Autor: Dr. med. Thomas Walser

  • Homöopathie

    Homöopathie

     Ist Homöopathie nichts weiteres als ein Placebo?!

    Die Homöopathen wehren sich vehement gegen diese These – und übersehen womöglich, dass dieses Urteil eher ein Lob ist als ein Vorwurf. Denn offenbar heilt der Mensch sich vor allem selber, mit seiner eigenen „Lebenskraft“. Warum sollte ein solcher, längst nachgewiesen mächtiger Effekt sich nicht noch steigern lassen mit einer homöopathischen Behandlung? Einer Methode, die noch den schwächsten Hauch eines körperlichen Symptoms zu erspüren sucht, dazu die Seele streichelt und sich so dem Dunkelgeschöpf Mensch auf besonders geschickte Weise nähert?
    Die homöopathische Arznei ist ein kommunikativer Prozess, die Homöopathie eine „Beziehungsmedizin“. 

    Hilfe zur Selbsthilfe

    Wer mit der Homöopathie eine Lösung seiner gesundheitlichen Probleme mittels eines Kügelchens erhofft, befindet sich in der Irre und wird scheitern.

    Der homöopathische Prozess sollte immer auch durch Veränderungen im Lebensstil begleitet sein. Weiterlesen >>>

    Stellen Sie sich vor, dass durch diese Therapie die in Ihnen wirkende (eventuell gestörte) Lebenskraft als Heilenergie freigesetzt wird. Sie wirkt primär durch Beeinflussung der mentalen und energetischen Ebene des Menschen. Die Homöopathie ist eine Hilfe zur Selbsthilfe. Sie betrachtet auch z.B. Krankheitssymptome, wie Fieber, Hautausschlag, Durchfall, Entzündung usw. als Ausdrucksformen der Selbstheilung des Organismus, die nicht unterdrückt, sondern vielleicht noch unterstützt werden sollen, um den Heilungsprozess zu beschleunigen -immer vorausgesetzt, sie zeigen sich nicht überschiessend und zerstörerisch.
    Als Ergänzung dazu ist die Allopathie (die sog. „Schulmedizin“) grundsätzlich eine auf die physische Ebene einwirkende Heilmethode und deshalb z.B. in Notfallsituationen, in denen das Leben durch das Versagen einer einzelnen Lebensfunktion akut bedroht ist, die oft einzig mögliche und souveräne Therapie. (Siehe auch „Indikationen und Grenzen der Homöopathie“ am Schluss).

    Wie erreicht die Homöopathie diese Hilfe zur Selbsthilfe?

    Der Begründer der Homöopathie, Samuel HAHNEMANN (1755-1843) stellte die These auf, dass ein Heilmittel, welches „rhythmisch verdünnt“, d.h. „potenziert“ wird und dann in der sog. Arzneimittelprüfung an Gesunden (Der Prüfling nimmt eine Dosis C30 und nach ein paar Tagen nochmals dieselbe Potenz mehrmals innert 1 bis 2 Tagen bis die Symptome erscheinen ein) für dieses Mittel typisches Symptomenbild zeigt; dass nun diejenige Arznei, die die meisten Symptome der Ähnlichkeit (zur Krankheit) zu erzeugen imstande ist (also das Simillium), die ganze gegenwärtige Krankheit schnell, gründlich und dauerhaft aufhebt und in Gesundheit verwandelt. Ein sehr hoher und idealistischer Anspruch, der meist den Therapeuten und Klient überfordert…
    und dann eine „Guru-Heilmethode“ wird.

    Was heisst nun potenziert?

    C1 heisst z.B., dass der Stoff nach genauen Regeln 1:100 mit Milchzucker verrieben worden ist. Meist wird bis C3 verrieben und dann weiter 1:100 mit medizinischem Alkohol verdünnt und dabei nach gewissen Regeln geschüttelt. (Falls man nun nochmals 1:100 verdünnt, erhält man C4, etc.). Während diesem Vorgang wird eine Energie (=Potenzierung) freigesetzt, so die These, welche wissenschaftlich nicht messbar ist.

    Die Homöopathie erhebt hier Anspruch auf strenge Wissenschaftlichkeit, was ein Widerspruch in sich ist. Ein Befürworter eines ganzheitlich-avantgardistischen Weltbildes sollte wenigstens konsequent sein und an die Stelle des mechanischen Verfahrens der Arzneikraftentwicklung ein metaphysisches setzen!
    Ich formuliere mal weiter vorsichtig: Wenn das Arzneimittel nach homöopathischen Grundsätzen angewandt wurde, lösen diese Energien eine Art „Resonanzschwingung“ in den heilenden Strukturen des Organismus aus – was wohl jedes gut angewendete Placebo auch tut. Bis etwa C4 / C6 oder D8/D12 (D1, heisst 1:10) überwiegen die allopathischen Wirkungen. Dies sind also nur Verdünnungen und keine Potenzen! Bei D23 existiert aus wissenschaftlicher Sicht keine Materie mehr. Es werden aber – so die Theses – immer mehr der oben beschriebenen Energien frei. Die heilende Wirkung also umso grösser, die Dosis kleiner, die Intervalle länger.

    Wir sollten hier erkennen, dass dies ein Wieder-Aufkommen eines medizinischen Weltbilds von vor der Renaissance, also aus dem Mittelalter aufgewärmt wird.

    Alte Weltbilder leben weiter

    Was geschieht eigentlich mit den Hintergrund­filmen, die von den Film­studios nicht mehr gebraucht werden? Werden sie zerstört oder in Billig­produktionen wiederverwendet? Anders gefragt: Was geschieht mit den alten Diskursen und Para­digmen, wenn sie ausgedient haben?

    Michel Foucault (der den Begriff Diskurs geprägt hat) und Thomas Kuhn (mit dem Paradigmenwechsel) dachten, sie würden auf dem Abfall­haufen der Geschichte entsorgt. Doch dem ist nicht so: Zwar interessierte sich nach Kopernikus kaum jemand für die ptolemäischen Planeten­bahnen. Doch bei den Flat-earthern haben sie Unterschlupf gefunden. Seit der Renaissance forderte die Medizin nicht mehr eine Ähnlichkeit zwischen Therapeutikum und der Krankheit. In der Homöopathie hat diese Vorstellung aber überlebt. Der Einfluss der Gestirne auf die Gesundheit spielt in der Medizin keine Rolle mehr. Ausser bei ein paar Anhängern der Astrologie. Nach Darwin hielt niemand mehr den Axolotl (ein mexikanischer Lurch) für ein gott­geschaffenes Monster, das die Menschen zur Umkehr mahnen soll. Ausser ein paar US-amerikanische christliche Fundamentalisten.

    Tatsächlich bilden alte, ausgediente Paradigmen den Kern der meisten alternativ-esoterischen Theorien. Doch im Unterschied zu den alten Theorien sind sie nun hermetisch geschlossen und nicht mehr entwicklungs­fähig; sie dienen nicht mehr dem Wissen, sondern nur noch dem Besserwissen: Sie bekämpfen den Mainstream um der eigenen Selbst­vergewisserung willen. (Daniel Strassberg in der Republik, 28.02.23)

    Da beschreibt er auch den Paradigmenwechsel der alten Pazifistinnen (die „sich treu blieben“, wie Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht) und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind, aber dabei in Kauf nehmen, dass Kiew überrollt und dann vergewaltigt und von Wagner-Söldner mit dem Vorschlaghammer gefoltert und getötet werden

    Homöopathie und Schulmedizin

    Diese und die folgenden Entdeckungen von Hahnemann waren aus einem mittelalterlichen Weltbild erschaffen und dabei noch völlig empirisch, d.h. aus reiner Erfahrung gewonnen. Man kann dies alles wissenschaftlich-theoretisch nicht nachvollziehen, weshalb die Homöopathie universitär abgelehnt wird. Sie ist deshalb auch hermetisch abgeschlossen und kaum mehr entwicklungsfähig.
    Die Schulmedizin kann aber trotzdem neue Impulse aus diesem Prototyp einer, durch ihre Mobilisation körpereigener Kräfte geprägten Heilslehre schöpfen. Andere, ähnliche Heilsformen sind, so gesehen, auch die Akupunktur und andere „energetische“ Therapien der Alternativmedizin, die Pflanzenheilkunde, die Heilung mit Ernährung und Diät und die Psychotherapie. Dinge also, die auch ein rein „schulmedizinisch“ arbeitender Hausarzt bereits schon immer in seiner Heilkunst angewandt hat.

    Die Gefahr einer zu einseitigen  „Schulmedizin“ liegt in der Suche, nur Schmerzen oder Funktionseinbussen zu eliminieren, Alterungs- und Abnützungserscheinungen zu bremsen, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, vorzeitigen Tod oder Invalidisierung zu verhüten. Das heisst, im Wesentlichen irgendwelche lästigen oder potentiell gefährlichen Zustände wegzukurieren bis zu einem üblichen Zustand von Indifferenz, in dem unser Organismus so gut funktioniert, dass wir ihn kaum mehr spüren. Da mit fortschreitendem Alter die Störungen aber zahlreicher und länger dauernd werden, uns in unserer Entfaltung mehr und mehr einschränken, schwächen und schliesslich „umbringen“, ist dieses Zerrbild einer Schulmedizin ein langsames Rückzugsgefecht. Die Schulmedizin rechtfertigt sich selber nicht, gibt uns keinen Lebenssinn, keine Erklärung über den Sinn von Leiden, Schmerz und Tod. weiterlesen über das Kohärenzgefühl in der Salutogenese >>>

    Wissenschaft und Homöopathie – Lernen mit Unwissen zu leben

    Nur soviel zum Begriff  „Wissenschaft“: „Die Wissenschaft verändert sich von Beerdigung zu Beerdigung“ (Max Planck). Oder anders ausgedrückt: Was gestern als „wissenschaftlich“ galt, ist heute schon „mittelalterlich“. kann man aber auch so über die Homöopathie sagen…
    Ein weiser Wissenschafter muss also mit Unwissen und Vorläufigkeit leben lernen (siehe unsichere Anfangszeit von Covid-19 als eigentlicher „Blindflug“!). Auch einem Homöopathen würde gut anstehen, wenn er mehr Unsicherheit und Vorläufigkeit eingestehen könnte – und nicht (wie schon der allmächtige Hahnemann!) Guru-haft, allwissend aufzutreten. Die allmächtige Ablehnung aller Impfungen scheint mir so ein Ausdruck dieser Guruhaltung zu sein. Man muss sich dann nicht wundern, wenn man sich auf diversen Anti-Corona-Hygiene-Demos inmitten rechtspopulistischen Verschwörungstheoretikern wiederfindet, die alle einem doktrinär Gut-und-Böse-Schwarzweiss-Denken frönen! >>>Weiterlesen in meinem Blog.

    Wenn das Ziel einer pathogenetischen Schulmedizin Heilung, Rückführung oder Restitutio zum Vorzustand ist, ist das der „komplementären“, salutogenetischen Medizin also Erklärbarkeit, Sinnfindung, Heilwerden, Reifung. Und genau deshalb, weil das Behandlungsziel nicht dasselbe ist, sind die beiden Sichtweisen häufig kompatibel, ja eigentlich „komplementär“. Was uns fehlt, ist mehr Verständigung, auf welcher Ebene Not ist, und ob wir bereit sind, die Sinnfrage (zum Beispiel auch vom Schmerz) zu stellen, den Hilfesuchenden auf seinem Weg zu begleiten und in die Eigenverantwortung und Selbständigkeit zu entlassen, ob mit „schulmedizinischen“ oder salutogenetischen Methoden.

    Dazu muss man deutlich anfügen, dass auch sehr viele sogenannte Schulmediziner salutogenetisch arbeiten und sehr viele Homöopath*innen pathogenetisch!

    Zudem sollte jeder, der „auf Homöopathie schwört“ (und vielleicht die Schulmedizin primär mal ablehnt, da zu technisch…) bei sich genau hinsehen, ob er dem häufigen Denkfehler von uns modernen Menschen aufsitzt, dass „Natürliches sowieso gut – und besser als alles Wissenschaftlich-Technische ist:  walserblog.ch/alles-natuerliche-ist-gut/

    Sanfte Alternativen? Zum autoritären Welt-und Menschenbild esoterisch ausgerichteter Heilverfahren

    >>> Ingrid Tomkowiak, Professorin für Populäre Literaturen und Medien an der Universität Zürich >>>

    Über homöopathisches Denken – 7 Denkfehler der Homöopathie

    Dieser Text ist eine Art Fortbildung für Kontrahenten: für Homöopathiefans und -gegner in Spectrum.
    Nathalie Grams, früher praktizierende Homöopathin, jetzt Homöopathiekritikerin, und Nikil Mukerji tragen 7 Denkfehler zusammen, denen man sehr oft im Zusammenhang mit Homöopathie begegnet. Dabei lernt man nicht nur etwas über die Geschichte der Homöopathie und zur Theorie der Wirkweise homöopathischer Mittel, sondern auch über das Denken und die Kommunikationsstrategien von Homöopathen, die ihre Heilmethode verteidigen.
    Zwischendurch gibt es leicht verständliche Infos über klinische Studien und ihre Methoden, über evidenzbasierte Medizin und darüber, warum man die Wirkweise der Homöopathie nicht wissenschaftlich belegen konnte und was Studienergebnisse stattdessen nahelegen.
    Bei wem die Struktur des Textes und die Überschrift einen Widerstandsreflex auslösen: lesen lohnt trotzdem. Denn der Text geht respektvoll mit den Argumenten der Homöopathen um und erklärt gut, was die springenden Punkte sind.
    Wenn man danach immer noch zur Homöopathie greifen will, so tut man es wahrscheinlich mehr im Bewusstsein dessen, wo ihre Grenzen liegen und versteht die Kritik an ihr um einiges besser.
    >>> www.spektrum.de/news/denkfehler-der-homoeopathie/1499429

    Die Ärztin Natalie Grams-Nobmann führte eine Praxis für Homöopathie. Doch als sie für ein Buch recherchierte, kippte ihre Haltung zur Homöopathie komplett. Als sie ihr Buch «Homöopathie neu gedacht. Was Patienten wirklich hilft» dann veröffentlichte, gab es Mord­drohungen. Im Podcast «Denkangebot» spricht Katharina Nocun mit Grams-Nobmann über Erkenntnisse, Wahrheiten und den Placebo­effekt.

    Paracelsus und die Homöopathie

    Das Drama des Paracelsus bestand darin, dass er nach seinem revolutionären Verwerfen der Vier-Säfte-Lehre eine eigene „Guru-Medizin“ schuf: die alchemistische Medizin. Er sprach nicht mehr über das Sieden und Garen von Säften, sondern über die Umwandlung der Grundstoffe Quecksilber, Schwefel und Salz. Dabei suchte er die Quintessenz dieser Stoffe durch chemische Bearbeitung – die Grundlage der Spagyrik und später der Homöopathie. Wie genau dies geschah, bleibt unklar, ausser für den „Guru“, der es behauptete. So entstand eine undurchschaubare neue Lehre aus der mittelalterlichen Alchemie, meist mit unklarem Ausgang und oft einer Quecksilbervergiftung – eine eigentliche Eso-Medizin.

    Homöopathie und Psychoanalyse

    Schaut man genauer hin, finden sich bei beiden Methoden zahlreiche Gemeinsamkeiten: Im Zentrum der Behandlung steht die Patientin oder der Patient und nicht wissenschaftliche Doktrin, rigide Diagnostik und Unterteilung der Krankheiten. Der deutsche Arzt, Psychosomatiker und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich hielt fest: „Der zentralste Gedanke ist, dass es der Tiefenpsychologie nicht so sehr auf die Ähnlichkeit der Krankheitszeichen, auf das Typische eines Krankheitsbildes ankommt, als auf den einzelnen in seiner Krankheit.“, Die Lebensumstände des Kranken werden mitberücksichtigt, seine Ausdrucksmöglichkeiten sind für die Beurteilung von besonderer Wichtigkeit.
    Um den Erkrankten mit seinen «auffallenden, ,sonderlichen, ungewöhnlichen und eigenen (charakteristischen) Zeichen und Symptomen» zu erfassen, wie es Samuel Hahnemann formulierte, wird dem Gespräch viel Platz eingeräumt: auch für alogische und ungeordnete, spontane Einfälle. Freud spricht vom „freien Assoziieren“.
    Unbestritten ist, dass sich Patientinnen und Patienten dabei viel besser verstanden und angenommen fühlen als in einer kalten und eher technisch ausgerichteten (Schul-)Medizin.
    Bereits die homöopathische Bestandesaufnahme respektive das psychoanalytische Erstgespräch können die spätere Genesung in Gang setzen. Auch die Behandlung weist gewisse Parallelen auf: Das „Simile-Prinzip“ (Gleiches mit Gleichem zu behandeln) der Homöopathie findet sich in abgewandelter Form in der Psychotherapie. Die in der Homöopathie durch die Arznei induzierte „Kunstkrankheit“ entspricht der –“Übertragungsneurose“ der Psychoanalyse, also dem Wiederholen der Neurose in der Beziehung zum Therapeuten. In beiden Fällen geht der Heilung eine Rückkehr zu den Quellen der Krankheit mit dem Lösen von Konflikten und (frühen) Verstrickungen voran. Dies kann sich als vorübergehende Verschlechterung der Beschwerden äussern, in der Psychoanalyse wird von Regression gesprochen.
    Der deutsche Psychoanalytiker Tilmann Moser („Körpertherapeutische Phantasien“) vergleicht die psychoanalytische Deutung mit der Verabreichung alternativmedizinischer Essenzen. Deutungen könnten magischen Substanzen gleichen, „die hoch über den Köpfen der Patienten oder tief giftig, aufbauend oder gar destruktiv, assimiliert oder in ihrer Wirkung Einlagerungen gleichend, die sich im seelischen Gewebe festsetzen und still vor sich hin eitern können“.
    Durch das „Potenzieren“ der Arzneimittel bleibt eine „Information“ über das ähnliche Vergiftungsbild zurück und wird dem Patienten gegeben. Man kann dies mit der Bewusstwerdung (Information) des Klienten über die alten „Vergiftungen“ und Blockaden bei der Psychoanalyse gleichsetzen.
    Paradoxerweise ist es gerade die von Patientinnen und Patienten geschätzte Würdigung des Individuellen, des nebenbei und freien Erzählens sowie das Zulassen des Zufälligen und Akausalen, die Homöopathie und Psychoanalyse für den Wissenschaftsbetrieb so ungeeignet erscheinen lassen.

    Indikationen und Grenzen der Homöopathie

    Sehr wichtig erscheint mir, dass man nun nicht in die Euphorie verfällt, alles und jedes sei mit dem Wundermittel „Homöopathie“ absolut heilbar. Homoöpath*innen sind besonders gefährdet, einer Hybris zu erliegen.
    Die Homöopathie hat ihre klaren Grenzen! Einer der grössten Nachteile der Homöopathie liegt darin, dass sie letztendlich eine „passive“ Therapieform ist. Der Homöopath muss den Klienten, den Menschen, der vor ihm sitzt möglichst präzis in ein vorgegebenes Schublädchen einfügen. Dazu verneigt sich die Methode noch vor diversen „Dogmen“ des Herrn Hahnemanns. Die Gefahr besteht, dass dabei vor lauter fast zwanghafter Akribie Ressourcen, Lebensstilveränderungen und Perspektiven des „Patienten“ vernachlässigt werden. Er erhält zum Schluss ein paar Kügelchen, schluckt diese und wartet „passiv“ der Veränderungen, die da kommen sollen…
    Die homöopathische Mittelfindung und -gabe sollte also immer auch von einer allgemeinen und individuell geführten Bewusstseinsbildung des Gesundheitsverhaltens begleitet sein!

    Als sekundäre „Neben“-Therapie ist die Homöopathie immer erlaubt, falls dadurch nicht eine unbedingt notwendige, lebensrettende Therapie verhindert oder aufgeschoben wird.
    Als primäre „Haupt“-Therapie aber kontraindiziert bei allen jenen Verletzungen und Krankheiten, die pharmakologisch nicht beeinflussbar sind und meist chirurgisch angegangen werden müssen, zum Beispiel bei Knochenfrakturen, Hirnblutungen, Magenperforationen, eingeklemmten Hernien usw. und bei jenen Krankheitszuständen, bei denen die eigene Selbstheilungsenergie kaum mehr vorhanden ist und deshalb auch nicht angekitzelt werden kann (Krebs, AIDS, Krankheiten mit zu grossen pathologischen Organveränderungen, starke Infektionen (Lungenentzündung, …), Autoimmunkrankheiten, die organisch zerstörend wirken (z.B. eine gelenkzerstörende Polyarthritis), Vergiftungen,…) oder welche z.B. unbedingt eine Substitutionstherapie erfordern wie zum Beispiel ein Diabetes mellitus, eine Schilddrüsenunterfunktion, etc.. Die „Schulmedizin“ ist in diesen Fällen die Therapiewahl Nummer Eins.

    Eine ausschliesslich homöopathische Therapie ist nur bei jenen Kranken sinnvoll und angezeigt:

    • deren Krankheit nicht durch ständig äussere Einflüsse (z.B. chronische Vergiftung bei Genussmittel-, Drogen- und Medikamentenabusus; durch unvermeidbare Exposition gegenüber schädigenden Umwelteinflüssen; durch stete Re-Infektion; durch andauernde Überanstrengung oder Bewegungsarmut usw.) verursacht ist.
    • deren Krankheit nicht durch ständig innere Einflüsse (z.B. durch genetisch bedingte Enzymdefekte, angeborene Anomalien oder durch bestimmte psychosomatische Konflikte, bei denen der Mensch nicht die Kraft hat oder nicht fähig ist, seinen Lebensweg zu finden oder seinem Leben einen Sinn abzugewinnen, und in die Krankheit flieht usw.) bedingt ist. Die Krankheit kann dabei eine wichtige Funktion erhalten (eine Plombe), deren Wegfall sehr schädlich wäre.
      Bei solchen Krankheiten sollten natürlich auch die äusseren oder inneren Krankheitsursachen therapeutisch angegangen werden.
    • deren Krankheit noch heilbar oder deren Zustand zumindest noch besserungsfähig ist, das heisst also bei Kranken, die noch die Fähigkeit und Kraft zu einer Heilung besitzen.
    • deren Krankheit in einem typischen Krankheitsbild mit ausgeprägten und charakteristischen, subjektiven und objektiven Symptomen in Erscheinung tritt (bei Symptomlosigkeit ist eine homöopathische Therapie zum vornherein unmöglich und bei Symptomarmut schwierig!).

    „Guru-Medizin“

    Noch ein Wort zur Gefahr der „Guru-Mentalität“ (Hybris) gewisser Komplementärtherapeuten oder Ärzte – und auch zum „Guru-Charakter“ gewisser Therapieformen.
    Homöopathie kann es sein – aber es existieren auch sonst sehr viel „Therapien“ und „Therapeuten“ – eine Methode also, die ein „Guru“ anwendet, das heisst ein Mensch, der etwas absolutistisch behauptet, das niemand sonst nachweisen oder nachempfinden kann oder mittels Studien reproduzierbar und verifizierbar ist. Man muss es also schlicht und einfach „glauben“. Machtansprüche und Unfehlbarkeit können Triebfedern auf Therapeutenseite sein – Narzistische Störungen sind weitverbreitet.

    Damit ist jede Mitarbeit und Mitverantwortung des Klienten ausgeschlossen. Der „Patient“ wird zum passiven Gläubigen, der hinnimmt.

    Zum Beispiel wird mit einem (sehr teuren) „Diagnosegerät“  – nach Stellen einer „Glaubensdiagnose“ (zum Beispiel – und sehr häufig: „Weizen- oder Milchallergie“) – mehrere „therapeutische“ Anwendungen dagegen durchgeführt … und zum Schluss sagt der Guru, dass es nun gut und geheilt sei!
    Das Vorher und Nachher ist nicht nachempfindbar. Man kann es nur glauben! Und häufig werden auch unspezifische, psychosomatische Allerweltssymptome „therapiert“, die auch prompt und meist vorübergehend auf das Ritual der  „magischen Behandlung“ anspricht. Amen!

    Übrigens lernt oft der selbsternannte Guru die Anwendung eines solchen Gerätes in wenigen Stunden…

    Copyright beim Tages-Anzeiger, 01.09.2020

    Guru-TherapeutInnen glauben im Grunde, dass der Mensch zu schwach zur Selbsthilfe ist. Sie misstrauen den Selbstheilungskräften des Klienten. Gute Beispiele dafür:

    • Gurus beschäftigen sich oft mit „Entgiftung und Entschlackung“ unseres so unreinen Körpers… Dies können wir kosten- und Nebenwirkungsfrei selbst in jeder unserer Körperzelle mittels der wunderbaren Autophagie anregen: walserblog.ch/detox-intervallfasten/
    • Sie preisen auch Mittel oder Therapien gegen „Übersäuerung des Körpers“ an und verkaufen Urintests und Basenpulver, etc. – dabei hat unser Körper starke Selbstkräfte unseren Säure-Basen-Haushalt stets im Gleichgewicht zu halten!
      walserblog.ch/uebersaeuerung/

    Bücher

    • Zur Selbsthilfe in akuten Fällen: Werner Stumpf: „Homöopathie“, GU-Ratgeber (auch als Anleitung zu einer homöopathischen Hausapotheke)
    • Für Einsteiger, die Fallbeispiele mögen: Georges Vithoulkas: „Medizin der Zukunft“, Georg Wenderoth Verlag, Kassel
    • Für wahrhaft Lern- und Wissbegierige: Georges Vithoulkas: „Die wissenschaftliche Homöopathie – Theorie und Praxis naturgesetzlichen Heilens“, Verlag Urban + Fischer
    • Und natürlich his masters voice: „Organon der Heilkunst“ von Samuel Hahnemann, Haug-Verlag, Heidelberg

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    20. Januar 2025

  • Hypertonie / Hoher Blutdruck

    Hypertonie / Hoher Blutdruck

    Disease Mongering

    Zuallererst etwas zum Disease Mongering bei der Hypertonie:
    Von einem Tag auf den anderen schnellte in den USA 2017 die Zahl jener, die an zu hohem Blutdruck litten, von 72 auf 103 Millionen hoch. Über Nacht war nicht mehr ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung davon betroffen, sondern die Hälfte. Was war geschehen? Die zwei einflussreichsten Kardiologie-Gesellschaften des Landes hatten die bislang geltenden Grenzwerte gesenkt und damit auch viele, die bislang als gesund galten, zu Kranken gemacht.
    Dasselbe geschieht nun wieder im 2024 durch aggressivere Zielwerte der ESC-Leitlinien. Angsteinflössend wirkt dabei auch die Umbenennung der „hochnormalen“ Blutdruckwerte zu „erhöhten“…
    Weiterlesen >>>

    Entzündungsneigung als zentraler Mechanismus

    Bekannt ist, dass im Rahmen des Bluthochdrucks in den Blutgefässen des Körpers eine Entzündungsreaktion auftritt, so dass der Schlüssel einer erfolgreichen Behandlung des Bluthochdrucks möglicherweise in der Abschwächung dieser Entzündungsreaktion liegt. „Seit einiger Zeit geht man davon aus, dass auch die durch Bluthochdruck geförderte Gefässverkalkung (Atherosklerose) nichts anderes als eine chronisch voranschreitende Entzündung des Gefässbettes ist.“(Quelle: Uni Mainz)

    Der Schweregrad des Metabolischen Syndroms, welches auch der Hypertonie zu Grunde liegt, korreliert mit einem Anstieg der Entzündungsneigung! Studien zeigen, dass die Stammfettsucht und die Hypertonie die gefährlichsten Risikofaktoren für die chronische Entzündung im Rahmen des Syndroms sind. (Santos et al., International Journal of Obesity, Dec 2005;29:1452-1456).

    Deshalb will ich hier gleich eine Massnahme erwähnen, die zentral diese Entzündungsneigung angeht: das Intervallfasten.

    Entzündung kann auch Folge einer Überreizung sein. Gründe für Überreizung und damit von hohem Blutdruck sind u.a. Lärmexposition oder nächtliche Lichtexposition (Computer oder TV nachts)! Eine Desynchronisation der zirkadianen Rhythmen ist ursächlich wichtig. Hochdruckpatienten sollten deshalb einen möglichst regelmässigen Tagesablauf haben und die Nachtruhe einhalten.
    Hierhin gehört auch, dass eine stete Störung unseres Inneren Friedens, d.h. eine mangelnde Gelassen- und Zu-Friedenheit auch unseren Blutdruck mit der Zeit steigen lässt. Hierzu mehr in meinem Blog und auf dieser Website.
    Und… ein Internet/Social Media, welches mich beherrscht und nicht mir dient.

    Pathologische Aktivierung des Immunsystems

    Die Entzündungsparameter im Blut (CRP, Interleukin-5, Kortisol) sind bei Patienten mit einem Metabolischen Syndrom, also auch bei der Hypertonie erhöht. Dies führt zur Rekrutierung von Immunzellen. Diese Gesamtentzündung wird heute als mitverantwortliche Ursache der Insulinresistenz, des Fehlens von Insulinsekretion wie auch der Arteriosklerose gesehen.
    Weitere Faktoren, die zur Entzündung beitragen können, sind zum Beispiel die Hypoxie, welche durch die rasche Zunahme von Fettzellen mit inadäquater Zunahme der Blutgefässe im Fettgewebe entstehen kann.
    Auch der Darmflora wir eine grosse Rolle zugesprochen. Die Darmwand ist bei Patienten mit Übergewicht und Diabetes weniger dicht: dadurch können bakterielle Wandprodukte, sogenannte Lipopolysaccharide, sie besser durchdringen und Entzündungen in verschiedenen Geweben verstärken. Die Zusammensetzung der Darmflora scheint dabei eine wesentliche Rolle zu spielen! Weiterlesen: www.dr-walser.ch/darmflora/ und über Diabetes als Entzündung

    Risikofaktor für die Arterienverkalkung und damit für den Herzinfarkt oder den Hirnschlag

    Hier muss auch angemerkt werden, dass wir uns mit einem erhöhten Blutdruck bereits irgendwo weit vorne in der Folgekette von primären Ursachen befinden. Wie ich auf meiner Seite über Herz/Kreislauf deutlich gemacht habe, ist ursächlich der chronische psychosoziale Stress (vs. Entspannung), das Bauchfett bei Bewegungsarmut und ein hoher Alkoholkonsum (neben dem Rauchen!) ins Visier zu nehmen – prophylaktisch und therapeutisch.

    Wie messen?

    Ein Blutdruck, der Ihr Hausarzt misst, ist durchschnittlich 20% zu hoch – doch aufgepasst auf den Weisskittelhochdruck gleich unten.
    Ihr Hausarzt sollte den einfachen Tiefatem-Test beherrschen (Anleitung)- oder Sie setzen oder legen sich beim Arzt in ein ruhiges Zimmer und messen nach 10 bis 20 Minuten ein paar Mal in guter Entspannung über weitere 10 Minuten weg.

    Messen Sie selbst zu Hause – und zwar morgens, gleich nach dem Erwachen, aufsitzen und mit einem Oberarm-Gerät (und keines für das Handgelenk, welches meist ungenauer ist). Gleich dreimal hintereinander messen – und nur niedrigsten Wert notieren.
    Am optimalsten ist es, falls Sie nach einer 4-7-11 Atemübung messen. Lernen Sie diese Übung auf jeden Fall, auch zur Therapie.

    Hängt der Arm bei Blutdruckmessungen herunter oder liegt er im Schoss, kann dies Blutdruckmessungen erheblich verfälschen – und zu vermeintlich hohen Werten führen. Darüber berichten Forscher in JAMA Internal Medicine. Den Arm deshalb auf einen Tisch legen, wobei sich die Hand auf Herzhöhe befinden sollte.

    Dieser Morgenwert sollte dann im Normbereich sein.

    Nehmen Sie ihr Messgerät auch zum Arzt mit und machen Sie dort Vergleichsmessungen mit dem Profi-Apparat.

    Die 24-Stunden-Blutdruckmessung ist der Goldstandard und korreliert am besten mit der Sterblichkeit (nächtliche Werte)

    Mit dem Sterberisiko korrelieren die nächtlichen systolischen Blutdruckwerte am meisten, nämlich sechsmal stärker als die Praxis-Blutdruckwerte. Demgegenüber findet sich keine Beziehung zwischen den diastolischen Blutdruckwerten (mit Ausnahme der nächtlichen Werte) und dem Sterberisiko. Personen mit «maskierter» Hypertonie (erhöhte 24-Stunden-Werte bei normalem Praxis-Blutdruck) hatten das gleiche Sterberisiko wie jene mit konstanter Hypertonie, wogegen die «Weisskittel-Hypertonie» sogar mit einem verminderten Sterberisiko assoziiert zu sein schien (HR 0,90, 95% 0,84-0,97). Ähnliche Resultate ergaben sich auch bei separater Analyse der Personen mit und ohne antihypertensive Therapie.

    Die vorliegende Studie bestätigt mit Langzeitdaten die Rolle der 24-Stunden-Blutdruckmessung als Goldstandard und die Wichtigkeit der nächtlichen Werte für Prognose und Steuerung der antihypertensiven Therapie.
    (Staplin N, et al. Relationship between clinic and ambulatory blood pressure and mortality: an observational cohort study in 59?124 patients. Lancet. 2023 Jun 17;401(10393):2041-2050. doi: 10.1016/S0140-6736(23)00733-X. [Link])

    Vielleicht kann das Messen nach 20 Minuten Liegen diesen nächtlichen Blutdruck abbilden. Versuchen Sie auch dies mal.

    Weisskittelhypertonie mit vermindertem Sterberisiko

    Ob eine Weisskittelhypertonie – auch „Praxishypertonie“genannt – klinisch von Bedeutung ist, darüber wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Sie gilt insofern als ein harmloses Blutdruckverhalten, als Ausdruck gesteigerter Blutdruckreagibilität ohne eigentlichen Krankheitswert, da offensichtlich die Mortalität nach der obengenannten Studie fast schon niedriger ist, las bei Gesunden.
    Man nimmt heute an, dass Weisskittelhypertoniker auf unterschiedliche Stressoren mit einem überschiessenden Blutdruckanstieg reagieren, d.h. sie haben auch im Alltag in belastenden Situationen oder bei körperlicher Aktivität erhöhten Blutdruck. Doch soll man daraus nicht die allgemeine Empfehlung ableiten, jeden davon antihypertensiv zu behandeln. Sehr wahrscheinlich ist es besser, sich auf die (nächtlichen) Werte der 24-Stunden-Blutdruckmessung zu verlassen.

    Eine Weisskittel-Hypertonie ist Ausdruck eines Menschen, der zuviel Feuer hat. Versuchen Sie also zuerst mit verändern Ihres Lebensstil, wegzukommen von einem „feurigen“, aufgeregten Alltag damit sich auch Ihr „feuriger Typ“ langsam harmonisiert – als Beispiel zweimal täglich 10 Minuten entspannende Atemübung.

    Blutdruck immer an beiden Armen messen

    Seitenunterschiede von 10 – 15 mmHg und mehr bei der Messung des systolischen (oberen) Blutdrucks können wichtige Hinweise auf Gefässerkrankungen liefern, die weitere Abklärung bedürfen. Britische Wissenschaftler (C.E. Clark et al., The Lancet online 2012) analysierten Daten aus 20 Studien zu diesem Thema, von denen fünf eine Angiographie einschlossen. Zeigte diese eine mehr als 50%ige Einengung der Subclavia-Arterie, betrug der Unterschied zwischen dem rechten und linken Arm gemessenen systolischen Blutdruck im Mittel 37 mm Hg. Erhöht war das Risiko einer Subclaviastenose bereits ab einem Rechts-Links-Unterschied von 10 mm Hg. Ein Unterschied von 15 mm Hg oder mehr bei den nicht invasiven Studien erwies sich als starker Hinweis auf eine PAVK (=Periphere Arterielle Verschlusskrankheit >> Risikoerhöhung um das 2,5fache) oder eine zerebrovaskuläre Erkrankung (RR 1,6). Die kardiovaskuläre Mortalität war um 70%, die Gesamtmortalität um 60% erhöht. Grundsätzlich sollte deshalb an beiden Armen gleichzeitig gemessen werden.

    Das Wichtigste in Kürze

    •     Die Diagnostik beginnt mit Blutdruckmessungen in ruhiger Umgebung und mit korrekter Technik. Als Goldstandard gilt derzeit das 24-Stunden-Blutdruckprofil. Sie korreliert auch am besten mit der Mortalität durch eine Hypertonie.

    •     Die beste Evidenz und damit eine unumstrittene Indikation für die Einleitung einer medikamentösen antihypertensiven Therapie besteht für Personen unter 65 ab 140/90, zwischen 65 und 80 Jahren ab 150/90 und über 80 ab 160/90 mmHg.

    •     Die Therapieziele richten sich nach bereits etablierten Folgeerkrankungen und nach Alter und zusätzlichen Risikofaktoren – aber mit Mass. Immer soll ein Blutdruck von unter 140/90 mm Hg angestrebt werden, wenn möglich jünger als 65 Jahren unter 130/80.

    •     Für Individuen mit etablierten Folgeerkrankungen und multiplen Risikofaktoren sollten gemäss eines Cochrane-Review von 2022 kaum niedrigere Werte angestrebt werden.

    •     Mit höherem Alter ist genauer auf die Verträglichkeit der Behandlung zu achten.

    •     Jede Blutdrucksenkung (auf 140/90), auch wenn die Ziele nicht zu 100% erreicht werden, verhindert Komplikationen und Folgeerkrankungen.

    •     In 5 bis 10% der Fälle liegt eine sekundäre Hypertonieform vor. Bei einigen von diesen ist primär die zugrunde liegende Erkrankung zu behandeln.

    (aus pharma-kritik Jahrgang 42, Nr.3 & infomed-screen Jahrgang 26(2022): Blutdruck senken: mit Mass!)

    Was ist noch normal?

    Der Ziel-Blutdruck für alle Menschen mit Hypertonie, die ein Medikament dagegen nehmen, liegt laut ESC-Guidelines 2018 unter 140/90 oder laut ESC-Leitlinie 2024 sogar unter 130/80 (für jünger als 65jährig).

    Aggressiver (oder angsteinflössender):
    Neue ESC-Bluthochdruck-Leitlinie (2024) senkt die Zielwerte und empfiehlt neue Lebensstil-Änderungen

    Die aktualisierte Hypertonie-Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) setzt auf vereinfachte, aber aggressivere Zielwerte. Für die meisten Patienten, die eine Blutdrucktherapie erhalten, liegt der neue Zielwert für den systolischen Blutdruck nun bei 130 mmHg.

    Das beim ESC-Kongress 2024 in London vorgestellte Update definiert Hypertonie weiterhin als systolischen Blutdruck von mindestens 140 mmHg und diastolischen Blutdruck von mindestens 90 mmHg. Neu ist die Kategorie „erhöhter Blutdruck“ (angsteinflössend), die bisher „hochnormal“ hiess.

    Hochnormal bedeutet einen systolischen Wert von 120 bis 140 mmHg und einen diastolischen Wert von 80 bis 90 mmHg. Bei diesen Patienten soll eine kardiovaskuläre Risikobeurteilung erfolgen, bevor über eine Therapie entschieden wird – besonders bei einem Blutdruck von ≥130/80 mmHg.

    Das Angstmachende dieser neuen aggressiven Leitlinien und deren Wortwahl ist umso problematischer, da sie starke Spannungen verursacht und die mangelnde Entspannung notabene eine der Hauptursachen für die Hypertonie ist.

    Blutdruck-Kategorien:

    • Nicht erhöhter Blutdruck: < 120/70 mmHg
    • Hochnormaler Blutdruck: 120-140 mmHg/80-90 mmHg
    • Hypertonie: ≥ 140/90 mmHg

    Die aktualisierte Hypertonie-Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) setzt auf vereinfachte, aber aggressivere Zielwerte. Für die meisten Patienten, die eine Blutdrucktherapie erhalten, liegt der neue Zielwert für den systolischen Blutdruck nun bei 130 mmHg.

    Das beim ESC-Kongress 2024 in London vorgestellte Update definiert Hypertonie weiterhin als systolischen Blutdruck von mindestens 140 mmHg und diastolischen Blutdruck von mindestens 90 mmHg. Neu ist die Kategorie „erhöhter Blutdruck“ (angsteinflössend), die bisher „hochnormal“ hiess.

    Hochnormal bedeutet einen systolischen Wert von 120 bis 140 mmHg und einen diastolischen Wert von 80 bis 90 mmHg. Bei diesen Patienten soll eine kardiovaskuläre Risikobeurteilung erfolgen, bevor über eine Therapie entschieden wird – besonders bei einem Blutdruck von ≥130/80 mmHg.

    Das Angstmachende dieser neuen aggressiven Leitlinien und deren Wortwahl ist umso problematischer, da sie starke Spannungen verursacht und die mangelnde Entspannung notabene eine der Hauptursachen für die Hypertonie ist.

    Neuer niedrigerer Zielwert

    Die Absenkung der Blutdruck-Zielwerte basiert auf neuen Studiendaten, die zeigen, dass ein niedrigerer Blutdruck mit weniger kardiovaskulären Ereignissen (Herzinfarkt, Hirnschlag) einhergeht. Der neue systolische Zielwert liegt bei 130 mmHg für die meisten Patienten, die blutdrucksenkende Medikamente erhalten.

    Dieser Zielwert stellt eine bedeutende Änderung gegenüber der vorherigen ESC-Leitlinie dar, die einen Zielwert von unter 140/90 mmHg empfahl.

    Die Empfehlung hat jedoch Vorbehalte: Die Behandlung muss gut vertragen werden. Bei Patienten mit symptomatischer orthostatischer Hypotonie (Symptome vom tieferen Blutdruck v.a. beim plötzlichen Aufstehen), bei Patienten ab 85 Jahren, bei moderat bis schwer gebrechlichen Patienten und bei Patienten mit begrenzter Lebenserwartung können weniger strenge Therapieziele angesetzt werden. Für diese Patienten empfiehlt die Leitlinie einen Zielwert, „der so niedrig ist, wie in vernünftiger Weise erreicht werden kann.“

    Neue Lebensstil-Empfehlungen

    Die aktualisierte Leitlinie enthält auch neue Empfehlungen zur Senkung des Blutdrucks durch Lebensstil-Änderungen, etwa zur körperlichen Aktivität und zur Kalium-Supplementation.

    Regelmässige Bewegung:

    • 2,5 Stunden moderate körperliche Aktivität pro Woche oder mindestens 75 Minuten Sport von hoher Intensität.
    • Ergänzt durch 2- bis 3-mal wöchentliches dynamisches oder isometrisches Krafttraining von geringer bis moderater Intensität.

    Empfohlen wird auch, dass Patienten mit Hypertonie ihre Kaliumzufuhr erhöhen, entweder durch Salzersatzprodukte (Kaliumsalz statt Natriumchlorid) oder eine Ernährung, die reich an Obst und Gemüse ist.

    Typischerweise ist der Blutdruck nachts tiefer als am Tag, bei Anstrengung steigt er. Mit zunehmenden Alter ist er höher als in der Jugend. Bei manchen Menschen ist der Blutdruck an einem Arm höher als am anderen. In diesem Fall zählt der höhere Wert. Bei tiefen Aussentemperaturen (Winter) ist er höher als im Sommer.

    Die Angaben der Grenzwerte für den Blutdruck unterlagen in der medizinischen Fachliteratur in den letzten Jahren grossen Schwankungen: Normal ist sicher unter 120 mmHg systolisch (d.h. für den oberen Blutdruckwert) und unter 80 mmHg diastolisch.
    Die Beziehung zwischen Blutdruck und kardiovaskulärem Risiko scheint kontinuierlich, konsistent und von anderen Risikofaktoren unabhängig zu sein. Je höher der Blutdruck, desto höher das Risiko für Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Hirnschlag und Nierenerkrankung. Für Menschen zwischen 40 und 60 Jahren verdoppelt jeder BD-Anstieg über 135/85 systolisch um 20mmHg und diastolisch um 10 mmHg das kardiovaskuläre Risiko.

    Hochnormaler (oder neu erhöhter) Blutdruck erfordert also Kontrolle – nicht Therapie… und rufen nach Änderungen des Lebensstils.

    Es gibt Stimmen von medizinischen Forschern, bei Menschen im Alter über 70 Jahren künftig nur noch den systolischen (den oberen) Blutdruckwert zu bestimmen – und zu behandeln.

    Blutdrucknormwerte im Alter

    • Isolierter systolische Hypertonie im Alter über 65 ist ein gängiges Problem. Während bei Mann und Frau der systolische Blutdruck mit dem Alter ansteigt, reduziert sich der diastolische Druck oder bleibt gleich. Das bedeutet, dass die isolierte systolische Hypertonie jenseits des 50. Lebensjahrs stetig häufiger wird. Solange der systolische Druck unter 140 mmHg bleibt, genügen zunächst „Lifestyle“-Modifikationen (Gewichts- und Alkoholreduktion, mehr Kalium, Bewegung usw.).
      Bei BD-Werten über 140 bis 150 mmHg: Standard-Hypertoniebehandlung mit Ziel systolischer Druck 140 mmHg:  Thiaziddiuretika oder ACE-Hemmer.
      Achtung! Unklar sind Bedeutung und Folgen abnorm tiefer diastolischer Werte.
    • Bei Patienten über 80 Jahren mit isolierter systolischer Hypertonie ist der Nutzen einer Behandlung nur ab einem Druck von 160 mmHg klar dokumentiert. Der Nutzen zur Reduzierung kardiovaskulärer Ereignisse (Herzinfarkt, Hirnschlag) zeigt sich dabei bereits innerhalb eines Jahres.
    • Über 85jährige haben nach anderen Studien sogar die höchste Überlebensrate mit einem systolischen Blutdruck von 160 mmHg und sollten nicht unter systolisch 140 mmHg  sein! (Journal of the American Geriatrics Society, 2008, Vol 56, Issue 10, 1853-59 – Lower Systolic Blood Pressure is associated with greater mortality in people aged 85 and older. Lena Moalneder et al.)
    • US-Neurologen haben in einer Studie mit 559 Frauen und Männer über 90 Jahren festgestellt, dass hoher Blutdruck, der erst im Alter auftrat, sogar vor Demenz schützt! Möglicherweise ist bei Hochbetagten ein höherer Druck erforderlich, um das Gehirn ausreichend mit Blut zu versorgen. (DOI: 10.1016/j.jalz.2016.09.007).
    • Erschwerend ist bei über 80jährigen, dass ihr Blutdruck mit zunehmenden Aussentemperaturen sinkt, also auch stark Jahreszeiten-abhängig ist. In diesem Alter sollte also eine blutdrucksenkende Therapie auch übers Jahr variiert werden (Arch Intern Med: 169(1):75-80, 12 January 2009; Relationship Between Blood Pressure and Outdoor Temperature in a Large Sample of Elderly Individuals – The Three-City Study. Annick Alperovitch, Jean-Marc Lacombe, Olivier Hanon, et al.)

    Der diastolische (untere) Blutdruck beeinflusst die (frühzeitige) Sterblichkeit ebenfalls. Hier gilt jedoch:
    Je niedriger die Werte, bzw. je grösser die Blutdruckamplitude (Unterschied zwischen oberem und unterem Blutdruckwert), desto grösser die Gefahr für die Patienten! (Jan A. Staessen, Hypertension an Cardiovascular Research Unit, Uni of Leuven, et al.; The Lancet, Vol.355, No. 9207 (2000), S. 865-871: Metaanalyse von acht Interventionsstudien mit 16’000 Patienten über 60 Jahre).

    Prognostischer Wert von systolischem und diastolischem Blutdruck

    Bei Personen über 50 Jahre ist der systolische (obere) Blutdruck ein guter Prädikator des kardiovaskulären (Arterienverkalkung im Herz-Kreislauf) und koronaren (Verkalkung der Herzkranzgefässe: Herzinfarkt) Risikos. Der diastolische Blutdruck ist immer noch Hauptkriterium zur Abschätzung der Medikamentenwirksamkeit, scheint aber zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos nur geringen Wert zu haben (Athanase Benetos et al.: Prognostic value of systolic and diastolic blood pressure in treated hypertensive Men. Arch.Intern.Med. 2002; 162: 577-581).

    Weitere Risikofaktoren?

    Zudem wäre wichtig zu wissen, ob man mit diesem Blutdruck noch weitere Risikofaktoren für die Arterienverkalkung aufweist:
    Nikotinkonsum, Diabetes, hohe Blutfette, Übergewicht, Bewegungsmangel >>>Weiterlesen über das metabolische Syndrom.
    Falls dies zutreffen würde, wäre eine strengere Therapie sowieso angebracht. (Risikoberechnung unter  www.chd-taskforce.de : PROCAM Risk Calculator und speziell für Frauen: Framingham Risk Assessment).

    Was tun?

    Rauchen und Alkohol stoppen!

    Zuallererst: Stoppen Sie ein allfälliges Zigarettenrauchen! Das Rauchen zusammen mit dem hohen Blutdruck ist eine enorme Zeitbombe für die Arterienverkalkung!

    Darauf reduzieren Sie Ihren Alkoholkonsum auf höchstens drei Gläser Rotwein pro Woche (übermässiger Alkoholkonsum ist die häufigste Ursache einer mässigen Hypertonie). Regelmässiger Alkoholkonsum über 30 Gramm täglich (d.h. mehr als 2-3 Standarddrinks, Frauen 1-2) steigert den Blutdruck massiv!

    Normalgewicht und Kurzfasten zur Entzündungsreduktion

    Versuchen Sie auf ein Normalgewicht (resp. auf einen normalen Bauchumfang – das Bauchfett ist dabei wichtig – das Fett um Hüften und an den Oberschenkeln ist sogar Blutdruck-senkend!) abzunehmen. Am besten wirken hier längere Zeitabschnitte (16 bis 72 Stunden) ohne Nahrung: Kurz- oder  Intervallfasten (16:8 oder 5:2)!
    Der Stoffwechsel wird dadurch umgestellt und auch die Entzündungsneigung vermindert sich, dass auch der Blutdruck sinken kann.
    >>> sensationelle Studie übers Abnehmen und seine Wirkung auf die Arterienverkalkung >>>
    Achtung: Eine Gewichtszunahme bei Frauen nach den Wechseljahren wird häufig durch Blutdruckmedikamente verursacht oder verschlimmert.

    Bewegung

    Bewegen Sie sich täglich 30 oder dreimal die Woche 60 Minuten lang. Strammes Spazieren reicht durchaus – oder ein halbstündiges Ausdauerprogramm zu Hause (Liegestütze, Springseil, Boxerlauf, Kniehebelauf und Anfersen, Skaten an Ort, Squat Jumps, Hampelmann…).
    2018 werteten Forscher der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie 34 Übersichtsstudien aus. Besonders überraschend: Krafttraining, das lange als schädlich bei Bluthochdruck galt, wirkt gut. Am meisten profitieren davon Menschen mit nur leicht erhöhten Blutdruckwerten. Zum Krafttraining gehören Übungen mit Gewichten. Aber auch Kniebeugen und Liegestütz, die mit dem eigenen Körpergewicht arbeiten, sind wirksam. Um einen messbaren Effekt zu erreichen, sollte man mehrmals pro Woche trainieren. Dabei ist das richtige Atmen wichtig: Beim Training mit hohen Lasten setzt meist automatisch eine Pressatmung ein. Dabei hält man während der Übung die Luft kurz an und atmet dann kraftvoll wieder aus. Das lässt jedoch den Blutdruck hochschnellen. Eine schonendere Atemtechnik ist die Lippenbremse. Bei dieser atmet man durch die Nase ein und durch die locker aufeinander liegenden Lippen aus.
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    Ein neuer Favorit am Bewegungshimmel ist aber (seit 2023) das isometrische Krafttraining. Bei diesen Übungen hält man die Körperspannung für eine gewisse Zeit an (Beispiel Unterarmstütz=Planks).
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    Im British Journal of Sports Medicine https://bjsm.bmj.com/content/early/2023/07/02/bjsports-2022-106503  untersuchten britische Wissenschaftler von Cambridge vier grundsätzlich verschiedene Trainingsansätze auf ihre blutdrucksenkende Wirkung: hochintensives Intervalltraining mit kurzen, extrem intensiven Übungseinheiten; aerobes Training wie Laufen oder Fahrradfahren, ohne ausser Atem zu geraten; dynamisches Widerstandstraining zum Beispiel Kniebeugen; und isometrisches Training, bei dem die Muskeln zwar angespannt werden, ihre Länge aber nicht verändern. Aerobes Laufen galt lange Zeit als probates Trainingsmittel gegen Hypertonie. Nun destillierten die Forscher aus 270 Studien mit insgesamt 16.000 Probanden einen neuen Favoriten: das isometrische Training.

    Mit Übungen wie der Unterarmstütz – heute besser bekannt als Planks (dr-walser.ch/rueckenschmerzen/#prophylaxe) – oder dem Sitzen in der Hocke an der Wand sank der Druck um 8 (oberer Wert) und 4 mmHg (unterer Wert). Mit Ausdauertraining wie Laufen hingegen konnten Probanden ihren Blutdruck durchschnittlich nur um 4,5 und 2,5 mmHg senken.

    Das als Trainingsmethode in den vergangenen Jahren gefeierte hochintensive Intervalltraining senkte den Blutdruck am wenigsten.

    Nun sollte niemand der Illusion erliegen, dass isometrische Übungen weniger schweisstreibend sind als eisenhartes Krafttraining oder moderates Joggen. Für eine kurze Zeit senkt die Anspannung im Muskel die Durchblutung, deshalb sollten Anfänger nur langsam die Belastung steigern – und dabei das gleichmässige Atmen nicht vergessen. Die Pressübungen verführen dazu, die Atemmuskulatur ebenfalls anzuspannen, was schon deshalb kontraproduktiv ist, weil dann in die Muskulatur noch weniger Sauerstoff strömen kann.

    Immerhin ist der Aufwand für zwei bis vier Mal isometrisches Training pro Woche in den eigenen vier Wänden geringer, als bei jedem Wetter vor die Tür gehen zu müssen. Der Nachteil: Bei den statischen Übungen wird die Koordination der Muskeln nicht trainiert.

    Optimal ist auch hier sicher ein Mix dieser drei Bewegungsarten (aerobe Ausdauer, isometrische Muskelübungen und Krafttraining) auf die Länge.

    Ernährung

    • Essen Sie kochsalzarm (wenig Natrium, aber viel Kalium: siehe gleich unten) und Pflanzenfasern reich (viel Obst, Getreide und rohes Gemüse). Diese Massnahme ist für ältere Menschen über 65 absolut wichtig.
      Mehr als etwa 5 Gramm pro Tag ist sehr schädlich (aber auch dies nur für Hypertoniker – Menschen ohne Hypertonie ertragen sogar dies).
      Vor allem abends sollte kein Salz eingenommen werden! Salz am Abend wirkt stark Blutdruck erhöhend!
    • Kalium wirkt natriuretisch. Kochsalz ist Natriumchlorid und meist Blutdruck steigernd (siehe oben). Eine hohe Kaliumzufuhr bewirkt das Gegenteil. Viel Kalium hat man im Obst, Nüssen und Gemüse! Sehr kaliumhaltig sind Bananen, Spinat, Broccoli, Nüsse und Vollkorn (siehe auch hier >>>)
    • Eine vegetarische Ernährung senkt gemäss einer grossen Metastudie den systolischen BD um 10 mmHg und den diastolischen um 5 mmHg (Yokoyama Y et al., JAMA Intern Med 2014).
    • Mehr als 3 Kaffees pro Tag wirken ebenfalls etwas blutdrucksteigernd. Wer drei Tassen Kaffee pro Tag trinkt, hat aber trotzdem ein geringeres Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu sterben als Menschen, die keinen Kaffee trinken. Trinkt man noch mehr Kaffee, schadet das zwar nicht, die schützende Wirkung wird aber nicht stärker. Zu diesem Ergebnis kamen britische Forscher, die mehr als 200 Studien ausgewertet haben.
    • Tee, massvoll senkt den Blutdruck: Forscher aus Kalifornien haben mit einer neuen Studie eine Erklärung dafür gefunden, warum grüner und schwarzer Tee blutdrucksenkend wirken: Gewisse Bestandteile der Tees stellen die Blutgefässe weit, indem sie Ionenkanäle in der Gefässwand aktivieren, die dafür sorgen, dass sich die Muskulatur entspannt. Schon frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass grüner und schwarzer Tee den Blutdruck senken können, und man wusste bereits, dass sogenannte Katechine daran beteiligt sind.
      Schwarzer Tee wird oft mit Milch getrunken. Obwohl Milch in der Studie die vorteilhaften Wirkungen von Tee in Laborexperimenten verringerte, gehen die Forscher davon aus, dass dies beim Menschen nicht der Fall ist. Man muss also beim Trinken von Tee nicht auf Milch verzichten, um die vorteilhaften Eigenschaften von Tee zu nutzen.
      Diese Annahme wird durch andere Untersuchungen bestätigt, die die blutdrucksenkende Wirkung von Tee unabhängig vom Zusatz von Milch belegen. Bei 35 Grad scheinen die Katechine ihre beste Wirkung zu entfalten. Auch dies ist kein Problem, denn unabhängig davon, ob Tee nun kalt oder heiss getrunken wird: Durch die Körpertemperatur entfalten sie automatisch ihre optimale Wirkung.
      Aber auch Tee/Grüntee immer massvoll (also nicht zu viel). Einer meiner Patienten mit therapieresistentem Bluthochdruck über Jahre hatte nach Reduktion von Grüntee von täglich 1.5 Liter auf 2 Tassen völlig normalen Blutdruck.
    • Der antioxydativen Radikalfängereffekt kann auch den BD senken : Deshalb wirkt wohl Fischöl, Grüntee und Kaffee in Massen und Kakao (schwarze Schokolade). Es zeigte sich in einer grossen und exakten Studie eine progressive Blutdrucksenkung mit Einnahme von täglich nur 7 Gramm dunkler, polyphenolreicher Schokolade abends. Der systolische Blutdruck wurde im Mittel um 3 mmHg, der diastolische Blutdruck um 2 mmHg gegenüber der Kontroll-Gruppe gesenkt; in dieser (mit Einnahme von weisser, polyphenolfreier Schokolade) blieben die Blutdruckwerte unverändert (Dirk Taubert et al. Effects of Low Habitual Cocoa Intake on Blood Pressure and Bioactive Nitric Oxide. JAMA. 2007; 298(1):49-60).
    • 100 Gramm Heidelbeeren pro Tag senken nach 8 Wochen den systolischen Blutdruck um 7mmHg und den diastolischen um 5mmHg. Dies tun wohl auch alle regelmässig eingenommen Früchte und auch Gemüse durch ihren Kaliumgehalt.
    • 3 Tassen Hibiskus-Tee täglich (Hibiskus-Tee wird auch unter den Namen Karkade oder ägyptischer Malventee verkauft) senkt den systolischen Blutdruck um 13 mmHg. (Studie der Tufts-Uni Boston, USA, D. McKay et al.: systolisch zwischen 120 und 150 mmHg und diastolisch niedriger als 95 mmHg als Ausgangspunkt. Studie über 6 Wochen täglich drei Tassen frisch aufgebrühten Hibiskus-Tee. Dies senkte systolisch im Schnitt um 7 mmHg, das Placebo nur um 1,3 mmHg. Besonders gut sprachen Probanden mit hochnormalen oder schon leicht hypertensiven Blutdruckausgangswerten (130 mmHg oder höher) an: In dieser Subgruppe sank der systolische Wert sogar im Schnitt um 13 mmHg (Placebo: 1,3 mmHg).
    • Einen Viertel Liter Randensaft senkt den Blutdruck via Nitrit und Stickoxid (siehe unten beim Mundwasser) innert drei Stunden systolisch im Schnitt um 10 mmHg; diastolisch um 8 mmHg. (Studie von 2018 in Hypertension)

    Kochsalzarm essen

    In einer grossen Meta-Analyse von 2020 zu der ein sehr übersichtliches visuelles Abstract erhältlich ist (https://pkweb.ch/visabstr), wurde untersucht, wie sich eine reduzierte Kochsalzzufuhr auf den Blutdruck auswirkt. 133 Studien mit über 12’000 beteiligten Personen wurden berücksichtigt. Bei älteren Leuten und solchen mit höheren systolischen Blutdruckwerten war diese Wirkung deutlicher ausgeprägt. Studien, die weniger als 15 Tage dauerten, erfassten die Wirkung der NaCl-Reduktion nicht gut; in längeren Studien war die Abnahme des systolischen Blutdrucks (durchschnittlich um 2,13 mm Hg) viel eindeutiger.
    Eine weitere Bestätigung der schon in vielen Studien dokumentierten Bedeutung der Kochsalz-Zufuhr. Das Ausmass der mit einer salzarmen Diät erreichten Blutdrucksenkung mag geringfügig erscheinen, muss aber im Rahmen einer umfassenden nicht-medikamentösen Therapie gesehen werden, bei der ganz sicher auch die Kalorien und eine reichliche Kaliumzufuhr (Früchte, Gemüse!) eine wichtige Rolle spielen und die dann zweifellos eine durchaus relevante Blutdrucksenkung erreichen kann.

    Rhythmisierung

    • Auch ein regelmässiger Tagesablauf mit gut eingeplanten Essenszeiten ist sehr wichtig. Licht und Nahrung sind die wichtigsten Zeitgeber für den Menschen. Sie sollten synchron sein. Das heisst man sollte eine Hauptmahlzeit und eins bis zwei kleinere Mahlzeiten regelmässig planen.
    • Hypertonie kann auch Folge einer Überreizung sein. Gründe für Überreizung und damit von hohem Blutdruck sind u.a. Lärmexposition oder nächtliche Lichtexposition (Computer oder TV nachts)! Eine Desynchronisation der zirkadianen Rhythmen ist ursächlich wichtig. Hochdruckpatienten sollten deshalb einen möglichst regelmässigen Tagesablauf haben und die Nachtruhe einhalten.
    • Dann natürlich der Dauerstress durch ein Internet und vor allem Socialmedias, die mir nicht nützlich sind, sondern mit Energie absaugen und mich in hohe Touren bringen!
    • Schlafen Sie genug, gut und ungestört?
      Falls Sie durch Lärm oder Licht gestört werden oder durch eigenes Schnarchen unruhig schlafen, probieren Sie dies unbedingt zu verbessern. Gestörter Schlaf kann ebenfalls eine (Mit-)Ursache für einen hohen Blutdruck sein (auch an das Schlaf-Apnoe-Syndrom denken!).
      Man fand, dass eine Schlafdauer von 5 Stunden pro Nacht bei Personen zwischen 30 und 60 Jahren mit einem signifikant erhöhten Risiko für Hypertonie einhergeht. (James E. Gangwisch et al. Hypertension 2006; 47: 833).
      Als Regel kann man aus diversen Studien sagen, dass 1 Stunde mehr Schlaf den systolischen Blutdruck um 16 mmHg senkt!
    • Zudem senkt auch ein regelmässiges Mittagsschläfchen von mindestens 30 Minuten den Blutdruck eindrücklich (ESC-Kongress 2015).

    Entspannung

    • Zweimal täglich 11 Minuten eine entspannende 4/7-Atemübung wirkt Wunder (auch direkt vor der Blutdruck-Messung!):
    • Eine tägliche zwanzig minütige (oder einfach zweimal am Tag 10 Minuten bewusst tief atmen!) Atemmeditation senkt den Blutdruck. Sie senkt das Stresshormon Kortisol und entspannt die Blutgefässe. Als Nebeneffekt tritt auch weniger Kopfschmerzen und Asthma ein.(V.Barnes, Psychosomatic Med, Bd.66/6, 2004)
      Bauen Sie ein paar Entspannungsübungen in Ihren Tagesablauf ein >>> Weiterlesen >>>
      Bei der Hypertonie mache ich mit dem „Inner Smile“ beste Erfahrungen. Es ist für die Betroffenen auch eindrücklich, während der Konsultation den „vorher/nachher-Effekt“ zu sehen, messbar, wobei ein grosser Teil sicher der „Deep-Breath-Effekt“ ist.
      Ich instruiere die Leute mit einer geführten inneren Reise durch ihre Arterien, das Lächeln wird dabei erst ins Herz geschickt, dann fliesst es durch die Aorta in den Kopf, dann in die Arme, in die Lungen, Nieren, Bauchraum, Beine. Beim Einatmen aufs Lächeln im Herzen konzentrieren, beim Ausatmen an den entsprechenden Ort schicken. Das wird täglich in Zusammenhang mit der Blutdruckmessung geübt und bei jeder Aufregung im Alltag angewandt. So ist auch ein Langzeiteffekt garantiert.
      Mehr zum „Inner Smile“ hier auf meiner Seite zur: www.dr-walser.ch/entspannung/#inner_smile
    • Ein verspannter Nacken erhöht den Blutdruck. Eine entspannende Nackenmassage kann deshalb den Blutdruck senken. Die Nackenmuskeln schicken ständig Signale in einen Teil des Gehirns, der für die Steuerung von Blutdruck, Herzschlag und Atmung zuständig ist. Sind die Nackenmuskeln verspannt oder verletzt, schicken sie falsche Signale. Dadurch erhöht sich der Blutdruck. (Journal of Neuroscience, www.jneurosci.org/cgi/content/full/27/31/8324)

    Zudem?

    • Regelmässiges Blutspenden senkt den Blutdruck! Bei viermal jährlich sinkt der Blutdruck systolisch und diastolisch um 10mmHg oder mehr – und dies nur bei Hypertonie (und nicht bei normalem Ausgangsblutdruck).(Kamhieh-Milz S et al.; Epub Dec, 2015)
      .
    • Blutdrucksteigernde Substanzen (Medikamente, Drogen):
      Einige Medikamente können als unerwünschte Nebenwirkung den Blutdruck erhöhen: so zum Beispiel das Schmerzmittel Paracetamol (bei mehrmals 1 Gramm pro Woche) oder alle Schmerzmittel der NSAR-Gruppe (Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen,…).
      Dann auch die Sympathomimetika, Kontrazeptiva (Antibabypille), Erythropoietin, Ciclosporin, Tacrolimus; Anabole Steroide (Anabolika, Testosteron), Alkohol, Kokain; Lakritze (in Kaugummi, etc…), Ma Huang („herbal ecstasy“)!
      .
    • Nie regelmässig ein antiseptisches, desinfiszierendes Mundwasser anwenden. Anorganisches Nitrat aus der Nahrung wird durch Bakterien in der Mundhöhle n zu Nitrit umgewandelt. Dieses wird dann aufgenommen und zu gefässerweiternd wirkendem Stickoxid (NO) umgewandelt. Durch das Mundwasser wird die Bakterienpopulation in der Mundhöhle dezimiert und die Produktion von Stickoxid reduziert.
      Mehr über gesunde Zahnpflege hier: walserblog.ch/zahnpflege/

    Deshalb können auch Nitrat-reiche Nahrungsmittel – wie z.B. Randen – den Blutdruck auf diese Art via Nitrit und Stickoxid senken (siehe oben).

    Medikamente gegen den hohen Blutdruck (Antihypertensiva)

    Und erst wenn Sie alles Obige 3 Monate regelmässig getan haben und keine Verbesserung bemerkt haben, denken Sie (mit Ihrem Hausarzt zusammen) an die Einnahme eines Medikamentes.
    Falls nur dieser eine Risikofaktor vorliegt, kann eine Blutdrucknormalisierung die Arteriosklerose und damit den Herzinfarkt, den Hirnschlag etc. verhindern. Eine andere Frage ist, ob dies wirklich lebensverlängernd wirkt oder ob die Nebenwirkungen der Medikamente dies verhindern .

    Einmal täglich einzunehmende Blutdrucksenker können zu einem Zeitpunkt eingenommen werden, der den Wünschen und den Gegebenheiten des Patienten am besten entspricht.

    Ergebnisse der Studien TIME von 2022 (https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)01786-X/fulltext ), BedMed und BedMed-Frail sowie eines systematischen Reviews mit Metaanalyse aller derzeit verfügbaren Studien zeigen, dass Blutdrucksenker dann eingenommen werden sollten, wenn die grösste Chance besteht, dass der Patient die Einnahme nicht vergisst.

    Die bisher grösste Studie zur Hochdrucktherapie mit Medikamenten, die sog. ALLHAT-Studie (2020, infomed) zeigte, dass die langfristigen Risiken für Endpunkte wie Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Morbidität, aber auch Mortalität und Morbidität in Bezug auf KHK, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz im Endstadium und Krebs zwischen den Gruppen vergleichbar waren. Sie zeigte aber eine Überlegenheit des alten Diuretikums Chlorthalidon gegenüber neueren Blutdruckmitteln in Bezug auf das Schlaganfallrisiko. Niedrig dosierte Diuretika (Thiazid-Diuretika) müssen als wirksamste, sicherste und verträglichste blutdrucksenkende Wirkstoffe gelten und sind Mittel der ersten Wahl (23 Jahre Nachbeobachtungszeit).

    Mit einer Monosubstanz kann aber maximal eine Blutdrucksenkung von etwa 20/10 erreicht werden. Man benötigt also bei höheren Werten meist eine Kombination von zwei Mitteln. Dabei kommt es nicht so darauf an, was man kombiniert (Diuretika, Betablocker, ACE-Hemmer oder Sartane, Kalziumantagonisten) sondern nur wie stark die Senkung des BD wird (Schlechte Kombinationen wegen der Potenzierung von Nebenwirkungen sind: ACE-Hemmer + Sartane oder Betablocker + Sartane). Es wird überhaupt allgemein als besser angesehen (und zeitigt weniger Nebenwirkungen), falls 2 oder 3 Hochdruck-Medikamente in niederen Dosen (anstatt 1 in hoher Dosis) eingenommen wird.

    Keine systematische medikamentöse Behandlung erhöhter Blutdruckwerte während eines akuten Spitalaufenthalts

    Erhöhte Blutdruckwerte sind während eines akuten Spitalaufenthalts häufig und führen oft zu einer Verstärkung (Intensivierung) der antihypertensiven Therapie oder zur Initiierung einer medikamentösen Therapie bei Personen ohne vorbekannte Hypertoniediagnose. Mehrere Faktoren können tatsächlich den Blutdruck während eines akuten Spitalaufenthalts erhöhen, zum Beispiel Schmerzen, Stress, Angst, Schlafmangel, unbehandelte Schlafapnoe, Entzug oder Fieber. Bei fehlenden Hinweisen für einen hypertensiven Notfall («hypertensive emergency », das heisst mit Endorganschädigung) oder für eine hypertensive Krise («hypertensive urgency », das heisst mit Risikofaktoren für Komplikationen) gibt es während eines akuten Spitalaufenthalts keine Indikation, eine antihypertensive Therapie zu starten oder zu intensivieren. Im Gegenteil kann der Beginn oder die Intensivierung einer solchen Therapie Komplikationen (z.B. Schwindel, Stürze) begünstigen, ohne die Einstellung des Blutdrucks langfristig zu verbessern. Während eines akuten Spitalaufenthalts muss man vorerst hypertensive Notfälle und hypertensive Krisen erkennen und in anderen Situationen auf eine medikamentöse Therapie verzichten. Parallel dazu müssen externe Faktoren, die zu einer Blutdruckerhöhung führen können, gesucht und behandelt werden.
    (aus der Top-5-Liste der „smarter medicine“ für die stationäre Allgemeine Innere Medizin, 2023)

    Morgens oder abends einnehmen?

    Die medikamentöse Behandlung der Hypertonie hat in erster Linie zum Ziel, kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern. Soll im Hinblick auf diese Zielsetzung die Einnahme der Medikamente vorzugsweise morgens oder eher abends empfohlen werden? Zu dieser Frage wird seit über 20 Jahren geforscht – trotzdem gibt es dazu bis heute anhaltende Diskussionen und kontroverse Ansichten. Um hier Klarheit zu schaffen, wurde im Jahr 2011 in Grossbritannien eine Studie gestartet, die unter dem Akronym TIME («Treatment In Morning versus Evening») lief. Das Forschungsprojekt war als prospektive randomisierte Studie angelegt. Je gut 10’000 Personen mit erhöhtem Blutdruck nahmen die Medikamente am Morgen bzw. am Abend ein. Ansonsten unterschieden sich die beiden Populationen nicht: die Beteiligten waren im Mittel um 65 Jahre alt und durchschnittlich leicht übergewichtig, die meisten rauchten nicht. Als primärer Endpunkt galt eines der folgenden Ereignisse: Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod.
    Die Studie kommt zum Schluss, dass bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse statistisch keine Differenz ersichtlich ist, die Einnahme der Medikamente am Morgen oder am Abend also keinen Unterschied mache. Man kann deshalb empfehlen, den Zeitpunkt nach persönlichen Vorlieben zu wählen, allenfalls unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen. (Studie)

    Kommentar im zitierten infomed-screen:
    „Als Hausarzt kann ich nun in der Sprechstunde die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt der Tabletteneinnahme locker angehen. Wichtiger als diese Frage sind wohl Themen rund um den Lebensstil. Immerhin rauchten fast 5% der an der Studie Beteiligten, ein Grossteil war übergewichtig und über 10% hatten Diabetes. Diese Faktoren fallen letztlich eher ins Gewicht, sie sind die eigentlichen Knackpunkte.“

    Vorsicht: Ältere Patienten (über 70) und solche mit bereits bestehenden Kranzgefässkrankheiten (KHK) – oder vielleicht immer vor Beginn einer Medi-Therapie immer eine 24-Stunden-Blutdruckmessung (und wo der BD nachts sowieso schon abfällt (= Dipping) auch nicht abends geben.

    Im Winter (höhere Blutdruckwerte bei tieferen Temperaturen) sollte intensiver behandelt werden als im Sommer (dann Neigung zu tiefen Werten und Kreislaufkollaps).

    Vorsicht Sturzgefahr! Bei betagten Menschen können Blutdrucksenker genauso viel schaden wie nützen. Der Grund: Die Senioren stürzen unter Blutdruckmitteln häufiger. Zu diesem Resultat kommt eine US-Studie mit rund 5000 über 70-Jährigen. Besonders gefährdet waren jene, die bereits einmal gestürzt waren und unter mehreren Krankheiten litten.

    Achtung: Bei einer systolischen Blutdrucksenkung auf unter 140 mmHg muss auch der diastolische Blutdruck beachtet – und falls möglich – nicht zu stark, d.h. möglichst nicht unter 80 mmHg gesenkt werden!
    ( http://www.evimed.ch/journal-club/artikel/detail/schaedigt-ein-diastolischer-blutdruck-das-myokard-unabhaengig-vom-systolischen-blutdruck/)

    Man muss sich hier im Klaren sein, dass die Blutdruckmittel ein Riesengeschäft bedeuten (v.a. seit die Guidelines in den vergangenen Jahren immer tiefere Blutdruckwerte für noch normal erklären). Dieser „Kuchen“ ist im Jahr weltweit auf 36 Milliarden Dollar angewachsen und die vier bestverkauften Medikamente gegen Bluthochdruck brachten allein 8 Milliarden Dollar ein!

    Gewichtszunahme nach Menopause durch Medikamente

    Frauen nach der Menopause Vorsicht vor Antidepressiva und Betablockern: Viele Pillen gegen Bluthochdruck, Diabetes, Depressionen und andere psychische Probleme begünstigen eine Gewichtszunahme. Sie werden Frauen oft verschrieben beim Übergang in die Wechseljahre – einem Zeitpunkt, wo viele häufig bereits übergewichtig sind.
    US-Forscher fanden gemäss der Zeitschrift «Menopause» in einer Studie heraus, dass schon die Einnahme von einem solchen Medikament mit einer stärkeren Erhöhung des Body-Mass-lndex und des Taillenumfangs verbunden war im Vergleich zu Frauen, die keine dieser Arzneien einnahmen. Mit steigender Anzahl der geschluckten Medikamente nahm der Effekt noch zu. Frauen mit einem zu Beginn höheren Gewicht waren zudem anfälliger für eine weitere Zunahme. Die Forscher hatten die Gewichtsveränderungen der Patientinnen nach Beginn der Einnahme von Antidepressiva, Insulin und Betablockern während dreier Jahre verfolgt.
    Auf Lebensstil achten
    Als Reaktion auf die Ergebnisse der Studie raten die Forscher zur Wachsamkeit bei der Verschreibung solcher Medikamente nach der Menopause: Sie sollten nur mit Bedacht eingesetzt werden. Neben einer minimalen Medikation gelte es im Kampf gegen eine Gewichtszunahme im Alter aber auch, auf Aktivität, Ernährung und Schlafqualität zu achten.

    Entscheidend ist, wo sich das Fett befindet

    Gute Nachricht für all die Menschen, die mit ihren massigen Beinen hadern: Laut einer neuen Studie haben sie ein geringeres Risiko für Bluthochdruck und Herzkrankheiten. Diese überraschenden Ergebnisse wurden an der Jahrestagung der Amerikanischen Herzgesellschaft (AHA) präsentiert (SOURCES: Aayush Visaria, MPH, Rutgers New Jersey Medical School, Newark, N.J.; Sept. 10, 2020, presentation, American Heart Association virtual hypertension meeting).
    Im Vergleich zu Personen mit dünnen Beinen hatten Teilnehmende mit mehr Fett, insbesondere an den Oberschenkeln, eine um 60 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit für Bluthochdruck und Herzprobleme: Der erste Blutdruckwert, der sogenannt systolische, war bei ihnen zu 55 Prozent seltener erhöht; und der zweite Wert, der diastolische, zu 40 Prozent.
    Es geht also nicht nur darum, wie viel Fett jemand hat, sondern auch darum, wo sich das Fett befindet. Wir wissen, dass Fett um die Taille herum gesundheitsschädlich ist, aber von Fett an den Beinen (und an den Hüften – man spricht dann von „Reithosen“) kann man das offenbar nicht sagen. Es schützt nach allen bisherigen Erkenntnissen möglicherweise sogar vor Bluthochdruck.

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    11. September 2024

  • Trinken beim Marathon – Hyponatriämie

    Ausgetrocknet oder überwässert?

    Flüssigkeitsersatz beim Sport ist ein ganz schöner Balanceakt: Trinken die Athleten zu wenig, dehydrieren sie und bekommen Probleme mit Herz und Kreislauf, der Thermoregulation und der Muskelfunktion. Trinken sie zu viel oder falsch, droht eine Hyponatriämie, die zu epileptischen Anfallen, intrakranieller Druckerhöhung, Lungenödem und Atemstillstand führen kann.
    Leider sind die Symptome von Überwässerung und Austrocknung zu Beginn jedoch so ähnlich, dass die Sportler daraus kaum Rückschlüsse auf ihren Hydratationszustand ziehen können: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Orientierungsstörungen und Kopfschmerzen treten sowohl bei Überwässerung als auch bei Austrocknung auf. Allerdings wird der Dehydratations- Kopfschmerz meist als pulsierender Schmerz im Gehirn beschrieben und ist oft mit Überhitzung des Organismus assoziiert.

    ausgetrocknet oder überwässert?
    Dehdratation (Austrocknung)Hyponatriämie (Überwässerung)
    ÜberhitzungKörperkerntemperatur normal
    pulsierender KopfschmerzKopfschmerz nimmt stetig zu
     Hände und Füsse schwellen
    Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Orientierungsstörungen

    Ring kneift, Schuh drückt? Todesgefahr!

    Bei der Hyponatriämie ist die Körperkerntemperatur dagegen normal, und der Kopfschmerz nimmt stetig zu. Zudem tritt der Natriummangel in der Regel erst nach vier Stunden Sport auf, wenn die Athleten zu viel bzw. zu natriumarm getrunken haben, sodass das herausgeschwitzte Salz nicht ersetzt, sondern das Blut sogar weiter verdünnt wurde. Charakteristischerweise schwellen dann die Hände und Füsse an. Wenn also der Ehering anfängt zu kneifen, die Armbanduhr das Handgelenk einschnürt oder die Schuhe plötzlich drücken, sollten die Sportler an einen Natriummangel denken.
    Bei der Dehydratation gelingt es meist, die fehlende Flüssigkeit oral zu ersetzen. Nur bei Bewusstseinsstörungen oder Magen-Darm-Problemen muss man i. v. substituieren. Ein Sportler mit Verdacht auf Hyponatriämie muss dagegen sofort in eine Klinik gebracht werden, wo man ihn per Monitor überwachen und ggf. hypertone Natriumlösung infundieren kann, heisst es in den Leitlinien des amerikanischen Leichtathletikverbandes USA Track & Field (www.usatf.org).
    Doch wie viel soll ein Sportler während eines Marathons denn nun trinken, um solchen Problemen vorzubeugen? Am besten ermittelt er einen Flüssigkeitsbedarf vor dem Wettkampf per Selbst-Test (s. Kasten). Geeignet sind Getränke mit einem Natriumgehalt von 0,5 bis 0,7 g pro Liter. Wird die sportliche Belastung voraussichtlich sehr hoch oder dauert länger als 45 bis 50 Minuten, sollten auch Kohlenhydrate enthalten sein, in einem Anteil von 6%. Fruchtsäfte oder Limonade mit 8% Kohlenhydratgehalt sind als Basisgetränk während des Wettkampfes nicht geeignet. Denn dann konzentriert sich der Magen zu sehr auf Resorption des Zuckers und entleer t sich nur verzögert.

    Wie viel trinken? Schwitz-Test zeigt’s!
    (Nacktgewicht in kg vor dem Sport – Nacktgewicht in kg nach einer Stunde Rennen) x 1000 + zwischenzeitlich getrunkene Flüssigkeit (in ml) = Trinkmenge pro Stunde (in ml)
    Mit einem einfachen Schwitz-Test kann der Sportler selbst bestimmen, wie viel er während des Marathons trinken muss: Aufwärmen, Urin lassen und nackt wiegen. Dann eine Stunde in Marathon-Geschwindigkeit laufen und dabei nach Durst trinken. Anschliessend wieder nackt wiegen, ohne vorher Urin zu lassen. Die obenstehende Formel ergibt die Trinkmenge.

     Mit Salzbrezeln zum Marathon

    Glukose und Maltodextrin sind als Zuckerlieferanten gut geeignet, Fruktose führt dagegen häufiger zu gastrointestinalen Problemen. Auf  Alkohol, Koffein und Kohlensäure sollte man während des Sportes verzichten. Denn Alkohol und Koffein erhöhen das Urinvolumen und entziehen dem Körper somit zusätzlich Flüssigkeit, Kohlensäure sorgt für ein Völlegefühl und erniedrigt damit das Trinkvolumen.
    Zudem sollten die Läufer natürlich den Marathon gut hydriert beginnen. Der amerikanische Leichtathletikverband empfiehlt, zwei bis drei Stunden vor dem Wettkampf 500 bis 600 ml Flüssigkeit zu trinken und in den letzten zehn Minuten vor dem Start nochmals etwa 300 bis 360 ml. Während des Marathons sollten die Athleten nicht an jeder Verpflegungsstelle trinken, sondern nur, wenn sie wirklich Durst haben, so die Autoren im British Medical Journal (Timothy David Noakes, BMJ 2003; 327: 113-114,  http://bmj.bmjjournals.com/cgi/content/full/327/7407/113 ). So lässt sich die Gefahr der Überwässerung minimieren. An heissen Tagen kann es zudem sinnvoll sein, vor dem Lauf und in der zweiten Hälfte ein paar Salzbrezeln oder salzige Snacks zu essen bzw. ein kleines Tütchen Salz als Notfallreserve für besonders schwitziges Wetter einzustecken.
    Treten schwäche und Kollapsneigung erst nach dem Wettkampf auf, liegt dies meist weder an Dehydratation noch an Natriummangel, sondern daran, dass das Blut nach dem Lauf in den Beinen versackt und dem Oberkörper (also auch dem Hirn) fehlt. „Beine hoch“, heisst dann die Devise.

    Abschliessend nochmals die wichtigsten Trinktipps für Sportler:

    • Vor dem Wettkampf trinken – am besten mit etwas Kochsalz

    • Während Wettkampf nur bei Durst trinken
    • Keine Kohlensäure, Alkohol, Koffein

    • Kneifender Ehering, einschnürende Socken: Natriummangel!

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    18. November 2024

  • Immunsystem „stärken“ oder besser: balancieren

    Immunsystem „stärken“ oder besser: balancieren

    Wie kann ich mein Immun­system stärken?

    Gegenfrage: Sind Sie sicher, dass Sie das wirklich wollen? Und wissen Sie, was genau Sie stärken wollen? Sollen es mehr Abwehr­stoffe sein? Mehr Antikörper? Oder mehr Killer-T-Zellen? All diese unterschiedlichen Komponenten sind im Gleich­gewicht – und müssen das auch sein. Sie regulieren sich gegenseitig. Ist eine Komponente zu stark, schädigt das den Körper. Das Corona­virus zum Beispiel unterläuft das Immun­system, so dass dieses mehr entzündungs­fördernde Stoffe als nötig ausschüttet. Vielen Covid-19-Opfern wurde genau diese überschiessende Immun­reaktion zum Verhängnis.

    Dennoch ist das Konzept der Stärkung des Immun­systems populär. Zu Beginn der Pandemie, von April bis Mai 2020, verzeichnete der Hashtag «#immuneboost» auf Instagram einen Anstieg von über 50 Prozent, wie kanadische Forscherinnen herausfanden.

    Ein brasilianisch-britisches Forscher­team analysierte, welche Websites bei der Suche nach dem Schlagwort «boost immunity» aufploppten. Die meisten gaben Ernährungs­tipps oder bewarben Vitamine, Anti­oxidantien, Probiotika und Mineralien. Nur 12 Prozent erwähnten eine Impfung als Möglichkeit, das Immun­system zu stärken. Von Nahrungs­ergänzungs­mitteln wie Vitamin C und Selen halte ich eher nichts. Wir sind aufgrund unserer sozio­ökonomischen Situation in der Schweiz oder Deutschland, wo wir normal essen, nicht jeden Tag zu McDonald’s gehen und keinen Hunger leiden, nicht mangelernährt. Deshalb bringen die Hilfsmittel aus der Apotheke wahrscheinlich wenig, sie werden einfach wieder ausgeschieden.

    Eine gezielte Stärkung des Immun­systems ist kaum möglich – ausser vielleicht über Impfungen. Da sind sich alle Expertinnen einig. Aber man kann einiges tun, um das Immun­system nicht zu schwächen oder in einem gesunden Zustand zu halten.

    Die Ernährung spielt dabei eine wichtige Rolle, weil sie das Mikrobiom unseres Darms beeinflusst – also die Vielfalt und Zusammen­setzung an Bakterien in unserem Verdauungs­organ. Das Mikrobiom hat einen starken Einfluss auf das Immun­system. Es ist wie eine Schranke im Darm. Ein gesundes Mikrobiom hilft, diese Darm­schranke aufrechtzuerhalten. 
    Ernähren wir uns aber zu einseitig, schaden wir dem Mikro­biom und die Schranke wird durchlässig. Dann gelangen Schad­stoffe in den Körper, und die Entzündungs­werte im Blut steigen an. Unser Immun­system wird «unspezifisch aktiviert». Es ist dauer­nervös, was viele Erkrankungen begünstigt. Nicht nur Infektions­krankheiten, sondern auch nicht übertragbare Krankheiten wie etwa Diabetes.

    Was nun folgt, können Sie vielleicht langsam nicht mehr hören. Es ist deswegen aber nicht weniger wahr.

    Es ist – nebst ausreichend Schlaf und, wie erwähnt, dem Kontakt zu Mikroben als Kind – eine gesunde, ausgewogene Ernährung mit wenig Fleisch, wenig Salz, viel Gemüse und Ballast­stoffe, die eine vielfältige Darmflora erhält und damit ein entspanntes und schlag­kräftiges Immun­system.

    Das Immun­system ist unglaublich komplex. Und das bringt Unsicherheit. In Momenten, in denen wir unsicher sind, entscheidet häufig unser Bauch­gefühl. Und das sagt: Was natürlich ist, ist gut.

    Doch wenn es um Infektionen geht, ist das zu kurz gedacht. Infektionen machen uns nicht stärker, nur weil sie vermeintlich natürlich sind. Abgesehen davon, dass Grippe, Masern oder sogar Erkältungen in Jäger- und Sammler­gemeinschaften praktisch überhaupt nicht existierten, können uns Infektionen sogar langfristig schwächen. Wir müssen sie deshalb nicht mit Händen und Füssen vermeiden, aber wir müssen sie auch nicht provozieren. Nicht nur aus Selbst­schutz, sondern auch aus Solidarität zu unseren Mitmenschen.

    7 Tipps, um das Immunsystem für den Herbst zu stärken

    DIE ZEIT: Das tut mir gut, 13.09.24

    Salz ist „Gift“ für unser Immunsystem

    Viel Salz führt nicht nur zu einem Blutdruckanstieg, sondern auch zu einer Entzündungsantwort (Stimulation proinflammatorischer TH17-Zellen). Durch Salz wird der Lactobacillus murinus in unserer Darmflora gehemmt. Diese Darmbakterien hemmen aber die Entwicklung dieser TH17-Zellen. Deshalb ist wenig Salz auch gut für unser Immunsystem.
    (Nature.2017;551:585-9)

    Was macht unser Immunsystem nun aus?

    Die Immunologie versucht mit modernem technischen Gerät, die Komplexität der menschlichen Körperabwehr zu durchdringen. Mindestens 15 verschiedene Typen an Abwehrzellen haben wir, die sich über viele Dutzende Botenstoffe und rund 350 verschiedene Oberflächenmoleküle unterhalten, beziehungsweise in Aktion treten können. Die Immunabwehr ist die Grundlage unserer Gesundheit, doch kein Mediziner könne heute mit Hilfe einer Blutuntersuchung sagen: „Ihr Immunsystem funktioniert normal oder gar besonders gut und schützt sie sicher vor Infekten oder Krebs“. Niemand kann mit Hilfe klinischer Messwerte nachweisen, dass gewisse Nährstoffe oder Verhaltensweisen, dass Immunsystem „stärken“. Nur ein systembiologischer Ansatz, der möglichst viele Einflussfaktoren berücksichtigt, könnte hier weiterhelfen.

    Das Immunsystem eines erwachsenen, 73 Kilogramm schweren Mannes besteht aus rund 1,8 Billionen Zellen. Das ist ein beträchtlicher Anteil an den Zellen des Körpers insgesamt: Dies sind insgesamt 36 Billionen Zellen (Studie aus Stanford). Rund fünf Prozent seiner Zellen wendet der Mensch also für seine innere Sicherheit auf. Zusammen wiegt die Armee der Immunzellen 1,2 Kilogramm.

    Was heisst „Immunität“?

    Immunität beziehungsweise der Grad des Immunschutzes kann unterschiedlich ausfallen. „Immunität“ kann bedeuten, dass sich ein Krankheitserreger gar nicht erst in den Schleimhäuten ansiedeln kann, sondern schon vor dem Eindringen in Körperzellen durch Abwehrstoffe blockiert wird. Fachleute sprechen hier von einer „kompletten Immunität“ oder „absoluten Unempfänglichkeit“. Ein Zustand, den man zum Beispiel beim Coronavirus wohl kaum erreichen kann. Immunschutz kann auch bedeuten, dass sich ein Krankheitserreger im Körper zwar ausbreitet, aber nicht so stark wie bei einer Person ohne Immunschutz, und die Person daher nicht schwer erkrankt – im Fachjargon heisst das dann „partielle Immunität“ oder „Teilimmunität“ – in der Corona-Pandemie ein Riesengewinn.

    Was heisst dies in Bezug auf Impfungen?

    Impfen macht auch bei Covid-19 den Unterschied. Eine Impfung schützt zwar kaum vor einer Ansteckung. Im Vergleich zu ungeimpften Menschen erleiden aber Geimpfte sehr selten schwere Covid-19-Verläufe – und auch viel seltener einen Long-Covid-Verlauf!

    Einschub:

    Impfung gegen Krebs

    Wie genau funktionieren Impfungen gegen Krebs?

    Alle Impfungen wirken unter anderem auf die sogenannten T-Lymphozyten, kurz T-Zellen oder Killerzellen – also diejenigen Zellen unseres Immunsystems, die kranke Körperzellen gezielt zerstören können, sofern sie sie erkennen. Im Fall einer Viruserkrankung tun sie dies anhand von Virus-Antigenen, die infizierte Zellen an ihrer Oberfläche präsentieren. Auch Krebszellen haben an der Oberfläche Krebs-Antigene.

    Solche Peptide oder Eiweiss-Stückchen spritzt man auch den Patienten als Impfstoff – in der Hoffnung, dass die Killerzellen dadurch aktiviert werden, sich vervielfältigen und im Körper ausschwärmen, um Krebszellen zu finden und zu zerstören.

    Die Krebszellen und damit auch diese Krebs-Antigene sind doch bereits vor der Impfung im Körper, und die Killerzellen haben sie bis dahin offenbar nicht bekämpft. Was ändert sich durch die Impfung?

    Im Unterschied zu einer akuten Viruserkrankung, bei der im ganzen Körper massenhaft Killerzellen auftreten, gibt es bei Krebs viel weniger. Krebs-Antigene sind meist weniger markant als beispielsweise Virus-Antigene. Das verbessert sich durch die Impfung, welche es erlaubt, dem Immunsystem Krebs-Antigene in grossen Mengen zu präsentieren.

    Im menschlichen Körper bilden sich häufig einzelne Krebszellen, die dann vom Immunsystem erkannt und zerstört werden, ohne dass wir erkranken. Erst wenn das nicht mehr funktioniert, kann der Krebs wachsen und sich ausbreiten. Krebszellen haben dann oftmals gelernt, das Immunsystem zu umgehen und die T-Zellen zu stoppen, sodass die Immunantwort eben nicht wie gewohnt stattfinden kann.

    T-Zellen verfügen an ihrer Oberfläche über Rezeptoren, sogenannte Checkpoints, die sie in ihrer Aktivität bremsen, sobald gewisse Moleküle daran binden. Wenn eine T-Zelle einer gesunden Körperzelle begegnet, signalisieren diese Rezeptoren: Alles in Ordnung, du kannst mich in Ruhe lassen. Leider benutzen Krebszellen die gleiche Strategie, und werden so fälschlicherweise auch in Ruhe gelassen.

    Hier setzen die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren an. Die medikamentös verabreichten Antikörper blockieren die Checkpoints, und ohne diese Bremsen können die T-Zellen wieder angreifen und den Krebs bekämpfen. Ein erster solcher Antikörper wurde 2011 als Medikament gegen Schwarzen Hautkrebs zugelassen. Heute sind bereits über zehn solcher Antikörper im Einsatz, gegen verschiedene Krebsarten.

    Was sind denn die häufigsten Nebenwirkungen von Immuntherapien gegen Krebs?

    Das ist ein wichtiger Themenkreis. Die Organe, die empfindlich sind für Autoimmun-Reaktionen sind beispielsweise der Darm oder die Leber. Darmentzündung oder Hepatitis können Nebenwirkungen sein. Auch bei hormonproduzierenden Organen wie Hirnanhangsdrüse, Nebenniere, Schilddrüse, und weiteren kann es zu Entzündungen kommen, was hormonelle Störungen zur Folge haben kann. Auch Lunge, Haut und weitere Organe können sich entzünden.

    Bei starken Autoimmun-Reaktionen muss man unter Umständen mit der Immuntherapie zurückfahren. Wenn Krebs-Impfungen die Nebenwirkungen von Immuntherapien verringern könnten, wäre das ein wichtiger Schritt.

    Was tun für eine bessere Immunität?

    1.) Immunsystem-Training…

    Ganz falsch ist die Annahme vom Immunsystem, das üben muss nicht. Aber sie hängt stark von individuellen Faktoren ab, gilt vor allem für Kinder und nur beschränkt für krankmachende, sondern vor allem für die sogenannt guten Bakterien und Viren, die auf und in uns leben.

    Forscher der US-Universität Harvard wiesen 2017 in einer Studie im Fachmagazin «Science» beispielsweise nach, was eine Masernerkrankung mit der körpereigenen Abwehr macht. Das Masernvirus hat die unangenehme Fähigkeit, bei Erkrankten Antikörper gegen andere Infektionen aus dem Gedächtnis des Immunsystems zu löschen. Denn es befällt auch die Immunzellen.

    Coronavirus lässt T-Zellen sterben

    Bis zu 70 Prozent der Antikörper gegen Erreger wie Grippe, Herpes oder gewisse Bakterien konnte das Masernvirus in erkrankten Kindern ausradieren. Es führt zu einer eigentlichen «Immun-Amnesie» und in der Folge zu schlechterem Schutz vor anderen Erregern. Die Forscher schrieben deshalb: «Masern sind eine noch grössere Bedrohung, als wir bisher annahmen.»

    Das Masernvirus ist nicht das einzige Virus, von dem solche Effekte bekannt sind. Auch bei Covid gibt es Hinweise, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 T-Zellen sterben lässt, wie eine Studie des Unispitals Zürich zeigte. Und nicht nur die Effekte auf das Immunsystem dauern über die eigentliche Erkrankung hin an. Man weiss auch, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und für neurologische Leiden nach einer durchgemachten Covid-Infektion steigt. Das hat mit den Entzündungen, die das Virus im Körper auslöst, und ihren Folgeschäden zu tun.

    Kurz nach einem viralen Infekt ist das Immunsystem oftmals allgemein geschwächt. Deshalb kommt es beispielsweise nach einer Grippeerkrankung manchmal noch zu bakteriellen Infektionen, und die Patienten entwickeln eine Lungenentzündung.

    Deshalb ist es in vielen Fällen keine gute Idee, sich als Erwachsener freiwillig Erregern auszusetzen.

    Wie schnell sich das Immunsystem nach einer Infektion erholt, hängt von verschiedenen Faktoren und vor allem vom Alter des Erkrankten ab. Der Effekt kann Wochen bis Monate anhalten. Deshalb ist es in vielen Fällen keine gute Idee, sich als Erwachsener freiwillig Erregern auszusetzen.

    Trotzdem ist Kontakt mit Viren und Bakterien für die körpereigene Abwehr wichtig, das gilt vor allem in den ersten Lebensjahren. Weil unser Immunsystem ein Gedächtnis hat und sich an Keime, gegen die es schon einmal gekämpft hat, erinnert, helfen diese T-Zellen (Gedächtniszellen) bei erneutem Kontakt.

    In der Pandemie haben wir gelernt: Wenn bereits eine gewisse Abwehr vorhanden ist, sollten Krankheitsverläufe weniger schwer ausfallen. Auch von dieser Regel gibt es Ausnahmen. Beim Denguefieber, das von tropischen Stechmücken übertragen wird, verlaufen erneute Erkrankungen meist schwerer.

    Einen ersten Kontakt mit einem Erreger, um Gedächtniszellen zu bilden, bieten auch Impfungen. Wie das Beispiel der Masern und von Covid zeigen, sind Impfstoffe in vielen Fällen der sicherere Weg als die Infektion. Doch es spielt auch eine Rolle, wie gut der Schutz ist, den die Impfung im Körper auslöst.

    Kinder haben eine schnellere adaptive Immunantwort

    Bei Masern ist der Schutz sehr gut. Weniger gut ist er bei der jährlichen Grippeimpfung, die auch nur ein halbes Jahr hält. Wer jedoch als junger Erwachsener eine Grippe durchgemacht hat, der kann Jahrzehnte von diesem Schutz zehren. Allerdings nur, wenn es sich um die gleiche Virusvariante handelt. Das Grippevirus verändert sich ständig. Auch die Variante des Influenzavirus, mit dem man als Kind erstmals zu tun hat, hinterlässt meist einen gewissen lebenslangen Schutz, zumindest vor schweren Verläufen.

    Kinder haben eine schnellere adaptive Immunantwort, weshalb sie mit neuen Viren und Bakterien meist besser klarkommen als Erwachsene. Bei manchen Erregern wie beispielsweise den Windpocken ist es deshalb von Vorteil, wenn man sie als Kind durchmacht. Wer im Erwachsenenalter das erste Mal mit Windpocken in Kontakt kommt, erkrankt meist schwer, während die Infektion für Kinder in der Regel leicht verläuft.

    Viele Diskussionen gab es in den letzten Jahren um die Zunahme von Allergien. Das Immunsystem kämpft bei Allergien gegen etwas, was es eigentlich nicht bekämpfen müsste. In diesem Zusammenhang kam die sogenannte Hygiene-Theorie auf: Unser Immunsystem sei unterbeschäftigt, heisst es, weil wir in der westlichen Welt heute viel weniger mit Keimen in Kontakt kommen als während eines grossen Teils unserer Evolution. Und deshalb wären Infektionen im Kindesalter von Vorteil.

    Das jedoch ist ein Missverständnis, wie die amerikanische Medizinprofessorin Lisa Iannattone kürzlich in einem Twitter-Thread erklärte. Die Hygiene-Theorie müsste eigentlich Biodiversitäts-Theorie heissen. Einen Schutz vor Allergien bietet im Kindesalter nicht der Kontakt mit krankmachenden Keimen. Kinder sollten viel mehr mit möglichst vielen guten Bakterien zu tun haben, die in unserem Mikrobenzoo, dem Mikrobiom, auf der Haut und im Darm leben (siehe unten „mehr Dreck!“).
    (Quellen: Alexandra Bröhm, Wissenschaftsjournalistin in Tagesanzeiger & Dr. Lisa Iannattone, @lisa_iannattone)

    2.) Löcher stopfen

    Löcher, in denen wir (und speziell unser Immunsystem) Energie verlieren und schlussendlich für seine Kernaufgaben (Entzündungshemmung, Infektionsabwehr, Krebsverhinderung) keine Kapazität mehr haben.

    „Gesund leben“ stärkt unser Immunsystem

    Das Immunsystem wird durch einen Riesenhaufen von Faktoren gestärkt oder geschwächt. In meinem Fragebogen zur Überprüfung unseres Gesundheitsverhaltens finden Sie die Wesentlichsten dieser Punkte, bei denen Sie viel Energie gewinnen oder verlieren können.

    •  Zuallererst und am allerwichtigsten – auch momentan gegen den Coronavirus: 2 enorm starke Aufrufe! die man jetzt, sofort in Angriff nehmen kann:
    • Weiter: Studien zeigen etwas, was wir ja schon lange wissen: Sex stärkt unser Immunsystem . (u.a. New Scientist, Vol. 162, No. 2182 (1999), S. 6)
    • Regelmässiges Meditieren ebenfalls >>>
    • Ausreichend Schlaf, d.h. etwa 7 bis 9 Stunden.
    • Singen fördert die Produktion von Immunglobulinen. Das sind Abwehrstoffe, die vor Viren und anderen Keimen schützen. Forscher massen in der Mundschleimhaut von Chorsängern höhere Werte nach dem Singen als davor.
    • Damit zusammenhängend, sollte man im eigenen Leben und in seinen Tätigkeiten einen Sinn sehen >>>
    • Lebendigsein hilft dabei enorm >>>
    • Fokus auf das „Geschenk in der Krise“: Hierz fällt mir der Witz von dem Bauern ein, der Masern hat und den Landarzt fragt, was er nun tun solle. Worauf der Arzt antwortet: «Seien Sie glücklich. Denn wenn Sie nicht glücklich sind, werden Sie trotzdem Masern haben!»
    • Bewegung – mässig, aber regelmässig – mit kurzen, mehrmals täglichen Intensivteilen (10 bis 20 Sekunden Treppe raufrennen, kurz sprinten – auch auf der Stelle daheim oder im Büro)! Schon zweimal wöchentlich 90 Minuten Laufen (gemächlich – wirkt besser als leistungsbetont schnell!) plus eine wöchentliche „Trainingseinheit“ in Eigenregie  – 12 Monate lang durchgeführt, ergab ein enorme Immunmodulation (Studie des Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main bei Crohnpatienten). Als einfache Regel  („Rhythmus“) gilt auch hier „3in3″: im Minimum 3 Stunden Bewegung wöchentlich, verteilt auf mindestens 3mal! – nicht intensiv und langdauernd, sondern kurz und mässig, aber regelmässig. Wandern oder Spazieren ist optimal. Dies scheint bei diversen Dingen die beste Prophylaxe oder Therapie zu sein (so auch u.a. zur Prophylaxe des Prostatakrebs z.B.).
    • Alltäglichen Rhythmen wieder beachten! Nur wenn wir im Tages-, Wochen- und Jahresverlauf jene Erholungspausen einhalten, die uns biologisch vorgeschrieben sind, kann unser Organismus seine Funktionen wie beim Resetting eines Computers immer wieder synchronisieren und Abweichungen vom Sollzustand (bis zu krebsartigem Ausflippen von Organzellen mit Abwehrvorgängen des Immunsystems) ausgleichen. Ignorieren wir diese Bedürfnisse, ist die Gefahr gross, dass diese Abweichungen immer grösser werden, und damit unser Organismus immer mehr die Fähigkeit verliert, von selbst in seine Ordnung und Ruhe zurückzufinden. Unsere vorgegebenen biologischen Rhythmen scheinen auch tagsüber 90 Minuten lang zu sein (wie die 90 Minuten Tiefschlafphasen nachts): 70 Minuten Aktivität, dann 20 Minuten Ruhe und Erholung. Mein Vorschlag: Alle 70 Minuten tagsüber ein paar Minuten Pause geniessen und ruhig, tief atmen, einen warmen Tee trinken – und wie ein Kind aus dem Fenster staunen… So stellen Sie ihren inneren Rhythmus wieder von der Hamsterrad- zurück in die heilsame Ruhe-Frequenz und stärken so immens Ihr Immunsystem. Lesen Sie dazu auch meinen Blog und die Entspannungs- und Meditationsseite.
    • Männer tut es sehr gut, regelmässig ihr Blut zu spenden und damit ihre Eisenreserven etwas abzubauen (was die Frauen sowieso mit ihren Periodenblutungen tun). Man hat gesehen, dass hohe Eisenwerte Immunvorgänge behindern und Infektionen eher begünstigen. Menschen mit chronischen Infektionen, wie AIDS, zeigen enorm hohe Eisenspeicher. Unter diesem Aspekt ist auch ein leichter Eisenmangel in der Schwangerschaft wohl ein „Infektionsschutz“.
      Und Frauen: möglichst wenig (unnötiges) Eisen einnehmen (Tabletten oder Infusionen – bei heute häufig viel zu hoch angesetzten „Grenzwerten“).

    3.) Immunmodulation

    Beim Immunsystem geht es meist nicht um „schwach“ oder „stark“, sondern um ein gesundes oder krankes Immunsystem. Ein krankes Immunsystem kann auch dadurch gekennzeichnet sein, dass es zu aktiv ist.
    „Modulation“ meint, unser Immunsystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dies ist nun auch sehr wichtig für ein Immunsystem, das zu überschiessenden Antworten neigt, also zu Allergien, Autoimmunstörungen (wie Diabetes, Psoriasis, MS, Rheumatoide Arthritis, M.Bechterew, M.Crohn, Colitis ulcerosa, usw…). Es ist also ebenso wenig gesund wie ein inaktives, schwaches Immunsystem.

    • KEINE Nahrungsergänzungsmittel!
      Die ganze Pflanze, ob Frucht oder Gemüse ist immer gesünder (und kann von unserem Organismus besser abgebaut werden), als nur ein Teil davon, der in unserem Körper meist selber sofort zum Radikal wird!
    • Die Polyphenole (unter ihnen auch die Flavonoide, OPC (Oligomere Proanthocyanidine) wie Resveratrol,…) aus unserer Nahrung sind hochwirksame Antioxidantien, also Stoffe, die die schnelle Oxydation von sog. Radikalen verhindern. Radikale nehmen wir auch über unser Essen oder auch durch die (verschmutzte) Luft auf (Rauchen!). So wird unser Immunsystem von der Verarbeitung oder Bekämpfung dieser Radikale entlastet. Polyphenole sind also eigentliche „Radikalfänger“. Sie sind vor allem in Bitterstoffen enthalten: bittere Olivenöle (enthalten mehr davon als die eleganten, feinen Extra-Vergine Olivenöle!), bitteres Obst und Gemüse, schwarze Schokoloade…
      Achtung: Resveratrol ist ein typisches „Hochstaplermolekül„!
    • Rapsöl, Olivenöl oder vor allem Leinöl: Leinöl besteht zur Hälfte aus gesunden Omega-3-Fettsäuren. Dies ist viel mehr als bei fettem Fisch oder Rapsöl. Ein halber Esslöffel Leinöl deckt bereits den täglichen Bedarf an diesen Fettsäuren. Sie sind gut fürs Herz und bessern Rheuma-Beschwerden. Allerdings ist Leinöl auch sehr empfindlich. Man sollte es nur kalt geniessen und eine geöffnete Flasche in drei Monaten verbrauchen. Sonst wird das Öl ranzig.
    • Kakao (bittere schwarze – am besten 70% – Schokolade!)
    • Kaffee: ohne Milch!
      Je mehr Milch, desto geringer die antioxidative Wirkung des Kaffees. Selbst mit nur einem Schuss Milch im Kaffee reduziert man die gesundheitsfördernde Wirkung um beinahe die Hälfte!

      Auch die Autophagie -Wirkung des Kaffees wird vermindert.

      Beides wird übrigens durch pflanzlich hergestellte Milchalternativen weniger beeinträchtigt.

    • Äpfel (bittere Sorten enthalten mehr als die süsslichen: z.B. Boscoop – und dabei sehr viel in der Apfelhaut!)
    • Grünteeviele Bitterstoffe erst nach 5 bis 7 Minuten ziehen lassen, nicht siedend heisses Wasser (nur 80 Grad), Bio-Qualität…
    • Allgemein kann man sagen, dass diese Immunsystem-unterstützenden Stoffe auch in allem Obst und Gemüse vorkommen – und dabei ist es wieder von Vorteil auf Bio-Qualität, aber auch auf Mehrfarbigkeit zu achten!
    • Ein Konsum von antioxidativ wirksamen Vitaminen und Mineralstoffen, wie Beta-Carotin, Vitamin A oder E wirken aber gegensätzlich und steigern die Mortalität! Also auch hier gemäss Paracelsus:
      Die ganze Pflanze ist immer besser als ein Einzelteil davon!
    • Natürlich auch weniger Radikale, d.h. aggressive Stoffe aus der Umwelt aufnehmen: Rauchen (dabei wird unser Immunsystem mit mindestens 5000 Radikalen bombardiert!), Ozon und Feinstaub meiden (also auch keine Paraffin-Kerzen, sondern solche aus Pflanzenstearinen oder Bienenwachs) – keine Pestizide, E-Stoffe, künstliche Farben in der Nahrung meiden (Bio!)!
    • WENIG FLEISCH ESSEN – v.a. wenig rotes!
      Pflegen Sie auch auf Ihre (reiche und gute) Darmflora!  jene rund 100 Billionen Bakterien, die mit uns leben. Was heisst dies konkret?! Normalerweise leben die Vertreter der Darmflora (Mikrobiom) einträchtig mit ihrem Wirt. Sie verdauen für uns Giftstoffe und komplexe Kohlenhydrate, mit denen menschliche Enzyme nicht umgehen können. Und sie wehren auch Infektionen krank machender Viren und Bakterien ab.
      Nun wird zum Beispiel das Carnitin im roten Fleisch (Rind, Schwein oder Lamm) von den Darmbakterien zu Trimethylamin verdaut, das dann in der Leber zu Trimethylamin-N-Oxid (TMAO) umgewandelt wird. Carnitin verstärkt u.a. auch die schädliche Wirkung vom Cholesterin. Dies löst eine Kette von Ereignissen aus, die letztlich zu einer Arteriosklerose (Versteifung der Arterien) führt und damit auch zum Herzinfarkt, Hirnschlag,…! Es hat sich nun gezeigt, dass ein Vegetarier sogar ein Steak essen könnte und dass sich dann die (ideale) Zusammensetzung seiner Darmbakterien diesen TMAO-Spiegel nicht erhöhen lassen! Vegetarische Ernährung ergibt also eine fürs Immunsystem und für unsere Blutgefässe optimale Darmflora!
      Ein zusätzlicher Faktor beim Fleisch ist auch der Antibiotika-Gebrauch beim Tier, welches dann mit Antibiotika-Spuren im Fleisch auf unserem Teller endet. Die Qualität des Fleisches (Weidefleisch!) unserer Nahrung ist also für unser Mikrobiom ebenfalls enorm wichtig!
    • Viel Fett im Essen lässt auch die Darmflora verarmen: Menschen, die wenig Fett und mehr Früchte und Gemüse – und auch Vollkornprodukte essen, haben eine reichere Darmbesiedlung.
    • Auch die Qualität der Pflanzen spielt für die Darmflora eine Rolle: Bei Biologischem Obst und Gemüse fehlen die Chemikalien (Herbizide, Insektizide – Glyphosphat!) die u.a. unsere Darmflora direkt schädigen!
    • Wenig Salz! Viel Salz führt nicht nur zu einem, Blutdruckanstieg, sondern auch zu einer Entzündungsantwort (Stimulation proinflammatorischer TH17-Zellen). Durch Salz wird der Lactobacillus murinus in unserer Darmflora gehemmt. Diese Darmbakterien hemmen aber die Entwicklung dieser TH17-Zellen. (Nature.2017;551:585-9)
    • Probiotisch wirksame Substanzen (sehr reichlich im ausgezeichneten Sauerkraut vorhanden, das den in Functional Food beworbenen Milchsäurebakterien in gewissen Joghurts klar vorzuziehen ist!) bereichern auch unsere Darmflora.

      Mein Supertipp: Als Synbiotika die kombinierte Anwendung von Probiotikum und einem für das Probiotikum als „Nahrung“ dienendes spezifisches Präbiotikum :
      Bifidus-Natur-Joghurt mit einem geraffelten Apfel!
      Dies konsequent täglich über einen grossen Zeitraum nehmen.

    • MEHR DRECK!
      Auch Kaiserschnittkinder und solche, die Flaschennahrung (anstatt Muttermilch) erhielten, haben weniger Bakterienvielfalt im Darm. Hingegen verbessert ein Hund im Haushalt die Darmflora des Säuglings. Sicher ist dies auch ein weiterer Grund gegen zuviel Antibiotikatherapie, vor allem im Kleinkindesalter.
      Ältere Menschen sollten nicht zu viel daheim rumsitzen, sondern etwas rausgehen und „sich schmutzig machen“. Je weniger neue äussere Reize auf uns einprasseln, desto mehr verschiebt sich unser Immunsystem in Richtung „erworbene Immunantwort“, was meist die unpräzise, schwache Antwort (auf einen neuen Keim, wie Covid-19) ist!
    • >>> Weiterlesen zur Darmflora
    • Wiederholtes kurzfristiges Fasten (nur 16 bis 72 Stunden lang – z.B. jede Woche einen ganzen Tag – oder intermittierend 4 bis 7 Tage pro Woche: „16:8“ oder Intervallfasten) führt zu „zellulärem Selbstmord“ von Mikroben (Bakterien, Viren), ja sogar Krebszellen! In neueren Studien findet man dabei, dass wiederholtes kürzeres Fasten effektiver und praktikabler ist als langfristiges. Das Fasten löst eine Art zellulären Stress aus. Bei gesunden Zellen führt dies zu Reaktionen, die gegen Schäden durch Sauerstoffradikale schützen. Solche Moleküle entstehen bei Hunger vermehrt. (Ihre Produktion wird aber auch durch viele Chemotherapeutika (Medikamente gegen Krebs) angeregt und gilt als Hauptursache von deren starken Nebenwirkungen. 24 bis 72 Stunden Kurzfasten vor der Chemotherapie bereitet normale Körperzellen offenbar gut auf hohe Konzentrationen von Sauerstoffradikalen vor. Sie sind deshalb eher in der Lage, sich gegen die aggressiven Moleküle zu wehren. Mikroben und Krebszellen hingegen sind kaum fähig, diese Schutzmechanismen anzuschieben. Sie stellen sogar selber zusätzlich noch reichlich aggressive Moleküle her. Das führt dann dazu, dass sie letztlich „zellulären Selbstmord“ begehen und damit auch das Immunsystem entlasten, bzw. stärken!
      Diese Autophagie wird auch durch Spermidine angeregt, die wir durch Weintrauben, Nüsse, Hülsenfrüchte (auch Soja), Pilze und gereiften Käse wie Parmesan oder Alpkäse aufnehmen.
    • Vitamine und Mineralstoffe nie synthetisiert und losgelöst von der ganzen Pflanze zu sich nehmen!
      Auch antioxydativ wirkende Vitamine und Mineralstoffe hindern gefährliche Substanzen (z.B. Nitrate, etc.), die wir täglich aufnehmen, daran, Radikale zu werden, d.h. immunschwächend zu wirken. Es sind dies die u.a. Vitamine A, E und C, sowie Selen, Zink, Mangan, Kupfer und auch Eisen. Man sollte diese nicht synthetisiert einzeln oder in käuflichen Multivitaminbomben aufnehmen, sondern im natürlichen Komplex (mit allen sekundären Pflanzenstoffen, die man wiederum zum eigenen Abbau dieser Vitamine benötigt!). In einer ausgewogenen, vollwertigen Ernährung sind obige Vitamine und Spurenelemente meist schon genügend vorhanden. Auch in natürlichen antioxydativ wirkenden Regelkreisläufen, wie im Fischöl (Extrakt aus fettigen Meerfischen), das in Kapselform erhältlich ist (u.a. Omega-3 fatty acids in inflammation and autoimmune diseases; Artemis P, Simopoulos J.; J Am Coll Nutr 2002 (Dec); 21: 495-505; http://www.jacn.org/cgi/content/full/21/6/495)
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    • Wer keinen Alkohol trinkt, hilft seinem Immunsystem. Das gilt zum Beispiel für die weissen Blutkörperchen, die eindringende Krankheitserreger bekämpfen und Botenstoffe ausschütten, um weitere Zellen des Immunsystems zu aktivieren. Alkohol hemmt diesen Prozess gleich an mehreren Stellen (BMC Immunology: Pruett & Fan, 2009). So werden zum Beispiel weniger Botenstoffe ausgeschüttet, während gleichzeitig die Zahl der sogenannten Monozyten sinkt, die zu den weissen Blutkörperchen gehören und sich in Makrophagen, sogenannte Fresszellen, verwandeln.
      Häufiger und übermässiger Alkoholkonsum hat darüber hinaus offenbar negative Effekte auf die Darmbakterien – was ebenfalls Folgen für das Immunsystem haben kann. Regelmässiger Alkoholkonsum kann die Zusammensetzung der Darmflora verändern und dadurch die Darmbarriere schwächen. Bakterien könnten dann aus dem Darm ins Blut gelangen, wo das Immunsystem auf sie reagiert. Dadurch werde das Immunsystem kontinuierlich stimuliert. Ausserdem schüttet der Körper Entzündungsbotenstoffe aus. Das kann andere Organe schädigen und letztendlich auch zu einer Immunschwäche führen, weil sich der Körper nicht leisten kann, das Immunsystem ständig hochzuregulieren. Deshalb sind Menschen, die dauerhaft und in einer schädlichen Menge Alkohol konsumieren, anfälliger für Infektionen (Alcohol Research: Sarkar et al., 2015).
      Wer auf Alkohol verzichtet, lässt also die körpereigenen Abwehrkräfte ungestört arbeiten. Und auch bei Menschen, die durch regelmässigen Alkoholkonsum ein bereits beeinträchtigtes Immunsystem haben, führt Abstinenz immer zu einer Verbesserung.

    4.) Zur Immunmodulation gehört auch die „Terrainstärkung“

    • Ein sehr interessanter Ansatz zur Terrainstärkung wurde bereits in mehreren Studien untersucht (Summers RW et al., Am J Gastroenterol 2003; 98: 2034-2041 und Marcovitch H. Can worms treat Crohn’s disease? BMJ 2005;330:330): Menschen mit chronischen Darminfektionen wurden Wurmeier verfuttert (Schweinepeitschenwurm-Trichuris suis – jeweils 2500 intakte Eier als Einzeldosis. Der für den Menschen apathogene Schweine-Peitschenwurm wird nach 8 bis 10 Tagen wieder ausgeschieden.). Die daraus resultierende Darminfektion (die ja bei unserem „sterilen“ Trinkwasser und Essen kaum mehr vorkommen und von der Schulmedizin seit Jahrzehnten radikal bekämpft werden) bindet soviel Abwehrkraft des Immunsystems, dass gleich auch die bestehende Colitis (Crohn oder ulcerosa) „weggefegt“ wurde und geheilt war! Die These geht dahin, dass wir seit Jahrtausenden Würmer und Parasiten im Darm hatten und unser Immunsystem damit beschäftigt war. Seit mehr als 50 Jahren fehlen diese Parasiten und das Abwehrsystem hat nun überschiessende Kräfte und richtet diese auch mal gegen den eigenen Körper (und bildet z.B. Crohn und Colitis ulcerosa). Der Effekt ist zwar temporär, aber die Therapie wiederholbar. Der Vorschlag der Studienleiter waren den auch eine Wiederholung mit 2500 Eier alle drei Wochen, welches ebenso wenig Nebenwirkungen zeigte wie eine Einzeldosis. Es hat sich nun sogar gezeigt, dass diese Wurmeier-Therapie auch allgemein zu einer massiven Immunmodulation führte. Krankheiten, die z.B. mit einer Autoimmunstörung einhergehen, werden dadurch gebessert: Allergien, chronische Rheumatologische Geschehen, etc…
      Die Firma Ovamed hat in Schleswig-Holstein einen Antrag auf Herstellungserlaubnis für Kapseln mit Eiern eingereicht. Das als Rezeptur-Arzneimittel geplante Präparat ist aber noch nicht verkehrsfähig, kann aber bereits gekauft werden (www.ovamed.de).
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    • Eine sehr effektive Methode, um die immunkompetenten Zellen und Strukturen im Körper zu stärken, ist die sog. „Visualisierung„, das Bildlichmachen der eigenen Abwehrkräfte (und auch der medizinischen Mittel, die eingesetzt werden) in Phantasie und in Zeichnungen als aggressiv und mächtig (z.B. als Haie oder Barrakudas) im Gegensatz zu den schwachen, schwammigen Krebszellen (z.B. als Fischfutter imaginiert), die bekämpft und gefressen werden. Mit Kindern kann man auch gängige Computerspiele mit diesem Hintergrund spielen und sie dann diese Situation auch zeichnen lassen.
    • Terrainstärkung ist auch die „Schulung“ des Immunsystems durch die Hypo- oder Desensibilisierung beim Pollen-, Hausstaub- oder Insektengiftallergien! Eine sehr effektive Methode zur Immunmodulation. Auch das „Durchleben“ von (schwachen) Kinderkrankheiten und vielleicht auch die Impfungen gehören hierhin.
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    • Günstiger und wahrscheinlich wirkungsvoller als all die tollen Mittelchen zur Infektionsprophylaxe in den Apotheken und Drogerien ist höchst wahrscheinlich eine Mundspülung. Fünf Minuten mit einer Kochsalzlösung gurgeln reduziert signifikant grippale Infekte und wirkt wahrscheinlich auch gegen Sars-CoV-2. Wir wissen, dass die Coronaviren mehrere Stunden brauchen, um die Schleimhaut zu durchdringen. Wenn wir in dieser Zeit durch Gurgeln die Viruslast im Rachen reduzieren, dann bringt das wahrscheinlich mehr als Vitamin D oder C, Echinacea, etc. Das zu prüfen, wäre sicher mal eine Studie wert.

    5.) reine (unspezifische) Immunstärkung

    Achtung! Sollte – wie oben unter „Immunmodulation“ beschrieben – nicht bei einem Immunsystem, das bereits überschiessend oder übertrieben reagiert (also nie bei Allergien oder Autoimmunstörungen) angewendet werden!

    • Einige Pflanzen steigern unspezifisch die Wirkung des Immunsystems: z.B. der rote Sonnenhut = Echinacea, Padma 28® (ein tibetisches Pflanzengemisch) oder auch die Vitamine A, E und C, sowie Selen, Zink, Mangan und Kupfer. Man sollte diese nicht synthetisiert einzeln oder in käuflichen Multivitaminbomben aufnehmen, sondern im natürlichen Komplex (mit allen sekundären Pflanzenstoffen, die man wiederum zum eigenen Abbau dieser Vitamine benötigt!). In einer ausgewogenen, vollwertigen Ernährung sind obige Vitamine und Spurenelemente meist schon genügend vorhanden. Auch in natürlichen antioxidativ wirkenden Regelkreisläufen, wie im Fischöl (Extrakt aus fettigen Meerfischen), das in Kapselform erhältlich ist. Diese Mittel müssen natürlich täglich über einen grossen Zeitraum genommen werden.

    6.) Enzündungsneigung verringern

    Pathologische Aktivierung des Immunsystems macht chronische Entzündungen und kann (unter vielem anderen) eine Dauermüdigkeit verursachen!

    Hinter einer permanenten Energielosigkeit und Chronischen Müdigkeit könnte nicht etwa ein Mangel an Wille, Ideen oder Interesse stecken – sondern:
    unser Immunsystem!
    Dies berichten Forscher um Michael Treadway von der Emory University. Sie konzentrierten sich auf die Auswirkungen von leichten, aber chronischen Entzündungsprozessen. Solche treten beispielsweise bei anhaltendem Stress, bei chronischen Schlafstörungen, Chronische Schmerzkrankheit, Übergewicht, Metabolischem Syndrom und Dysbiose, einem Ungleichgewicht der Darmflora auf. Dies auch bei Hypertonie oder Arterienverkalkung:

    Entzündungsneigung als zentraler Mechanismus

    Bekannt ist, dass im Rahmen des Bluthochdrucks in den Blutgefässen des Körpers eine Entzündungsreaktion auftritt, so dass der Schlüssel einer erfolgreichen Behandlung des Bluthochdrucks möglicherweise in der Abschwächung dieser Entzündungsreaktion liegt. „Seit einiger Zeit geht man davon aus, dass auch die durch Bluthochdruck geförderte Gefässverkalkung (Atherosklerose) nichts anderes als eine chronisch voranschreitende Entzündung des Gefässbettes ist.”(Quelle: Uni Mainz)

    Die Entzündungsparameter im Blut (CRP, Interleukin-5, Kortisol) sind zum Beispiel bei Patienten mit einem Metabolischen Syndrom erhöht. Dies führt zur Rekrutierung von Immunzellen. Diese Gesamtentzündung wird heute als mitverantwortliche Ursache der Insulinresistenz, des Fehlens von Insulinsekretion wie auch der Arteriosklerose gesehen.
    Weitere Faktoren, die zur Entzündung beitragen können, sind zum Beispiel die Hypoxie (Mangel an Sauerstoff), welche durch die rasche Zunahme von Fettzellen mit inadäquater Zunahme der Blutgefässe im Fettgewebe entstehen kann.
    Dieser Zusammenhang von Immunsystem und Stoffwechsel (auch Immun-Metabolismus genannt) beschreibt Jacques Philippe eindrücklich im Schweiz Med Forum 2018 (aber auch die Ernüchterung einer antientzündlichen, medikamentösen Therapie dagegen).

    Auch der Darmflora wird eine grosse Rolle zugesprochen. Die Darmwand ist bei Patienten mit Übergewicht und Diabetes weniger dicht: dadurch können bakterielle Wandprodukte, sogenannte Lipopolysaccharide, sie besser durchdringen und Entzündungen in verschiedenen Geweben verstärken. Die Zusammensetzung der Darmflora scheint dabei eine wesentliche Rolle zu spielen! Mehr zum Diabetes als Entzündung.

    Therapieansätze bei Entzündungsaktivierung

    Diese habe ich in meinem Blogbeitrag über die Neuroinflammation bereits besprochen. Sie können auch bei der Chronischen Müdigkeit so übernommen werden:

    Der Darm, eines der wichtigsten Verdauungsorgane, spielt auch eine zentrale Rolle in der Immunabwehr. Ausgeklappt erstreckt er sich auf die Grösse eines Tennisplatzes und bietet eine riesige Austauschfläche mit der Umwelt. Um Keime zu kontrollieren, beherbergt der Darm zahlreiche Immunzellen und gutartige Bakterien, die bei der Abwehr helfen. Das ist eine sehr effiziente und freundliche Symbiose. Doch bei Autoimmunerkrankungen gerät diese Symbiose oft aus dem Gleichgewicht. Man sieht, dass bestimmte Bakteriengruppen bei Patienten seltener vorkommen. Fehlen die guten Bakterien, können chronische Entzündungen entstehen. Gleichzeitig vermehren sich unerwünschte Bakterien, die wie Viren Antikörperbildung auslösen, welche dann versehentlich gesundes Gewebe angreifen.

    Neue CAR-T-Zelltherapie weckt Hoffnung

    Eine neue Therapie könnte das ändern. In ersten vielversprechenden Studien wird die CAR-T-Zelltherapie erprobt, die sich Immunforscher aus der Onkologie abgeschaut haben: Dort sammeln sie seit einigen Jahren körpereigene T-Zellen aus dem Blut von Patienten, richten sie ausserhalb des Körpers gezielt auf Krebszellen ab und setzen sie dann wieder ein. Zurück im Körper bekämpfen die trainierten T-Zellen die Krebszellen. Ob die CAR-T-Zelltherapie auch gegen Autoimmunerkrankungen wirkt, wenn man die T-Zellen auf Antikörper-produzierende B-Zellen ausrichtet, testete vor knapp vier Jahren ein Team am Universitätsspital Erlangen bei einer Patientin mit Lupus. Lupus ist eine schwere Erkrankung, die innere Organe angreift und oft eine auffällige Rötung in Schmetterlingsform über Nase und Wangen verursacht. In der Schweiz leiden laut Lupus Suisse rund 3000 Menschen an dieser Autoimmunerkrankung, mehrheitlich Frauen.

    Inzwischen wurden acht Lupus-Patienten erfolgreich behandelt, wie das Team im „New England Journal of Medicine“ berichtete. Sie benötigen keine Medikamente mehr, ihre Autoantikörper sind verschwunden. Seit über vier Jahren hält der Effekt bei manchen Patienten an. Sogar die angegriffenen Organe scheinen sich zu regenerieren. Offenbar bedeutet die CAR-T-Zelltherapie einen Neustart fürs Immunsystem. Die gezüchteten T-Zellen spüren sämtliche B-Zellen und ihre Abkömmlinge, die Plasmazellen, im Körper auf. Viele bisherige Ansätze scheiterten daran, dass sie nicht ins Gehirn gelangen und nur in der Peripherie wirken. Doch auch im Gehirn und anderen Geweben verstecken sich Plasmazellen, die Autoantikörper produzieren. Die CAR-T-Zellen sind hingegen ein extrem gut ausgebildetes Killerkommando, das die Autoimmunreaktion im ganzen Körper auf null setzt. Eine einzige Behandlung reicht aus.

    Bei allen Autoimmunerkrankungen wird die Therapie allerdings nicht wirken, etwa bei der schweren Rheumaform Morbus Bechterew oder bei Schuppenflechte. Hier spielen B-Zellen nur eine untergeordnete Rolle. Doch bei Krankheiten, die sich mit CAR-T-Zellen behandeln lassen, steht erstmals in der Geschichte der Autoimmunerkrankungen ein grosses Wort im Raum: Heilung.

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    13. April 2025

  • Impotenz – Was heisst „Mannsein“?

    Impotenz – Was heisst „Mannsein“?

    „Bei Erektion denke ich immer an Ikea-Regale: Hoffentlich hält’s fünf Minuten!“
    Harald Schmidt

    Die „Impotenz“ beim Mann (erektile Dysfunktion) – erektive Störung

    Vorzeitiger Samenerguss – „Ejaculatio paecox“ >>> siehe hier auf dieser Seite…

    Disease Mongering

    Die Pharmaindustrie betreibt derzeit intensiv das „Verkaufen“ von Krankheiten, etwa bei der „erektilen Dysfunktion“. Seien Sie wachsam gegenüber der Ausweitung von Problemen und Mengen (Disease Mongering). Ähnliches geschieht bei ADHS, Glatze, Schüchternheit und Restless-Legs-Syndrom.

    Beachten Sie, dass ein einfacher Namenswechsel von „Potenzstörungen“ zu „erektiler Dysfunktion“ die Wahrnehmung der „Krankheit“ stark beeinflussen kann. Eine Studie (M.E. Young et al. : The role of medical language in changing public perception of illness. PLoS ONE, 3/12, 2008, e3875) zeigte, dass Teilnehmer glaubten, Hyperhidrose oder androgenetische Alopezie seien ernstere Krankheiten als ihre alltäglichen Bezeichnungen vermuten lassen. Zudem hielten sie die mit Fachausdrücken beschriebenen Leiden für besonders selten. Ältere, etablierte medizinische Begriffe hatten diesen Effekt nicht (wie „übermässiges Schwitzen“ oder „männlicher, genetischer Haarausfall“).
    Vorsicht also vor Cyberchondrie!

    Potenz?

    „Impotenz“ ist ein diskriminierendes Wort, das Männer in ihrer gesamten Potenz, Lebenskraft und Männlichkeit angreift und oft lächerlich macht. Männer setzen „Mannsein“ häufig mit sexueller Kraft gleich und definieren ihre Identität über ihre sexuelle Leistungsfähigkeit. Doch diese stellt nur einen kleinen Teil der Potenz dar. Potenz zeigt sich auch in der Fähigkeit, kreativ zu sein und etwas zu schaffen, als geistige Kraft, die sich nicht nur im Penis manifestiert.

    Ursache und Prophylaxe

    Viele Männer leiden im Bett unter Leistungsdruck.

    Pornos prägen das Bild von unserem Sexleben – aber Männer müssen nicht immer wollen und können!
    Leistung, das ist aus psychologischer Sicht das Schlüsselwort beim Thema Männlichkeit. Und was im Bett alles zu leisten sein könnte, davon verschaffen sich die Männer in Deutschland/Schweiz ziemlich häufig in gängigen Pornos einen Eindruck. Wie eine Studie 2017 ergab, führen 13 Prozent der Website-Aufrufe hierzulande auf Porno-Seiten – so oft, wie nirgendwo sonst auf der Welt. Und dabei sind bis heute rund 80 Prozent des Porno-Publikums männlich. Wie genau sich dieser Konsum auf das Sexualverhalten auswirkt, ist nicht genau erforscht. Zum Teil auch deswegen, weil Vergleichsgruppen fehlten. Es waren einfach keine männlichen Jugendlichen aufzutreiben, die nie einen Porno gesehen hatten.

    Was aber mit den Männern, die eben nicht weitermachen wollen wie bisher? Die können sich von diesem Zitat von Jack Urwin aus „Boys don’t Cry“ inspirieren lassen:
    „Durch den Feminismus haben Frauen den Sexisten bewiesen, dass sie alles können, was Männer können, und zum Grossteil ist das Leben dank des Feminismus in säkularen westlichen Ländern heute besser als an irgendeinem Punkt in der Historie. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Männer beweisen, dass sie alles können, was Frauen können. Weder werden uns unsere Schwänze abfallen, noch wird Fussball aufhören zu existieren, und niemand wird uns zwingen, in einem Rüschenkleid und High Heels herumzutanzen – aber Frauen werden uns auch nicht verurteilen, falls wir Bock darauf haben sollten. (…) Es wäre nicht das Ende der Männlichkeit, sondern ein Anfang.”

    Männer in der Potenzfalle
    Interessant ist, dass auch Männer recht häufig einen Orgasmus vortäuschen (Lit: Abraham Morgentaler: Why Men Fake It – The Totally Unexpected Truth about Men and Sex, Henry Holt and Company, New York 2013). Warum?! Sie fürchten sich davor, da sie annehmen, dass sich die Frau verletzt fühlen würde, wenn er keinen Orgasmus hätte.  Und genau das ist zentral:
    Für einen Mann ist der Sex dann gut, wenn die Frau findet, er sei gut gewesen.
    Es ist eines der grössten Missverständnisse bezüglich der männlichen Sexualität, dass es dabei hauptsächlich um die eigene Befriedigung geht. Und all die Trumps, Berlusconis, Strauss-Kahns, Weinsteins und Woods tragen nicht dazu bei, dieses aus der Welt zu schaffen. Im Gegenteil: Die demonstrative Dauerpotenz als Definition des Mannseins schadet den Männern selbst am meisten.
    Die männliche Sexualität hat, gerade weil man lange davon ausging, sie sei so simpel, nie besonders interessiert. Während die Frauen lange Zeit als sexuelle Problemfälle dargestellt wurden, Themen wie Frigidität oder Orgasmusschwierigkeiten rauf- und runterdekliniert wurden, galten Männer als problemfrei. Auch Untersuchungen wurden kaum gemacht – bis Mitte der Achtzigerjahre war nicht einmal restlos geklärt, welche Mechanismen bei der Entstehung einer Erektion überhaupt zusammenspielen. Und noch erstaunlicher ist, dass sogar die erektile Dysfunktion, also die zeitweilige Unfähigkeit zur Erektion, bis Mitte der Neunzigerjahre nie wissenschaftlich im grossen Stil analysiert worden ist.
    Die Verblüffung war deshalb selbst unter Medizinern gross, als die Massachusetts Male Aging Study 1994 dann erstmals Zahlen veröffentlichte, die zeigten: 52 Prozent der Männer zwischen vierzig und siebzig litten zeitweise unter Impotenz (unter den Vierzigjährigen waren 5 Prozent komplett impotent, bei den Siebzigjährigen 15 Prozent). Und wenn schon den Ärzten nicht klar war, wie weitverbreitet dieses unbeliebteste aller männlichen Leiden ist, dann fühlten sich die Betroffenen erst recht einsam damit.
    Es geht nicht nur darum, dass sich Männer bis heute über ihre sexuelle Leistungsfähigkeit definieren und sich gedemütigt fühlen, wenn sie nicht mehr können. Es geht darum, dass für viele Männer in einer Beziehung Sex die einzige Möglichkeit ist, Intimität zu erfahren oder ihre Liebe auszudrücken.
    Die Abhängigkeit von einem stets tadellos funktionierenden Penis macht die Männer verletzlich. Und sie sind heute verletzlicher denn je. Denn sie stehen unter Druck. Während man früher den Frauen unterstellte, kaum oder keinerlei Lust zu empfinden, gar von ehelichen Pflichten sprach, die sie mehr oder weniger freudlos über sich ergehen lassen mussten, sind sie heute in dieser Hinsicht wesentlich selbstbewusster und fordernder geworden. Und weil gleichzeitig die Männer wenig dagegen hatten, dass sie als dauerpotent und immer parat dargestellt wurden, gingen sie sich sozusagen selbst in die Falle.
    Morgentaler zitiert in seinem lesenswerten Buch (Lit: Abraham Morgentaler: Why Men Fake It – The Totally Unexpected Truth about Men and Sex, Henry Holt and Company, New York 2013) einen jungen Mann aus seiner Sprechstunde: «Es ist hart da draussen, Doc. Die letzte Frau, mit der ich ausgegangen bin, sagte mir, wann sie Sex haben wollte, wie sie es wollte und wie viele Male. Ich muss versuchen, da irgendwie mitzuhalten.»
    Da überrascht es wenig, dass es den Begriff «performance anxiety» gibt, also die Angst, im entscheidenden Moment zu versagen. Ganz abgesehen davon, dass auch der Männerkörper sehr viel sensibler auf das Drumherum in seinem Leben reagiert, als das gerne dargestellt wird; ein Fünfzehnjähriger hat selbst an seinem schlechtesten Tag problemlos mehrere Erektionen, ein Fünfzigjähriger nicht mehr. Oder wie es Morgentaler schreibt: «Buben sind simpel, Männer sind komplex.»
    Das männliche Equipment nämlich, wie es Morgentaler nennt, ist ziemlich fehleranfällig: Rund 20 Prozent aller Männer leiden z.B. auch unter vorzeitigem Samenerguss.
    Man kann es aber auch anders sehen: Der junge Mann ist eher wie ein Stürmer im Fussball – der ältere ein Mittelfeldspieler, der nicht mehr so viele Sprints macht und Tore schiesst – der jedoch viel Übersicht hat, das Spiel flach hält, in die Länge zieht, um dann die entscheidenden Pässe zu schlagen…

    Oder: Die Jugendwerke eines Komponisten tönen anders als die Alterswerke. Beide sind aber für sich Kunstwerke und nicht schlechter oder besser.

    Berührungsarmut oder „Touch Isolation“ der Männer

    Ein Mann, der eine Frau anfasst – was denken Sie bei diesem Bild? An den Hashtag #meToo? Viele dürften ein mulmiges Gefühl haben. Denn ein Mann, der eine Frau anfasst, da schwingt heutzutage auch oft die Frage mit: „Darf der das?“. Wir sind misstrauisch geworden und zwar leider oft gegen Männer im Generellen.
    Die Wurzeln des Misstrauens gehen tief, sie beginnen in der Kindheit und zwar mit sexistischen Männlichkeitsvorstellungen, die Eltern auf ihre Söhne projizieren. In einer altmodischen Weise denken wir immer noch, zu viele liebevolle Berührung mache unsere Söhne zu weich, zu weiblich.
    Eltern kuscheln ihre Söhne weniger als ihre Mädchen. Sie lesen ihnen weniger vor. Sie ermuntern sie häufiger, nicht zu weinen – kurz: Sie halten sie emotional häufiger an der kurzen Leine. Mit der Folge, dass Jungs Berührungen bald nur noch in zwei Arten kennen: Schulhofprügeleien und Teamsport. Und später dann: Dating und Sex.
    Diese Einschränkung packt eine grosse emotionale Last auf die Schultern der Mädchen: Sie sind nun der manchmal einzige Ausweg, den Jungs aus einer „Touch Isolation“ finden. Diese beschreibt den Zustand, der Männern kaum Möglichkeiten alltäglicher Berührungen einräumt: „Berührungsarmut“ ist die Folge. Alles konzentriert sich nun auf die Paarbeziehung, was auch mal die Ursache von Potenzstörungen sein kann.

    „Young men starving for touch seek it in the sexual realm, often exclusively from their partners. This makes frequency of sex a challenging issue for couples.“ (Mark Greene: https://goodmenproject.com/featured-content/why-men-keep-demanding-megasahd/)

    Einer der Gründe, warum Männer häufiger Sex wollen, als Frauen? Sicher eine interessante Sicht. Bislang musste immer das Testosteron als Erklärung herhalten: war einfacher.

    Parasympathikus kräftigen!

    Die Erektion wird durch den parasympathischen Teil unseres Vegetativen Nervensystems verstärkt, resp. durch den Sympathikus geschwächt.
    Freude, Genuss, Entspannung (weniger Muskelspannung), Beckenbewegungen (Beckenschaukel!), tiefe Atmung (auch mal laut und nicht „verklemmt“), Hingabe, Spielen stärken den Parasympathikus und damit die Erektion.
    Stress, Angst und wenig Genuss verstärken den Sympathikus und damit die Erschlaffung des Penis – und fördern auch die schnelle Entladung! Die Ejakulation ist also vom Sympathikus getriggert. Also auch Männer mit frühzeitigem Samenerguss können diesen herauszögern, wenn sie sich vor allem entspannen, das Ganze geniessen, sich hingeben, Becken bewegen, im Sex spielen, bewusst tief Atmen…

    Genaueres über die unterstützenden und hemmenden Einflussfaktoren der Erektion: siehe hier: erektion.pdf

    Über das Gleichgewicht im Vegetativen Nervensystem – und in der alten chinesischen Lehre zwischen Yin und Yang lesen Sie mehr an anderem Ort in dieser Website >>> parasympathikus/

    Die Rolle des Testosterons?

    Höchstens 5 Prozent der Erektionsstörungen lassen sich mit Testosteronmangel erklären. Meist liegen andere Ursachen zugrunde.

    Früher dachte man, wenn man mit 55 Jahren keine Lust auf Sex mehr hat, dann ist das halt so. Heute redet man darüber. Entsprechend häufig werden inzwischen die Testosteronwerte bestimmt. Bei den über 40-Jährigen verdoppelte sich die Zahl dieser Laboranalysen in den letzten drei Jahren annähernd; bei unter 40-Jährigen stieg sie um rund 60 Prozent, ergab eine Auswertung des Krankenkassenverbands Santésuisse. Aber längst nicht jeder tiefe Testosteronwert ist behandlungsbedürftig.
    Der Testosteronwert sagt sogar sehr wenig über Libido und Erektion aus!
    Üblicherweise erreichen die männlichen Geschlechtshormonwerte im Alter von 25 Jahren ihren Höhepunkt, danach sinken sie schleichend. Was normal ist, ist jedoch von Mann zu Mann verschieden: Etwa ein Viertel der Senioren hat Testosteronwerte, die höher sind als bei manchem Jüngling. Und viele junge Männer haben zwar gemäss Laboranalyse einen grenzwertigen oder gar erniedrigten Testosteronwert, sind aber quietschfidel und leben gut.
    Zudem sagen Testosteronwerte nur wenig darüber aus, wie es um Libido und Erektionsfähigkeit steht. Die Libido korreliert nur schlecht mit den Testosteronwerten im Blut. Und zu Erektionsproblemen kommt es eigentlich erst, wenn fast kein Testosteron mehr vorhanden ist!

    1) Testosteron sollte nur bedacht werden, wenn bei einem älteren Mann über 60 Jahre das Gesamttestosteron eindeutig vermindert ist: 
    totales Testosteron: zweimal zwischen 6 bis 10 Uhr gemessen: <9 nmol/l.
    In gewissen Guidelines liegt dieser Wert sogar nur bei <7 nmol/l!
    Trifft dies zu, stellt sich die Frage, ob ein sog. primärer Hypogonadismus vorliegt (= LH hoch: genetisches Klinefelter-Syndrom) oder ein sekundärer Hypogonadismus (LH niedrig bis normal: d.h. andere Ursachen für diese Unterfunktion der Hoden suchen, z.B. in der Hypophyse oder Medikamenten-Nebenwirkung,…).
    2) Patienten, die mit Testosteron therapiert werden, sind sorgfältig zu kontrollieren. Ziel der Therapie sind vorderhand Werte von 300-450 ng/dl resp. 10,4-15,6 nmol/l.
    3) Die Patienten sind auf Entgleisung testosteronabhängiger Erkrankungen (z.B. Prostatakrebs, Leberschädigung etc.) zu kontrollieren. (Snyder PJ. Hypogonadism in elderly men – what to do, until evidence comes. N Engl J Med 2004;363:440-2 und 482-92).
    4) DHEA (Vorläufer des Testosteron) hat keinerlei Effekt!

    Mehr über das männliche Geschlechtshormon hier auf meiner Website: www.dr-walser.ch/testosteron/ !

    Joggen statt Medikamente?

    Körperliche Aktivität und aerobes Training hat im Alter auf verschiedene Parameter positive Effekte. Gibt es auch günstige Auswirkungen auf die erektile Funktion? In einer Metaanalyse von elf randomisierten Studien wurden 636 Männer, die aerob trainierten, mit 511 Kontrollen verglichen. Die Männer waren im Mittel 43–69 Jahre alt und die meisten waren übergewichtig. Die Score-quantifizierte erektile Dysfunktion verbesserte sich in der Sportgruppe nach sechs Monaten signifikant gegenüber der Kontrollgruppe. Je stärker die Dysfunktion, desto deutlicher war der positive Effekt. Es scheint sinnvoll, bei erektiler Dysfunktion, Alter >50 Jahre und Übergewicht aerobes Training zu empfehlen, bevor pharmakologisch behandelt wird. (J Sexual Med. 2023, doi.org/10.1093/jsxmed/qdad130.)

    Psychisch versus organisch

    Bei Männer unter 40 Jahren ist die Ursache in über 90 Prozent noch psychosozial, aber bei über 40jährigen findet man bereits in höherem Prozentsatz organbezogene pathologische Veränderungen (Durchblutungsstörungen, Medikamente, Übergewicht). Die Frage lohnt sich also stets: Ist das Ausbleiben einer Erektion eine zu behandelnde Funktionsstörung oder ein gutes Urteil des männlichen Körpers (auf das man hören sollte)?!
    Die Diskussion „psychisch versus organisch“ ist aber ein zu wenig differenziertes Bild von sexuellen Problemen. Die biologischen Faktoren des Älterwerdens können, müssen aber nicht zwingend Ursache von Sexualstörungen sein. Im Vordergrund stehen behandelbare Ursachen wie psychische Krankheiten, Hormonstörungen, Persönlichkeitsfaktoren (Angst vor dem Versagen) und Partnerschaftsprobleme. Zudem wurde festgestellt, dass die biologischen Faktoren insbesondere bei der erektilen Dysfunktion stark vom Lebensstil des Individuums abhängen.

    Ein Mann identifiziert sich also sexuell vor allem über seine Erektion (die Frau eher über das Begehrt Werden). Partnerinnen beklagen sich selten über die Erektionsstörungen ihrer Männer.
    Dazu David Schnarch (in „Psychologie sexueller Leidenschaft“): „Wenn Sie Liebe machen wollen, warum nehmen Sie dazu nicht die Teile Ihres Körpers, die zur Liebe fähig sind – Ihr Gehirn und Ihr Herz -, und lassen den Rest des Körpers dann folgen, wie es sich eben ergibt? Da es Ihnen so wichtig ist, Ihre Partnerin nicht „hängenzulassen“, frage ich mich: Haben Sie, wenn die Erektion nachlässt, jemals festgestellt, dass auch Ihre Zunge oder Ihre Finger schlaff werden?“

    Sexuelle „Störungen“ sind Persönlichkeitsstörungen

    Ein Mann, der „seinen inneren Mast“ aufgerichtet hat, als Mann reif geworden ist, sich bewusst und versöhnlich von seiner Mutter getrennt hat, dem muss sein äusserer Mast (Penis) nicht immer stehen!

    Lesen Sie dazu das phantastische und äusserst brauchbare Buch von David Schnarch: „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“, Klett-Cotta, Stuttgart 2006.

    Bei Frauen übrigens kommt die existentielle Bedrohung in der Sexualität durch das Nicht-begehrt-werden.
    Bei ihr heisst es also: Ich bin, wenn ich begehrt werde.
    Beim Mann: Ich bin, wenn ich erigiert bin! oder „Ich stehe, also bin ich!“.

    Auch in Dauerbeziehungen überraschen und Neues entdecken

    Nicht Gewohnheit und eingefahrene Verhaltensweisen erwecken sexuelle Leidenschaft, sondern Überraschung und ungewohnte neue Reize. Ein bewährtes „Liebesmittel“ besteht für Paare darin, sich immer wieder neu zu entdecken (den anderen insbesondere auch sexuell zu erkunden). Dazu können beide Partner ihren Beitrag leisten, indem sie immer mehr von sich selbst zeigen (d. h. von ihrem Denken, Fühlen und Verhalten) und andererseits beim Partner nach unbekannten Seiten forschen. Nur so kann letztlich eine umfassende Intimität entstehen, bei der man sich eben nicht nur körperlich entblösst, sondern sich auch seelisch als der- oder diejenige zeigt, als der oder die man sich selbst fühlt oder verwirklichen will. Teilen Sie also Ihrem Partner möglichst Ihre momentanen Gedanken und Gefühle mit, insbesondere auch ihre Wünsche und Fantasien an das sexuelle Miteinander. Gehen Sie Konflikten nicht aus dem Weg und benennen Sie mögliche Defizite und Enttäuschungen, aber bitte in einer Form, die den anderen wertschätzt. So verhindern Sie, dass sich Routine und Langweile einschleichen und eine scheinbare „Komfortzone“ breit macht, die durch ihre Festgefahrenheit auf Dauer eher einschränkt als sexuell belebt. Und noch etwas: Wahre Intimität muss sich keineswegs immer nur wohlig anfühlen  – sie kann auch verunsichern!

    Intimität („Selbstenthüllung“): Mehr als nur den Körper zeigen

    Intimität wird nicht nur auf körperlichem Weg oder durch gegenseitiges Vertrauen, Akzeptanz, Empathie, Bestätigung und gegenseitige Enthüllungen möglich. Bewältigte Konflikte, Selbstbestätigung und einseitige Preisgabe tragen dazu mindestens ebenso effektiv bei. Bedenken Sie: Man kann einen Menschen nur dann wirklich lieben, wenn man ihn auch richtig kennt.

    Sexualität als Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung

    Nutzen Sie auch die Sexualität dazu, sich in Ihren Persönlichkeiten weiter zu entwickeln und zu denjenigen zu werden, die sie sein wollen. Begrüssen Sie es nicht, wenn Sie glauben, dass der andere für sie vorhersagbar und vertraut geworden ist. Damit schwindet nämlich der Reiz des Neuen und beginnt der andere als interessantes Individuum zu verblassen. Begrüssen Sie lieber jeden neu erkannten Unterschied zu Ihnen als Ausdruck von Besonderheit. Jede festgestellte Eigenartigkeit bewahrt sie über kurz oder lang zugleich vor Enttäuschungen, die immer dann entstehen, wenn Sie von sich selbst auf den anderen rückschliessen. Und bedenken Sie: 1. Kaum jemand ist schon zu Beginn einer bestimmten Paarbeziehung für diese „beziehungsfähig“, das wird man meist erst durch die jeweilige Beziehung selbst. 2. Wir suchen uns keinen Menschen aus, der perfekt zu uns passt, denn auch wir selbst sind nicht perfekt.

    Selbstwert nicht vom Partner abhängig machen

    Verzichten Sie darauf, sich den anderen „zurechtzuschmieden“, indem er irgendetwas tun, einsehen oder zugeben soll. Sie benutzen ihn sonst nur als „Aussenstation“ für die eigene Person, die Gutes für Sie tun und Mängel beheben soll. Konzentrieren Sie sich lieber auf sich selbst und geben Sie sich selbst das, was Sie vom anderen sehnlichst erwarten (Selbstbestätigung bzw. Selbstregulation anstelle von Fremdbestätigung bzw. Fremdregulation). Öffnen Sie sich Ihrem Partner, ohne von ihm zu erwarten, dass er Gleiches tut oder Ihre Äusserungen akzeptiert. Machen Sie auch ihr sexuelles Selbstwertgefühl nicht vom anderen und dessen Reaktion abhängig. Indem Sie sich dem anderen zeigen, wie Sie sind, geben Sie sich bereits selbst die Bestätigung, so auch sein zu dürfen! Permanente Auseinandersetzungen darüber, wie etwas wirklich war, sind ein verlässlicher Gradmesser dafür, wie abhängig man von der Bestätigung durch andere ist. Auch Ängste (Defizite in der Selbstregulation) sind ein wichtiger Hinweis auf eine noch unzureichende Differenzierung. Und nicht zu vergessen: Wer sich von der Meinung anderer abhängig macht, wird dadurch manipulierbar!

    Auch in der „Verschmelzung“ bei sich bleiben

    „Sexuelle Verschmelzung“ kann sehr erregend sein, geht auf Dauer aber mit der Gefahr einher, dass sich die Beteiligten nicht mehr als Individuen erleben. Der andere dient dann immer mehr nur als Ersatzteil (bzw. wie eine Transfusion) zur eigenen Vervollkommnung. Er oder sie wird nicht mehr als Person mit eigenen Wünschen und Rechten erkannt und darf sich dann kaum noch verändern, weil von seinem Verhalten das eigene Selbstgefühl abhängt. Hinzu kommt die Gefahr, dass beide Partner sich auf ein Minimalprogramm von Erlebnis- und Verhaltensweisen einigen, um die Verschmelzungsmöglichkeit nicht zu gefährden. Keiner traut sich dann mehr, Wünsche zu äussern, bei denen er nicht von vornherein sicher sein kann, dass sie der andere nicht zurückweist. Auf Dauer kann sich so eine „tyrannische Harmonie“ einstellen, deren Langweile erdrückt. Entwickeln Sie daher die Fähigkeit, auch im engen emotionalen und körperlichen Kontakt dem anderen nahe zu sein und doch zugleich auch an sich selbst festzuhalten, also Ihr Selbstgefühl zu wahren. Üben Sie, Ihre Wünsche nach Bindung und Autonomie immer wieder neu auszubalancieren. Bleiben Sie nicht nur dem anderen, sondern auch sich selbst treu! Die Alternative „Halte an dir oder mir fest“ ist alles andere als zwingend. Es ist möglich, dem anderen sehr verbunden zu sein und doch gleichzeitig man selbst zu bleiben. Es ist eine Illusion anzunehmen, in einer glücklichen Beziehung müsse alles synchron (wie beim Eiskunstlauf) vonstatten gehen. Bei einer „emotionalen Verschmelzung“ laufen die Beteiligten Gefahr, sich gegenseitig Funktionen zu übertragen, um so ihr eigenes Selbst aufblähen zu können. In einem solchen Fall werden Sie dann vom anderen nicht „begehrt“, sondern schlicht „gebraucht“. Im Gegensatz zu einer immer sinnvollen wechselseitigen Unterstützung wird bei einer „Funktionsübertragung“ an den anderen (z. B. Selbstwertstützung) das Funktionsniveau des einen Partners herab- und das des anderen heraufgesetzt. Dominanz, Einschüchterung, beschwichtigende Unterordnung und emotionaler Rückzug sind häufige Begleiterscheinungen. Eine stabile und differenzierte Persönlichkeit braucht dagegen nicht zu befürchten, sich in einer Beziehung „aufzulösen“ oder „verschlungen“ zu werden. Ausserdem erträgt sie es, alleine zu leben. Auch in einer Partnerschaft hat „differenziert“ (= unterschieden sein, man selbst bleiben) nichts mit „ichbezogenem Streben“, reinem „Individualismus“ oder „Egoismus“ zu tun. Ein solches Verhalten beschreibt die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Individualität und das Bedürfnis nach Miteinander in ein Gleichgewicht zu bringen und die eigene Identität zu bewahren. Differenzierte Menschen sind selbst bestimmt und brauchen daher nicht auf Unabhängigkeit zu pochen. Also scheuen Sie sich nicht, sicht- und spürbar Positionen zu beziehen, die Sie als Person erscheinen lassen. Dann werden Sie von Ihrem Partner auch „erkannt“.

    In sexuellen Problemen Alltagsprobleme wiedererkennen

    Betrachten Sie „sexuelle Probleme“ nicht als isolierte Ereignisse, die sich „nur im Bett“ ereignen. Oft sind sie Ausdruck der Art und Weise, wie Sie auch sonst mit dem Leben umgehen. Weiten Sie daher immer auch Ihren Blick und fragen Sie sich, ob Ihnen an Ihrem Denken, Fühlen und Verhalten manches auch aus anderen Situationen bekannt vorkommt. Sexualität ist für viele Menschen wie ein Mikroskop, indem sie sich plötzlich viel deutlicher bzw. spürbarer wahrnehmen können als im Routinebetrieb des Alltags. So wird sich ein Selbstwertproblem über kurz oder lang auch in der Sexualität bemerkbar machen (etwa wenn man ein eher unauffälliger Mensch sein und bleiben will). Wer sich schon im Alltag nicht „verbunden“ fühlt, wird auch in der Sexualität nicht unbedingt „Verbundenheit“ erleben. Da es oft um grundsätzliche Verhaltensmuster geht, kann sich „sexuelle Weiterentwicklung“ sogar auf Ihr gesamtes Leben günstig auswirken. Nutzen Sie also Ihre Sexualität auch als hilfreiches und wirksames Instrument der Selbsterkenntnis und Selbstentfaltung.

    Sich von Vergangenem lösen

    Haften Sie nicht an der Vorstellung, dass Ihre Vergangenheit so mächtig ist, dass diese eine befriedigende Sexualität unmöglich macht. Letzteres ist natürlich dann der Fall, wenn die dauernde Beschäftigung mit der Vergangenheit so viel Energie verzehrt, dass für sexuelles Begehren nichts mehr zur Verfügung steht. Wenn sie darauf achten, was sich in Ihrer heutigen Sexualität abspielt, kommt die Vergangenheit automatisch auch zum Zug. Sie kann dann allerdings im hier und jetzt und in ihren Auswirkungen auf das heutige Geschehen aufgearbeitet werden.

    Vorsicht vor Techniktipps

    Lösen Sie sich von der Erwartung, für jedes persönliche und damit auch sexuelle Problem gebe es eine bestimmte psychologische Technik, bei der es nur darauf ankommt, sie richtig anzuwenden. Solche Techniken gibt es nicht. Hüten Sie sich insbesondere vor einer technikfixierten Sexualität, bei der die Befolgung bestimmter Anweisungen „Erfüllung“ verspricht. Ein solches Vorgehen zieht oft die Aufmerksamkeit vom Partner ab, lenkt die Konzentration auf eigene Empfindungen und erzeugt regelrecht einen Orgasmuszwang. In einer solchen Situation ist es kein Wunder, wenn man auf den Partner kaum noch Lust verspürt, der Kontakt zum anderen verloren geht und die sexuelle „Begegnung“ ihren Reiz verliert. Das gilt insbesondere, wenn man auch noch dem Rat mancher Sexualtherapeuten folgt, sich in der Fantasie einen anderen Partner vorzustellen. Machen Sie sich bewusst, dass „sexuellen Problemen“ keineswegs nur körperliche Funktionsstörungen oder ein Libidomangel zugrunde liegen kann. Mindestens genau so bedeutsam sind Beziehungsprobleme, die sich eher selten durch Fertigkeiten und Techniken lösen lassen als vielmehr durch persönliche Reifungsschritte.

    „Schöne Sexualität“ ist nicht abrufbar, sie muss erschaffen werden

    Die Schönheit der Sexualität liegt weniger in dieser selbst als in den Beteiligten. Sie muss daher immer erschaffen und in die Sexualität hineingetragen werden. Wie schön Sexualität dann wird, hängt somit wesentlich davon ab, wer wir selbst sind und wie wir mit dem Leben umgehen. So erklärt sich, warum ältere Menschen davon ausgehen, dass sie im jetzigen Alter „weitaus besser im Bett“ sind als früher. Sie können sich ihrem Gegenüber leichter zu erkennen geben und müssen sich und dem anderen nicht mehr so viel vormachen. So fühlt sich ein reifer Mann durch eine selbstbewusst auftretende Frau nicht bedroht. Er kann sich von dieser auch auffangen und stützen lassen. Eine reife Frau kann initiativ werden und muss sich für ihre erotischen Wünsche nicht mehr rechtfertigen.

    Stimulation durch Sinn und Bedeutung

    Die Fähigkeit, Sexualität Sinn und Bedeutung zu verleihen, hat das menschliche sexuelle Potenzial enorm erweitert. So erklärt sich, warum manche Menschen auch trotz geringer körperlicher Erregung zum Orgasmus kommen oder sogar ohne Orgasmus intensiven Sex erleben können. Dabei geht es meist weniger um exotische Liebesstellungen als vielmehr um inneres Wachstum. Dagegen können Bedeutungen, die man selbst bestimmten Vorgängen zuschreibt, oder ungünstige Vorstellungen, die man sich von anderen macht, Lust töten. Dazu kann es beispielsweise kommen, wenn man als „sexuell Nehmender“ Leistungsdruck oder Schuldgefühle verspürt. Auch Wut und Ärger können Lust rauben. Dagegen kann die Vorstellung, durch ein bestimmtes Verhalten Regeln zu verletzen, je nach Person lustfördernd oder lustdämpfend wirken. Das Erregungsniveau beeinflussen auch Vorstellungen davon, inwieweit der andere zu einem passt und ob das Ambiente oder die sonstigen Umstände als günstig oder störend erlebt werden. Angst kann in geringer Dosierung Erregung fördern und Langweile vermeiden, in zu grosser Dosis aber Lust verhindern. Schliesslich gehört ein gedankliches Hintergrundgeräusch, bei dem man das aktuelle Geschehen selbst pausenlos kommentiert, zu den gängigen Lusttötern. Da die Triebimpulse und Sinnesreize sexuelles Begehren mit zunehmendem Alter weniger stark stimulieren, die Erregungs- und Orgasmusschwelle also ansteigt, können hilfreiche (!) Gefühle und Gedanken umso bedeutsamer für die Lusterzeugung werden. Dabei kommt es dann darauf an, Erotik, Begehren, Leidenschaft, Liebe und emotionale Verbundenheit zu fördern (sich z.B. von emotionaler Verbundenheit in der Sexualität leiten zu lassen).

    Sich sexuell authentisch verhalten

    Verzichten Sie auf widersprüchliche Botschaften, bei denen Sie Ihrem Partner verbal versichern, alles sei so in Ordnung, während Sie nonverbal auf Veränderung drängen. Bemühen Sie sich auch in diesem Lebensbereich darum, sich echt („authentisch“) zu verhalten. Ihr Partner wird dies registrieren und Ihnen danken. Machen Sie sich bewusst, dass Sie vor allem etwas von sich selbst verraten (von Ihren Wünschen, Vermutungen, Werten usw.), wenn Sie das Verhalten Ihres Partners „deuten“. Kompromisse oder Zug-um-Zug-Vereinbarungen („Ich bediene stärker deine Vorlieben, dann bediene du auch stärker die meinen.“) bringen nicht immer das erwartete Ergebnis: Zwar kommt es zum vereinbarten Verhalten, aber das begleitende Desinteresse wird vom „Bedienten“, sobald er „an der Reihe ist“, als mangelndes Begehren gespürt. Ein solches Ergebnis bremst dann die Lust oft mehr, als dass es sie fördert. Und letztlich bekommt doch keiner das, was er vor allem wollte.

    Einstellungen und Verhalten ändern, nicht nur das Denken

    Erwarten Sie nicht, dass sich Ihre Sexualität allein durch „bemühtes“ Denken verändert. Ohne eine entsprechende Änderung Ihrer Einstellungen, wird sich wenig verändern. Denken Sie auch an die von einigen Paaren praktizierte Möglichkeit, Konflikte „im Bett auszuschlafen“. Unsere Geschlechtsorgane mögen zum Sex geeignet sein, zur Ausübung von Liebe sind Kopf und Herz oft viel begabter. Wenn die Geschlechtsorgane einmal ihren Dienst versagen, braucht die Liebe also nicht zu versiegen und können auch andere Wege gefunden werden, um Sexualität zu leben. Und bedenken Sie: Damit sich in einer Paarbeziehung nichts bewegt, bedarf es beider Partner. Wenn man eine Veränderung in Gang setzen will, reicht dagegen meist schon einer aus.

    Den Partner „bis zur Entspannung umarmen“

    Finden Sie einen neuen Zugang zueinander, indem Sie sich tagsüber nicht nur die gesellschaftlich üblichen und maximal 4 bis 5 Sekunden dauernden Umarmungen zugestehen. Wenn Sie sich Umarmungen gönnen, die so lange anhalten, bis die beiden Beteiligten sich entspannt fühlen, werden Sie merken, dass es dafür auf einen besonderen „Stand“ ankommt: Es gelingt fast nur, wenn jeder auf den eigenen Füssen steht, sich auf sich selbst konzentriert und sich selbst beruhigt. Bereits wenn einer sich auf den anderen stützt, rückt die Entspannung für beide schon in die Ferne. In der Art sich zu umarmen, spiegelt sich immer auch etwas die Art und Weise wider, wie man durchs Leben geht.

    Sich beim Vorspiel verständigen

    Machen Sie sich bewusst, dass die Art und Weise des sexuellen Vorspiels den Umgang eines Paares mit Intimität und die Machtverhältnisse in der Beziehung widerspiegelt. Haben Sie sich beispielsweise schon einmal gefragt, wer von Ihnen beiden darüber entscheidet, wann das Vorspiel beendet ist und der Hauptakt beginnt? Das Vorspiel ist in aller Regel ein Verständigungsprozess darüber (oft mit unbewusstem „Handeln und Feilschen“), auf welcher Ebene von Intimität, Erotik Bedeutungserleben und emotionaler Verbundenheit sich die sexuelle Begegnung im weiteren Verlauf entfalten soll. Das Vorspiel gibt insbesondere die emotionale Grundstimmung und die Bedeutungsebene vor. Manchmal ist das Vorspiel für den einen und der folgende Teil für den anderen Partner gedacht. Sexuelle Probleme lassen sich daher nicht selten, durch Veränderungen des Vorspiels verringern.

    Vorspiel und Orgasmus mit offenen Augen

    Offenbar schliesst die Mehrheit westlicher Menschen bei sexuellen Begegnungen die Augen. Wenn Sie zu diesem Personenkreis gehören, bieten sich Ihnen neue Erlebensmöglichkeiten, wenn Sie künftig die Augen auch beim Vorspiel öffnen und ihren Partner damit näher an sich heran bzw. in sich hineinblicken lassen. Sex mit offenen Augen (= einer offenen Seele) signalisiert Ihrem Partner, dass Sie ihn bei sich haben wollen. Möglicherweise werden Sie sich dann Ihrer eigenen Person besonders intensiv bewusst und entwickeln das Gefühl, dass Sie Ihrem Partner extrem nahe und völlig preisgegeben sind. Ausserdem werden Sie dann vermutlich auch den erwähnten „Verständigungsprozess“ besser registrieren und so Neues über Ihre Beziehung erfahren. Vielleicht merken Sie dann auch, dass Sie bislang beim Liebe machen weit weg voneinander waren und sich ganz auf ihre eigenen Sinnesempfindungen konzentriert haben, so dass sich zwar die Körper berührten, die Personen aber nicht wirklich begegneten. Jedenfalls gehören sexuelle Begegnungen mit Blickkontakt zu den Formen intensivster Intimität. Sex mit offenen Augen setzt voraus und fördert, dass man sich bedingungslos aufeinander einlässt und an den Erregungsmustern des anderen teilhat (so dass man auch von den eigenen Sinneserfahrungen nicht mehr abgelenkt wird). Anfänglich mag das Öffnen der Augen noch ein Akt der Tapferkeit sein, ein Akt der Selbstbejahung ist es immer. Wer dem Partner nicht ins Auge blicken will, sieht vielleicht auch bei anderen Dingen weg bzw. hat generell Angst, dem Leben ins Auge zu blicken.

    Den anderen wirklich berühren

    Manche Paare streicheln sich, ohne dabei den anderen wirklich zu spüren. Sie spüren zwar Haut, aber nicht den Partner. Von einer echten Kontaktaufnahme kann dann keine Rede sein. Wie steht es mit Ihnen? Berühren Sie den anderen auch in seinem Wesen und seinen Gefühlen? Manchmal hilft es, Bewegungen zu verlangsamen, um den Kontakt besser zu spüren. Wer beim gemeinsam Tanz Kontakt erlebt, kann diese Erfahrung auf die Sexualität übertragen.

    Weitere Tipps

    Genuss steigert sich oft dadurch, dass man über ihn redet. Verfallen Sie bei sexuellen Begegnungen also nicht in Sprachlosigkeit. Tauschen Sie Ihre Erfahrungen und Ihr Erleben aus. Gehen Sie nicht der Versuchung auf den Leim, Ihren Partner in jahrelanger mühseliger Kleinarbeit zu ändern, um sich dann von ihm zu trennen, weil es sich nicht mehr um die Person handelt, die Sie einmal geheiratet haben. Verzichten Sie möglichst auf Alkohol. Dieser verlangsamt die nervlichen Reaktionsabläufe. Wenn man sich unter Alkohol „beflügelt“ fühlt, hat dies meist damit zu tun, dass Alkohol vorübergehend Angst und Anspannung verringert.
    (In diesen Abschnitt habe ich die Modifikationen von Dr. med. Herbert Mück (Köln) www.dr-mueck.de / Copyright 2006 übernommen)

    Körperliche Bedingungen welche eine Rolle spielen:

    „Erektile Dysfunktion“ (ED), wie die Erektionsstörungen neuerdings genannt werden und die koronare Herzkrankheit (KHK), die zum Herzinfarkt führt, haben fast die gleichen Risikofaktoren (Hypertonie, Diabetes, hohe Blutfette, Rauchen).

    Man kann also auch sagen, dass bei über 40jährigen Erektionsstörungen einen ersten Hinweis für eine KHK sein können.

    Übergewicht erhöht das Risiko einer ED um 30%, während körperliche Bewegung das Risiko um 30% senkt (Esposito K. et al.: JAMA 2004; 291: 2978-84).
    Allgemeinerkrankungen (z.B. muss eine Unterfunktion der Schilddrüse abgeklärt werden); Querschnittlähmung; Verengung der Vorhaut; Erschöpfungszustände; Alterung (jedoch sind nach 60 Jahren noch 50%, nach 70 Jahren 30% und nach 80 J. noch 20% der Männer potent, was v.a. davon abhängt, ob ein sexuell interessierter Partner noch vorhanden ist); Hormone (Östrogene); chemische Mittel wie Alkohol, Schlafmittel, Psychopharmaka, sonstige Medikamente (siehe weiter unten); Opiate; Haschisch und Nikotin. Vor allem jede Zigarette wirkt wie ein Tritt in die Weichteile. Obwohl die Tabakwerbung immer noch mit dem Klischee von Männlichkeit arbeitet, ist Nikotin ein Potenzkiller ersten Ranges: es fördert Potenzprobleme, da es Blutgefässe verengt und die Blutzufuhr zum besten Mannsstück proportional mit der Zigarettenanzahl fällt. Wie stark Rauchen potenzschädigende Einflüsse hat, zeigt eine Studie der Boston University Medical School. Während nur 25 Prozent der männlichen Bevölkerung rauchen, waren von 1000 erektionsgestörten Männern 78 Prozent Raucher. Und selbst wenn sie „es“ schaffen: Bei Rauchern leidet die Spermaqualität und -quantität ganz beträchtlich. (mehr übers Rauchen hier!)

    Durch Lifestyle-Veränderungen (idealerweise ab 40 Jahren) wie Halten des idealen Körpergewichts, regelmässige Bewegung (Joggen > siehe oben), Nikotinstopp und Stressbewältigung können deshalb den körperlichen Ursachen der sexuellen Dysfunktion vorgebeugt werden.

    Impotenz kann auch als begleitende Missempfindung von ausstrahlenden Schmerzen aus sogenannten Triggerpunkten in umliegenden Muskeln entstehen. Dabei wäre v.a. die Bauchmuskulatur (Musculus Rectus abdominis und die Obliqui) abzuklären und zu therapieren (mittels manueller Triggerpunkttherapie).

    Wie kann man die Ursachen unterscheiden?

    Suchen Sie Ihren Hausarzt auf und schildern Sie ihm das Problem – er wird Ihnen einige Fragen dazu stellen (Ist das Problem plötzlich oder schrittweise aufgetreten? Liegt das Problem beim Erreichen einer Erektion, bei deren Erhaltung, oder beidem? Ist der erigierte Penis gerade oder gekrümmt? Bestehen dabei Schmerzen? An welche Ursachen glauben Sie (körperlich, psychisch)? In welchem Alter begann die sexuelle Aktivität mit Partner? Hinweise auf sexuellen Missbrauch? Kommt es zu festen Erektionen beim Aufwachen, bei Harndrang, bei manueller Stimulation, bei besonderen Situationen (erotische Kleidung, in den Ferien, Sex an ungewöhnlichen Orten, erotische Bücher etc.)? Reichen die Erektionen für Vaginalverkehr aus? Verschwinden die Erektionen vor der Ejakulation? ist Orgasmus mit Ejakulation möglich? Selbsteinschätzung des Sexualtriebs (z.B. auf einer Skala von 1 bis 10)? andere Gesundheitsprobleme (Diabetes, Hypertonie, Schilddrüse, Hirn, chronische Schmerzen, Rückenprobleme, Zirkulationsstörungen, Urinierbeschwerden, Verstopfung)? Frühere Behandlungen wegen Sexualproblemen? Genussmittel: Alkoholkonsum, Zigarettenkonsum im Detail? Wie steht der Partner zum Problem? Welche Behandlungsmöglichkeiten kennen Sie?)

    Medikamente als Ursache

    Medikamente, die zu einer erektilen Dysfunktion führen können:
    Blutdruckmittel: ACE-Hemmer (selten), Kalziumantagonisten (selten), Beta-Blocker, Verapamil, Clonidin, Methyldopa, Reserpin, Guanethidin, Thiazide
    Psychopharmaka: Antidepressiva (Fluoxetin, Lithium, MAO-Hemmer, Sertralin, trizyklische), Tranquilizer (Phenothiazine, Butyrophenon)
    Anticholinergika (Antikonvulsiva, Disopyramid)
    Antiandrogene (Cyproteronacetat, GnRH-releasing-Agonisten, Finasterid: „Post-Finasterid-Syndrom“)
    Hormone (Östrogene, Progesteron, Kortikosteroide)
    Herzmedikamente (Digoxin, Disopyramid)
    Diuretika (Thiazide, Spironolacton)
    Blutfettsenker (Gemfibrozil, Clofibrat, Statine (1))
    Aknemittel Isotretinoin (Roaccutan)
    Chemotherapeutika (Cyclophosphamid, Methotrexat, Roferon-A)
    Anticholinergika: Disopyramid, Antikonvulsiva
    Verschiedene andere: Schmerzmittel (NSAD – nicht steroidale Entzündungshemmer, Disulfiram, H2-Blocker (Cimetidin, Ranitidin), Phenytoin, Proscar, Opiate, Amphetamin, Metoclopramid, Carboanhydrasehemmer, Baclofen
    Drogen: Marihuana, Heroin

    (1) Studien lassen vermuten, dass Atorvastatin (Sortis u.a.) Erektionsstörungen hervorrufen kann. In der WHO-Datenbank beschreiben 24 Fälle eine erektile Dysfunktion, bei denen der Zusammenhang mit Atorvastatin als wahrscheinlich oder möglich eingestuft wurde.
    Bei der französischen Nebenwirkungszentrale betrafen der 1,1% der Meldungen zu Statinen (Substanz nicht näher bezeichnet) eine erektile Dysfunktion, während dies bei anderen Medikamenten nur in 0,4% der Meldungen der Fall war. (Safety Signal of Atorvastatin and the Risk of Erectile dysfunction)

    Therapie

    Ein allgemeines Wundermittel gegen Impotenz existiert leider nicht! Obige körperliche und medikamentöse Bedingungen müssen abgeklärt und beseitigt werden.

    Psychosoziale Faktoren angehen: Psycho-/Paartherapie – Differenzierung von luststeigernder Auf-(Er)regung mit Dysstress (Versagerangst…): Anregungen siehe hier weiter oben >>>!

    Bei Übergewicht abnehmen und/mit mehr Bewegung!
    Nikotinstopp!
    Bessere Stressbewältigung!

    Die Erektion macht eine bessere Durchblutung: Zur Erektion kommt es drei- bis viermal pro Nacht im Schlaf, wodurch 1,5 bis 3 Stunden gute Durchblutung und Sauerstoffversorgung gewährleistet ist. Dies nimmt im Alter aber an Frequenz und Dauer ab. Einen Ausgleich bietet ein spezielles Training: Schliesslich wird bei einer Beanspruchung der Oberschenkelmuskulatur nicht nur Blut aus den Schwellkörpern des Penis abgezogen. In der Erholungsphase kommt es zu einer kompensatorischen Mehrdurchblutung im Penis mit Sauerstoffwerten, die man sonst nur während der Erektion misst. Und diese Hyperkompensation kann man auch mit folgendem Training herbeiführen:

    • Nach viertelstündiger Aufwärmphase (z.B. Laufen) eine halbe Minute skippen, d.h. schnell auf der Stelle laufen und die Knie hochziehen mit voller Kraft.
    • Danach langsam weiterlaufen halbe Kraft voraus.
    • Nach 3,5 Minuten wieder 30 Sekunden skippen, dann wieder 3,5 Minuten langsam laufen. Fünfmal so wechseln zwischen Auspowern und ruhigem Joggen und sich anschliessend noch etwa zehn Minuten entspannen: Denn jetzt ist die Penisdurchblutung am grössten – also nicht gleich kalt duschen!
    • Um den venösen Rückfluss zu drosseln und die Rigidität zu erhalten, kann man ebenfalls etwas tun. Hier spielt die ischiocavernöse Muskulatur (auch Potenzmuskulatur genannt) eine entscheidende Rolle. Zwei bis dreimal die Woche 15 bis 20 Minuten gezielte Übungen reichen:
      Zuerst mal richtig Sitzen! Man stellt die Füsse weit auseinander auf den Boden, die Zehen zeigen eher nach innen. Die Knie fallen so von selbst gegen die Mitte. Man rollt nun mit dem Becken vor die Sitzbeine, bekommt dabei ein leichtes Hohlkreuz und spannt so passiv den Beckenboden: Bestes Beckenbodentraining!
      Mann steht aufrecht mit leicht gebeugten Beinen, Füsse schulterbreit auseinander. Er stellt sich vor, er klemme ein Geldstück zwischen seinen Pobacken fest ein und hebe ein Tuch auf seinem Penis in Richtung Bauch. Dabei spannt er ischiocavernöse Muskeln und Beckenboden an. Dies kann er durch Tasten am Damm kontrollieren.
      Mann stellt sich vor, er sitze auf einem Reissack und sauge die Körner mit dem Beckenboden in sich auf.
    • weitere Übungen:  www.dr-walser.ch/kegel/ + ischiocavernosus-muskel-pdf
    • Falls die Ursache verengte Penisarterien sind, so sollten Sie es (nebendem „blauen Diamanten“ Viagra) mit einer ganz besonderen Diät versuchen: der „Herz-Diät“ von Dean Ornish.
      Der Medizinprofessor hatte Anfang der 90er Jahre die Infarkt und Herzbehandlung revolutioniert, als er ohne chirurgische Eingriffe oder medikamentöse Behandlung bei über 80Prozent seiner Herzkranken bedrohliche Arterienverengungen durch eine umfassende Veränderung des Lebensstils heilen konnte – über 90 Prozent waren schliesslich schmerzfrei. Wie Ornish nun fand, wirkt sein ganz besonderes Behandlungsprogramm auch bei Mannesschwäche.
      Die Ornish-Therapie beruht im wesentlichen auf folgenden Fundamenten: Raucherentwöhnung, gesunde, sog. mediterrane Ernährung, Meditation, regelmässige Bewegung und psychologische Gruppenarbeit, die dem Stressabbau dient.

    Guter Übersichtsartikel zur erektilen Dysfunktion: Schweiz Med Forum; 35; 28.August 2002; 810-18Diagnostik und Therapie; Nr.36, 836

    Vorzeitiger Samenerguss, Ejaculatio praecox

    Lernen Sie, die Erregung nicht zu hoch gehen lassen. Beim vorzeitigen Samenerguss gibt sich Mann auch zuwenig Zeit, seine Ladung richtig aufzubauen. Häufig hat er schon als Junge trainiert, möglichst schnell zu kommen, er baut seine Erregung nur im Schwanz auf und nicht im Bauch,  nicht im ganzen Körper. Interessant ist, dass Männer mit Praecox oft aggressionsgehemmt sind. Sie kommen nicht an den Teil in sich heran, wo sie triebhaft werden, wo die tiefe Erregung den Körper zu durchfluten beginnt. Sie kommen nicht in diesen aggressiven Zustand, in dem ein Mann die Frau in ihrer Tiefe berühren und wecken will. Könnten sie dies tun, würde die Frau in ihrem eigenen Begehren und Verlangen geweckt, den Mann zu nehmen. Diesen Zustand meidet er, und sie wird aggressiv, weil sie total frustriert ist.
    Was kann ich dagegen tun: Gut und viel onanieren, dabei den Punkt ohne Wiederkehr kennen lernen, sich da hinein entspannen lernen, ohne abzuspritzen, und wieder von vorne anzufangen. Zudem empfiehlt es sich, seine Aggression hervorzuholen, mal die Stimme zu gebrauchen, mal wieder herumzubrüllen, anfangs vielleicht allein im Auto, später auch mal beim Sex. Sich als Gorilla fühlen und auf den Brustkorb trommeln. Sich mal wieder als Eroberer feiern. (Peter A. Schröter, Charles Meyer: Die Kraft der Männlichen Sexualität, 2003).
    Und noch dies zur sogenannten „Squeeze-Technik“ (wörtlich Quetschtechnik), die lange als Hauptmethode gegen vorzeitigen Samenerguss galt (aus David Schnarch, Die Psychologie sexueller Leidenschaft). Sie kann zwar die Ejakulation hinausschieben, macht aber auch der Intimität den Garaus. Stellen Sie sich vor, wie ein Mann, der sich dem Orgasmus nähert, den Penis aus dem Körper der Partnerin zieht und ihn zusammendrückt. Er hat dann schon einige Zeit vorher aufgehört, sich auf die Partnerin zu konzentrieren, und den richtigen Augenblick abgewartet, um sozusagen den sexuellen Heimlich-Handgriff anzuwenden. Diese Methode wird selten in Frage gestellt, denn sie versucht die Sexualität krisengeschüttelter Paare in dieselben mit Intimität unvereinbaren Bahnen zu lenken, in denen sich die Mehrheit der Paare ohnehin schon bewegt.

    Und eine Pille?

    Wer unbedingt den „einfachen“ Weg über ein Medikament gehen will:
    Von vorzeitiger Ejakulation geplagten Männern kann mit einem Opioid geholfen werden. Türkische Ärzte (Mehmet Kaynar et al., Urology 2012; 79(1): 145-149) behandelten in einer Studie 60 Patienten mit primärer Ejaculatio praecox zwei Stunden vor dem Geschlechtsverkehr mit 25mg Tramadol und konnten damit die Latenzzeit fast vervierfachen. Tramadol könnte sich damit als Alternative zu kurzwirksamen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) wie Dapoxetin anbieten, bisher die einzige, aber nicht immer wirksame oder gut vertragene medikamentösen Behandlungsmöglichkeit für die Ejaculatio praecox.

    Noch nebenbei:
    Lässt das Mobiltelefon die Spermien verkümmern?

    Forscher der Cleveland Clinic Foundation in Ohio untersuchten die Spermien von 364 Männern auf ihre Qualität. Männer, die mehr als vier Stunden täglich mit dem Smartphone telefonierten, wiesen mit 50 Mio/ml die niedrigste Spermienzahl udn auch eine schlechtere Qualität auf. Ein täglicher Handygebrauch zwischen zwei und vier Stunden widerspiegelte sich in 69 Mio/ml. Jene Männer, die gar kein Handy benutzten, hatten mit 86 Mio/ml am meisten Spermien, ausserdem war deren Qualität die beste!
    Diese etwas kleine Studie ist ein starker Hinweis, dass wir Männer mit der Smartphonestrahlung vorsichtig umgehen sollten! Sie wurde 2007 veröffentlicht und grössere Follow-Ups versprochen.
    (Effect of cell phone usage on semen analysis in men attending infertility clinic: an observational study)

    Sexsucht als Folge

    Männer fühlen sich also bei Erektionsproblemen sehr schnell bedroht. Eine Flucht in eine „Sexsucht“ liegt nahe und ist häufig. Sexsüchtige Menschen sind häufig hyposexuell, haben also nur ein schwach ausgeprägtes sexuelles Bedürfnis und empfinden grosse Lustlosigkeit. Sie wichsen. Sitzen einfach vor dem Computer und holen sich einen herunter, während sie gleichzeitig mit der Maus aktiv sind. Schätzungswiese sind das etwa sechzig Prozent der Sexsüchtigen, die das so machen. Sie versuchen verzweifelt eine Erektion herzustellen, um in ihrer Männlichkeit zu überleben.(Mehr zur Sexsucht hier>>>).

    (aus Tagesanzeiger, 06.11.2020)

    Mann kann bei mir auch Coachings, Beratungen und Psychotherapie erhalten (Website dazu im Aufbau: www.sinnlichmannsein.ch).

    Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    30. Januar 2025