Vegane Ernährung

Mythos oder Realität?

Angesichts nicht enden wollender Fleischskandale denken viele Menschen über die vegetarische Ernährung nach. Schliesslich ist diese Ernährungsweise – richtig praktiziert – eine gute Alternative, die viele gesundheitliche und vor allem auch ökologische Vorteile bietet. Für die meisten Vegetarier gehören Milch, Milchprodukte und Eier zum alltäglichen Speiseplan dazu. Strenge Vegetarier (Veganer) dagegen meiden auch diese Produkte.

Eine Metaanalyse des Steno Diabetes Center in Kopenhagen zeigt: Vegane Ernährung hilft bei der Gewichtsabnahme. Doch die Effekte auf die Blutzucker- und Cholesterinwerte sind laut den Studienautoren eher gering. 

Es gab immer wieder einzelne Studien, die keinen gesundheitsförderlichen Effekt finden konnten, wenn Menschen auf Fleisch verzichteten. Diese Studien hatten aber ausser Acht gelassen, wodurch das Fleisch ersetzt wurde. Später zeigte eine bahnbrechende Untersuchung der Harvard University, dass der Fleischverzicht nur dann keinen positiven Effekt hat, wenn man statt Fleisch vermehrt Kohlenhydrate wie Kartoffeln oder Nudeln isst. Ersetzt man es dagegen durch pflanzliche Proteine aus Hülsenfrüchten und Nüssen, gibt es grosse positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System.

Am Anfang ist die Begeisterung gross. Schon kurz nach der Umstellung auf vegane Ernährung sind viele Menschen überzeugt: Das ist es! Denn seit dem nur noch Obst, Gemüse oder Getreideprodukte auf den Teller kommen, fühlt man sich leichter, wacher, vitaler – einfach gut. Zuweilen verschwinden langdauernde Entzündungen (Haut, Schleimhaut, Gelenke,…), Neurodermitis, Asthma und andere Beschwerden.

Nachteile

Doch der Traum von der ewigen Gesundheit mit veganer Ernährung endet manchmal in einem “bösen Erwachen”: Langjährige Veganer können gereizt, leistungsschwach und antriebslos werden. Kribbeln an Händen und Füssen und depressive Verstimmungen können folgen . Die Ärzt*in diagnostiziert schliesslich eine “megaloblastäre Anämie” (in ihrer Anzahl reduzierte, stark vergrösserte rote Blutkörperchen). Die Ursache: Mangel an Vitamin B12.

Mangelerscheinungen?

Was die Makronährstoffe betrifft, so ist die Proteinzufuhr bei veganer Ernährung im Vergleich zu allen anderen Ernährungsformen geringer, wie eine Studie aus dem Jahr 2020 ergab. Veganismus wird derselben Studie zufolge auch mit einer geringen Aufnahme der Vitamine B2, B3, B12, D, Jod, Zink, Kalzium, Kalium und Selen in Verbindung gebracht. Daraus kann u.a. eine mangelnde Knochengesundheit (Osteoporose) folgen.

Der grösste Knackpunkt bei der veganen Ernährung ist aber sicher die Versorgung mit Vitamin B12 (Kobalamin). Das Vitamin B12 wird nur von Bakterien gebildet und ist im menschlichen Körper wichtig für die Blutbildung. Darüber hinaus spielt es eine Rolle beim Stoffwechsel der Kohlehydrate, Proteine und Fette. Zudem ist es notwendig für die Gesunderhaltung des Nervensystems und der Psyche.

Pflanzen fehlt das Vitamin B12

Tatsächlich gibt es Menschen, die einen Mangel an dem Protein “Intrinsic-Faktor” aufweisen und folglich Vitamin B12 nicht in ausreichender Menge aufnehmen können. Die Ursache dafür kann zum Beispiel eine Magenschleimhautentzündung sein.
Aber im Fall der meisten Veganer liegen die Dinge völlig anders: Ihre Nahrung enthält schlicht zu wenig Vitamin B12. In der Praxis hat sich gezeigt, dass pflanzliche Produkte, wenn überhaupt, Vitamin B12 nur unzureichend liefern. Sie sind keine zuverlässigen B12-Quellen. Die American Dietetic Association weist darauf hin, dass 80% des Vitamin B12 in fermentierten Produkten wertloses Pseudo-B12 sein können.
Auch die B12-Versorgung durch unsere eigenen Darmbakterien entpuppt sich leider als ein Mythos: Es werden zwar erhebliche Mengen an Kobalamin im Darm erzeugt, aber sie können nicht vom Körper aufgenommen werden. Denn die B12-Synthese im Darm findet jenseits der Absorptionsstelle statt. Dieses B12 verlässt unverwertet den Körper mit dem Stuhl.
Vegan lebende, nicht wiederkäuende Tiere, wie die Gorillas fressen hin und wieder ihren Kot und versorgen sich auf diese Weise mit dem Vitamin. Wiederkäuer wie Kühe und Schafe erzeugen in ihrem Pansen Kobalamin, das gut vom Organismus verwertbar ist. Das Geheimnis der Inder: Ihr Getreide wird nicht mit Pestiziden tot gespritzt und gereinigt wie bei uns. In den Getreidekörnern leben winzige Insekten, die Vitamin-B12 liefern. Zudem ist ihr Trinkwasser mit Kobalamin erzeugenden Bakterien kontaminiert.
Von vegan lebenden Indern, die nach Europa gezogen sind, wurde bekannt, dass sie nach vielen Jahren einen Vitamin-B12-Mangel entwickelt haben. Es dauerte deshalb so lange, da der Körper sehr sparsam mit dem B-Vitamin umgeht und über einen grossen Speicher, die Leber, verfügt. Der reicht bei Erwachsenen für drei bis etwa zehn Jahre aus, in wenigen Fällen sogar noch länger. Kinder dagegen besitzen einen viel kleineren Speicher – deshalb ist die vegane Ernährung für sie besonders gefährlich. Ebenso für Schwangere und Stillende, da sie einen erhöhten B12-Bedarf haben.

Es ist also gut für entsprechende Nahrungsergänzung zu sorgen. Das gilt in erster Linie für das Vitamin B12. Es gibt auch Vitaminsäfte oder B12-Supplemente. In diesem Zusammenhang warne ich vor falschen Werbeversprechen verschiedener Nahrungsergänzungsmittel, die vor allem in Gesundheitsläden angeboten werden. Obwohl sie oft als ideale B12-Quelle gepriesen werden, sind weder Algentabletten noch Hefeprodukte geeignete B12-Lieferanten. Im Gegenteil: Sie enthalten vor allem unwirksame Pseudo-Kobalamine, die in der Lage sind, die Aufnahme des aktiven B12 zu blockieren. Veganer werden hier absolut irregeführt.
Wirksame Vitamin-B12-Tabletten müssen aktives Kobalamin (Cyanocobalamin oder Hydoxocobalamin) enthalten. Eine tägliche Zugabe von 5 µg Vitamin B12 sollte genügen. Zusätzlich rate ich Veganern, regelmässig ihren B12-Status untersuchen zu lassen.
Bei langfristiger Einnahme von höher dosierten Vitaminpräparaten sollte jedoch beachtet werden, dass relativ wenig über die Wechselwirkungen dieser Stoffe im Körper bekannt ist. Meist stehen sie in Abhängigkeit zu anderen. Obwohl oft behauptet wird, dass überschüssiges B12 ausgeschieden wird, gibt es Hinweise, dass ein B12-Überschuss einen Eisenmangel begünstigen kann.

… auch auf Protein, Kalzium, Vitamin D und B6 und Zink achten

Wenig Protein, Kalzium, Vitamin D, B6 und Zink können für Veganer auch problematisch sein. Dagegen sind klinisch dokumentierte Eisenmangelerscheinungen bei Veganern nicht häufiger als in der Durchschnittsbevölkerung.

Doch jetzt ist eine Studie (www.mdpi.com/2072-6643/13/2/685/htm ) erschienen, die aufhorchen lässt: Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat Hinweise gefunden, dass Menschen, die sich vegan ernähren, schlechtere Knochen haben als Vergleichspersonen, die alles essen, also eine klassische Mischkost bevorzugen. Bei den vorgenommenen Knochendichtemessungen zeigten die vegan lebenden Menschen durchwegs niedrigere Werte als die Allesesser. Dies ist ein Anzeichen für eine schlechtere Knochengesundheit, die in einer Osteoporose münden kann.
Auf was Veganer*innen unbedingt schauen müssen, ist auch hier das Aufnehmen von genügend Eiweiss (v.a. Hülsenfrüchte, also Bohnen, Erbsen,… und Nüsse).

Die Lösung des Welthungerproblems und der Klimakrise?

Vegane Ernährung ist aber vor allem ethisch ideal, da dafür keine Tiere getötet werden müssen. Man darf nämlich nicht übersehen, dass auch für die vegetarische Ernährung getötet werden muss: Wohin mit den vielen männlichen Tieren? Die legen weder Eier, noch geben sie Milch.
Tatsächlich ist der Tierschutzaspekt (natürlich neben dem ökologischen) bei vielen Menschen der wichtigste Grund für die streng vegane Linie. Sie empfinden Töten als Unrecht und sehen in der Ablehnung der Tiertötung einen Beitrag zur Gewaltfreiheit in der Welt und zur Lösung der Klimakrise und des Welthungerproblems. Denn um ein Kilogramm Fleisch zu erzeugen, müssen sieben Kilogramm Pflanzen verfüttert und 10000 bis 15’000 Liter Wasser vergossen werden – eine Resourcenverschwendung sondergleichen also. Ein Kilogramm Kartoffeln benötigen dagegen nur 100 Liter Wasser (jedoch 1 Kg Avocados auch 1000 Liter!): Wahnsinn!
Ihre Einstellung verbietet vielen Veganern nicht nur Tierprodukte in der Ernährung. Sie lehnen auch Gebrauchsgegenstände aus Tierprodukten ab, wie Lederschuhe oder Lederkleidung. Insgesamt, so schätzen Experten, ernähren sich etwa zehn Prozent der rund drei Millionen in Deutschland lebenden Vegetarier vegan.

Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, so wenig Schaden wie möglich anzurichten!

Die meisten von uns sind zwar keine Klimawandel-Leugner, aber wir verhalten uns so. Warum?
Weil der Klimawandel einfach keine gute Story ist, so die Erklärung von Jonathan S. Foer, und sich anfühlt wie etwas, das sich irgendwo weit weg abspiele. Sein aktuelles Buch ist eine sehr persönliche Erkundung dieser Kluft «zwischen meinen Werten auf der einen Seite und meinem Handeln auf der anderen». Dass das Werk viel diskutiert wird, mag daran liegen, dass sein Fokus auf der Ernährung liegt. Die Lage sei absolut eindeutig: «Wir haben keine Chance, die Ziele des Pariser Klima­abkommens zu erreichen, wenn wir nicht deutlich weniger Fleisch essen», sagt Foer im Gespräch mit dem Republik-Redaktor Daniel Graf. Gleichzeitig warnt er vor falscher Panikmache und moralischem Perfektionismus.

Ernährung als Ersatzreligion – Abgrenzung und Erhöhung über Andere!

Was ist richtige Ernährung, wie sollte sie aussehen, welche Lebensmittel beinhalten und welche auf keinen Fall? Und wer kann sie sich leisten?!
Fragen, die heute mehr sind als der Anstoss von Lifestyle-Debatten. Denn die Antworten darauf sind immer öfter identitätsstiftend, legen fest, zu welcher sozialen Schicht man zählt, welcher Lebensphilosophie man anhängt. Essensgewohnheiten dienen längst dazu, sich von anderen abzugrenzen.
Früher war das Essen ein Teil des Privatlebens, das man kaum nach aussen getragen hat. Heute ist Ernährung ein Statement, eine Art Selbstmarketing. Man ist, was man isst, gilt mehr denn je. Der Essensstil ist zur politischen Überzeugung, zu einer Art Ersatzreligion geworden, die man stolz vor sich herträgt und von der man andere geradezu missionarisch überzeugen möchte. Ernährung wird oftmals mit moralischer Überzeugung gleichgesetzt. Der bewusste Umgang mit Nahrung ist dabei gar nicht schlecht. Zu kritisieren ist nur der inszenatorische Charakter dabei. Wenn man etwa Essensgewohnheiten benützt, um sich über andere zu erhöhen, die keinen so kritischen und bewussten Zugang zu Lebensmitteln haben. Oftmals auch, weil ihnen die finanziellen Mittel dazu fehlen.

Veganismus – auch ein ethisches Dilemma…

“Mich erstaunt, dass die ganze Debatte um Veganismus von dem Vorurteil ausgeht, dass Pflanzen nicht wahrnehmen können, obwohl das wissenschaftlich gar nicht stimmt. Und es wird selbstverständlich vorausgesetzt, dass es unmoralisch ist, ein Tier zu töten, aber moralisch völlig in Ordnung, Pflanzen zu töten!”
(Emanuele Coccia, Professor für Philosophiegeschichte an der Pariser École des hautes études en science sociales)

Weiterlesen

Lesen Sie auch über vegetarisches Essen auf meiner Ernährungsseite und über Vitamine hier >>>

Diese jungen Frauen werden unsere Erde retten!
Und auch diese drei Klima-Influencer solltest Du im Blick behalte:
“Wir sind in den letzten Jahrzehnten daran gescheitert, den Klimawandel richtig zu kommunizieren” – das sagen drei junge Menschen, deren Namen man sich besser merken sollte: die Filmemacherin Alice Aedy und die Ex-YouTuber-Zwillinge Finn und Jack Harries. Zusammen vereinen sie vier Millionen Follower auf Instagram und sie haben eine Mission: ein neues Narrativ zu verbreiten, das der Klimakrise gerecht wird und trotzdem Hoffnung macht.  Dies ist ein (wirklich schön aufbereiteter) Instagram-Account mit dem Namen earthrise.studio. Hier kann man die Mission noch mal nachlesen; die drei Filmemacher wollen Fakten und Zusammenhänge erklären, die Menschen an den Frontlines der Klimakrise zeigen und Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Geschichtenerzähler*innen vorstellen, die bereits am neuen Narrativ arbeiten.

Veröffentlicht am 06. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
29. April 2023

Vitamine & Spurenelemente

Das Gesamte einer Pflanze ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Befolge deshalb den Rat der Grossmutter:
Iss mehrmals täglich Früchte und Gemüse!

Viel hilft in der Medizin nicht immer viel. Dies gilt auch für Vitamine, denen seit Jahrzehnten der unverwüstliche Ruf anhaftet, gesundheitlich unbedenklich und gleichermassen Allheilmittel, Fitmacher und wichtige Bausteine einer gesunden Ernährung zu sein. Weil viele Menschen besorgt sind, dass sie mit der Nahrung nicht genug der vitalen Substanzen aufnehmen, schlucken sie zusätzlich Vitaminpräparate. Manche Ärzte verabreichen Vitamine sogar in sogenannten Aufbauspritzen.
Diverse Wissenschaftler haben aber dieser Vitamin-Euphorie heftige Dämpfer verpasst:
Klares Resultat von grossen medizinischen Studien: Künstliche Vitaminpräparate oder “Antioxydantien” richten mehr Schaden an als sie gut tun. Experten warnen vor der immer noch weit verbreiteten Vorstellung, solche künstlichen Vitaminpräparate wären prinzipiell unschädlich und es sei unbedenklich, sie in hohen Dosen einzunehmen um Krebs (z.B. Antioxidantien hier unten oder Beta-Karotin und Krebs im New England Journal of Medicine 334) oder Herzerkrankungen (siehe Vit.E und Herz hier) vorzubeugen – so kennt man mittlerweile Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Lähmungen, Schwäche, Magenschmerzen, Leberstörungen, Gelbsucht, Juckreiz, Schlafstörungen, Reizbarkeit oder schwere Nervenschädigungen.
Überdosierungen von künstlichem Vitamin C führen zu Durchfall, Magenblutungen, Eisenüberladung und Nierensteinen.
Unerwünschte Nebenwirkungen und Überdosierungen treten auch besonders bei den fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K auf. Zu viel Vitamin A kann Kopfschmerzen, Benommenheit und Schläfrigkeit auslösen. Es kann in der Schwangerschaft Missbildungen beim Kind verursachen. Zu viel Vitamin D kann zu starkem Durst, Kopfschmerzen, Knochenschmerzen, Sturzneigung und hohem Blutdruck führen.

  • Ein weit verbreiteter Irrtum ist auch, dass man sich mit zusätzlicher Einnahme von Vitamin C gegen Erkältungskrankheiten oder Grippe schützen könne. Dem ist, auch wenn uns die Werbung das gerne weismachen möchte, nicht so (siehe mehr darüber hier!).
  • Männer, die zuviel Multivitamin-Präparate einnehmen, haben ein bis zu 30% erhöhtes Risiko für die tödliche Form von Prostatakrebs.
  • Den heftigsten Dämpfer kommt nun aus der Universität Kopenhagen (JAMA 2007;297: 842-57, Goran Bjelakovic et al.): Die regelmässige Einnahme antioxidativer Vitaminzusatzpräparate verkürzen offenbar sogar das Leben! Die Forscher schliessen aus dieser Studie, dass Beta-Karotin, Vitamin A und Vitamin E die Mortalität steigern, bezüglich Selen und Vitamin C werden weitere Studien empfohlen.

Vitamine werden auch, kaum in unserem Körper verstoffwechselt, selbst zu Radikale und müssen (teils mühsam) abgebaut werden. Man vermutet bei regelmässiger Einnahme deshalb ein Mangel an Abbaustoffen. Genau diese Abbaustoffe finden sich aber als sog. sekundäre Pflanzenstoffe in der ganzen Pflanze. Dort hat man also immer auch beides: die Vitamine/Mineralstoffe UND deren Abbauhilfen! Falls Sie also unbedingt irgendwelche Vitamine schlucken wollen, essen Sie immer gleichzeitig auch die vollen Pflanzen oder tierischen Produkte, in denen diese Vitamine natürlicherweise enthalten sind. Sie haben so automatisch keine Probleme beim Abbau derselben.

Ausnahmen von der Regel:

Bei wenigen Personengruppen sind Vitamin- und Mineralsalzpräparate sinnvoll:

    • Vegetarier, die auch Milchprodukte und Eier meiden (Veganer) benötigen häufig Vitamin B12, ev. auch Kalzium (?). Dies wird besonders für Säuglinge von Müttern, welche bereits mehr als 5 Jahre Veganerinnen sind, in der Stillzeit gefährlich. Es kann beim Kind dabei nach etwa 4 bis 8 Monaten zu schweren neurologischen Entwicklungsstörungen kommen.
      Auch eine Blutarmut/Eisenmangel (Anämie) muss ausgeschlossen werden (Müdigkeit, Haarausfall, Restless-Legs-Syndrom,…).
      Für einen Eisenmangel muss aber das Ferritin unter 30 µg/l sein.
    • Vitamin B12-Bestimmung ist nur sinnvoll bei Makrozytose (sieht die Hausärzt*in im Blutbild), Glossitis (rote, brennende Zunge), Polyneuropathie, Malnutrition (Mangelernährung), Status nach bariatrischen Eingriffen (Magenoperationen bei massivem Übergewicht), Metformin-Langzeittherapie! …und nicht in einem allgemeinen “Laborcheck”, nicht bei Müdigkeit, Depression oder kognitiven Einschränkungen!
    • Während und vor der Schwangerschaft wird häufig zusätzliches Eisen und Folsäure (Folsäure und spina bifida siehe hier!) benötigt.
    • Stark menstruierende Frauen leiden gelegentlich an einem Eisenmangel, da sie mit dem Blut auch Eisen verlieren (v.a. auch noch in Kombination mit vegetarischer Ernährung!).
    • Alkoholsüchtige haben gelegentlich zu wenig Vitamine B 1, B2, B6 C, Folsäure, Niacin sowie Magnesiumsalze; allerdings ist es blosse Symptombekämpfung, wenn man alkoholkranken Menschen Vitamine verabreicht.
    • Ausserdem müssen bei seltenen schweren Magen-Darm-Krankheiten mit Verwertungsstörungen Vitamine und Mineralsalze zusätzlich eingenommen werden.
    • Nanging=Missbrauch von N2O (Stickstoffoxid) als “recreational inhalant” (z.B. kapselweise aus einer Schlagrahmbombe – Kisag) führt zu irreversibler Oxidation des Vitamins B12, zu B12-Mangel und entsprechender Myeloneuropathie vorwiegend der Hinterstränge (Parästhesien=Kribbeln, Einschlafen an Füssen und Händen, Verstopfung, Urininkontinenz). (Ng J, Frith R. nanging. Case report. Lancet 2002;360:384)
    • Medikamente und Rauchen:
      Rauchen kann wie auch Aspirin und ähnliche Medikamente zu Vitamin C- Mangel führen. Medikamente gegen Epilepsie zu Vitamin D, B12, K und Folsäure-Mangel. Die Antibabypille zu B6, Folsäure, C und B12-Mangel, Metformin senkt das Vitamin B12, Protonenpumpenhemmer (Magensäurehemmer) senken neben dem Calcium auch das Vitamin B12.
    • In den ersten vier Tagen einer Virusinfektion (Erkältung, Grippe, …), also in der Zeit der Virenvermehrung (Virämie) reduziert täglich ein Gramm Vitamin C (plus zusätzlich alle 2 bis 3 Stunden 15mg Zink) die Schwere und die Dauer der Erkrankung.
    • Alte Leute (in Pflegeheimen?) benötigen häufig Vitamin D  (ob  mit Kalzium ist umstritten!).
    • Medikamente gegen Reflux, sog. Protonenpumpenblocker (PPI) interferieren mit der Magnesium-Resorption im Dickdarm. Eine Hypomagnesiämie wird vor allem bei hochdosiertem Einsatz, unter Komedikation mit Diuretika, bei Langzeittherapie und bei älteren Patientinnen und Patienten beobachtet.
      Diuretika erhöhen die renale Mg-Ausscheidung, Thiazide mehr als Schleifendiuretika, akzentuiert unter Kombination beider Wirkstoffklassen. Kaliumsparende Diuretika wirken hingegen protektiv, ebenso Natrium-Glukose-Kotransporter-2-(SGLT2-)Inhibitoren.
      Antibiotika, Colchicin und Laxativa (Diarrhoe), platinumhaltige Chemotherapeutika und Amphotericin B sind weitere Beispiele für Medikamente, die eine Hypomagnesiämie bewirken können.

  • Vitamin D:
    Dies ist seit Jahren nun das Hype-Vitamin Nummer 1! Man spricht in Fachkreisen auch schon von einem “Luxus-Placebo”
    Heute liest man häufig, dass viele Leute einen Vitamin-D-Mangel hätten, da auf konsequenten Sonnenschutz geachtet wird und das Vitamin D durch Sonnenlichtbestrahlung unserer Haut entsteht.
    Es gibt aber keine Einigkeit zu den Referenzwerten, schon gar nicht international. Die USA kennen beispielsweise keine Empfehlung wie die Schweiz. Ein “Mangel” darf sicher erst für 25(OH)D3-Werte unter 30 nmol/l angenommen werden! Die Besonderheit beim Vitamin D ist die jahreszeitliche Schwankung (Ende Winter am tiefsten). Bei allen anderen Blutparametern ist das nicht so. Dadurch definieren wir etwas als krank, das physiologisch offensichtlich keine Bedeutung hat.
    Das Vitamin D benötigen wir vor allem für einen guten Knochenbau (aber selbst dies ist umstritten), aber meist nicht mehr als 800 IE täglich.
    Vor allem Personen ab 60 Jahren sollten 800 IE pro Tag aufnehmen (über Sonnenlicht auf der nackten Haut oder über fetten Fisch (jedoch zweimal täglich nötig!).
    Ich bin aber überzeugt, dass Vitamin D spätestens in zehn Jahren genauso erledigt sein wird wie alle Vitamine davor. Wissenschaftlich gesehen ist es im Grunde bereits jetzt so weit. Was soll denn nach den erfolglosen Studien mit Zehntausenden Patienten noch kommen?
  • Vitamin B6: Achtung!
    Vitamin B6 kann eine Neuropathie auslösen. Die australische Gesundheitsbehörde vermeldet 2022 einige Fälle von Neuropathie durch Vitamin B6-Präparate, die gegen “Nervenschwäche” genommen werden. In zwei Drittel der Fälle schluckten Patienten weniger als 50 Milligramm pro Tag. Fachleute hatten geglaubt, dass Nebenwirkungen erst bei zehnfacher Dosis auftreten würden.

Vitamine beim Abmagern:

Während einer strengen, langandauernden Abmagerungskur mit weniger als 1000 Kalorien Nährwert pro Tag sind ab der zweiten bis dritten Woche zusätzliche Vitamine und Ballaststoffe manchmal günstig. Solche extremen Diäten dürfen aber nicht ohne ärztliche Kontrolle durchgeführt werden.
Da während der Abmagerungskur vor allem die Vitamine B 1, B6, C, D, Folsäure Niacin knapp werden können, sollte ein Vitaminpräparat diese Vitamine in ausreichender Menge enthalten. Von Vitamin A legt der Körper genügend grosse Vorräte an, so dass sie auch durch eine Fastenkur nicht aufgezehrt werden.

Natürliche Vitamin-Quellen

Anstatt künstliche Vitaminpräparate zu schlucken, raten Ernährungs- und Gesundheitswissenschaftler, sich diese einfach auf natürliche Weise zu besorgen, da in frischen Früchten und Gemüse schätzungsweise mehrere tausend sog. bioaktive Substanzen oder sekundäre Pflanzenstoffe bei Heilungsprozessen als hochwirksame Medikamente beteiligt sind:

Vitamin

ist enthalten
in folgenden

Nahrungsmitteln:
A

——–

Aal, Camembert, Grünkohl, Hühnerei, Milch, Karotten, Spinat, Thunfisch, Kakifrüchte, Leber
Beta-Carotin (Provitamin A)

——-

Grünkohl, Karotten, Leber, Spinat, Sanddorn, Orangen
D (Calciferol)

——–

Sonnenlicht auf Haut!
Fetter Fisch (Wildlachs mehr als Zuchtlachs, Thunfisch, Hering, …) – wenig in Joghurt, Milch, Sahne
E (Tocopherol)

——–

Weizenkeimöl, Nüsse, Feldsalat, Grünkohl, Haselnüsse, Margarine, Distelöl, Rapsöl, Sojaöl, Walnüsse
Folsäure

——–

Rosenkohl,Erdbeeren, Brokkoli; weitere Quellen: Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Weizenkeime, Vollkornprodukte, Leber, Eigelb, Tomate, Nüsse, Sojabohnen, Spargel, Fenchel, Fleisch, Kartoffeln, Milchprodukte, Orangen, Spinat, Gurken, Orangen, Erdbeeren, Trauben
C (Ascorbinsäure)

——–

Paprika, Orangensaft oder Orangen, Acerolakirschensaft, Johannisbeeren, Sanddornsaft, Papaya, Kiwis; weitere Quellen: sehr hoher Gehalt in Hagebutten (1250 mg/100 g), Sanddorn (450 mg/100 g), Brennnessel (300 mg/100 g), Paprika (120 mg/100 g), Broccoli (115 mg/100 g) und Rosenkohl (112 mg/100 g), hoher Gehalt in Zitrone, Tomaten, Grünkohl, Blumenkohl, Kartoffeln, Grapefruit, Sauerkirsche, Limetten, Apfel; Ananas, Apfelsinen, Blumenkohl, Broccoli, Erdbeeren, Fenchel, Grünkohl, Melone, Sauerkraut, Spinat, Stachelbeeren, Tomaten
H (Biotin)

——–

Kalbsleber, Sojabohnen; weitere Quellen: Milch, Haferflocken, Nüsse, Champignons, Hülsenfrüchte, Spinat
K (Phyllochinon)

——–

Haferflocken, Hühnerfleisch, Sauerkraut, Kohl, Schweineleber, Spinat, Tomaten
B1 (Thiamin, Aneurin)

——–

Sojabohnen, Hühnerbrust, Haferflocken, Haselnüsse, Hefe, Linsen, Milch, unpolierter Reis, Schweinefleisch, -leber und -niere, Vollkornbrot, Weizenkeime
B2 (Riboflavin)

——–

Milch oder Champignons; weitere Quellen: Käse, Getreide, Geflügel, Fisch, Sanddornsaft, rote Beete, Orange, Grapefruit, Spinat, Banane, Birne
B3 (Niacin, Nikotinsäure)

——–

Hühnerbrust, Lachs, Champignons; weitere Quellen: Vollkornbrot, Erdnüsse, Erbsen, Grüne Bohnen, Sojabohnen
B5 (Pantothensäure)

——–

Steinpilze oder Leber; weitere Quellen: Blumenkohl und Brokkoli, Seefisch, Pute, Milch, Kalbfleisch, Naturreis, Haferflocken
B6 (Pyridoxin)

——–

Weizenkeime, Lachs, Banane; weitere Quellen: Kirschen, Orangen, rote Beete, Kartoffeln, Vollkornprodukte, Soja, Fleisch und Fisch, Naturreis, Avocado
B12 (Cobalamin)

——–

Rinderfilet, Seelachs, Camembert; weitere Quellen: Milch, Eier, Quark, Sanddornsaft, Hering, Leber, Sauerkraut, Schweinefleisch
Antioxidantien (Polyphenole)

——–

Grüntee, Fischöl (fette Meerfische v.a.), schwarze Schokolade (70% oder mehr Kakao-Anteil), Nüsse

Folsäure in der Schwangerschaft (Spina bifida):

Diese Missbildung “Spina bifida”, ein Neuralrohrdefekt (und wird deshalb auch «offener Rücken» genannt) ist tragisch. Betroffene Kinder leiden an Lähmungen und anderen körperlichen Behinderungen.
Die USA hatten im Jahre 2005 auf 100’000 Lebendgeburten rund 18 Neugeborenen mit Spina bifida und 11 mit Anenzephalie (keine Ausbildung des Hirns). Der Konsum von täglich 0,4 bis 0,8 mg Folsäure reduzierte diese Frequenz auf ein Neuntel!
Die optimale Substitution beginnt 1 Monat vor der Zeugung und dauert 2 – 3 Monate.
Die Empfehlung ist also: Alle Frauen, die ein Kind planen oder im gebärfähigen Alter sind, sollten täglich 0,4 bis 0,8 mg Folsäure konsumieren.
Das ist eine klare Grad-A-Empfehlung – ohne Einschränkung (Ann Intern Med. 2009;150:626-31/632-9).

Schädliche sogenannte “Vitalstoffe”

Antioxidantien gelten als gesund – ein Irrtum, wie immer mehr Studien zeigen:
Antioxidantien sollten nicht zum Schutz vor Lungenkrebs genommen werden, mahnen schwedische Forscher. Solche Stoffe könnten möglicherweise das Fortschreiten von Krebsvorstufen und das Wachstum bestehender Tumoren fördern, vermuten die Mediziner um Martin Bergo von der Universität Göteborg nach einer Studie an Mäusen und menschlichen Krebszellen. Ihre Resultate stellen sie in der Fachzeitschrift «Science Translational Medicine» vor.
Antioxidantien wie etwa Vitamine gelten gemeinhin als gesund – unter anderem, weil sie verhindern sollen, dass reaktive Sauerstoffspezies (ROS, Reactive Oxygen Species) oder andere freie Radikale die DNA durch oxidativen Stress schädigen. Daher gelten diese Stoffe oft als Schutz vor Krebs. Gesichert ist diese Wirkung allerdings nicht. Vielmehr lieferten Studien Hinweise darauf, dass manche Antioxidantien das Fortschreiten von Krebs sogar fördern könnten.

Schutzsystem ausser Kraft

Die schwedischen Mediziner untersuchten nun den Effekt von Antioxidantien an Mäusen mit Lungenkrebs, der durch bestimmte, beim Menschen gängige Genveränderungen verursacht war. Dazu mischten sie den Tieren Vitamin E oder N-Acetylcystein (NAC) ins Futter. Beide Stoffe regten das Krebswachstum an. «Die Daten zeigen, dass Tumorzellen schneller wuchern, wenn oxidativer Stress unterdrückt wird», schreiben die Forscher. Möglicherweise werde ein körpereigenes Schutzsystem herabreguliert, wenn reaktive Sauerstoffspezies durch NAC oder Vitamin E unterdrückt würden, vermuten sie.
«Die Studie an Mäusen ist ein Hinweis, dass die ungünstige Wirkung der Antioxidantien auch für Menschen zutreffen könnte – nicht mehr und nicht weniger», sagt Tobias Dick vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Da ROS ein Sammelbegriff für Sauerstoffspezies mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften sei, sei die verallgemeinernde Interpretation der schwedischen Autoren nicht zwingend. Allerdings sei sie durchaus plausibel und decke sich auch mit Hinweisen aus epidemiologischen Studien.  (Quelle: http://tagi.ch/29797843)

Vorsicht: Selen

Chinesische Ärzte haben schon um das Jahr 1960 in fünf Dörfern der Provinz Hubei klare Selen-Vergiftungssymptome beschrieben. Im am schlimmsten betroffenen Dorf litten über 80 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner an einer ungewöhnlichen Erkrankung. Ihre Haare brachen ab und fielen aus, ihre Kopfhaut juckte, die nachwachsenden Haare waren farb- und glanzlos. Die Kranken verloren ihre Nägel, sie litten an Hautausschlägen und in schweren Fällen kam es sogar zu Lähmungen. Im Jahr 1983 berichtete das «American Journal of Clinical Nutrition» darüber. Der Grund für das Leiden war stark selenhaltige Kohle zum Heizen. Der Rauch gelangte auch in den Boden. Über Getreide und Pflanzen vergifteten sich die Menschen so mit Selen.
(Vorsicht, Selen!)

Wie sinnvoll sind Laboruntersuchungen?

Der Nutzen von Blutuntersuchungen für die Abklärung einer Mangelernährung ist laut Prof. Dr. med. Philipp Schütz, Präsident der Gesellschaft für klinische Ernährung der Schweiz (GESKES), sehr umstritten, mit wenig klinischen Studien, die hier tatsächlich einen Benefit zeigen und entsprechend wenig klaren Empfehlungen. Generell gilt, dass Blutentnahmen jeweils sehr individuell gemacht werden sollten. Zum Beispiel bei einem Patienten oder einer Patientin mit einer Anämie ist es sinnvoll, Eisen (Ferritin), Vitamin B12 und Folsäure zu bestimmen und allenfalls gezielt zu substituieren. Auch sollte bei Personen mit einem einseitigen Ernährungsverhalten (zum Beispiel bei Veganerinnen und Veganern) und gleichzeitig erhöhtem Bedarf (zum Beispiel bei Jugendlichen oder in der Schwangerschaft) gezielt nach Nährstoffdefiziten geschaut werden. Der Vitamin-D-Mangel ist laut Philipp Schütz bei Menschen in Pflegeheimen oder mit einer Mangelernährung stark verbreitet, sodass eine Supplementierung auch ohne Messung des Blutspiegels ihm zufolge eine deutlich kostengünstigere Strategie darstellt, als die Werte vorab zu bestimmen. Zudem seien die Vitamin-D-Spiegel stark saisonal bedingt fluktuierend und teuer.

Zum Weiterlesen:

Zudem sollte jeder, der “auf Vitamine und Zusatznahrung/Supplemente/Mineralstoffe schwört” (und vielleicht die Schulmedizin primär mal ablehnt, da zu technisch…) bei sich genau hinsehen, ob er dem häufigen Denkfehler von uns modernen Menschen aufsitzt, dass “Natürliches sowieso gut – und besser als alles Wissenschaftlich-Technische ist”:  walserblog.ch/2021/12/10/alles-natuerliche-ist-gut/

aus der Sonntagszeitung vom 12.05.2019 (Copyright dankend überlassen)

Veröffentlicht am 06. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
24. April 2023

Wandern, Spazieren, Flanieren

„Unsere Gewohnheit ist, im Freien zu denken, gehend, springend, steigend, tanzend, am liebsten auf einsamen Bergen und dicht am Meere, da wo selbst die Wege nachdenklicher werden.“ (Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft)

So hat das Flanieren und Wandern etwas Radikales, Neues in unserer schnelllebigen Gesellschaft…

Probieren Sie, das Wandern nicht als Selbstoptimierung zu sehen. Halten Sie nichts in den Händen und versuchen Sie, das Gehen als Selbstzweck, nicht als Werkzeug zu betrachten. Ich versuche ausserdem, dabei nicht zu viel nachzudenken. Wenn ich damit anfange, denke ich an die Vergangenheit oder an die Zukunft. Ein Spaziergang hilft, im Moment präsent zu sein. Ziemlich oft finde ich dabei sogar Antworten auf Fragen, die ich mir gar nicht gestellt hatte…

In unserer «Müdigkeits­gesellschaft» gehen alle Mitglieder permanent an die Grenzen ihrer Mobilisierbarkeit, der Burnout wird zur Universal­pathologie, zum permanent drohenden Leistungs­infarkt. Dem setzt Byung-Chul Han in seinem neuen Buch „Vita contemplativa“ ein Ethos des Flanierens, des Schlenderns, des Verweilens entgegen.

Bewegung in Rhythmen lassen besser denken.

Schon in den antiken Wandelhallen, dann in der Kreuzgängen der Klöster, auch Schüler, die im Gehen Vokabeln büffeln, Schauspieler, die beim Rollenlernen herumlaufen – alle sie wussten es, was nun in den Neurowissenschaften benannt werden kann, dass im Gehen gewisse Hirnregionen (vor allem der Hippocampus) besser arbeiten können.
Der Rhythmus, vor allem regelmässige von mittlerer Geschwindigkeit sind gut zum Lernen geeignet. Regelmässige, langsame für Meditation und tranceartige Zustände.
Man kann sogar behaupten, dass das abstrakte Denken nur eine verfeinerte Nutzung der praktischen Funktionen unseres Gehirns ist, die darin besteht, den Körper in angemessener Art und Weise zu bewegen. Deshalb ist die Affinität des Denkens zur Bewegung und des Gehens vorhanden.
(Mehr darüber hier >>>)

Alles ist schon da!

Wir sind doch eigentliche Lauf- und Wanderwesen. Unser Körper ist in seinem Aufbau, in seiner Statik, mit allen seinen Organen und Funktionskreisläufen im Grossen und Ganzen immer noch der eines Wanderers oder Läufers. Man schaue sich nur die mächtigen Oberschenkel und die insgesamt langen Beine an. Sind die etwa nur zum Sitzen oder Liegen gemacht?
Auch die hochkomplizierte Mechanik des Fusses, welche die Aufprallenergie speichern und zum Abstossen nutzen kann, brauchen wir nicht, um in Autos ein- und aus ihnen auszusteigen. Unsere Atmungsorgane sind wirkungsvolle Energiebeschaffer, deren wahre Kapazität brachliegt. Unser Organismus funktioniert noch weitgehend so, wie er für das Leben eines Läufers vorgesehen war, der lange Strecken unterwegs sein musste. Unter speziellen Bedingungen ist der Mensch tatsächlich allen anderen Läufern überlegen, was auf der Jagd ein enormer Überlebensvorteil war: über sehr grosse Distanzen und bei grosser Hitze. Der Mensch ist auch Weltmeister im Schwitzen (Genaueres über diesen anthropologischen Aspekt hier >>> ausdauerraeuber.pdf)

Haltung/Laufstil/Technik

kurz und bündig zusammengefasst: www.dr-walser.ch/wanderhaltung.pdf (und hier in Kurzform).

Mit und nicht gegen die Schwerkraft

Wir lassen einfach los und die Schwerkraft, unser Gewicht wirkt!
Wie erreiche ich dies? Das Gewicht des Oberkörpers ist der Motor. Man läuft dazu mit wenig Vorlage im Brustbereich. Der Schwerpunkt liegt immer vor dem Lot. Das Gewicht zieht uns also nach vorne! Man kann sich ein Gummiband vorstellen, das uns am Brustbein nach vorne zieht. Das Ziel zieht uns damit an – wir fixieren uns nicht auf das Ziel oder eine Leistung. Sie sollten das Gefühl haben, der Rumpf werde vom Brustbein her, das fast senkrecht steht, nach vorn und gleichzeitig in die Länge gezogen (1 auf dem Bild).  Selbstverständlich drücken Sie nicht die Brust raus.
Das Becken scheint vergleichsweise weit hinten zu “hängen” (2 auf dem Bild). Dadurch schwingen die Beine wie von selbst (3 auf dem Bild: aus den tiefen Schwingmuskeln, dem „Filet“ = Psoasmuskel) und es entsteht kein muskelaktives Vorsetzen (durch den “oberflächlichen” Quadriceps-Muskel). Der etwas schwerere Wanderschuh kann diese Pendelbewegung des Beines unterstützen.

Der Kopf balanciert auf der Mittelachse des Halses (nicht nach vorne strecken). Man kann sich den Kopf als eine Boje oder einen Luftballon vorstellen, der locker auf allem sitzt.
Das Seil, das uns imaginär zieht ist nicht an der Stirn befestigt, sondern am Brustbein. Das Brustbein schwebt wie vorne weg. Der Schultergürtel liegt leicht auf dem Körper (wie ein leichtes Joch) und alles, auch die Arme hängen daran. Spüren Sie das Gewicht der Arme in den Ellbogen, die waagrecht vor- und zurück pendeln, aber weder hinten noch vorn hochkommen. Die Arme bewegen sich frei durch den Schultergürtel aus der Gegend um das Schulterblatt und aus der Rumpfseite. Lassen sie den Rumpf und den Schultergürtel recht ruhig nach vorne bewegen.
Das Becken hängt wie ein Topf (Die oberflächlichen Bauchmuskeln, Gesäss, Beckenboden (vor allem hinten um den Anus) sind entspannt. Man soll den Mut haben, alles hinten raus zu lassen… zu scheissen…). Lassen Sie das Becken nicht seitlich abkippen. Die Beine hängen aus dem Becken raus (wie Pendel, die hinten bis zu den Rippen rauf reichen = tiefe Schwingmuskeln). Das Becken “schwebt” mit dem Oberkörper ruhig durch den Raum und unten schwingen die Beine. Als “Training” empfiehlt es sich, mit einem gefüllten Wasserglas in der Hand zu gehen. Wenn dies gelingt, ohne etwas zu verschütten, ist der ideale Wanderstil bald erreicht.
Gehen Sie im Geiste immer wieder Ihren Körper durch. Spüren Sie, wie die Füsse frei an den Unterschenkeln und diese wiederum an den Oberschenkeln hängen und wie die Drehachsen genau waagrecht liegen. Die Beine hängen wie Pendel aus dem Bauchraum, wie von den Rippen und schwingen durch den Beckengürtel. Sie haben das Gefühl, als trügen die Beine den völlig entspannten Rumpf entlang einer geraden Linie gleichmässig vor sich her.
Dies ergibt eine katzenartige, leichte, entspannte Schwungbewegung (man hängt quasi in seinem Bindegewebe, im „Gäder“) und nicht ein muskelzentriertes, angestrengtes Kraftgehen.
Der Schwerpunkt soll in der Bewegung möglichst ruhig auf einer Linie bleiben und dabei möglichst tief liegen (wie bei einem Rennwagen). Die Faltbewegung in der Zickzacklinie erfüllt diese Bedingungen auf ideale Weise. Stellen Sie sich Ihren Schwerpunkt vor und vermindern Sie auf unebenem Gelände seine Ausschläge nach oben und unten. Sie strecken sich etwas gegen den Boden, wenn Sie in ein Loch treten, und lassen sich tiefer ins Falten sinken, wenn Sie auf eine Erhöhung treten. Sowohl geradeaus, als auch bergaufwärts, aber auch bergabwärts versucht man leichte Faltbewegung, diesen Vorschub im Brustbein und das Becken hinter der Mittellinie beizubehalten.

Bergauf- und Bergab-gehen

Bergauf
Man probiert möglichst mit dem Gewicht des Oberkörpers in Vorlage in den Hang reinzuliegen. Man lässt sich bildlich wie eine Standseilbahn schräg nach oben ziehen. Das Seil ist am Brustbein angehängt. Man ist aber nur im Hüftgelenk gebogen, der Po bleibt hinten und das Brustbein und der Kopf drauf bleiben senkrecht (konvexe Mittellinie des Oberkörpers).
Im Schwungbein beuge ich das Knie zuerst etwas mehr als geradeaus und lasse dann das Bein (wie oben beschrieben) locker und entspannt aus der Hüfte raus nach vorne schwingen. Der Fuss “schlägt” dann (immer Ferse voran) mit kleinen Schritten in den Hang – man “stolpert” den Berg rauf.
Die gefühlte Anstrengung sollte dabei beim Bergaufwandern kaum grösser sein als wenn man eben aus Gehen würde. Man macht wirklich ganz kleine Schritte.

Bergab
Auch hier mit fast noch grösserer “Vorlage” als beim Bergaufgehen (mit konvexer Mittellinie des Oberkörpers und mit senkrechtem Brustbein weit vorne) und starker Beugung im Hüftgelenk. So hat man den Schwerpunkt immer weit vorne über den drei wichtigen Federn unseres Körpers: Fuss als Längsfeder, Knie- und Hüftgelenk. Bei der häufig gesehenen Rücklage werden die Knie durch den schlechten Hebel und durch den Ausfall der Federung im Hüftgelenk und auch im Fuss massiv belastet. Zudem ist der Stand durch den Schwerpunkt, der hinter den Füssen liegt, sehr schlecht und bei nassem, glitschigen Grund ist die Gefahr gross, dass man nach hinten hinfällt. Die Bergsteiger kennen dies schon immer: „Wie ein Affe“ soll man mit Falten im Hüftgelenk (Po hinten und Brustbein vorne, oben) eine steile Geröllhalde oder nasse Wiese runtergehen.
Das Becken scheint vergleichsweise weit hinten zu “hängen”. Dadurch schwingen die Beine wie von selbst (aus den tiefen Schwingmuskeln, dem Filet = Iliopsoasmuskeln) und es entsteht kein muskelaktives Vorsetzen (durch den “oberflächlichen” Quadriceps-Muskel). So vermeidet man auch den “Knieschnapper”, der allein durch diese Überlastung des Quad-Muskel entsteht.

Diese Haltung ist nicht nur die (tritt-)sicherste, sondern aus verschiedenen Gründen (Tiefenaktivität und oberflächliche Entspannung, grösste Federung, Trittsicherheit und Gleichgewicht) die gesündeste!

Etwas übertrieben dargestelltes Besteigen eines Steinblocks und wieder Runtersteigen ist das gute Model für Bergauf- und Bergabwandern:

Wie trägt man einen Rucksack richtig?

Man benötigt dazu kein spezielles Aufhängesystem am Rucksack (wie es in letzter Zeit durch die Presse geisterte). Man soll nur eine leichte Haltungskorrektur vornehmen:
Das Wichtigste: Der Oberkörper soll im Hüftgelenk leicht nach vorne geneigt und das Brustbein und der Kopf senkrecht sein (wie oben beschrieben), womit der Rucksack bequem darauf zu liegen kommt. Optimalerweise liegt er auch mit seinem Boden auf der Beckenschaufel auf und sitzt eng an unserem Körper, das Schwerste des Inhalts am besten weit oben und nah am Körper packen. So ist sein Hauptgewicht VOR dem Lot und gibt dadurch Schub nach vorne.

Sind Wanderstöcke beim Berggehen sinnvoll?

Bergsteigen schadet den Knien nicht, solange sie gesund sind. Selbst wenn dabei die unterschiedlichsten Druck- und Drehkräfte auftreten. Solange keine angeborenen Beinfehlstellungen oder Verletzungen im Kniegelenk vorliegen, hat man es also weitgehend selber in der Hand, Kniegelenkprobleme zu bekommen oder nicht.
Beim Bergaufsteigen gibt es für das Kniegelenk sicher noch keine Probleme. Schwierig wird es dafür, wenn`s wieder bergab geht. Denn beim Bergabgehen sind die Belastungen für das Knie enorm, weil ja mit jedem Schritt das gesamte Körpergewicht abgefangen werden muss. Daher sollte man sich mit dem Abstieg möglichst viel Zeit lassen, langsam und in kleinen Schritten gehen, und nicht zuviel Gepäck mitnehmen. Man sollte die Gehtechnik situationsbezogen immer wieder umstellen, einmal Füsse querstellen, einmal Doppelstockeinsatz mit den Wanderstöcken, aufrechtes-tiefes Gehen, geradliniges-seitliches Gehen, etc..
Der Oberkörper sollte mit einer Beugung im Hüftgelenk etwas Vorlage haben (jedoch mit einem senkrechten Brustbein vorne und mit dem Kopf locker auf und nicht vor dem Hals) und auch die Kniegelenke dabei etwas beugen (Faltung in Knie und Hüfte). Dabei ergibt sich – wie oben beschrieben – ein stärkerer Druck auf den gesamten Fuss von der Ferse bis zum Fussballen (wie ein Flachdrücken einer Längsfeder).
Wie kann man die Druckkräfte am besten abfangen? Nicht unbedingt mit den Wanderstöcken! Am besten gelingt das mit einer gut trainierten Oberschenkelmuskulatur: keine Touren gehen, denen man kräftemässig nicht gewachsen ist. Denn je schwächer, ermüdeter und unelastischer der Oberschenkel ist, desto ruckartiger und damit belastender wirkt jeder einzelne Schritt auf die Kniegelenke.
Wanderstöcke sollten nur von Alpinisten benutzt werden, die übergewichtig sind, schwere Lasten tragen oder schon Kniebeschwerden haben – und auch nur zum Bergabsteigen – und dabei immer ausgeschlauft.  Es sind grundsätzlich immer zwei Stöcke zu verwenden, und die sollten am besten stufenlos verstellbar sein, wie Teleskopstangen. Die Stöcke sollten dabei so kurz sein, dass die Ellbogen höchstens eine Beugung von 45 Grad aufweisen. Ausserdem sollten die Stöcke möglichst nahe der Falllinie des Körpers gesetzt werden. Ist der seitliche Abstand zu gross, so fällt die Kraftentlastung weg, und der Bergsteiger kann zudem noch leicht aus dem Gleichgewicht kommen. Gerade das Gleichgewichtsgefühl ist ein zentrales Problem bei den Wanderstöcken: je regelmässiger die Bergstöcke benutzt werden, umso mehr verlernt man, die Balance zu halten! Die häufigste Unfallursache beim Bergsteigen, nämlich das Stolpern bzw. Straucheln, wird dadurch gefördert!
Zudem besteht die Gefahr, dass man sich zu sehr auf das Einstecken der Stöcke konzentriert und dabei nach unten schaut. Der Hals streckt man dabei nach vorne und verkrampft so mehr den Nacken und die langen Rückenstrecker!

In sehr rutschigem oder losem Untergrund können Wanderstöcke etwas die Balance verbessern. Die Internationale Vereinigung der Alpinistenverbände (UIAA) empfiehlt deshalb den Stockeinsatz beim Begehen von Schneefeldern, auf nassem Untergrund oder bei stark verminderter Sicht. Trotzdem findet sie – Absteige zudem ausgenommen, Stöcke seien überflüssig und sollten vor allem aus Gründen der Sicherheit keinesfalls ununterbrochen benutzt werden. Wer mit Stöcken wandert, hat die Hände gebunden und kann sie damit bei einem Sturz nicht optimal einsetzen – und vor allem Knochen und Knorpel brauchen Reize, um gesund zu bleiben und im Training zu bleiben – und das Gleichgewichtsgefühl büsse durch dauernden Stockeinsatz stark ein. Müsse ein Wanderer dann anspruchsvolles Gelände wie schmale Grate bewältigen, in denen er ohnehin keine Stöcke einsetzen könne, erhöhe sich das Unfallrisiko enorm.

In diesem Zusammenhang ist auch interessant, sonstige sportliche Tätigkeiten mit Stöcken anzuschauen:
Nordic Walking muss so auch kritisch gesehen werden: Die Beeinträchtigung des Gleichgewichtes wird in etwa dieselbe sein wie beim Bergwandern. Zudem ist der Energieverbrauch (Fettverbrennung!), wie häufig behauptet wird, nicht grösser als beim normalen Walken oder leichten Joggen (zeigen zwei neue finnische Studien). Die etwas höhere Aktivität von Arm- und Schultermuskulatur wird wohl durch ein automatisch weniger intensives Gehen wieder nach unten kompensiert.
Eine Entlastung der Gelenke gibt es durch die Stöcke kaum (siehe oben).
Und noch ein Nachteil zeigt sich bei Faustschlussaktionen durch Halten der Stöcke: Dies hat eine Tonisierung (und spätere Verkürzung und häufige Verspannung) der ganzen Extensorenschlinge des Armes und in Fortsetzung auch der Schultermuskulatur (v.a. des Supraspinatus-Muskels) zur Folge! Man muss also – wie richtig instruiert und wie auch im Langlauf – den Stock beim Vorschwingen unbedingt loslassen.
Man kann also auch als Regel formulieren: Beim Sport möglichst nichts in den Händen halten und damit den Faustschluss weitgehend verhindern!
Wanderstöcke können auch zum Feind der enormen Plastizität unseres Hirns werden. Es ist dann eine Art Schonhaltung: „Das war‘s!“ – sich selbst als „schwach“ sehen und nichts mehr „Anstrengendes“ und Neues anpacken. Gut wären wenig „Rollatoren“ und Krücken! Jeder „Rollator“ – ausserhalb von schweren Gangstörungen natürlich – lässt unser Hirn verarmen und verhindert Wachstum. Siehe dazu meinen Blogbeitrag >>>

Die Ausrüstung beim Wandern

Ein wichtiger Sicherheitsaspekt ist der Rucksack. Je schwerer er ist, desto langsamer geht man. Dann ist die Gefahr grösser, dass man in eine heikle Situation wie ein Gewitter oder die Abenddämmerung gerät. Am besten wiegt der fertig gepackte Rucksack nicht mehr als zehn Kilogramm. Hinein gehören ein Erste-Hilfe-Set mit Desinfektionslösung (wässriges Jod, z.B. Betadine), Pflaster und Blasenpflaster. Zudem Proviant (vor allem genügend Wasser), ein T-Shirt zum Wechseln, ein warmer Pullover, Regenkleider sowie Sonnenschutz. Für Allein-Wanderer ist laut Thomas Bucher auch ein Biwaksack zwingend notwendig. Er kann lebensrettend sein, wenn man sich verletzt oder in ein Unwetter kommt. Die wasser- und winddichte Hülle wiegt nur ein paar hundert Gramm und lässt sich gut im Rucksack verstauen.

Im Notfall

In dem seltenen Fall, dass man sich doch einmal verletzt oder vor Erschöpfung nicht weiterlaufen kann: Bleiben Sie ruhig. Vielleicht kommt in ein paar Minuten sowieso ein anderer Wanderer vorbei, der helfen kann. Sonst wählt man auf dem Handy den Notruf 112, die REGA-Nummer 1414 (in der Schweiz) oder aktiviert direkt in der REGA-App den Alarm. Hat man keinen Empfang, zum Beispiel in einer Schlucht, kann man versuchen, zu einer höher gelegenen Stelle aufzusteigen. Auf einem Bergrücken oder in Sichtweite zu einer Ortschaft empfängt man meist wieder Netz.

Ist das Handy kaputt oder der Akku leer, kann man auch mit Geräuschen oder Licht auf sich aufmerksam machen. Liegt man an einem versteckten Ort, macht man alle zehn Sekunden ein Geräusch. Dazu kann man rufen, mit einem Stock gegen einen Baum oder mit zwei Steinen gegeneinander schlagen. Im Dunkeln lässt sich mit einer Lampe ein Lichtsignal senden. Man schaltet die Lampe alle zehn Sekunden kurz an und wieder aus. Und zwar am besten in Richtung Tal oder der nächsten Ortschaft.

„Es braucht keine teure Ausrüstung, ja man muss nicht einmal einen Gipfel in spektakulärer Landschaft erklimmen – und doch kann einen das Wandern unendlich beglücken.“

Ich will den Leuten nicht sagen: Geht alle wandern! Sondern: Lebt euren Traum! Das Wandern halte ich darum für sehr geeignet, weil es die demokratischste aller Outdoorsportarten ist. Wandern hat eine niedrige Einstiegsschwelle – sportlich wie finanziell. Wandern kann jeder Depp, das sieht man ja schon an mir. Und meine Ausrüstung stammt mehrheitlich vom Discounter. Für meine Regenjacke zahlte ich 7,99 Euro. Da ist nichts mit teurem Goretext. Statt einer Regenhose trage ich einen aufgeschnittenen Müllsack. Dabei bin ich Profiwanderin.

Im Leben von uns Westlern aber steigt diese Glücksschwelle mit dem Älterwerden in der Regel an. Als Student freut man sich am WG-Zimmer, mit 40 soll es dann ein eigenes Haus sein. Beim Wandern ist es genau umgekehrt.

Nach einer Wanderwoche bin ich schon dankbar, wenn ich warm duschen kann. Sie werden also klein und demütig und damit leicht glücklich zu machen. Das ist ein geniales Gefühl! Durch das Wandern bin ich ein glücklicher Mensch geworden, das strahle ich aus, und das erlebt meine Umwelt.“
(Die meistgewanderte Frau der Welt Christine Thürmer (56) im Interview mit der Sonntagszeitung, 01.10.23)

Mehr über die Haltung beim Laufen/Joggen >>> hier auf dieser Website!

Mehr über Körperhaltungen in weiteren Sportarten >>> hier auf dieser Website!

Der Flaneur sucht die Anonymität, meidet die Arbeit, entzieht sich der Geschäftigkeit und beobachtet den Konsumkult distanziert – gerade das macht ihn so subversiv. Mit seinem Schlendern protestiert er gegen die Arbeitsteilung:
Philosophische Flaneure >>>

Und wie der Rhythmus beim Wandern unser Hirn aktiviert – zum Denken und auch zum Meditieren!

Immer mehr Frauen wandern länger und auch mal solo. Als gutes Beispiel Christina Ragettli… hoffentlich auch ansteckend für uns Männer!

Kurz und bündig zusammengefasst: www.dr-walser.ch/wanderhaltung.pdf (und hier in Kurzform).

Veröffentlicht am 06. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
16. November 2023

Glutenunverträglichkeit: Zöliakie oder Sprue

Gluten

Die Glutenintoleranz wurde eine Modediagnose. Ich höre sogar viel in meiner Sprechstunde die “Diagnose” einer “Weizenallergie”, die ja in Wirklichkeit sehr, sehr selten ist. Dies hat gar nichts mit seriöser Diagnostik der Zöliakie zu tun und ist eine grobe Begriffsverwirrung.
“Intoleranz” oder Unverträglichkeit heisst, man kann ganz wenig Restmengen ertragen. Sie provozieren keine Reaktion des Abwehrsystems. Unverträglichkeiten lösen Bauchweh oder Unwohlsein aus, ev. Durchfall.
Im Gegensatz dazu löst bei einer “Allergie” schon Spuren des allergischen Stoffes teils sehr schwere Symptome aus (auch generelle, wie Quaddeln auf der Haut, Jucken und Schleimhautschwellungen)! Die “wahre” Weizenallergie ist unter Erwachsenen höchst selten. Die häufigsten Allergieauslöser beim Essen sind Meeresfrüchte (0.9%), gefolgt von Obst und Gemüse (0.7%), Milchprodukten und Erdnüssen (jeweils 0.5%).

90% aller “Glutenunverträglichkeiten” sind wohl aber eine sogenannte “Glutensensitivität“, was wiederum aber herzlich wenig mit Gluten zu tun hat, sondern eine Folge von Schnellgärungen mit Hefe sind. Lesen Sie weiter unten mehr darüber.
Zudem ist eine Ernährung ohne Gluten meist eine sehr schädigende!

Die wahre Zöliakie oder Sprue, wie die Krankheit häufig bezeichnet wird, ist eine chronische Überempfindlichkeit gegenüber einer Gruppe von Klebeproteinen, dem Gluten (oder Gliadin). In der Schweiz leiden nur geschätzte 1% der Bevölkerung unter Zöliakie. Früher ein Kindheitsproblem, wird sie heute vorwiegend im Erwachsenenalter manifest und diagnostiziert.
Gluten kommt hauptsächlich in einigen Getreidearten wie Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Einkorn, Emmer und Kamut vor. Hafer (aber nur nicht mit anderem Getreide “verseuchter”) hingegen ertragen Zöliakie-Patienten auch auf lange Sicht! Der Hafer durchläuft leider immer noch ab und zu dieselben Verarbeitungswege wie glutenhaltiges Getreide. Man muss also auch hier auf den Vermerk “glutenfrei” achten!

Symptome

Die Symptome sind mannigfaltig; sie reichen von den “klassischen Magen-Darm-Symptomen”: (heftige) Bauchschmerzen, begleitet von Durchfall und Gewichtsverlust, bis zu einer schleichenden, ohne äusserliche Beschwerden ablaufenden Degeneration der Dünndarmschleimhaut. Dabei kann Blutarmut (Eisen-, Folsäuremangel), Milchunverträglichkeit (Laktoseintoleranz) oder chronische Müdigkeit und Depressionen, Knochenschmerzen vorhanden sein. Auch bei Zungenbrennen, v.a. wenn noch ein geröteter, atrophischer Zungenrücken sichtbar ist, sollte man an die Spitze des Eisbergs Zöliakie denken (NEJM 356;24: 2547).
Die Spätfolgen einer unbehandelten, da nicht erkannten Zöliakie können dann sehr gefährlich sein: Mangelerscheinungen, Osteoporose, Unfruchtbarkeit und in besonders gravierenden Fällen sogar Krebserkrankungen im Verdauungstrakt.
Wie das mit der Nahrung aufgenommene Gluten letztlich die Beschwerden der Zöliakie auslöst, ist noch immer nicht in allen Einzelheiten bekannt. Es gilt aber als erwiesen, dass ein kleines Bruchstück des Glutens von nur wenigen Aminosäuren, das bei der Verdauung des Glutens im Magen-Darm-Trakt entsteht, bei Betroffenen eine übersteigerte Immunreaktion hervorruft. Diese führt zu Entzündungen im oberen Bereich des Dünndarms, welche mit der Zeit die Darmschleimhaut angreifen. Winzige, in das Innere des Darmes reichende, fingerähnliche Zotten, sogenannte Villi, degenerieren bei andauerndem Glutenverzehr nach und nach, bis sie gänzlich verschwunden sind. Man spricht von Zottenatrophie. Da über die Villi die Aufnahme von Nährstoffen ins Blut stattfindet, werden bei fortschreitender Schädigung immer weniger Nährstoffe absorbiert. Im Falle von Eisen kann dies zu einer Unterversorgung der roten Blutkörperchen führen, was sich dann als Anämie (Blutarmut) bemerkbar macht.
Wie für so viele Krankheiten gibt es auch für die Zöliakie eine genetische Komponente. Diese Gene spielen eine wesentliche Rolle bei der Erkennung von eingedrungenen Fremdproteinen durch das Immunsystem. Ausserdem bringt man diesen Genkomplex mit einigen Autoimmunerkrankungen, wie z. B. dem insulinabhängigen Diabetes, in Verbindung. So sind Zöliakie-Patienten denn auch überdurchschnittlich häufig von Autoimmunerkrankungen betroffen: Diabetes mellitus Typ I, Autoimmunthyreoiditis, primäre biliäre Zirrhose und mit der Dermatitis herpetiformis.

Dermatitis herpetiformis

Patienten mit Dermatitis herpetiformis Duhring sollten unbedingt auf Zöliakie getestet werden, da die Krankheit häufig damit assoziiert ist. In solchen Fällen führt die glutenfreie Ernährung langfristig meist zum Verschwinden der Hautläsionen. Die Dermatitis herpetiformis oder Morbus Duhring ist eine stark juckende, papulovesikulöse (Papeln=Knötchen und Vesikel=Bläschen) Dermatose. Die wenige Millimeter messenden rötlichen primären Knötchen entwickeln sich innerhalb von sieben bis zehn Tagen zu Bläschen mit klarem, später trüben und manchmal blutigem Inhalt. Diese Läsionen treten symmetrisch auf, vor allem an den Streckseiten der Unterarme, den Ellbogen, Schultern und Achselhöhlen, Knien und unteren Gliedmassen. Seltener sind Gesicht, Nacken und Rücken betroffen. Nachdem die Bläschen geplatzt sind, verschwindet der starke Juckreiz, die Läsionen trocknen ein und heilen ab. Als Residuen können kleinere Narben und Hautverfärbungen verbleiben (Fotos aller Stadien findet man hier: http://health.nytimes.com/health/guides/disease/dermatitis-herpetiformis/overview.html).
Die Diagnose wird mit einer Hautbiopsie in einem gesunden Hautareal gemacht.
Patienten mit Morbus Duhring weisen in bis zu 25% der Fälle auch eine Zöliakie auf, obschon typische Symptome letztgenannter Erkrankung häufig fehlen können. In Dünndarmbiopsien haben sogar bis zu 85% der Dermatitis herpetiformis- Kranken in Dünndarmbiopsien zöliakietypische Veränderungen mit variabler Zottenatrophie. Deshalb sollte man alle Erkrankten mittels der Bestimmung der entsprechenden Autoantikörper (siehe unten) testen.
Die glutenfreie Diät zeigt erst nach langer Zeit ihre Wirkung: Bis zur vollständigen Heilung der Hautläsionen kann es bis zu zwei Jahren dauern. Bei den meisten Patienten stellt sich nach sechs bis zwölf Monaten eine signifikante Besserung ein. Wie bei der Zöliakie muss jedoch die Diät lebenslang beibehalten werden.

Diagnose

Bei chronischen Durchfällen oder sonstigem Verdacht auf Zöliakie kann der Hausarzt vorerst einen einfachen und hilfreichen Screeningtest mit einer pH-Messung des Stuhls mittels Lackmuspapier machen: pH-Werte >5 sind ein fast sicherer Hinweis für einen osmotischen Durchfall (Zöliakie, Laktoseintoleranz oder osmotisch wirkende Abführmittel).

Die Früherkennung mit Hilfe von Antikörpertests im Blut (v.a. die Endomysium-AK (EMA) und der Antitransglutaminase-AK (IgAtTG)) sind beim Erwachsenen aussagekräftig, kostengünstig, stellen keinen grossen Eingriff dar und sind mit 95% Trefferquote sehr sensitiv. Da häufig auch ein selektiver IgA-Mangel besteht, sollte zusätzlich das Total-IgA bestimmt werden. Da sowohl die Endomysium- wie auch die Transglutaminase-Antikörper IgA-Antikörper sind, können bei einem IgA-Mangel diese Tests gar nicht positiv ausfallen! Bei positiven Blutresultaten muss man die Zöliakie durch mehrere Dünndarmbiopsien bestätigen. Diese weitgehend schmerzfreie Entnahmen von kleinen Gewebeproben ist der einzige als sicher geltende Nachweis für die Erkrankung. Jedoch können auch Biopsie und Antikörpernachweis wiederholt negativ ausfallen (Furse RM, Mee AS. Atypical presentation of coeliac disease. BMJ 2005;330:773-4; Sanders DS, et al. Antibody negative coeliac disease presenting in elderly people. An easily missed diagnosis. BMJ 2005;330:775-6.)

Es kursiert auch die Meinung, dass durch die kombinierte Messung mehrerer Antikörper (IAtTG, IgA Endomysium, IgA- und IgG-Gliadin) Biopsien ganz zu vermeiden wären: Sind nämlich alle drei AK-Tests positiv, liegt in 99,8 Prozent der Fälle eine Zöliakie vor.
Praktisch alle Patienten mit einer einheimischen Sprue weisen einen sekundären Laktasemangel auf. Da jedoch der primäre Laktasemangel bei Erwachsenen zwischen 5 bis 20 % sehr häufig ist, kann auf Grund eines pathologischen Laktosetoleranz-Tests nicht auf eine Zöliakie geschlossen werden. Ein normaler Laktosetoleranztest spricht aber eher gegen eine Sprue.

Therapie

Die Erkrankung kann weder medikamentös behandelt noch wirklich geheilt werden. Einzig eine lebenslange Gluten (oder Gliadin-) -freie Ernährung kann ein beschwerdefreies, gesundes Leben gewährleisten. Je früher Betroffene von ihrer Erkrankung erfahren, um so eher können sie ihre Ernährung umstellen und somit die Schäden, die das Gluten im Dünndarm anrichtet, gering halten oder gar verhindern.
(Quelle: British Medical Journal 318, 164-167 (1999).)

Übrigens kann Gluten auch versteckt in völlig anderen Nahrungsmittel vorkommen: Z.B. bei sogenannten «Meeresfrüchten» muss genau auf die Deklaration geachtet oder nachgefragt werden: Denn Weizen kann auch in einem angeblichen Hummer drin sein, wenn der aus Surimi besteht. Aus Surimi kann man noch vieles andere machen: Mit Hilfe eines anderen Industrie-Aromas wird es zu Schweinswürsten oder Wienerli. Es kann auch in Backwaren, Milchprodukten und Pasta zum Einsatz kommen.
“Surimi” wird aus dem billigen Mintai-Fisch oder gar aus Krill, einem Leuchtkrebs hergestellt. Der Mintai-Fisch taucht normalerweise nicht auf Speisekarten auf, und der Leuchtkrebs dient bislang eher dem Bartwal als Sättigungsbeilage. Damit sich solche Meeresbewohner in «Hummer» verwandeln, ist viel Aufwand und ein starker Magen nötig. Zunächst entfernt man maschinell Kopf, Eingeweide und den Hauptteil der Mittelgräte. Dann müssen Blutfarbstoff, Fischfett und dergleichen herausgelöst werden. Nach dem Entwässern durch eine Schraubenpresse setzt man Zucker, Sorbit und Polyphosphat und eben ev. Weizen zu.
Die so entstehende Masse formen Arbeiter in der Fischfabrik zu Blöcken. Daraus kann man nach Belieben Hummer-Imitate, Garnelenkopien oder falsche Krabben machen. «Surimi» nennt das der Fachmann. Verbrauchertäuschung nennen es Kritiker.

Hirse ist das einzige glutenfreie Getreide und Hafer gilt als verträglicher als andere Getreidesorten. Auch viele  Menschen mit Zöliakie können reinen Hafer in kleinen Mengen problemlos essen, weil der  unverträgliche Stoff Gluten chemisch anders aufgebaut ist, als in  anderen Getreidesorten. (siehe auch bei Diabetes).

Eine interessante Alternative zu (glutenhaltigem) Getreide bieten “Pseudogetreide”, wie Quinoa, Buchweizen oder Amaranth, da sie Eigenschaften von Getreide aufweisen (auch hoher Proteingehalt von gegen 20%), aber Knöterich- oder Gänsefussgewächse sind. Sie sind sättigend und gut verdaulich – und absolut glutenfrei!
Hier ist eine (seltene) medizinische Gefahr zu beachten: Quinoarispen, die immer wieder mal im gekauften Quinoa gefunden werden, können wie Fischgräte im Hals stecken bleiben: quinoa-rispe.pdf

Am Universitätsklinikum Leipzig wurde ein interessantes computerbasiertes Trainings- und Informationsprogramm für Zöliakie-Betroffene entwickelt, welches auch durch die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft vertrieben wird. Man kann mit dieser CD-ROM die zunächst schwierigen/ungewohnten/schwer nachvollziehbaren Situationen (z.B. beim Essen im Restaurant oder bei Freunden, beim Einkauf…) durchspielen und kennen lernen. Vor allem die Zeit nach der Diagnose ist sehr schwierig. Dieses Programm hilft auch in dieser Situation Menschen  weiter und erleichtert ihnen die Ernährungsumstellung. Weitere Informationen finden Sie zum Beispiel auf der Homepage www.scias.de .

Ausführliche Diät-Dossier sendet die Interessengemeinschaft für Zöliakie Schweiz, sekretariat@zoeliakie.ch , www.zoeliakie.ch.

Weitere gute Treffpunkte für Menschen mit Zöliakie: www.zoeliakie-treff.de .

www.gfShop.ch bietet mehr als 130 glutenfreie Produkte von verschiedenen Herstellern an, und man kann sich die Sachen erst noch Hause schicken lassen.

Refraktäre Zöliakie!

aus Ars Medici (CongressSelection: Gastroenterologie, Februar 2014)

Glutensensitivität ohne Zöliakie!

aus Ars Medici (CongressSelection: Gastroenterologie, Februar 2014)

Aber liegt diese häufige Sensitivität wirklich am Gluten?!
Die entscheidende Frage ist offensichtlich nach neueren Studien nicht, ob Brot Gluten enthält oder nicht. Sondern wie der Teig behandelt wurde. Viele Menschen, die schlecht auf Gluten reagieren, haben mit Sauerteigbroten (oder Brote mit Backfermentgärung), deren Teige über mehrere Tage gereift sind, deutlich weniger Probleme. Viele Brote, die man heutzutage im Supermarkt – und mittlerweile auch in vielen Bäckereien – kauft, sind mit Hefe gemacht und haben eine viel kürzere Teigführung, und damit Fermentierung, hinter sich. Der Körper braucht deshalb deutlich länger, um sie zu verdauen – daher das Gefühl der Schwere und Aufgeblähtheit nach dem Sandwich, und manchmal sogar die Bauchschmerzen!

Der Begriff “Glutensensitivität” ist also irreführend und sollte wohl besser “Hefeschnellgärung-Sensitivität” heissen!
Und… eine glutenfreie Diät führt hier zu nichts!

Hier können Sie sich noch weiter einlesen: https://www.independent.co.uk/life-style/food-and-drink/bread-how-to-make-eat-top-tips-bloating-gluten-intolerance-chef-francisco-migoya-modernist-kitchen-a7935931.html

Glutenfreie Ernährung ist gefährlich!

Viele verzichten auf Gluten, obwohl sie nicht müssten. Statt Brot und Teigwaren essen sie Reis, Kartoffeln oder Hirse. Viele glauben, dass sie sich dadurch gesünder ernähren und sich etwas Gutes tun…
Doch nun zeigen Studien: Eine Ernährung ohne Gluten bringt nicht nur nichts, sondern sie ist sogar ein Risiko für die Gesundheit. Eine internationale Forschergruppe wertete 2018 drei Studien mit insgesamt 200’000 Teilnehmern aus. Sie befragten sie während 20 Jahren über ihre Ernährung. Das Resultat: Je weniger Gluten man isst, umso mehr steigt das Risiko für Diabetes. Die Ursache könnte sein, dass Betroffene auf wertvolle Vitamine, Eisen und Ballaststoffe aus Getreide verzichten. Ballaststoffe sind wichtig, weil durch sie der Zucker langsamer ins Blut übergeht. Zudem verändert sich die Zusammensetzung der Darmbakterien. Eine Diät ohne Gluten verringerte die Häufigkeit von nützlichen Bakterien und erhöhte die Zahl von potenziell krankmachenden Bakterien im Darm.
Bereits frühere Studien zeigten, dass Gluten nichts Schlechtes ist: Wer mit Brot jeden Tag 60 bis 80 Gramm Gluten ass, hatte bessere Blutwerte und ein geringeres Risiko für Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems.
US-amerikanische Forscher belegten zudem kürzlich, dass Blut und Urin von Leuten, die auf Gluten verzichten, stärker mit Schwermetallen wie Arsen und Quecksilber belastet sind. Grund: Die Betroffenen essen mehr Reis, und Produkte ohne Gluten enthalten oft Reismehl. Der Gesundheitstipp zeigte in einem Test, dass vor allem Vollreis zum Teil massiv mit dem Giftstoff Arsen belastet ist (Ausgabe 8/2017).
Produkte ohne Gluten enthalten zudem bis zu dreimal weniger Eiweiss, aber mehr Fett und damit mehr Kalorien. Das zeigten spanische Forscher letztes Jahr. Sie untersuchten 700 Produkte, darunter Brot, Teigwaren und Guetsli.
Wer Verdauungsbeschwerden hat, sollte zum Arzt. Ohne Gluten sollte man sich nur ernähren, wenn ein Arzt die Diagnose Zöliakie gestellt hat. Wer keine Zöliakie hat, aber unter ähnlichen Symptomen leidet, ist womöglich einfach empfindlich auf Gluten. Hier sollte man aber nicht selbst pröbeln, sondern sich von Arzt oder Ernährungsberaterin helfen lassen. Wenn man selbst experimentiert, sind die Risiken für die Gesundheit und die Kosten zu hoch.
Produkte ohne Gluten sind übrigens auch teurer als normale. Eine Packung Spaghetti ohne Gluten kostet meist neun Mal so viel wie normale. Trotzdem verkaufen die Grossverteiler immer mehr dieser Produkte. Das Ganze ist zur Mode entartet. (aus Gesundheitstipp, 09/2018)

Veröffentlicht am 06. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung: 02. Oktober 2018

Guter “Sex” – sinnlich und bewusst Paar sein – gute Beziehung

Sexualität ist Körperkunst.
Die Sexualität ist gelernt.

„Schöne Sexualität“ ist nicht abrufbar, sie muss erschaffen werden

Die Schönheit der Sexualität liegt weniger in ihr selbst als in den Beteiligten. Sie wird daher immer wieder neu erschaffen und in die Sexualität hineingetragen. Wie schön Sexualität dann wird, hängt somit wesentlich davon ab, wer wir selbst sind und wie wir mit dem Leben umgehen. So erklärt sich, warum ältere Menschen davon ausgehen, dass sie im jetzt „weitaus besser im Bett“ sind als früher. Sie können sich ihrem Gegenüber leichter zu erkennen geben und müssen sich und dem anderen nicht mehr so viel vormachen. So fühlt sich ein reifer Mann durch eine selbstbewusst auftretende Frau nicht bedroht. Er kann sich von dieser auch auffangen und stützen lassen. Eine reife Frau kann initiativ werden und muss sich für ihre erotischen Wünsche nicht mehr rechtfertigen.

Ich gebe auch Paarcoachings/Paartherapie.

Beziehung ist Anerkennung von Unterschieden (Fritz Perls)

Sie können dies in Form eines “Zwiegesprächs” tun: regelmässige Gespräche mit Ihrem Partner, deren Zeitpunkt im Voraus vereinbart wurden. Jeder hat 15 bis 20 Minuten Zeit um über alles zu sprechen, was ihm in den Sinn kommt. Er wird dabei nie unterbrochen. Er kann zuerst über sich sprechen, dann, wie er den Partner erlebt – und dann auch über die Beziehung. Man ist völlig frei in Struktur und Inhalt. Nach 15 Minuten schweigender Pause hat der zweite 15 bis 20 Minuten Zeit. Es sollte auch nachher eine gewisse Zeit das Gesagte nicht kommentiert werden. Man benützt diese Zwiegespräche zur Differenzierung vom anderen, um seine Einzigartigkeit, die Unterschiede herauszuarbeiten.
So verhindern Sie, dass sich Routine und Langweile einschleichen und eine scheinbare „Komfortzone“ breit macht, die durch ihr Festgefahren sein auf Dauer eher einschränkt als sexuell belebt. Und noch etwas: Wahre Intimität muss sich keineswegs immer nur wohlig anfühlen  – sie kann auch verunsichern!


Exotic becomes erotic!

Lähmt eine zu grosse Gleichheit die Lust?
Das ist ein Dauerthema, denn ein Paar braucht beides: Wert- und Weltvorstellungen sollten sich ähnlich sein, ebenso wie die soziale Herkunft. Letzteres ist politisch nicht korrekt, empirisch aber relativ gut nachgewiesen. Aber wenn sich zwei Partner zu ähnlich sind, wird es bald reizlos und Langeweile kommt auf. In der Paartherapie kommt es häufig auf die Frage an, wie ein Paar mit Unterschieden umgeht: Empfindet es sie als bedrohlich oder als belebend? Paare, die immer in der Wir-Logik denken, also “Wir fahren immer nach Italien in den Urlaub” oder “Wir sind Vegetarier”, haben ein Problem. Die anderen, differenzierteren Paare ertragen Unterschiede nicht nur besser, sondern sie finden sie sogar interessant. Sie haben in aller Regel das lebendigere Leben und ihre Beziehung erweist sich auch als entwicklungsfähiger. Es braucht also ein Optimum an Unterschied. Zu wenig ist bedrohlich, zu viel aber auch.

Intimität („Selbstenthüllung“): Mehr als nur den Körper zeigen

Intimität wird nicht nur auf körperlichem Weg oder durch gegenseitiges Vertrauen, Akzeptanz, Empathie, Bestätigung und gegenseitige Enthüllungen möglich. Bewältigte Konflikte, Selbstbestätigung und einseitige Preisgabe tragen dazu mindestens ebenso effektiv bei. Man kann einen Menschen nur dann wirklich lieben, wenn man ihn auch richtig kennt.

Sexualität als Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung

Nutzen Sie auch die Sexualität dazu, sich in Ihren Persönlichkeiten weiter zu entwickeln und zu denjenigen zu werden, die sie sein wollen. Begrüssen Sie es nicht, wenn Sie glauben, dass der andere für sie vorhersagbar und vertraut geworden ist. Damit schwindet nämlich der Reiz des Neuen und beginnt der andere als interessantes Individuum zu verblassen. Begrüssen Sie lieber jeden neu erkannten Unterschied zu Ihnen als Ausdruck von Besonderheit. Jede festgestellte Eigenartigkeit bewahrt sie über kurz oder lang zugleich vor Enttäuschungen, die immer dann entstehen, wenn Sie von sich selbst auf den anderen rückschliessen.
Und bedenken Sie: 1. Kaum jemand ist schon zu Beginn einer bestimmten Paarbeziehung für diese „beziehungsfähig“. Dies wird man meist erst durch die jeweilige Beziehung selbst. 2. Wir suchen uns keinen Menschen aus, der perfekt zu uns passt, denn auch wir selbst sind nicht perfekt.

Selbstwert nicht vom Partner abhängig machen

Verzichten Sie darauf, sich den anderen „zurechtzuschmieden“, indem er irgendetwas tun, einsehen oder zugeben soll. Sie benutzen ihn sonst nur als „Aussenstation“ für die eigene Person, die Gutes für Sie tun und Mängel beheben soll. Konzentrieren Sie sich lieber auf sich selbst und geben Sie sich selbst das, was Sie vom anderen sehnlichst erwarten (Selbstbestätigung bzw. Selbstregulation anstelle von Fremdbestätigung bzw. Fremdregulation). Öffnen Sie sich Ihrem Partner, ohne von ihm zu erwarten, dass er Gleiches tut oder Ihre Äusserungen akzeptiert. Machen Sie auch ihr sexuelles Selbstwertgefühl nicht vom anderen und dessen Reaktion abhängig. Indem Sie sich dem anderen zeigen, wie Sie sind, geben Sie sich bereits selbst die Bestätigung, so auch sein zu dürfen! Permanente Auseinandersetzungen darüber, wie etwas wirklich war, sind ein verlässlicher Gradmesser dafür, wie abhängig man von der Bestätigung durch andere ist. Auch Ängste (Defizite in der Selbstregulation) sind ein wichtiger Hinweis auf eine noch unzureichende Differenzierung. Und nicht zu vergessen: Wer sich von der Meinung anderer abhängig macht, wird dadurch manipulierbar!

Leidenschaftsparadox

In der Liebe ist derjenige stärker, der weniger will. Das Leidenschaftsparadox wurde vom amerikanischen Paartherapeut Delis so umschrieben: Ein Partner investiert emotional mehr in die Beziehung als der andere. Je mehr der Liebende vom anderen will, desto weniger gibt der zurück. Der eine fühlt sich zurückgestossen, der andere fühlt sich bedrängt. Der Liebende fragt nach Liebesgeständnissen, fordert Liebesbeweise, klagt Zuwendung ein, ist eifersüchtig. Dieser Versuch wird zum Problem, für dessen Lösung er gehalten wird. Aus Sicht des Werbenden ist sein Verhalten kein Kontrollversuch. Und doch mündet sein Verhalten in den unglücklichen Versuch, den anderen zu einem Liebesbekenntnis zu drängen, ohne ihn zu drängen. Und je drängender der Wunsch gezeigt wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass er nicht erfüllt wird.

Es gilt auch: Der Langsamste bestimmt das Tempo (auch in der Paartherapie) – der Schnellste wird genervt…

In Partnerschaften gilt also grundsätzlich „wer weniger will, ist mächtiger“. Und wer Bedürftigkeit zeigt, wirkt unattraktiv (ausser auf Sadisten). Der Satz „Ich brauche dich“ ist nur am Anfang der Beziehung attraktiv. Denn wer sich auf eigene Ressourcen und ein gutes Selbstwertgefühl stützen kann, ist attraktiv. Klammern dagegen führt zur Distanzierung. Und Reisende kann man nicht aufhalten. Wenn im Verlauf einer ambivalenten Bindung zunehmen, ist der Partner meistens nicht mehr aufzuhalten. Wer gehen will, wird gehen. Früher oder später. (Weiterlesen über Fremdgehen)

Berührungsarmut oder “Touch Isolation” der Männer

Ein Mann, der eine Frau anfasst – was denken Sie bei diesem Bild? Viele denken sich gar nichts. Viele andere dürften ein mulmiges Gefühl haben, denn ein Mann, der eine Frau anfasst, da schwingt heutzutage auch oft die Frage mit: “Darf der das?” Wir sind misstrauisch geworden und zwar leider oft gegen Männer im Generellen.
Die Wurzeln des Misstrauens gehen tief, sie beginnen in der Kindheit und zwar mit sexistischen Männlichkeitsvorstellungen, die Eltern auf ihre Söhne projizieren. In einer altmodischen Weise denken wir immer noch, zu viele liebevolle Berührung mache unsere Söhne zu weich, zu weiblich.
Eltern kuscheln ihre Söhne weniger als ihre Mädchen. Sie lesen ihnen weniger vor. Sie ermuntern sie häufiger, nicht zu weinen – kurz: Sie halten sie emotional häufiger an der kurzen Leine. Mit der Folge, dass Jungs Berührungen bald nur noch in zwei Arten kennen: Schulhofprügeleien und Teamsport. Und später dann: Dating und Sex.
Diese Einschränkung packt eine grosse emotionale Last auf die Schultern der Mädchen: Sie sind nun der manchmal einzige Ausweg, den Jungs aus einer “Touch Isolation” finden. Diese beschreibt den Zustand, der Männern kaum Möglichkeiten alltäglicher Berührungen einräumt: “Berührungsarmut” ist die Folge. Alles konzentriert sich nun auf die Paarbeziehung, was auch mal zu Potenzproblemen führen kann.

“Young men starving for touch seek it in the sexual realm, often exclusively from their partners. This makes frequency of sex a challenging issue for couples.” (Mark Greene: https://goodmenproject.com/featured-content/why-men-keep-demanding-megasahd/)

Einer der Gründe, warum Männer häufiger Sex wollen, als Frauen? – Eine interessante Sicht. Bislang musste immer das Testosteron als Erklärung herhalten – war einfacher.

Auch in der „Verschmelzung“ bei sich bleiben

„Sexuelle Verschmelzung“ kann sehr erregend sein, geht auf Dauer aber mit der Gefahr einher, dass sich die Beteiligten nicht mehr als Individuen erleben. Der andere dient dann immer mehr nur als Ersatzteil (bzw. wie eine Transfusion) zur eigenen Vervollkommnung. Er oder sie wird nicht mehr als Person mit eigenen Wünschen und Rechten erkannt und darf sich dann kaum noch verändern, weil von seinem Verhalten das eigene Selbstgefühl abhängt. Hinzu kommt die Gefahr, dass beide Partner sich auf ein Minimalprogramm von Erlebnis- und Verhaltensweisen einigen, um die Verschmelzungsmöglichkeit nicht zu gefährden. Keiner traut sich dann mehr, Wünsche zu äussern, bei denen er nicht von vornherein sicher sein kann, dass sie der andere nicht zurückweist. Auf Dauer kann sich so eine „tyrannische Harmonie“ einstellen, deren Langweile erdrückt. Entwickeln Sie daher die Fähigkeit, auch im engen emotionalen und körperlichen Kontakt dem anderen nahe zu sein und doch zugleich auch an sich selbst festzuhalten, also Ihr Selbstgefühl zu wahren. Üben Sie, Ihre Wünsche nach Bindung und Autonomie immer wieder neu auszubalancieren. Bleiben Sie nicht nur dem anderen, sondern auch sich selbst treu! Die Alternative „Halte an dir oder mir fest“ ist alles andere als zwingend. Es ist möglich, dem anderen sehr verbunden zu sein und doch gleichzeitig man selbst zu bleiben. Es ist eine Illusion anzunehmen, in einer glücklichen Beziehung müsse alles synchron (wie beim Eiskunstlauf) vonstatten gehen. Bei einer „emotionalen Verschmelzung“ laufen die Beteiligten Gefahr, sich gegenseitig Funktionen zu übertragen, um so ihr eigenes Selbst aufblähen zu können. In einem solchen Fall werden Sie dann vom anderen nicht „begehrt“, sondern schlicht „gebraucht“. Im Gegensatz zu einer immer sinnvollen wechselseitigen Unterstützung wird bei einer „Funktionsübertragung“ an den anderen (z. B. Selbstwertstützung) das Funktionsniveau des einen Partners herab- und das des anderen heraufgesetzt. Dominanz, Einschüchterung, beschwichtigende Unterordnung und emotionaler Rückzug sind häufige Begleiterscheinungen. Eine stabile und differenzierte Persönlichkeit braucht dagegen nicht zu befürchten, sich in einer Beziehung „aufzulösen“ oder „verschlungen“ zu werden. Ausserdem erträgt sie es, alleine zu leben. Auch in einer Partnerschaft hat „differenziert“ (= unterschieden sein, man selbst bleiben) nichts mit „ichbezogenem Streben“, reinem „Individualismus“ oder „Egoismus“ zu tun. Ein solches Verhalten beschreibt die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Individualität und das Bedürfnis nach Miteinander in ein Gleichgewicht zu bringen und die eigene Identität zu bewahren. Differenzierte Menschen sind selbstbestimmt und brauchen daher nicht auf Unabhängigkeit zu pochen. Also scheuen Sie sich nicht, sicht- und spürbar Positionen zu beziehen, die Sie als Person erscheinen lassen. Dann werden Sie von Ihrem Partner auch „erkannt“.

Auch in Dauerbeziehungen überraschen und Neues entdecken

Zuerst mal staunen Sie mit etwas Distanz auf die Täuschung des “Modell Monogamie”, welches selbst leidenschaftlichen (Ehe-)Sex noch nach Jahren verspricht. Die Ent-Täuschung:  Es verhindert (meist) mit den Jahren jegliche Leidenschaft. Ehesex hat aber meist eine andere, genau so bedeutende Rolle: Es dient der Bewahrung des Guten und Bewährten und ist ein “Kontinuitätsritual” – man/frau feiert damit seine (langjährige) Paarbeziehung.

Und falls man/frau es trotzdem suchen will: Nicht Gewohnheit und eingefahrene Verhaltensweisen erwecken sexuelle Leidenschaft, sondern Überraschung und ungewohnte neue Reize. Ein bewährtes „Liebesmittel“ besteht für Paare darin, sich immer wieder neu zu entdecken (den anderen insbesondere auch sexuell zu erkunden). Dazu können beide Partner ihren Beitrag leisten, indem sie immer mehr von sich selbst zeigen (d. h. von ihrem Denken, Fühlen und Verhalten) und andererseits beim Partner nach unbekannten Seiten forschen. Nur so kann letztlich eine umfassende Intimität entstehen, bei der man sich eben nicht nur körperlich “entblösst”, sondern sich auch seelisch als der- oder diejenige zeigt, als der oder die man sich selbst fühlt oder verwirklichen will. Teilen Sie also Ihrem Partner möglichst Ihre momentanen Gedanken und Gefühle mit, insbesondere auch ihre Wünsche und Fantasien an das sexuelle Miteinander. Gehen Sie Konflikten nicht aus dem Weg und benennen Sie mögliche Defizite und Enttäuschungen, aber bitte in einer Form, die den anderen wertschätzt.
Lesen Sie dazu auch meinen Blogbeitrag übers Lebendigsein.

Kein Sex

Auch die Sexualpädagogin und Forscherin Emily Nagoski widersetzt sich der Vorstellung, dass regelmäßiger Sex ein Hauptbestandteil jeder festen Beziehung sein sollte. Nagoski – die offen über ihre eigene Auszeit vom Sex in der Ehe gesprochen hat – befürwortet weder obligatorischen Sex, noch ermutigt sie dazu, sexuelle Standards in Bezug auf Regelmässigkeit oder Sexverhalten anzustreben. In Anlehnung an die Arbeit der kanadischen Sexologin Peggy Kleinplatz ist Nagoski der Ansicht, dass wenig Verlangen manchmal ein Beweis für gutes Urteilsvermögen sein kann. „Es ist nicht dysfunktional, wenn man keinen Sex will, den man nicht mag”, sagt Nagoski.

Während die einen polyamore und offene Beziehungen ausprobieren, wehren sich andere gegen den Druck, überhaupt Sex zu haben. In den USA haben die Menschen insgesamt weniger Sex als früher – unabhängig von Rasse, Geschlecht, Region, Bildungsniveau und beruflichem Status.

(www.nytimes.com/2024/04/17/magazine/sexless-marriage.html)

Zusammen feiern – und Streit nicht so wichtig nehmen

“Paartherapie” besteht seltsamerweise gewöhnlich darin, den Partnern beizubringen, wie man besser miteinander streitet. Dies kann eine unerträgliche Beziehung in eine kaum erträgliche Beziehung verwandeln. Das ist zumindest etwas. Man sollte jedoch mehr daran interessiert sein, wie man eine gute Beziehung in eine hervorragende Beziehung verwandeln kann. Shelly Gable, Psychologieprofessorin der University of California in Santa Barbara, hat demonstriert, dass die Art und Weise, wie man zusammen feiert, mehr über eine starke Beziehung aussagt, als die Art und Weise, auf die man streitet.

Als Beispiel ist eine „aktive und konstruktive“ Reaktion auf eine Äusserung des Partners ein gutes Beispiel. Ihr Partner berichtet von einer Gehaltserhöhung. Sie darauf: »Das ist fantastisch! Ich bin so stolz auf dich. Ich weiss, wie wichtig dir die Beförderung war. Bitte erzähle mir ganz genau, wie das gelaufen ist. Wo warst du, als dein Chef dir das mitgeteilt hat? Was hat er gesagt? Wie hast du reagiert? Wir sollten ausgehen und das feiern.« Nonverbal bleiben Sie in Augenkontakt und bringen positives Gefühl durch ein echtes Lächeln, Berührung und Lachen zum Ausdruck.
Dies ist aktiv und konstruktiv und fördert das Wohlbefinden innerhalb eines Paares.

Weniger positiv wirkt ein “passiv und konstruktives” Verhalten, wie: „Das sind gute Nachrichten.“

Die (negative) Reaktion kann bis „passiv und destruktiv“ gehen. Man geht gar nicht auf die Stärke des Partners ein, geschweige den, feiert sie.

John Gottman hat eine Statistik erstellt, indem er den Gesprächen von Ehepaaren ein ganzes Wochenende lang zugehört hat. Er unterschied die positiv-konstruktiven von negativ-destruktiven Aussagen. Eine Rate von 3:1 bedeutet bereits, dass man auf eine Scheidung zusteuert.
Es bedarf schon einer Rate von 5:1, um eine starke und liebevolle Partnerschaft vorhersagen zu können – fünf positive Aussagen für jede kritische Bemerkung, die man seinem Partner gegenüber macht.
Ein gewohnheitsmässiges Verhältnis von 1:3 bei einem Ehepaar ist eine totale Katastrophe.

Das Danken nicht verlernen

Zu den positiven Dingen gehört sicher das gegenseitige Danken. Hierzu eine wunderbare Übung: das Dankbarkeitstennis oder auch Dankbarkeitsdoppel. Es funktioniert folgendermassen:

  • Sie stellen einen Timer auf drei Minuten.
  • Sagen Sie nun Ihrem Gegenüber etwas, für das Sie ihm oder ihr dankbar sind.
  • Die Person antwortet mit etwas, für das sie dankbar ist.
  • Der Vorgang wird wiederholt, bis die drei Minuten um sind.

Kleine Warnung: Egal, ob Sie das Spiel in der Familie, im Büro oder mit Freundinnen spielen werden, es ist hilfreich für jede Art von Beziehung. Wahr ist aber auch, dass Sie mit dem Vorschlag erst mal Skepsis ernten werden; Augenrollen, Arme-vor-der-Brust-Verschränken, lautes Aufstöhnen – die typischen Gesten der Geringschätzung halt. Fehlende Wertschätzung ist der deutlichste Indikator für Probleme in einer Beziehung. Das ist der Moment, in dem Sie auf die Drei-Minuten-Regel hinweisen. Sagen Sie: Es sind doch nur drei Minuten, lasst es uns ausprobieren. Und schauen Sie dann, was passiert.

Der Appetit kommt beim Essen.

Warten Sie nicht bis alles genau “stimmt” für Ihren Sex – sondern beginnen Sie sich auch mal ohne Lust zu streicheln und zu zärteln. Die Lust wird mit der Belebung des Körperlichen dann automatisch langsam steigen. Falls Sie immer warten, bis alle Randbedingungen stimmen, kann es Wochen vergehen – und dann ist meist auch die ganze Beziehung schon ziemlich im Eimer…

Vorsicht vor Techniktipps

Lösen Sie sich von der Erwartung, für jedes persönliche und damit auch sexuelle Problem gebe es eine bestimmte psychologische Technik, bei der es nur darauf ankommt, sie richtig anzuwenden. Solche Techniken gibt es nicht. Hüten Sie sich insbesondere vor einer technikfixierten Sexualität, bei der die Befolgung bestimmter Anweisungen „Erfüllung“ verspricht. Ein solches Vorgehen zieht oft die Aufmerksamkeit vom Partner ab, lenkt die Konzentration auf eigene Empfindungen und erzeugt regelrecht einen Orgasmuszwang. In einer solchen Situation ist es kein Wunder, wenn man auf den Partner kaum noch Lust verspürt, der Kontakt zum anderen verloren geht und die sexuelle „Begegnung“ ihren Reiz verliert. Das gilt insbesondere, wenn man auch noch dem Rat mancher Sexualtherapeuten folgt, sich in der Fantasie einen anderen Partner vorzustellen. Machen Sie sich bewusst, dass „sexuellen Problemen“ keineswegs nur körperliche Funktionsstörungen oder ein Libidomangel zugrunde liegen kann. Mindestens genau so bedeutsam sind Beziehungsprobleme, die sich eher selten durch Fertigkeiten und Techniken lösen lassen als vielmehr durch persönliche Reifungsschritte.

Vorsicht vor Medikamenten, die das Sexualverhalten beeinflussen sollen

Flibanserin ist ein Beispiel, das gut die Macht der Pharmaindustrie in diesem lukrativen Geschäft aufzeigt und wie damit das Verhalten der Konsumentinnen beeinflusst wird (hier aus dem Swiss Medical Forum 2016;16(36):732)!

Stimulation durch Sinn und Bedeutung

Die Fähigkeit, Sexualität Sinn und Bedeutung zu verleihen, hat das menschliche sexuelle Potenzial enorm erweitert. So erklärt sich, warum manche Menschen auch trotz geringer körperlicher Erregung zum Orgasmus kommen oder sogar ohne Orgasmus intensiven Sex erleben können. Dabei geht es meist weniger um exotische Liebesstellungen als vielmehr um inneres Wachstum. Dagegen können Bedeutungen, die man selbst bestimmten Vorgängen zuschreibt, oder ungünstige Vorstellungen, die man sich von anderen macht, Lust töten. Dazu kann es beispielsweise kommen, wenn man als „sexuell Nehmender“ Leistungsdruck oder Schuldgefühle verspürt. Auch Wut und Ärger können Lust rauben. Dagegen kann die Vorstellung, durch ein bestimmtes Verhalten Regeln zu verletzen, je nach Person lustfördernd oder lustdämpfend wirken. Das Erregungsniveau beeinflussen auch Vorstellungen davon, inwieweit der andere zu einem passt und ob das Ambiente oder die sonstigen Umstände als günstig oder störend erlebt werden. Angst kann in geringer Dosierung Erregung fördern und Langweile vermeiden, in zu grosser Dosis aber Lust verhindern. Schliesslich gehört ein gedankliches Hintergrundgeräusch, bei dem man das aktuelle Geschehen selbst pausenlos kommentiert, zu den gängigen Lusttötern. Da die Triebimpulse und Sinnesreize sexuelles Begehren mit zunehmendem Alter weniger stark stimulieren, die Erregungs- und Orgasmusschwelle also ansteigt, können hilfreiche (!) Gefühle und Gedanken umso bedeutsamer für die Lusterzeugung werden. Dabei kommt es dann darauf an, Erotik, Begehren, Leidenschaft, Liebe und emotionale Verbundenheit zu fördern (sich z.B. von emotionaler Verbundenheit in der Sexualität leiten zu lassen).

Sich sexuell authentisch verhalten

Verzichten Sie auf widersprüchliche Botschaften, bei denen Sie Ihrem Partner verbal versichern, alles sei so in Ordnung, während Sie nonverbal auf Veränderung drängen. Bemühen Sie sich auch in diesem Lebensbereich darum, sich echt („authentisch“) zu verhalten. Ihr Partner wird dies registrieren und Ihnen danken. Machen Sie sich bewusst, dass Sie vor allem etwas von sich selbst verraten (von Ihren Wünschen, Vermutungen, Werten usw.), wenn Sie das Verhalten Ihres Partners „deuten“. Kompromisse oder Zug-um-Zug-Vereinbarungen („Ich bediene stärker deine Vorlieben, dann bediene du auch stärker die meinen.“) bringen nicht immer das erwartete Ergebnis: Zwar kommt es zum vereinbarten Verhalten, aber das begleitende Desinteresse wird vom „Bedienten“, sobald er „an der Reihe ist“, als mangelndes Begehren gespürt. Ein solches Ergebnis bremst dann die Lust oft mehr, als dass es sie fördert. Und letztlich bekommt doch keiner das, was er vor allem wollte.

Einstellungen und Verhalten ändern, nicht nur das Denken

Erwarten Sie nicht, dass sich Ihre Sexualität allein durch „bemühtes“ Denken verändert. Ohne eine entsprechende Änderung Ihrer Einstellungen, wird sich wenig verändern. Denken Sie auch an die von einigen Paaren praktizierte Möglichkeit, Konflikte „im Bett auszuschlafen“. Unsere Geschlechtsorgane mögen zum Sex geeignet sein, zur Ausübung von Liebe sind Kopf und Herz oft viel begabter. Wenn die Geschlechtsorgane einmal ihren Dienst versagen, braucht die Liebe also nicht zu versiegen und können auch andere Wege gefunden werden, um Sexualität zu leben. Und bedenken Sie: Damit sich in einer Paarbeziehung nichts bewegt, bedarf es beider Partner. Wenn man eine Veränderung in Gang setzen will, reicht dagegen meist schon einer aus.

Den Partner „bis zur Entspannung umarmen“

Finden Sie einen neuen Zugang zueinander, indem Sie sich tagsüber nicht nur die gesellschaftlich üblichen und maximal 4 bis 5 Sekunden dauernden Umarmungen zugestehen. Wenn Sie sich Umarmungen gönnen, die so lange anhalten, bis die beiden Beteiligten sich entspannt fühlen, werden Sie merken, dass es dafür auf einen besonderen „Stand“ ankommt: Es gelingt fast nur, wenn jeder auf den eigenen Füssen steht, sich auf sich selbst konzentriert und sich selbst beruhigt. Bereits wenn einer sich auf den anderen stützt, rückt die Entspannung für beide schon in die Ferne. In der Art sich zu umarmen, spiegelt sich immer auch etwas die Art und Weise wider, wie man durchs Leben geht.

Sich beim Vorspiel verständigen

Machen Sie sich bewusst, dass die Art und Weise des sexuellen Vorspiels den Umgang eines Paares mit Intimität und die Machtverhältnisse in der Beziehung widerspiegelt. Haben Sie sich beispielsweise schon einmal gefragt, wer von Ihnen beiden darüber entscheidet, wann das Vorspiel beendet ist und der Hauptakt beginnt? Das Vorspiel ist in aller Regel ein Verständigungsprozess darüber (oft mit unbewusstem „Handeln und Feilschen“), auf welcher Ebene von Intimität, Erotik Bedeutungserleben und emotionaler Verbundenheit sich die sexuelle Begegnung im weiteren Verlauf entfalten soll. Das Vorspiel gibt insbesondere die emotionale Grundstimmung und die Bedeutungsebene vor. Manchmal ist das Vorspiel für den einen und der folgende Teil für den anderen Partner gedacht. Sexuelle Probleme lassen sich daher nicht selten, durch Veränderungen des Vorspiels verringern.

Vorspiel und Orgasmus mit offenen Augen

Offenbar schliesst die Mehrheit westlicher Menschen bei sexuellen Begegnungen die Augen. Wenn Sie zu diesem Personenkreis gehören, bieten sich Ihnen neue Erlebensmöglichkeiten, wenn Sie künftig die Augen auch beim Vorspiel öffnen und ihren Partner damit näher an sich heran bzw. in sich hineinblicken lassen. Sex mit offenen Augen (= einer offenen Seele) signalisiert Ihrem Partner, dass Sie ihn bei sich haben wollen. Möglicherweise werden Sie sich dann Ihrer eigenen Person besonders intensiv bewusst und entwickeln das Gefühl, dass Sie Ihrem Partner extrem nahe und völlig preisgegeben sind. Ausserdem werden Sie dann vermutlich auch den erwähnten „Verständigungsprozess“ besser registrieren und so Neues über Ihre Beziehung erfahren. Vielleicht merken Sie dann auch, dass Sie bislang beim Liebemachen weit weg voneinander waren und sich ganz auf ihre eigenen Sinnesempfindungen konzentriert haben, so dass sich zwar die Körper berührten, die Personen aber nicht wirklich begegneten. Jedenfalls gehören sexuelle Begegnungen mit Blickkontakt zu den Formen intensivster Intimität. Sex mit offenen Augen setzt voraus und fördert, dass man sich bedingungslos aufeinander einlässt und an den Erregungsmustern des anderen teilhat (so dass man auch von den eigenen Sinneserfahrungen nicht mehr abgelenkt wird). Anfänglich mag das Öffnen der Augen noch ein Akt der Tapferkeit sein, ein Akt der Selbstbejahung ist es immer. Wer dem Partner nicht ins Auge blicken will, sieht vielleicht auch bei anderen Dingen weg bzw. hat generell Angst, dem Leben ins Auge zu blicken.

Den anderen wirklich berühren

Manche Paare streicheln sich, ohne dabei den anderen wirklich zu spüren. Sie spüren zwar Haut, aber nicht den Partner. Von einer echten Kontaktaufnahme kann dann keine Rede sein. Wie steht es mit Ihnen? Berühren Sie den anderen auch in seinem Wesen und seinen Gefühlen? Manchmal hilft es, Bewegungen zu verlangsamen, um den Kontakt besser zu spüren. Wer beim gemeinsam Tanz Kontakt erlebt, kann diese Erfahrung auf die Sexualität übertragen.

Kitzligkeit als Spiel und Hindernis für freie Sexualität

Monogamie –
Loyalität und “wohlwollendes Wegsehen” sind da wichtiger als sexuelle Treue

“Modell Monogamie”: Das Modell, das verspricht, in einem monogamen Rahmen leidenschaftliche Gefühle zu ermöglichen, ist trügerisch.

Ulrich Clement plädiert neben dem “wohlwollenden Wegsehen” für eine starke Loyalität zum Partner, die sie durch allfällige Affären nicht infrage gestellt wird: Auch wenn du mal schlecht mit mir umgehst, auch wenn du mir dich zumutest – eine Verletzung ist kein Kündigungsgrund. Das Risiko ist allerdings, dass man vorher nicht weiss, ob dies auch klappen wird.
Kontrolle und Sicherheit ist nicht möglich.

Loyalität, wie Clement sie versteht und die Bindung und Freiheit gleichzeitig ermöglichen soll, wird zuerst gegeben. Erst geben und dann sehen, was passiert. Zu diesem Zweck plädiert Clement weiter dafür, Privatheit zu respektieren. Wer auf den Anspruch verzichte, alle Lebensbereiche des Partners zu kennen, wer zugestehe, dass die Partnerschaft nur ein Teil des Lebens ist, der könne Monogamie-Falle entkommen, die die Bindung zu einem Gefängnis mache. Diese Privatheit umfasse Teile des Lebens, die man für sich oder mit anderen lebe und die deshalb den anderen nur begrenzt etwas angehen würden. Aus diesem Grund müssten sie auch nicht durch betonte Geheimhaltung geschützt sein. Diese Haltung erfordere, dass man Unsicherheiten tolerieren könne, Bescheidenheit, Grosszügigkeit und Mut. Ob man das könne, zeige sich ähnlich wie beim Schwimmen erst, wenn man ins Wasser gehe und nicht gleich aufgibt, auch wenn man mal mehr Wasser schluckt, als einem lieb ist.
Voraussetzungen seien folgende:

  • Loyalität wird als wichtiger definiert als sexuelle Treue.
  • Respekt wird vor Rivalität gesetzt.
  • Der sexuelle Unterschied wird akzeptiert und damit auch, dass die Partner einander nicht vollständig oder vielleicht nicht einmal in erster Linie sexuell entsprechen.

Respekt ist der wichtigste Faktor in einer Beziehung

Because without it, you will be building on sand.
Ohne Respekt kein Vertrauen und ohne Vertrauen kein Gefühl von Sicherheit. Der Rest der Welt ist schon respektlos genug — ständig! Wir brauchen einen Ort, wo Respekt eine Grundeinstellung ist und wo wir ihn einfordern können.

Beziehungen dauern länger bei drei Eigenschaften der Persönlichkeit!

Für die Chancen einer langdauernden Beziehung sind übrigens vor allem zwei Eigenschaften wichtig:

  • Gewissenhaftigkeit und
  • Offenheit für Neues!
    Etwas schwächer dann noch
  • die (soziale) Verträglichkeit (ein netter Mensch sein).

Lesen Sie mehr über diese Persönlichkeitsmerkmale in meinem Blog.

Sexuelle “Störungen” sind “Persönlichkeitsstörungen”

Lesen Sie dazu die phantastischen und äusserst brauchbaren Bücher von David Schnarch: “Die Psychologie sexueller Leidenschaft”, 2006 und “Intimität und Verlangen”, 2011 – und von
Ulrich Clement: “Guter Sex trotz Liebe”, 2006 und “Wenn Liebe fremd geht”, 2009.

In sexuellen Problemen Alltagsprobleme wiedererkennen

Betrachten Sie „sexuelle Probleme“ nicht als isolierte Ereignisse, die sich „nur im Bett“ ereignen. Oft sind sie Ausdruck der Art und Weise, wie Sie auch sonst mit dem Leben umgehen. Weiten Sie daher immer auch Ihren Blick und fragen Sie sich, ob Ihnen an Ihrem Denken, Fühlen und Verhalten manches auch aus anderen Situationen bekannt vorkommt. Sexualität ist für viele Menschen wie ein Mikroskop, indem sie sich plötzlich viel deutlicher bzw. spürbarer wahrnehmen können als im Routinebetrieb des Alltags. So wird sich ein Selbstwertproblem über kurz oder lang auch in der Sexualität bemerkbar machen (etwa wenn man ein eher unauffälliger Mensch sein und bleiben will). Wer sich schon im Alltag nicht „verbunden“ fühlt, wird auch in der Sexualität nicht unbedingt „Verbundenheit“ erleben. Da es oft um grundsätzliche Verhaltensmuster geht, kann sich „sexuelle Weiterentwicklung“ sogar auf Ihr gesamtes Leben günstig auswirken. Nutzen Sie also Ihre Sexualität auch als hilfreiches und wirksames Instrument der Selbsterkenntnis und Selbstentfaltung.

Sich von Vergangenem lösen

Haften Sie nicht an der Vorstellung, dass Ihre Vergangenheit so mächtig ist, dass diese eine befriedigende Sexualität unmöglich macht. Letzteres ist natürlich dann der Fall, wenn die dauernde Beschäftigung mit der Vergangenheit so viel Energie verzehrt, dass für sexuelles Begehren nichts mehr zur Verfügung steht. Wenn sie darauf achten, was sich in Ihrer heutigen Sexualität abspielt, kommt die Vergangenheit automatisch auch zum Zug. Sie kann dann allerdings im hier und jetzt und in ihren Auswirkungen auf das heutige Geschehen aufgearbeitet werden.

Konflikte lösen

Partner haben keinen Anlass zur Veränderung, solange die Nichtveränderung folgenlos ist. Frage dazu: “Angenommen, Mein Partner ändert sein Verhalten nicht so, wie ich es mir erhoffe: Was folgt für mich daraus?”. Die Frage nach Verhaltenskonsequenzen ist also viel wichtiger, als nach Gefühlen oder nach Ursachen!

Und wenn beide nichts ändern wollen, soll man dies als Entscheidung akzeptieren und nicht als Unfähigkeit: “So kann man es auch machen.” (Uli Clement).

Es ist gut vom Personenfokus auch zum Prozessfokus zu wechseln – und dass sich beide Partner als “passive Opfer” erleben: “…und dann können Wir gar nicht mehr anders als…”. Dann stellt sich die Folgefrage: “Möchten wir das so weitermachen?” und macht es damit zu einer Entscheidung, wie man sich zur Eigendynamik stellen möchte.

Grundsätzlich gilt, dass ein nachhaltiger Ausstieg aus dem Konfliktzirkel (Streitspirale, Differenzierung) erst möglich ist, wenn beide Partner das Gefühl haben, dass ihre verletzliche Seite vom anderen wahrgenommen wird.
Stagnation geht dabei nur symmetrisch (die Selbstachtung/der Stolz lässt es nicht zu, dass… – oder dann macht man dicht, um sich zu schützen…).
Die Veränderung geht dann asymmetrisch (eine/r muss den Anfang machen).

Eine Ausstiegsmöglichkeit zwischen Gefühl und Handlung ist das Finden meines Glaubenssatzes (oder Kernüberzeugung) dahinter – dieser erklärt meine Verletzlichkeit.

Paare, die Konflikte lösen wollen, sollten versuchen, das während eines gemeinsamen Spaziergangs zu tun. Synchrones Gehen entspannt die Konfliktsituation – es verbessert die Stimmung, setzt Kreativität frei und fördert so die Bereitschaft zur Versöhnung. Gemeinsames Spazierengehen scheint beide Partner in die Lage zu versetzen, wieder konsensfähige Standpunkte einzunehmen und weniger zu konkurrieren (gemäss eines Forschungsüberblicks – DOI: 10.1037/a0040431).

Fremdgehen / Affäre / “Betrug”

Literatur: Ulrich Clement, “Wenn Liebe fremdgeht: Vom richtigen Umgang mit Affären”: super praktisch und pragmatisch!

Die Affäre als Scheitern des einen oder anderen Partners oder als Hinweis auf eine schlechte Beziehung zu sehen, ist zu einseitig. Der Haken liegt eher im „Modell Monogamie“ als bei den Personen. Affären kann man nur gerecht werden, wenn man sie vor dem Hintergrund dessen betrachtet, was von einer monogamen Beziehung erwartet wird – nämlich alles.
Fast alle Fremdgeher erleben in der Affäre besseren Sex als zuhause. Die Affäre hat erotisch die besseren Karten. Erst auf dem Hintergrund der Ehe bekommt die Affäre jedoch ihre kontrastierende Gestalt. Die Affäre ist so gesehen keine Alternative zur Ehe, sondern auf sie angewiesen. Und umgekehrt: Die Affäre kann die Qualität der Ehe erst zum Ausdruck bringen.

Es stellen sich zuerst mal wichtige Fragen wie:

  • „Welche Bedeutung hat diese Aussenbeziehung?“ (Bagatellisieren Sie nicht und spielen Sie die Bedeutung nicht herunter!)
  • „Was ist überhaupt passiert?“ (Überlegungen für den Betrogenen/die Betrogene nach Auffliegen der Affäre: – Auch wenn es dich lockt, frag nicht nach allen Details, insbesondere nicht nach den sexuellen! & Bremse deinen Partner, falls er dir mehr gestehen will, als dir lieb ist.)
  • „Wie konnte es dazu kommen?“ (Mache keine Gegenrechnungen auf, auch wenn du denkst, dass der andere irgendwie auch mitschuldig ist! – speziell für den Untreuen: Zeige dich nicht als zerknirschten Sünder, sondern übernimm Verantwortung für das, was du getan hast!)
  • „Was gilt noch?“ (Bleib bei deinen Werten und mach dir nicht jene deines Partners zum Massstab.)
  • „Was ist verloren?“
  • „Was kann gerettet werden?“.

Entscheidet sich einer der Partner gegen die Beziehung, setzt dessen Nein sich durch. Nein ist stärker als Ja. Bei einer Ambivalenz zwischen beiden Partnern ist es besser, zwei unabhängige Fragen daraus zu machen:
1) Will ich mit meinem Partner zusammenbleiben?
2) Will ich mit dem/der Geliebten eine neue Beziehung beginnen?
Er/sie trennt sich von seinem bisherigen Partner, weil er diese Beziehung beenden möchte. Nicht weil er/sie eine neue Beziehung beginnen will, der die alte Beziehung im Weg steht.

Mythen zum Fremdgehen, die allesamt so nicht stimmen, denen aber ein Körnchen Wahrheit auch nicht abzusprechen ist:

  • Mythos 1: Affären sind immer ein Beweis, dass mit der Beziehung etwas nicht stimmt.
  • Mythos 2: Eine gelegentliche Affäre tut einer langweiligen Ehe gut.
  • Mythos 3: Männer sind von Natur aus untreu.
  • Mythos 4: Der Untreue liebt weniger als der Betrogene.
  • Mythos 5: Der Betrogene ist immer zumindest mitschuldig an der Affäre.
  • Mythos 6: Nach einer Affäre ist die Beziehung nicht mehr zu retten.

Hohe Schule dagegen ist, darüber sprechen zu können, was die Affäre wirklich ausmacht. Welche Sehnsucht den Involvierten geleitet hat. Welche Hoffnung ihn hingezogen hat. Die Emotionen und Bedeutungen, die jemanden in eine Affäre treiben, haben meist mit Sehnsucht zu tun. Diese betrifft eine bestimmte Art der emotionalen Verbundenheit, Selbstvergewisserung, Selbstfindung, der erotische Reiz des Neuen, Freiheit, auch den Wunsch, verlorene Teile des Selbst wieder zu finden.

Das Argument, bei Affären gehe es nur um Sex, ist falsch. Sex ist nie „nur Sex“. Es werden immer auch andere, nicht sexuelle Bedeutungen aktiviert: Bestätigung der eigenen Attraktivität, die Erhöhung des Selbstwertgefühls, sich in den Augen des Affärenpartners neu sehen, Trost. Umgekehrt macht der Sex die Affäre erst zur Affäre. Sex macht den Unterschied und markiert den Übergang.

Die Tatsache, dass Affären Dramen mit offenem Ausgang sind zeigt, dass der Kern des Dramas die Rivalität ist. Wer sich auf eine Affäre mit einem gebundenen Partner einlässt, begeht eigentlich Hausfriedensbruch auf sexuellem Gebiet. Sexualfriedensbruch. Harmlose Affären gibt es – so gesehen – nicht. Es gibt bestenfalls verharmloste Affären, deren Bedeutung heruntergespielt wird.

Ein Betrogener, der sich gar nicht eifersüchtig zeigt, begeht einen Fehler, da er vermutlich mehr Eindruck machen würde, wenn er sich mit seiner Eifersucht positionieren würde. Ist Eifersucht nach Aufdecken einer Affäre da, wäre es falsch, sie zu verdrängen, denn jemand, der so vorgeht, setzt den Inhalt vor die Form. Die Eifersucht hat Recht! Sie ist ein wichtiger Indikator dafür, ob einem an der Beziehung etwas liegt.

Die Kernstrategie des Moralisierens zielt darauf, Schuldgefühle zu machen.

Deshalb ist es klüger, die Eifersucht zum Freund zu machen und als sinnvolles Gefühl zu akzeptieren.
Es hilft, wenn man die Eifersucht als Teil unseres biologischen Programms annimmt. Wie einen Reflex, den man nicht in der Hand hat. Es hilft einem, wenn man denkt, man müsse das nicht bändigen.

Swinger-Paare. Für sie steht und fällt der Reiz ausserpartnerschaftlicher Sexualität mit der Kunst, die Eifersucht gut in den Griff zu bekommen. Das gelingt dadurch, dass eine strikte Unterscheidung zwischen emotionaler und sexueller Treue vorgenommen wird. Das geht nur mit einem grossen Aufwand in der Diskussion um Abstimmung von Grenzen und Spielregeln. Diese Grenzen sehr genau auf die Bedürfnisse und Empfindlichkeiten der beiden Partner abzustimmen erfordert sehr viel Aufmerksamkeit und Empathie. Dabei lernen sich die Partner sehr genau kennen, erfahren die Grenzen ihrer Eifersucht, ihre Ansprüche, ihre Verlustängste. Nach Clement ermöglichen diese Verhandlungen sogar innigere Nähe-Erlebnisse als die sexuelle Ausschliesslichkeit. Für manche Swinger kann die Eifersucht sogar produktiv und reizvoll erlebt werden. Ihnen gelingt es, ein begrenztes Mass an Eifersucht so zu erotisieren, dass es den Reiz erhöht, den Partner bei sexueller Aktivität mit anderen zuzusehen. Dies erfordert allerdings ein hohes Mass an Selbstwahrnehmung und eine sehr feine Abstimmung mit dem Partner. Das gelingt nur, wenn die emotionale Loyalität auf stabiler Grundlage steht.

Was tut weh, wenn es weh tut?
Es lassen sich vier Ebenen unterscheiden:

  • Die sexuelle Öffnung des einen bedroht die Ausschliesslichkeit der Paarbeziehung. „Gehört mir“ der Partner noch? Damit eng verbunden ist der Angriff auf die eigene Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit, die beim Vergleich mit dem Rivalen herausgefordert wird. Ob ich will oder nicht, ich vergleiche mich mit dem Rivalen, der ja gegenwärtig eine hohe, ja höhere Faszination auf meinen Partner ausübt als ich.
    Man ist infrage gestellt. Was ist am Rivalen, dass sie so von ihm eingenommen ist? Was kann er mit ihr erleben, dass er mit mir vermisst? Die Fragerei über sexuelle Details macht die Kränkung konkret und quält beide. Die Details bringen keine Aufklärung, sondern bebildern und intensivieren den Schmerz.
  • Die Loyalitätsverletzung, der Verrat: Paarbeziehungen basieren auf (meist impliziten) Beziehungsverträgen. Verträge sind für schlechte Zeiten vorgesehen – die guten Zeiten brauchen keinen Vertrag. In einem Bündnis sichert der Vertrag den Schwächeren ab. Und der im Moment schwächere ist der betrogene Partner. Deshalb braucht er die Loyalität jetzt mehr und dringender und deshalb wird er sie auch einfordern. Indem er sich in eine Position bringt von „Das steht mir zu“, begibt er sich auf eine gefährliche und tragische Ebene, weil er auf die relevanten Gefühle keinen Einfluss nehmen kann. Liebe ist immer ein hoher, kein niederer Beweggrund.
    Gegen Liebe ist kein Kraut gewachsen. Auch kein Argument oder Beziehungsvertrag.
    Während die sexuelle Kränkung wieder heilen kann, wenn man die Wunden nicht neu aufreisst, hinterlässt Verrat einen Riss in der Beziehung, auch wenn die Affäre beendet ist.
  • Die soziale Demütigung: Der Betrogene sieht sich blossgestellt und blamiert vor jenen, die es wissen. Wobei es beim Ehrverlust einen Unterschied gibt: „Der Gehörnte“ ist die klassische Figur des betrogenen Mannes, die der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Und er bleibt es, wenn er sich nicht rächt – am Rivalen, an der untreuen Frau oder an beiden. Der Gehörnte ist ein Mann. Die Frau ist betrogen, aber nicht gehörnt. Und ihr werden auch, wenn es herauskommt, dass sie hintergangen wurde, andere Reaktionen entgegengebracht, eher Mitgefühl als Häme. Gesellschaftlich gesehen ist das Betrogenwerden für den Mann eine grössere Blamage als für die Frau. Dabei ist Untreue im sozialen Umfeld ein besonderer Härtefall von Kränkung. Hier sind die Folgen dramatisch. Kritisch sind auch Affären am Arbeitsplatz. Wenn Arbeitsplatzhierarchien und sexuelle Verbindungen vermischt werden, hat das fast immer Folgen. Meist negative. „Never fuck the company“ lautet der klare Rat in solchen Fällen. Denn wenn es sich um eine Affäre handelt, bringt die Dreieckskonstellation die anderen Beteiligten in Loyalitätskonflikte, die auf die Akteure zurückschlagen. Affären am Arbeitsplatz liefern wunderbares Material für Tratsch, Häme und Mobbing. Und wer erst einmal Gesprächsthema ist, hat nicht mehr in der Hand, wie sein Image gehandelt wird. Affären am Arbeitsplatz kennen meist mehrere Verlierer und selten einen Gewinner.
  • Die vierte Ebene sind Scheingefechte. Diese werden geführt, um dem auszuweichen, was die beiden Partner sich nun eigentlich zu sagen hätten. Etwa, was den untreuen Partner angezogen hat, was das erotische Fernweh ausmacht. Dass er sich dem anderen zumutet, auch wenn es weh tut. Und umgekehrt, dass dem Betrogenen zugehört wird in dem, was er zu sagen hat. Worum es ihm geht, unabhängig von der eigenen Kränkung. Stattdessen werden Scheingefechte geführt. Das Erste ist die Abwertung des Affärenpartners, ein simpler Versuch, das eigene angeschlagene Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Das Zweite ist der Versuch, dem untreuen Partner ein irgendwie krankes Verhalten zu unterstellen. Scheinbar tröstlich für den betrogenen Partner, der solche Diagnosen stellt, ist, dass er damit die Interpretationshoheit für sich reklamiert oder zumindest auf diese Weise eine Art Kontroll-Illusion wahren kann. Diese Bewältigungsstrategie wird auch von manchen untreuen Partnern selbst bemüht. Sie ist attraktiv, weil damit die eigene Schuld abgeschwächt wird. Ein letztes Scheingefecht liegt in der Taktik, dass der untreue Partner sich in grösserem Umfang charakterlich und moralisch selbst bezichtigt. Der Trick der Selbstbeschuldigung liegt darin, dass dem anklagenden Partner der Wind aus den Segeln genommen wird. All diese Scheingefechte können die grosse Chance zunichtemachen, die sich in der aufgewühlten Gefühlslage bietet: Sich zu trauen, dem anderen seine Angst, seine Sehnsucht, seine Verführbarkeit, seine nackte Seele zuzumuten.

Bei Affären spielt Bindungsambivalenz eine zentrale Rolle. Die gegensätzlichen Wünsche, sich an jemanden zu binden und zugleich autonom zu bleiben, finden in einer Affäre die perfekte Bühne.

In Partnerschaften gilt grundsätzlich „wer weniger will, ist mächtiger“. Und wer Bedürftigkeit zeigt, wirkt unattraktiv (ausser auf Sadisten). Der Satz „Ich brauche dich“ ist nur am Anfang der Beziehung attraktiv. Denn wer sich auf eigene Ressourcen und ein gutes Selbstwertgefühl stützen kann, ist attraktiv. Klammern dagegen führt zur Distanzierung. Und Reisende kann man nicht aufhalten. Wenn im Verlauf einer ambivalenten Bindung zunehmen, ist der Partner meistens nicht mehr aufzuhalten. Wer gehen will, wird gehen. Früher oder später.

Affären kommen irgendeinmal an den Punkt, an dem sich die Frage stellt, ob alles so bleiben soll, ob es besser ist Schluss zu machen, oder wie anders es weitergehen soll.

Affären sind ein Raum ohne Rechte und Pflichten. Alles Gegebene ist geschenkt. Das macht die Herzen weit und die Liebe gross. Aber das ist auch keine Kunst. Aber wenn es dann ernst wird, liegt die Bruchstelle vieler Aussenbeziehungen unmittelbar vor.

Vertrauen ist eine Haltung, mit begrenztem Wissen umzugehen und akzeptiert somit Privatheit. Weil Vertrauen Nichtwissen voraussetzt, kann es nur teilweise erworben, sondern muss in erster Linie gegeben werden.

Nach Clement spielt es durchaus eine Rolle, wie das Geheimnis geschützt wird, durch Verschweigen, durch Leugnen oder durch aktives Lügen. Letztlich geht es für ihn um die Frage, ob ein Privatleben neben der Ehe geben darf, ob Partner das Recht haben, alles von ihrem Partner zu erfahren bzw. ob Partner die Pflicht haben, alles mitzuteilen.

„Wenn du die Wahrheit nicht aushalten kannst, frage mich lieber nicht. Weil ich es dir sagen würde.“

Der Betrogene möchte manchmal einen Ansatzpunkt à la „Was habe ich falsch gemacht“, damit er besser damit umgehen kann. Das macht es dann erklärbar und damit aushaltbarer, als wenn es völlig rätselhaft wäre.

Wer sich auf eine längere Affäre einlässt, schafft sich damit eine Nische, in der er etwas leben kann, was sonst in seinem normalen Alltag nicht möglich ist, was die Sache attraktiv macht. Er sucht etwas, was sonst nicht lebt. Er sucht sich damit eigentlich selbst. Es hat etwas Rauschhaftes sich zu vervielfältigen in verschiedenen Rollen.

Das Recht auf Privatheit hält Uli Clement für die moralisch zentralen Fragen. Diese Fragen müssen individuell beantwortet werden.

Er unterscheidet drei Verläufe von Fremdgehen:

  • Man übergeht’s und macht so weiter, wie wenn nichts geschehen wäre.
  • Man quält sich durch, kommt aber nicht aus dem Trauma raus. Zum hundertsten Mal muss es immer wieder nochmals besprochen werden.
  • Man nimmt’s als Krise, aus der eine Chance werden kann. Das Paar sagt, wir kommen aus einer Phase und etwas Neues steht an. Dazu braucht es eine Zwischenbilanz, zu sehen wer der andere überhaupt ist, ihn mit neuen Augen anzusehen. Diese Paare können einen neu Weg finden und sich gewissermassen nochmals neu heiraten und sich als Paar nochmals neu erfinden. Das ist die beste Variante, das kriegen aber nicht alle hin.

Treue versus respektvolles Wegsehen: Clement meint, letztlich gibt es keine gute Lösung und deshalb bleibe es immer lebendig. Clement meint, beim respektvollen Wegsehen tue es eben nicht so weh, weil man es nicht wirklich weiss, sondern nur vermutend in Kauf nimmt und diese Möglichkeit bewusst wohlwollend wegsehend verdrängt. Das sei eine lebbare Möglichkeit, die aber nicht für jeden gelten könne. Es sei auch nicht spiessig, das sei ihm zu herablassend, wenn es lebbar sei, dann sei es lebbar.

Die Kunst des richtigen Geständnisses:
Die Entscheidung, eine Affäre offenzulegen, setzt zunächst eine Aufrichtigkeit gegenüber den eigenen Motiven voraus. Diese können sein:

  • Das eigene Gewissen entlasten
  • Ausgleich um etwas heimzuzahlen
  • Versuch, die eigenen Zweifel zu beenden, etwa wenn der untreue Partner hin- und hergerissen ist mit Entscheidungsschwierigkeiten.
  • Fairness aus der Überlegung heraus, dem anderen die Information schuldig zu sein, damit dieser die Möglichkeit erhält, eigene Entscheidungen zu treffen.

Es ist jedenfalls keineswegs so, dass das Geheimnis nur den Untreuen schont. Clement ist der Auffassung, dass der Involvierte nicht gesenkten Hauptes, sondern aufrichtig dafür gerade steht, was er getan hat. Mit dem Bekenntnis mutet er sich dem andern zu und akzeptiert, dass dieser in seiner Reaktion auf das Bekenntnis frei ist. Es geht nicht darum, haarklein alle Details zu berichten, sondern für seine Handlungen und seine Motive geradezustehen:

  • Bagatellisiere nicht und spiele die Bedeutung nicht herunter!
  • Mache keine Gegenrechnungen auf, auch wenn du denkst, dass der andere irgendwie auch mitschuldig ist!
  • Zeige dich nicht als zerknirschten Sünder, sondern übernimm Verantwortung für das, was du getan hast!
  • Sei bereit, die emotionale Reaktion deines Partners zu ertragen und zu akzeptieren.
  • Zahle den Preis! Nach einem Untreue-Geständnis ist der Partner in der moralischen Vorwurfs-Offensive und zudem häufig übernächtigt – ein explosives Gemisch!

Überlegungen für den Betrogenen nach Auffliegen der Affäre:

  • Auch wenn es dich lockt, frag nicht nach allen Details, insbesondere nicht nach den sexuellen!
  • Bremse deinen Partner, falls er dir mehr gestehen will, als dir lieb ist.
  • Bleib bei deinen Werten und mach dir nicht jene deines Partners zum Massstab.
  • Gestehe dir Racheimpulse zu, aber wäge gut ab, ob es klug ist, ihnen nachzugeben.

Bei der Nachbearbeitung wird die Phase der Bedeutung kommen. Für wen bedeutet die Affäre was und mit welcher Konsequenz? Rachegelüste bis hin zu Mord- oder Selbstmordfantasien sind Versuche, durch Vernichtung Eindeutigkeit herzustellen. Der Rivale wird abgewertet oder blossgestellt, die Untreue wird pathologisiert oder moralisch in Grund und Boden verurteilt.

Entscheidet sich einer der Partner gegen die Beziehung, setzt dessen Nein sich durch. Nein ist stärker als Ja. Bei einer Ambivalenz zwischen beiden Partnern ist es besser, zwei unabhängige Fragen daraus zu machen:
1) Will ich mit meinem Partner zusammenbleiben?
2) Will ich mit dem/der Geliebten eine neue Beziehung beginnen?
Er trennt sich von seinem bisherigen Partner, weil er diese Beziehung beenden möchte. Nicht weil er eine neue Beziehung beginnen will, der die alte Beziehung im Weg steht. Ehrlicher ist schliesslich, diese Entscheidung selbstvalidiert und nicht partnervalidiert zu treffen.

Die Frage, die sich Paare stellen könnten ist, ob sie sich als Paar neu gründen wollen. Was finde ich heute an meinem Partner attraktiv? Würde ich ihn noch einmal heiraten? Von welchen Gewohnheiten in unserer Beziehung sollten wir uns trennen? Welche Art Beziehung möchte ich mit ihm? Welchen Alltag will ich? Welche neuen Verabredungen wollen wir treffen?

Modell Monogamie: Das Modell, das verspricht, in einem monogamen Rahmen leidenschaftliche Gefühle zu ermöglichen, ist trügerisch.

Clement plädiert neben dem wohlwollenden Wegsehen für eine starke Loyalität zum Partner, die sie durch allfällige Affären nicht infrage gestellt wird: Auch wenn du mal schlecht mit mir umgehst, auch wenn du mir dich zumutest – eine Verletzung ist kein Kündigungsgrund. Das Risiko ist allerdings, dass man vorher nicht weiss, ob dies auch klappen wird. Kontrolle und Sicherheit ist nicht möglich.

Loyalität, wie Clement sie versteht und die Bindung und Freiheit gleichzeitig ermöglichen soll, wird zuerst gegeben. Erst geben und dann sehen, was passiert. Zu diesem Zweck plädiert Clement weiter dafür, Privatheit zu respektieren. Wer auf den Anspruch verzichte, alle Lebensbereiche des Partners zu kennen, wer zugestehe, dass die Partnerschaft nur ein Teil des Lebens ist, der könne Monogamie-Falle entkommen, die die Bindung zu einem Gefängnis mache. Diese Privatheit umfasse Teile des Lebens, die man für sich oder mit anderen lebe und die deshalb den anderen nur begrenzt etwas angehen würden. Aus diesem Grund müssten sie auch nicht durch betonte Geheimhaltung geschützt sein. Diese Haltung erfordere, dass man Unsicherheiten tolerieren könne, Bescheidenheit, Grosszügigkeit und Mut. Ob man das könne, zeige sich ähnlich wie beim Schwimmen erst, wenn man ins Wasser gehe und nicht gleich aufgibt, auch wenn man mal mehr Wasser schluckt, als einem lieb ist.
Voraussetzungen seien folgende:

  • Loyalität wird als wichtiger definiert als sexuelle Treue.
  • Respekt wird vor Rivalität gesetzt.
  • Der sexuelle Unterschied wird akzeptiert und damit auch, dass die Partner einander nicht vollständig oder vielleicht nicht einmal in erster Linie sexuell entsprechen.

Partnerschaftliche Übergangssituationen

Die Orientierung in Übergangssituationen (wie in Affäre-Zeiten) konzentriert sich auf drei Komponenten:

  1. Bewahrung des Guten und Bewährten
    Wie feiern wir uns als Paar? Haben wir Kontinuitätsrituale (siehe oben unter “Ehesex”)
  2. Verabschiedung des Überlebten
    Vorwürfe aufgeben (alte Affären…) – Was kann ich im Guten verabschieden? Was behindert mich? Was hindert mich am “loslassen”?
    Abschiedsritual (Brief an das Alte, Überlebte…) – z.B. auch Brief senden an alte Affäre (“Ich bin wieder da, wo ich war – es war wichtig, aber…”).
  3. Verwirklichung des Neuen
    auch: Wie wollen wir die neue Phase unser Partnerschaft beginnen?
    Initiationsritual “neu heiraten”

Nichtveränderung

Welcher Partner besetzt eher die Veränderungsseite, welcher die Nichtveränderungsseite?
Vorteile und Nachteile für “das Problem” und für eine Lösung bewusst machen.
Unter welchen Bedingungen wird eine Veränderung vollzogen?
Was ist ein günstiger Zeitpunkt dies zu vollziehen?
Welche Dosierung, welches Ausmass an Veränderung ist günstig?

Zurück zum “Nein im Sex”

Sie möchten keinen Sex in ihrer Beziehung, Heisst das,
mit Ihrem Partner nicht,
unter diesen Umständen nicht,
so nicht mehr wie bisher,
auf eine bestimmte Art nicht, etc.

Dann: So also nicht. Wie dann?
Was wäre die Form von Sex, zu der Sie Ja sagen können/wollen?

Kann eine “offene Beziehung” oder Polyamorie die Lösung sein?

Zuerst mal ist Ehrlichkeit und Vertrauen das Allerwichtigste!
Als Beispiel muss man/frau sich fragen, was ich mir dadurch erhoffe: Ist es, dass ich mir sexuell von anderen Männern/Frauen erhoffe, was mein Partner mir nicht geben kann? Und gibt es vielleicht auch einen Teil in ihr/ihm, dem es ganz recht ist, dass er/sie leidet? Manche Paare denken, die Öffnung der Beziehung nehme den Druck raus und bringe die Leichtigkeit zurück. Sie wundern sich dann, wenn Probleme sich verstärken, statt zu verschwinden.

Wenn sich ein Paar für eine offene Beziehung entscheidet, sollten sich beide fragen: Was halte ich aus und was nicht? Bei solchen Regeln schwingt immer auch ein bisschen Angst mit: Man möchte in einem festgelegten Rahmen fremdgehen, ohne sich schlecht zu fühlen oder die Kontrolle über den Partner zu verlieren. Aber der Satz »Du darfst dich nicht verlieben« ist ein Witz. So etwas kann man doch gar nicht versprechen!

Monogamie kommt heutzutage oft verstaubt rüber. Wir assoziieren sie mit weniger Lust, weniger Sex und moralisch auferlegten Verpflichtungen. Dabei ist die exklusive Partnerschaft zweier Menschen besser als ihr Ruf. Wir müssen uns bloss trauen, echte Nähe zu geben und sie auch zuzulassen. Anhaltend guter Sex gelingt durch Ehrlichkeit und Vertrauen.

Manchmal denke ich, das Konzept »offene Beziehung« ist ein Symptom unserer Zeit, in der viele ständig auf der Suche nach etwas Besserem sind, anstatt an etwas festzuhalten – und das Jetzt zu akzeptieren, wie es ist. Akzeptanz und Respekt sind für mich die wichtigsten Werte in einer Beziehung! Sie allein machen das Mitgefühl mit dem Partner aus.

Man kann heutzutage alles Mögliche konsumieren, das findet natürlich auch Einzug in die Liebe. Wir haben verlernt, Unangenehmes auszuhalten und Beziehungen zu reparieren, statt sie wegzuwerfen. Wird es mal schwierig, ist das doch eigentlich die perfekte Gelegenheit, sich als Paar weiterzuentwickeln. Man sollte mit dem Partner darüber sprechen: Warum bin ich gerade unzufrieden, und was fehlt mir? Stattdessen lautet das Motto oft: Wenn ich die Bestätigung, die ich mir wünsche, von dir nicht mehr bekomme, suche ich sie eben woanders.

Unter welchen Voraussetzungen kann eine offene Beziehung denn wirklich funktionieren?

Es gibt viele intakte offene Beziehungen, das ist ganz wichtig zu erwähnen. Voraussetzung dafür ist eine dauerhafte und ehrliche Kommunikation in viel Vertrauen. Dies erfordert einen gewissen Reifegrad der Beziehung und eine stabile Vertrauensbasis. Wohlwollen gegenüber dem Partner und seiner Sexualität ist dabei die beste Richtlinie. Beide Partner müssen mit der Öffnung der Beziehung einverstanden sein, niemand sollte sich zu etwas gedrängt fühlen.

Nachdenkenswertes für Paare

  • Jemanden nicht verlieren wollen ist etwas ganz anderes, als sich ausdrücklich für diese Person zu entscheiden.
  • Man kann zwar den Partner wechseln, sich selbst entkommt man aber nicht.
  • Genuss steigert sich oft dadurch, dass man über ihn redet. Verfallen Sie bei sexuellen Begegnungen also nicht in Sprachlosigkeit. Tauschen Sie Ihre Erfahrungen und Ihr Erleben aus.
  • Gehen Sie nicht der Versuchung auf den Leim, Ihren Partner in jahrelanger mühseliger Kleinarbeit zu ändern, um sich dann von ihm zu trennen, weil es sich nicht mehr um die Person handelt, die Sie einmal geheiratet haben.
  • Verzichten Sie möglichst auf Alkohol. Dieser verlangsamt die nervlichen Reaktionsabläufe. Wenn man sich unter Alkohol „beflügelt“ fühlt, hat dies meist damit zu tun, dass Alkohol vorübergehend Angst und Anspannung verringert.
  • Die Flucht zu ergreifen, ist etwas anderes, als sich vorher abzunabeln und erst dann zu gehen.
  • Die eigentliche Fähigkeit zum Lieben entwickelt sich dann, wenn ein Paar nicht mehr auf Wolken schwebt.
  • Solange die Partner von wechselseitiger Bestätigung abhängig sind, kontrolliert immer die Person, die das geringere Bedürfnis nach Intimität hat, den Grad an Intimität in der Beziehung.
  • Manche „Sexualstörungen“ haben eine gesunde Wurzel: Sie sind ein „nein“ zu einem Geben, um zu bekommen, ein „nein“ zu Benutztwerden und Abkapselung, ein „nein“ zu Missbrauchserfahrungen in der Vergangenheit.
  • Manche Menschen unterdrücken den Teil in sich, der etwas will: Ihnen ist dann vieles egal, so dass sie auch nicht enttäuscht werden können.
  • Zu streiten ist einfacher, als den Partner zu begehren.
  • Gewöhnlich sehen wir einen Gegenstand nur so lange an, bis wir ihn etikettieren können.
  • Eine sexuelle Krise bedeutet nicht unbedingt, dass die Beziehung zerbricht, sondern kann ein entscheidender Teil des Prozesses sein, der ihre Reifung vorantreibt.
  • Wer aus Angst vor Missbilligung seine erotischen Wünsche und Vorstellungen nicht mitteilt, wird nie etwas Neues ausprobieren und so neue Erfahrungen machen können.
  • Etwas für den Partner zu tun, bedeutet noch nicht, auch wirklich bei ihm zu sein.
  • Manche scheuen sich, ihren Mund einzusetzen, wo sie Genitalkontakt gewohnt sind. Manche scheuen sich, ihre Genitalien einzusetzen, wo ihr Herz beteiligt ist.
  • Das Freisein von Angst und Zwang mag das Kennzeichen einer guten Partnerschaft sein – aber es ist nicht ihr Wegbereiter.
  • Man sollte sich unter sexueller Kompatibilität lieber den Willen vorstellen, ungleiche Vorlieben gut zu nutzen. Geht man richtig damit um, wird aus dem eigenen Partner der richtige.
  • Sicherlich ist jedes Eheversprechen „in guten wie in schlechten Zeiten“ gültig, aber es beruht auf der Annahme, dass die Partner alles in ihren Kräften stehende tun, um ihre Unzulänglichkeiten zu überwinden, und nicht darauf, dass der Partner sich auf Verlangen mit ihnen abfinden muss.
  • Bei Paaren mit einem hohen Differenzierungsgrad funktioniert Monogamie anders: Sie hört auf eine belastende Vereinbarung mit dem Partner oder der Beziehung zu sein, und wird zu einer Vereinbarung mit sich selbst. Die Beziehung lebt mehr von der persönlichen Integrität und gegenseitigem Respekt als von Deprivation und Brutalität. In einer solchen Beziehung ist eine Affäre mehr ein Selbstbetrug als ein Betrug am Partner (da man sich das Versprechen selbst und nicht dem Partner gegeben hat).
  • Einen “Seitensprung” muss man mit sich selbst ausmachen. Die Treue zu sich selbst, zu seinen eigenen Massstäben des Lebens, das ist letztlich das einzige Mass für unser Handeln – und es ist ein hartes Mass. Die eigenen Grenzen zu ziehen ist schwieriger als den anderen zum Wächter seiner Tugend zu machen.
  • Menschen, die sich nicht eingestehen, dass sie hassen, schaden denen, die sie „lieben“ in höchstem Masse. Denn man kann nicht etwas kontrollieren, dessen Existenz man nicht zugeben will.
  • Wahre Reue beinhaltet mehr als ein verbales Anerkennen. Sie erfordert auch eine unmittelbare Änderung des Verhaltens.
  • Auch der beste Bergsteiger kann niemals einen Berg „beherrschen“, sondern immer nur sich selbst!
  • Man bekommt sich selbst nicht vom Partner zurück, sondern man hört auf, sich selbst aufzugeben.
  • Undifferenzierte Menschen verlangen deshalb von ihrem Partner so viel Verständnis, weil sie sich selbst nicht recht verstehen. Sie fühlen sich verstanden, angenommen und geschätzt, wenn der Partner sie im gleichen Licht sieht, wie sie sich selbst.
  • Wer mit sich selbst zufrieden ist, ist meist auch mit der Partnerschaft zufriedener.
  • Wer sagt „ich bekomme in der Beziehung nicht, was ich will“, gibt sich in dieser Beziehung selbst nicht das, was er erwartet.
  • Frühere Generationen haben erkannt, dass es die Qualität einer Partnerbeziehung fördert, wenn ein, zwei Dinge am Tag ungesagt bleiben.
  • Gefühle, die wir rechtfertigen sind gewöhnlich nicht diejenigen, die wir wollen.
  • Wer im anderen das Beste anspricht, bringt damit auch das Beste zum Vorschein.
  • Das Reden und Denken sollte man dem Teil der eigenen Person überlassen, den man als den besten empfindet.
  • Austern produzieren Perlen nicht etwa, weil sie etwas Schönes schaffen wollen. Perlen sind das Nebenprodukt eines Versuchs, die durch ein Sandkorn hervorgerufene Irritation zu vermindern.
  • Die Erwartung, dass der andere Ängste und Stress abpuffert und wir nicht selbst Fähigkeiten zu ihrer Regulierung entwickeln müssen, nimmt jeder Beziehung ihre Flexibilität und macht beide Partner stressanfälliger.
  • Wenn man sich die ganze Zeit mit Freunden über Beziehungsprobleme unterhält, ist dies keine wirkliche der Erholung dienende Auszeit.
  • Man kann die neue Welt nicht erreichen, ohne den sicheren Hafen zu verlassen.
  • Man kann nicht unablässig an der Beziehung „arbeiten“!
  • Paare in glücklichen Beziehungen machen in einem Verhältnis von 5:1 mehr positive als negative Aussagen übereinander.
  • Viele Partner kämpfen lieber gegeneinander als gegen sich selbst.
  • Der beste Sex und die innigste Intimität in einer Beziehung resultieren oft aus gegenseitigem Respekt. Respekt ist ein hervorragendes Bindeglied.
  • Paradoxerweise rettet das Aussprechen wichtiger Dinge, die man für „Beziehungskiller“ hält, häufig die Beziehung. Empathie ist keine Entschuldigung mit notwendigen Informationen hinter dem Berg zu halten.
  • Es ist weniger dramatisch, den Respekt zu verlieren, als diesen Respektverlust nicht an- bzw. auszusprechen.
  • Die Erkenntnis, mit verschiedenen Menschen die gleichen Schwierigkeiten zu haben, führt oft zum Erreichen der „kritischen Masse“, dem Punkt, an dem Veränderung möglich wird.
  • Menschen, die lauthals verkünden „Ich habe ein Recht auf meine Gefühle“ wollen, dass jeder andere sich so verhält, als wären ihre Gefühle stimmig, seine aber nicht.
  • Unsere Fehler und die Handlungen, die wir bereuen, hindern uns nicht daran, das zu werden, was wir sein können. Sie sind vielmehr ein notwendiger Bestandteil dieses Prozesses. Ohne diese Hürden und Umwege gäbe es keine Differenzierung.
  • Einsamkeitserfahrungen können dazu beitragen, die Verbundenheit mit allem und jedem zu erleben.
  • Freiheit heisst nicht, sich vom anderen zu entfernen, sondern sich so zu steuern, dass in der Beziehung Raum für zwei Menschen ist.
  • Dem klassischen Eheversprechen sollten zwei Sätze hinzugefügt werden: „Ich werde immer Halt in mir selbst finden.” Und: “Obwohl ich damit rechne, verletzt zu werden, will ich um der Glückseligkeit willen durchhalten.“
  • Bei schweigenden Ehepartnern wissen beide, dass der andere nicht hören will, was man denkt.
  • “Die Kommunikation klappt zwischen uns nicht“ lässt sich meist übersetzen mit „Ich weigere mich diese Botschaft zu akzeptieren – schick mir eine andere.“
  • Die normale Neurose ist unser Bedürfnis, durch das Beschwichtigen anderer unsere „indirekte Selbstakzeptanz“ sicherzustellen.
  • Je angespannter wir sind, umso reptilienhafter (also unvernünftiger) reagieren wir.
  • Wenn ein Baby herumgereicht wird, wirkt es auf die Beteiligten wie ein Joint. Wenn das Schamhaar zu spriessen beginnt, umarmen sich Eltern und Kinder, als seien sie Besenstiele.
  • Eine Umarmung sollte das Herz ebenso füllen wie die Arme.
  • Stille ist keine Abwesenheit von Schall, sondern die Gegenwart von Frieden.
  • Man sollte nicht nur die Haut des anderen berühren, sondern auch sein Wesen und seine Gefühle.
  • „Wenn ein Mädchen heiratet, tauscht sie Aufmerksamkeiten vieler Männer gegen die Unaufmerksamkeit eines einzelnen ein.“ (Helen Rowland)
  • Das sexuelle Repertoire eines Paares erweitert sich eher durch Konflikte als durch Kompromisse.
  • Wir wollen Entscheidungen, die nichts kosten, und Lösungen, die keine Angst einflössen.
  • Niemand „fickt“ sein Unterstützungssystem.
  • „Gnadenfick“ ist ein Betrug an dem, was Sexualität sein kann. Ein Partner lässt den anderen „ran“, um ihn sich vom Hals zu schaffen. Das Ziel ist nicht, den Partner zu „nehmen“, sondern es „hinter sich zu bringen“, damit man morgen verschont bleibt.
  • Zu wachsen bedeutet nicht, sich von seinen Gefühlen zu reinigen (sie „auszudrücken“, also aus sich heraus), sondern sie vermehrt in sich aufzunehmen.
  • Nur wenige beginnen eine Therapie, um etwas an sich selbst zu ändern. Gewöhnlich suchen sie nach Möglichkeiten, ihre Situation oder ihren Partner zu ändern, während sie selbst so bleiben wollen, wie sie sind.
  • Spielen Sie immer die dieselben Lieder? Warum machen Sie es beim Sex anders?
  • Techniken lösen keine zwischenmenschlichen Probleme, das geht nur durch innere Veränderungen.
  • Manche Menschen erwarten, dass andere ihre Gedanken lesen und sich dann so verhalten, wie sie selbst es getan hätten.
  • Suche in jedem Problem oder Dilemma nach der noch ungelösten Entwicklungsaufgabe.
  • Menschen mit einem hohen Differenzierungsgrad kümmern sich weder darum, wie sie wirken, noch suchen sie Anerkennung für ihr differenziertes Verhalten. Es geht ihnen allein darum, wer sie sind und wie sie sein wollen.
  • Solange wir unser Selbstgefühl von anderen beziehen, wird uns nie die Freude zuteil, ganz wir selbst zu sein.
  • Spirituelles Erwachen wird oft mit einer Transzendierung jeglichen Verlangens gleichgesetzt. Aber manche Formen von Verlangen befreien uns: das Verlangen nach Weisheit, Mitgefühl, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Grosszügigkeit zum Beispiel.
  • Glück besteht darin, nicht alles zu brauchen.
  • Das Durchleben der Einsamkeit ist eine Möglichkeit, sich mit sich selbst zu identifizieren und Liebe und Staunen für das Wunder des Lebens zu empfinden (Clark Moustakas).
  • Wir versuchen ständig, die Welt zu einer anderen zu machen, als sie ist (Ernest Becker).
  • „Sünde“ ist unsere Weigerung zu begehren und uns zu entwickeln, unsere Weigerung, an uns selbst zu glauben, und unsere Bereitschaft, unter unserem Potential zu leben.
  • Wir müssen uns vor Gott für all die guten Dinge verantworten, die unsere Augen sahen und die wir nicht geniessen wollten (Rabbiner Abba Areka im Talmud).
  • Eine wirkliche gute Beziehung bedeutet auch, dass man umso verletzlicher ist, denn man hat dann besonders viel zu verlieren.
  • Eine wunderbare Paarbeziehung macht das Leben nicht leicht oder schmerzlos. Es macht die Mühe nur lohnender und den Schmerz sinnvoller.
  • Oscar Wilde: „Es gibt nur zwei Tragödien im Leben. Die eine ist, nicht zu bekommen, was man möchte. Und die andere ist, es zu bekommen.”
  • Glück füllt nicht die Leere, die entsteht, wenn man sich endlich von Komplexen befreit und Konflikte gelöst hat.
  • Vertrauen in einer Paarbeziehung hängt besonders davon ab, was man sich selbst zutraut. Vertrauen muss man/frau – im Wissen von seinem Unwissen und der mangelnden Kontrolle – geben und kann es kaum erwerben.
    (teilweise aus David Schnarch “Die Psychologie sexueller Leidenschaft” zitiert – herzlichen Dank!)

Sex und Herzkrankheit

“Wagemutiger Sex?” (von Jan Schweitzer aus DIE ZEIT 06/2022)
Sex geht immer. Egal, wo das Wort auftaucht, ob im Internet, im Radio oder in der Zeitung: Die Menschen klicken darauf, sie hören hin, fangen an, einen Artikel zu lesen. (Was glauben Sie, warum wir diese Überschrift gewählt haben?) Anders ist es mit dem echten, aktiv vollzogenen Sex: Der geht nicht immer. Zumindest dann nicht, wenn man ein schwaches Herz hat. Viel zu gefährlich sei die Belastung während des Aktes für das kranke Organ, so glauben viele.
Eine neue Studie im medizinischen Fachblatt JAMA Cardiology gibt nun Entwarnung – auf den ersten Blick. Britische Forscher haben die Daten von 6847 Menschen ausgewertet, die an einem plötzlichen Herztod gestorben waren. Das Ergebnis: Nur 0,2 Prozent der Herzopfer waren während des Sex oder bis zu einer Stunde danach verschieden. In absoluten Zahlen: Bei elf Männern und sechs Frauen hatte die spezielle körperliche Anstrengung das Herz so sehr überlastet, dass sie tödlich endete. Die Überanstrengten waren im Mittel erstaunlich jung, nämlich 38 Jahre.
Entwarnung also für Herzkranke? Nicht ganz. Natürlich, 17 von 6847 sind nur sehr wenige. Aber vielleicht hatten die anderen 6830 überhaupt keinen Sex mehr, weil sie Herzbeschwerden befürchteten oder ihre körperliche Verfassung solch eine Aktivität gar nicht erst zuliess – dann konnten sie natürlich auch nicht beim Sex sterben. Und die 17 waren vielleicht jene Wagemutigen, denen das egal war, die sich zuvor sogar noch mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug gestürzt, an Wrestling-Kämpfen oder dem New-York-Marathon teilgenommen hätten. Befragen konnte man die Probanden aus offensichtlichem Grund nicht mehr.
Etwas gewagt wäre auch die Argumentation älterer Semester, sich mit einem kranken Herzen auf der sicheren Seite zu fühlen. Diesen Umkehrschluss – »Es sind ja nur Junge beim Sex gestorben, also kann mir 70-Jährigem nichts passieren!« – kann man aus der Studie leider auch nicht ziehen.
Man sollte in die Studienergebnisse also nicht allzu viel hineininterpretieren. Und sich auch nicht allzu viele Gedanken machen, wenn man Sex haben möchte. Der geht (fast) immer.

Links zu diesem Thema auf dieser Website:

– Speziell zur “Impotenz” des Mannes: impotenz/!
– Zum Wunsch, den Anderen so zu lieben wie er ist (bedingungslose Liebe):
walserblog.ch/2016/12/14/tantra/

– Übertriebene Kitzligkeit als Problem für freien Sex: walserblog.ch/2015/11/06/kitzligkeit/

– Autonomie und Verbindung:
walserblog.ch/2015/12/05/autonomie-und-verbindung/

– Fragen als Haupttor zum Anderen:
walserblog.ch/2016/10/23/fragen-2/

Ich gebe auch Paarcoachings/Paartherapie.

Veröffentlicht am 06. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
20. April 2024