Burnout

Psychisch-Physischer Erschöpfungszustand

Ich habe in meiner Hausarztpraxis den Begriff “Burnout” wenig in den Mund genommen, da er meist für die betroffenen Menschen implizierte, dass sie alleine durch die Arbeit “ausgebrannt” sind und selbst wenig dagegen tun können. Natürlich existieren klar Burnout-fördernde Arbeitsstellen und ist das Burnout eine Folge von chronischer Arbeitsbelastung, resp. eines chronischen Stresszustands – jedoch sind die eigenen Voraussetzungen, Ressourcen und Reaktionen darauf genau so wichtig. Es existieren also auch klare Eigenschaften, die wir mitbringen, die dann zu diesem “Psychisch-Physischen Erschöpfungszustand” führen – und so habe ich dann das “Burnout” sinnvollerweise bezeichnet.
Die Erschöpfung ist das zentrale Symptom.

Menschen brennen nicht aus, weil eine Tätigkeit zu anstrengend oder eine Verantwortung zu gross ist. Sie brennen aus, wenn sie keinen persönlichen Einfluss auf ihr Tun nehmen können, ohnmächtig sind. Mit Achtsamkeitsübungen und Entspannungsstrategien ist da oft nicht geholfen.
Statt die eigene Erschöpfung zu individualisieren, ist es für die Betroffenen hilfreicher, das “Empörungspotential ihres Burnouts” (Ursula Nuber, Psychologie Heute, 01/2016) zu erkennen. Schliesslich wehrt sich unser Organismus gegen Überreglementierung, Ausbeutung und Allverfügbarkeit. Burnout ist daher eine Kompetenz. Wer ausbrennt, sollte sich das nicht als Schwäche oder Versagen auslegen, sollte nicht schamvoll den Kopf senken und schuldbewusst daran arbeiten, seine Akkus wieder aufzuladen. Schliesslich kann er stolz sein auf sein Engagement – “müdstolz“, wie es Peter Handke einmal nannte. Ein Müdstolzer weiss um seine Leistung und hat daher kein Problem damit, sich und anderen einzugestehen: “Ich kann unmöglich allem gerecht werden!”.

Die Arbeitswelt macht krank…

Es wäre entlastend, wenn man sagen könnte: Logisch bin ich gerade in einer Krise, denn die Welt ist es auch. Ich glaube, es wäre allgemein besser, wenn es bei psychischen Problemen nicht immer nur den Impuls gäbe, «nach innen zu schauen» und das Individuum in die Pflicht zu nehmen. Im letzten Jahrhundert (zu Beginn und vor allem in den Dreissigjahren) war es “in” – und man konnte es ruhig zeigen, dass man häufig einen “Nervenzusammenbruch” hatte. Die Welt war zu stressig für das Individuum und mit diesem Zusammenbruch schuf man sich, durch die Gesellschaft allgemein legitimiert, eine Auszeit, in der man wieder zu Kräften kam.
Wie wohltuend wäre auch heute wieder ein solches Narrativ. Eines, das psychische Probleme im Kontext der Zeit sieht und unterstreicht, wie schwierig es manchmal ist, nicht durchzudrehen. Eines, das Burnouts nicht nur kuriert, sondern auch fragt: Warum macht die Arbeitswelt krank? Eines, das Ängste nicht nur behandelt, sondern auch wissen will:
Wie machen wir dieses Welt weniger schrecklich?

Die Sinnlosigkeit der Arbeit

Der Ausdruck Burnout verschleiert, dass die Erschöpfung kein quantitatives Problem ist, sondern auch mit der Sinnlosigkeit der Arbeit zu tun haben könnte, damit, nicht selbst über die Ziele der Arbeit bestimmen zu können, damit, gegen die eigenen Interessen oder moralischen Über­zeugungen handeln zu müssen, oder mit dem Gefühl, nichts bewirken zu können. Er verschleiert auch, dass die Erschöpfung, die inzwischen ja selbst (oder gerade?) in Aktivistinnen­kreisen ein zunehmendes Problem darstellen soll, weniger eine Folge der Arbeits­menge als eine Folge der nagenden Furcht ist, letztlich könnte alles für die Füchse gewesen sein.

Was tun? Vielleicht könnten wir damit anfangen, wenigstens den Begriff Burnout fallen zu lassen. Denn wer sich selbst ein Burnout diagnostiziert, versteht sich, ohne es zu merken, als Dampf­maschine. Er spielt dabei den Mächtigen in die Hände, für die es weniger ermüdend ist, über Quantitäten zu streiten als über Inhalte, über Arbeits­mengen als über politische und soziale Konflikte.
(der erschöpfte Daniel Strassberg in der Republik, 14.06.22)

Arbeit kann Dein Hirn vergiften!

Es hat sich in einer seriösen Studie gezeigt, dass sich im Laufe eines anstrengenden Bürotages etliche toxisch wirkende Abfallstoffe im Gehirn ansammeln, die dazu führen, dass am Ende des Tages das allseits bekannte Erschöpfungsgefühl einsetzt. Auch Entscheidungen, die am Ende des Arbeitstages getroffen werden, sind generell als schlechter zu bewerten als Entscheidungen, die in der ersten Tageshälfte getroffen werden. Hinzu kommt die immense Bedeutung der Ernährung im Laufe des Tages. So werden mit einem Gefühl der Sättigung bessere kognitive Entscheidungen getroffen, während ein Hungergefühl eher der Feinmotorik dient. Konterkariert wird die Qualität der Entscheidung aber wiederum durch die vorherige Arbeitsdauer. Am Ende des Arbeitstages werden eher Entscheidungen bevorzugt, die einen geringeren Aufwand nach sich zu ziehen scheinen.
Die StudienautorInnen empfehlen mehr Pausen während eines Arbeitstages und eine Umstrukturierung der Aufgaben im Laufe dieser Arbeitstage, um den Einfluss der externen Faktoren positiver für sich zu nutzen.
(Studie: Wiehler A, Branzoli F, Adanyeguh I, Mochel F, Pessiglione M. A neuro-metabolic account of why daylong cognitive work alters the control of economic decisions. Curr Biol. 2022 Aug 22;32(16):3564-3575.e5. doi: 10.1016/j.cub.2022.07.010. Epub 2022 Aug 11. PMID: 35961314. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35961314/)

Totalerschöpfung

Burnout umfasst eine tiefe Identitätskrise, die oftmals ihren Ursprung in zu hohen Erwartungen an eine Situation hatte. Die letztendliche Totalerschöpfung ist das sozial akzeptierte Zeichen nach aussen, dass etwas nicht stimmt. Burnout ist allerdings mehr als Erschöpfung, die auch entstehen kann wenn man wegen Termindruck drei Wochen durcharbeitet oder fünf Freunden am Stück beim Umzug hilft. Burnout entsteht früher und geht tiefer. Wer selbst noch in der Lage ist, die Reissleine zu ziehen und aktiv Dinge zu tun, die einem gut tun, ist zum Glück noch ein Stück vom Burnout entfernt.

Fabienne Riener hat in ihrem wunderbaren Text (hier) beschrieben, wie Burnout entsteht: Meistens eben nicht von drei Nachtschichten in einer Woche, sondern eher dann, wenn man lange auf ein Ziel hinarbeitet und regelmässig seine Grenzen überschreitet. Ein spannender Text, den alle lesen sollten, die öfter mal länger arbeiten.
Chronischer Stresszustand (Dauer-Dysstress), viele Reize, grosse Anforderungen wirkt auf den Sympathikus, auf unsere katabole Seite des Vegetativen Nervensystem (via Cortisol vor allem) und kann in Verlust von Neuroplastizität des Hirns münden (Atrophie des Hippocampus, Schrumpfung der Hirnzellen)! Dies ist zwar schon reversibel (durch Entspannung, Bewegung,…), aber dennoch alarmierend.

Vita activa vs. Vita contemplativa

Die Vita activa beschreibt eine Lebensform, bei der praktische Arbeit und soziale Betätigung im Vordergrund stehen. Die Vita contemplativa hingegen ist dem Betrachten und der Kontemplation gewidmet. Die Menschen definieren sich heutzutage oft über ihre Vita activa, indem sie viel arbeiten und danach noch für einen Triathlon trainieren.
Die Anerkennung für den Teil unseres Lebens, der der Vita contemplativa zugeordnet wird, fehlt oft, obwohl er genauso wichtig ist.
Es ist auch Teil der Sinnfrage, die sich die Menschen stellen. Sie fragen sich nicht nur, was der Sinn ihrer Arbeit ist, sondern auch, was der Sinn ihres Lebens ist.
Eine Möglichkeit, um mehr Vita contemplativa in den Alltag zu integrieren, ist pro Tag eine halbe Stunde in der Natur zu verbringen, zum Beispiel am See oder im Wald spazieren zu gehen. Der Wald ist zwar eine massive Reizüberflutung, aber er ist auch eine, die erdet. Ganz im Gegensatz zu einem iPad oder iPhone. Die Welt hier drin kann unser Gehirn nicht verstehen und mündet in einer Erschöpfung.

Burnoutsymptome

Das Standard-Messinstrument bei Burnout ist der Maslach Burnout Inventory, der 3 Dimensionen untersucht: Emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit.

Typische Burnout Symptome sind:

  • Konzentrationsprobleme, permanente Müdigkeit, Mattigkeit, Kraftlosigkeit und Erschöpfung – und dies alles nicht nur an einem besonders schlechten Arbeitstag, sondern oft.
  • Lustlosigkeit, Übellaunigkeit, Gereiztheit
  • Gefühle des Versagens, der Sinnlosigkeit, der Ineffektivität
  • Gefühl von Überforderung und Angst, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein
  • mangelndes Interesse am Beruf, Kunden/Patienten oder Aufgabenbereich, Gleichgültigkeit gegenüber Projekten, die man normalerweise spannend finden würde.
    Daraus resultierender Zynismus (bis Depersonalisierung)

Körperliche Symptome können ähnlich wie bei der Depression sehr vielfältig auftreten:

  • Schlafstörungen
  • Kopfschmerzen
  • Verspannungen
  • Rückenschmerzen
  • unspezifische Schmerzen
  • erhöhtes Schmerzempfinden
  • veränderter Blutdruck
  • Engegefühle in Brustkorb und Hals, Atemnot
  • Libidoverlust
  • Zyklusstörungen bei der Frau
  • Suchtverhalten (zur “Eigentherapie” der psychischen Symptome…)
  • Atypische Gewichtsveränderungen
  • Magen-Darm Beschwerden

Stadien der Entstehung und begleitende Schlafstörungen

  • Stadium 1) STRESS: Einschlafstörungen
  • Stad. 2) BURNOUT: Ein- und Durchschlafstörungen
  • Stad. 3) FOLGEKRANKHEITEN – als Beispiel die Depression: Früherwachen

Burnout und Depression

Es ist umstritten, wo die Definition eines “Burnout” beginnt und wo die einer “Depression” aufhört. Überschneidungen sind gross – Unterscheidung nur partiell möglich. Die Prophylaxe beider Zustände ist ähnlich – die Therapie zum Teil und betrifft beim Burnout häufiger in Arbeitssituations-Verbesserungen (siehe weiter unten).
Als Musterbeispiel soll die weltweite Situation der Landwirte stehen: In einer Umfrage von 2018 soll in Deutschland jeder vierte Bauer Burnout gefährdet sein. Studien zur psychischen Situation von Landwirten zeigen dabei, dass (in Kanada) jeder vierte Landwirt, sein Leben nicht lebenswert findet oder in den vergangenen 12 Monaten an Suizid gedacht hat. Eine amerikanische Pilotstudie fand unter Landwirten heraus, dass 75 Prozent der Landwirte an einer Angststörung leiden, mehr als die Hälfte litt an Depressionen. In Frankreich nahmen sich im Jahr 2017 650 Landwirte das Leben. Die Suizidrate lag damit 50 Prozent höher, verglichen mit dem Rest der Bevölkerung.
Mehr über die Depression hier >>>

Burnout als Ende des Sebstoptimierungszwangs

Hierzu Juli Zeh, die selbst ein Burnout erlebte, in einem Interview mit dem Tagesspiegel vom 5.11.18:
Ab den 60er Jahren hiess es doch: Sei anders! Finde dich selbst!
Die Grundidee war, den Menschen von Zwängen und übergeordneten Mustern zu befreien, in die er hinein gepresst wird. Sei es die Religion, die patriarchale Familie, der hierarchische Arbeitgeber. Erst mal ein schöner Gedanke. Nur, was tun mit dieser individuellen Freiheit? Aha, Selbstverwirklichung. Diesen Raum muss man dann auch füllen. Dass das mit enorm viel Druck verbunden ist, haben viele nicht bedacht.
Die Chance wird zum Imperativ: Du musst deine Freiheit nutzen, du musst gut sein, glücklich sein. Das führt dazu, dass schon Dreijährige im Kindergarten Chinesisch lernen sollen, damit sie mit 24 Jahren einen guten Job bekommen. Die Biografie muss bis ins Letzte durchgeplant sein, nur keinen Fehler machen. Wie soll man sich denn entspannen, wenn man zu dieser Optimierung gezwungen ist, egal worum es geht, Sport, Sex, Liebe, Familie?
Dies führt unweigerlich irgendwann ins Burnout, in die absolute Erschöpfung!

Burnout, auch eine gestörte Fähigkeit zur Empfindung positiver Emotionen?

Die Realität eines Menschen wird durch seinen Fokus bestimmt. Ganz ähnlich ist es mit dem Gefühl, das seine Wahrnehmung beeinflusst. Ganz oft, wenn wir uns leer und ausgebrannt fühlen, vergessen wir, dass sich dadurch, was wir wahrnehmen, verändert und achten nicht mehr auf die übrige Welt um uns herum. So erinnern sich etwa Personen, die sich gestresst oder ausgebrannt fühlen, bei einer Reihe positiver, neutraler und negativer Bilder mit erstaunlicher Detailtreue an das, was auf den negativen Bildern zu sehen ist, wo hingegen sie keine Fakten von den positiven oder neutralen Bildern zu berichten wissen.
Aus evolutionsbiologischer Sicht möge das auch sinnvoll sein. Wenn Sie auf der Flucht vor einem Säbelzahntiger sind, achten Sie vielleicht darauf, wer Sie noch gerne zum Mittagessen hätte oder was Ihnen bei der Flucht im Weg ist, aber Sie werden wohl nicht innehalten und einen schönen Regenbogen bewundern. Für das Überleben unserer Art ist das auch gut so, doch für das individuelle Wohlbefinden und Glück ist das verheerend.
Burnout ist im Grunde die gestörte Fähigkeit zur Empfindung positiver Emotionen – und Interventionen, die bei Burnout erfolgreich sind, haben offenbar alle etwas gemeinsam: Sie alle steigern die Fähigkeit einer Person, positive Emotionen zu erleben: Weiterlesen.

Elternburnout

Manchmal geraten Eltern in eine Erschöpfung, die anders aussieht als das Jobburnout. Die Mütter und Väter entwickeln Fluchtfantasien, träumen davon, die Familie zu verlassen, vernachlässigen ihre Kinder, können keine emotionale Beziehung mehr zu ihnen aufbauen und neigen sogar zu Gewalt. Sie sind erschöpft davon, dass sie Eltern sind.
Zwei Studien erbrachten die Bestätigung, dass Elternburnout anders ist als Jobburnout. Fluchtgedanken etwa seien charakteristisch für Eltern – vielleicht weil sie sich nicht krankmelden und bei Erschöpfung nicht ohne weiteres erholen könnten. Die Wirkung auf die Kinder sei gravierend, schreiben die Autoren. Betroffene berichteten übereinstimmend von ihrem Scheitern, emotionale Bindungen zu den Kindern zu pflegen, und von ihrer Aggressivität.
Ob die Erscheinungsformen Ursache oder Folge des Elternburnouts sind, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Es könne auch sein, dass es eine gemeinsame Ursache für die erhöhte Neigung gebe, bei Stress in Fluchtgedanken zu verfallen und die Kinder aus den Augen zu verlieren, etwa ausgeprägter Neurotizismus. Es gibt Hinweise auf Anfälligkeiten: etwa mangelnde Unterstützung des sozialen Netzwerks, der Wunsch, eine perfekte Mutter oder ein perfekter Vater zu sein, fehlende Unterstützung durch den Partner oder fehlende Fähigkeiten, mit Stress und heftigen Emotionen umzugehen.
(Moïra Mikolajczak u. a.: Parental burnout: What is it, and why does it matter? Clinical Psychological Science, 7/6, 2019. DOI: 10.1177/2167702619858430)

Abgrenzung zu Erschöpfung und chronischer Fatigue bei ME/CFS und weiteren Ursachen

Was hilft prophylaktisch und auch therapeutisch gegen das Burnout?

  • Nein sagen lernen! Sie können nicht immer allen alles recht machen, ob im Beruf oder in Beziehungen! Wer keine Grenzen ziehen kann, wird unzufrieden und hat bald das Gefühl, dass andere mehr über die eigene Energie und Zeit verfügen als man selbst. Lernen Sie ihre eigenen Bedürfnisse kennen und leben Sie danach.
    Die Arbeitsstelle scannen auf Situationen, in denen wir ohnmächtig sind: Überreglementierung, Ausbeutung und Allverfügbarkeit. Burnout ist eine Kompetenz. Wer ausbrennt, sollte sich das nicht als Schwäche oder Versagen auslegen, er kann stolz sein auf sein Engagement – “müdstolz“. Ein Müdstolzer weiss um seine Leistung und hat daher kein Problem damit, sich und anderen einzugestehen: “Ich kann unmöglich allem gerecht werden!”
    Er empört und wehrt sich an der richtigen Stelle.
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  • Seine Resilienz vergrössern. Die “Resilienz” ist unsere Kraft zum “Gedeihen trotz widriger Umstände”.
    Dazu ausführlich hier: /krise/
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  • Dann ist in unserer Zeit des Dauerstress die Entspannung das A und O. Der Rhythmus von Spannung und Entspannung (Kontakt und Rückzug, etc.) sollte auch über die Arbeitswoche weg erhalten bleiben. Das optimale Modell für Dauerstressgeplagte und Leute mit Burnoutgefährdung ist eine 80%-Arbeit mit einem ganztägig freien Mittwoch!
    Ein tägliches Mittagsschläfchen von 30 bis 45 Minuten (nicht länger!) wäre natürlich optimal!
    Weiterlesen: /entspannung/
    Auch im Winter kann man saisongerechter Leben und sich bei kürzerem Tageslicht und grösserer Nachtlänge mehr zurückziehen, zur Ruhe kommen und länger Schlafen: also mehr erholen und entspannen (mehr dazu).
    Allgemein lässt sich sagen, dass ein Stärken des Parasympathikus (anabole Seite, regenerativ) hilft (für bessere Verdauung, gegen Schlafstörung und für optimale Reparation).
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  • In der «Müdigkeits­gesellschaft» gehen alle Mitglieder permanent an die Grenzen ihrer Mobilisierbarkeit, der Burnout wird zur Universal­pathologie, zum permanent drohenden Leistungs­infarkt. Dem setzt Byung-Chul Han in seinem neuen Buch „Vita contemplativa“ ein Ethos des Flanierens, des Schlenderns, des Verweilens entgegen.
    Denn alles, was der menschlichen Existenz nach Han einen wirklichen Sinn gibt – die Liebe, das Fest, die Kunst­erfahrung –, hat sein Geheimnis darin, nicht zweck­gerichtet zu sein, kein Ziel zu haben und Zeit zu beanspruchen für nichts als sich selbst. «Das Leben», schreibt Han, «erhält seinen Glanz erst von der Untätigkeit (…) Das wahre Leben beginnt in dem Moment, in dem die Sorge um das Überleben, die Not des schieren Überlebens aufhört. Der letzte Zweck menschlicher Anstrengungen ist die Untätigkeit.»
    Und das Zeremoniell der Untätigkeit – hier werden Hans Reflexionen unmittelbar politisch – ist auch ein Korrektiv für unser «instrumentales Natur­verständnis», das die Welt nur als Ressource betrachtet und unseren Zwecken unterwirft.
    Etwas überspitzt gesagt: Um die Natur zu schonen, die fossilen Brenn­stoffe im Boden zu lassen, müssen wir zuallererst unser Grund­ethos ändern. Um Ressourcen zu sparen, müssen wir wieder lernen, zu verschwenden: unsere Zeit. Wir müssen die Welt so annehmen, wie sie ist. Bei ihr verweilen. Um sie zu betrachten und zu feiern.
    (aus „Die Ökologie des Verschwendens“ von Daniel Binswanger, die Republik 01/23)

  • Distanz zur Arbeit erhöhen: Keine ständige Erreichbarkeit zu Hause, also keine Arbeitsmails, natürlich auch keine Telefons. Aber auch keine ununterbrochene Erreichbarkeit während der Arbeit! Um konzentriert zu arbeiten, müssen Perioden von 30 bis 40 Minuten völlig störungsfrei sein! Deshalb:
    – Zeitfenster festlegen, wann man erreichbar ist und wann nicht.
    – Antwortfristen festlegen (nicht sofort, sondern dann, wenn es passt).
    – Push-Nachrichten ausschalten.
    – Nein-Sagen, auch mal zum Chef, wenn es sein muss!
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  • Ein Internet, welches mich beherrscht – und nicht umgekehrt, macht krank und brennt aus: Weiterlesen>
  • Aufgaben delegieren: Man muss nicht immer alles selber machen – und auch nicht sofort – und auch nicht perfekt!
    Perfektionismus (höchste Ansprüche an sich selbst, strenge Selbstkritik und die ständige Sorge, Fehler zu begehen) kann krank machen, depressiv und ausgebrannt. Therapeutisch hilft, dem “Inneren Kritiker” mit Mitgefühl zu begegnen. Menschen, die trotz leistungsfordernder Gedanken in schwierigen Momenten achtsam und liebevoll zu sich waren oder eigene Misserfolge eher als Teil der menschlichen Entwicklung sahen, geht es darauf wesentlich besser.

Stellen Sie sich die dazu die Frage: “Wem gehört mein Leben?!” (Robert Betz)

Aber wie sagt man es nun dem Chef?

Es erleben heute deutlich mehr Menschen als noch vor zwanzig Jahren chronische Erschöpfung durch Arbeit. Das ist nicht nur schlecht für persönliche Schicksale, sondern auch für die Produktivität von Unternehmen. Weswegen viel dafür spricht, dass nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Chefs verstehen, was Burnout ist.
Erraten kann er oder sie es nicht, selbst wenn er oder sie schon sensibilisiert ist? Drei gute Argumentationshilfen dazu können Sie hier finden.

Warum Ärztinnen mehr Burnout entwickeln als Ärzte

Der grösste Unterschied zwischen Ärztinnen und Ärzten besteht in der Erwartung, die wir an sie haben. Und das hat Folgen: Ärztinnen sind gefährdeter für Burnouts.
Wir (Patientinnen und Patienten) wünschen uns eine einfühlsame Behandlung nach den aktuellen medizinischen Erkenntnissen. Ärztinnen sind eher in der Lage als ihre männlichen Kollegen, beide Erwartungen gleichermassen zu erfüllen: Sie zeigen mehr Empathie im zwischenmenschlichen Umgang. Das lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass sie mehr Fragen stellen und sich mehr Zeit für Gespräche nehmen. In Ärztin-Patienten-Gesprächen geht es häufiger um Gefühle verglichen mit Arzt-Patienten-Gesprächen. Deshalb bekommen Ärztinnen häufiger das Prädikat “gut” als ihre männlichen Kollegen.
Wenn sich aber ein Arzt als besonders einfühlsam zeigt, wird ihm im Gegensatz dazu eher das Prädikat “sehr gut” verliehen. Allein schon deshalb, weil wir seltener die Erfahrung machen, dass Männer über Gefühle reden, sind wir positiv überrascht und schätzen in der Folge auch die fachlichen Qualitäten des Arztes höher ein. Diese Verknüpfung passiert bei Ärztinnen seltener und weniger stark.
Wie seltsam: Wir wünschen uns einfühlsamere Medizin, bewerten sie aber unterschiedlich, je nachdem, ob wir sie von einer Frau oder einem Mann bekommen. Wir schimpfen auf die kalte, unpersönliche Apparatemedizin und verurteilen gleichzeitig den sanfteren Ansatz als weniger kompetent, womöglich weniger hilfreich – zumindest tendenziell.
Relevant ist dieses Phänomen allein schon deshalb, weil inzwischen die Hälfte der Mediziner weiblich sind und zwei Drittel der Medizinstudenten. Frauen prägen die Medizin der Zukunft. Aber auch wir Patienten. (Quelle: Silke Jäger, piqd, 5.5.18).
Daraus entsteht eine Dynamik, die zur Folge hat, dass Ärztinnen schneller und anders ausbrennen als Ärzte. Der weiterführende Text erklärt sehr anschaulich, wieso: burnout-bei-aerztinnen.pdf
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Millennials brennen speziell aus…

Das Gefühl permanenter psychischer Überlastung drängt vor allem die Generation der zwischen 1981 und 1996 Geborenen (Millennials) sowohl zum Dauerarbeiten, wie auch zum Dauerndwegwollen. Das Lesen dieses fundierten Essay lohnt sich natürlich auch für andere Geburtsjahrgänge:
www.buzzfeednews.com/article/annehelenpetersen/millennials-burnout-generation-debt-work

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Zur Lektüre: Byung-Chul Han: «Vita contemplativa oder von der Untätigkeit». Ullstein, Berlin 2022. 128 Seiten, ca. 37 Franken.

Veröffentlicht durch Dr.med. Thomas Walser am 07. Mai 2018
Letzte Aktualisierung:
21. März 2024

Herzinfarkt / Arteriosklerose

Das gebrochene Herz

Jeder einzelne Herzschlag tanzt im Rhythmus der Seele.

Zuallererst heisst “Herzinfarkt” sorgfältig aus dem Lateinischen übersetzt “gebrochenes Herz“. Das Herz ist mehr als ein Muskel und eine mechanische Pumpe. Das Herz ist der Umschlagplatz von Liebe und Schmerz, Angst und Mut. Man verschenkt sein Herz aus Liebe. Man nimmt sich etwas zu Herzen. Man stirbt an gebrochenem Herzen. Das Herz hat ein Bedürfnis nach Geborgenheit, Grosszügigkeit, Gelassenheit und Wärme. Hektik, Zeitnot, kein Sinn im Leben und Stress führen dazu, dass sich das Herz einem von aussen diktierten Rhythmus zu unterwerfen hat. Das Herz benötigt im Arbeitsalltag den Gegenpol der Entspannung, des Rückzugs, das Ausleben von Sehnsüchten, Träumen und Gefühlen.

Was führt zur Arterienverkalkung und zum Herzinfarkt oder Hirnschlag?!

Diese Risikofaktoren waren (in der Interheartstudie) unabhängig von Alter, Geschlecht und ethnischer Gruppe signifikant mit einem Herzinfarkt assoziiert:

Ein BMI von mindestens 35 ist mit einem 80% erhöhten Risiko verbunden, exzessiver Alkoholkonsum erhöht das Risiko um rund 40%, Rauchen um 30% (Herzinfarkt und Vorhofflimmern).

Man findet bei Menschen mit Myokardinfarkt aus allen ethnischen Gruppen und allen Regionen der Welt signifikant häufiger :

  • Depressionen,
  • belastende Lebensereignisse in den letzten zwölf Monaten
  • und beruflicher, privater oder finanzieller Stress.

Weitere Risikofaktoren in der Interheartstudie waren:

Diese drei letzten Faktoren werden vor allem von den Ärzten gemessen und stehen dort meist im Mittelpunkt. Sie sind aber bereits Folgeerscheinungen der primären Ursachen Dauerstress und Bewegungsarmut/Bauchfett.

Weiterer Risikofaktor aus unserer Umwelt: Mikroplastik!

Im spanischen SUN-Projekt wurde 2017 auch der Nutzen eines 10-Faktoren-Scores zur Beurteilung der kardiovaskulären Gesundheit untersucht. In den Score flossen 6 traditionelle, negative Risikofaktoren

  • Rauchen
  • BMI, v.a. durch Bauchfett
  • keine mediterrane Ernährung
  • wenig körperliche Aktivität (jedoch auch nicht zu langer und anstrengender Ausdauersport!)
  • Chronischer psychosozialer Stress (auch Freizeitstress durch Selbstoptimierung)
  • hoher Alkoholkonsum, inkl. Binge-Drinking (“Komasaufen”)

und 4 nicht-traditionelle, positive Einflussfaktoren ein

  • TV/Internet-Konsum unter 2 Stunden täglich
  • gute Sozialkontakte
  • wenig Wochenarbeitszeit. (Burnout!)
  • hoher Kaffeekonsum (4 und mehr Espresso täglich)!

Mit zunehmender Zahl positiver Faktoren (Score von 0–10) nahm die Wahrscheinlichkeit von kardiovaskulären Ereignissen stetig ab. Bei Teilnehmern mit einem Score von 7 bis 10 war die Ereignisrate im Verlauf von im Median 10 Jahren um 87% geringer als bei Personen mit einem Score von 0 bis 2. Die Einzelfaktoren mit dem höchsten positiven Einfluss waren Nicht-Rauchen (Hazard Ratio: 50%) und TV-Konsum unter 2 Stunden täglich (HR: 0,57). Dieser Score könnte helfen, die Präventionsbemühungen über traditionelle Risikofaktoren hinaus zu intensivieren, wobei die vier nicht-traditionellen Faktoren vor allem auf den Stress und die Entspannung einwirken (Hierhin gehört wohl auch das ausgiebige Frühstücken mit viel Zeit, welches höchst wahrscheinlich v.a. durch einen entspannten Tagesbeginn positiv auf Herz-Kreislauf wirkt!).

Rauchen, chronischer Stress und Übergewicht/Bewegungsarmut

Weltweit sind also die drei wichtigsten Risikofaktoren  Rauchen, Dauerstress und Übergewicht kombiniert mit Bewegungsarmut. Zusammen sind sie für 2/3 aller Risikofaktoren des akuten Herzinfarkt verantwortlich. Diabetes mellitus, Hypertonie und hohe Blutfette sind die nächsten bedeutsamen RF, aber ihre relative Bedeutung ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich – und sie sind meist bereits die Folge der obigen drei wichtigsten.

Rauchen zeigt eine proportionale stufenweise Erhöhung des Risikos. Das Rauchen von nur schon fünf Zigaretten erhöht das Risiko. Daraus lässt sich ableiten, dass es für die Zahl der Zigaretten, die geraucht werden, keine sichere untere Grenze gibt, aber auch, dass das Risiko für einen Herzinfarkt, das mit dem Rauchen verbunden ist, signifikant vermindert werden kann, durch die Verminderung der Zahl der gerauchten Zigaretten.
The Lancet 366 (2005), 1640–1649 (Zusammenfassung hier: interheart.pdf)

Diese Risikofaktoren verbreitete sich in den letzten 30 bis 40 Jahren weltweit enorm. Sie stellen nun eine Voraussetzung für derart viele schwere , ja tödliche Verläufe bei Covid-19. Dies ist das Bild einer “Syndemie”.

Alles ist besser für das Herz als sitzen – sogar schlafen

Die Forscher um Joanna Blodgett vom University College London haben sechs Studien mit insgesamt mehr als 15.000 Teilnehmern ausgewertet, die mit Fitnesstrackern ausgestattet waren. Die Daten zeigten, dass alles besser für das Herz ist als Sitzen, sogar Schlafen. Sitzen war demnach am ungünstigsten. Für das Herz ist es am besten, wenn eine Phase von 30 Minuten mit starker körperlicher Anstrengung in den Tagesablauf integriert wird. Es wirkt sich schon günstig auf die Herzgesundheit aus, wenn man fünf Minuten heftig in Wallung kommt, etwa indem man im Hampelmann-Modus springt oder mit voller Kraft in die Pedale eines Trimmrades tritt. Die entsprechende Bewegungsform muss umso länger dauern, je geringer die Intensität dabei ist. Schon kleine Veränderungen in der alltäglichen Bewegungsroutine bringen Vorteile für das Herz. Den grössten Nutzen sehen wir, wenn sitzende Tätigkeiten durch mässige bis heftige Anstrengungen ersetzt werden. Diese könnten in einem kurzen Lauf, zügigem Gehen oder Treppensteigen bestehen – mithin in allem, was den Puls und die Atmung beschleunigt und den Menschen in Wallung kommen lässt, selbst wenn es nur für ein oder zwei Minuten ist ((Anleitung hier).

Ein tiefer Ruhepuls ist optimal

Interessant ist, dass ein tiefer Puls nicht nur das Herz schont, sondern generell zu einer geringeren Krankheitsanfälligkeit und zu einem besseren Wohlbefinden führt.
Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass ein tiefer Ruhepuls die Lebenserwartung erhöht. Überraschend ist dieser Zusammenhang nicht. Nehmen wir als Beispiel die Tierwelt: Das Herz einer Maus schlägt rund 500-mal pro Minute – nach zwei bis drei Jahren stirbt sie dann aber auch schon. Eine Schildkröte hingegen kommt mit nur gerade 6 Schlägen pro Minute aus – und wird gegen 200 Jahre alt.
Wer seinen Ruhepuls zum Beispiel nur schon von 80 Schlägen pro Minute auf 60 senkt, entlastet das Herz enorm: Damit lässt sich in drei Jahren ein ganzes Jahr an Herzarbeit einsparen. Das ist auch für Durchschnittsmenschen ein realistisches Ziel.

Wie gut jemand im Notfall mit den Ressourcen seines Körpers klarkommt, hängt ganz entscheidend von der Grundaktivität des Vegetativen Nervensystems ab. Es gilt: je mehr Parasympathikus umso besser. Ein hoher Ruhepuls bedeutet, dass diese Grundaktivität bereits erhöht ist und das System entsprechend geschwächt. Das ist schlecht: Man möchte ja im Ruhezustand möglichst wenig Energie verbrauchen, um dann im Ernstfall alle verfügbaren Reserven abrufen zu können. Wenn wir es heute auch nicht mehr mit wilden Tieren zu tun haben, geht es bei diesem evolutionär bedingten Mechanismus doch immer darum, das Überleben zu sichern. Und dafür ist ein niedriger Puls einfach besser.

Syndemie!

Die “Pandemie” Covid-19 macht also lediglich das Ausmass jener Krankheiten deutlich, die durch schlechte Ernährung, zu wenig Bewegung und soziale Ungleichheiten beim Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung verstärkt werden.
Der amerikanische Anthropologe Merrill Singer hat 1990 den Begriff “Syndemie” dafür geprägt. Bei Covid-19 sollten wir nun eher von einer Syndemie als von einer Pandemie sprechen.  Die Vorsilbe „syn“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „zusammen, mit, gemeinsam“  – pan“ bedeutet „ganz, völlig, gesamt“.
Dazu The Lancet vom 26.09.20 : „Die Wechselwirkung von Covid-19 mit weltweit ansteigenden chronischen Krankheiten wie Fettleibigkeit, erhöhtem Blutzuckerspiegel und Luftverschmutzung hat in den letzten 30 Jahren die Voraussetzungen für derart viele Todesfälle durch und mit Covid-19 erst ermöglicht. […] Viele der Risikofaktoren und nicht übertragbaren Krankheiten“, fügten beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinzu, „erhöhen das Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Verlauf von Covid-19.“
Natürlich ist die globale Ausbreitung von Covid-19 eine Katastrophe. Wenn wir jedoch versuchen, die aktuelle Situation als Syndemie zu betrachten, öffnet sich der Blick für eine zukunftsweisende Einsicht: Auf der ganzen Welt schwächen Menschen ihre Körper durch eine ungesunde Lebensweise. Mehr als „nur“ Massnahmen zur Bekämpfung einer einzelnen Krankheit, brauchen wir deshalb eine Gesundheitspolitik, die es ermöglicht, die Gesundheit aller langfristig zu erhalten und zu fördern.
(Philosophie Magazin, Octave Larmagnac-Matheron, 

Wissenschafter haben in Gefässablagerungen (Plaques) Kunststoffpartikel (Mikroplastik) nachgewiesen

Die Betroffenen dieser italienischen Studie erlitten mehr Herzinfarkte und Schlaganfälle als andere Patienten.
Laborexperimente hatten bereits in der Vergangenheit nahegelegt, dass Mikroplastik Entzündungen in Geweben hervorruft. Tierversuche hatten auch Hinweise darauf gegeben, dass die Kunststoffteilchen Gefässe, das Herz und Lungen schädigen können.
Daraus muss gefolgert werden, dass Mikroplastik auch ein Risikofaktor für die Arterienverkalkung ist und damit ebenso für Herzinfarkte und Hirnschläge!
Weiterlesen>>>

Was vorbeugend tun?!

Wer nun persönlich etwas für sein Herz tun möchte, sollte Folgendes beachten:

  • Chronischer Stress vermeiden.
    Eine phantastische Studie mit sehr hoher Relevanz  (Tawakol A, et al: Lancet 2017 (online) 11. Januar 2017) zeigt nun klar, dass eine erhöhte Aktivität in der Amygdala im Hirn mit vermehrter Knochenmarksaktivität und verstärkter Entzündung der Arterien einhergeht. Diese Zusammenhänge, schlussfolgern die Autoren, können das erhöhte kardiovaskuläre Risiko der Patienten erklären. Der zugrunde liegende Mechanismus: Die Amygdala signalisiert dem Knochenmark, mehr weisse Blutkörperchen zu produzieren, die wiederum eine Plaque-Bildung in den Arterien verursachen, was zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen kann.
    Dass sich die Amygdala bei Stress vergrössert und eine „Schaltstation” darstellt, hat sich bereits in früheren Studien gezeigt. Ebenfalls ist bekannt, dass Entzündungsfaktoren durch Stress getriggert werden können.
  • Hier hilft es, einen Sinn im eigenen Leben zu sehen!
  • Optimal für unser Herz ist ein ausreichender aber nicht zu langer Nachtschlaf (mehr als 6-7, aber weniger als 8-9 Stunden) und am Tag eine Siesta  von 5 bis 60 Minuten ein bis zweimal pro Woche (nicht täglich!).
    Nur bei Kurzschläfern (unter 7 Stunden Nachtschlaf) hat ein tägliches Mittagsschläfchen trotzdem einen Schutzeffekt auf unser Herz!
    Bei der ein- bis zweimaligen Siesta pro Woche war das Risiko für Hirnschlag und Herzinfarkt sogar um die Hälfte reduziert!
  • Damit zusammenhängend: Ein Burnout vermeiden!
    Allein in Deutschland sterben jährlich rund 200’000 Menschen an einem sogenannten “plötzlichen Herzstillstand“. In nur etwas mehr als 10% sind Risikopatienten betroffen, die nach einem Herzinfarkt bereits an einer Herzmuskelschwäche litten oder andere Herzerkrankungen hatten.
    Auch wenn das Ereignis selbst aus heiterem Himmel zu kommen scheint, lassen sich im Nachhinein oft klassische Alarmzeichen für ein Burnoutsyndrom ausmachen. Dazu zählt eine längere Phase mit chronische depressiver Stimmungslage durch etwa eine belastende Arbeitssituation, finanzielle Sorgen oder eine frustrierende Beziehungs- oder Familienkonstellation voraus. Akuter Ärger, Angst oder andere Aufregung sind dann meist nur der Auslöser.
    In den meisten Fällen wären mehr körperliche Bewegung, ein gezieltes Stressmanagement oder Entspannungstechniken ausreichend und könnten das Risiko für einen plötzlichen Herztod stark senken.
  • Je weniger TV-Konsum, umso weniger Herz-Kreislaufkrankheiten! In der oben erwähnten SUN-Studie war bereits 2 Stunden TV täglich mit einer Zunahme der Herzinfarktrate um 40% verbunden!
    Es ist vor allem das Sitzen, das langzeitig das Leben massiv verkürzt.
  • Blutfette von Hausarzt bestimmen lassen (wichtigster Wert ist hier der Quotient Totalcholesterin durch das HDL-Cholesterin: sollte unter 5 sein!).
  • viel lachen, lieben und sich sozial gut einbetten.

ERNÄHRUNG!

  • Die CORDIOPREV-Studie ist eine der umfangreichsten randomisierten Studien, die jemals im Rahmen der Ernährungsforschung durchgeführt wurden. (Delgado-Lista J, Alcala-Diaz JF, Torres-Peña JD, Quintana-Navarro GM, Fuentes F, Garcia-Rios A, et al. Long-term secondary prevention of cardiovascular disease with a Mediterranean diet and a low-fat diet (CORDIOPREV): a randomised controlled trial. Lancet. 2022 May 14;399(10338):1876-1885. [Link])

    Die Resultate der Studie leiten einen Paradigmenwechsel ein: Patientinnen und Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung kann künftig nicht mehr generell zu einer fettreduzierten Diät geraten werden. Einer mediterranen Diät kommen deutliche Vorteile hinsichtlich Kardioprotektion zu. Die Ernährungsempfehlungen vieler Leitlinien zur Sekundärprävention sind umzuschreiben. (Zitat: infomed screen Jahrgang 26/2022)
    Zur mediterranen Ernährung muss gesagt werden: Eine mediterrane Diät ist mehr als nur die Zusammensetzung von Mahlzeiten. Sie ist Ausdruck von Tradition und einer ritualisierten Lebensführung, bei der die Verwendung ausgesuchter Produkte, die Zubereitung und das entspannte Geniessen im Kreis der Familie oder mit Freunden eine grosse Bedeutung haben. Menschen in Südeuropa bestätigt die Studie darin, zu tun, was sie immer schon getan haben. Inwieweit Leute in Nord- und Mitteleuropa von den Erkenntnissen profitieren, bleibt eine unbeantwortete Frage. Sie werden es vielleicht nur dann, wenn sie einen mediterranen Lebensstil übernehmen – und nicht nur einen mediterranen Speiseplan.

  • Wenig oder kein Fleisch – und als Proteinlieferant Hülsenfrüchte und Nüsse:
    Es gab immer wieder einzelne Studien, die keinen gesundheitsförderlichen Effekt finden konnten, wenn Menschen auf Fleisch verzichteten. Diese Studien hatten aber ausser Acht gelassen, wodurch das Fleisch ersetzt wurde. Später zeigte eine bahnbrechende Untersuchung der Harvard University, dass der Fleischverzicht nur dann keinen positiven Effekt hat, wenn man statt Fleisch vermehrt Kohlenhydrate wie Kartoffeln oder Nudeln isst. Ersetzt man es dagegen durch pflanzliche Proteine aus Hülsenfrüchten und Nüssen, gibt es grosse positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System.
    .
  • Kein Trinkwasser aus Plastikflaschen!
    .
  • Ein Review des Prevention of Cardiovascular Disease Council des American College of Cardiology (ACC) liefert aktuelle, evidenzbasierte Daten zum guten Essen für das Herz.
    Die Liste der Lebensmittel, die den ACC-Experten zufolge komplett vermieden – oder zumindest sehr stark eingeschränkt – werden sollten, ist kurz:
    Keine zugesetzten Zucker und Energy-Drinks – wenig Fleisch.
    Für Milchprodukte ist die Evidenz, ob sie günstig sind, fraglich.
    Für segensreich halten die Experten aber unter anderem Hülsenfrüchte, Kaffee, Tee und hochwertige Pflanzenöle (Oliven-, Lein- und Rapsöl).
    Besonders wichtig ist laut den Experten, dass man viel Früchte und Gemüse, Vollkornprodukte, wenig Zucker und wenig verarbeitete Lebensmittel isst.
    Am besten schneidet hier neben der mediterranen die sogenannte Dash-Diät ab: Sie besteht aus viel Gemüse, Früchten, Vollkornprodukten, Nüssen, Fisch und wenig Fleisch. Zudem vermeidet man Salz, Zucker und gesättigte Fette..
    Schädliche Lebensmittel – besser nicht essen!
    Wenig überraschend schneidet Zucker katastrophal schlecht ab. Es existiert mittlerweile mehr als genug, auch qualitativ hochwertige Evidenz dafür, dass zugesetzter Zucker die Entstehung von Atherosklerose fördert und das Risiko für Herz-Kreislauf- sowie Stoffwechselerkrankungen erhöht.
    Auf die rote Liste gehören auch die schnell verfügbaren Kohlenhydrate in Weissmehlprodukten, sei es der Pizzateig, das helle Brot oder der Butterkeks, denn diese verursachen Blutzuckerschwankungen wie es Zucker selbst tut. Schaden oder Nutzen von Milchprodukten, fermentierten Lebensmitteln und Meeresalgen ist unklar:
    Bei zwei Lebensmittelgruppen reicht die Evidenz nicht aus, um eine klare Empfehlung für oder gegen den Verzehr auszusprechen. Zum einen sind dies Milchprodukte wie Käse, Sahne oder Milch (allerdings nicht Joghurt), zum anderen fermentierte Lebensmittel (also z.B. Joghurt) und Meeresalgen.
    Qualitativ hochwertige Studien, dass fermentierte Lebensmittel einen kardiovaskulären Nutzen haben, stehen noch aus.  Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass der Konsum irgendeinen gesundheitlichen Schaden nach sich zieht.
    Speziell für den Joghurt gilt, wie bei den anderen Milchprodukten auch, dass er sich bezogen auf die kardiovaskuläre Gesundheit neutral oder sogar positiv auswirkt.
    .
    Herzgesunde Lebensmittel – regelmässig geniessen!
    Die Liste an Lebensmitteln, für die ein kardiovaskulärer Nutzen nachgewiesen
    ist, ist beträchtlich umfangreicher: Wer seinem Herzen über die Ernährung etwas Gutes tun möchte, sollte bei Hülsenfrüchten, Nüssen, fettem Fisch oder hochwertigen Pflanzenölen (Leinöl, Rapsöl, Olivenöl), Kaffee und Tee zugreifen.
    Hülsenfrüchte sind eine kostengünstige und nachhaltige Protein- und Ballaststoffquelle. Der Verzehr geht mit einer Reduktion der KHK-Inzidenz einher und konnte in Studien den Blutzucker, das Cholesterin, den Blutdruck und das Gewicht reduzieren. Derzeit enthält die westliche Ernährung noch zu wenig Linsen, Erbsen und Bohnen. Hülsenfrüchte sollten Teil einer jeden auf Herz- und Stoffwechselgesundheit ausgerichteten Ernährungsweise sein!
    Omega-3-Fettsäuren kann aus Fisch, Öl oder Nüssen täglich in die Ernährung eingebaut werden. Der Verzehr in Form von Lebensmitteln ist der Aufnahme über Supplemente vorzuziehen. Ob die Omega-3-Fettsäuren aus Fisch oder aus pflanzlichen Lebensmitteln stammen, macht für den kardiovaskulären Nutzen keinen Unterschied. Beim Verzehr von Fisch muss aber eine mögliche Belastung mit Schadstoffen und die enorme Ausfischung der Weltmeere und der energiefressende Transport bedacht werden.
    (zitiert aus: “Essen fürs Herz: Welche Lebensmittel für die kardiovaskuläre Prävention wirklich empfehlenswert sind” – Medscape – 6. Aug 2018)
  • Ein günstiger Einfluss von regelmässigem Kaffeekonsum  gegen kardiovaskuläre Erkrankungen ist bereits häufiger berichtet worden.
    Neue Daten weisen darauf hin, dass es praktisch gar keine Konsum-Obergrenze für den positiven Effekt gibt: Je mehr Kaffee, umso besser fürs Herz!
    Im spanischen SUN-Projekt, an dem 2017 rund 20’000 teilnehmen, wurde eine inverse Assoziation zwischen dem Kaffeekonsum und der Gesamtmortalität gefunden. Bei Personen, die mindestens 4 Tassen täglich konsumierten war die Sterblichkeit um 65% geringer als bei Personen, die nie oder fast nie Kaffee tranken. Besonders deutlich zeigte sich der Zusammenhang bei über 45-Jährigen. Pro zusätzliche 2 Tassen Kaffee täglich, verringerte sich die Gesamtmortalität im rund 10-Jahres-Follow-up um 30%.
  • Dann täglich viel frisches Obst, Gemüse und Nüsse (eine Handvoll täglich – siehe die “Evidence based medicin”-Studie darüber!), ein Glas Wein (mit einem Fragezeichen) und täglich 3 Tassen grünen Tee täglich trinken. (Kuriyama S et al. Green tea consumption and mortality due to cardiovascular disease, cancer, and all causes in Japan: the Ohsaki study. JAMA. 2006; 296(10):1255–1265.  Suzuki E et al. Green tea consumption and mortality among Japanese elderly people: the prospective Shizuoka elderly cohort. Ann Epidemiol. 2009; 19(10):732–739)
    Hier spielt auch viel Kalium (und wenig Natrium – also wenig Kochsalz) eine Rolle: Sehr kaliumhaltig sind Bananen, Spinat, Broccoli, Nüsse und Vollkorn.
    (mehr zum “gesunden Kalium” im Essen)
  • Wer mit einem ausgiebigen Frühstück – und viel Zeit den Tag beginnt, hat auch ein deutlich verringertes Herzinfarktrisiko! Gemäss verschiedener grossen Studien (v.a. Circulation. 2013; 128: 337-343, Prospective Study of Breakfast Eating and Incident Coronary Heart Disease in a Cohort of Male US Health Professionals, Leah E. Cahill et al.). Diejenigen Männer, die das Frühstück ausliessen, hatten dabei ein 27% höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden als jene, die den Tag zum Beispiel mit einem Müesli begannen. Nach Ansicht der Forscher bestätigt die Studie, dass das Frühstück wohl die wichtigste Mahlzeit des Tages ist.
    Ideal ist, wenn das Frühstück mit geschrotetem Vollkorn (im Müesli) – anstatt Backwaren, wie Brot! – viel unbearbeiteten Ballaststoff enthält. Viel Ballaststoff im Essen lassen auch Leute mit Herzinfarkt viel länger Leben! (Li S, et al. BMJ.2014;348:g2659).
  • WENIG ROTES FLEISCH!
    Man sollte auch auf seine (gute) Darmflora, d.h. jene rund 100 Billionen Bakterien aufpassen und sie gut pflegen. Was heisst dies konkret?!
    Normalerweise leben die Vertreter der Darmflora (Mikrobiom) einträchtig mit ihrem Wirt. Sie verdauen für uns komplexe Kohlenhydrate, mit denen menschliche Enzyme nicht umgehen können. Und sie wehren auch Infektionen krank machender Bakterien ab.
    Nun wird zum Beispiel das Carnitin im roten Fleisch (Rind, Schwein oder Lamm) von den Darmbakterien zu Trimethylamin verdaut, das dann in der Leber zu Trimethylamin-N-Oxid (TMAO) umgewandelt wird. Carnitin verstärkt u.a. auch die schädliche Wirkung vom Cholesterin. Dies löst eine Kette von Ereignissen aus, die letztlich zu einer Arteriosklerose (Versteifung der Arterien) führt und damit auch zum Herzinfarkt, Hirnschlag,…!
    Es hat sich nun gezeigt, dass ein Vegetarier ein Steak essen kann und dass sich dann die (ideale) Zusammensetzung seiner Darmbakterien diesen TMAO-Spiegel nicht erhöhen lassen! Vegetarische Ernährung ergibt also eine fürs Immunsystem und für unsere Blutgefässe optimale Darmflora.
    >>> mehr dazu hier: www.dr-walser.ch/darmflora/
  • Er wäre darüber hinaus gut beraten, sich mehr mit Fisch als Fleisch zu ernähren (Herzinfarkt-Patienten können durch eine Umstellung ihres Speiseplans auf mediterrane Kost das Risiko eines erneuten Infarkts um etwa die Hälfte senken. (Zu diesem Ergebnis kommt die Lyon-Studie 1999. Von 200 Patienten, die nach einem Infarkt bei der gewohnten Ernährung blieben, erkrankten in den folgenden vier Jahren  etwa die Hälfte erneut am Herzen. Weitere 200 Patienten stiegen auf die fettärmere Kost Südeuropas um. Von dieser Gruppe erlitten weniger als ein Viertel einen neuen Infarkt. Ein vergleichbares Resultat erreichte bisher kein Medikament.).
  • Genügend Wasser trinken kann das Herzinfarktrisiko um 40 Prozent senken! Dies fand ein Forscherteam der Loma Linda-Uni in den USA (www.llu.edu/news/pr/042502water.html) bei der Untersuchung von 20’000 Leuten. Es zeigte sich, dass sich das Risiko für tödliche Infarkte bei Männern, die mehr als einen Liter Wasser tranken, sogar halbierte!
  • Und: eine Unterfunktion der Schilddrüse abklären lassen (TSH-Bestimmung im Blut) und behandeln.
  • Eine Parodontitis (Zahnbett-Entzündung) muss unbedingt gut behandelt werden (Zahnseide benützen!). Menschen mit “Zahnfleischentzündung” erleiden doppelt so oft Herzinfarkte, dreimal häufiger Schlaganfälle (und siebenfach mehr Frühgeburten).
    Sowieso scheint die Gesundheit im Mund und der Zähne eine starke Beziehung zu derjenigen des Herzens zu haben. Es ist also sehr ratsam, dass man eine sehr gute Hygiene der Zahnpflege (inklusive Reinigung der Zungenoberfläche!) ausübt. (BMJ 340:c2451, 27 May 2010 © 2010 de Oliveira et al Toothbrushing, inflammation, and risk of cardiovascular disease: results from Scottish Health Survey. Cesar de Oliveira, Richard Watt, and Mark Hamer.)
    Mehr zur optimalen Zahnpflege, welche auch unsere Darmflora reicher macht.
  • Wer schnarcht, lebt gefährlich. Will heissen: Wer unter Apnoe (“nächtlicher Atemstillstand”) leidet. Die Schlafstörung sollte ernst genommen werden, da der teilweise minutenlange Atemausfall den Blutdruck dramatisch in die Höhe treiben und das Herz schädigen kann. Wer nachts schnarcht und sich tagsüber meist müde fühlt, sollte nicht zögern, sich in einem Schlaflabor untersuchen zu lassen: Apnoe wird in neun von zehn Fällen nicht erkannt. Die Behandlung – ein kleines Atemgerät – ist einfach und effizient.

  • Ein eigentliches Gesundheitsrisiko für das Herz ist auch der “Ärger mit dem Ärger”
    Wie gefährlich der Ärger für das Herz ist, verdeutlicht eine amerikanische Langzeitstudie, bei der Menschen, die – in ihrem Leben zu “cholerischen Reaktionen” neigten und sich schnell ärgerten, eine im Vergleich mit ihren ärger- ärmer lebenden Zeitgenossen um das Siebenfache höhere Sterblichkeit zeigten. Die permanente Inszenierung des Ärgers war danach für die Gesundheit sogar gefährlicher als klassische Risikofaktoren wie Rauchen und Bluthochdruck. Es spielt dabei überraschenderweise für das Herz keine Rolle, ob man den Ärger in sich “hineinfrisst” oder beim Sich-Ärgern aus der Haut fährt.
    Das heisst also: Nicht der Zorn als solcher, sondern ihn ausdrücken oder ihn zu unterdrücken, schädigt die Gefässe.
    Seien Sie also nett zu Ihren Mitmenschen. Feindselige Einstellungen der Umwelt gegenüber, die Anderen verbal oder physisch angreifen , erhöht die Blutfette. (Karen Matthews et al, Duke University Med.Center, Annals of Behavioral Medicine, Vol.20, 1998)
  • Meditation und ähnliche Entspannungsmethoden haben auf das Herz eine ähnlich beruhigende Wirkung wie die üblichen Beta-Blocker – nur ohne Nebenwirkungen.
  • Hier könnte man auch anmerken: Der Parasympathikus kräftigen ist sehr weise! Lesen Sie mehr darüber hier >>> parasympathikus/
  • Alle Nichtsteroidale Schmerzmittel (NSAR) sind riskant für Herz und Gefässe! Sie erhöhen das Risiko von Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulär bedingtem Tod. Am günstigsten schnitt Naproxen ab, war aber immerhin mit einem Schlaganfallrisiko von 1,76 behaftet und in der Regel nur zusammen mit einem PPI (Magenschonmittel) verträglich. Unter Ibuprofen ist das Schlaganfallrisiko mehr als verdreifacht, unter Diclofenac fast verdreifacht, unter Etoricoxib auf 2,67 erhöht. Kardiovaskuläre Todesfälle wurden nur durch Naproxen nicht erhöht, durch Celecoxib verdoppelt, durch Ibuprofen mehr als verdoppelt (2,39), durch Diclofenac und Etoricoxib vervierfacht! (BMJ 2011; DOI;10.1136/bmj.c7086)
    Eine Metaanalyse von 4 Studien an über 61’000 Menschen mit und 385’000 ohne Herzinfarkt hat 2017 ziemlich beunruhigende Resultate ergeben, da diese Steigerung der Herzinfarktrate bereits nach einer Woche NSAR-Einnahme eintrat! (Bally M, et al. BMJ.2017;357:j1909)

    • Wir sind ja meist überzeugt, dass Ausdauersport gesund ist und er unser kardiovaskuläres Risiko reduziert. Eine belgische Forschergruppe belehrt uns nun eines Besseren (Studie).
      Sie verglichen das Ausmass der Koronarsklerose (Verkalkung der Herzkranzgefässe) von 191 lebenslangen Ausdauersportlern mit 191 Späteinsteiger-Ausdauersportlern (Beginn nach dem 30. Lebensjahr) sowie mit 176 gesunden Nicht-Athleten, die in ihrem Leben keinen Ausdauersport betrieben hatten. In allen drei Gruppen handelte es sich nur um Männer mit einem medianen Alter von 55 Jahren. Keiner der Probanden war Raucher, keiner war übergewichtig und bei keinem war eine koronare Herzkrankheit bekannt. Die Koronarsklerose wurde mittels Computertomographie quantifiziert: Anzahl und Lokalisation von Plaques, Verkalkungs-Score und -Häufigkeit sowie Stenosegrad der Koronarien. Überraschend fand sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, das heisst je länger der Ausdauersport betrieben wurde, desto wahrscheinlicher fand sich eine relevante Koronarsklerose. Die Parameter, die für eine ischämische Herzkrankheit prädestinieren, waren bei den lebenslangen Ausdauersportlern am höchsten: Anzahl Plaques, proximale Plaques, signifikante Stenosen und gemischte Plaque-Verkalkungen. Bei den Nicht-Sportlern waren sie am geringsten, die Späteinsteiger lagen meist dazwischen.

      Stopp Ausdauersport überhaupt?! Ist dies die anatomisch-pathologische Erklärung des Sport-Paradoxes «plötzlicher Herztod bei Athleten»? Die Autorenschaft schlägt vor, die Studie zeitlich noch auszudehnen, um auch entscheidende kardiovaskuläre Ereignisse zu erfassen.

      Hatte Winston Churchill doch recht? Auf die Frage eines Reporters, warum er trotz Whisky und Zigarrenrauchen so alt geworden sei, soll er geantwortet haben: «No sports». Er starb im Alter von 91 Jahren. Was er aber verschwieg: Er hatte immer Hunde und ging mit ihnen lange spazieren, was wohl den entscheidenden Bewegungs-Mix ergab.

  • Auch auf das Wochenende beschränkte Bewegung ist bereits fürs Herz günstig!
    Beim heutigen Lebensrhythmus mit einem hohen Anteil an sitzender Tätigkeit kommen immer mehr Menschen nur am Wochenende dazu, sich zu bewegen. Es ist unklar, ob dieses Verhaltensmuster – im angelsächsischen Sprachraum «Weekend Warrior» (Wochenend-Kämpfer) genannt – langfristig ebenso gesund ist wie regelmässige Bewegung. Die vorliegende Kohortenstudie spricht dafür – bei «Weekend Warriors» war die Sterblichkeit (Gesamtsterblichkeit, sowie Herz-Kreislauf- und Krebs-Sterblichkeit) gegenüber gänzlich inaktiven Personen in ähnlichem Mass verringert wie bei solchen mit regelmässiger körperlicher Aktivität. (O’Donovan G, Lee IM, Hamer M et al. Association of “weekend warrior” and other: leisure time physical activity patterns with risks for all-cause, cardiovascular disease, and cancer mortality. JAMA Intern Med 2017 (1. März); 177: 335-42) .
    Falls man bereits eine KHK hat,scheint es am optimalsten, falls alle 20 Minuten Inaktivität (Sitzen, Liegen) 7 Minuten leichte körperliche Aktivität/Bewegung folgt! (Ramadi A et al.: Relationship between breaks in sedentary behaviour and free living physical activity … in individuals with coronary artery disease. ePoster Canadian Cardiovascular Congress, Oct. 2018, Toronto)
    Oder:

  • HIIT: einmal pro Stunde 20 Sekunden Sprint auf der Stelle…
    Ganz so wenig Mühe kostet es doch nicht, was Wissenschaftler im Fachblatt Medicine and Science in Sports and Exercise vorstellen. Das Team der University of Texas in Austin testete Freiwillige, die auf einem feststehenden Ergometer mit Schwungrad vier Sekunden lang alles gaben. Nach einer Pause von 45 Sekunden ging es erneut für vier Sekunden in die Vollen, insgesamt fünfmal. Stündlich wiederholten die Probanden die Belastung über acht Stunden hinweg, also die Länge eines Arbeitstages.
    In der Sportmedizin galt lange die Auffassung, dass Ausdauer optimal trainiert, wer dreimal pro Woche 50 Minuten joggt, radelt, schwimmt oder rudert. Mit regelmässig 150 Minuten wöchentlich könne, so die Annahme, das Leben um mehrere Jahre verlängert werden. In jüngster Zeit setzte sich die Erkenntnis durch, dass intensive Belastungen von über 6 Stunden pro Woche für unser Herz und Kreislauf sehr schädlich sind, aber solche von 75 Minuten pro Woche in kleinen Einheiten ähnlich nützlich sind. «Weekend Warrior», also gestresste Managertypen, die nur Samstag oder Sonntag Läufe oder Radtouren unternehmen, hören das sicher gerne (aber bitte nicht auch noch leistungsbetont, selbstoptimiert!).
    Nun wird das Training sogar in den Sekundenbereich verknappt.
    Ich finde das super – wenig bringt schon ganz viel! Einmal pro Stunde 20 Sekunden wären im Alltag aber leichter umzusetzen und genauso sinnvoll. Statt des Trainingsrades könne ein Sprint auf der Stelle oder ein schneller «Hampelmann» ähnliches leisten. Auch draussen im Grünen kann ein kurzer Anstieg mal besonders schnell gemacht werden.
    Die Studie hält wichtige Anregungen bereit: Kurz das sesshafte Leben unterbrechen und ein paarmal täglich ausser Atem kommen, stimuliert genussvoll Muskeln, Leber und Kreislauf. Würde man die Menschen so auf zehn Minuten intensive Betätigung am Tag bringen, wäre die Rate der Herzkreislaufkrankheiten halbiert!
    (Studien hier & hier)

  • Fluglärm ist ein kardiovaskulärer Risikofaktor!
    (1) Hansell AL, Blangiardo M, Fortunato L et al. Aircraft noise and cardiovascular disease near Heathrow airport in London: small area study. BMJ 2013 (8. Oktober); 347: f5561
    2) Correia AW, Peters L, Levy JI et al. Residential exposure to aircraft noise and hospital admissions for cardiovascular diseases: multi-airport retrospective study. BMJ. 2013 (8.Oktober); 347: f5561)

    In diesen zwei Studien wurde der Zusammenhang zwischen der Belastung durch Fluglärm und kardiovaskulären Erkrankungen untersucht. In London (3,6 Mio. Personen rund um den Flughafen Heathrow) war das relative Risiko, wegen eines Schlaganfalls oder einer akuten kardiovaskulären Erkrankung hospitalisiert zu werden, signifikant erhöht, wenn die Region mit der höchsten Lärmbelastung (über 63 dB) mit derjenigen mit der geringsten (unter 51 dB) verglichen wurde. In der US-Studie (6 Mio. Personen in der direkten Umgebung von 89 Flughäfen) waren die Zuweisungsraten für akute kardiovaskuläre Erkrankungen bei einer Zunahme der Lärmbelastung um 10 dB um jeweils 3,5% höher. Eine kausale Bedeutung weiterer Umweltfaktoren konnte für die Faktoren Luftverschmutzung und Verkehrslärm in der US-Studie ausgeschlossen werden.
    >>>mehr über Lärm als Dauerstress in meinem Blog>>>
  • Mehr Raum im Oberkörper tut dem Herzen und seinem Kreislauf sehr gut! Als Menschen (mit der Wirbelsäule im Brustraum hinten im Rücken) verkürzen wir im Leben vor allem vorne in der Frontallinie und leiden häufig im Alter an einem Rundrücken. Eine Verlängerung der Frontal- und Mittellinie und damit mehr Innenraum und mehr Aufrichtung im Oberkörper können strukturelle Methoden erreichen, deren Ziel eine grössere “Tiefenaktivität” der innen gelegenen Rumpfstabilisatoren (und eine Entspannung der oberflächlichen Rumpfhülle) ist: Alexandertraining, Polarity, Rolfing,…
    Katzen haben schon immer gewusst, was sich gegen eine Verkürzung der Vorderwand machen lässt:

      und als Mensch auf zwei Beinen tut man dies am besten gegen eine Wand –
    und dies ist die beste Übung gegen einen Rundrücken!
    hier auf dieser Website >>>

A-B-Typologie durch Friedman und Roseman:

Den sog. A-Typ könnte man auch einen “Sympathikotoniker” nennen >>> siehe mehr hier!
Diese Untersuchungen stammen zum grössten Teil aus medizinischen Untersuchungen zu koronargefährdendem Verhalten. Die so genannte Typ-A-Persönlichkeit hat zur Erklärung von Herz-Kreislauferkrankungen  besondere Beachtung gefunden (inzwischen weiss man, dass nicht jede Typ-A-Person einen Herzinfarkt erleiden wird; auch die entspannteren Typ-B-Persönlichkeiten bleiben nicht von koronaren Herzkrankheiten verschont).
Typ A Verhalten ist gekennzeichnet durch:
Starke Wettbewerbsorientierung: diszipliniert, tüchtig, verantwortungsbewusst, dominierend, aggressiv, feindselig.
Neigung zu extremer Verausgabung: verspannt, überlastet, gestresst, immer in Zeitnot, ungeduldig.
erhöhte Reizbarkeit und Gereiztheit im Zusammenhang mit Neurotizismus und Tendenzen zu Angst und Depression.
psychophysisches Risikoverhalten: unregelmässige Ernährung, mangelnde Körperbewegung im Wechsel mit sportlichen Höchstleistungen, wenig kontrollierter Genussmittelkonsum, Schlafdefizite.
Typ A ist ebenfalls durch ein spezifisches Muster von Coping-Strategien gekennzeichnet, z.B. versucht er immer mehr in immer weniger Zeit zu erreichen. Doch nicht die hohe Leistungsorientierung, sondern die defensive Komponente (Feindseligkeit) hat sich in späteren Untersuchungen als das zentrale krankheitsfördernde Merkmal herausgestellt.
Eine feindselige Haltung gegen Mitmenschen führt zu einem höheren Herzinfarktrisiko als Fettleibigkeit, Rauchen und hohe Blutfettwerte! Das fanden US-Psychologen heraus, die drei Jahre lang 774 ältere Männer beobachteten. Durch permanente Antipathie führen sich die Betroffenen selbst Stress zu. Dieser Stress könnte etwa zu schädlichen hormonellen Reaktionen oder zu Herzrhythmusstörungen führen, vermuten die Forscher. Knapp sechs Prozent der Probanden, die sich auf Grund eines Fragebogens als sehr feindselig erwiesen hatten, bekamen in dieser Zeit eine Erkrankung der Herzkranzgefässe. In einer zweiten Studie wurden 792 ältere Frauen beobachtet: Die Gruppe mit der grössten Feindseligkeit hatte eine doppelt so grosses Risiko einen Herzinfarkt zu erleiden wie die Gruppe mit der kleinsten Feindseligkeit (Am J Epidemiol 2002 Dec 15;156(12):1092-9).

Das Risiko abschätzen.

Der einfachste Test: 40 Liegestützen!

Wenn eine Ärztin prüfen will, wie gesund das Herz eines Patienten ist, macht sie mit ihm einen Leistungstest – idealerweise auf dem Fahrradergometer oder dem Laufband. Doch das ist zeitaufwendig, und die wenigsten Arztpraxen verfügen über die teuren Sportgeräte.
Jetzt könnte allerdings noch eine dritte Testmöglichkeit dazukommen – eine, die jeder Hausarzt durchführen kann und die nur ein bis zwei Minuten beansprucht. Der Arzt müsste seinen Patienten einfach nur auffordern: Machen Sie einmal so viele Liegestütze, wie Sie können, und ich sage Ihnen danach, wie gesund Ihr Herz ist.
Auf diese verblüffende Formel sind Forschende der Harvard University gekommen. Über einen Zeitraum von zehn Jahren haben sie die Daten von mehr als 1000 Feuerwehrleuten ausgewertet.
Als Ausgangspunkt ihrer Untersuchung ermittelten die Forschenden, wie viele Liegestütze und wie viel Zeit die Männer auf dem Laufband absolvieren können, wenn sie sich submaximal verausgaben, also bei 80 bis 90 Prozent ihrer maximalen Belastungsgrenze.
Nach zehn Jahren wurde gegenübergestellt, ob und allenfalls wie stark sich die Anzahl der machbaren Liegestütze auf die Herz-Kreislauf-Stabilität und ein mögliches Infarktrisiko der Männer ausgewirkt hatte.
Das Ergebnis: Die Probanden, die mehr als 40 Liegestütze am Stück machen konnten, hatten ein um bis zu 96 Prozent geringeres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie zum Beispiel einen Herzinfarkt. Im Laufe der zehn Jahre hatte es unter den Studienteilnehmern 37 Infarktfälle gegeben – 36 davon bei Männern, die weniger als 40 Liegestütze schafften. (Studie)

Berechnungen

Für die Berechnung des kardiovaskulären Risikos gibt es verschiedene Instrumente (PROCAM, EU-Score, Framingham Score).
Wie oben schon erwähnt, sind hier die Faktoren im Vordergrund, die einfach in der ärztlichen Praxis gemessen werden können – und für die eine pfannenfertige Behandlung (meist mit Medikamenten!) bereit liegt. Diese messbaren Werte (Blutdruck, Blutfette, Blutzucker) sind aber weitgehend bereits Sekundärsymptome von viel wichtigeren Risikofaktoren, wie Dauerstress, Bewegungsarmut und Genetik.

Der am besten validierte Score ist der Framingham Score. Gleichzeitig ist bekannt, dass auch das Vorhandensein eines Metabolischen Syndroms das Risiko für eine koronare Herzkrankheit erhöht, aber mit dem Framingham Score lässt sich das Risiko präziser vorhersagen. (Metabolic Syndrome vs Framingham Score for Prediction of Coronary Heart Disease, Stroke, and Type 2 Diabetes mellitus. Wannamehtee SG et al. Arch Intern Med 2005; 165: 2644-50:  Das metabolische Syndrom ist ein genauerer Prädiktor für das Auftreten eines Diabetes mellitus.

Framingham-Studie

Punkte und 5-Jahreswahrscheinlichkeit (%) für das Auftreten einer KHK (koronarern Herzkrankheit):

Punkte % Punkte % Punkte % Punkte %
0 bis 1 < 1 9 2 17 6 25 14
2 1 10 2 18 7 26 16
3 1 11 3 19 8 27 17
4 1 12 3 20 8 28 19
5 1 13 3 21 9 29 20
6 1 14 4 22 11 30 22
7 1 15 5 23 12 31 24
8 2 16 5 24 13 32 25

PREDICT-Studie: Abnehmendes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse

Was Hausärzt*innen intuitiv in ihrer täglichen Praxis schon vermuteten, erhält nun Unterstützung durch eine Untersuchung an über 400 000 PatientInnen aus Hausarztpraxen («primary care patients») in Neuseeland ohne klinisch bekannte, vorbestehende kardiovaskuläre oder renale Erkrankungen: Das wirk­liche Risiko, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden, ist deutlich geringer als in den schon etwas in die Jahre gekommenen, aber immer noch die Basis unserer Interventionen bestimmenden Risikostratifizierungen (Framingham-Daten et al.)! Bei etwa 55-jährigen PatientInnen beträgt das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses innerhalb der nächsten fünf Jahre lediglich 2,3% bei Frauen und 3,2% bei Männern (bei europäischer Herkunft noch tiefer).
Ärzt*innen werden ihre Vorgehensweisen an diese veränderte Epidemiologie adaptieren müssen, um Überbehandlungen zu vermeiden. Anderseits müssen wir im Sinne der Persona­lisierung Risikopopulationen neu definieren (und erkennen) und damit Unterbehandlungenauf individueller Basis zu verhindern suchen. (The Lancet 2018, doi.org/10.1016/S0140-6736(18)30664-0)

ESC Score¹

10-Jahres-Risiko für tödliche kardiovaskuläre Krankheiten in europäischen Regionen mit niedrigem kardiovaskulärem Krankheitsrisiko (z.B. Schweiz):

Dieser Score ist sehr brauchbar in der täglichen (Hausarzt-)Praxis: Man kann gut ersehen, ob z.B. die Bestimmung des Cholesterins überhaupt einen Sinn macht. Man sieht auch schnell die Wertigkeit der verschiedenen Risikofaktoren (z.B. Rauchen gegenüber Blutfetten oder Blutdruck), was sich also lohnt zu behandeln.

Was überhaupt nicht beachtet wird, ist der Dauerstress und der Bewegungsmangel!

Mit positiver Familienvorgeschichte für KHK muss man das Risiko in diesem Score verdoppeln – was aber neuerdings auch sehr umstritten ist (meist kleineres und sehr individuelles Risiko)! (DeBacker G et al. European guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. The Third Joint Task Force of European and other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice (constituted by representatives of eight societies and by invited experts) executive summary. Eur Heart J 2003; 24: 1601–10)

Risikoberechnung der koronaren Herzkrankheit unter  www.kardiolab.ch : PROCAM Risk Calculator (hier ist auch Familienrisiko eingeschlossen) und speziell für Frauen: Framingham Risk Assessment.
oder hier: www.riskscore.org.uk

Nach einem akuten Koronarsyndrom (Herzinfarkte mit oder ohne ST-Veränderungen, instabile Angina pectoris) lässt sich auf Grund der Ergebnisse der Beobachtungsstudie GRACE (Fox KA et al. Prediction of risk of death and myocardial infarction in the six months after presentation with acute coronary syndrome: prospective multinational observational study (GRACE)). BMJ 2006 (25. November); 333: 1091-6) mit relativ einfach zu ermittelnden Angaben das Sterbe- und Reinfarktrisiko berechnen. Das vereinfachte GRACE-Modell kann als Rechner vom Internet heruntergeladen werden: www.outcomes.org/grace .

Wir haben 3 Milliarden Herzschläge im Leben zu Gute!

Die Herzfrequenz ist ein noch viel zu wenig beachteter kardiovaskulärer Hauptrisikofaktor. Nach dem Alter, dem männlichen Geschlecht, der genetischen Prädisposition und der Hypertonie sollte die Herzfrequenz bereits an fünfter Stelle der wichtigsten Risikofaktoren aufgeführt werden.
Es ist davon auszugehen, dass allen Menschen gewissermassen ein Kapital von rund drei Milliarden Herzschlägen auf den Lebensweg mitgegeben wird!
Wer sparsamer damit umgeht, lebt länger, wer verschwenderisch ist, entsprechend kürzer. Mit einem Puls von 80 Schlägen pro Minute sind 71 Lebensjahre möglich, mit einer Frequenz von 100 dagegen nur 57 Jahre! Mit einer Herzfrequenz von 60 lässt sich ein Alter von 96 Jahren, mit etwas Sport und einem Ruhepuls von 50 gar von 115 Jahren erreichen! Auch bei Tieren ist übrigens die Lebenszeit frequenzabhängig. Kleine Tiere wie Mäuse mit einem Puls von 400 bis 500 Schlägen pro Minute werden nur 3 bis 4 Jahre alt, dagegen Elefanten mit einer Herzfrequenz von etwa 30 und Wale (6 bis 40 pro Minute) 30 Jahre.
Warum ist eine geringe Herzfrequenz so vorteilhaft? bei langsamem Herzschlag dauert die Diastole länger. Eine geringe Herzfrequenz verbessert die Koronarperfusion, weil sich der Koronarfluss weitgehend auf die Diastole beschränkt, und vermindert überdies den Sauerstoffverbrauch des Herzmuskels. Ein erhöhter Puls verstärkt dagegen den oxydativen Stress und den Umbau des Herzens (Remodeling). Das Herz dilatiert (erweitert sich) also bei einer Tachykardie (hoher Puls) schneller als bei einer Bradykardie (langsamer Puls).

Yoga mit Meditation hilft gegen Vorhofflimmern

In dieser Studie wurden die Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern zunächst mit drei Monaten sportlichen Aktivitäten ihrer Wahl behandelt. Anschliessend nahmen die Leute drei Monate lang an einem überwachten Yoga-Programm mit Atemübungen, Yoga-Stellungen, Meditation und Entspannung teil. Keiner der Probanden hatte vorher bereits Erfahrung mit den fernöstlichen Übungen.
Es zeigte sich, dass während der Yoga-Interventions-Phase die Episoden von Vorhofflimmern um die Hälfte zurückgingen. Ausserdem verringerten sich Angst- und Depressions-Symptome und die Lebensqualität stieg.
Als Wirkungsmechanismus werden günstige Einflüsse auf den Sympathikotonus diskutiert. (mehr zur Entspannung >>>hier!).

Und… gegen Vorhofflimmern hilft massiv ein völliger Alkoholstopp!

Statine – Medikamente gegen den Herzinfarkt?

Eine Metaanalyse von 25’000 Personen (Durchschnittsalter 73 Jahre, Follow-up 3,5 Jahre), die Statine (Blutfettsenker) einnahmen oder nicht, ergab bei den Statin-Nutzern eine relative Reduktion der Myokardinfarktrate um 40% und der Schlaganfallrate um 25%!
Die Mortalität (Sterblichkeit) jeglicher Ursache wurde durch diese Statineinnahme jedoch nicht beeinflusst!
Welche Todesursache hätten Sie denn gern? Herzinfarkt oder Demenz?!
(Savarese G, et al. J Am Coll Cardiol. 2013; doi:10. 1016/j.acc.2013.07.069)

Der Albtraum beginnt danach: Posttraumatische Belastungsstörung nach einem Herzinfarkt

Todesangst und Kontrollverlust! Wer einen Herzinfarkt hat, geht auch psychisch durch extreme Zeiten. Ungefähr jeder Zehnte leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Bei dieser Störung haben Patienten Albträume und einen gestörten Schlaf. Zudem drehen sie das Ereignis dauernd im Kopf und haben eine grosse Angst vor einem weiteren Infarkt.
Und diese Symptome sind riskant. Sie können einen weiteren Herzinfarkt auslösen. Eine posttraumatische Belastungsstörung verdoppelt das Risiko, in den nächsten ein bis zwei Jahren an einem weiteren Herzinfarkt zu sterben.
Je grösser die psychische Belastung nach dem Herzinfarkt, desto höher ist das Risiko für einen erneuten Aufenthalt im Spital. Forscher vermuten, dass traumatisierte Patienten weniger gut auf die Gesundheit achten. So schaffen es traumatisierte nach dem Herzinfarkt zum Beispiel seltener, das Rauchen aufzugeben oder ihre Medikamente regelmässig einzunehmen.
Prophylaktisch ist entscheidend, die Symptome früh zu erkennen. Dabei sind vor allem die Spitäler gefordert. Das Personal der Herzabteilungen spielt dabei eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, traumatische Reaktionen zu verhindern. Ärzte und Pflegepersonal sollten die verunsicherten Herzpatienten ernst nehmen und ihnen mit einer guten Aufklärung und Beratung wieder Sicherheit vermitteln. Herzspezialisten sollten in den ersten Monaten nach einem Herzinfarkt psychische Symptome immer wieder gezielt erfragen. So könnte man dem Patienten bei Bedarf früh eine Psychotherapie bieten.
Besonders gefährdet sind Patienten über 60 Jahre ist. Sie erleiden eher eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Grund: Mit steigendem Alter kann man weniger gut mit Stress umgehen und man wird schmerzempfindlicher. Auch Menschen ohne funktionierendes soziales Netz und die bereits an einer psychischer Krankheit leiden, sind mehr gefährdet.
Auch Patienten können vorbeugen: Ein Herzinfarkt hinterlässt das Gefühl, dass etwas mit dem Körper nicht in Ordnung ist. Daher sollte man wieder positive Erfahrungen machen. Dabei hilft Bewegung. Ausserdem sollen Patienten mit Freunden, Ärzten und Therapeuten über ihre Ängste sprechen. Man sollte zudem versuchen, im Herzinfarkt einen Sinn zu erkennen. Zum Beispiel, indem man ihn zum Anlass nimmt, das Rauchen aufzugeben, sich gesünder zu ernähren oder sich mehr zu bewegen.
Das hilft nach dem Herzinfarkt:
– Sprechen Sie mit vertrauten Menschen über Ihre Erlebnisse.
– Machen Sie regelmässiges Bewegungstraining wie Gehen, Gymnastik oder Übungen am Heimtrainer. Auch Schwimmen, Langlauf, leichtes Joggen und Fahrradfahren eignet sich. Tun Sie das, was Ihnen Freude macht.
– Vermeiden Sie Stress.
– Machen Sie Entspannungstraining wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung oder Yoga. Es hilft gegen Nervosität, Herzjagen und hohen Blutdruck.
– Ernähren Sie sich abwechslungsreich und gesund: mit wenig tierischem Fett, wenig Zucker, viel Obst und Gemüse.
– Achten Sie auf Ihr Gewicht
– Lassen Sie sich regelmässig vom Arzt untersuchen
– Gehen Sie den Ursachen des Herzinfarktes auf den Grund: Welche Prioritäten habe ich bis jetzt im Leben gesetzt? >>>Lesen Sie dazu hier auf dieser Website!
– Suchen Sie Hilfe bei Problemen am Arbeitsplatz oder in der Familie.
Mehr Infos:
Über die (allgegenwärtige) Todesangst hier auf dieser Website!
Merkblatt «Empfehlungen für den Umgang mit belastenden Ereignissen», herausgegeben vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und der Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen: www.nfszh.ch/hilfen-fuer-betroffene

Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
20. November 2023

Stress, Spannung, nervös…

Für uns Westler – im Dauerstress und ohne Ruhe lebend – ist die Stärkung der parasympathischen Seite des Vegetativen Nervensystems meist der wichtigere Teil.
Stress ist das subjektive Empfinden, dass die eigenen Ressourcen nicht ausreichen, um eine Situation zu bewältigen. Durch diese Schwäche der Ressourcen und das spannungsvolle Leben ist unser Sympathikus meist viel zu stark aktiviert (= grosser Sympathikotonus).
Natürlich existieren aber auch Menschen, deren Sympathikus zu schwach aktiviert ist (sog. Vagotoniker, da der Vagus der wichtigste Nerv des Parasympathikus ist).
Hier unterscheide ich gewisse Krankheiten und Zustände nach Übergewicht oder Schwäche einer dieser Seiten des Vegetativums – und bespreche auch Lösungsansätze, die sich daraus ergeben.

SOS-Übungen gegen den Stress

Die Anspannung steigt. Sie werden hektisch. Der Rücken schmerzt.
Diese Übungen helfen, Körper und Geist zu entspannen:

  • Erdung: Sich barfuss hinstellen. Füsse beckenbreit und parallel. Augen schliessen. Becken ganz sanft wie eine Schublade leicht nach hinten gleiten lassen – ohne Bauch- und Gesässmuskeln – nicht kippen. Bauchwand entspannen. Brustbein hängt frei und ist senkrecht. Schultern nicht nach oben ziehen, sondern locker auf den Oberkörper hinlegen (wie grosses Tuch) – Arme hängen in Schultergelenken. Der Kopf balanciert auf der Mittelachse durch die Ohren – wie eine Boje auf ruhigem Wasser.
  • Fäuste: Eine Kurzform der progressiven Muskelentspannung reicht meist: Legen Sie sich ins Bett, spannen Sie die Gesässmuskeln an, ballen Sie die Hände ganz fest zu Fäusten und drücken Sie den Kopf ins Kissen. Zählen Sie auf 30 und entspannen Sie dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederholen Sie etwa fünf bis sechs Mal. Hier finden Sie die erweiterte Form dieser Muskelentspannung >>>
  • Atmung: Eine Minute täglich die tiefe Bauchatmung machen. In dieser Minute atmet man sechsmal tief ein und wieder aus, so dass die Bauchdecke sich spürbar hebt und senkt.
  • Sprünge: Wer während eines langen Schreibtischtages schnell Dampf ablassen muss, kann sich ein Springseil zulegen. Seilspringen braucht wenig Platz und treibt den Puls schnell in die Höhe. Oder als Alternative (ohne zusätzliches Gerät) Treppen runter- und wieder hochlaufen, dabei zwei Stufen auf einmal nehmen.
  • Lachen: Im Stress neigen wir dazu, die Stirn in Falten zu legen und die Zähne aufeinanderzubeissen. Im Lachen, das man sich auch selbst schenken kann, ist das Gesicht dagegen entspannt und man kommt innerlich zur Ruhe. Witze regen dazu an >>>

was bessert (oder verschlechtert )?!

 

Krankheit oder Zustandsbild mehr
Sympathikus
mehr Parasympathikus
aggressives Verhalten
Angst mit Durchfall und Lähmung
Angst mit Herzrasen und Hyperventilation
Asthma (Bronchokonstriktion) / erhöhte Schleimbildung
Diabetes (Insulinsekretion aus dem Pankreas)
Erektionsstörung
Erröten schnelles
Herzinfarkt
hoher Blutdruck, Hypertonie
niedriger Blutdruck, Hypotonie
Hyperventilation (überaktive Atmung)
Kollapsneigung, vasovagale Synkopen
Magengeschwüre
matt, schwunglos, kalte Füsse und Hände
Nervosität, Unruhe, zuviel Stress, Muskelspannung
Schilddrüse (Hormonsekretion)
Schwitzen keine Verbindung
Skelettmuskeldurchblutung
Schlafstörungen
Der Parasympathikus ist der “Herr der Nacht”!
trockener Mund
überaktive Blase

Was wirkt denn?!

Sympathikus stärkend
= sympathikoton
oder vagolytisch
Parasympathikus stärkend
= vagoton/parasympathikoton
oder sympathikolytisch
bewirkt Aggression / Angriff / Kampf oder (aktive) Flucht bewirkt lähmende Flucht / Erstarrung / Schreck
Organe über dem Zwerchfell werden aktiviert (Herz, Lunge, Geist – aber auch Orgasmus). Organe unter dem Zwerchfell werden aktiviert (Magen, Darm, Blase, Erektion).
Sympathikus ist vor allem tagsüber dominant aktiv. Der Parasympathikus ist “der Herr der Nacht”!
Yang Yin
>>> Ausgleich durch Yin-Yang-Atmung siehe weiter unten >>>
Feuer (Holz)… Wasser (Metall) aus chin.Elementenlehre
Geistesarbeit, kreatives Denken, Logik… Gefühle haben, Gefühle zeigen, Gefühle leben, Bindungen eingehen, sein Herz öffnen, sich freuen, lachen, weinen und lieben steht unter absoluter Dominanz des Yin-Pols.
Ruhe / Erholung / Entspannung / Kontemplation / Meditation
dynamisches Yoga (Bikram…) ruhiges Yoga (Hata…)
dynamische Meditation (z.B. Osho/Bhagwan) “ruhige” Meditation (Vipassana…)
leistungsbetonter Sport (Cortisolausschüttung) – Wettkampftyp – Kampfsport entspannter Sport / Bewegung – Ausdauersport
“Sein statt Tun!”
Mantra: WAM = wait a moment –
die Zeit ist gekommen, inne zu halten, zu atmen und mir ein Lächeln zu schenken.
Genug “erschaffen” , “Einfach Sein”.
Die Natur und unsere Kinder/Enkel sind unsere Lehrer.
Anregung des Speichelflusses kann z.B eine Panikattacke beenden. Mit Einsetzen einer vermehrten Salivation (z.B. mit Zitronensaft, sauren Bonbons, Kaugummi,…) wird der X. Hirnnerv, der N. Vagus angeregt. Der Vagus ist der “Herrscher” des parasympathischen Teils des vegetativen Nervensystems. Dadurch wird der sympathische Teil davon gehemmt und damit die Panikattacke, die diesem Teil zugehörig ist, leichter.
Ernährung
kaltes Essen, erfrischend warmes Essen (auch bereits morgens: warmes Wasser + Früchte in Butter erwärmen mit scharfen Gewürzen wie Chili, Curry,…)
Bitterstoffe und Saures Salziges, Scharfes
“Sympathikomimetika” wie Kaffee, Tee
Pflanzen
Ephedra (Meerträubel) Crataegus – Weissdorn (Pflanze mit der stärksten Betablockade!)
Digitalis – Fingerhut
Ashawangdha – Schlafbeere

Vagus-Meditation

Um den Vagusnerv zu aktivieren, atmen Sie zunächst sanft ein. Zählen Sie dabei bis vier. Lassen Sie die Atemluft ausströmen — gerne für sechs bis acht Sekunden.
Wiederholen Sie das achtsame Atmen einige Male. Mit der nächsten verlängerten Ausatmung summen Sie gut hörbar den Buchstaben „M”.
Achten Sie dabei auf die Empfindungen in der Nase: Der vibrierende Luftstrom aktiviert Vagusbahnen um Kopf und Hals — das kann helfen, verspannte Gesichtsmuskeln zu lockern.
Wiederholen Sie das summende Ausatmen nun mit dem Laut „A”. Sie können eine Hand aufs Herz legen, um die Vibration wahrzunehmen.
Vielleicht bemerken Sie bei der nächsten Einatmung, dass sich Ihr Brustraum leichter weiten lässt. Diesmal summen Sie beim Ausatmen ein langes tieftönendes „U”.
Spüren Sie nach, wie sich mit den Schwingungen Entspannung im Bauchraum ausbreitet.

Yin-Yang-Atmung (Sonne-Mond-Atmung) zum Energieausgleich

Mit Nadi (Sanskrit, नाडि, nāḍi = Kanal, Röhre) werden im Yoga und im Tantra feinstoffliche Energieleitbahnen bezeichnet, die den Körper durchziehen und mit Prana (Lebensenergie) versorgen sollen (ähnlich dem Prinzip der Meridiane in der TCM, Traditionellen Chinesischen Medizin).
Unser Körper besitzt drei Hauptenergiekanäle (Nadis), in denen durch den Atem Prana, also Lebensenergie fliesst, was den Körper gesund erhält und ihn vitalisiert.
Diese drei Hauptnadis sind Ida, Pingala und Sushumna.

IDA
fängt im linken Nasenloch an und verläuft hinunter zum Steissbein. Es hat eine negative Ladung (feminin, “mondig”, passiv, rezeptiv, kühlend). Es stärkt Yin und damit den Parasympathikus.

PINGALA
beginnt im rechten Nasenloch und endet auch am Steissbein. Es hat eine positive Ladung (maskulin, “sonnig”, aktiv, wärmend). Es stärkt Yang und damit den Sympathikus.

SUSHUMNA
verläuft zwischen Ida und Pingala und entspricht dem Rückenmark. Es beginnt am Steissbein und geht bis zum Dritten Auge. Sushumna wird aktiv, wenn Ida und Pingala offen und in Balance sind.

Normalerweise atmen wir im Wechsel eine Stunde durch Ida (durch das linke Nasenloch), eine Stunde durch Pingala (durch das rechte Naselnloch). Die gleichzeitige Aktivierung beider Nadis ist estrebenswert, damit auch rechte und linke Hirnhemisphäre ausgeglichen sind und Prana durch Sushumna fliessen kann.

Technik: Sitze aufrecht, mit dem rechtem Daumen verschliesse das rechte Nasenloch und atme durch das linke Nasenloch ein.
Verschliesse beide Nasenlöcher mit Daumen und Ringfinger und mache eine Atempause.
Atme durch das rechte Nasenloch aus und atme wieder durch das rechte Nasenloch ein, Verschliesse beide Nasenlöcher, mache den Atemstopp usw..

Visualisation: Atme durch das linke Nasenloch ein und folge Ida bis zum Steissbein. Atme durch das rechte Nasenloch ein und folge Pingala bis Steissbein. Bei jedem Atemstopp spann den Beckenboden an und stelle dir vor, wie die Energie durch Sushumna vom Steissbein ins Dritte Auge hinaufgezogen wird…

Den Parasympathikus für einen guten Schlaf “einschalten”

Eine schöne Art, den PS vor dem Schlaf in Gang zu setzen, ist es, mit möglichst warmen Füssen (ev. per Fussbad) ins Bett zu kommen. Durch die darauf erfolgende Abkühlung der Füsse (und Hände) kann man den Übergang in die Ruhe des Schlafes (und damit die Dominanz des PS in der Nacht) besser erreichen.

>>> Lesen Sie darüber mehr auf dieser Website: schlaf/

Betablockade

Beim Weissdorn (Crataegus) haben wir oben gesehen, dass der Betateil des Sympathikus gehemmt wird. Hier warne ich eindringlich vor der Medikamentengruppe der Betablocker als “Managerdroge” (ausser gegen die Hypertonie): Sie bringen unser ganzes vegetatives System völlig aus dem Gleichgewicht, was in Nebenwirkungen wie Erektionsstörungen, Muskelschwäche und Müdigkeit enden!

Veröffentlicht am 11. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
17. Februar 2023

Entspannung – Meditation

Ich bin in einer Welt, die in mir ist. (Paul Valéry)
Wer nicht ab und zu in sich geht, trifft irgendwann dort niemand mehr an!

Hier stelle ich Ihnen verschiedene einfache Methoden zu Entspannung vor, die leicht erlernbar, jederzeit verfügbar und sofort effektiv sind. Um eine länger andauernde Wirkung zu erzielen, müssen Sie jedoch zum festen Bestandteil der täglichen Routine werden.

Dauerstress und Entspannung

In unserer Zeit des Dauerstress ist die Entspannung das A und O. Der Rhythmus von Spannung und Entspannung (Kontakt und Rückzug, etc.) sollte auch über die Arbeitswoche weg erhalten bleiben. Das optimale Modell für Dauerstressgeplagte und Leute mit Burnout ist eine 80%-Arbeit mit einem ganzen freien Mittwoch! Auch im Winter kann man “saisongerechter” Leben und sich bei kürzerem Tageslicht und grösserer Nachtlänge mehr zurückziehen, zur Ruhe kommen und länger Schlafen: also mehr erholen und entspannen (mehr dazu hier).

Gelassenheit und Innerer Frieden

In der Entspannung werden wir gelassener und erleben den inneren Frieden. im Ryoanji-Schrein in Kyoto steht die einfache Lebensweisheit
“Zufrieden sein mit dem, was man hat.”
Den Glauben, dass wir dauerhaft Freude finden und Schmerz vermeiden können, nennt der Buddhismus das Samsara, jenen unentrinnbaren Kreislauf der sich unablässig dreht und dreht und uns grosses Leid beschert. Ihn als Illusion zu entlarven und jeden Moment (entspannt) anzunehmen wie er ist, darin liegt die Befreiung. Dazu kann uns die Meditation helfen. Mehr über den Inneren Frieden mit seinen “kleinen” Störungen. Und mehr über Entspannung durch weniger moralische, aber mehr ethisch faire Lebenshaltung und mehr Bescheidenheit in meinem Blog!

Entspannungsmethoden

Hier stelle ich Ihnen verschiedene einfache Methoden zu Entspannung vor, die leicht erlernbar, jederzeit verfügbar und sofort effektiv sind. Um eine länger andauernde Wirkung zu erzielen, müssen Sie jedoch zum festen Bestandteil der täglichen Routine werden. Es gibt natürlich noch weitere, sehr bewährte Entspannungsmethoden wie zum Beispiel autogenes Training, Tai Chi, Yoga, Feldenkrais und Rolfing. Im Rolfing lernen Sie zum Beispiel eine alltägliche Bewegung, die mit einer Entspannung des Körpers beginnt – und nicht mit einer Kontraktion (der Muskeln). Die Entspannung erfolgt auch durch Erlangen eines neuen Gleichgewichts mit schwingenden, katzenartigen Bewegungen mit minimaler Muskelaktivität und einem “Hängen im Bindegewebe”. Spüren von Gewicht, Dehnung und Stütze sind Leitlinien. Ökonomie also.
Meditation ist eigentlich mehr als Entspannung – und trotzdem bespreche ich sie hier, da sie eine Weiterführung der einfachen Entspannungsmethode ist. An anderem Ort habe ich Vergleiche von Entspannung durch Kräftigung des parasympathischen Teils des Vegetativen Nervensystems oder “orientalisch” betrachtet, durch Stärkung des Yin, angestellt ( parasympathikus/).
Sogenannt “alltägliche” Ärger, “kleine” Sorgen, die meinen Inneren Frieden stören…
Nicht was wir erleben, sondern wie wir wahrnehmen was wir erleben, macht unser Schicksal aus.
All dies erfordert eine grosse Achtsamkeit für das Hier und Jetzt.

Wald- oder Parkspaziergang (ohne Smartphone und Airpods)!

Wie wichtig regelmässige Bewegung in der Natur ist, hat bereits 2019 ein Forschungsteam der Universität Michigan in einer Studie bewiesen, die im Fachmagazin «Frontiers in Psychology»  veröffentlicht wurde. Das Besondere an diesen Erkenntnissen ist, dass schon bereits nach einem 20-minütigen Spaziergang der Stresspegel, und damit auch der erhöhte Kortisolspiegel, gesenkt wird. Im Rahmen der Studie wurden Stadtbewohner dazu aufgefordert, während acht Wochen mindestens dreimal pro Woche für mindestens zehn Minuten in die Natur zu gehen.
Die Probanden mussten vor und nach dem Spaziergang jeweils Speichelproben abgeben. Der stressreduzierende Effekt war am grössten, wenn die Teilnehmer dreimal wöchentlich während 20 bis 30 Minuten im Wald unterwegs waren. Aber auch ein kurzer Spaziergang im Park hatte eine beruhigende Wirkung, Voraussetzung für den Erfolg war allerdings, dass man bei Tageslicht unterwegs ist und dass man weder ein Handy, noch sonstige elektronische Gadgets benutzt. Auch auf sportliche Betätigung sollte während der Studiendauer verzichtet werden.
Was den positiven Effekt eines kurzen Spaziergangs betrifft, ging man lange davon aus, dass ein längerer Aufenthalt im Grünen nötig sei, um eine entspannende Wirkung zu erzielen. Dass es nur 20 bis 30 Minuten braucht, um diesen positiven Effekt zu erzielen, wird hoffentlich auch Couch-Potatoes motivieren, öfters frische Luft zu schnuppern.

SOS-Übungen gegen den Stress

Die Anspannung steigt. Sie werden hektisch. Der Rücken schmerzt. Diese Übungen helfen, Körper und Geist zu entspannen:

  • Erdung: Sich barfuss hinstellen. Füsse beckenbreit und parallel. Augen schliessen. Becken ganz sanft wie eine Schublade leicht nach hinten gleiten lassen – ohne Bauch- und Gesässmuskeln – nicht kippen. Bauchwand entspannen. Brustbein hängt frei und ist senkrecht. Schultern nicht nach oben ziehen, sondern locker auf den Oberkörper hinlegen (wie grosses Tuch) – Arme hängen in Schultergelenken. Der Kopf balanciert auf der Mittelachse durch die Ohren – wie eine Boje auf ruhigem Wasser.
  • Fäuste: Eine Kurzform der progressiven Muskelentspannung reicht meist: Legen Sie sich ins Bett, spannen Sie die Gesässmuskeln an, ballen Sie die Hände ganz fest zu Fäusten und drücken Sie den Kopf ins Kissen. Zählen Sie auf 30 und entspannen Sie dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederholen Sie etwa fünf bis sechs Mal. Hier finden Sie die erweiterte Form dieser Muskelentspannung >>>
  • Atmung: Eine Minute täglich die tiefe Bauchatmung machen. In dieser Minute atmet man sechsmal tief ein und wieder aus, so dass die Bauchdecke sich spürbar hebt und senkt – längere Aus- als Einatmung. Dies ausschliesslich durch die Nase.
  • Sprünge: Wer während eines langen Schreibtischtages schnell Dampf ablassen muss, kann sich ein Springseil zulegen. Seilspringen braucht wenig Platz und treibt den Puls schnell in die Höhe. Oder als Alternative (ohne zusätzliches Gerät) Treppen runter- und wieder hochlaufen, dabei zwei Stufen auf einmal nehmen.
  • Lachen: Im Stress neigen wir dazu, die Stirn in Falten zu legen und die Zähne aufeinander zubeissen. Im Lachen, das man sich auch selbst schenken kann, ist das Gesicht dagegen entspannt und man kommt innerlich zur Ruhe.
    Witze regen dazu an >>>

Kritische Sicht auf die allgegenwärtige Achtsamkeit und alltäglich praktizierte Meditation

Achtsamkeit (Mindfulness-Konzepte) und Meditation können narzisstisch machen und die Welt vom Denken abhalten! Es kann als “Tranquilizer” (siehe Interview mit Oxford-Professor Theodore Zeldin) wirken und damit keine sozialen Probleme lösen, die meist die eigentlichen Ursachen von Angst und Stress sind!
Es ist also wichtig, dass man diese Entspannungsdinge auf dieser Seite ausübt UND TROTZDEM HINAUSGEHT IN DIE WELT, UM SIE ZU VERBESSERN!
Viel hilft viel, das mag für Sonnencremes gelten, aber nicht für den Hype “Achtsamkeit”! Vielmehr kann zu häufiges oder zu lang andauerndes Training negative Effekte haben (Willoughby B. Britton: Can mindfulness be too much of a good thing? The value of a middle way. Current Opinion in Psychology, 2018. DOI: 10.1016/j.copsyc.2018.12.011).

Die dabei auftretende Selbstfokussierung kann Ängste und Depressionen nach sich ziehen. Man sieht hier ein interessantes Phänomen (wie häufig bei Medikamenten auch), dass Nebenwirkungen ähnliche Bilder wie die Indikationsdiagnose selbst produzieren kann.
Achtsamkeitstraining (im Hier und Jetzt sein) wird denn auch bei Ängsten als Therapie genutzt.
Auch bei Gefühlen von Dankbarkeit, Empathie oder Autonomie gibt es ein Zuviel! Auch hier gilt also “Alles mit Mass!”, was schon im Fries vom altgriechischen Tempel zu Delhi stand… Auch Fabrice Midal (“Die innere Ruhe kann mich mal”, 2018) warnt vor der Meditation als Teil einer heute so häufigen Selbstoptimierung und Perfektionieren. “…am Ende meditiert man nur wirklich, wenn man sich freimacht von dem Diktat, etwas zu erreichen zu müssen, etwas in Gang zu setzen, ein Ziel zu verwirklichen.” Seelenfrieden entsteht erst durch das “Transformieren der Widrigkeiten des realen Lebens”.

Anstelle von Optimierung durch die Meditation, kann man sich durch sie berühren lassen. Die Resonanz in mir wird dadurch zur treibenden Kraft.

 

Die entspannungsinduzierte Angst

Zudem existiert gerade bei Ängstlichen eine Furcht, sich zu entspannen. Dies hat auch schon einen Namen: “Relaxation Induced Anxiety“. Es ist eine eigentliche Furcht vor dem emotionalen Kontrast, die Angst im emotionalen Zustand einen Angstzustand noch extremer zu erleben, als wenn man bereits verkrampft und verspannt ist.

Copyright Psychologie_Heute¢

  Hier ein paar Methoden zu Entspannung:

Progressive Muskelentspannung (nach Edmund Jacobson)

Bei der progressiven Muskelentspannung werden verschiedene Muskelgruppen kräftig angespannt und dann ganz langsam wieder entspannt. Sie lässt sich sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause praktizieren. So gehen Sie vor: Beginnen Sie mit der rechten Hand und ballen Sie sie, so stark es geht, während fünf bis sieben Sekunden. Dann entspannen Sie ganz langsam, während zwanzig bis dreissig Sekunden. Konzentrieren Sie sich dabei voll und ganz auf die Empfindung in Hand und Unterarm. Denken Sie an gar nichts anderes und spüren Sie, wie sich die langsame Entspannung anfühlt. Als Nächstes nehmen Sie sich die linke Hand vor, dann die Stirn und so fort, wie in der Tabelle angegeben. Halten Sie die vorgegebenen Zeiten (fünf bis sieben Sekunden anspannen und zwanzig bis dreissig Sekunden entspannen) ein und lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit ganz auf die jeweilige Muskelgruppe. Das aufmerksame Spüren ist entscheidend.

Ablauf für progressive Muskelentspannung
anspannen durch: Muskelgruppe
1)   zuerst die rechte und dann die linke Faust machen Hand und Unterarm
2)   Stirn runzeln Stirnpartie
3)   Zähne zusammenbeissen,Mundwinkel zurückziehen Kiefermuskulatur
4)   Kinn auf Brust pressen Nacken und Hals
5)   zuerst die rechte und dann die linke Fussspitze gegen das Knie ziehen Fuss und Unterschenkel

  Eine Kurzform davon ist häufig auch sehr wirksam: Legen Sie sich ins Bett, spannen Sie die Gesässmuskeln an, ballen Sie die Hände ganz fest zu Fäusten und drücken Sie den Kopf ins Kissen. Zählen Sie auf 30 und entspannen Sie dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederholen Sie etwa fünf bis sechs Mal. Lesen Sie hier noch Weiteres zur “Ruhe als Heilmittel”!

4/7 oder 7/11-Atmung

Um zwischendurch zur Ruhe zu kommen, hilft diese Atmung. Sie wird auch von Ersthelfern benutzt, um sich selber und andere in Notsituationen zu beruhigen, und geht so: Augen schliessen, durch die Nase einatmen und dabei bis sieben (oder vier) zählen. Dann ausatmen und bis elf (oder 7) zählen. Wenn wir das Ausatmen länger machen als das Einatmen, beruhigt sich unser Nervensystem und ermöglicht es uns, eine Verbindung zum gegenwärtigen Moment herzustellen, an dem wir sonst vielleicht vorbei gehetzt wären.

Voraussetzung für gutes Atmen sind immer gut durchgängige Nasengänge:
Nasenatmung provozieren – Mundatmung verhindern:
vor allem nachts (hilft auch gegen das Schnarchen):
Mund mit kleinem, Briefmarkengrossen Stück chirurgischem Gewebeband, das man vor dem Einschlafen auf die Mitte des Lippenspalts geklebt hat. Man gewöhnt sich nur langsam daran (deshalb in erster Nacht vielleicht nur 30 Minuten, dann 60, usw…).
Tagsüber (vor allem während Sport) ist das Nasenatmen eine Bewusstseinsübung. Ein Mensch mit chronisch verstopfter Nase sollte erreichen, dass er schlussendlich ausschliesslich mit geschlossenem Mund, nur noch durch die Nase atmen kann!

Weitere Atemübungen in meinem Blog: walserblog.ch/2019/09/21/atem

Neurogenes Zittern

Man geht in eine Körperhaltung, die für unser Hirn schwer zu kontrollieren ist. Nach kurzer Zeit lässt dann die Kontrolle über unsere Muskulatur nach und wir beginnen unwillkürlich zu Zittern. Dies lässt man ganz zu – und entspannt sich dabei enorm. Eine einfache Stellung dazu, ist, sich auf den Rücken und die Fusssohlen zusammen zu legen. Man lässt die Knie seitlich auseinanderfallen und hebt das Becken ein paar Zentimeter vom Boden ab. Langsam beginnt dann unweigerlich ein leichtes Zittern in Beinen und Bauch, das sich langsam auf den ganzen Körper ausbreiten kann. Falls das Neurogene Zittern noch nicht beginnt, kann man die Stellung verstärken, indem man die Knie etwas mehr zusammenbringt. Wenn das Zittern erfolgt, kann man das Becken auch wieder auf den Boden auflegen. Es zittert dann meist auch weiter. Man lässt dies geschehen und verstärkt die dabei entstehende Entspannung mit tiefem Atmen.

Die Freeze Frame Methode

Diese Methode beruht darauf, die anspannende Situation bewusst wahrzunehmen und sie – gleichsam in den Wahrnehmungsrahmen eingefroren – aus Distanz zu betrachten und durch Atmung zu beruhigen. Die drei Schritte des Freeze Frame sind die folgenden: Schritt 1 – Anspannung erkennen und Wahrnehmung »einfrieren« Wenn Sie merken, dass Sie eine Situation stresst, nehmen Sie den Stress ganz bewusst wahr. Spüren Sie das unangenehme Gefühl und halten Sie es aufrecht, wie wenn Sie einen Film anhalten und so eine Szene einfrieren würden. Distanzieren Sie sich dann von der »eingefrorenen« Wahrnehmung und stellen Sie sich das Bild mit dem irregulären Herzrhythmus vor. Schritt 2 – Durch das Herz atmen Wechseln Sie dann zum Bild mit der kohärenten Schwingung. Durch langsames Ein- und Ausatmen bringen Sie Ihr Herz zurück in diesen regelmässigen Rhythmus: Holen Sie langsam während fünf Sekunden Luft und stellen Sie sich dabei vor, Sie würden durchs Herz einatmen. Dann halten Sie Ihre Hand auf den Solarplexus – die Stelle zwischen Bauchnabel und Brustkorb – und atmen langsam während fünf Sekunden aus. Stellen Sie sich dabei vor, wie der Herzrhythmus durch die langsame Atmung moduliert wird und zurück zur regelmässigen Schwingung findet. Schritt 3 – Ein positives Bild visualisieren Während Sie weiter während fünf Sekunden ein- und während fünf Sekunden ausatmen, stellen Sie sich nun eine entspannte Szene vor – was immer Ihnen am besten gefällt. Verwenden Sie dasselbe Bild immer und immer wieder, bis Sie eine Konditionierung erreichen und das beruhigende Bild ganz automatisch beim bewussten, langsamen Atmen kommt. Mit zunehmender Praxis werden diese drei Schritte automatisiert. Ohne ausdauerndes Training geht es jedoch nicht. Üben Sie den Freeze Frame zum Beispiel zunächst, wenn Sie abends nach Hause kommen. Später können Sie die Methode auch am Arbeitsplatz einsetzen.

Stopping – Innehalten

Stopping bedeutet, innezuhalten und sich gedanklich eine kurze Auszeit zu nehmen, um zu sich selber zu kommen und sich an das zu erinnern, was einem im Leben wichtig ist. Im Verlauf eines Tages gibt es unzählige Gelegenheiten fürs Stopping: beim Warten, bis der Kaffee aufgebrüht ist, vor der Ampel, beim Hochfahren des Computers, beim Sandwichlunch auf der Parkbank, in der Strassenbahn oder beim Rasenmähen. Was Sie beim Stopping tun, ist einfach: Sie klinken sich mit einigen bewussten, ruhigen Atemzügen aus Ihrer Aktivität gänzlich aus und richten Ihre Aufmerksamkeit ganz bewusst nach innen. Besinnen Sie sich dann zum Beispiel:

  • auf Ihre Dankbarkeit, dass Sie gesund sind
  • darauf, dass Ihnen eine bestimmte Beziehung viel bedeutet
  • darauf, was Ihnen lieb und teuer ist im Leben
  • auf etwas, worauf Sie sich freuen können
  • darauf, dass Sie sich selber wieder einmal ein Kompliment machen oder irgendetwas tun sollen, das Ihrer Seele gut tut.

Ein derartiger Stopp kann bloss ein paar Sekunden dauern oder sich über einige Minuten oder eine Viertelstunde erstrecken. Er entspannt Körper und Geist und tut der Seele wohl. Denn wenn wir uns besinnen, tauchen wir von der Oberfläche in die Tiefe, wo wir auf die Dinge stossen, die für unser Dasein wirklich von Bedeutung sind. Wenn Sie zehn bis fünfzehn Stopps auf einen intensiven Tag verteilen, werden Sie einen kumulativen Effekt spüren: Diese Ruhepunkte unterbrechen den steten Aufbau der Anspannung und halten Sie so vergleichsweise tief. Damit Sie an die Stoppings denken, gilt es, sie in regelmässig wiederkehrende Situationen einzuplanen: bevor Sie etwas beginnen, bei Wartezeiten oder beim Treppensteigen. Sie können zu Beginn auch einen Timer benützen, der Sie immer wieder erinnert. Ein Kleber an der Agenda oder am Notizblock kann ebenfalls hilfreich sein, ebenso Ihr Journal, das mithilft, Ihre Wachsamkeit zu erhöhen und Ihre Vorsätze einzuhalten. Das Mantra (auf dem Kleber) könnte “WAM” heissen: “Wait a Moment!” (die Zeit ist gekommen, inne zu halten, zu atmen und mir ein Lächeln zu schenken. Genug “erschaffen” , “Einfach Sein”. Die Natur und unsere Kinder/Enkel sind unsere Lehrer…).

Mit Blaulicht zur Entspannung

Sorgen Sie in einem ruhigen Raum für eine blaue Beleuchtung und legen Sie sich dann für zehn Minuten entspannt hin! Dies wirkt enorm viel stärker als bei Weisslicht. Aber Achtung: Blaulicht in der letzten Stunde vor dem Einschlafen abends (z.B. vom Smartphone oder Computer!) verhindert das Ausschütten des Einschlafhormons Melatonin und man liegt länger wach.

Mobiles Internet (Smartphones, Tablets) und Alleinsein oder Langeweile

Das Zücken des Smartphones  in jeder Pause, in der Langeweile aufkommen könnte, kann in die Isolation führen, weil man die Fähigkeit zum Alleinsein verliert. Erst das Alleinsein ermöglicht es, sich selber zu finden und mit anderen eine Bindung einzugehen. Können wir das nicht, wenden wir uns den anderen zu, um uns nicht ängstigen, ja um uns überhaupt erst lebendig zu fühlen. Die anderen werden zu einer Art Ersatzteillager für das, was uns fehlt. Einer Generation, die Alleinsein als Vereinsamung erfährt, mangelt es an Autonomie. Diese zu entwickeln ist für Heranwachsende aber lebenswichtig. Was wir Langeweile nennen, ist wichtig für unsere Entwicklung. Es ist die Zeit der Imagination, in der man an nichts Bestimmtes denkt, seine Vorstellung wandern lässt. Ich erinnere mich daran, stundenlang in der Natur gesessen zu haben, ohne ein Buch, ohne irgendetwas. Ich habe aufs Wasser geschaut oder in die Berge, vor mich hingeträumt, war einfach Kind. Das menschliche Gehirn braucht die Langeweile – Neurologen sprechen vom “Default Mode Network” und meinen damit einen freischwebenden Leerlaufmodus, in dem Gedanken ziellos umherschweifen können. Es entstehen Denkpausen, in denen das Gehirn Eindrücke verarbeitet, es also gewissermassen geistig verdaut. Die Jungen schätzen ein Kommunikationsmedium, in dem man Verlegenheit und Unbeholfenheit ausblenden kann. Man zieht sich zurück, bevor man abgelehnt wird. Smartphones befriedigen drei Fantasien: dass wir uns immer sofort an jemanden wenden können, dass wir immer angehört werden und dass wir nie allein sind. Und: Wir leben in einer Kultur des gesenkten Blickes: Smartphone, Laptop, Touchscreen… Es tut uns sehr gut, den Blick wieder zu heben! Schauen Sie wieder in Sonnenuntergänge. Sie fesseln die Blicke. Man bleibt stehen, der Blick ist offen, nicht-fixiert, gehoben auf den Horizont gerichtet: Man kommt zur Ruhe! Wie komm ich von dieser Dauernutzung des Smartphones weg?! Versuchen Sie es mit einer Smartphone-Diät:

So können Sie den Smartphone-Stress reduzieren

  • Schalten Sie alle Benachrichtigungen (Pushes, Mitteilungen) aus die Sie nicht zwingend brauchen.
  • Verbannen Sie jene Apps vom Homescreen, die sie am meisten stressen oder löschen Sie diese am besten gleich.
  • Nehmen Sie regelmässig digitale Auszeiten: Legen Sie das Smartphone beim Essen weg, lassen Sie es während einer Wanderung im Rucksack, oder versuchen Sie gar, mal 24 Stunden ganz auf das Handy zu verzichten.
  • Erklären Sie das Schlafzimmer zur handyfreien Zone.
  • Finden Sie heraus, mit welchen Apps Sie am meisten Zeit verbringen und versuchen Sie gezielt, dort zu reduzieren.
>>> aus der Sonntagszeitung vom 12.05.2019

Die meisten Menschen würden eigentlich lieber weniger Zeit mit ihrem Smartphone verbringen. Eigentlich. Und das wäre auch eine gute Idee, denn die Hinweise mehren sich, dass der Smartphone-­Gebrauch eine ganze Palette negativer Folgen haben kann: Eine exzessive Handynutzung beeinträchtigt den Schlaf, die Beziehung, das Gedächtnis, die Aufmerksamkeitsspanne, die Kreativität, die Produktivität sowie die Fähigkeiten, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Es gibt indes noch einen weiteren Grund, die Beziehung zu den Geräten zu überdenken. Indem sie die Spiegel des Stresshormons Cortisol chronisch anheben, bedrohen die Handys nämlich die Gesundheit generell und verkürzen möglicherweise sogar das Leben.
Weiterlesen in meinem Blog >

Inner Smile

Der Mönch Thich Nhat Hanh hat einmal geschrieben: »Die beste Methode, alle Muskeln des Körpers zu entspannen, besteht darin, beim Atmen sanft zu lächeln.« Lächeln oder lachen führt zur Ausschüttung von Hormonen, die die Stimmung heben und Körper und Geist entspannen. Dies nutzt die Methode des Inner Smile. So gehen Sie vor: Lächeln Sie zunächst einfach einmal still für sich selbst, sowohl mit dem Mund als auch mit den Augen. Vielleicht stellen Sie sich dabei eine heitere Situation vor, zum Beispiel Ihr Spiel mit einem jungen Hund. Vertiefen Sie dabei auch Ihre Atmung und beachten Sie, wie sich beim Lächeln Zuversicht und Stimmung heben. Da Sie nicht ewig vor sich hin lächeln können, versuchen Sie nach einer Weile, das Lächeln zu verinnerlichen und die gute Stimmung zu halten. Üben Sie den Inner Smile, wo immer es geht: vor einem Telefongespräch, beim Schlangenstehen, im Strassenverkehr oder im Supermarkt, beim Kochen, am Feierabend, bei der Arbeit oder vor einer Sitzung. Mit etwas Übung werden Sie die heitere Stimmung und die damit gekoppelte positive Aktivierung auch für weniger geliebte Tätigkeiten aufrechterhalten können. Es wird Sie entspannen. Der Inner Smile lässt sich auch gut ins Stopping oder in die Freeze Frame Methode einbauen. Und wie bei diesen Methoden ist auch beim Inner Smile ein kumulativer Effekt zu beobachten. Je häufiger Sie ganz bewusst lächeln, umso besser ist seine stimmungshebende und entspannende Wirkung. Rolling Hier noch eine wunderbare und einfache Übung zur tiefen Relaxation: das Hin- und Herrollen von Mary Bond (Relaxing in the Dentist`s Chair) – auch vor und nach weiteren unangenehmen, verspannenden Alltagssituationen… (Copyright bei der Cartoonistin¢)

Meditation

Meditation bedeutet “Nicht-Tun”! Man kann sie nicht durch konzentriertes Tun erreichen. Aber damit ist nicht gemeint, dass du nichts zu tun bräuchtest. Um zu diesem “Nicht-Tun” zu kommen, muss man sehr viel tun. Nichttun (ohne S) ist dabei aktiv – und Nichtstun wäre passiv.
Meditation heisst die Aufmerksamkeit ganz sanft, aber sehr präzise immer wieder in den Moment zurückzubringen. Dann loslassen und im Erleben der Bewusstheit selbst verweilen. Nach ein paar Sekunden von neuen Gedanken weggetragen werden. Sich erinnern, zurückkehren in den Moment. usw…
Matthieu Ricard meint in “Jenseits des Selbst: Dialoge zwischen einem Hirnforscher und einem buddhistischen Mönch“: “Wir sollten das naive Bild von der Meditation korrigieren, das im Westen immer noch vorherrscht, nämlich dass da jemand sitzt, seinen Geist leert und entspannt. Natürlich gibt es ein entspannendes Element, in dem Sinn, dass man innere Konflikte los wird und inneren Frieden pflegt, indem man sich selbst von Spannungen befreit. Das Leeren des Geistes geschieht in dem Sinn, dass man seinen mentalen Konstrukten oder dem linearen Denken nicht weiter nachgeht und in der klaren Frische des gegenwärtigen Augenblicks verweilt. Aber es handelt sich weder um ein »Leeren« noch um eine geistlose Entspannung, sondern vielmehr um einen Zustand lebhafter Bewusstheit, der viel mehr beinhaltet. Man versucht auch nicht, die aufkommenden Gedanken zu verhindern, was unmöglich ist, sondern man versucht, sie zu befreien, während sie noch im Entstehen begriffen sind.”

Meditation, das “passive Bewusstsein”, erlebt in jüngster Zeit einen regelrechten Forschungsboom mit folgenden Ergebnissen:

  • Meditation erhöht Wachheit, Klarheit und Achtsamkeit. Das Hirn reagiert weniger auf “unwichtige” Reize.
  • Menschen, die meditieren können nach kurzer Zeit offenbar besser mit Stress umgehen.
  • Ihr Immunsystem wurde gestärkt.
  • Forscher fanden in einer Hirnregion, dem orbifrontalen Kortex, durchgängig mehr graue Zellen bei Meditierenden als bei anderen. Der orbifrontale Kortex ist das sog. Brodmann-Areal 10 des präfrontalen Kortex (siehe Abb.) und ist für die Selbsterkenntnis zuständig. Der präfrontale Kortex ist die Kommandozentrale für höhere kognitive Funktionen. Deshalb ist das Erlernen und Ausüben von Meditationen eine wunderbare Prophylaxe gegen den Ausbruch einer Demenz >>> siehe dort!
  • Meditieren verbessert auch das zwischenmenschliche Miteinander. Man verhält sich danach freundlicher zu Unbekannten und reagiert weniger misstrauisch als andere. Das Mitgefühl kann sich steigern.
  • Nach Scharfetter (1987) ist eine gelungene Meditation durch folgende Erfahrungsqualitäten bestimmt:
    – Entspannung, Ruhe und Gelassenheit
    – Erhöhte Stresstoleranz
    – Aktivität und Wachheit
    – Selbsterfahrung (Identität, Integrität, Akzeptanz)
    – Autonomie, Unabhängigkeit
    – Geringerer Druck zur Defensive
    – Grössere Stimmungsstabilität und Affektkontrolle
    – Harmonische, heitere Gelassenheit und Zufriedenheit
    – Verbesserte Wahrnehmung und Konzentration
    – Erhöhter Einfallsreichtum, Leistungsfähigkeit, Kreativität
    – Verbesserte Beziehungsfähigkeit
    – Liebe, Mitgefühl, Mitfreude, innerer Gleichmut, Frieden

Seit die Wirkung der Meditation mit bildgebenden Verfahren erforscht wird, sind die Wissenschaftler wie elektrisiert. Bislang war sie behaftet mit dem Bild von Mönchen und Nonnen, die in Klöstern einen kontemplativen Lebenswandel führten – oder mit asketischen Yogis, tief versunken im Lotossitz. Meditation macht nicht nur den Geist frei. Die revolutionäre neue Erkenntnis ist, dass sich auch Gehirnfunktionen und selbst die Gehirnanatomie durch Meditation zum Positiven beeinflussen lassen. Die innere Einkehr kann die Art und Weise, wie wir mit Stress, mit Schmerzen, mit seelischen und körperlichen Problemen, mit uns selbst und anderen umgehen, radikal verändern.

Eine wunderbar bebilderte Zusammenfassung von verschiedenen Aspekten der Meditation finden Sie hier: www.dr-walser.ch/meditation.pdf

Alles mit Mass: Der Hype mit der Achtsamkeit und der Meditation

Die Achtsamkeit wird heute vermarktet als Gegenmittel gegen die achtlose Schnelllebigkeit. Meist wird aber wieder eine schnelllebige dreiminütige Drive-In-Meditation, ein eigentliches McMindfulness beworben. Sie ist selbst Teil der Beschleunigung- und Selbstoptimierungskultur geworden. Ursprünglich war die Meditation im Buddhismus aber ein ethisches Konzept, das eine von Mitgefühl und Toleranz geprägte Haltung umfasste. Im Westen wird Achtsamkeit aber in erster Linie auf Entspannung und Konzentration reduziert. Sie ist idealerweise die Praxis, sich allen Erfahrungen in wohlwollender Offenheit zuzuwenden und sie zu erkunden. Dabei ist es unwichtig, ob es sich um angenehme, unangenehme oder neutrale Erlebnisse handelt. Manchmal mag diese Praxis zur Entspannung führen, sie führt aber vor allem dazu, toleranter mit den unvermeidbaren und nicht kontrollierbaren Ereignissen umzugehen, die unser Leben so oft bestimmen. (aus einem interview mit Luise Reddemann in Psychologie Heute, 02/2017)

Wie also “etwas ernsthafter”, aber mit Mass einsteigen?

Suchen Sie z.B. am Wohnort einen Kurs in “Stressbewältigung durch Achtsamkeit” (MBSR = Mindfulness-Based Stress Reduction nach Jon Kabat-Zinn). In diesen (meist) acht Wochen hat man dann schon einen Rahmen, lernt andere Menschen kennen und kann vielleicht eine eigene lokale Übungsgruppe bilden. Beim MBSR meditiert man zum Beispiel indem sie ihren Atem beobachten. Sie üben Yoga. Beim “Body Scan” nehmen sie systematisch wahr, was sie an verschiedenen Körperstellen empfinden, bewerten es aber nicht. Ferner setzen sie sich damit auseinander, was Stress bewirkt und wie man ihm vorbeugen kann.
In dieser Website habe ich verschiedene Meditationsmethoden vorgestellt:
– bei Schmerzen: dr-walser.ch/schmerz/
– gleich hier etwas weiter unten: eine Atemmeditation.
– Bewegungsmeditation zur Zentrierung: dr-walser.ch/gleichgewicht/

Den Bäumen zuhören!

“Wenn wir gelernt haben, den Bäumen zuzuhören, dann erreicht die Kürze und die Schnelligkeit und die kindliche Hastigkeit unserer Gedanken eine unvergleichliche Freude. Wer gelernt hat, den Bäumen zuzuhören, der will kein Baum mehr sein. Er will nichts anderes sein als das, was er ist. Das ist Heimat. Das ist das Glück.” ~ Hermann Hesse

Auf Bäume hören, eine wunderbare Meditationsanleitung. Das Ego wird sagen: “Den Bäumen zuhören? Du hörst doch auf nichts!” Eben. Das ist der Punkt. Die Stille der Bäume ist der Klang der Weisheit. Ich werde lernen, den Bäumen zuzuhören, indem ich in meinem Geist Raum schaffe. Und wenn ich schon dabei bin, lerne ich, den Felsen, den Blumen und dem Wind zuzuhören. Das ist Heimat!

Vipassana

Die historisch erste Verwendung des Wortes “Vipassana” findet sich in den Lehren des Buddha. Meditation wurde vom “Buddha “Vipassana” genannt. Mit Vipassana meinte er, sich selbst realistisch, kontinuierlich und allumfassend zu beobachten. Es gibt unterdessen sehr viel Zentren, die in 5- oder 10-Tage-Kursen diese einfache Meditationstechnik (ruhig sitzen und Atem oder Körperempfindungen durchscannen) kostenlos weitergeben. Paul R. Fleischmann hat darüber eindrücklich geschrieben >>> vipassana.pdf

Angst und Entspannung

“Hören Sie auf, sich die Szene vorzustellen – und entspannen Sie sich!” (Joseph Wolpe). Hintergrund: Wer entspannt ist, kann nicht zugleich Angst empfinden – d.h., Menschen können nicht zwei entgegengesetzte Gefühle gleichzeitig fühlen. Also: Wer Tiefenentspannung als konditionierte Reaktion auf ein gefürchtetes Objekt erlernt hat, kann nicht zur selben Zeit Angst empfinden! Man beachte aber die Einschränkung durch die entspannungsinduzierte Angst, die gerade bei ängstlichen Menschen auftreten kann.

Zudem können wir in der Meditation Gefühle, vor allem die unangenehmen, wie Angst, Wut und (übermässige) Trauer genau gleich behandeln, wie Gedanken. Gedanken lassen wir wie Vögel vorbeiziehen. Sie kommen permanent wieder, aber wir lassen sie nicht auf/in unserem Kopf ihr Nest bauen. Und hinter den Vögel oder Wolken (je nach favorisierter Vorstellung) liegt immer der blaue Himmel.
Genau so behandeln wir die ständig auftauchenden Gefühle: Ängste und Wut stellen wir uns als krähende, aggressive Vögel (Raben, Elstern…) oder dunkle Wolken vor – die wir aber auch einfach weiterziehen lassen bis wir den blauen Himmel wieder sehen.
Leichtere und auch angenehme Gedanken oder Gefühle sind wie Gekräusel durch den Wind auf der Wasseroberfläche. Wenn dann der Wind wieder nachlässt, wird der See/das Meer ruhig und glatt – und unser Ego wird wieder ein Teil des grossen Ganzen…

Glück im Leben

Wir halten Glück für etwas Zufälliges, was ich nicht ganz zutreffend finde. Glück hat mit Wachsamkeit zu tun, mit dem Bemerken der Gelegenheiten, die sich einem bieten – also mit dem bewussten Leben der Übergänge und dem Wahrnehmen der vielen Zwischenräume im Alltag (also auch dieser alltäglichen Meditationspausen >> siehe dazu meinen Blogbeitrag: walserblog.ch/2015/05/04/uebergaenge-zwischenraeume/
Man kann dem eigenen Glück nachhelfen – wenn man sich nicht auf einen Standpunkt versteift, sondern beweglich, offen und weit bleibt.

Und… Sinn toppt Glück!

Alles ist jederzeit FÜR mich

Zufriedenheit ist eben doch mehr als die Summe der täglichen Wohlfühlmomente. Wahres Glück besteht nicht darin, ständig und überall „gut drauf“ zu sein. Glück ist ein Einverstandensein mit dem Leben, das „auch das Unglück mit umfasst“, wie es der Philosoph Wilhelm Schmid ausdrückt. „Wenn wir überlegen, was das Allerbeste und das Allerschlimmste war, das uns in den letzten Jahren widerfahren ist“, schreibt die Glücksforscherin Sonja Lyubomirsky, „dann werden wir überrascht feststellen, dass es oft ein und dasselbe ist.“
Wenn ich „Vertrauen“ entwickle, dass alles zu jeder Zeit FÜR mich ist. Dass auch das grösste Unglück, unser Schicksal ein „Geschenk“ enthält – und nur mein Urteil, meine Wahrnehmung davon wichtig ist. Diese Gedanken und Gefühle sind abhängig von meinen Glaubenssätzen, die ich mit mir herumtrage, aber auch jederzeit wandelbar mit dem Stellen der Frage „Wozu ist das gut?„. Es stellt sich schlussendlich eine tiefe Dankbarkeit ein, für das, was ist. Pema Chödrön, eine buddhistische Nonne und Schriftstellerin:
Nichts verschwindet jemals, bevor es uns nicht gelehrt hat, was wir wissen müssen.

Weiterlesen zum Wohlbefinden durch Kindness: walserblog.ch/2021/01/16/kindness/

 

Die Verschmelzung mit unseren Gedanken auflösen

Übungen aus der AKZEPTANZ- UND COMMITMENTTHERAPIE (ACT)

Immer öfter wird in neueren Psychotherapieformen (und schon lange Zeit z.B. im Zen-Buddhismus) nicht mehr der Inhalt der Gedanken als das eigentliche Problem betrachtet, sondern die Art und Weise, wie wir mit unseren Gedanken umgehen und nach welchen Prinzipien unser Verstand funktioniert. Nicht was wir denken ist das Problem, sondern wie wir unsere Gedanken beurteilen.

Eine der wissenschaftlich am besten untersuchten Methoden ist die sogenannte Acceptance and Commitment Therapy, kurz ACT genannt. Sie zielt unter anderem darauf ab, gegen Gedanken nicht länger zu kämpfen, sondern sie als das zu erkennen, was sie sind: Gedanken, einfach nur Gedanken. Die wesentlichen Kognitionen und deren Wirkung werden erfasst, aber es wird kaum am Inhalt der Gedanken gearbeitet, sondern vielmehr an der gleichmütigen Beobachtung der Gedanken, im Wissen, dass es ja nur Gedanken sind.
“Kognitive Fusion” nennt ACT die seltsame Angewohnheit, jeden Gedanken für wahr zu halten. Die ACT kennt zahlreiche Methoden, die uns helfen, uns von unserem Gedankenstrom zu distanzieren.

Viele dieser Methoden sind amüsant und oft unerwartet: Gedanken vorbeiziehen lassen Setzen Sie sich an einen ruhigen Ort, schliessen Sie die Augen und beobachten Sie Ihre Gedanken. Dabei können Sie sich vorstellen, dass Ihre Gedanken wie ein Zug an Ihnen vorbeifahren – auf jedem Waggon ein Gedanken. Sie können sich alternativ auch vorbeiziehende Wolken, Vögel oder Blätter, die auf einem Fluss dahinschwimmen vorstellen.

Atemmeditation dazu von Peter Schröter:

Die “Denkfabrik” als eigenständiges Wesen wahrnehmen – der Innere Beobachter Meditation ist Gedanken sparen. In unserem Verstand haben wir zwei Teile, einen inneren Beobachter und einen Denker. Jedermann ist fähig, seine Gedanken zu beobachten und ihnen zu folgen. Dieser beobachtende Teil unseres Verstandes identifiziert sich nicht mit den Gedanken, er wird nicht von den Gedanken mitgerissen. Er leitet uns im Labyrinth der Gedanken, aber im normalen, unkontrollierten Verstand ist er sehr schwach. Manchmal wird er wach und versucht an Kraft zu gewinnen, aber der andere Teil, der Denker, die Gedankenfabrik, unterdrückt ihn wieder in Sekundenschnelle. Wenn wir meditieren sind wir Beobachter im Verstand. In diesem Fall wird das Laufband der Gedankenfabrik verlangsamt bzw. stillgelegt. So lässt die Überproduktion der Fabrik nach. Der Verstand wird stiller. Stellen Sie sich vom Standpunkt des “Inneren Beobachters” aus Ihre “Denkfabrik” als plappernden Papagei vor. Papageien können nicht wirklich selbst denken, sondern plappern lediglich nach, was sie irgendwann aufgeschnappt haben. Jede Diskussion mit dem Papagei ist überflüssig. Wenn Sie antworten, glaubt er, dass Sie mit ihm spielen wollen, und redet nur noch mehr. Geben Sie Ihrem Geist ruhig auch einen Namen wie etwa “Köpfchen, Köpfchen”, “Der kleine Nörgler”, “Affenzirkus”. So fällt es leichter, die Gedanken als Verstandsproduktionen zu verstehen. (Lesen Sie dazu auch unten unter Achtsamkeitsmeditation!)

“Und” statt “aber” Oft halten uns Gedanken davon ab, etwas zu tun. Beispielsweise würde jemand gerne auf eine Party gehen, hat aber den Gedanken: “Ich würde gerne auf die Party gehen, aber ich habe Angst, weil ich dort so viele Leute nicht kenne.” Das “aber” bewirkt in der Regel eine Handlung, nämlich zu Hause zu bleiben. Wenn Sie nun aus dem “aber” ein “und” machen, merken Sie, dass Sie Ihrem Gedanken gar nicht folgen müssen: “Ich würde gerne auf die Party gehen, und ich habe Angst, weil ich dort so viele Leute nicht kenne.” Nun können Sie mit Lust und Angst auf die Party gehen!

Gedanken als Gedanken benennen Es ist leichter, Gedanken nicht mehr als Wahrheit zu verstehen, wenn man sie bewusst als Gedanken benennt. Sie können es sich angewöhnen zu sagen: “Ich habe den Gedanken, dass ich unzuverlässig bin”, statt: “Ich bin unzuverlässig.” Übernehmen Sie Verantwortung! (teilweise zitiert aus Andreas Knuf, “Ruhe da oben!” und Psychologie Heute,  4 / 2011)

Eine schöne Zusammenfassung von S.W. über die ACT habe ich hier angefügt >>> ACT.PDF

Danke Doris und Peter für die Anregungen!

ACHTSAMKEIT: Nur das beachten, was gerade ist

Eine der wirksamsten Möglichkeiten, um emotionale Erregung und daraus folgendes Grübeln in den Griff zu bekommen, bietet die Achtsamkeitsmeditation. Bei dieser Form des Geistestraining geht es darum, die eigenen Gedanken, Gefühle und Empfindungen von Augenblick zu Augenblick urteilsfrei zu beobachten. Man betrachtet sie einfach als das, was sie sind: Gedanken, Gefühle, Empfindungen. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir dies erlernen, durchbrechen wir damit die Assoziationskette, die jeder einzelne Gedanke normalerweise auslöst: “Ich muss endlich aufhören, ständig über die Arbeit nachzugrübeln” wird zu: “Interessant, eben ist ein Gedanke an meine Jobprobleme in mir aufgestiegen.” Wann immer diese Feststellungen doch wieder in Bewertungen münden (“Ich sollte mit der Fertigstellung des Projekts wirklich nicht bis zwei Minuten vor Terminschluss warten!”), versucht man, zum Prozess des reinen Beobachtens zurückzukehren. Eine sehr nützliche Anleitung dazu liefert die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, Mindfulness-Based Stress ReductionMBSR ist ein von dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn in den späten 1970er Jahren in den USA entwickeltes Programm zur Stressbewältigung durch gezielte Lenkung von Aufmerksamkeit und durch Entwicklung, Einübung und Stabilisierung erweiterter Achtsamkeit. Sie ist eine weltanschauungsneutrale Methode, die mittlerweile in zahlreichen medizinischen Einrichtungen angeboten wird. Wenn Sie diese Methode ausprobieren möchten, können Sie mit folgender Atemübung beginnen:

  • Wählen Sie eine Tageszeit, zu der Sie besonders wach und aufmerksam sind.
  • Setzen Sie sich mit geradem Rücken auf den Boden oder einen Stuhl, entspannt, aber aufrecht, in einer Haltung, in der Sie nicht schläfrig werden.
  • Konzentrieren Sie sich nun auf Ihren Atem, auf die Empfindungen, die er in Ihrem Körper auslöst. Achten Sie darauf, wie sich Ihre Bauchdecke mit jedem Einatmen hebt und mit jedem Ausatmen wieder senkt.
  • Konzentrieren Sie sich auf Ihre Nasenlöcher und achten Sie auf die unterschiedlichsten Empfindungen, während der Atem ein- und wieder ausströmt.
  • Wenn Sie merken, dass Ihre Gedanken abschweifen oder Gefühle in Ihnen auftauchen, kehren Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit einfach zum Atem zurück.

Sobald Sie das Gefühl haben, das achtsame Atmen zu beherrschen, lassen Sie diesen Konzentrationsanker los und fokussieren Sie sich auf den Bewusstseinsinhalt, der im Augenblick am dominantesten ist – einen Gedanken, ein Gefühl oder eine Körperempfindung. Schulen Sie Ihre Achtsamkeit für das, was gerade da ist, ohne darüber nachzudenken oder es zu bewerten. (bearbeiteter Auszug aus Richard Davidsons Buch “Warum wir fühlen, wie wir fühlen”, 2012, Arkana Verlag, München)
Eine wunderschöne Atemübung (von Dalai Lama) zur alltäglichen Wertschätzung von mir selbst und allen Menschen finden Sie in meinem Blog: walserblog.ch/2019/09/21/atem/
Seit geraumer Zeit mache ich wieder mal zwei schöne und einfache Aufmerksamkeitsübungen, die meinen Tag wunderbar einrahmen: morgens bleib ich noch etwas im Bett liegen und mache mit einem ausgedehnten Bodyscan (den Körper von den Zehen bis zum Scheitel langsam durchwandern – und Teil für Teil spüren, wie er sich gerade anfühlt: warm/kalt, ent- oder gespannt, etc. – ohne zu werten.) ein “gesammeltes Aufstehen”. Ich stürze mich dadurch nicht sofort in die anstehenden sog. Pflichten! Und abends vollführe ich einen Tagesrückblick, vom Jetzt retour bis zum morgendlichen Aufstehen – Schritt für Schritt. Sehr einfach – sehr effektiv!

Bodyscan

Legen Sie sich bequem auf eine Matte oder Decke. Spüren Sie, wie sich die Bauchdecke sanft hebt und senkt. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit dann auf den rechten Fuss. Nehmen Sie die Zehen des rechten Fusses genau wahr, lenken Sie die Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen von ihnen. Spüren Sie alle Empfindungen. Das kann zum Beispiel Wärme oder Kälte sein, ein Kitzeln, Kribbeln, Druck, Schmerzen, Muskelanspannungen oder ein „Nichts“. Nehmen Sie all das wahr und benennen Sie es still für sich – ohne es zu bewerten oder zu verändern. Nehmen Sie sich Zeit dafür. Wenn Sie gedanklich abschweifen, seien Sie geduldig mit sich und lenken die Aufmerksamkeit einfach wieder zurück zu der Stelle, an der Sie gerade waren. Achten Sie dann auf die Fusssohle, den Spann, auf das Fussgelenk, den Unterschenkel, das Knie und den Oberschenkel. Machen Sie dasselbe mit der linken Seite.
Auf diese Weise durchstreifen Sie den ganzen Körper. Wandern Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit vom Steissbein aus jeden einzelnen Wirbel der Wirbelsäule entlang nach oben und weiter bis zur Kopfhaut. Dann nehmen Sie die Stirn wahr und bewegen sich mit der Wahrnehmung wieder nach unten. Spüren Sie die Augen und Ohren, die Nase und die Wangen, auch den Mund, das Innere des Mundes und das Kinn. Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit erst die linke und dann die rechte Schulter entlang, über den Arm und die Hand hinab bis in jeden einzelnen Finger. Nehmen Sie sich Zeit für jede Körperstelle. Achten Sie nun wieder einige Züge lang auf die Atmung. Dann beenden Sie die Übung und öffnen die Augen.
Manchen Menschen hilft es, die Übung zu hören: Sie können sich eine Anleitung auf das Smartphone sprechen und dann abspielen. Der Bodyscan dient auch zur Entspannung und zum Einstieg in die Meditation. Am besten übt man ihn jeden Tag.

Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie wird heute z.B. sehr erfolgreich in der Behandlung von Zwangsstörungen angewendet >>> siehe hier! Achtung: Achtsamkeit wird heute als Allheilmittel auch inflationär vermarktet: siehe hier weiter oben!

Achtsamkeit schafft Verbindung

Bei der Ausübung von Achtsamkeit geht es immer ums Ankommen. Ankommen im Hier und Jetzt. Wir kommen heim, nach Hause. Wir finden zu uns.
Wir sind viel gerannt, aber wir sind nie angekommen. Wir suchen immer noch etwas, sehnen uns nach etwas und haben es nie gefunden. Wir rennen immer weiter und wissen nicht, wie lange und wie weit wir noch rennen und suchen müssen. Wir wissen nicht mal wonach wir suchen.
Vielleicht suchen wir nach Glück, nach was wir meinen, nicht zu haben.
Doch das Wunder des Lebens ist nur im gegenwärtigen Moment verfügbar.
Die Achtsamkeitspraxis (wie z.B. im Zen-Buddhismus) hilft heimzukommen ins Hier und Jetzt. So können wir intensiver Leben, in Verbindung – und verschwenden es nicht.

Schönreden kontraproduktiv

Was hier beschrieben wird, ist nicht das “Positive Denken” (Positive Thinking) mit seinen aufmunternden Formeln, das heute hoch im Kurs ist. Wichtig ist dabei das Mass des bestehenden Selbstwertgefühls. In grossen Studien (z.B. Joanne V. Wood et al: Positive self-statements. Psych Science, 5/2009, 1467) zeigte sich, dass Menschen mit geringem Selbstwertgefühl sich selbst widersprechen, wenn sie positive Gedanken wie Mantras wiederholen. Auf diese Weise wird eine vorhandene negative Selbsteinschätzung nur noch verstärkt! Hier wird im Gegensatz von Ansprechen von vorhandenen Ressourcen gesprochen, die dadurch verstärkt werden. als Beispiel:

Meditation bei chronischen Schmerzen und gegen Entzündungen

Studien zeigen, dass Meditationen bei Chronischen Schmerzen und Entzündungen stark helfen können. Dies basiert offensichtlich auf komplexen Vorgängen im Hirn (und nicht auf endogenen Opiaten).

Yoga mit Meditation hilft gegen Vorhofflimmern

In dieser Studie wurden die Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern zunächst mit drei Monaten sportlichen Aktivitäten ihrer Wahl behandelt. Anschliessend nahmen die Leute drei Monate lang an einem überwachten Yoga-Programm mit Atemübungen, Yoga-Stellungen, Meditation und Entspannung teil. Keiner der Probanden hatte vorher bereits Erfahrung mit den fernöstlichen Übungen. Es zeigte sich, dass während der Yoga-Interventions-Phase die Episoden von Vorhofflimmern um die Hälfte zurückgingen. Ausserdem verringerten sich Angst- und Depressions-Symptome und die Lebensqualität stieg. Als Wirkungsmechanismus werden günstige Einflüsse auf den Sympathikotonus diskutiert.

Nicht was wir erleben, sondern wie wir wahrnehmen was wir erleben, macht unser Schicksal aus.

Lesen Sie hier!

Dauerstress und Entspannung

Lesen Sie hier!

Sinn-im-Leben vs. Dauerstress (und Link zur Chronischen Entzündung!):
walserblog.ch/2021/07/04/sinn-im-leben/

Spirituelle Entwicklung und Lebensaufgaben im Alter

Lesen Sie hier! Link auf dieser Website: Zur Hingabe an den Moment (im Hier und Jetzt sein) oder raus aus dem Hamsterrad und rein in die Entspannung: http://walserblog.ch/2016/12/14/tantra/

Kann Spiritualität Nachhaltigkeit?

Diese Frage ist für mich kein Argument für irgendwas. Auf der Suche nach »etwas zwischen Himmel und Erde« zu sein, sich »selber etwas zu suchen« mag gerade für Individualisten mit einem Hauch von Identitätskrise verlockend sein. Omas Rosenkranz tut es halt für viele nicht mehr. Doch diese Reise führt oft vom Regen in die Traufe. Die alten religiösen Traditionen der eigenen Vorfahren über Bord zu werfen, fühlt sich nur auf den ersten Blick frei und wild an. Heute Mantras singen, morgen das Chi suchen – spätestens wer dann Gleichgesinnte sucht, stösst wieder auf Rituale, Regeln, Meister.
Mit Spiritualität bauen sich viele ein Weltbild nach dem Wünsch-dir-was-Prinzip auf: Ein bisschen Buddhismus für den friedfertigen Ruf, ein wenig Hinduismus für die Farben und trendigen Symbole und irgendetwas »indianisches« noch, um die eigene Individualität zu unterstreichen. Die Religionen, die dabei als Rohstofflager dienen, werden entfremdet benutzt. Ich finde: Die Aufklärung, der Humanismus und so manche weltliche Utopie haben genug Material zum Bau eines schönen Weltbildes. (Marius Hasenheit im Magazin transform vom 14.04.2021)

Quellen:

  • Hier zitiere ich von Verena Steiner aus ihrem sehr spannenden und brauchbaren Buch “Energiekompetenz” (Pendo Verlag, 2005).
  • Dann auch aus einem Interview mit Sherry Turkle, Professorin am MIT, Massachusetts Institute of Technology, TagiMagi 26/2012
  • Franz Petermann, Dieter Vaitl: Entspannungsverfahren. Beltz, 2009
  • Tim Parks: Die Kunst stillzusitzen. Kunstmann, 2010
  • Ulrich Ott: Meditation für Skeptiker, O.W.Barth, 2010
  • Peter Malinowski: Flourishing – welches Glück hätten Sie gern? Irisiana, 2010
  • Jon Kabat-Zinn: Im Alltag Ruhe finden – Meditationen für ein gelassenes Leben. Knaur, 2010
  • Gerald Hüther: Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Vandenhoeck&Ruprecht, 2009
  • S.C. Hayes u.a.: Akzeptanz und Commitment Therapie: Ein erlebnisorientierter Ansatz zur Verhaltensänderung. CIP-Medien, München 2004
  • M.Wengenroth: Das Leben annehmen. Huber, Bern 2008
  • Andreas Knuf: Ruhe da oben! Der Weg zu einem gelassenen Geist. Arbor, Freiburg 2010
  • Matthew Johnstone: Den Geist beruhigen, Kunstmann (eine illustrierte Einführung in die Meditation mit starken, einprägsamen Bilder)

 

Warum nicht anders? : der Alltag als Übung von Lehner, Anna; Stolle, Michael; House of Competence (Karlsruhe), 2019

Meditations-App

(aus der SONNTAGSZEITUNG, 10.01.21)

Mensch werde wesentlich.

Der Himmel ist in dir. Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir; Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für. Wie Gott im Menschen: Gott ist noch mehr in mir, als wann das ganze Meer in einem kleinen Schwamm ganz und beisammen wär. Der Mensch ist Ewigkeit. Ich selbst bin Ewigkeit, wann ich die Zeit verlasse Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse. Zufall und Wesen: Mensch, werde wesentlich! Denn wann die Welt vergeht, So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht. Beschluss: Freund, es ist auch genug. Im Fall du mehr willst lesen, So geh und werde selbst die Schrift und selbst das Wesen. (Angelus Silesius, 1674 – aus dem Cherubinischen Wandersmann)

Veröffentlicht am 05. Juni 2017 durch Dr.med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
17. Januar 2024

Salutogenese

From cure to care – von der Pathogenese zur Salutogenese und zur Selbstheilung

“From cure to care”: Der Aufruf der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer neuen Sichtweise in der Medizin, weist in eindrücklich klarer Form auf den Kernunterschied zwischen “Krankheits-” und “Gesundheitsmedizin” hin: Die Erstere hat sich darauf spezialisiert, Krankheiten zu kurieren – sie versteht unter Gesundheit das Nichtvorhandensein von Krankheit – während die Andere sich um die Gesundheit sorgt – sie versteht unter Gesundheit das Vorhandensein von Lebensqualitäten (siehe hierzu mehr hier: www.dr-walser.ch/gesund/).

Ich mache auch nicht mehr die spaltende Unterscheidung von Schul- zur Alternativmedizin, sondern nur noch von salutogenetisch ausgerichteter Medizin und Ärzt*innen und pathogenetisch. Beide Arten Gesundheitsverständnis findet man sowohl in der Schul-, wie auch in der Komplementärmedizin (“Gurumedizin“!).

 Ist Heilung möglich? Nein! Nur Selbstheilung!

Gesundheit “gelingt” statt dass sie “gemacht” wird.
Welches sind die Bedingungen, damit es gelingt?

  • Der Mensch will, dass er gesund wird (er vertraut sich)!
  • Der Arzt/Therapeut vertraut darauf, dass der Mensch im Grunde gut ist!
  • Der Kranke kann dem “Heiler” vertrauen.
    Und dieses Vertrauen hat eng zu tun mit den drei Faktoren der salutogenetischen Grundhaltung (dem sogenannten Kohärenzgefühl):
  • 1.) Er versucht seinen Prozess verstehen zu können.
  • 2.) Er hat das Bewusstsein, dass er beim Heilungsprozess mitbeteiligt ist.
  • 3.) Er hat dabei auch das Gefühl, dass all dies einen Sinn hat.

Je mehr Vertrauen in sich, in Arzt/Therapeuten und umgekehrt >>> je weniger Angst! Je mehr Kohärenz (Stimmigkeit und Zuversicht) in unserem Hirn, je weniger Inkohärenz (Chaos, Unsicherheit, Unstimmigkeit) >>> je weniger Angst!

Vom “Warum?” zum “Wozu ist es gut?”.

Seit Beginn meiner Praxistätigkeit habe ich vermieden, zu Beginn eines Gesprächs “Was fehlt Ihnen?” zu sagen. Auch «Warum?» tritt immer mehr in den Hintergrund. Bereits im Verlauf des ersten Kontakts wird dagegen wichtig, die Frage aufzuwerfen “Wozu ist es gut?!”
(Lesen Sie dazu auch meine Seite über Genuss und Schuldgefühle in der Medizin: www.dr-walser.ch/genuss/).

Die Hausarztarbeit beginnt bereits vor der Sprechstunde. Wenn ich in meiner Arbeit salutogenetisch wirken will, ist es sehr förderlich, wenn ich als Arzt/Therapeut grundsätzlich Vertrauen in meinen Mitmenschen habe und er „im Grunde gut“ ist (Lies das mutmachende Buch von Rutger Bregman). Ich selbst sollte wissen und spüren, welches meine eigenen gesundmachenden Ressourcen sind. Ich weiss, was mir Freude macht  und für was ich mich begeistern kann. Nur wer selbst vertraut, gesund lebt und sich zu pflegen weiss, kann diese “Gesamthaltung” auch weitergeben.

Aus der Hirnforschung wissen wir wiederum, dass nur ein Arzt, der mit Begeisterung und Freude seine Patienten einlädt und ermutigt, ja inspiriert, eine neue Haltung einzunehmen, überhaupt Veränderungen erreichen kann. Das Hirn des Patienten wird sich nur durch Freude oder Begeisterung verändern: The brain runs on fun!

Fragen Sie sich also, was Sie von einem Arzt erwarten, der Ihre gesunden Ressourcen ansprechen soll und nicht nur Ihre kranken Seiten?! Ist er auf Ihren Schmerz fixiert? Dazu den Witz:
Patient: “Überall wo ich meinen Finger hinhalte, tut’s mir weh. Was habe ich, Herr Doktor?!”
“Sie haben ihren Finger gebrochen!”.
(Mehr zum Lachen: www.dr-walser.ch/witz/!)

Fragen Sie sich auch, ob Ihre Hausärzt*in/Therapeut*in Sie als einzigartige Persönlichkeit sieht? Pflegt sie die Beziehung zu Ihnen? Pflegt sie ebenfalls die Beziehung zu anderen Ärzt*innen (besucht sie Balintgruppen, Ärzte-Qualitätszirkel, etc.)? Wie gesund wirkt sie eigentlich selbst?! Ist sie begeistert von ihrem Beruf?! Und kann sie die Dinge mit Begeisterung rüberbringen?! Sieht sie mich als Mensch und “ganz”, d.h. auch als Teil meiner Nächsten, meiner Familie, in meinem Beruf…? Interessiert sie sich auch für meine Bewegung, für meine Ernährung, meine Liebe, wie ich mich pflege? Interessiert sie sich auch für meine Ängste, vor allem meine existentiellen Ängste (vor Tod, vor Einsamkeit, vor der Sinnlosigkeit der Krankheit, des Lebens,…)?  Bezieht sie mein Umfeld mit ein? Schickt sie mich nur zu weiteren Profis des Gesundheitswesens, wie z.B. Physiotherapeut*innen oder rät sie mir, mich auch durch eine Freund*in massieren zu lassen? Braucht sie auch selbst ihre Ressourcen, z.B. berührt sie mich auch mit den Händen oder spricht sie nur? Überweist sie mich in eine Kuranstalt (unter lauter Kranken) oder rät sie mir, sich einige Tage in meinem Lieblingsgasthof in den Bergen (unter Gesunden) zu erholen? Glaubt sie an meine Heilung (oder besser: Selbstheilung)?!

Positiv-realistische Weltsicht der Salutogenese

Man kann die positiv-realistische Einstellung der Salutogenese am besten mit zwei einfachen Handlungsmaximen beschreiben:

  • Rechne mit dem Schlimmsten, aber hoffe auf das Beste! Viele Menschen belasten sich mit Negativszenarien, die selbst dann, wenn sie nicht eintreffen, erheblichen Stress verursachen (etwa, wenn man bei jedem Wehwehchen eine tödliche Krebserkrankung befürchtet). Besser ist es, wenn du in jeder Situation zunächst einmal ein positives Ergebnis erwartest, da dies nicht nur mit angenehmeren Gefühlen verbunden ist, sondern dich auch stärker motiviert, deine Ziele zu erreichen.
  • Sei aber gefasst, wenn das Ergebnis negativ ausfallen sollte und dir ein schwerwiegendes Übel widerfährt. Denn auch dann solltest du versuchen, das Beste aus deiner Lage zu machen: Entweder indem du daran arbeitest, das Übel zu überwinden, oder indem du lernst, es besser zu ertragen. Hierauf bezieht sich auch die zweite Maxime:
    Ertrage, was du nicht verändern kannst, aber verändere, was du nicht ertragen musst
    !

Anders ausgedrückt:

  • Geh im Zweifelsfall vom Guten aus!
    In den meisten Fällen wird man dann bestätigt werden, weil die meisten Menschen im Grunde gut sind (Lies Rutger Bregman „im Grunde gut“!).
  • Versuche, den anderen zu verstehen, auch wenn du keine Zustimmung aufbringen kannst!
    Beispiele: Norwegisches Gefängniswesen, Nelson Mandela… (auch dies ist wunderbar klar in Rutger Bergmans Buch “im Grunde gut” beschrieben)

ICE = Ideas, Concerns, Expectations!

Eine wunderbare Art, die Welt eines Menschen verstehen zu lernen (für Ärzt*innen oder Therapeut*innen), der dich aufsucht und dir seine “Symptome” schildert, ist das Erfragen seiner eigenen IDEEN über all die Dinge, die ihm widerfahren.
Dies kann auch die “Patient*in” mit sich selbst tun.
Darin äussern sich dann auch seine/Ihre BEDENKEN und auch die ERWARTUNGEN, die er/sie an die Medizin im Allgemeinen und auch an mich als Arzt hat.
Dieses Interesse an der Erschaffung seiner Welt (was jeder Mensch zu jeder Minute auf seine ureigene Art tut – und auch in Liebesbeziehungen zu soviel Missverständnisse führt!) – dieses Interesse lässt mich noch nach Jahrzehnten als Arzt begeistert arbeiten!

Es geht also um Bewusstwerdung, dass wir unsere eigene Welt oder “Wahrheit” bauen. Niemand kann dich wütend machen – ausser du selbst! Dieser Wahrheitsgehalt wird deutlich, wenn man sich die unterschiedliche Reaktionen von Menschen auf Verkehrsstaus, schlechte Nachrichten oder persönliche Kritik vor Augen führt.

Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie (und auch ich) glauben, dass wir unsere Wirklichkeit verändern können, sobald wir Verantwortung für unsere Weltsicht und für das Leben, das wir uns schaffen, übernehmen (“Wahrheit kann nur ertragen werden, wenn man sie selbst entdeckt!”).

Fritz Perls: “Beziehung ist Anerkennung von Unterschieden!” – und dies gilt auch für die therapeutische!

Das Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky

Das Konzept der Salutogenese wurde vom israelisch-amerikanischen Soziologen Aaron Antonovsky (1923 – 1994) entwickelt. Seine beiden Hauptwerke dazu sind “Health, stress and coping: New perspectives on mental and physical well-being” (1979) und “Unraveling the mystery of health. How people manage stress and stay well” (1987).
Aus Kritik an dem vor allem biomedizinischen Krankheits- und Präventionsmodell gibt Antonovsky der Frage, warum Menschen gesund bleiben, den Vorrang vor der Frage nach den Ursachen von Krankheiten und Risikofaktoren. Primär geht es um die Bedingungen von Gesundheit und Faktoren, welche die Gesundheit schützen und erhalten.
In “Unraveling the mystery of health” (deutsch: “Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit”, 1997) beschreibt Antonovsky das Konzept der Salutogenese – im Vergleich zur Schulmedizin – anhand der Metapher eines Flusses:
Die pathogenetische Herangehensweise (die sich ausschliesslich mit der Entstehung und Behandlung von Krankheiten beschäftigt) gleicht im Bild von Antonovsky dem Versuch, Menschen mit hohem Aufwand aus einem reissenden Fluss zu retten, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie sie da hineingeraten sind und warum sie nicht besser schwimmen können. Die Salutogenese hingegen sieht den Fluss als den Strom des Lebens: “Niemand geht sicher am Ufer entlang. Darüber hinaus ist für mich klar, dass ein Grossteil des Flusses sowohl im wörtlichen wie auch im herkömmlichen Sinn verschmutzt ist. Es gibt Gabelungen im Fluss, die zu leichten Strömungen oder in gefährliche Stromschnellen und Strudel führen. Meine Arbeit ist der Auseinandersetzung mit folgender Frage gewidmet: ‘Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer?'”

Diese Flussmetapher kann auf chronische Schmerzen, Tinnitus, etc. angewendet: Man darf sich dadurch nicht von den begleitenden Emotionen umhauen lassen, sondern kann lernen, auf ihnen zu surfen wie auf einer Welle. Manche Menschen zerbrechen daran. Du zerbrichst, wenn du nicht mehr weisst, wo oben und unten ist. Ich muss nach oben streben, zum Licht und zur Luft, um atmen zu können.
Woher weiss man, wo oben ist?
Loslassen. Den Kampf loslassen. Nicht kämpfen!
Sich wehren gegen das, was passiert ist, gegen das Schicksal ist unser erste Impuls. Wenn du aber kämpfst und deine Energie im Kampf verbrauchst, ist es kaum möglich, nicht zu ertrinken. Wenn du loslässt, treibt dein Körper an die Oberfläche. So sind wir Menschen geschaffen, in der physischen Welt, aber auch metaphorisch.

Gesundheits- und Krankheitskontinuum

Der üblichen (dichotomen) Trennung in gesund und krank (Gesundheit schliesst hierbei Krankheit aus – und umgekehrt.) stellt das Konzept der Salutogenese ein Kontinuum mit den Polen Gesundheit / körperliches Wohlbefinden und Krankheit / körperliches Missempfinden (health ease / disease continuum) gegenüber. Weder völlige Gesundheit noch völlige Krankheit sind für lebende Organismen wirklich zu erreichen. Jeder Mensch, auch wenn er sich (überwiegend) als gesund erlebt, hat auch kranke Anteile, und solange Menschen am Leben sind, sind auch noch Teile von ihnen gesund. Die Frage, so Antonovsky, ist also nicht, ob jemand gesund oder krank ist, sondern wie nahe bzw. wie entfernt er von den Endpunkten Gesundheit und Krankheit jeweils ist.

aus DIE ZEIT, No.51/2020

Kohärenzgefühl – Gefühl der Stimmigkeit und Zuversicht

Den zentralen Aspekt des salutogenetischen Modells bildet für ihn das Kohärenzgefühl (sense of coherence, SOC – Kohärenz bedeutet Zusammenhang, Stimmigkeit.). Ausgangspunkt für die Überlegungen Antonovskys ist die Annahme, dass der Gesundheits- bzw. Krankheitszustand eines Menschen (sieht man von Faktoren wie Krieg, Hunger oder schwierigen hygienischen Umständen ab) wesentlich durch eine individuelle, psychologische Einflussgrösse (oder vielleicht besser “Geisteshaltung”, resp. ein geistiges Konstrukt, welches seelischer Einflüsse unterliegt) bestimmt wird, nämlich durch die Grundhaltung des Individuums gegenüber der Welt und dem eigenen Leben. Von dieser Grundhaltung hängt es seinem Verständnis nach nämlich massgeblich ab, wie gut Menschen in der Lage sind, vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens zu nutzen. Je ausgeprägter das Kohärenzgefühl einer Person ist, desto gesünder ist sie bzw. desto schneller wird sie gesund und bleibt es. Eine erste Definition Antonovskys beschreibt das Kohärenzgefühl als “eine grundlegende Lebenseinstellung, die ausdrückt, in welchem Ausmass jemand ein alles durchdringendes, überdauerndes und zugleich dynamisches Gefühl der Zuversicht hat, dass seine innere und äussere Erfahrenswelt vorhersagbar ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die Angelegenheiten so gut entwickeln, wie man vernünftigerweise erwarten kann” (“Health, stress and coping: New perspectives on mental and physical well-being” ,1979). Aus dieser Definition wird zugleich auch deutlich, dass diese Grundeinstellung zum Leben fortwährend mit neuen Lebenserfahrungen konfrontiert und von ihnen beeinflusst wird.

Einschub aus der Hirnphysiologie: Das Kohärenzgefühl ist eventuell eine gute Einfügung der Amygdala-Reize im Hippocampus, was unsere Ängste verbessert. Und die Inkohärenz (Chaos, Unstimmigkeit, Unsicherheit) in unserem Hirn erzeugt Angst.

Aus drei Faktoren – so Antonovsky – setzt sich die Grundhaltung, die Welt zusammenhängend und sinnvoll zu erleben, zusammen:

  1. Gefühl von Verstehbarkeit (sense of comprehensibility)
    Das Gefühl von Verstehbarkeit meint die Fähigkeit von Menschen bekannte und auch unbekannte Stimuli als geordnete, konsistente, strukturierte Informationen verarbeiten zu können.
  2. Gefühl von Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit (sense of manageability)
    Das Gefühl von Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit ist die Überzeugung eines Menschen, dass er geeignete Ressourcen zur Verfügung hat, um den Anforderungen zu begegnen – wozu auch der Glaube an die Hilfe anderer Menschen oder einer höheren Macht zählt.
  3. Gefühl von Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutsamkeit (sense of meaningfulness)
    Das Gefühl von Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutsamkeit ist das Ausmass, in dem man das Leben als emotional sinnvoll empfindet: Dass wenigstens einige der vom Leben gestellten Probleme und Anforderungen es wert sind, das man Energie in sie investiert, dass man sich für sie einsetzt und sich ihnen verpflichtet; dass sie eher willkommene Herausforderungen sind, als Lasten, die man gerne los wäre.
    Antonovsky sieht diese motivationale Komponente als den wichtigsten Aspekt des Kohärenzgefühls an, denn ohne das Erleben von Sinnhaftigkeit neigt der Mensch dazu, das Leben vor allem als Last zu empfinden und jede weitere sich stellende Aufgabe als Qual.

Antonovsky geht davon aus, dass das Leben immer stressvoll ist. Stress ist nicht zu vermeiden. Entscheidend aber ist, ob ich dem stressvollen Ereignis, etwa einer Prüfung, Sinn verleihen kann, ob mir klar ist, dass diese Prüfung notwendig ist (zum Beispiel, um mir bewusst zu machen, ob ich genügend Kompetenz besitze, um dann in einem bestimmten Bereich zu arbeiten), ob ich die Prüfungsfragen verstehe (Verstehbarkeit), ob ich mit der Prüfungssituation zurecht komme (pünktlich sein, nicht panisch sein, mir genügend Zeit für jede Frage nehme, usw.). Das wäre die Handhabbarkeit.

Ein stark ausgeprägtes Kohärenzgefühl führt dazu, dass ein Mensch flexibel auf Anforderungen reagieren kann. Es aktiviert die für diese spezifische Situation angemessenen Ressourcen und wirkt damit als flexibles Steuerungsprinzip, das den Einsatz verschiedener Verarbeitungsmuster (Copingstrategien) in Abhängigkeit von den Anforderungen anregt.

Vergleichen Sie auch dieses Kohärenzgefühl mit der “Resilienz“, die psychische und physische Stärke bezeichnet, die es Menschen ermöglicht, Lebenskrisen, wie schwere Krankheiten ohne langfristige Beeinträchtigungen zu meistern. Kurz: Gedeihen trotz widriger Umstände!
Auch mit dem psychologischen Begriff der “Selbstwirksamkeit”!

Entwicklung und Veränderung des Kohärenzgefühls

Das Kohärenzgefühl entwickelt sich im Laufe der Kindheit und Jugend und wird von den gesammelten Erfahrungen und Erlebnissen beeinflusst. Während sich das Kohärenzgefühl in der Adoleszenz noch umfassend verändern kann, ist es mit etwa dreissig Jahren, so Antonovsky, ausgebildet und relativ stabil. Im Erwachsenenalter ist es deshalb nur noch schwer veränderbar, und eine solche Veränderung erfordert eine harte und kontinuierliche (z.B. therapeutische) Arbeit.
Ob sich ein starkes oder ein schwaches Kohärenzgefühl herausbildet, hängt für Antonovsky vor allem von den gesellschaftlichen Gegebenheiten ab, d.h. insbesondere von der Verfügbarkeit generalisierter Widerstandsressourcen, die ein starkes Kohärenzgefühl entstehen lassen.

Ressourcen

Verena Steiner teilt in ihrem Buch “Energiekompetenz” die Ressourcen des Menschen in drei Bereiche auf:

Ich-Bereich
physisch emotional mental
Atmung
Schlaf, Rhythmus
Gesundheit
Fitness
Ernährung
Sinne
Selbstachtung
Selbstvertrauen
Stimmung
Lebensfreude
Optimismus
Sozialkompetenz (mit Sich-Einfühlen-Können in andere und Beziehungsfähigkeit)
Wille
Selbstdisziplin
Konzentration
Realitätssinn
geistige Offenheit
fachliche Kompetenzen
Beziehungs-Bereich
zu Menschen zur Arbeit zu Dingen
Partnerschaft
Familie, Freundschaft
Gemeinschaft
Interesse
Commitment
Arbeitsfreude
Achtsamkeit
Ordnung, Ästhetik
Vollendung
Perspektiven und Lebenssinn
Ziele                                                                    Engagement für die Gesellschaft
Herausforderungen                                         Reflexion, Philosophie
Träume, Hoffnung                                            Religion, Spiritualität

Dauerstress schwächt Kohärenz und Lebensmut

Menschen, die ihr Leben als kohärent – also als sinnvoll, versteh- und bewältigbar – empfinden, sind vor Krankheiten besser geschützt. Allerdings hängt, das Kohärenzempfinden auch seinerseits von körperlichen Einflüssen ab: Gerät der Organismus dauerhaft aus dem Gleichgewicht, zum Beispiel durch permanenten Stress, so senkt dies auf längere Sicht das Kohärenzgefühl; die Betreffenden empfinden dann ihren Alltag zunehmend als sinnentleerte Zumutung.

Auf diesen Zusammenhang machte jetzt wieder ein schwedisches Forschungsteam aufmerksam (Psychosomatic Medicine, Bd. 68/5, 2006). Petra Lindfors und ihre Kollegen von der Uni Stockholm griffen auf medizinische Labordaten von 369 gesunden Frauen zurück, die im Alter von 43 Jahren einen ärztlichen Routinecheck absolviert hatten. Für jede Teilnehmerin wurde nun abgezählt, in wie vielen Kennwerten (etwa Blutdruck, Blutfette, maximale Pumpleistung des Herzens, Waist-Hip-Ratio) sie im riskanten oberen Viertel landeten. Die individuelle Summe dieser Risikowerte bildete ein Mass für die so genannte “allostatische Last”: das Ausmass der Abweichung vom physiologischen Gleichgewicht.

Sechs Jahre später wurden die Frauen nochmals kontaktiert und füllten einen Fragebogen zu ihrem Kohärenzempfinden aus. Sie wurden gefragt, inwieweit sie “die Dinge, die ihnen alltäglich widerfahren” im Grossen und Ganzen verstehbar fänden, ob Probleme sie hoffnungslos stimmten oder eher zur Suche nach Lösungen anspornten und ob sie den Alltag als “eine Quelle persönlicher Befriedigung” empfinden. Es stellte sich heraus: Je höher die “allostatische Last” einer Teilnehmerin sechs Jahre zuvor ausgefallen war, desto schlechter stand es nunmehr um ihren Sinn für Kohärenz. (Übrigens: Auch Rauchen, geringe Bildung und ein Singleleben waren der Kohärenz abträglich.).

Die “allostatische Last” ist ein Mass dafür, wie stark das Gleichgewicht des Körpers gestört ist – mutmasslich vor allem durch wiederholten und chronischen Stress. Stress ist eine natürliche Anpassungsreaktion des Körpers auf Anforderungen; er ist unschädlich, wenn der gestresste Organismus anschliessend ausreichend Zeit findet, sich wieder von dem Aufruhr zu erholen. Ist dies nicht gewährleistet, zum Beispiel weil der Stress über Tage und Wochen anhält, so findet der Körper nicht wieder vollständig zum Gleichgewicht zurück: Allostatische Last häuft sich an.

Dieses körperliche Ungleichgewicht wirkt sich offenbar auch seelisch aus und schmälert das Kohärenzempfinden und damit den Lebensmut – ein Teufelskreis, fürchten die schwedischen Untersucher: “Ein schwaches Kohärenzempfinden wird die Kapazität eines Menschen, seinen Alltag erfolgreich zu bewältigen, weiter reduzieren, was wiederum Spannung und Stress verstärkt, die körperlichen Ressourcen verschleisst und das Gesundheitsrisiko erhöht.” Andererseits gilt wohl auch umgekehrt: Wer sein Leben als kohärent und sinnhaft empfindet, baut Stress rascher ab und schont seine körperlichen Ressourcen.

Dauerstress ist Atemlosigkeit, Spannung, Enge. Die neuen “Simultanten” unserer Beschleunigungs-Gesellschaft (“Zeit ist Geld!”) leben im Dauerstress von simultan, d.h. nebeneinander machen von e-mailen, simsen, essen, telefonieren, das Kind versorgen, sich fortbewegen…!

Stress ist übrigens auch “ansteckend”! Man sollte sich von gestressten Menschen fernhalten um selber zur Ruhe zu kommen.

Meditation greift hier ein und kann diesen Teufelskreislauf von Dauerstress durchbrechen.

Selbstwirksamkeit

Unter Selbstwirksamkeit (self-efficacy beliefs) versteht man in der Psychologie die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Geprägt wurde der Begriff von dem amerikanischen Psychologen Albert Bandura.
Albert Bandura erforschte in zahlreichen Experimenten und Studien seit den 1960er-Jahren, wie das menschliche Verhalten und Denken durch Lernen und selbstbezogene Überzeugung beeinflusst wird. Eine wesentliche Erkenntnis Banduras war, dass Menschen meistens nur dann eine Handlung beginnen, wenn sie davon überzeugt sind, dass sie diese Handlung auch tatsächlich erfolgreich ausführen können. Diese Überzeugung, eine Handlung erfolgreich ausführen zu können, bezeichnete Bandura als Selbstwirksamkeits-Überzeugung, wobei in vielen Fällen unerheblich ist, ob die Person tatsächlich zur Ausführung in der Lage ist oder nicht: Ohne Selbstwirksamkeits-Überzeugung werden Herausforderungen oft nicht angenommen.

Selbstwirksamkeit ist das zentrale Konstrukt in Banduras Social Cognitive Theory (SCT) und wird heute in vielen Bereichen angewendet:

  • Gesundheitsprävention: Mit Selbstwirksamkeit schaffen es Menschen eher, schädliche Verhaltensweisen zu ändern (Rauchen, Alkohol)
  • Therapie: Selbstwirksamkeit spielt eine Schlüsselrolle bei der Therapie von Phobien und Ängsten
  • Sport: Selbstwirksamkeit ermöglicht Sportlern ihre Leistung zu steigern und im Wettkampf abzurufen

Aufbau von Selbstwirksamkeit

Nach Bandura können Selbstwirksamkeits-Überzeugungen auf vier Wegen vermittelt werden:

  1.  Durch Erfolgserlebnisse:
    Erfolgserlebnisse führen auf natürliche Weise zu einer Stärkung von Selbstwirksamkeit. Auf der anderen Seite führen wiederholte Misserfolge – vor allem wenn die Ursachen dafür der eigenen Person zugeschrieben werden – zu einer Schwächung von Selbstwirksamkeit.
  2. Beobachten von erfolgreichen Modellpersonen:
    Wird der Erfolg anderer Personen beobachtet, die einem selbst wichtig oder ähnlich sind, so stärkt das ebenfalls die Selbstwirksamkeit. Weiter verstärkt werden kann dieser Effekt noch dadurch, dass die Modellpersonen öffentlich belohnt werden.
  3. Einfluss sozialer Gruppen:
    Soziale Gruppen haben oft einen negativen Einfluss auf die Selbstwirksamkeit. Hört man immer wieder von anderen Menschen, dass man ein Versager ist, werden Selbstwirksamkeits-Überzeugungen nachhaltig geschwächt.
  4. Interpretation von Emotionen und Empfindungen:
    Gerade unter Druck nehmen viele Menschen körperliche Empfindungen (feuchte Hände, Zittern, Herzrasen) als Zeichen für ein mögliches Scheitern wahr. Durch Übungen können Menschen lernen, diese Empfindungen neu zu interpretieren, z.B. als Zeichen freudiger Erregung. (Quelle: Bandura, Albert (1997). Self-efficacy: The exercise of control. New York: W. H. Freeman)

Regenerationsfähigkeit und Plastizität

Die Kraft unserer Ressourcen zeigt sich auch in der  unglaublichen Regenerationsfähigkeit des menschlichen Körpers:

Ein wunderbares Beispiel für diese enorme Plastizität und Regenerationsfähigkeit ist das vollständige Nachwachsen einer amputierten Fingerendkuppe (dies auch trotz freiliegendem Knochen!) unter einem sehr einfachen Folienverband – ohne Operation, ohne Antibiotika und selbst ohne Desinfektion! Wir sind hier wirklich der Eidechse mit ihrem nachwachsenden Schwanz sehr ähnlich.
(D.Hoigné, U.Hug: Amputationsverletzungen am Fingerendglied: Regeneration mittels Folienverband; Schweiz Med Forum 2014;14(18):356-360)

Parasympathikus

An anderem Ort habe ich Vergleiche von Kohärenzsteigerung durch Kräftigung des parasympathischen Teils des Vegetativen Nervensystems (orientalisch gesehen: Stärkung des Yin) angestellt: /parasympathikus/!

Rolfing

Rolfing, die strukturelle Körperarbeit, die ich auch ausübe, ist ein wunderbar salutogenetisches Konzept, eine Ressourcenarbeit im schönsten Sinne des Wortes, wo Symptome wie Schmerzen oder zum Beispiel eine Skoliose aus dem Fokus geraten und die freie, ökonomische Alltagsbewegung und -haltung wichtig werden – und erst sekundär und beiläufig dann vielleicht auch noch die obigen Symptome verschwinden.

Lesen Sie dazu noch mehr auf meiner Website:

Weiterführende Literatur:
Rutger Bregman, “Im Grunde gut”, rowohlt 2020

Ich habe hier einiges aus dieser Quelle zitiert:
Jürgen Bengel, Regine Strittmatter & Hildegard Willmann: “Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert”. Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung Band 6, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln 2001

Veröffentlicht am 27. Mai 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
17. Juni 2022