ernährung für DM2

    Italienische und UK Forscher verglichen den Effekt von low- carb Mediterrane Ernährung mit low-fat Diät mit dem Verbrauch von Antidiabetes-Medikamenten bei Patienten mit neulich diagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.
    Sie fanden: „After 4 years, 44% of patients in the Mediterranean- style diet group and 70% in the low-fat diet group required treatment (absolute difference -26.0 percentage points, hazard ratio 0.63, hazard ratio adjusted for weight change 0.70). Participants assigned to the Mediterranean- style diet lost more weight and experienced greater improvements in some glycemic control and coronary risk measures than did those assigned to the low- fat diet.“
    Die Autoren schlossen daraus: „Compared with a low-fat diet, a low- carbohydrate, Mediterranean-style diet led to more favorable changes in glycemic control and coronary risk factors and delayed the need for antihyperglycemic drug therapy in overweight patients with newly diagnosed type 2 diabetes.“ (Annals of Internal Medicine 151(5):306-314, 1 September 2009 © ; Effects of a Mediterranean-Style Diet on the Need for Antihyperglycemic Drug Therapy in Patients With Newly Diagnosed Type 2 Diabetes-A Randomized Trial. Katherine Esposito et al.)

    Die mediterrane Ernährung wirkt auch der Verarmung der Darmflora entgegen, was einen Diabetes massiv bessern kann:

    Viel Fett lässt die Darmflora verarmen und führt zu Adipositas und Insulinresistenz

    Es hat sich auch gezeigt, dass eine Verarmung unserer Darmbakterien mit Adipositas und auch einer Insulinresistenz einhergeht. Menschen, die mehr Gemüse und Früchte (Obst aber nur 2 Handvoll täglich) – und auch Vollkornprodukte essen, haben dagegen eine reichere Darmbesiedlung.
    Vielleicht ist dies auch ein weiterer Grund gegen zuviel Antibiotikatherapie, vor allem im Kleinkindesalter. Auch Kaiserschnittkinder und solche, die Flaschennahrung (anstatt Muttermilch) erhielten, haben übrigens weniger Bakterienvielfalt im Darm.

    10% mehr Fertigpizza macht 15% mehr Diabetes

    Das Risiko, einen DM zu entwickeln steigt massiv mir der Einnahme von nicht naturbelassenen Lebensmittel der schlechtesten Gruppe NOVA 4.
    Was allerdings für die möglichen negativen Wirkungen der stark verarbeiteten Lebensmittel verantwortlich sein könnte, kann bisher niemand genau sagen. Man müsste die Zusatzstoffe alle einzeln untersuchen. Das kann man mit Beobachtungsstudien nicht und die Interventionsstudien, die man dazu bräuchte, die gibt es kaum.
    Zum Teil lassen sich Effekte möglicherweise dadurch erklären, dass bereits bekannte Risikofaktoren wie Softdrinks ebenfalls zu den stark verarbeiteten Lebensmitteln gehören oder dass Schutzfaktoren wie Ballaststoffe in Fertigmahlzeiten seltener vorkommen. Das kann allerdings nicht komplett die berechnete Wirkung erklären.
    (jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/article-abstract/2757497)

    Auch Gewichtszunahme wurde in einer Interventionsstudie bereits mit stark verarbeiteten Lebensmitteln in Verbindung gebracht. Ein höheres Körpergewicht gilt ebenfalls als Risikofaktor für Typ-2-Diabetes.
    Die Autoren vermuten allerdings, dass noch weitere Inhaltsstoffe oder Eigenschaften der stark verarbeiteten Lebensmittel eine Rolle spielen. Wegen der meist langen Haltbarkeit könnten mehr Stoffe aus Verpackungsmaterial in stark verarbeiteten Lebensmitteln und Getränken zu finden sein. Menschen, die mehr Softdrinks trinken, trinken diese oft aus Plastikflaschen, da könnten auch Weichmacher eine Rolle spielen.

    Süssstoffe lässt auch die Darmflora verarmen

    Frühere Studien lieferten bereits Hinweise, dass ein hoher Süssstoff-Konsum mit einer schlechteren Blutzucker Kontrolle verbunden ist und dass der HbA1c-Wert mit zunehmendem Konsum süssstoffhaltiger Getränke ansteigt.

    Kalorienfreie Süssstoffe beeinträchtigen offenbar die Aufnahme und die Kontrolle des Blutzuckers, indem sie das Darmmikrobiom durcheinanderbringen, wie australische Forscher erstmals zeigen konnten. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass künstliche Süssstoffe sich möglicherweise auch verheerend auf die blutzuckersenkende Medikation von Patienten mit Diabetes auswirken könnten [54th Annual Meeting of the European Association for the Study of Diabetes (EASD), 1. bis 5. Oktober 2018, Berlin].

    Und hier:
    Eine sehr umfassende und sorgfältige Studie findet, dass diverse, bisher als metabolisch neutral angesehene künstliche Süssstoffe zu charakteristischen Veränderungen des kolorektalen (intestinalen) Mikrobioms und damit zusammenhängenden sekundären Veränderungen bei einer Reihe von systemisch zirkulierenden Metaboliten («Metabolom») führen. Die Folge davon war, was man eigentlich verhindern möchte: Die Glukosetoleranz verschlechterte sich signifikant, wobei die interindividuellen Unterschiede recht gross waren. Die klinischen Implikationen künstlicher Süssstoffe könnten also negativer Art sein, die Ernährungsberatung mithin (nochmals) schwieriger.
    Cell. 2022, doi.org/10.1016/j.cell.2022.07.016

    Welche süssen Lebensmittel kommen dann für Diabetiker überhaupt in Frage?

    Datteln, Rosinen und Granatapfelsaft lassen den Blutzucker kaum ansteigen. Sie enthalten viele gesunde Pflanzenstoffe. Deshalb eignen sie sich auch zum Süssen von Speisen wie Müesli oder Desserts. Betroffenen, denen der Verzicht auf Süsses schwerfällt, haben mit diesen Lebensmittel eine gute Alternative. Studien haben gezeigt, dass Granatapfelsaft, Datteln und Rosinen den Blutzucker nicht erhöhen.
    Mit Datteln und Nüssen kann man feine Energiebällchen zubereiten. Am besten isst man die Bällchen nach dem Mittagessen. Dann ist der Blutzuckerspiegel schon erhöht, und man kann die zusätzlichen Kalorien im Lauf des Tages besser verwerten.

    Häufiges Grillieren von rotem Fleisch ist auch nicht günstig

    Unabhängig von der Menge an verzehrtem roten Fleisch ist die Häufigkeit, mit der man Fleisch bei hohen Temperaturen im Herd oder auf dem Grill zubereitet, mit einem höheren Diabetesrisiko verbunden:
    Mehr als 2-mal in der Woche ein Stück rotes Fleisch im Ofen zu grillen, ist mit einem um 30% höheren Diabetesrisiko verbunden,
    bei Zubereitung auf dem Grill erhöhte sich das Risiko um 25%,
    beim Braten im Ofen um 10% – jeweils im Vergleich zu jemandem, der diese Garmethoden seltener als einmal im Monat nutzt.
    Die Häufigkeit von Schmoren/Kochen ist dagegen nicht mit dem Risiko für Typ-2-Diabetes verbunden.
    (http://care.diabetesjournals.org/content/early/2017/05/31/dc17-0204)

    Nüsse statt Kohlenhydrate

    Typ-2-Diabetiker, die Kohlenhydrate in ihrem täglichen Diätplan durch gemischte Nüsse ersetzen, schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe! Sie verbessern nicht nur ihre Blutzuckerkontrolle, sondern auch ihr Lipidprofil (Blutfette). In einer randomisierten kanadischen Studie (Diabetes Care, doi: 10.2337/dc11-0338) nahmen Diabetiker mal 3 Wochen lang täglich 475 kcal (= 75g/Tag) ihrer insgesamt 2000 kcal enthaltende Diät als gemischte Nüsse, Muffins oder jeweils die Hälfte von beiden zu sich. Wichtigster Endpunkt war die Veränderung des HbA1c-Wertes. Dieser sank statistisch signifikant nur in der Gruppe, welche die volle Nuss-Portion erhalten hatte. Auch das LDL-Cholesterin nahm nur in dieser Gruppe signifikant ab.

    Kaffee wirkt prophylaktisch gegen den Diabetes Typ II

    Menschen, die 3 bis 4 Kaffee täglich trinken haben gemäss einer grossen Studie 37% weniger Risiko einen Diabetes zu entwickeln, als diejenigen die nur einen Kaffee täglich tranken.
    Auch konnten die Leute mit täglich eineinhalb Kaffee mehr ihr Risiko um 11% senken.
    Übrigens half auch genau so gut entkoffeinierter Kaffee!
    (Bhupathiraju SN, Pan A, Manson JE, et al. Changes in coffee intake and subsequent risk of type 2 diabetes: three large cohorts of US men and women. Diabetologia. 2014;57:1346-1354. Abstract

    Grüntee verbessert Diabetes

    Täglich viel Grüntee senkt signifikant in einer japanischen Studie das HbA1c, welcher als wichtigster Laborparameter für den Diabetes mellitus gilt. Der Grüntee muss aber medizinisch richtig zubereitet werden, damit alle Polyphenole (Catechine) erhalten bleiben:

    Was muss ich beachten, wenn Grünteetrinken wirklich einen medizinischen Wert haben soll:
    – Ein bis eineinhalb Liter täglich trinken.
    – Drei gehäufte Esslöffel Pulver auf einen Liter.
    – Pestizidfreien Grüntee wählen („Bio“).
    – Kalziumarmes Wasser benützen.
    – Zwischen 60 und 80 Grad warmes Wasser zum Aufguss benützen.
    – Fünf bis zehn (ev. bis zwanzig!) Minuten einwirken lassen.
    – Ein paar Tropfen Zitronensaft im Tee schützt die Polyphenole vor den Verdauungssäften.
    (European Journal of Clinical Nutrition 62:953-960, August 2008)

    Wer regelmässig Grüntee trinkt, kann sein Diabetes-Risiko reduzieren, melden auch chinesische Forscher. Sie analysierten die Daten aus 17 Studien mit insgesamt 1100 Personen. Es zeigte sich, dass der Konsum von Grüntee den Nüchtern-Blutzucker signifikant senkte («American Journal of Clinical Nutrition», Bd. 98, S. 340). Mit vier Tassen Grüntee pro Tag liess sich das Diabetes-Risiko um 20 Prozent vermindern. Verantwortlich für den Effekt dürften auch hier die im Grüntee enthaltenen Catechine sein.

    Ein Ei täglich vermindert Risiko für Diabetes

    Männer, die ein Ein pro Tag essen, haben ein 40% geringeres Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln (diabetes-und-eier.pdf).
    Eier sind eine reichhaltige Quelle für bioaktive Substanzen wie Carotinoide und Cholin, die sich positiv auf Faktoren wie Insulinresistenz, Entzündungen, Lipidoxidation oder den Stoffwechsel auswirken.
    Man sollte dabei beachten, dass dieser hohe Eierkonsum zusammen mit einem kleinen Fleischkonsum, einem kleinen BMI, keinen Zigaretten und viel Bewegung daher kommt.

    Haferflocken gegen Diabetes

    Haferflocken wirken sich positiv auf  den Blutzuckerspiegel aus. Hafer verschleimt den Nahrungsbrei im Darm, macht ihn dickflüssiger und verzögert dadurch die Aufnahme des Zuckers. Das kann nicht nur beim Abnehmen helfen, sondern auch bei Diabetes, wie eine Studie der Universität Heidelberg zeigt. Patienten konnten ihren Bedarf an Insulin bis zur Hälfte reduzieren und ihre Wert des Blutzuckers verbessern, wenn sie an zwei Tagen im Monat nur Haferprodukte assen und Tee oder Wasser tranken. Da sie weniger Insulin spritzen müssen, haben sie weniger Hunger und nehmen nicht zu. Haferflocken eignen sich auch zur Vorsorge für Menschen, die wegen ihr Übergewicht ein höheres Risiko für Diabetes haben oder an einer frühen Form der Krankheit leiden. Sie können so den drohenden Diabetes abwenden. Allerdings müssen die Betroffenen bemüht sein, auch sonst gesund zu essen und zu leben. Für Gesunde reicht zum Vorbeugen eine tägliche Portion von 35 Gramm Haferflocken aus. Das entspricht etwa 3 Esslöffel. Gegen erhöhte Fettwerte oder gar Diabetes empfehlen die Studien das Doppelte bis Dreifache. Die Nahrungsmittel Industrie bietet mittlerweile viele Fertigprodukte aus Haferflocken an. Allerdings verändert sich mit zunehmendem Verarbeiten der Gehalt an Nährstoffen und Fasern. Deshalb: Wenn jemand von den Vorteilen von Hafer profitieren will, dann wäre es wünschneswert, falls er eine möglichst wenig verarbeitete Quelle vorzieht. Haferflocken sind immer aus dem vollen Korn. Ob Haferflocken, Haferkleie oder Haferkörner macht keinen grossen Unterschied. Hafer lässt sich gut in den Alltag integrieren. Als Müesli zum Frühstück, als Suppe beim Mittagessen, als Zwischentrunk oder als warmen Porridge am Abend.
    Allerdings: Wer bereits Diabetes hat und dagegen Medikamente nimmt oder Insulin spritzt, spricht am besten vor der Haferkur mit seinem Arzt. Denn es besteht das Risiko einer Unterzuckerung.

    Blutspenden bessert Diabetische Stoffwechsellage

    Regelmässige „Aderlasse“ mit kostenfreien, grosszügigen und altruistischen Blutspenden bessert Hyperferritinämie mit Eisenüberlastung, wie man sie bei Hämachromatose und auch bei Diabetes sieht (übrigens auch Hyperferritinämie ohne Eisenüberlastung bei Metabolischem Syndrom, NASH oder polyzystischem Ovarialsyndrom). Es erhöht sich dabei die Insulinsensitivität, was beim Diabetes Wunder wirkt:
    Leute geht Blutspenden (auch prophylaktisch)!

    Viel Sitzen ist ganz schlimm

    Je länger Menschen am Stück sitzen, ohne zwischendurch aufzustehen und herumzugehen, desto schlechter reagiert ihr Organismus auf das Hormon Insulin und umso „süsser“ wird ihr Blut nach der Zufuhr erhöhter Glukosemengen. Erwartungsgemäss stand auch die im Laufe des Tages akkumulierte gesamte Sitzdauer in einer engen Beziehung zum Zuckerstoffwechsel. So tendierte der Metabolismus umso stärker in Richtung eines Diabetes, je mehr Sitzstunden pro Tag zusammen kamen.
    Versuchspersonen, die trotz allem noch körperlich aktiv waren, schnitten zwar besser ab als Bewegungsmuffel. Weder Sport noch andere vor Diabetes schützende Faktoren, darunter vor allem ein gesundes Körpergewicht, konnten die verhängnisvollen Bande zwischen Dauersitzen und Entgleisungen des Zuckerstoffwechsels allerdings auflösen.

    Stehpult verbessert Blutwerte

    BRISBANE (AUS) – Wer den ganzen Tag sitzt, läuft eher Gefahr, Herzkrankheiten oder Diabetes zu bekommen. Jetzt zeigt eine Studie: Büroangestellte, die einen Teil der Arbeit am Stehpult leisten, leben gesünder. Australische Mediziner untersuchten rund 700 Personen. Dabei fanden sie heraus, dass Personen, die zwei Stunden pro Tag stehen, bessere Cholesterin- und Blutzuckerwerte haben. (European Heart Journal )

    Schlaf und Diabetes

    Eine „kurze Nacht“ führt zu einem Blutzuckeranstieg – chronisch kurze Nächte fördern die Entwicklung und Verschlechterung eines Diabetes. Ein Risikofaktor kommt selten allein. Entsprechend überrascht es nicht, dass eine kurze Schlafdauer mit einem höheren Risiko eines metabolischen Syndroms verbunden ist. Längere Schichtarbeit und die aufgezwungene Störung der zirkadianen Rhythmik prädisponieren typischerweise zu Diabetes.

    Regelmässiges Kurzfasten gegen Diabetes

    In der letzten Zeit erlebt das Fasten, insbesondere das Kurzfasten – d.h. nur 16 bis maximal 72 Stunden lang nichts Festes essen und nur kalorienfreie Getränke trinken – selbst in der eher konservativen „Schulmedizin“ ein eigentliches Revival.
    Mit dieser Kürze der Fastenzeit vermeidet man viele starke Nebenwirkungen des längeren Nichts-Essens, wie die Übersäuerung der Gelenke (mit Gichtanfällen als Extrem) oder die Verstopfung und auch den nachträglichen Jo-Jo-Effekt, der bei regelmässigem Kurzfasten kaum auftritt.
    Das Kurzfasten ist – wie in meiner Hausarztpraxis x-fach erprobt – recht einfach realisierbar und meist sozial verträglich. Nehmen Sie dazu immer den Tag der Woche, an dem Sie meist am wenigsten Einladungen haben: zum Beispiel jeden Donnerstag.
    Man kann natürlich auch eine gemilderte Form einflechten: als Früchtetag, also einen ganzen Tag nur Früchte essen.
    Wieder entdeckt wurden die heilenden Seiten des Kurzfastens in der Onkologie (Tumortherapie) zur Verbesserung und Modulierung des Immunsystems vor Chemotherapien. Das positive Resultat, kurz skizziert, besteht aus mehr Wirkung der Medikamente gegen den Krebs mit weniger Nebenwirkungen auf andere Körperzellen!
    Wiederholtes kurzfristiges Fasten führt zu „zellulärem Selbstmord“ von Krebszellen! In neueren Studien findet man dabei, dass wiederholtes kürzeres Fasten effektiver und praktikabler ist als langfristiges. Das Fasten löst eine Art zellulären Stress aus. Bei gesunden Zellen führt dies zu Reaktionen, die gegen Schäden durch Sauerstoffradikale schützen. Solche Moleküle entstehen bei Hunger vermehrt. Ihre Produktion wird aber auch durch viele Chemotherapeutika (Medikamente gegen Krebs) angeregt und gilt als Hauptursache von deren starken Nebenwirkungen. 24 bis 72 Stunden Fasten vor der Chemotherapie bereitet normale Körperzellen offenbar gut auf hohe Konzentrationen von Sauerstoffradikale vor. Sie sind deshalb eher in der Lage, sich gegen die aggressiven Moleküle zu wehren. Krebszellen hingegen sind kaum fähig, diese Schutzmechanismen anzuschieben. Sie stellen sogar selber zusätzlich noch reichlich aggressive Moleküle her. Das führt dann dazu, dass sie letztlich „zellulären Selbstmord“ begehen.
    Diesen Effekt kann nun auch für Jedermann/-frau als einfache Verbesserung der Abwehr bei wiederkehrenden Infektionen diverser Ursachen benützt werden.
    Dann schlussendlich auch zur „Stoffwechsel-Erschütterung“ und als Wende bei schweren Krankheiten, wie Diabetes. Dazu hilft hier natürlich auch der „garantierte“, gleichzeitige Gewichtsverlust.

    Medikamente: Metformin zuerst – Insulin ist eher umstritten

    Von allen internationalen Gremien werden als initiale Therapie des Typ-2-Diabetes Lifestylemassnahmen sowie eine Medikation mit Metformin empfohlen. Metformin wurde ursprünglich aus der Geissraute gewonnen (siehe hier). Weniger Konsens existiert bei der Frage, durch welche Zusatzmedikation gegebenenfalls die Therapie zu intensivieren sei. In einer grossen Studie fanden Roumie  unter Metformin bei zusätzlicher Gabe von Insulin (im Vergleich zur Kombination mit Sulfonylharnstoffen) ein höheres Risiko für einen kombinierten, primären Endpunkt mit nicht-tödlichen kardiovaskulären Ereignissen und der Gesamtmortalität. Dabei waren das Risiko eines akuten Myokardinfarktes oder eines Schlaganfalls nicht erhöht, wohl aber die Gesamtmortalität.
    Diese Erhöhung der Mortalität scheint hauptsächlich auf einer erhöhten Krebsmortalität zu beruhen. Basierend auf diesen Daten darf man die Sulfonylharnstoffe als Ergänzung einer Metformintherapie einer frühzeitigen Insulintherapie sicher vorziehen. Damit scheint die althergebrachte Kombination von Metformin und Sulfonylharnstoffen – einmal mehr – gar nicht so schlecht! Es wäre häufig gut, die frühzeitige Indikation einer Insulintherapie generell zu überdenken (siehe aber zuunterst bei einem HbA1c über 8/9).
    (Roumie CL, Greevy RA, Grijalva CG et al. Association between intensification of metformin treatment with insulin vs sulfonylureas and cardiovascular events and allcause mortality among patients with diabetes. JAMA 2014 (11. Juni); 311: 2288-96)

    Blutdruckmedikamente unbedingt abends schlucken

    Wer Blutdrucksenker nimmt, schluckt ihn am besten abends (ausser Betablocker morgens).  Man erkrankt dann auch seltener an Diabetes. Dies zeigt eine neue Studie. Ein hoher Blutdruck und Diabetes gehen häufig miteinander einher. Die Forscher hatten mehr als 2000 Blutdruck-Patienten untersucht, die Medikamente erhielten. Die eine Hälfte nahm die Medikamente am Morgen, die andere vor dem Zubettgehen. Nach sechs Jahren entwickelten 171 Teilnehmer Diabetes. Das Erstaunliche: Patienten, welche die Medikamente am Morgen nahmen, waren doppelt so häufig betroffen. (Diabetologia. 2015 Sep 23: Bedtime ingestion of hypertension medications reduces the risk of new-onset type 2 diabetes: a randomised controlled trial. Hermida RC1 et al.)

    Wie stark soll bei Patienten mit Diabetes Typ 2 der HbA1c gesenkt werden?

    Grosse Studien (allen voran ACCORD, ADVANCE und UKPDS) haben in den letzten Jahren gezeigt, dass eine zu intensive Senkung auf nahezu das Niveau von Gesunden eher mehr Risiken bringt als Vorteile. Mittlerweile hat man diese und andere Studien näher analysiert. Es scheint, als ob eine individualisierte Blutzuckersenkung der beste Weg ist. Bei Älteren, insbesondere mit Vorerkrankungen am Herz-Kreislauf-System, ist eine intensive Blutzuckersenkung unter einem HbA1c von 7,5 nicht mehr sinnvoll, da vor allem schwere Unterzuckerungen das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfälle erhöhen, die Sturzgefahr wird grösser, Alzheimer wird möglicherweise begünstigt und es besteht die Gefahr von Übergewicht durch die Medikamente.
    Bei jüngeren, sonst gesunden Patienten hingegen macht eine intensive Blutzuckersenkung Sinn. Sie können auch durch Lebensstiländerung dem Übergewicht entgegenwirken.
    Allgemein kann man sagen, dass ein HbA1c über 8/9 eigentlich Alarm bedeutet und anzeigt, dass dann die Bauchspeicheldrüse in einem Burnout ist! Der Betazelltod würde dann einfach still und irreversibel weitergehen, falls man keine schnellen Gegenmassnahmen starten würde. Hier empfiehlt sich sogar (wenigsten vorübergehend eine Insulintherapie (aber noch nicht die Basis/Bolus-Insulintherapie, da diese dann lebenslang weitergeführt werden muss!).

    Weiterlesen > Wie ein Arzt mit Typ-2-Diabetes sich durch „unkonventionelle“ Änderungen seines Lebensstils selbst kurierte

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    26. September 2024

  • Intervall- oder Kurzfasten: Dinner oder Breakfast Cancelling = 16:8 oder 14:10

    Intervall- oder Kurzfasten: Dinner oder Breakfast Cancelling = 16:8 oder 14:10

    „Am Morgen sollst du wie ein Kaiser essen, zu Mittag wie ein König, abends wie ein Bettler.“

    Vielleicht liegt der Sinn dieser alten Ernährungsweisheit im Einhalten von alltäglichen „intermittierenden“ Fastenzeiten. Es kann also genau so gelten: „Am Morgen wie ein Bettler, zu Mittag wie ein König, abends wie ein Kaiser.“ (Neuere Studie zeigt nun doch, dass kräftig Frühstücken wirklich sehr optimal ist! Und zum Abnehmen von Bauchfett ist KKB optimal!)

    Die Methode lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Kein Essen nach 16 (18) Uhr nachmittags (Dinner Cancelling) oder vor 12 (11) Uhr (Breakfast Cancelling).
    Das ist alles! Weniger was, sondern wann und wie viel gegessen wird, ist entscheidend: minimal 2 bis maximal 3mal in diesen 8 oder 10 Stunden Essenszeit. Also: keinerlei Zwischenmahlzeiten!
    Es sollten mindestens 4.5 Stunden zwischen 2 Mahlzeiten liegen: Bei 8 Stunden also nur 2mal essen und bei 10 Stunden 2 bis 3mal!

    Der tägliche Essstopp ist individuell anpassbar und hängt vom Lebenswandel ab. Häufig ist also auch das Weglassen des Frühstücks viel erträglicher und (sozial) vernünftiger. Man isst dann nur zwischen 12 und 20 Uhr.  (oder 11 bis 21, etc.).
    Dies kann man deshalb 16:8-Ernährung (oder 14:10) nennen. Das Einflechten von eigentlichen Fastenzeiten im Alltag könnte man auch als „Kurz- Intermittierendes oder Intervall-Fasten“ bezeichnen.
    Individuell kann auch ein 5:2-Kurzfasten eingeschaltet werden, d.h. pro Woche 24 bis 48 oder 2×24 Stunden nichts essen.

    Licht und Nahrung als Taktgeber unseres Lebens

    Ein regelmässiger Tagesablauf mit gut eingeplanten Esszeiten ist sehr wichtig. Licht und Nahrung sind die wichtigsten Taktgeber für den Menschen. Sie sind am besten synchron. Das heisst, man nimmt nach Möglichkeit eine Hauptmahlzeit und (eins bis) zwei kleinere Mahlzeiten pro Tag zu sich – und man isst wenn möglich nur bei Tageslicht, da mit Eintreten der Dunkelheit unser Stoffwechsel sich grundlegend umstellt und Fett (und auch die Kohlenhydrate) viel langsamer abgebaut werden.

    Nach der täglichen Essens-Deadline darf nur noch getrunken werden, dies jedoch reichlich, um Hungergefühle zu verhindern oder abzuschwächen. Die Getränke sollten frei von Alkohol und Kalorien sein (Wasser und Kräutertees, aber auch mal Kaffee). Dies gilt auch in der ausgefallenen Frühstückszeit.

    Drei- bis viermal 16:8 oder Dinner Cancelling die Woche ist bereits beinahe perfekt – am besten die Woche durch und am Wochenende dann die familiären und anderen Festessen (damit man nicht komplett asozial wird…).

    Ab und zu Hunger zu haben, kann man gut lernen und entspricht eher einer Natürlichkeit, die in letzter Zeit durch unser Luxusleben in der ersten Welt verloren ging. Unser Körper wurde von der Evolution konditioniert, ab und zu Hunger zu haben. Dies erklärt, warum er gegen manche Zivilisationskrankheiten nicht gut gerüstet ist.

    Und falls Sie abends trotzdem essen: Geniessen Sie das Abendessen!  Und dies ist definitiv nicht eine Sache der Quantität, sondern der Qualität! Der Abend ist die Zeit des Genusses, die Sinne sind am Abend besonders wach: dies haben chronobiologische Untersuchungen gezeigt. In der Dämmerung und in der Dunkelheit  hören, fühlen, schmecken und riechen wir besonders gut. Für unsere Steinzeitvorfahren war es überlebenswichtig, in der Dämmerung besonders aufmerksam zu sein. (>>> siehe Studien).

    Welche gesundheitlichen Nutzen bringt mir 16:8 oder ein anderes Kurzfasten?!

    Abnehmen

    Bin ich wirklich zu fett?! Hier schnell ausrechnen!

    Warum ergibt denn dieses Intervallfasten eine Gewichtsabnahme? Der Körper kann Nährstoffe in Ruhezeiten, im Normalfall in der Nacht, besonders gut nutzen, was heisst: im Gewebe als Fett speichern. Hungern am Abend lässt also direkt das Fett weg schmelzen und nicht zuerst das Wasser und die Muskulatur wie tagsüber. Dinner Cancelling lässt in den täglichen Fastenpausen das Insulin-Hormon sinken, welches die Fettoxydation (und damit den Fettabbau) hemmt.

    Kurz gesagt nimmt man auch ab, wenn generell eine niedrige glykämische Last vorhanden ist, nüchtern trainiert wird und nur Wasser während des Trainings getrunken wird.

    Studien zum Nacht-Essen

    Nächtliche Überfälle auf den Kühlschrank können stark zu Übergewicht beitragen. Man nimmt dabei mehr als doppelt so stark zu, als wenn sie Ihre Nahrung zu Tageszeiten verzehren, an denen Sie normalerweise nicht schlafen, also tagsüber. Wie oder warum ein Mensch an Gewicht zunimmt, ist dabei sehr kompliziert, aber hängt eindeutig nicht nur von der Kalorienaufnahme und Verbrauch ab. (Circadian Timing of Food Intake Contributes to Weight Gain; Arble DM, Bass J, Laposky AD, Vitaterna MH, Turek FW. Obesity (Silver Spring). 2009 Sep 3. www.nature.com/oby/journal/vaop/ncurrent/abs/oby2009264a.html)

    Kurzfasten und Mass Halten: die „Länger-Leben-Diät“

    16:8 ist auch eine natürliche und einfache Methode für „Better-Aging“.
    Offenbar versetzt das Wenig-Essen den Körper in Alarmbereitschaft und kurbelt uralte Überlebensmechanismen an. Kräftezehrende Prozesse werden eingestellt und die Energie zum Schutz und zur Reparatur der Zellen (Autophagie) genutzt. Der Organismus verteidigt sich besser als im Normalzustand, so die Theorie. Er altert langsamer.
    Neuere Forschung zeigt nun auch, dass vielleicht nicht mal die Kalorienreduktion wichtig ist, sondern diese wiederkehrenden, alltäglichen, rhythmischen Fastenzeiten.

    Zum „Länger-Leben“ sollte aber mindestens 2 bis 3mal pro Tag mit mindestens 4.5 Stunden Intervall gegessen werden – und nicht nur einmal – mit zu grosser Energiemenge, was für unseren Stoffwechsel eine zu grosse Belastung bedeutet.

    Besser Schlafen

    Eine angenehme Nebenwirkung: Nach Mitternacht bekommen wir so eine Unterzuckerung, die wir untertags gar nicht aushalten würden. Der Schlaf wird tief wie ein Mini-Winterschlaf.

    Regeneration nach körperlicher Anstrengung

    Sport und starke körperliche Leistungen resultieren immer auch in mehr oder weniger grossen (Mikro-) Schäden (Muskelfaserrisse). Für die Regeneration dieser Schäden wird  das Wachstumshormon HGH benötigt, welches v.a. zwischen 23 und 3 Uhr in der Nacht im Schlaf ausgeschüttet wird. Nun wird dieses Hormon durch Kohlenhydrat-Konsum am Abend gehemmt. Ein Dinner Cancelling steigert also auch die Regeneration nach sportlichen Leistungen. Man soll einfach noch vor 23 Uhr ins Bett.

    Reflux bekämpfen

    Und noch eine weitere Nebenwirkung vor allem beim Weglassen des Abendessens: Die immer häufigere Reflux-Ösophagitis oder Reflux-Krankheit (Sodbrennen, Rückfluss von Magensaft in die untere Speiseröhre) wird durch diese Lebensstil-Änderung gleich auch noch ohne Medikamente geheilt (daneben hilft hier auch Schlafen mit erhöhtem Oberkörper und auf der linken Seite, Gewichtsabnahme, Reduktion von Alkohol und Nikotin (eine Zigarette „lähmt“ den unteren Speiseröhrendrittel für drei Stunden!), weniger Kaffee und weniger Pfefferminztee, weniger fettreiche Speisen, kohlesäurehaltigen Getränke, säurehaltige Fruchtsäfte und überhaupt weniger voluminöse Mahlzeiten.  Und: morgens gleich nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafen gehen je 100ml frisch gepressten Kartoffelsaft trinken (bei Anhalten der Beschwerden auch mehr).) – oder auch sehr wirksam morgens und abends 1 ausgepresste Zitrone nüchtern vor dem Essen trinken!

    Frühstücken?

    Iss morgens wie ein König, mittags wie ein Bürger und abends wie
    ein Bettelmann: Dass dieses Sprichwort viel Wahres enthält, wenn
    man sein Gewicht halten oder gar abnehmen möchte, haben
    Forscher aus Deutschland einmal mehr gezeigt.
    Denn die nahrungsinduzierte Thermogenese, also die Entstehung
    von Wärme beim Verdauen der Nahrung, sprich die
    Energieverbrennung, ist am Morgen etwa 2,5-mal so hoch wie am
    Abend – und zwar unabhängig von der Menge der jeweils
    aufgenommenen Kalorien. Zu dem Ergebnis kommt Juliane Richter
    von der Sektion für Psychoneurobiologie am Center of Brain,
    Behavior and Metabolism (CBBM) der Universität Lübeck
    zusammen mit Kollegen im Journal of Clinical Endocrinology &
    Metabolism (JCEM).

    Entzündungen werden in unserem Körper bekämpft

    Am Beispiel der Entzündung des Nervensystems, der Neuroinflammation sieht man den Nutzen des Kurzfastens sehr schön.
    Weitere Beispiele sind die Chronische Müdigkeit, der Diabetes, die Hyperreaktiven Luftwege (Chronischer Husten, Chronischer Schnupfen) oder die Arterienverkalkung und der Bluthochdruck…

    Beta-Hydroxybutyrat, ein Ketonkörper, kann durch (intermittierendes) Fasten oder eine ketogene Diät erhöht werden. Es ist unter anderem einer der potentesten endogenen Hemmer einer Entzündungsreaktion. Das durch eine solche Diät erhöhte Beta-Hydroxybutyrat wies in einem Mausmodell von kolorektalen Karzinomen eine starke antitumorale Wirkung auf. Der zelluläre Rezeptor und die intrazellulären Signalmechanismen, die zu einer Hemmung der Zellpro­liferation führen, sind auch durch diese Arbeit nun gut definiert worden. (Nature. 2022, doi.org/10.1038/s41586-022-04649-6)

    Zwei Einschränkungen

    Fasten (auch das Kurzfasten) ist sicher nicht gut, wenn man davon gestresst ist und davon schlechte Laune kriegt.
    Und es kann in höherem Alter schaden, denn es gibt dem Körper immer auch das Signal für Muskelabbau.

    Zusammengefasst:


    (Copyright der Grafik: thesimpleway.de)
    und noch mehr zur Autophagie beim Intervallfasten.

    Ist Intervallfasten auch gefährlich?

    «Erhöht Intervall­fasten das Sterberisiko?» Diese Schlagzeile geisterte vor kurzem durch internationale Medien und erschreckte nicht wenige Leser. Intervallfasten soll laut einer Studie gar nicht gesund sein. Vielmehr erhöhe sich sogar das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, drastisch.
    Nur: Diese Aussage stimmt so nicht. Das Studien­design war lausig und statt eines Fach­artikels lag nur eine Presse­mitteilung vor. Wenige Journalistinnen dürften die Daten genauer überprüft haben, etwa auf statistische Signifikanz und Effektstärke.
    Typisch für einen schlimmen Trend in der Presselandschaft: Medienhäuser sparen den Wissenschafts­journalismus zusammen; was übrig bleibt, wird seichter. 

    Studie zum Einmal-Pro-Tag-Essen

    Das Essen von nur einer Mahlzeit am Tag sei bei amerikanischen Erwachsenen im Alter von 40 Jahren und älter mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko verbunden, heisst es in der im «Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics» veröffentlichten Studie.

    Wer das Frühstück auslässt, riskiere eine höhere Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Auslassen von Mittag- oder Abendessen erhöhe die allgemeine Sterblichkeit. «Auf der Grundlage dieser Ergebnisse empfehlen wir, mindestens zwei bis drei Mahlzeiten über den Tag verteilt zu essen», erklärt Studienhauptautorin Yangbo Sun vom Institut für Präventivmedizin des Health Science Centers der University of Tennessee in Memphis.

    Die Forschenden in den USA kamen zu diesen Schlüssen durch die Analyse von Daten einer Kohorte von mehr als 24’000 amerikanischen Erwachsenen im Alter von 40 Jahren und älter, die zwischen 1999 und 2014 an der National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) teilnahmen. Die NHANES ist eine fortlaufende, landesweit repräsentative Gesundheitserhebung, bei der alle zwei Jahre eine Vielzahl gesundheitsbezogener Daten zur Bewertung der Ernährung, des Ernährungszustands, des allgemeinen Gesundheitszustands, der Krankheitsgeschichte und des Gesundheitsverhaltens erhoben werden.

    Wenn der Stoffwechsel Schaden nimmt

    Das Auslassen von Mahlzeiten bedeute in der Regel, dass man eine grössere Energiemenge auf einmal zu sich nehme, führt der Forschungsleiter der Studie, Wei Bao vom Institut für Epidemiologie der University of Iowa, in einer Pressemitteilung aus. Das erschwere die Regulierung des Glukosestoffwechsels und könne als Folge zur Verschlechterung des Stoffwechsels führen. Dies erkläre auch den Zusammenhang zwischen einem kürzeren Mahlzeitenintervall und der Sterblichkeit, da es bei einem kürzeren Abstand zwischen dem Essen zu einer erhöhten Energiezufuhr im entsprechenden Zeitraum komme. Tatsächlich zeigten die ausgewerteten Daten auch, dass bei Menschen, die täglich drei Mahlzeiten zu sich nehmen, zwei davon aber innert weniger als 4,5 Stunden, das allgemeine Sterberisiko höher war.

    weitere Links:

    Internetbeiträge zum Intervallfasten gibt unterdessen sehr viele. Dieser Link führt zu einem Beitrag von NDR Visite mit einem Kurzinterview mit Prof. Andreas Michalsen. Er erklärt, dass Essenspausen bei zahlreichen Erkrankungen zu Prävention und Heilung beitragen können, z. B. bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes, neurologischen Krankheiten, z. B. MS, Parkinson und Demenz etc.
    https://www.youtube.com/watch?v=cZcEQv2HXxc

    14:10 scheint für viele Leute langzeitig besser machbar (siehe Studie)!

    Interview von Anina Mutter mit mir über das Intervallfasten:
    ekkoist.com/blog/artikel/45-intermittent-fasting-die-wichtigsten-informationen/

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    18. August 2024