Adipositas

Über Adipositas wird schon lange geforscht und geschrieben, zum schwergewichtigen öffentlichen Thema wurde sie jedoch erst, als differente Medikamente dagegen auf den Markt kamen. Der Einfluss der Pharmaindustrie ist nicht nur für die öffentliche Meinung von Bedeutung, auch medizinische Opinion Leaders sind ihm in beträchtlichem Masse ausgesetzt. Beispiel: Die Waist-Hip-Ratio wird neuerdings „abgelöst“ durch die blosse Waist-Messung (nur Bauchumfang allein), obschon aus wissenschaftlicher Sicht der Quotient mehr Sinn macht.
Also weiterhin auch Hüftumfang messen! Der Hüftumfang widerspiegelt die Muskelmasse, die Beschränkung auf den Bauchumfang als Mass für das intestinale Fett wird von der Pharmaindustrie als Zielparameter der Pharmakotherapie portiert; der Muskel und die Bewegung sowie die metabolische Fitness haben keine gleich starke „Lobby“!

Mit der W/H-Ratio kann auch zwischen der gefährlicheren Apfel- und der harmloseren Birnenform unterschieden werden >>> siehe hier!
Neuerdings auch mit dem Body Roundness Index oder BRI (hier mehr dazu).

Sarkopenie kommt meist vor Adipositas!

In der ersten Welt gibt es zwei grosse Pandemien:

  • Die SARKOPENIE (=Muskelschwund) und vielleicht als Folge davon
  • die ADIPOSITAS (=Übergewicht).

Daraus folgt, dass nach Möglichkeit auch beim Abnehmen zuallererst diese Sarkopenie behoben wird.

Mit mehr Muskeln hat man nur schon einen grösseren Grundumsatz (Energieverbrauch in Ruhe) und erst recht beim Sporttreiben.

Entzündung und Adipositas

Adipositas geht mit einer chronischen Entzündung einher. Das Fettgewebe ist ein endokrines Organ, das zahlreiche Zytokine sezerniert, und zwischen Makrophagen, Lymphozyten und Adipozyten bestehen Interaktionen. Von grosser wissenschaftlicher Bedeutung war die Entdeckung der sieben „Sirtuine“ in den letzten Jahren. Bei diesen Sirtuinen handelt es sich um „Deazetylasen“, die den Verlauf von Entzündungen beeinflussen. Die Inaktivierung bestimmter Sirtuine führt zum klinischen Bild einer Entzündung, zu Insulinresistenz sowie Adipositas, wogegen die Aktivierung dieser Enzyme den gegenseitigen Phänotyp zur Folge hat. Hier liegt ein potentieller therapeutischer Ansatz, um die bei Adipositas vorliegende Insulinresistenz zu korrigieren. Da erinnert man sich daran, dass das in gutem Rotwein vorhandene Resveratrol ein Sirtuin-Aktivator ist…! Achtung: Resveratrol ist ein typisches „Hochstaplermolekül„!
(Diabetes. 2011;60(12):3235-45 und 3100-2)

Wichtig ist auch, dass insbesondere in Bio-Gemüse und -Früchten mehr von diesen sekundären Pflanzenstoffen zu finden sind als in konventionellen Lebensmitteln!

Adipositas steigert auch eine Neuroinflammation, also die Entzündung unseres Nervensystems und führt damit zu einer Hypersensibilität, zu chronischen Schmerzkrankheiten, Reizdarm, etc…

Stark gegen Entzündung – und auch zur nachhaltigen Gewichtsabnahme führt das Kurzfasten, optimal als 16:8!

Wann sind Sie mit Übergewicht gefährdet, ein metabolisches Syndrom, resp. einen Diabetes zu entwickeln?

Gehören Sie zu den gesunden Adipösen, auf Englisch auch «happy obese» genannt, also Betroffene, die trotz starkem Übergewicht gesunde Stoffwechselwerte haben?

Unterscheidung zur „klinischer Adipositas“:
Im Januar 2025 stellt eine Expertenkommission von Diabetesforschern in der Fachzeitschrift the Lancet die neue Definition vor.
Der BMI allein nicht reicht dabei nicht aus. Der BMI ist als Screening-Instrument in Ordnung. Aber wenn jemand stark übergewichtig ist, müssen Ärzte zusätzliche Messungen vornehmen, um herauszufinden, ob es sich um „klinische Adipositas“ handelt – oder nicht. Sie untersuchen dann jedes einzelne Organ auf mögliche Anomalien in Zusammenhang mit Adipositas.
Man spricht dann von „klinischer Adipositas“, wenn bereits Gewebe- und Organanomalien vorhanden sind.

Für einen ersten Schritt lassen Sie bei Ihrem Hausarzt die Blutfettwerte, den Blutdruck und die Leberwerte messen, aber auch die Nierenwerte – und einen Glukosetoleranztest (http://de.wikipedia.org/wiki/OGTT) durchführen. Falls dabei als Ergebnis eine normale Insulinsensitivität herauskommt, können Sie vorerst beruhigt sein (gutartige Adipositas) – aber bei bestehender Insulinresistenz ist die Gefahr einer „klinischen Adipositas“ gross. Dann wird u.a. Bewegung und Abnehmen lebensnotwendig! (Arch Intern Med 168(15):1609-1616, 2008 – Identification and Characterization of Metabolically Benign Obesity in Humans, Norbert Stefan et al.)

Es sollte auch keine beginnende Niereninsuffizienz vorhanden sein!

Nicht zu viel Leberfett
Anders als die meisten Adipösen haben die „happy obeses“ normale Blutfettwerte, keinen erhöhten Blutdruck und auch nicht zu viel Leberfett. Und sie hatten eine ähnlich gute Insulin-Empfindlichkeit wie Normalgewichtige – ein wichtiger Indikator für einen gesunden Stoffwechsel.
Die guten Werte änderten sich in Studien auch nicht, als diese glücklichen Dicken im Verlauf des Versuchs an Gewicht zulegten. Man vermutet, dass es den gesunden Adipösen gelingt, zusätzliche Kalorien besser zu verarbeiten und in Hautfettgewebe statt in die Leber einzulagern – und dies ist je nach Studie rund bei einem Zehntel bis zu einem Drittel aller Adipösen möglich.

Vernachlässigter Lebensstil
Unklar ist auch, ob die gesunden Adipösen tatsächlich auch kein erhöhtes Risiko für typische Übergewichtsfolgen wie Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall haben. Eine vor zwei Jahren im «American Journal of Clinical Nutrition» publizierte italienische Studie, die 1700 Probanden während fast einem Jahrzehnt verfolgte, kam beispielsweise zum Schluss, dass das Risiko für Diabetes und Herzinfarkte bei allen Fettleibigen ähnlich hoch ist. Möglicherweise verschlechtern sich die Risikowerte bei den sogenannt gesunden Adipösen einfach langsamer, was dann in Kurzzeit-Studien nicht erfasst wird. Allerdings finden andere Langzeituntersuchungen sehr wohl positive Effekte auf Lebenserwartung und Krankheitsanfälligkeit.
Und wie erklärt sich, dass die einen Übergewichtigen bessere Stoffwechselwerte haben als andere? Die Vererbung dürfte eine Rolle spielen. Aber vielleicht sind die Zusammenhänge auch banaler: Es könnte sein, dass Betroffene schlicht gesünder leben. Das heisst, sie bewegen sich viel, ernähren sich gesund und rauchen nicht. Der Lebensstil ist ein wichtiger Aspekt, der in Studien aber oft nicht objektiv berücksichtigt werden kann.
Der Gewichtsreduktion wird also häufig eine zu hohe Priorität eingeräumt. Langfristig sind die Erfolgsaussichten bescheiden. Trotzdem lohnt es sich, wenn Betroffene unabhängig vom Gewicht ihr Bewegungs- und Ernährungsverhalten ändern würden. Dies verbessert den Stoffwechsel und senkt so das Risiko für Folgekrankheiten. Am wichtigsten ist es, nicht weiter zuzunehmen.

Für die grosse Mehrheit der Übergewichtigen gilt also noch immer:
Sich Abgrenzen lernen, Essgewohnheiten umstellen und mehr Bewegung (v.a. Sport VOR dem Essen)! Damit kann ein Gewichtsverlust von 10 Prozent ohne allzu grosse Mühe auch ohne Medikamente erreicht werden.
Dazu kann man sagen, dass übergewichtige Personen tatsächlich bereits von einer Gewichtsabnahme von 5- bis 10% profitieren, falls sie sie halten können: Ihr Zuckerstoffwechsel verbessert sich, Blutdruck und Blutfette sowie die Wahrscheinlichkeit eines Diabetes werden reduziert. Lebensgewinn in Jahren siehe www.annals.org/issues/v138n1/abs/200301070-00008.html!

Übergewicht im hohen Alter ist sogar eher gesund!

Bis zum Alter von etwa 85 Lebensjahren hat das Übergewicht einen schädlichen Effekt: Es erhöht die Sterbewahrscheinlichkeit. Danach aber kippt dieser Trend! Bei den Höchstbetagten wirkt das Fett auf den Rippen eher schützend – nicht nur im Vergleich mit Unter-, sondern auch mit Normalgewichtigen. Eine Erklärung könnte sein, dass dicke Alte ein geringeres Risiko für Osteoporose und somit für Knochenbrüche haben. Und Körperfett ist ein Energiespeicher, wenn im hohen Alter der Appetit dramatisch nachlässt. (J Aging Res. 2011;2011:765071. Epub 2011 Sep 28. Is there a reversal in the effect of obesity on mortality in old age? Cohen-Mansfield J, Perach R).

Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
06. Dezember 2024

Depression

Was ist eine „Depression“?

„Die grösste aller Gefahren, sich selbst zu verlieren, kann sich in der Welt ganz leise ereignen, als ob es gar nichts wäre. Kein anderer Verlust kann so leise eintreten; jeder andere Verlust – ein Arm, ein Bein, fünf Euro, eine Frau, usw. – wird sicher bemerkt werden.“ (Kierkegaard) – Meine neue Lieblingsdefinition von „Depression“ (im Moment).

Das Problem mit der Depression beginnt schon vor der Diagnose, nämlich bei der Definition, was eine Depression ist. Die Krankheit Depression wird aufgrund von Symptomen definiert und kann nicht aufgrund somatischer Marker definiert werden (Ausnahme: Entzündungsmarker?). Es könnte also auch sein, dass Ärzte die diagnostischen Kriterien etwas anders gewichten als die, die diese Kriterien erstellt haben.
Zudem ist es schwierig auf einer kontinuierlichen Skala, die bei jedem Menschen zwischen „überhaupt nicht depressiv“ und „schwerst depressiv“ liegt, den Punkt festzulegen der Depression von Nicht-Depression unterscheidet.

Disease Mongering

Mit der Definition von allen psychischen Krankheiten verhält es sich ähnlich. 2013 enthielt das neue DSM 5, die international geltende «Bibel der psychischen Erkrankungen», zahlreiche zusätzliche Leiden und hatte bei vielen anderen die Hürde für eine Diagnose gesenkt. ADHS zum Beispiel erforderte nicht mehr sechs Symptome, sondern nur noch fünf. Dass sich psychische Erkrankungen fast immer nur an Symptomen orientierten und diese dann auch noch subjektiv interpretiert würden, komme «so in kaum einem anderen Bereich der Medizin vor», kritisiert der langjährige Direktor des amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH), Thomas Insel, seit Jahren. Er spricht gar von «Zuständen wie in vorwissenschaftlichen Zeiten».

Tatsächlich gleichen viele Diagnosen eher eine Art Definitionsfrage. Und so wird aus der herkömmlichen Schüchternheit eine soziale Phobie oder aus der Trauer, die nach dem Tod eines nahestehenden Menschen länger als zwei Wochen andauert, eine Depression. Denkt man diese Entwicklung konsequent weiter, ist – überspitzt formuliert – irgendwann überhaupt niemand mehr psychisch gesund.

Dass bereits eine „Miese Stimmung“ eine „Depression“ und damit krankhaft sein soll, davon ist hier also nicht die Rede. Ich plädiere dezidiert gegen das Diktat des „positiven Denkens„! Ich glaube sogar, dass diese „miese“ Stimmung zu einem grossen Teil durch das „positive Denken“ einer ganzen Kultur mitverursacht wird. Ich meine hier nicht nur die Methode des positiven Denkens, sondern gesellschaftlich immer weiter verbreitete Werte wie Spass, Fröhlichkeit, Zwangs-Optimismus (siehe dazu auch das sehr aktuelle Buch von Arnold Retzer (Miese Stimmung. Eine Streitschrift gegen positives Denken. S.Fischer, Frankfurt 2012).

Auch der neue Hype des sogenannten „Manifestierens“ beschönigt die gleiche verblendete Logik, die behauptet, Armut sei eine Wahl, und die vielen politischen Desinformationen zugrunde liegt. Wenn die Realität nur das ist, was wir aus ihr machen, dann werden die Skrupellosesten die meiste Macht haben, die Zukunft zu gestalten. Weiterlesen >>>

Menschen suchen nach Glück und Zufriedenheit. Doch auch Trübsinn hat Vorzüge:
„Das Vergnügen traurig zu sein!“.

Was tun? >>> direkt zu den Therapieansätzen

Wie die Evolution unsere Biologie formt

 Oder: In welchen Situationen ist eine gedrückte Stimmung nützlich?

Randolph Nesse gilt als Mitbegründer der evolutionären Medizin. Der Psychiater erforscht, wie die Evolution den Menschen geformt – und für bestimmte Krankheiten anfällig gemacht hat. Er schrieb ein Buch mit dem bekannten Evolutionsbiologen George Williams, war Gründungsdirektor des Centers for Evolution and Medicine an der Arizona State University. Mit ZEIT ONLINE spricht er 12/2022 über sein neuestes Buch „Good Reasons for Bad Feelings„.
zeit.de/gesundheit/2022-12/mentale-gesundheit-depression-angst-evolution-randolph-nesse

Seiner Ansicht nach kann Niedergeschlagenheit ein Hinweis darauf sein, dass wir gerade Energie verschwenden. Zum Beispiel, wenn wir ein Ziel verfolgen, das nicht zu unserer Lebenslage passt. Oder wenn das Erreichen des Ziels aussichtslos erscheint, wir aber nicht davon lassen können. Wenn wir in einer Sache blockiert sind. 

Er plädiert dafür, auch mal aufzugeben und nicht verbissen an etwas festzuhalten, das uns offensichtlich gar nicht guttut: „In meiner Karriere gelangen mir allerdings einige der größten Heilungen, als ich Menschen geholfen habe zu realisieren, dass sie etwa seit fünfzehn Jahren an dieser Ehe arbeiten, aber eigentlich gar nicht mehr daran glauben, dass sie sie noch retten können. Dass sie jetzt den Status quo entweder akzeptieren müssen oder unter Schmerzen einen Schlussstrich ziehen. Im Aufgeben liegt oftmals der Schlüssel, um eine Depression zu überwinden.“

Nur gute Menschen werden depressiv!

Im Ansatz der Persönlichkeitstheorie tönt dies so:
„Damit sich natürliche Traurigkeit in eine Depression verwandelt, muss man sich nur selbst die Schuld an dem Unglück geben, das einem widerfahren ist!“ (Dorothy Rowe)

Wenn wir damit aufhören könnten, uns selbst die Schuld für schlimme Ereignisse in unserem Leben zu geben, würde die Depressionsrate rapide sinken, lautet Dorothy Rowes Prämisse. Und ihre Therapieerfolge sprechen für sich. Normalerweise wachsen wir in der Überzeugung auf, dass es in der Welt gerecht zugeht und uns Gutes widerfährt, wenn wir uns entsprechend verhalten. Doch was bedeutet das im Umkehrschluss? Wenn wir davon überzeugt sind, dass die Guten belohnt und die Schlechten bestraft werden, kommen wir zwangsläufig zu dem Schluss, dass wir für alles Schlechte in unserem Leben selbst verantwortlich sind.
In solchen Situationen fragen wir oft: „Warum passiert das ausgerechnet mir?“ Wir blicken zurück, um herauszufinden, was wir beigetragen haben, selbst wenn es um eine Naturkatastrophe geht. Irrationale Schuldgefühle, Hilflosigkeit und Scham entstehen, eine Depression kann die Folge sein. Rowe ist der Ansicht, dass wir unsere Überzeugungen selbst erschaffen. Sobald uns das klar geworden sei, könnten wir uns von dem Glauben an eine gerechte Welt verabschieden und negative Erfahrungen, z.B. einen Jobverlust, rationaler verarbeiten. Katastrophen widerfahren uns nicht, weil wir zum Unglück verdammt sind oder sie verdienen. Wir sollten damit aufhören, Ereignisse persönlich zu nehmen, und uns darüber klar werden, dass Schlimmes einfach geschieht! (Nur gute Menschen werden depressiv – aus „Das Psychologie-Buch“, Dorling Kindersley, London, 2012)

Weiterlesen: Auch „Einsamkeit“ muss nicht zur Depression führen.

Ursache ist wohl schwache Plastizität unseres Hirns und nicht ein Mangel an Botenstoffe (v.a. Serotonin)

Dauerstress und Depression

Auf diesen starken Zusammenhang kam Forscher nun wieder bei der Enträtselung der antidepressiven Wirkung der psychedelisch wirkenden Drogen, wie Ketamin. Diese Droge verbessert die Übertragung von Informationen zwischen den Hirnzellen, stellten die Forscher fest. Sie lässt sogar neue Verbindungsstellen, Synapsen, entstehen. Herkömmliche Antidepressiva tun das auf Umwegen auch. »Plastizität« nennen Fachleute dieses Phänomen. Es ist entscheidend für das Lernen.
Eine neue Hypothese war geboren: Depressionen entstünden, wenn diese Plastizität unseres Hirns sinke. Erhöhe man sie, lasse sich die Krankheit lindern.

Für diese Vermutung spricht einiges, denn Stress senkt die Plastizität. Und Stress entsteht durch akute oder chronische Überlastungen genauso wie durch frühe Traumata – alles bekannte Ursachen von Depressionen. Wenn Menschen aber nicht mehr so gut Neues lernen können, bleiben sie leichter in Grübelschleifen hängen, ziehen sich zurück. Die Verbindungen (Synapsen) im Gehirn leiden, die Verbindungen im Leben ebenfalls.

Eine weitere Erklärung für den Zusammenhang von Dauerstress und Depression führt über unseren Darm und sein Mikrobiom: Der Stress lässt unsere Darmflora massiv verarmen, was wiederum zur Depression führen kann (siehe weiter unten).

Mangel an Botenstoffe?

Lange Zeit glaubte man, dass ein Mangel an Botenstoffen, insbesondere an Serotonin, die Ursache für Depressionen sei. Diese Annahme beruhte auf der Wirkweise herkömmlicher Antidepressiva, die die Konzentration von Serotonin zwischen den Hirnzellen erhöhen. Obwohl sie vielen Patienten helfen, wirken sie nicht bei allen. Inzwischen ist klar, dass diese Serotonin-Hypothese nicht ausreicht. Vor mehr als 20 Jahren fiel Ärzten auf, dass es manchen depressiven Menschen nach einer Operation unter Vollnarkose mit dem Mittel Ketamin deutlich besser ging. Anfang des Jahrtausends bestätigten erste Tests an Patienten mit Depressionen die Wirkung des Stoffs. Es zeigte sich, dass Ketamin die Übertragung von Informationen zwischen den Hirnzellen verbessert und sogar neue Verbindungen – Synapsen – spriessen lässt. Fachleute nennen diesen Mechanismus “Plastizität”. Die neue Hypothese besagt, dass Depressionen dadurch entstehen, dass ebendiese Plastizität sinkt. Ein Gehirn, das sich nur noch wenig verändern kann, wird krank. Wenn bei Menschen mit Depressionen dieser Prozess gestört ist, lernen sie nicht mehr so gut Neues und bleiben in den immer gleichen Grübelschleifen hängen. Dazu passt, dass typische Auslöser einer Depression wie frühe Traumata und akute oder chronische Überlastung Stress verursachen – und dass Dauerstress wiederum die Plastizität senkt (siehe weiter oben).

Ketamin gegen Depression

Ketamin ist ein vielversprechendes Mittel gegen Depressionen. Die dissoziative Wirkung von Ketamin ist nicht entscheidend für seinen antidepressiven Effekt. Eine Übersichtsarbeit von 2020 ergab, dass nur in drei von acht Studien überhaupt ein Zusammenhang zwischen dissoziativen Symptomen und der antidepressiven Wirkung bestand. Und auch in diesen Fällen erklärten die rauschhaften Erfahrungen nur 12 bis 21 Prozent der Unterschiede in der Wirkung auf die Depression. Das unterscheidet Ketamin wahrscheinlich von psychedelischen Drogen wie Psilocybin und MDMA; bei ihnen ist der Rausch tiefgreifender und deshalb wohl wichtiger für die Wirkung.

Plastizität an sich hilft aber noch nicht. Sie schafft nur die Möglichkeit, dass sich etwas ändert. Ob es besser wird oder sogar schlechter, hängt von der Umwelt ab. Damit Menschen mit Depressionen von der wiedergewonnenen Flexibilität im Hirn profitieren, brauchen sie hilfreiche Erfahrungen, wohltuende Begegnungen – und meist eine Psychotherapie.

Symptome einer Depression

„Wahre“ Schwere Depressionen gehören zu den quälendsten Leiden überhaupt: Kranke, die den jähen Schmerz eines Herzinfarkts und eine Depression erlebt hatten, hielten im Nachhinein die Depression für weitaus unangenehmer.
Gemeinsam ist fast allen Depressionen die gedrückte, traurige Grundstimmung, die die Zukunft meist sehr schwarz und negativ aussehen lässt. In vielen Fällen ist der Zustand des Kranken in den Morgenstunden am schlechtesten – Sie können auch frühmorgendlich zwei oder mehr Stunden vor der gewohnten Zeit erwachen. Abends hellt sich die Stimmung wieder etwas auf.
Nur wenige Depressive denken überhaupt nicht an Selbstmord.
Interessenverlust, Unzufriedenheit, Lustlosigkeit und Freudlosigkeit, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle, Gefühle der Wertlosigkeit, Negativ-pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidale Gedanken oder Handlungen, Ein- bzw. Durchschlafstörungen mit Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf, Müdigkeit und Energielosigkeit, Appetitlosigkeit – auch mit Gewichtsverlust (mehr als 5% des Körpergewichts im letzten Monat), deutlicher Libidoverlust,  Entscheidungsschwierigkeiten, Leere und Reizbarkeit. Psychomotorisch kann eine Hemmung oder eine Agitiertheit bestehen.

Jedes der folgenden Symptome verdoppelt etwa die Wahrscheinlichkeit einer Depression: Schlaflosigkeit (Insomnie), Müdigkeit, chronische Schmerzen, Veränderung in den Lebensumständen, ungeklärte physische Symptome, mäs­sige bis schlechte ­Gesundheit in Selbsteinschätzung der Patienten.

Es gibt viele Screening-Methoden, der PHQ-9 («Patient Health Questionnaire-9») scheint am weitesten verbreitet zu sein und gute Qualitätscharakteristika aufzuweisen (Sensitivität/Spezifität bei je 85%). > www.depressionscreening100.com/phq

Berechneter SkalensummenwertSchweregrad der Depression
1-4Minimale depressive Symptomatik
5-9Milde depressive Symptomatik
10-14Mittelgradige depressive Symptomatik
15-27Schwere depressive Symptomatik

…und für Männer bestehen zudem oder alternativ noch andere Symptome: siehe hier

Körperliche Symptome, die eine Depression maskieren können (sogenannte „larvierte Depression“)

  • Kopfschmerzen
  • Nacken-Schulterschmerzen (siehe gleich unten)
  • Rückenschmerzen
  • Atembeschwerden
  • Herzbeschwerden
  • Magen-Darm-Beschwerden
  • Rheumatische Beschwerden
  • Unterleibsbeschwerden

Steifer Nacken, trübe Gedanken?

Können unelastische Faszien zu Depressionen führen? Forschende haben den Zusammenhang in zwei Studien untersucht.

Gibt es eine Wechselwirkung zwischen dem Fasziengewebe im Nacken- und Schulterbereich und der Neigung zu negativen Gedanken? Für diese Frage interessierten sich der Forscher Johannes Michalak und sein Team von der Universität Witten-Herdecke in zwei Studien. (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34955570/)

Das Ergebnis: Womöglich haben Menschen mit Depressionen steifes, unelastisches Fasziengewebe. Das könnte es ihnen erschweren, negative Gedankenschleifen zu beenden.

Für die erste Studie wurde zunächst die Steifigkeit des Fasziengewebes von 80 Depressiven und Nichtdepressiven gemessen. An der zweiten Studie nahmen 69 Personen teil, bei denen eine Depression festgestellt worden war. Rund die Hälfte massierte sich 30 Sekunden lang selbst Schultern und Nacken, indem sie über eine Faszien-Schaumstoffrolle hin und her rollten. Die Kontrollgruppe legte sich mit Nacken und Schultern auf die gleiche Rolle und bewegte sich nur auf und ab, sie massierten sich also nicht richtig.

Anschliessend wurde allen eine Liste mit positiven und negativen Begriffen vorgelesen, die sie sich merken sollten. Diejenigen, die Schultern und Nacken mit der Schaumstoffrolle „geknetet“ hatten, merkten sich deutlich mehr positive Wörter. Die Autorinnen und Autoren betonen, dass es eine kurze Behandlung und ein vorübergehender Effekt war.
(Susanne Ackermann, 15. Sep 2023 in PSYCHOLOGIE HEUTE)

Angst und Depression

Angst vor dem Kommenden, vor der Zukunft – und Niedergeschlagenheit angesichts des Gewesenen, vor der Vergangenheit: Die Angst und Depression sind zwei Seiten derselben Medaille, ängstliche Menschen sind nicht selten auch depressiv und umgekehrt. Im Persönlichkeitsmodell der „Big Five“ sind Ängstlichkeit und Niedergeschlagenheit zwei Facetten ein und derselben Grundeigenschaft, des „Neurotizismus“, der emotionalen Labilität. Besonders frappant ist die Verkoppelung bei der „generalisierten Angststörung“, bei der sich die Angst verselbständigt hat und frei von Auslösern kommt und geht, wie sie will.
Meist kommt erst die Angst im Leben, und wenn sie nicht vergehen will, gesellt sich in späteren Jahren die Depression hinzu.
Auch Studien haben nun ergeben, dass Menschen während einer Depression ihr Denken auf die Vergangenheit fokussieren. Haben Menschen hingegen Angst, so gehen ihnen vor allem zukünftige Ereignisse durch den Sinn, die sie als Bedrohung empfinden. Vergangene Dramen stimmen also eher depressiv, künftige ängstlich!
(A.Pomeranz, P.Rose: Is depression the past tense of anxiety? Int Journal of Psych, DOI: 10.1002/ijop.12050).

Ängste sind wie Rauchmelder, die zu sensibel eingestellt sind. Sie schrillen schon bei sehr wenig Rauch los und stellen uns auf Alarm – bis zur Panikattacke.

Therapeutische Folgerungen zeigen zeitlich in die Mitte: Das achtsame Fokussieren auf die Gegenwart, auf das, was gerade in diesem Moment, im Hier und Jetzt geschieht, hilft sowohl gegen Angst als auch gegen die Depression!  Die verschiedensten Meditationsformen sind dazu ein fantastisches Instrument, jedoch auch Yoga, Tanzen, Singen und Spaziergänge in der Natur.

Demütigungen und Kränkungen

Neuere Studien zeigen, dass Demütigungen und Kränkungen zu den häufigsten Ursachen von Depressionen zählen.
Wie schaff ich in solchen Situationen „Distanz zu mir“?

Macht mein verarmtes Mikrobiom im Darm mich depressiv?!

In diesem interessanten Zusammenhang wird die Ernährung und die Entzündung bei der Depression immer wichtiger: Lesen Sie dazu weiter unten!
Dies übrigens eine weitere Erklärung für den Zusammenhang von Dauerstress und Depression: Auch der Stress lässt unsere Darmflora massiv verarmen, was wiederum zur Depression führen kann.

Besonderes bei der Frau

Während der depressiven Episoden treten bei Frauen häufiger chronische Müdigkeit, gesteigerte Schläfrigkeit und eine psychomotorische Verlangsamung auf.
Literatur: Kelly Brogan: „Die Wahrheit über weibliche Depression. Warum sie nicht im Kopf entsteht und ohne Medikamente heilbar ist.“ >> daraus: Die Depression ist ein Symptom. An irgendeiner Stelle im Körper gibt es eine Unausgewogenheit…

Besonders bei Frauen hilft eine Ernährung, die reich an Gemüse und Ballaststoffen ist und Fleisch, Fast Food und Zuckerprodukte minimiert.
Frau sollte aber ihr Eisen und Vitamin B12 im Blut messen lassen: zu tiefe Werte können auch depressive Symptome (Müdigkeit…) verursachen.

Besonderes beim Mann

Männer hingegen berichten eher von Schlaflosigkeit, motorischer Unruhe und gesteigerter körperlicher Erregbarkeit (auch chronische Schmerzen gehören hier dazu).
„Male Depression“: Eine Depression äussert sich bei Männern oft untypisch. Männer, die ihre Depression „externalisieren“, versinken weder in Schwermut, noch wirken sie niedergeschlagen oder ziehen sich zurück. Sie nehmen zwar einen starken inneren Druck wahr, fühlen sich aber nicht psychisch krank. Vielmehr fallen sie auf, weil sie plötzlich und uncharakteristisch für ihren Charakter verärgert und gereizt sind, rasch die Be-herr-schung verlieren oder hohe Risiken eingehen, etwa im Strassenverkehr. Solche Auffälligkeiten werden – wenn überhaupt – als Persönlichkeitsstörung oder Neurose fehlinterpretiert. Männer kompensieren häufig durch verstärkten Konsum von Suchtmitteln wie Zigaretten und Alkohol, auch Sex und auch durch starke körperliche Aktivitäten wie Sport. Männer drücken ihr gesundheitliches Befinden weniger differenziert aus, verarbeiten ihre Beschwerden weniger introspektiv, funktionieren weiterhin im Alltag und suchen seltener Hilfe als Frauen.

  • vermehrter sozialer Rückzug, der oft verneint wird.
  • berufliches Überengagement, das mit Klagen über Stress maskiert wird.
  • Abstreiten von Kummer und Traurigkeit.
  • zunehmend rigide Forderungen nach Autonomie (in Ruhe gelassen werden).
  • zunehmende Intensität oder Häufigkeit von Wutanfällen, Impulsivität.
  • Hilfe von anderen nicht annehmen: das „Ich kann das schon allein“-Syndrom.
  • ab- oder zunehmendes sexuelles Interesse.
  • vermehrter bis exzessiver Alkohol- und/oder Nikotinkonsum.
  • anderes Suchtverhalten: TV, Sport, Glücksspiel, Internet etc..
  • ausgeprägte Selbstkritik, bezogen auf vermeintliches Versagen, Versagensangst.
  • andere für eigene Probleme verantwortlich machen.
  • verdeckte oder offene Feindseligkeit.
  • Unruhe und Agitiertheit
  • Chronische Schmerzen (siehe dazu diesen eindrücklichen Bericht bei Piqd www.piqd.de/gesundheit/manner-suchen-seltener-nach-hilfe-das-muss-sich-andern „Frauen suchen Hilfe – Männer sterben!“ Das ist der beunruhigende Titel einer Forschungsarbeit an der Universität Innsbruck. Dahinter steckt die These, dass Depressionen bei Männern oft nicht erkannt werden, weil Männer seltener Hilfe suchen.

    Männliche Vegetarier könnten ein höheres Risiko für Depressionen haben als Männer, die Fleisch essen! Darauf deutet eine Studie der USamerikanischen National Institutes of Health (NIH) mit mehr als 9.600 Männern hin: Vegetarische Kost bei Männern mit mehr Depressionen assoziiert.

    Ein Beispiel männlicher Depression: Nick Kyrgios und seine Ausraster!
    Der australische Tennisstar spricht in einem Interview 10/2020 über den ständigen Druck auf der Profi-Tour.

Tennisspieler Nick Kyrgios hat seine Ausraster auf dem Platz mit seinem Kampf gegen innere Dämonen erklärt. Er habe Probleme mit Depressionen, sagte der 25-Jährige. «Ich bin eines Tages in Schanghai aufgewacht, es war vier Uhr am Nachmittag, und ich lag immer noch bei gezogenen Vorhängen im Bett. Ich wollte das Tageslicht nicht sehen», berichtete Kyrgios, der für sein temperamentvolles Verhalten berüchtigt ist. Er sei «an einem einsamen, dunklen Ort» gewesen. «Ich fühlte mich, als wäre niemand an mir als Person interessiert. Alle sahen mich nur als Tennisspieler und wollten mich benutzen. Ich verlor die Freude am Spiel und geriet ausser Kontrolle.» Der ständige Druck habe ihn in die Depression getrieben. Zuletzt im 2020 war Kyrgios im Tennisgeschäft die Stimme der Vernunft im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Er verzichtete auf die Teilnahme an den US und den French Open.

Und seine emotionale Wendung:
Im Verlaufe des Frühjahrs 2022 begann er konstanter zu spielen. «Ich hatte es einfach satt, die Leute im Stich zu lassen», sagte er nun. «Ich war sehr egoistisch. Ich war deprimiert, bemitleidete mich die ganze Zeit. Das wollte ich ändern. Ich schaute die Menschen um mich herum an, ich wollte sie nicht mehr enttäuschen. Jetzt mache ich sie stolz. Jetzt werden nicht mehr so viele negative Dinge über mich gesagt. Ich wollte das Narrativ verändern.»
Die Liebe spielt dabei eine wichtige Rolle. Seit vergangenem Dezember ist er mit einer wunderbaren Frau zusammen. Nach seinen Matchs lässt er kaum eine Chance aus, sich bei ihr im Platzinterview zu bedanken.
Der Unterschied zu früher ist bei Kyrgios, dass er es nun schafft, sich nach seinen Wutausbrüchen und Schimpftiraden wieder schnell zu beherrschen. Er verliert die Kontrolle nicht mehr. Der Ärger geht nicht mehr tief.

Genau dies berichtet auch der Dalai -Lama, dass selbst er manchmal Ärger verspürt – diesem aber keinen grossen Platz gewährt, so dass dieser nicht tief gehen kann und schnell wieder weg ist.

Weiterer prominenter Mann: Kevin-Prince Boateng

Der frühere Fussballprofi fiel während seiner Karriere in eine Depression. Er sagt, wie er diese erlebte – und wie er seinen Stolz beiseitelegen musste, um sie zu überstehen.

Copyright Tagesanzeiger

„Solche psychischen Probleme sind natürlich tricky, weil sie sich ganz langsam in dein Leben schleichen. Es gibt nicht den Moment, in dem du sagst: Hier habe ich die Depression gefühlt. Sie kommt langsam, nimmt dir Kraft und Energie oder deinen Willen, irgendetwas zu tun. Und irgendwann sass ich dann da und war komplett leer.“

Ausdruck einer anderen Krankheit oder einer Medikamenten-Nebenwirkung?!

Immer muss ausgeschlossen werden, dass diese depressive Symptomatik nicht durch organische Erkrankungen bzw. die Einnahme von Arzneimitteln (Anabolika, Interferon, Isotretinoin, Kortikosteroide, Antibabypille, Antiepileptika) oder Drogen  (Alkohol, Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Kokain, Halluzinogene, Narkotika) verursacht werden.

Abzugrenzen ist (v.a. beim älteren Menschen) eine Demenz (Alzheimer z.B.), die auch obige Symptome aufweisen kann. Die Orientierung ist bei der reinen Depression jedoch meist normal und in der Demenz gestört. Und die Psychomotorik ist beim Depressiven oft verändert und bei der Demenz meist normal (Genaueres dazu siehe auch hier).
Ein sehr hilfreiches Instrument dazu ist die Cornell-Skala. Dieser Test umfasst 19 Items, welche Veränderungen der Stimmung, des Verhaltens, vegetativer Funktionen wie Appetit und Schlaf sowie weitere Störungen erfassen. Von anderen Depressionsskalen unterscheidet sich die Cornell-Skala dadurch, dass sie nicht nur durch ein Gespräch mit dem Patienten erhoben wird, sondern sich vor allem auf Beobachtungen der Pflegenden stützt, die im Zeitraum von einer Woche erhoben werden.

Dann auch Neurologische Erkrankungen wie Zerebrovaskuläre Erkrankungen, Epilepsie, Hydrocephalus, Infektionen (inkl. HIV und Neurosyphilis), Migräne, Morbus Huntington, Morbus Parkinson, Morbus Wilson, Multiple Sklerose, Narkolepsie, Neoplasmen (Krebs), Schlafapnoe, Neurologisches Trauma.

Dann Internistische Erkrankungen:
Endokrinologische: Hyperaldosteronismus, Hyper- bzw. Hypoparathyreodismus, M.Cushing, M.Addison, PMS, Schilddrüse (Hypo-, Hyperthyreose).
Infektionen und rheumatische Erkrankungen: Borreliose, HIV, Hepatitis B, Lues; Rheumatoide Arthritis; Polymyalgia rheumatica; Sjögren Syndrom, Systemischer Lupus Erythematodes; Tuberkulose.
Diverse: Porphyrie, Urämie; Vitamindefizite (C, B12, Folsäure, Niacin, Thiamin), Eisenmangel.

Depression (MDD) scheint durch Entzündungen mitverursacht oder verschlechtert (Entzündungsmarker sind regelmässig pathologisch).
(J Neurol Neurosurg Psychiatry 2012;83:495-502: Depression: an inflammatory illness? Rajeev Krishnadas, J.Cavanagh; a review)
Bei der Depression findet man auch meist eine Neuroinflammation, eine Entzündung der Nerven und des Hirns, was in einer grösseren Reizbarkeit für Schmerzen, in Hypersensibilitätszustände mündet. Deshalb findet man zusammen mit depressiven Zuständen auch häufig somatische Symptomenkomplexe, wie Reizdarm, Reizblase, Unterleibschmerzen (Beckenschmerzen), Kopfschmerzen – also Schmerzzustände aller Art.
Man kann sich mit der Neuroinflammation auch erklären, weshalb mässige, aber regelmässige Bewegung die Depression stark bessert, da durch die Muskeltätigkeit ausgelösten Stoffwechselvorgänge die Neuroinflammation wesentlich vermindern.

(Copyright Prof. Jürgen Sandkühler, Zentrum für Hirnforschung, Medizinische Universität, Wien; http://chr.meduniwien.ac.at)

Dein Smartphone macht Dich depressiv.

Generation „Kopf unten“ aufgepasst. Wer sein Smartphone häufig benutzt (also fast jeder), riskiert ernsthafte Depressionen.
Das haben Forscher der University of Auckland festgestellt.
Der Grund ist ganz einfach: Wer viel textet und surft, lässt auch viel den Kopf hängen. Buchstäblich.

Wir bekommen nicht nur bei Selbstwertproblemen und mieser Stimmung eine schlechte Körperhaltung, sondern auch anders herum – eine schlechte Körperhaltung krümmt unseren Geist und dämpft unser Selbstwertgefühl.
Nichts anderes passiert, während wir aufs Handy schauen: Kopf runter, Schultern runter. Nimm einem, der so da steht, das Smartphone aus der Hand und er sieht aus, als wäre er verdammt deprimiert. Dem Gehirn reicht diese Haltung als Signal, es zieht seinen Schluss aus dieser Haltung.
Diese Körperhaltung ruiniert neben der Laune auch unser Selbstvertrauen und unsere Leistungsfähigkeit in Tests sowie die generelle Produktivität, ausserdem fällt es uns so schlechter, uns an gute Dinge zu erinnern, während sich die schlechten nur so aufdrängen.
Über die Therapie dieser Haltungsstörung siehe hier auf dieser Website!

Und… zum Digital-Detox hier in meinem Blog

Die Arbeitswelt macht depressiv

Die Welt des Lebendigen mit seinen Rhythmen und Zyklen (Atmung, Puls, Tag/Nacht, Jahreszeiten…) steht im Widerstreit mit dem modernen Projekt des linearen Fortschritts und des unaufhörlichen Wachstums unserer Wirtschaft, also mit unserer Arbeitswelt. Dies kann depressiv machen und in ein Burnout führen.
Es braucht einen neue Versöhnung dieser gegensätzlichen Prinzipien, eine Arbeitswelt, in der auch die zyklische Regeneration von uns Menschen, aber auch der Natur um uns Platz hat.
Vertiefen >>> Sternstunde Philosophie, 01/24 mit Thomas Fuchs, Psychiater und Philosoph

Spätaufstehen macht depressiv

Um 23% liesse sich das Risiko einer Depression verringern, wenn Spätaufsteher eine Stunde früher aufstünden (und zu Bett gingen). Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher nach der Auswertung von Daten aus mehreren Studien. Würden Spätaufsteherinnen es schaffen, zwei Stunden früher aus dem Bett zu kommen, liesse sich das Risiko weiter senken. Sie sollten tagsüber möglichst viel Licht bekommen. (Iyas Daghlas u.a.: Genetically proxied diurnal preference, sleep timing, and risk of major depressive disorder. JAMA Psychiatry, 2021)

Antibabypille und Depression

Spätestens seit 2016 wird die Depression bei jungen Frauen untrennbar mit der Pille verbunden. Damals zeigte eine grosse Untersuchung aus Dänemark, dass Frauen, die mit der Pille verhüteten, ein um 80 Prozent höheres Risiko hatten, in eine Depression zu rutschen. Die Selbstmordrate war sogar dreimal so hoch wie in der Kontrollgruppe (die absoluten Suizidzahlen lagen mit 71 Fällen unter den 500.000 Befragten allerdings auf sehr niedrigem Niveau).
Den negativen Einfluss auf die Stimmung bestätigte aber zuletzt im Juni 2023 nochmals eine grosse Studie mit britischen Daten: Hier war das Risiko depressiver Symptome bei Patientinnen, die sich in ihrer Jugend für die Pille entschieden hatten, um 130 Prozent erhöht.

Diagnostik-Test

Sich selber testen: PHQ-Test!

…und eher für Fachkräfte:

Sehr hilfreich zur Abgrenzung gegen eine Demenz (Alzheimer) ist die oben beschriebene Cornell-Skala, die sich vor allem auf Beobachtungen der Pflegenden stützt.

Die Hamilton-Skala (Hamilton Rating Scale of Depression – HRSD) ist ein standardisiertes diagnostisches Instrument für den Arzt zur Beurteilung des Schweregrades einer Depression. Die Hamilton Skala dient insbesondere dazu, die Wirksamkeit verschiedener Therapien, z.B. von Medikamenten in Zulassungsstudien, zahlenmässig exakt zu erfassen. Die Skala wurde 1960 von dem deutschstämmigen englischen Psychiater Max Hamilton (”Himmelschein”) eingeführt.
In der ursprünglichen, auch heute noch oft verwendeten Fassung, werden 21 Symptomenkomplexe systematisch vom Untersucher mit Punkten bewertet.
Untersuchungspunkte sind z.B. die depressive Stimmung (Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Wertlosigkeit), Schuldgefühle, Selbstmordgedanken, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden, Sexualität, Gewichtsverlust.
Die Bewertung erfolgt aus dem Punktetotal. Je höher die Punktzahl, um so stärker ist die Depression. 66 ist die höchste, 0 die niedrigste erreichbare Punktzahl. Es gibt keinen “Normalwert”, aber es hat sich eingebürgert, ab 10 Punkten von einer leichten, ab 20 von einer mittelschweren und ab 30 von einer schweren Depression zu sprechen.
Die Hamilton Scale in Englisch zum Download – Testinstrument für Ärzte, ungeeignet zur Selbstdiagnose!

Kardiovaskuläre Erkrankungen und Depression

Diese zwei Krankheiten scheinen häufig gekoppelt zu sein. Nach einem Herzinfarkt besteht ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine Depression und nach Hirnschlag ein 3-faches oder höher (Lesperance et al. Psychosomat Med 1996; Morris et al. Am J Psychiatry 1993).

Depression fördert gestörte Schmerzwahrnehmung im Darm und damit den Reizdarm

Depression und Angststörungen sind häufige, d.h. in etwa 40% Komorbiditäten des Reizdarmsyndroms. Aktuelle Daten weisen nun in Richtung einer gestörten Verarbeitung viszeraler Schmerzreize in den Gehirnen von IBS-Patienten (Neuroinflammation). Diese Auffälligkeiten sind umso ausgeprägter, wenn Patienten deutlichere Anzeichen einer Depression zeigen. Sie sind weniger gut in der Lage, Schmerzsignale aus dem Darm zentral zu unterdrücken.

Zudem gibt es einen klaren Zusammenhang einer verarmten Darmbesiedlung (ungünstiges Mikrobiom) mit der Depression: siehe hier: Mikrobiom-und-Depressionen.pdf!

Es existiert aber das Paradoxon!
Männliche Vegetarier könnten ein höheres Risiko für Depressionen haben als Männer, die Fleisch essen! Darauf deutet eine Studie der USamerikanischen National Institutes of Health (NIH) mit mehr als 9.600 Männern hin:
Vegetarische Kost bei Männern mit mehr Depressionen assoziiert.pdf

Familiär gehäuft

Es gibt Dispositionen zur Depression (gehäuft in Familien). Es existiert dann der Aspekt einer sog. Vererbung. Ich sage „sogenannt“, da genauso bei einer familiären Situation das Erleben der Nichtkontrolle von Unangenehmen eine Verringerung der Motivation, eine Passivität, eine Hilflosigkeit hervorrufen kann (also doch keine „Vererbung“).

Das erschöpfte Selbst

Die heutige Häufung von Depressionen und Suchtkrankheiten aller Art führt man auch auf die Überforderung des heutigen Menschen zurück, in Erfüllung des Versprechens der autonomen Persönlichkeit jederzeit für alles selbst verantwortlich sein zu sollen. Depressiv wird der Mensch demnach nicht, weil ihm Möglichkeiten verwehrt bleiben, sondern weil er die Illusion ertragen muss, dass ihm alles möglich ist. Unter diesem Druck fällt er empfindungslos zusammen und explodiert in der Sucht nach Reizen.
Drückte Menschen früher eher die Tatsache nieder, dass sie keine (oder kaum eine) Wahl hatten – wobei sie eben darin Statussicherheit, eventuell auch Seelenruhe finden konnten – wird nunmehr die Wahl die Norm und die Unsicherheit ihr Preis.

Bewegungsarmut und Depression

Sicher 40% aller leichten Depressionen kommen ursächlich aus einem Bewegungsmangel im Alltag! Das Risiko ist um das Dreifache verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung erhöht. Weiterlesen >>>

Endogen?

„Endogene“ Depression (also von innen kommend) heisst vorerst mal: nicht induziert (z.B. durch andere schwere psychische oder körperliche Krankheit), nicht postinfektiös (nach schwerer Infektionskrankheit), nicht traumatisch (z.B. frühkindliche Trennung) – nicht „reaktiv“ also.
„Endogen“ wurde auch wieder populär, da der Hirnstoffwechsel von Depressiven offensichtlich anders funktioniert und dies der Ansatz der antidepressiven Medikamente ist, die diesen Stoffwechsel wieder normalisieren und damit der Mensch überhaupt wieder fähig ist, die Denkmuster zu verändern. Diese Hirnstoffwechselstörung als Ursache und nicht als sekundäres Phänomen zu sehen, ist aber rein hypothetisch.
Wir als Betreuer müssen die Hoffnung übernehmen, weil wir wissen, das Medikamente und Psychotherapie helfen können. Wir müssen die Frequenzen wieder etwas zum schwingen bringen („es gilt das Herz zu rühren, des Königs steinern Herz…“). Denn die Sinne etwas wahrzunehmen, sind beim Depressiven immer noch offen – im Gegensatz zum Geist.

Burnout und Depression

Es ist umstritten, wo die Definition eines „Burnout“ beginnt und wo die einer „Depression“ aufhört. Überschneidungen sind gross – Unterscheidung nur partiell möglich. Die Prophylaxe beider Zustände ist ähnlich – die Therapie zum Teil und betrifft beim Burnout häufiger in Arbeitssituationsverbesserungen: siehe dazu die eigene Seite über das „Burnout“ auf dieser Website.

Therapieansätze

Was tun?

Als Hausarzt interessiert mich zuerst mal:
Wie steht es um Ihre engsten Beziehungen?
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Wohnsituation?
Und wie am Arbeitsplatz?
Dies wären die drei wichtigsten Bereiche des Lebens, die zu körperlicher und seelischer Gesundheit beitragen. Stimmt es hier nicht, kann eine Depression die Folge sein.
Es sind auch vor allem in obigen drei Dingen die eigenen Bedürfnisse, der „Innere Ruf“, deren Nicht-Befolgen in eine Depression münden kann!

Bei einer Depression kommt es darauf an, sich gerade gegenteilig zu verhalten wie mit Depression. Also etwa so:

  • Kopf rauf. Blick nach vorn.
  • Sorgfältige Kleidung tragen. Sich schön machen.
  • Musik. Singen unter der Dusche – und ausserhalb (siehe unten).
  • Sport. Rausgehen.
  • Mit allen möglichen Leuten zu Spaziergängen abmachen.
  • Ein Internet/Social Media welches mir dient und von dem ich nicht beherrscht werde!

Chorsingen hilft gegen Depressionen. Dies zeigt eine Übersichtsstudie der University of Queensland, Australien. Die Forscher analysierten dazu sieben Studien und fanden heraus: Durch das Gruppensingen fühlten sich die Teilnehmer weniger psychisch belastet. Regelmässiges Chorsingen macht Menschen emotional stärker und gibt ihnen Lebenssinn.
(„The European Journal of Health“, 2018)

  • Immer sollten persönliche, soziale Missstände aufgedeckt, angeschaut und verändert werden. Auch deshalb ist eine Gesprächs- oder andere Psychotherapie (auch eine Paartherapie kann sehr förderlich sein) bei einem Psychologen/-In oder psychotherapeutisch ausgebildeten Psychiater oder Hausarzt sehr erlösend. Ihr Hausarzt kennt gute Adressen oder kann Ihnen auch selbst mit Gesprächen und ev. sogar Medikamenten helfen. Er sollte auch seltene Ursachen, die zu denselben Symptomen führen können, ausschliessen (z.B. Veränderungen des Hirns).
    Schwerpunkte der Paartherapie bei Depression ist die Förderung der Kohäsion des Paares, der gegenseitigen Unterstützung, der Kommunikation der Partner, der gegenseitigen Akzeptanz und der Unabhängigkeit/Autonomie – aber auch der Abbau von ambivalentem Verhalten, Drohungen bezüglich Trennung, abschätziger Kritik/Abwertung, inadäquater Unterstützung und der Monotonie in der Beziehung (siehe auch meine Seite über „besseren Sex“!).
    Zur Persönlichkeitstheorie siehe hier oben >>>
    .
  • Bezwingen Sie negatives Denken:
    Alle Menschen haben die Tendenz, mehr über schlechte Erfahrungen nachzudenken als über positive. Das ist eine evolutionäre Anpassung – das Überwinden von gefährlichen oder verletzenden Situationen, die uns im Laufe des Lebens begegnen (Mobbing, Trauma, Verrat), hilft uns, sie in Zukunft zu vermeiden und in einer Krise schnell zu reagieren.
    Aber das bedeutet, dass Sie etwas härter arbeiten müssen, um Ihr Gehirn zu trainieren, negative Gedanken zu überwinden. Und so geht’s:
    Versuchen Sie nicht, negative Gedanken zu stoppen.
    Wenn Sie sich sagen: „Ich muss aufhören, darüber nachzudenken“, werden Sie nur noch mehr darüber nachdenken. Machen Sie sich stattdessen Ihre Sorgen zu eigen. Wenn Sie sich in einem negativen Kreislauf befinden, benennen Sie ihn: „Ich mache mir Sorgen um Geld.“ „Ich bin besessen von den Problemen auf der Arbeit.“ Behandeln Sie sich selbst wie einen Freund.
    Wenn Sie sich selbst gegenüber negativ eingestellt sind, fragen Sie sich, welchen Rat Sie einer Freundin geben würden, die niedergeschlagen ist. Versuchen Sie nun, diesen Rat auf sich selbst anzuwenden. Stellen Sie Ihre negativen Gedanken in Frage.
    Sokratisches Hinterfragen ist der Prozess des Hinterfragens und Änderns irrationaler Gedanken. Studien zeigen, dass diese Methode Depressionssymptome reduzieren kann. Das Ziel ist, Sie von einer negativen Denkweise („Ich bin ein Versager.“) zu einer positiveren zu bringen („Ich habe in meiner Karriere viel Erfolg gehabt. Dies ist nur ein Rückschlag, der nicht auf mich zurückfällt. Ich kann daraus lernen und besser werden.“) Hier sind einige Beispiele für Fragen, die Sie sich stellen können, um negatives Denken herauszufordern. Schreiben Sie zunächst Ihren negativen Gedanken auf, z. B. „Ich habe Probleme bei der Arbeit und zweifle an meinen Fähigkeiten.“
    Fragen Sie sich dann: „Was sind die Beweise für diesen Gedanken?“
    „Beruht er auf Fakten? Oder auf Gefühlen?“
    „Könnte ich die Situation falsch interpretieren?“
    „Wie könnten andere Menschen die Situation anders sehen?
    „Wie würde ich diese Situation sehen, wenn sie jemand anderem passiert wäre?“ Die Quintessenz: Negatives Denken passiert uns allen, aber wenn wir es erkennen und dieses Denken hinterfragen, machen wir einen grossen Schritt in Richtung eines glücklicheren Lebens.

    Dann machen Sie die »Was gut gelaufen ist«-Übung:

    Es gibt gute evolutionäre Gründe dafür, dass die meisten von uns nicht annähernd so geübt darin sind, der guten Ereignisse eingedenk zu sein, wie sie im Analysieren unglücklicher Vorfälle sind. Jene unter unseren Vorfahren, die viel Zeit damit verbracht haben, sich im Sonnenschein angenehmer Ereignisse zu räkeln, während sie sich besser auf Schlimmes vorbereitet hätten, haben die Eiszeit nicht überlebt. Um also die natürliche Neigung unseres Gehirns, sich auf Katastrophen einzustellen, überwinden zu können, müssen wir an der Fähigkeit des Denkens an Dinge, die gut gelaufen sind, arbeiten und sie einüben. Nehmen Sie sich in den folgenden Wochen jeden Abend, bevor Sie ins Bett gehen, zehn Minuten Zeit für diese Übung. Schreiben Sie drei Dinge auf, die heute gut gelaufen sind und warum sie gut gelaufen sind. Sie können ein Tagebuch oder Ihren Computer dazu verwenden, diese Ereignisse festzuhalten, aber es ist wichtig, dass Sie eine greifbare Aufzeichnung besitzen. Die drei Dinge müssen nicht weltbewegend wichtig sein (»Mein Mann hat heute auf dem Heimweg mein Lieblingseis zum Nachtisch besorgt«), aber sie können das natürlich auch sein (»Meine Schwester hat heute einen gesunden Jungen zur Welt gebracht«). Beantworten Sie nach der Benennung des positiven Ereignisses auch die Frage: »Warum ist es dazu gekommen?« Wenn Sie zum Beispiel geschrieben haben, dass Ihr Mann Eiscreme besorgt hat, dann notieren Sie: »Weil mein Mann manchmal sehr aufmerksam ist« oder »Weil ich daran gedacht habe, ihn anzurufen und ihn daran zu erinnern, in den Supermarkt zu gehen«. Oder wenn Sie geschrieben haben: »Meine Schwester hat gerade einen gesunden Jungen zur Welt gebracht«, dann könnten Sie als Grund angeben: »Weil der liebe Gott es gut mit ihr meint« oder »Weil sie während der Schwangerschaft alles richtig gemacht hat«.

    Darüber zu schreiben, warum die positiven Ereignisse in Ihrem Leben geschehen sind, mag sich zuerst seltsam anfühlen, aber bleiben Sie eine Woche lang dabei. Es wird immer leichter werden. Es ist wahrscheinlich, dass Sie nach etwa sechs Monaten geradezu süchtig nach dieser Übung sind und weniger deprimiert und glücklicher sein werden.
    (aus:
    Flourish – wie Menschen aufblühen: Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens, Martin Seligmann)

  • Das beste antidepressiv wirksame Medikament ist die ERNÄHRUNG!
  • Nichts bringt besser positive Gefühle zum Vorschein als Essen, das mit Liebe gekocht wurde.
  • Vegetarische Ernährung verbessert stark unser Mikrobiom (Darmbesiedlung mit Bakterien) und damit eine Depression! Dies gilt vielleicht für Männer nicht!
    Dabei aber das Eisen und Vitamin B12 im Blut im Auge behalten, da eine Mangel Depressions- ähnliche Symptome (Müdigkeit…) machen kann.
  • Kurzfasten, optimal als 16:8 wirkt antidepressiv, wahrscheinlich über eine stark antientzündliche Wirkung (gegen die Neuroinflammation).
  • Viel Fisch, aber auch Walnüsse, Oliven-, Raps- und Leinöl in der Ernährung stabilisiert auch die Seele. Ein niedriger Omega-3-Fettsäuren-Spiegel führt zu Serotoninmangel, was depressive Störungen hervorrufen kann.
    Ein Therapieversuch mit Fischöl-Kapseln jedoch scheint nach neusten Studien sogar kontraproduktiv! Eine Studie mit rund 18 ​000 Probanden aus dem Jahr 2021 gezeigt, dass bei über 50-jährigen Personen, die Omega-3 mit Fischölkapseln supplementierten, das Risiko einer Depression anstieg.
    V.a. in der Schwangerschaft hat die Mutter einen besonders hohen Omega-3-Bedarf – das Depressionsrisiko ist dann auch massiv erhöht. Fettiger Meerfisch und Leinöl (jeden Tag ein bis zwei Esslöffel) sind also in der Schwangerschaft sehr wichtig.
  • Eine Mediterrane Diät (Vollkornprodukte, Gemüse, Hülsenfrüchte, Früchte, Fisch, low-fat und ungesüsste Milchprodukte, mageres rotes Fleisch, Geflügel, rohe ungesalzene Nüsse, Eier, Olivenöl, …), bis 2 Gläser Wein pro Tag) wirkt prophylaktisch und auch therapeutisch gegen eine Depression! (http://www.evimed.ch/journal-club/artikel/detail/therapie-einer-depression-mit-diaet/)
  • Wer im Alter Depressionen vorbeugen möchte, sollte grünen Tee trinken – vier Tassen pro Tag halbieren das Risiko nahezu! (Takahashi H, Am J Clin Nutr 2009; 90: 1615-1622)
  • Dunkle Schokolade: Neuere Studien zeigen eine klar antidepressive Wirkung. „Das Problem ist, wenn man Menschen sagt, dunkle Schokolade sei gut, dann essen sie wahrscheinlich eine Menge dunkler Schokolade anstelle von Obst und Gemüse. Vor allem ist aber Bewegung und eine gute, ausbalancierte Ernährung wichtig“, betont Riba im Begleittext der Studie.
  • Mehr über Ernährung und Depression hier in meinem Blog: http://walserblog.ch/2015/10/09/brainfood/ !
    .
  • Depressionen und psychodelische Drogen wie Ketamin!
    .
  • Der Verzicht auf die eigene Bedürfnis kann in eine DEPRESSION führen!
    Fragen nach den Ausnahmen: kein Problem ist ständig da oder immer gleich stark. Also Fragen nach problemfreien oder problemarmen Zeiten…
    Hier ist besonders wichtig, welche Teile des Lebens noch gelingen, wo es Inseln des Erfolges und der Zufriedenheit gibt. Was macht trotz Depression noch Freude oder was hat früher Freude bereitet (Freudentagebuch!)?!
    Welche positiven Effekte hat die Depression im System, im Lebenszusammenhang?
    z.B. Ich bekomme eine Pause, wenn ich überfordert bin… ich werde in Ruhe gelassen…
    Ich werde endlich beachtet und ein wenig versorgt… die anderen verlangen nicht mehr soviel von mir…
    Ich kann erleben, wer wirklich für mich da ist, wer mich wirklich so liebt, dass er auch so zu mir steht…
    Depressives Verhalten führt oft dazu, dass andere mehr Verantwortung übernehmen, mehr Rücksicht nehmen… So tritt Entlastung für den Leidenden auf…
    Eine Art Notbremse, ein Frühwarnsystem…
    Normalerweise kann ich nicht Nein sagen – jetzt geht es nicht anders…

Lösungsorientiert ist auch die „Wunderfrage„: Wenn über Nacht ein Wunder passieren würde und das Problem würde wie weggezaubert aus dem Leben verschwinden: Was wäre morgen anders?
Woran würdest Du nach dem Aufwachen als Erstes bemerken, dass das Problem weg ist? Ganz konkret?
Was würdest du am Morgen danach als Erstes tun? Was dann?
Wer würde als Erster bemerken, dass das Problem weg ist? Wer dann?
Was würdest du am meisten vermissen in deinem Leben, wenn das Problem plötzlich weg wäre?
Wenn du einen Grossteil der Probleme bewältigt hast, wie sehe dann dein Leben aus, was würdest du anders machen als heute?
Woran würden die anderen eine Behebung/Verbesserung des Problems festmachen?
Wer würde am meisten überrascht sein?
Wer würde stark, wer schwach und wer gar nicht darauf reagieren, wenn es weg wäre? Wie stark würde jeder reagieren? Kannst du dies auf einer Skala von 1 bis 10 einschätzen (je höher der Wert, desto grösser die Reaktion)?
.

.

  • Achtsamkeitstraining, z.B. die Mindfulness-BasedCognitiveTherapy (MBCT) kann den Betroffenen einen Weg weisen, ihren Ängsten und depressiven Episoden entgegenzutreten, sich selbst aus den düsteren Gedankenzirkeln zu befreien und vor Rückfällen zu schützen. Achtsamkeit hilft, satt im Tun-Modus, im Sein-Modus offen zu sein für die Erfahrung im jeweiligen Augenblick, ohne sie verändern zu wollen.
    Literatur dazu: Petra Meibert: Der Weg aus dem Grübelkarussel. Achtsamkeitstraining bei Depression, Ängsten und negativen Selbstgesprächen. Das MBCT-Buch. Kösel, 2014.
    Siehe dazu auch die zeitliche Zusammenhang zwischen Depression und Angst – und der Ausweg über die „Mitte“, über das „Hier und Jetzt“!
    .
  • Sicher 40% aller leichten Depressionen kommen ursächlich aus einem Bewegungsmangel im Alltag! Das Risiko ist um das Dreifache verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung erhöht.
    Hier wird auch immer als zentrales Thema, die Besserung einer Neuroinflammation durch Bewegung angesehen.
    Was also bei Depressionen immer auch positiv wirkt sind tägliche Waldläufe, Wanderungen oder andere körperliche Betätigungen (Joggen: siehe hier!) (30 Minuten täglich, gemäss British Journal of Sports Medicine, Bd.35, S.114 – siehe auch Lawlor DA, Hopker SW. BMJ 2001; 322: 763-7).
    Die Dosis macht‘s! Sport scheint die seelische Gesundheit deutlich zu verbessern – doch zu viel bewirkt das Gegenteil! In einer Querschnittsstudie zeigten 3 bis 5 Trainingseinheiten mässiger Intensität pro Woche zu je 45 Minuten die besten Ergebnisse. (Sammi R. Chekroud und Kollegen in Lancet Psychiatry, 2018). Mehr war viel schlechter!
    Bei 44% aller leichten Depressionen ist der Bewegungsmangel sogar die Ursache!
    .
    Eine Metaanalyse mit 218 Originalarbeiten (14 170 Teilnehmende, 495 Behandlungsarme) verglich den antidepressiven Effekt verschiedener Sportarten gegenüber herkömmlichen Behandlungsoptionen (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [SSRI], Psychotherapie). Den besten Erfolg zeigten Spazieren («walking»), Joggen, Yoga und Krafttraining, wobei die Wirksamkeit mit der Intensität der Aktivität korrelierte. Insgesamt waren die erzielten Behandlungseffekte vergleichbar mit psychotherapeutischen und pharmakologischen Ansätzen, auch schnitt die Kombination von SSRI und Aktivität besser ab als die isolierte medikamentöse Therapie. Die Studie unterstreicht damit den wichtigen Stellenwert körperlicher Aktivität in der Behandlung einer Depression. (BMJ. 2024, doi.org/10.1136/bmj-2023-075847)
  • Schaukeln hilft auch: Es sollten aber schon ein bis zwei Stunden täglich sein (Schaukelstuhl, etc.
  • Yoga ist nicht nur gut für den Körper, sondern es ist auch gleich wirksam wie eine Psychotherapie. Zu diesem Ergebnis kommen Psychologen der Universität Jena. Sie werteten 25 Studien mit über 1300 Personen aus. Alle von ihnen machten klassisches Hatha-Yoga mit Atem- und Körperübungen, um psychische Störungen wie Depression, Süchte oder Ängste zu behandeln.(Deutsches Ärzteblatt,2016 – Studie aus Jena)
  • Neu wird auch wieder „partieller Schlafentzug“ als äusserst erfolgreich beschrieben: Während der zweiten Nachthälfte müssen sie wach bleiben (d.h. Wecker auf 2 – 3 Uhr stellen, falls sie um 22 oder 23 Uhr ins Bett gehen). In einer Woche wiederholen sie dies in drei Nächten und stoppen dann wieder. Dies ergibt bereits in 2/3 aller Fälle eine anhaltende Besserung. Bereits nach der ersten Nacht merken sie übrigens genau, ob diese Methode bei ihnen anschlägt, denn schon dann sollte eine klare stimmungsaufhellende Wirkung vorhanden sein.
    Der Nachteil dieser Therapie liegt auf der Hand: die Müdigkeit.
    An der Freiburger Uniklinik wird deshalb ein anderes Verfahren erprobt: der Schlafentzug mit anschliessender Schlafphasenverschiebung. Nach einer vollständig durchwachten Nacht dürfen die Patienten täglich sieben Stunden schlafen, allerdings zu vorgezogenen Zeiten: in der ersten Nacht von fünf Uhr nachmittags bis Mitternacht, in der zweiten von sechs bis eins usw., bis sie nach einer Woche wieder gewöhnliche Schlafenszeiten erreicht haben.
    Bei Depressiven scheint in irgendeiner Weise die Synchronisierung von Schlaf-Wach-Zyklus und inneren Rhythmen gestört zu sein. Dafür gibt es verschiedene Anhaltspunkte: Viele Patienten fühlen sich morgens besonders mies und abends relativ gut. Diese Leute sprechen übrigens besonders gut auf Schlafentzug und Schlafphasenverschiebung an!
    Ausserdem wirkt der partielle Schlafentzug in der zweiten Nachthälfte etwas besser als in der ersten. Und Vormittagsnickerchen nach einer durchwachten Nacht führen häufiger zu einem Rückfall in die Depression als Nachmittagsnickerchen.
    Dies alles bestätigt eine Hypothese, dass es in den frühen Morgenstunden eine kritische Phase gibt. Schläft ein depressiver Mensch zu diesem Zeitpunkt, wird eine Art Schalter umgelegt, der die Stimmung verschlechtert. Bleibt er hingegen in der kritischen Phase wach, umgeht er den Absturz in die Schwermütigkeit.
    .
  • Lichttherapie: Winterdepressionen, d.h. depressive Verstimmungen in der sonnen- und lichtarmen Jahreszeit (auch saisonale Depression genannt, seltener existiert also auch eine Sommerdepression!) kann durch morgendliches (zwischen 5:30 und 9:00) anstrahlen von 2’500 (für ein bis zwei Stunden) bis 10’000 (während 30 Minuten) Lux-Lampen (weisse Leuchtstoffröhren) sehr positiv beeinflusst werden. Bereits nach 10 bis 14 Tagen hebt sich die Stimmung. Es wird empfohlen, eine Lichttherapie solange durchzuführen, bis die Frühjahrssonne wieder mehr Licht liefert. (z.B. Archives of general Psychiatry, Vol. 58, No.1 (2001), S.69 – 75).

    Eine Möglichkeit „natürlicher“ Lichttherapie besteht darin, dass die Morgendämmerung simuliert wird: noch während die Betroffenen schlafen, wird ein Licht eingeschaltet und über ein bis zwei Stunden langsam heller gemacht, bis zur ungefähren Aufwachzeit die volle Lichtstärke erreicht ist.
    Winterdepressionen sind (im Gegensatz zur selteneren Sommerdepression) häufig von so genannten atypischen Depressionssymptomen begleitet; dazu gehören zum Beispiel vermehrter Schlaf und verstärkter Appetit (vor allem für Süsses) mit Gewichtszunahme.
    Auf www.chronobiology.ch findet sich eine Liste, welche die Schweizer Institutionen angibt, in denen eine Lichttherapie möglich ist. Diese Seite liefert auch weitere nützliche Infos, wie z.B. Adressen von Firmen, die Tischgeräte für die Heim-Lichttherapie vertreiben.
    Gemäss neueren Studien hilft die Lichttherapie aber auch sämtlichen über 60jährigen mit Major Depression: 1 Stunde morgens mit ca. 7500 Lux! (Arch Gen Psychiatry 68(1):61-70, January 2011 © 2011 to the American Medical Association; Bright Light Treatment in Elderly Patients With Nonseasonal Major Depressive Disorder-A Randomized Placebo-Controlled Trial. Ritsaert Lieverse, Eus et Al.)
    .
  • Botulinumtoxin unter die Haut zwischen die Augen gespritzt, dort wo sich die Zornesfalten bilden, kann eine (auch schwere) Depression stark verbessern.
    Als Begründung wird die sogenannte Facial-Feedback-Hypothese angesehen, eine gegenseitige Wechselwirkung von Emotionen und der Mimik (die umgekehrte Abhängigkeit ist ja altbekannt). Als Beispiel sind die Versuche bekannt, dass Menschen Comics anschauen und dabei einen Stift nur mit den Zähnen und nicht mit den Lippen im Mund halten. Diese Aktivierung der Lachmuskeln macht, dass die Comics lustiger empfunden werden!
    Diese Rückkoppelung vermag Botulinumtoxin nun offenbar zu unterbrechen.
    (J Psychiatr Res. 2012 Feb, Facing depression with botulinum toxin: A randomized controlled trial. Wollmer)
    .
  • Bei älteren Menschen mit Depression wirkt auch sehr gut:
    – mehr Kinobesuche
    – mehr Konzerte, Opern, Theater,…
    – mehr Kunstausstellungen!
    .
  • Medikamente Antidepressiva:
    Antidepressiv wirkende Medikamente (SSRI) können allein genommen oder mit Psychotherapie kombiniert werden. Sie sind laut umfassenden und neueren Studien leider nicht so wirksam, wie sie dargestellt werden. Psychotherapie ist bei leichten und mittelgradigen Depressionen wirksamer, als Medikamente es sind. Das gilt nicht unbedingt für die Akutbehandlung, wohl aber für die Wirkung auf lange Sicht.. Medikamente führen nach Absetzen häufiger zu einem Rückfall. Das Risiko für eine erneute depressive Episode steigt nach erfolgreicher Behandlung durch ein Medikament allein um das Drei- bis Fünffache. Bei frühzeitiger psychotherapeutischer Behandlung sinkt aber das Risiko für weitere Depressionen (Robert DeRubeis, Nature Review Neuroscience).
  • Antidepressiva können die Plastizität erhöhen – unter bestimmten Bedingungen:
    Auch herkömmliche Antidepressiva erhöhen die Plastizität im Gehirn, wie Forscher beim Ketamin gefunden haben, und zwar, indem sie an Kalzium-Kanäle von Nervenzellen andocken. Sie binden ausserdem – genauso wie Ketamin – an spezielle Rezeptoren der Hirnzellen und verändern deren Gestalt, sodass ein bestimmter Wachstumsfaktor besser andocken kann. Er sorgt dafür, dass mehr dieser Rezeptoren in die Hülle der Nervenzellen eingebaut werden und verstärkt so die Übertragung von Signalen (Cell: Casarotto et al., 2021).
    Und schliesslich könnte die neue Hypothese sogar eine Erklärung dafür liefern, warum Antidepressiva kein Allheilmittel sind und nicht in jedem Fall helfen. Dass sich Hirnzellen besser verschalten, ist nämlich nur die Grundbedingung für die Genesung. Medikamente können ein Fenster öffnen. Aber damit sich wirklich etwas zum Guten verändert, muss es draussen etwas Neues zu sehen geben.
    Zum Umlernen braucht es beides, Plastizität im Hirn und neue Erfahrungen: Aktivitäten, die Freude bereiten; Menschen, die einem guttun. Und manchmal eine Psychotherapie.
    Tatsächlich wirkt die Kombination von Antidepressiva und Psychotherapie besser als jede der Behandlungen allein, das zeigen verschiedene Metaanalysen (World Psychiatry: Cuijpers et al., 2020,Depression and Anxiety: Cuijpers et al., 2009, Psychological Medicine: Kamenov et al., 2017 ). Diese Situation wird mit einer Autopanne verglichen: Antidepressiva können das Auto reparieren, aber welche Richtung die Patienten danach einschlagen, hängt von vielen Faktoren ab. Eine Psychotherapie wirkt wie eine Beschilderung, die den Weg zur Genesung zeigt.
  • Die Erkenntnisse der Forscher fügen sich allmählich zu einem neuen Bild der Depression – und der Effekte von Antidepressiva: Die Medikamente wirken vermutlich gar nicht per se stimmungsaufhellend, sondern ermöglichen vor allem Veränderung, indem sie Menschen empfänglicher für Einflüsse von aussen machten.
    Das würde auch den merkwürdigen Befund der Wissenschaftlerinnen vom Istituto Superiore di Sanità erklären: Wenn das soziale Umfeld stabil ist, können die Medikamente dessen positiven Wirkungen verstärken. Wenn aber Beziehungen und Sicherheit fehlen, dann können die Pillen auch diese negativen Einflüsse verschärfen!
    Umso wichtiger ist es also, dass besonders Patientinnen und Patienten in schwierigen sozialen Situationen nicht nur Antidepressiva, sondern auch Unterstützung von Psychotherapeuten erhalten. Die Realität sieht jedoch anders aus: Gerade Kranke mit niedrigem Einkommen, einem geringen Sozialstatus und ohne Arbeit bekommen häufiger Psychopharmaka auf Dauer verschrieben. Und wer weniger gebildet ist, nimmt seltener eine Psychotherapie in Anspruch.
    Zudem leiden Menschen mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung ohnehin fast doppelt so häufig unter Depressionen wie Menschen mit einem hohen sozialökonomischen Status.
    Diejenigen, die es ohnehin nicht leicht haben, trifft es also gleich dreifach schwer: Sie bekommen eher eine Depression, ihnen helfen Antidepressiva offenbar im Schnitt weniger gut und sie erhalten seltener eine Psychotherapie. Höchste Zeit, nicht ein vermeintliches chemisches Ungleichgewicht zu behandeln – sondern ein soziales.
    (zitiert aus der ZEIT, 28. März 2023, von Stefania Kara)
  • Antidepressiva nützen nur, wenn der Patient diese auch will und sich eine gute Wirkung erhofft!
  • Medikamentöse antidepressive Therapie beginnt man mit niedriger Dosierung, eventuell zusammen mit Tranquilizer oder Hypnotikum, gibt möglichst rasch eine mittlere Dosis und wechselt das Mittel, wenn keine Zustandsverbesserung nach 3-4 Wochen und Maximaldosis während 10-14 Tagen.
    Auch ein hochdosiertes Johanniskraut-Extrakt über mindestens 3 und mehr Monaten eingenommen, kann wesentlich erleichtern. (Achtung: zahlreiche Interaktionen, die wahrscheinlich zum Teil auf Induktion CYP-450-abhängiger Enzyme beruhen, sind inzwischen beschrieben: erniedrigte Plasmaspiegel von oralen Antikoagulanzien, Digoxin, Ciclosporin, Theophyllin und trizyklische Antidepressiva, Durchbruchblutungen unter desogestrolhaltigen Antibabypillen und Symptome eines Serotoninsyndroms bei Kombination mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (neuere Antidepressiva). Zwei Wochen Abstand zwischen Einnahme von Johanniskraut und den Antidepressiva, aber auch vor Operationsnarkosen (!) erscheint ratsam. (arznei-telegramm 1/2000, 15)
  • Psychedelika (Ketamin) gegen Depressionen
    Wie wirkt dies?
    Der Körper wird leicht und schwebt.
    Das unaufhörliche Rasen negativer Gedanken stoppt. Plötzlich kann man sich auf ein Detail im Raum oder einen kleinen Teil seines Körpers konzentrieren.
    Es ist erleichternd, einfach mal eine Pause vom eigenen Kopf zu haben.
    Diese Leichtigkeit, diese Pause zu erfahren, ist wichtig für Patienten, die schon monatelang depressiv sind. Ketamin zeigt ihnen, dass dieses gute Gefühl noch in ihnen steckt, nur durch die Depression verschüttet.
    Man muss verstehen, was eine Depression mit der Lernbereitschaft des Menschen zu tun hat. Lernen ist eine wichtige Aufgabe des Gehirns. Wenn ich viel Französisch spreche, werde ich mit der Zeit immer besser. Das funktioniert, weil sich die Zellen im Hirn neu verdrahten.
    Die Depression dagegen ist eine Fehlfunktion des Lernens. Patienten kreisen immer um das gleiche Problem oder kommen nicht über ein Trauma hinweg. Heilung bedeutet, dass sie lernen, aus diesen Gedankenschleifen auszubrechen und eine andere Sichtweise auf ihr Problem einzunehmen.
    Man nimmt an, dass Psychedelika bei diesem Lernprozess helfen, indem sie die Neuroplastizität erhöhen. Das bedeutet: Die Nervenzellen werden kommunikativer. Ihre Zellfortsätze verlängern und verästeln sich. Sie wachsen zu Bäumchen und nehmen Kontakt mit Nachbarn auf.
    Wenn die Nervenzellen Bäume sind, so sind Psychedelika ihr Dünger. Sowohl Ketamin als auch klassische Psychedelika sorgen dafür, dass die Zellen der äusseren Hirnrinde ein Molekül herstellen, das die Nervenzellen anregt, zu wachsen und sich zu vernetzen. Unklar ist noch, wie lange die erhöhte Neuroplastizität anhält.
    Aber selbst wenn der Patient nur ein begrenztes Zeitfenster gewinnt, um aus der Blockade, die die Depression auslöst, herauszufinden, reicht das, um eine neue Erfahrung zu machen. Traut er sich wieder aus dem Haus, dann hat bereits eine Verhaltensänderung, ein Lerneffekt stattgefunden. Und das motiviert, weiter an der Depression zu arbeiten.
    Man kann sich das auch so vorstellen: Bei einer Depression laufen die Gedanken wie auf einer vorgespurten Loipe im Schnee. Und das immer wieder in der gleichen Spur. Einmal drin, kommt man schwer wieder raus. Psychedelika verwischen diese Loipe. Sie erlauben den Gedanken, neue Spuren durch den Schnee zu finden.

…und dann noch:

  • Viele Internetseiten versprechen Hilfe bei depressiven Störungen. Doch welche wirken? Zu den von der Stiftung Warentest als wirksam getesteten Angeboten zählt moodgym.de.
    Fünf Übungsblöcke auf verhaltenstherapeutischer Basis helfen bei leicht depressiver Symptomatik, neue Wahrnehmung zu trainieren und unterstützendes Verhalten zu lernen, beispielsweise belastende Gedankenmuster durch neue zu ersetzen.
  • Depression & Erschöpfung:
    kostenlose Onlinetrainings von Universitäten-Gruppe:
    https://geton-training.de/: bei Tumorerkrankungen; bei koronaren Herzkrankheiten; bei Diabetes; bei Rückenschmerz und Arbeitsunfähigkeit
  • und ein interessantes Buch zum Thema:
    David Servan-Schreiber: Die neue Medizin der Emotionen: Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente, 2003, Goldmann.
  • Liebe und Kunst helfen uns, unsere Melancholie in gute Bahnen zu lenken – das Glück, traurig zu sein: Joke J. Hermsen, Melancholie in unsicheren Zeiten. HarperCollins, Hamburg 2021
  • Randolph Neeses Buch „Good Reasons for Bad Feelings lesen.
  • UNTER DER GLASGLOCKE:
    Depressionen sind eine Krankheit der Lebenswelt, eine des Leibes, des Raumes, der Zeit und mithin der Intersubjektivität. Depressionen haben heisst keine Zukunft zu haben, weder denken noch fühlen zu können, dass sich an der konturlosen Unzeit, die man sein Leben nennt, irgendetwas ändert. Es heisst, sich nicht da-seiend, nicht präsent zu fühlen, die Gegenwart als zähe Dauer zu erfahren – die Zeit zu erleben, anstatt sie zu leben – , und von einer lastenden Vergangenheit bedroht, beschämt und grausam erniedrigt zu werden. Was in vermeintlicher Nähe geschieht, fühlt sich unendlich fern an. Die Welt ist stumm, sie spricht nicht zu dir, oder in bedrohlicher Weise. Das Bewusstsein für jeden Horizont ist zerrüttet, das Angebot, das einem die Welt offeriert, verknappt sich auf radikale Weise. Potentialitäten verheissen nichts mehr, versprechen nur Schlimmeres vom Gleichen.
    (Christoph David Piorkowski veröffentlicht am 29 Juni 2022  in PhilosophieMagazin)

Die beste Nachricht kommt ganz zum Schluss: Depressionen können sehr schwer sein – aber sie sind fast immer heilbar. Den allermeisten Menschen geht es irgendwann wieder gut, auch wenn sie sich das in ihren dunkelsten Tagen nicht vorstellen können.

Das Leben wird wieder hell und leicht.

Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
11. September 2024

Chronisches Beckenschmerzsyndrom

Chronisches Beckenschmerzsyndrom – beim Mann: Chronische Prostatitis

Betroffen sind meist Männer über 50. Es tritt dann als sog. „chronische Prostatitis“ auf, ein Sammeltopf für Beschwerden, die aus der Prostata selber oder deren Umgebung, z.B. dem Beckenboden kommt. 90% aller symptomatischen, chronischen „Prostatitisfälle“ gehören zu diesem etwas unklaren Umgebungsschmerz.
Man spricht dann von „Chronischem Beckenschmerzsyndrom“ („Chronic Pelvic Pain Syndrome“ (CPPS)).
Bei Frauen tritt es sehr ähnlich mit teils starken Schmerzen im Unterbauch und unterem Rücken auf. Es wird dann häufig als rein gynäkologisches Problem angesehen (z.B. Schmerzen aus Eierstock, Gebärmutter oder Scheide). Die Schmerzen sind aber multifaktoriell, d.h. primär wohl aus Muskel-Bindegewebe und ausstrahlend dann auch aus den Beckenorganen.
Die typischen Symptome sind mindestens drei Monate dauernde Schmerzen im Damm (50%), allenfalls Hodensack und Hoden (40%), über Schambeinfuge/Blase (6%), Penis (6%), Lenden, Kreuzbein oder untere Wirbelsäule (2%). Die Schmerzen können beim Mann auch während oder nach der Ejakulation auftreten. Es kann eine Potenzstörung bestehen. Häufig ist alles kombiniert mit Blasenfunktionsstörungen (Häufiges Wasserlösen, Harndrang, schlechter Harnstrahl, initiales Warten, mehrzeitiges Wasserlösen). Bei der Frau auch mit Perioden-  und Beckenschmerzen, die auch die Sexualität beeinträchtigen können.
Therapeutisch gibt man beim Mann in der „Schulmedizin“ meist mehrmonatig Antibiotika, eventuell auch nur stossweise, jedoch oft ohne Erfolg, da eben die bakterielle Ursache sehr selten, resp. sehr umstritten ist. Die Leidenswege der Patienten ist meist lang und frustrierend. Die Urologen oder Gynäkologen meist überfordert und tun aus Ohnmacht Dinge, die man hier nie tun sollte (zum Beispiel Operieren!).

Eindrücklich hat eine solche Leidensgeschichte Tim Parks geschildert (Tim Parks: „Die Kunst Stillzusitzen“ – Ein Skeptiker auf der Suche nach Gesundheit und Heilung): Stillsitzen lautete die Lösung, und atmen…. Zu dieser „Heilsrichtung“ siehe auch hier auf dieser Website: www.dr-walser.ch/entspannung/!

Pelvic Congestion Syndrome PCS der Frau

15 Prozent der Frauen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren klagen über chronische Unterbauchbeschwerden. Das Pelvic Congestion Syndrom ist nach der Endometriose die zweithäufigste Ursache für Unterbauchschmerzen bei Frauen. Es gibt auch einen Overlap zwischen Endometriose und Beckenvenensyndrom, da einige Frauen mit Endometriose erst nach Behandlung der betroffenen Beckenvenen beschwerdefrei werden. Zudem wird die Erkrankung oft nicht oder sehr spät diagnostiziert. Ein neuartiger Screening-Score erleichtert die Diagnosestellung.
In den meisten Fällen kann das Beckenvenensyndrom minimal-invasiv mittels Kathetereingriff im ambulanten Setting behandelt werden. Die Erfolgsquote in der Angiologie des Unispitals Zürich USZ liegt bei über 90%, wobei die meisten Frauen beschwerdefrei werden.
PCS-Score nach Prof. Nils Kucher:
Symptome / Befunde
  • Unterbauchschmerz mehr als drei Monate (3 Punkte)
  • Krampfadern am Scheideneingang (2)
  • Krampfadern an den Beinen (behandelt/unbehandelt) (2)
  • Verstärkung des Schmerzes (z. B. durch aufrechte Körperposition, Geschlechtsverkehr oder Regelblutung) (1)
  • eine oder mehrere Geburten (1)
  • Erkrankungen der Gebärmutter, Eierstöcke, Blase und Darm unwahrscheinlich (1)
1 – 2 Punkte
PCS wenig wahrscheinlich
3 – 5 Punkte
PCS möglich
6 – 10 Punkte
PCS wahrscheinlich
(Dieser Score beruht auf Erfahrungswerten und wurde noch nicht wissenschaftlich validiert.)

Neuroinflammation

Typisch für eine Hypersensibilität oder Übererregbarkeit unseres Nervensystems sind chronische Schmerzzustände, die überall, aber mit Hauptgewicht im Becken/Unterleib auftreten können. Man findet mit der Zeit auch immer eine Entzündung unseres Nervensystems (peripher und im Gehirn), Neuroinflammation genannt. Diese ist meist eine Stresskrankheit (Dauerstress, d.h. chronischer Disstress) – und auch fast immer kombiniert mit Schlafstörungen und Schlafmangel.
Daraus leitet sich auch als Therapie für das Chronische Beckenschmerzsyndrom die mässige, aber regelmässige Bewegung und eine Entzündung senkende Ernährung (mediterrane Ernährung und Kurzfasten/16:8) ab.

Beckenbodenverspannung

Mitbeteiligt ist meist auch eine Beckenboden-Verspannung. Der Beckenboden ist eine etwa Handteller grosse, horizontal gelegene Muskelplatte unter unseren Beckenorganen und enthält schlingenförmig die Ringmuskeln des Afters und des Blasenausgangs. Spannung und Entspannung, Zurückhalten und Loslassen ist demnach für diesen Muskel immens wichtig; Verspannungen also ebenfalls ziemlich häufig. Besonders Männern ist dieser Teil unseres Körpers ziemlich fremd – Frauen hingegen haben spätestens in einer Schwangerschaft viel Kontakt damit. Und bei Männern liegt nun auch die Prostata direkt auf dem Beckenboden und wird durch Spannungen desselben arg gebeutelt.
Warme Sitzbäder entspannen das Becken mit seinem Inhalt. Ebenfalls körperliche Bewegung und Stuhlregulierung (meist liegt ja auch durch Verspannung „hinten“ eine Verstopfung, ev. auch Hämorrhoiden vor.) oder Belladonna und Ichthyol enthaltende Zäpfchen (durch Hausarzt verschreiben lassen).

Entspannungsübungen für diesen Bereich sind auch sehr sinnvoll:
Sitzen Sie still einen Moment hin und beobachten Sie Ihren Atem – ohne etwas zu verbessern oder irgendwohin zu gelangen. Sitzen Sie so, dass der Beckenboden passiv zwischen den beiden Schambeinästen wie ein Trommelfell gespannt wird: Setzen Sie die Füsse etwas auseinander auf den Boden, parallel zueinander (d.h. Fussspitzen leicht gegen innen). So fallen die Knie nach innen – und so gehen die Sitzbeine und die Schambeinäste auseinander – das Becken bekommt unten und hinten mehr Platz, der Beckenboden wird passiv gespannt – das Becken ist eine entspannte Schüssel mit flachem Boden. Nehmen Sie das Gesäss nach hinten, so dass Sie vor Ihre Sitzbeinhöcker zum sitzen kommen. Man hat ein leichtes und lockeres Hohlkreuz (ev. kleines Kissen dort hinein), das Gewicht des ganzen Oberkörpers kann in das Becken abgegeben werden. Das Brustbein schwebt hoch und vorne (nicht hochziehen) und die Schultern hängen frei (und sind nicht nach hinten gezogen). Der Kopf sitzt locker und frei oben drauf. Diese Sitzhaltung können Sie so oft einnehmen, wie es geht. Sie sollte für jemand mit chronischen Beckenschmerzen zur Normalhaltung werden.
Spüren Sie nun nochmals, ob Sie den After-Schliessmuskel anspannen. Wenn ja, dann spannen Sie ihn noch ein wenig mehr an (ohne gleichzeitig die Bauchmuskeln zu spannen) und lassen ihn dann nach einer Sekunde wieder völlig los. Dies können Sie gleich als Übung fünfmal wiederholen: Kurz zusammenziehen und gleich wieder entspannt loslassen. Dann gleich anschliessend zusammenziehen und 5 Sekunden angespannt lassen und erst dann wieder loslassen. Und auch dies 5 mal wiederholen. Dies wiederholen Sie mehrmals am Tag, wann Sie gerade daran denken. Beim Wasserlösen unterbrechen Sie ebenfalls mehrmals den Strahl und ziehen die Peniswurzel (die Frau wie ein Tampon in der Vagina) etwas hinein – wieder ohne die Bauchmuskeln gleichzeitig zu spannen. Einen Schritt weiter können Sie gehen, indem Sie den Beckenboden im Bereich der Prostatagegend, resp. gegen den Damm selbst massieren: Streichen Sie etwas Vaseline an ihren Zeigefinger und führen Sie diesen ca. 3- 5 cm in den After ein. Dann massieren Sie kräftig in Richtung des Bauches. Natürlich sollte dies keinen Schmerzen verursachen, sondern im Gegenteil angenehm sein.


(Copyright bei Frau B. Bexte)

Analmassage

Eine Steigerung zur Entdeckung und Belebung dieses Beckeninnenlebens ist die Analmassage. Erforschen Sie selbst mit einem Ihrer Finger und etwas Vaseline oder Gleitgel. Legen Sie sich nackt und entspannt auf Ihre Seite oder auf den Rücken oder den Bauch – wie es Ihnen am leichtesten geht. Massieren Sie zuerst etwas Ihre Pobacken, das Kreuzbein, der untere Rücken und dann lange um den After. Erst wenn Sie bereit sind gleiten Sie langsam in den After hinein und dehnen etwas in allen Richtungen den äusseren und inneren Ringmuskel, den Sie ganz aussen als kräftiges Band rundherum spüren. Erst wenn diese weich sind und etwas nachgelassen haben, gleiten Sie langsam tiefer. Nehmen Sie eine imaginäre Uhr als Orientierung, die auf dem After liegen würde und nehmen wir an, dass bei 6 Uhr das Steissbein (der unterste Teil der Wirbelsäule) liegt und bei 12 Uhr der Damm und die Hinterseite des Hodensacks.
Erforschen Sie gleich mal sanft von Innen bei 6 Uhr das Steissbein. Ist es beweglich? Liegt es in der Mitte oder ist die Spitze gegen eine Seite etwas abgewinkelt?
Dann weiter bei etwa 5 Uhr finden Sie das linke Sitzbein. Befreien Sie die Umgebung etwas. Gegen 7 Uhr liegt das rechte Sitzbein. Ist es hier gleich anzufühlen wie auf der anderen Seite?
Wandern Sie gleich weiter nach 9 Uhr. Dehnen Sie Ihren Beckenbodenmuskel etwas mit runden Bewegungen nach aussen. Über 10 und 11 Uhr kommen Sie dann gegen vorne hinter das Schambein (besser wäre „Scharmbein“!). Wenn Sie dort etwas tiefer rein gleiten, werden die Männer auf einen festeren, prall-elastischen Hügel stossen, der normalerweise etwa die Grösse einer Zwetschge hat: Ihre Prostata! Ist die Oberfläche glatt und nicht schmerzhaft? Oder wie?
Dann wandern Sie langsam über 1  und 2 nach 3 Uhr, auf Ihre linke Seite und dehnen dabei wieder sanft aber kräftig Ihren Beckenbodenmuskel gegen aussen. Dann nach 4 und 5 Uhr (hier stossen Sie wieder auf Ihr linkes Sitzbein) und hinten bei 6 Uhr zum Steissbein.
Von dort wieder sehr langsam Abschied nehmen und den Finger sehr behutsam und langsam raus ziehen.

Wie fühlt sich jetzt Ihr Becken-Innenleben an?! Achten Sie auch beim nächsten Sex auf dieses Gefühl im Becken drin!

Muskuläre Triggerpunkte

Wiederkehrender Becken- und Prostataschmerz kann auch als begleitende Missempfindung aus sog. Triggerpunkten in anderen umliegenden Muskeln entstehen. Dabei wäre v.a. der M. Adduktor magnus abzuklären und zu therapieren (mittels myofaszialer Triggerpunkttherapie).

Ilio-Sacral-Gelenk-Blockade (ISG-Block)

Was Sie auch abklären müssten, falls Sie zusätzliche Rückenschmerzen ums Kreuzbein haben, ob nicht noch ursächlich eine sog. Ilio-Sacral-Gelenk-Block vorliegt, eine Blockade des Kreuzbein-Beckenschaufel-Gelenks rechts oder links, welche ebenfalls zu einer Verspannung des Beckenbodens führen kann. Dies diagnostizieren und gleichzeitig mit Manipulationen therapieren, könnte ein Chiropraktiker oder Arzt mit manueller Ausbildung. Die oben beschriebene Sitzhaltung gibt dem Kreuzbein viel mehr Raum zwischen den Beckenschaufeln und wirkt prophylaktisch enorm gegen ständig rezidivierende ISG-Blockaden.

Veröffentlicht am 12. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
07. Dezember 2023

Reizdarm vs. Bauchzufriedenheit

Der „gereizte“ Darm

Vorausgeschickt: Ein „Reizdarm“ ist wohl gar keine eigenständige Krankheit – und wird momentan von der Pharmaindustrie massiv (mit Berichten und Kongressen) zu einer geformt, da mehrere neue Medikamente dagegen in der Pipeline stecken (sog. „Disease Mongering“).

Der Reizdarm ist eher ein Abweichen vom „guten Gefühl im Bauch“. Etwa 7% der Bevölkerung bei uns leidet darunter.
Wie könnte dies zustande kommen?

Es existieren verschiedene Bezeichnungen für das Reizdarmsyndrom (RDS): „Irritable Bowel Syndrome“ (IBS) oder „Funktionelle gastrointestinale Störungen“ (FGS). Ist vor allem der Dickdarm betroffen, spricht man auch vom Reizdickdarm oder „Colon irritabile“, auch vom spastisches Kolon.

Zum „lächelnden“ oder „traurigen Darm“ siehe die charmante Medizinstudentin und Science Slam – Gewinnerin Giulia Enders: www.youtube.com/watch?v=2qo3ueVlyUY

Ursache

Man geht heute davon aus, dass dem Reizdarmsyndrom ein komplexes Geschehen zu Grunde liegt, in dem körperliche und psychologische Faktoren zusammenkommen. Eine zentrale Rolle spielt dabei unser „zweites Gehirn“, das sogenannte enterische Nervensystem (ENS), früher auch Plexus Auerbachii genannt. Im Bereich von Speiseröhre, Magen und Darm besitzen wir ein zweites Nervensystem. Dieses „Bauchhirn“ ist mit seinen rund 100 Millionen in den Eingeweiden und Darmwänden verankerten Nervenzellen weitaus komplexer als das gesamte neuronale Netz im Rückenmark (auch 95% des Serotonins werden dort produziert). Man nimmt heute an, dass dieses Nervengeflecht, zusammen mit den 70% des Immunsystems, die im Darm lokalisiert sind, auch über ein Gedächtnis verfügt. Dieses hilft dem Darm, mit den Tausenden von chemischen Stoffen bis hin zu Toxinen, die im Darm anfallen, sehr selbständig fertig zu werden. Verbindungen zum Grosshirn sind vorhanden. Ein wichtiges Indiz für die Selbständigkeit des „Darmgehirns“ ist, dass die Bahnen zum Grosshirn sehr ausgeprägt, diejenigen von dort in den Darm nur spärlich sind. Diese Informationen vom Darm ans Grosshirn sind für die Stimmungen und Emotionen des Menschen sehr wesentlich (Die Liebe geht durch den Magen… aus dem hohlen (oder vollen) Bauch entscheiden…). Eine Hypothese lautet, dass beim IBS die vom Bauch gesandten Informationen nicht genügend unbewusst gemacht und ausgefiltert werden können. ( Literatur: Michael Gershon: „Der kluge Bauch“, Goldmann, München, 2001. www.geo.de/themen/medizin_psychologie/zweites_gehirn/index.html ;europäische Neurogastroentorologie: www.neurogastro.org , Deutschland: www.neurogastro.de ).

Zu viele Reize aus dem Darm an unser Grosshirn und eine bestehende Hypersensibilität können beim Reizdarm, analog der Reizblase zu dem bekannten Symptomenkomplex führen (viszerale Hyperalgesie).
Zum Beispiel trifft man beim Reizdarm viele Menschen, die immer viele kleine Portionen über den Tag (und die Nacht) weg essen, da sie grössere Mahlzeiten schlecht ertragen. Ein Teufelskreislauf, der zu sehr vielen Reizmeldungen aus dem Darm zum Hirn führt und die Hypersensibiltät (und auch eine damit einhergehende Neuroinflammation!) verstärkt. Dies findet man ja auch bei der Reizblase durch stetes Trinken von kleinen Mengen in kurzen Abschnitten.

Abgrenzung und Überschneidung mit SIBO

SIBO „small intestinal bacterial overgrowth“ ist ein häufiges Krankheitsbild und eine mögliche Differentialdiagnose bei therapierefraktären Reizdarmbeschwerden.
Weiterlesen über SIBO : SIBO_small_intestinal_bacterial_overgrowth.pdf
– und die Kritik zu diesem Krankheitsbild: SIBO-Kritik.pdf

Ausschreibung einer Weiterbildung über SIBO an der Uniklinik Zürich vom 31.10.2023:
„ Die Bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms (Small intestinal bacterial overgrowth; SIBO) ist ein Krankheitsbild, das vor wenigen Jahren im Grunde noch weitgehend unbekannt war.
Inzwischen wird SIBO als Ursache der Beschwerden bei einem Teil der Patient*innen mit funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen angesehen.
Im diagnostischen H2 Atemtest findet sich eine bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarmes bei bis zu 34 % der Patienten mit gastroenterologischen Beschwerden (Efremova I, et al. Epidemiology of small intestinal bacterial overgrowth. World J Gastroenterol. 2023 Jun 14;29(22):3400-3421.)

Das SIBO-Risiko steigt mit zunehmendem Alter und ist unabhängig von Geschlecht oder Rasse. Eine Therapie mit Protonenpumpenhemmern scheint ein Risikofaktor für SIBO zu sein.
In den letzten Jahren wurde SIBO signifikant mit funktioneller Dyspepsie, Reizdarmsyndrom, funktionellem Blähbauch, funktioneller Obstipation, funktionellem Durchfall, Divertikelerkrankung, Zöliakie, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Leberzirrhose, metabolischer Fettlebererkrankung (MAFLD), Diabetes und einer Reihe weiterer Erkrankungen assoziiert. Bei einigen dieser Erkrankungen, darunter Leberzirrhose, MAFLD, Diabetes und Pankreatitis, wurde sogar ein Zusammenhang zwischen der Schwere der Erkrankung und dem Vorliegen von SIBO festgestellt.
Es bleiben jedoch viele Unsicherheiten und Fragen: Wird die Diagnose nicht zu oft gestellt? Gibt es eindeutige Diagnosekriterien? Ist die bakterielle Besiedlung des Dünndarmes Ursache oder Folge einer gastrointestinalen Erkrankung? Gibt es Behandlungsmöglichkeiten ausser der Gabe von Antibiotika? “ (Fortbildung 10/23 des Universitätsspital Zürich mit Prof. Dr. med. Stephan Vavricka und Prof. Dr. med. Dr. phil Gerhard Rogler)

Psychosomatische Aspekte

„Man schluckt alles. Etwas schlägt einem auf den Magen. Man hat die Hosen voll.“
Das RDS ist ein Abweichen vom „guten Gefühl im Bauch“ mit einer viszeralen Hypersensibilität (=vermehrte Reizbarkeit des Darmes). Vermehrt freigesetztes Serotonin (=hormonähnlicher Stoff) und eine Überempfindlichkeit der Rezeptoren in der Darmwand ergänzen sich, sodass die Schmerzschwelle sinkt. Zudem erhöht die neuronale Hyperaktivität (=erhöhte Nerventätigkeit) die gastrointestinale Motilität (= Darmtätigkeit). Auch hier gleichen sich übrigens unser grosses und kleines Gehirn (die beiden Nervensysteme sind auch über Nerven direkt miteinander verbunden). Während z.B. das Serotonin im Gehirn emotionale Prozesse fördert und stabilisiert, führt es im Bauchgehirn dagegen zu einer gleichzeitigen muskulären „Powerreaktion“ mit Magenkrämpfen oder Durchfall (kann die Magen-Darm-Nebenwirkungen der neuen Psychopharmaka erklären).

Ich sehe in meiner Praxis nicht so selten einen Reizdarm bei Menschen, die innerlich immer „auf hundertachtzig“ sind, also ganz einfach überreizt. Er zeigt sich dann auch oft kombiniert mit innerer Nervosität und Spannung, einem Reflux des Magens und mit Spannungskopfschmerzen.

15 bis 20% aller Reizdarmleidende haben zusätzlich eine somatoforme Störung, eine Angststörung oder Depression.

Depression und Schmerzkrankheiten fördern gestörte Schmerzwahrnehmung im Darm

Depression und Angststörungen sind häufige, d.h. in 20% Komorbiditäten des Reizdarmsyndroms – bei Chronischen Schmerzkrankheiten (auch Fibromyalgie) sind es fast 50%.  Weitere Komorbiditäten (gemeinsame Krankheitsbilder) sind Schlafmangel, Übergewicht, Diabetes, Drogenkonsum (Opiate!). Erklärbar sind diese Kombinationen nur durch die gemeinsame Hypersensiblität, Hyperreaktivität und gesteigerte Neuroinflammation. Aktuelle Daten weisen den auch in Richtung einer gestörten Verarbeitung viszeraler Schmerzreize in den Gehirnen von IBS-Patienten. Diese Auffälligkeiten sind auch umso ausgeprägter, wenn Patienten deutlichere Anzeichen einer Depression zeigen. Sie sind weniger gut in der Lage, Schmerzsignale aus dem Darm zentral zu unterdrücken.

Darmflora

Die Bereicherung der Darmflora verbessert den Reizdarm.
Was sehr wahrscheinlich bei einer Ernährungsumstellung zur vegetarischen Diät und auch zur Mediterranen Ernährung beim Reizdarm wichtig ist, scheint die Veränderung, die sie auf die Besiedlung mit Darmbakterien bewirkt. Diese Ernährungsweisen bekämpfen die Verarmung dieser Darmbakterien, die höchst wahrscheinlich auch eine sehr wichtige Ursache für den Reizdarm ist.
>>> mehr dazu lesen Sie auf meiner Extraseite zur Darmflora hier: www.dr-walser.ch/darmflora/!

Noch ein therapeutischer Schritt weiter gehen Stuhltransplantationen:
2000 wagte Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich erstmals den unorthodoxen Eingriff bei einer Patientin, die wegen einer rezidivierenden Infektion mit dem Darmkeim Clostridium difficile an krampfartigen Bauchschmerzen, Durchfall und Fieber litt. Die Ärzte spülten den Darm der Patientin und spritzten danach gereinigten Kot einer Verwandten ein. Die Therapie war erfolgreich. Seither hat Rogler viele weitere Patienten mit einer chronischen C.-difficile-Infektion behandelt – meist mit kompletter Heilung.
Derweil testen Forscher weltweit die Stuhltransplantation bei einer Reihe weiterer Darmerkrankungen wie Reizdarm, chronischer Verstopfung, Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Holländische Forscher haben die Methode bei Patienten, die am metabolischen Syndrom leiden, erprobt – ebenfalls mit Erfolg. Bei den Patienten hat sich nach der Transplantation mit gereinigtem Kot eines dünnen Spenders die Insulinsensitivität erhöht.
Wirklich appetitlich ist diese Therapie nicht, dafür anscheinend umso wirksamer: Stuhltransplantationen können lebensbedrohliche Darminfektionen heilen – und möglicherweise noch viel mehr.

Achtung: PPI (Medikamente gegen übermässige Magensäure, Reflux) meiden!
Die Magensäure  ist auch wichtig zur Bekämpfung von pathogenen Bakterien un Viren, die mit dem Essen in den Magen gelangen. Falls diese nun ungefiltert (da keine Säue mehr vorhanden) in den Darm gelangen, leidet das gute Gleichgewicht der Darmflora – und die Symptome eines Reizdarmes können zunehmen!

Ein wichtiger Aspekt des Reizdarmsyndroms scheint auch die sog. „Glutensensitivität“ zu sein, die aber – nach neueren Erkenntnissen – wenig mit Gluten, sondern viel mehr mit einer Schnellgärung von Broten (mit Hefe!) zu tun hat. >>>mehr dazu!

Diagnose

Die Diagnose eines Reizdarmsyndroms (Rom-III-Kriterien: siehe www.medicalforum.ch/pdf/pdf_d/2006/2006-51/2006-51-290.PDF):
Mindestens 3 der zurückliegenden 6 Monate lang Bauchschmerzen, die mit Stuhlentleerung nachlassen oder mit verändertem Stuhlgang während mindestens zwei Tagen pro Woche einhergehen und mindestens zwei der folgenden Punkte erfüllen:

  • Änderung der Stuhlfrequenz (mehr als dreimal tägl. oder weniger als dreimal wöchentlich)
  • Änderung der Stuhlkonsistenz (hart, weich, wässrig)
  • Änderung bei der Stuhlpassage (angestrengtes Pressen, Stuhldrang, Gefühl der unvollständigen Entleerung)
  • Schleimabgang
  • Blähungen

Zum RDS gehört auch die „Funktionelle Dyspesie“ (störendes Völlegefühl nach dem Essen, beschleunigtes Sättigungsgefühl, Schmerzen in Mitte des Oberbauches, dort auch Brennen), das „Epigastrische Schmerzsyndrom“ (intermittierende Schmerzen, mindestens mittelschwer, minimal einmal pro Woche in Mitte des Oberbauchs), das „Postprandial distress syndrome“ (störendes Völlegefühl nach normalen Mahlzeiten, mehrmals pro Woche und/oder beschleunigtes Sättigungsgefühl), das „Syndrom des zyklischen Erbrechens“ und die „Chronische idiopathische Übelkeit“.

Die „Diagnose“ Reizdarm ist eine Ausschlussdiagnose, d.h. erst wenn alles andere im Darm ausgeschlossen ist, das ebenfalls die obigen Symptome mal produzieren kann, darf von „Reizdarm“ gesprochen werden. Deshalb auch:
Bei einem Alter über 40 Jahren und/ oder gleichzeitigen „Alarmsymptomen“, wie Gewichtsverlust, nächtlichen Schmerzen, Fieber, pathologischen Befunden bei der Bauchabtastung, pathologischen Leberwerten, Blut im Stuhl, Blutarmut, Nahrungsmittelaversionen, Schluckstörungen, frühzeitige Sättigung sollte unbedingt eine Darmspiegelung erfolgen (da dies dann kein Reizdarm ist)!

Ursächlich kann auch eine bakterielle Nahrungsmittel-Vergiftung in 25% zu längerdauernden Darmstörungen führen, von denen immerhin ein Drittel (7%) die Kriterien eines Reizdarms erfüllen (bei Frauen dreimal mehr als bei Männer; allg. mehr, je stärker und längerdauernd die vorangehende Vergiftung und auch im jugendlichen Alter).

Nicht vergessen darf man differentialdiagnostisch auch eine Sprue (Zöliakie): Viermal häufiger bei IBS-Symptome (einer von 25), als in der „Normalbevölkerung“ (Arch Intern Med 169(7):651-658, 13 April 2009 © 2009 to the American Medical Association
Yield of Diagnostic Tests for Celiac Disease in Individuals With Symptoms Suggestive of Irritable Bowel Syndrome – Systematic Review and Meta-analysis. Alexander C. Ford et al.
)

Nicht vergessen: Es existiert auch eine Weizenunverträglichkeit ohne Zöliakie! Also: Weizen meiden ist vor allem bei Blähungen sehr effektiv!  Und allgemein ist Brot aus Hefeschnellgärung und v.a. Weissbrot sehr blähend. Sauerteigbrote aus langsamer Gärung macht meist keine Reizdarmsymptome! >>>mehr dazu!

Auch die Laktoseintoleranz ausschliessen.

Und chronisch entzündliche Darmkrankheiten ausschliessen: Der Hausarzt macht dies z.B. mit Biomarker-Bestimmung im Stuhl (Calprotectin).

Der Hausarzt sollte auch Schilddrüsenstörungen ausschliessen (TSH-Messung)!

Bei Neigung zu Durchfall und Blähungen auch Kaugummis mit Sorbit, Mannit oder Xylit weglassen – und auch nicht häufige Smoothies!

Achtung bei Frauen im gebärfähigen Alter: Die Endometriose kann häufig zusammen oder als Fehldiagnose eines Reizdarms bestehen! Sie auszuschliessen ist wichtig. (BJOG published online 19 August 2009 Vol 115 Issue 11 Pp 1392 – 1396 © RCOG: Endometriosis and its coexistence with irritable bowel syndrome and pelvic inflammatory disease: findings from a national case-control study—Part 2. HE Seaman, KD Ballard, JT Wright and CS de Vries)

Therapie

  • Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist geprägt durch Hypersensibilität und Hyperreaktivität (vor allem im Darm natürlich) und durch eine Neuroinflammation. Alles dies wird durch eine Ernährungsumstellung mit langen Essenspausen stark gebessert. Das Kurzfasten, optimal als 16:8, hilft hier enorm und wirkt auch stark Entzündung senkend! Wichtig dabei ist, dass man in den 8 Essens-Stunden nur maximal dreimal isst und keinerlei Zwischenmahlzeiten macht!
    .
  • Zuallererst: Habe ich eine Essstörung, die ursächlich hinter all den Reizdarmsymptomen (Bauchunzufriedenheit!) liegt oder sich daraus gebildet hat?

    .
  • Das „Nervöse“ hinter diesem Reizdickdarm lohnt sich anzugehen: Entspannung mit Anschauen und Lösen von anstehenden Problemsituationen, Lernen von autogenem Training, Biofeedback, Teilnahme an Yoga- oder Tai-Chi-Gruppen.
    .
  • Patienten mit einem Reizdarm neigen auch zu Angststörungen und Depressionen („Schiss haben!“). Auch ein früherer sexueller Missbrauch kann damit verbunden sein. Dies sollte man gemeinsam angehen (Psychotherapie).
    .
  • Körperliche Aktivität verbessert die Symptome bei RDS: Da Fibromyalgie und auch Depression mit dem Reizdarm assoziiert sind, und bei diesen zwei Krankheiten die Bewegung gut hilft, war naheliegend, dass man in Studien auch den Effekt von mehr Bewegung beim Reizdarm gesucht hat. Man fand wirklich, dass körperlich aktive Reizdarm-Patienten weniger Symptomverschlechterung haben als inaktive Patienten. Daher sollte die Bewegung als Erstlinienmassnahme beim RDS eingesetzt werden!
    (Sadik R, et al. Physical activity improves symptoms in irritable bowel syndrome: A randomized controlled trial; Am.J.Gastroenterol. 106:915-922 (2011))
    .
  • Der Hausarzt sollte Schilddrüsenstörungen ausschliessen (TSH-Messung)!
    .
  • Vegetarische Ernährung oder auch die sog. Mediterrane Ernährung kann der Verarmung der Darmbakterien entgegenwirken, welche auch eine Ursache des Reizdarms sein kann!
    .
  • Gewisse Patienten scheinen von einer Diät zu profitieren, die als „Low-FODMAP“ Diät bekannt ist. FODMAP steht für fermentierbare, Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Poliole. Unter dieser Bezeichnung zusammengefasst werden schlecht absorbierbare, kurzkettige Kohlenhydrate, wie z.B. Laktose. Hypothetisch führen diese FODMAPs osmotisch zu einer Dehnung des Darmes, sowie durch Fermentation zu Blähungen mit konsekutiven Beschwerden bei RDS. Diese Studie prüft die Effektivität einer Diät, die sehr arm an FODMAPs ist. Zwischen den Gruppen zeigten sich signifikante Unterschiede der Beschwerden. Diese waren unter der Low-FODMAP Diät halb so stark, verglichen mit der Kontroll-Diät.


>>>Lesen Sie dazu den interessanten Zusammenfassung aus dem Medicalforum: fodmap.pdf

Das Monash App (von der Universität, die die FODMAP entwickelt hat) muss vorsichtig gelesen werden, da es vorgibt in exakten Gramm anzugeben, wieviel noch erträglich sei – und dies ist unrealistisch und Orthorexie fördernd! Kann hindernd und verwirrend sein.

Achtung bei low-FODMAP-Diät!
Eine neue Studie in dem BMJ-verwandten Fachblatt „Gut“ zeigt jedoch, dass eine low-FODMAP-Diät nur über kurze Zeit angewandt werden sollte, da die stark  eingeschränkte Vielfalt an Lebensmitteln die Darmflora negativ so verändert, dass schädliche Bakterien es leichter haben, sich dort anzusiedeln. Die FODMAP-Karenzzeit sollte daher mit genügend Ballaststoffen ergänzt und danach zügig auf eine Ernährung umgestellt werden, die FODMAP-haltige Lebensmittel nur der individuellen Toleranzschwelle entsprechend reduziert.
.

  • Viele Menschen mit einem Reizdarmsyndrom haben eine Laktoseintoleranz. Bei entsprechender Diät verbessern sich die Symptome eindeutig.
    .
  • Ebenfalls scheint die Fruktose, der Fruchtzucker bei vielen IBS-Patienten eine Rolle zu spielen. Fruktoseintoleranz kann einen Reizdarm zu triggern. Der versuchsweise, dreiwöchige Verzicht auf alle Früchte und Fruktose-haltigen Getränke und Lebensmittel kann bei starker Besserung eine langfristige Therapie des IBS sein. (Clinical Gastroenterology and Hepatology July 2008 Vol 6 Issue 7 Pp 765-771). Nach ein paar fruchtfreien Wochen kann man wieder eine halbe bis eine Banane pro Tag und manchmal ein paar Heidelbeeren essen.
  • Smoothies können Durchfall und Blähungen verursachen >>>  ernaehrung/#smoothie
    .
  • Meist aber liegt schon ein Bauchweh-Diäten-Dschungel vor! Meine Hauptarbeit ist der behutsame Ausweg daraus:
  • Probiotika, vor allem Bifidobakterien helfen bei Blähungen und Obstipation! (Guyonnet et al., APT 2007)
    .
  • Noch besser hilft hier ein Synbiotikum die kombinierte Anwendung von Probiotikum und einem für das Probiotikum als „Nahrung“ dienendes spezifisches Präbiotikum :
    z.B. Bifidus-Natur-Joghurt mit einem geraffelten Apfel!
    .
  • Das Weglassen künstlicher Süssstoffe (Sorbit, Mannit, Xylit) hat besonders bei Blähungen einen guten Effekt.
    .
  • Padmed Laxan®, ein pflanzliches Kombinationspräparat aus der tibetischen Medizin, kann ein RDS mit vorherrschender Obstipation, auch Bauchschmerzen und Blähungen bessern.
    .
  • Bei Verstopfungen sollte auch eine faserreiche Kost und genügende Flüssigkeitszufuhr (mehr als 2 Liter pro Tag) angestrebt werden. Flohsamen (Psyllium) wirkt dabei viel besser als Kleie (27 August 2009;339:b3154 © 2009 BMJ Publishing Group Ltd., Soluble or insoluble fibre in irritable bowel syndrome in primary care? Randomised placebo controlled trial. C J Bijkerk, N J de Wit, J W M Muris et al. auch als Metaanalyse: Moayyedi P. et al. The Effect of Fiber Supplementation on Irritable Bowel Syndrome: A Systematic Review and Meta-analysis. Am J Gastroenterol. 2014;109:1367-1374)
    Gemäss einer amerikanischen Studie wirken zwei geschälte Kiwis pro Tag gleich gut bei Verstopfung, wie Flohsamen oder wie 2-mal 50 g/Tag getrocknete Pflaumen.
    Aber Achtung:
  •  Allzu viel ist auch hier ungesund: Ballaststoffe enthalten reichlich pflanzliche Abwehrstoffe. Diese reizen den Darm und können Entzündungen verursachen. Sie stehen in Verdacht, eine Ursache des sogenannten Reizdarms zu sein.
  • Also: Weizen meiden ist vor allem bei Blähungen sehr effektiv!  Und allgemein ist Brot und v.a. Weissbrot (auf Hefebasis) sehr blähend. Sauerteigbrot scheint viel besser zu sein.
    .
  • Durchfall und IBS:
    Als Probiotika helfen hier die Laktobazillen (Lactobacillus acidophilus, Lactobac. GG, L. paracasei…)
    .
  • Als Komplikation eines Reizcolons kann auch ein feuchter oder gar stuhlverschmierter After auftreten, auch ein Analekzem, Risslein oder Pilzinfekte um den After.
    Ein natürliches „Verdickungsmittel“ wären mal getrocknete Heidelbeeren (vom Apotheker mahlen lassen), zweimal täglich ein Teelöffel in Müsli oder ins Trinken. In dieselbe Richtung geht: mehrmals täglich etwas Magerquark mit ungesüsstem Cassis- oder Heidelbeersaft. Reis und Haferspeisen bremsen auch etwas.
    .
  • Bei Schmerzen, Krämpfe und IBS hilft als Probiotikum das Escherichia coli Nissle (auch bei Verstopfung).
    .
  • Eine 14-tägliche Kur mit Pfefferminzöl kann einen nervösen Dickdarm auch lange Zeit ruhigstellen: Colpermin® ist Pfefferminzöl in einer Kapsel, die sich – nüchtern eingenommen – erst im Dünn- und Dickdarm auflöst und dort krampflösend und entspannend wirkt (4mal täglich).
    .
  • Chilipulver (Gewürzpaprika, roter Pfeffer) wirkt gegen die „funktionelle Dyspespie“, d.h. speziell gegen die Oberbauchschmerzen (epigastrisch), das Völlegefühl und die Übelkeit (Mauro Bortolotti et al., New England Journal of Medicine 2002;346:947-48). Das Capsaicin darin wirkt in der Magenschleimhaut auf afferente nozizeptive C-Fasern, die initial stimuliert werden, sodass nach einiger Zeit ein schmerzlindernden Effekt resultiert. Die Tagesdosis beträgt fünf Kapseln zu je 0,5 g Chilipulver (Capsaicingehalt 0,7 mg/g Chilipulver), die jeweils 15 Minuten vor dem Essen eingenommen werden (1-2-2 Kapseln). Ab der dritten Behandlungswoche reduziert die Chilitherapie die Dyspepsiesymptome. Nach fünf Wochen vermindert Placebo die Symptome um 30%, Chilipulver dagegen um 60%.
    .
  • Gegen Übelkeit hilft ein einfaches „Hausmittelchen“ genau so gut wie teure und Nebenwirkungsreiche Medikamente:
    Schnüffeln Sie an einem geöffneten Alkoholtupfer, den Sie sicher in Ihrer Hausapotheke finden. Gemäss einer grossen Studie wirkt dieses Isopropylalkohol wunderbar, falls es 1 bis 2 cm von der Nase entfernt, tief eingeatmet wird, bis die Übelkeit abnimmt.
    .
  • Keine Darmreinigungen!

    Es gibt viele Menschen, die auf Darmkuren schwören und sagen, dass es ihnen anschliessend merklich besser geht. Häufig berichten etwa Patienten mit einem Reizdarmsyndrom, dass ihnen Darmreinigungen oder -kuren sehr guttun. Man muss allerdings beachten, dass es beim Reizdarmsyndrom ohnehin eine Placebo-Rate von 60 Prozent gibt! Das heisst, in Studien gaben 60 Prozent derjenigen, die statt eines richtigen Medikaments nur ein Placebo erhalten hatten, später an, dass sich ihre Symptome gebessert hätten…
    Damit etwa Darmkuren als eine echte Therapie eingesetzt werden können, müssten sie eine höhere Erfolgsrate haben als der Placeboeffekt. Studien dazu fehlen aber bislang.
    Erschwerend kommt hinzu, dass bis heute die Ursache des Reizdarmsyndroms nicht geklärt sei. Wie bei vielen anderen Erkrankungen können Ärztinnen und Ärzte daher nur die Symptome behandeln. Das führt auf Patientenseite verständlicherweise oft zu Enttäuschung. Viele sind unzufrieden, weil die Medizin ihre Beschwerden nicht lindert, und wenden sich deshalb alternativen Methoden wie Darmreinigungen zu. Viele Patienten wünschen sich, dass wir als Ärzte Lösungen haben, heilen können, aber das funktioniert leider nicht bei jedem Krankheitsbild. Umfragen unter Anhängern von Darmkuren bestätigen diese Erwartungshaltung (Colorectal Disease: Taffinder et al., 2004).
    .

  • Bei Frauen kann die Antibabypille einen Reizdarm wesentlich verschlimmern.
allgemeine Ernährungsempfehlungen
Verstopfung Durchfall Blähungen
Reduzieren Fleisch
Raffinierter Zucker
Fettes Essen
Fettes Essen
Rohes Obst
Kaffee
Milch
Thunfisch, Makrelen
künstliche Süssstoffe
Hülsenfrüchte (Bohnen)
Milch
Zwiebeln
Getreide
Erhöhen Flüssigkeit
Bewegung
Vollkornprodukte
Gemüse
Früchte, v.a. 2 grüne Kiwi täglich
Geriebene Äpfel
Bananen
Karotten
Reis
Schwarztee
gedünstete Möhren
Fenchel
Gewürze: Anis, Kümmel, Koriander
Allgemeine Massnahmen
  • Milch und Milchprodukte stark reduzieren
  • Nicht zuviel Früchte und Fruchtsäfte (am besten 2 grüne Kiwis täglich)
  • nicht zuviel Ballaststoffe
  • regelmässige Mahlzeiten
  • Das Kurzfasten, optimal als 16:8, hilft enorm und wirkt auch stark Entzündung senkend! Wichtig dabei ist, dass man in den 8 Essens-Stunden nur maximal dreimal isst und keinerlei Zwischenmahlzeiten macht!
  • das Essen gut kauen, nicht herunterschlingen
  • vor allem zwischen den Mahlzeiten trinken
  • körperliche Aktivität (Bewegung)

Medikamente gegen Reizdarm

Tiefdosiertes Amitryptilin (Beginn 10mg, danach bis 30mg/Tag), ein älteres trizyklisches Antidepressivum wirkt offensichtlich (Lancet 2023)

Ein ausgezeichneter Übersichtsartikel für Profis und Laien findet sich im Schweiz.Med.Forum Nr.15, 11.04.2001: reizdarm.pdf

7 Tipps für eine bessere Verdauung aus „DIE ZEIT: Das tut mir gut“

Ich hab eine eigene Website zur BAUCHZUFRIEDENHEIT in Aufbau >>> bauchzufriedenheit.ch

Veröffentlicht am 12. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
11. September 2024