Schlagwort: Hypnose

  • Angst und Panik

    Angst und Panik

    „Wir haben gelernt, keine Angst zu haben. Jetzt bitten wir den Rest von Ihnen, keine Angst zu haben.“ Oleksij Resnikow, Verteidigungs­minister der Ukraine, 2022

    „In meinem Leben habe ich unvorstellbar viele Katastrophen erlitten. Die meisten davon sind nie eingetreten.“ Mark Twain

    Was kann ich sofort gegen meine Angst tun?

    • Den Atem checken Bei Stress und Angst wird die Atmung flacher, der Atem stockt mitunter sogar. Das signalisiert dem Gehirn: Hier herrscht höchste Gefahr. Dieser Signalweg lässt sich aber auch umkehren: Wenn die Atemzüge wieder länger werden, beruhigen sich automatisch auch Körper und Geist.
    • Bewegung kann eine gute Erste Hilfe sein: Aufstehen, Arme heben, sich strecken, räkeln, schütteln. Ein paar Mal tief ausatmen. Noch besser: herumtanzen oder drei Minuten lang im Hampelmann springen, sodass man leicht ins Schwitzen kommt.
    • Die Muskeln lockern Unter Angst spannt der Körper sofort die Muskulatur an. Und so kontrahieren Nacken- oder Kiefermuskeln auch am Schreibtisch, beim Spülen oder im Schlaf. Je höher die Dauerbelastung, desto eher gerät man zudem in eine anhaltende Habachtstellung. Eine erste schnelle Gegenmassnahme, wenn man körperliche Anspannung registriert: aufrichten, aufstehen, ein paar Schritte gehen. Schauen, ob man die Schultern lösen und den Unterkiefer etwas fallen lassen kann, sodass sich der Mund leicht öffnet. Wenn man es richtig macht, fühlt es sich an, als sähe man aus wie ein mässig intelligenter Karpfen. Gelöste Muskeln signalisieren dann allmählich auch dem Geist: Du kannst wieder runterkommen. Mach die Kurzform der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson: Leg Dich ins Bett (geht auch im Sitzen, z.B. im Flugzeugsitz!), spanne die Gesässmuskeln an, balle die Hände ganz fest zu Fäusten und drücke den Kopf ins Kissen. Zähle auf 30 und entspanne dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederhole etwa fünf bis sechs Mal.
    • Komm ins Hier und Jetzt! Achte auf 5 Dinge um Dich, die Du im Moment siehst. Dann auch 3 Dinge, die Du jetzt riechst. Und auch 5 Dinge, die Du um Dich abtasten kannst! Achte auf Deinen Atem – und mache ihn ruhiger, langsamer. Atme länger aus als ein! Leg Dein Smartphone weg und schalte es aus – und nimm Deine Airpods aus den Ohren!

    Die Angst als Überbleibsel unserer Evolution

    Angst ist vielleicht das älteste Gefühl der Menschheit. Ohne sie überlebt niemand. Die erste Antwort auf Gefahr ist bei keinem einzigen Tier der Kampf. Sondern immer die Flucht. Angst ist also etwas extrem Physisches – der Körper macht sich bereit zur Flucht. Das Herz pumpt. Der Atem geht schneller. Man scheisst – und wird dabei buchstäblich leichter. Der präfrontale Kortex schaltet ab. Angst ist deine beste Freundin in Gefahr. Panik hast du ab dem Moment, an dem die Angst nicht mehr funktional ist. Etwa wenn du erstarrst oder in die falsche Richtung rennst. Sie ist eine übersteigerte Angst, die in Schockstarre oder Aktionismus kippen kann. Bei Angst und Panik erlebt man eine Notfallreaktion. Die ist extrem sinnvoll, wenn Sie von einem Löwen gejagt werden. Nur leider zündet sie bei uns häufig im falschen Moment: Es gibt Fehlalarme.

    Die Rauchmelder-Erklärung verändert, wie Menschen über ihre Angststörung denken. Sie kooperieren viel besser in der Therapie, wenn ihnen erklärt wird, dass ihre Emotionen in anderen Situationen sinnvoll sein können, aber dass sie einfach zu viel davon haben.

    Und tatsächlich ist es so, dass Menschen, die mehrere Panikattacken haben, oftmals erleben, wie die Schwelle sinkt – dass schon kleinere Reize ausreichen, um eine Attacke auszulösen. Dass hilft mir zu erklären, warum angsthemmende Mittel wichtig sind. Wenn sie die Feedbackschleifen blockieren und verhindern, dass es in den nächsten sechs Monaten zu einer Attacke kommt, wird das ganze System unempfindlicher.

    „Unangenehme“ Gefühle?

    „Gefühle wie Enttäuschung, Verlegenheit, Irritation, Groll, Wut, Eifersucht und Angst sind, anstatt schlechte Nachrichten zu sein, eigentlich sehr klare Momente, die uns lehren, wo wir uns zurückhalten. Sie lehren uns, aufzustehen, wenn wir das Gefühl haben, dass wir lieber zusammenbrechen und uns zurückziehen würden. Sie sind wie Boten, die uns mit erschreckender Klarheit genau zeigen, wo wir feststecken. Genau dieser Moment ist der perfekte Lehrer, und, zum Glück für uns, ist er bei uns, wo immer wir sind.“ Pema Chödrön

    Die drei grossen Ängste des Menschen

    • Angst vor dem Tode
    • Angst, Verlassen zu werden
    • Angst, nichts wert und bedeutungslos zu sein

    Alle drei sind unter sich verbunden – und das Zepter führt wohl immer die Todesangst. Alle drei begleiten uns auch durch unser ganzes Leben, mehr oder weniger. Sie sind immer irgendwie präsent. Wir sind trotz aller Sicherheitsmassnahmen extrem verwundbar. Wir können unser Leben nicht wirklich kontrollieren. Corona-Pandemie, die Klimakrise, Kriege und letztlich unsere Sterblichkeit sind soviel stärker, als wir das wahrhaben wollen. Wir haben verlernt, mit dieser Grundunsicherheit und Angst zu leben. Wie wäre es, wenn wir jetzt beginnen uns mit dieser Angst und dem Nicht-Wissen anzufreunden. Sie macht uns wach und hellhörig und sensibel füreinander. Diese drei Ängste können dich auch, wie liebe Freundinnen, immer wieder darauf hinweisen, dass ein „höheres Selbst“, welches über unser Ego hinausgeht, nicht sterben kann – auch nie verlassen werden kann und auch immer einen grossen Wert besitzt, ein grosses Licht, das wir nie verlieren! Der Körper ist im Geist – und nicht umgekehrt.

    Das „höhere Selbst“, Demut, Mystik

    Der Philosoph Ernst Tugendhat hat uns Menschen (in seinem Buch «Egozentrizität und Mystik») als Ich-Sager beschrieben: Wir können als sprachliche Wesen nicht anders, als von uns aus auf die Welt zu blicken. Drei Möglichkeiten macht er aus, um uns von dieser Ich-Fixierung auf die eigene Gegenwärtigkeit zu lösen. Eine erste, wenn wir lebensklug planend von aktuellen Bedürfnissen Abstand nehmen, um uns zukünftige eigene Wünsche erfüllen zu können. Eine zweite, wenn wir von uns absehen, um die legitimen Perspektiven anderer zu ihrem Recht kommen zu lassen. Das nennt man dann Ethik. Und Demut oder Mystik nennt er eine dritte Perspektive: Wenn wir unser Ich in Relation setzen zu etwas, was uns schlechterdings übersteigt. Was grösser ist als wir, wie zum Beispiel der gestirnte Himmel über uns, an den uns schon Kant erinnerte. Oder die Jahrtausende der Erdgeschichte, gegen die unser Leben sich wie ein Nichts ausnimmt. So könnte man das, was uns das Coronavirus über das Leben lehrt, sehen und dafür den Ausdruck «Demut» verwenden. Aber hat das alles wirklich diese grundsätzliche Dimension? Ja, die Dinge entgleiten uns, das ist schon ein sehr bestimmendes Gefühl. Es ist, als wären wir in Treibsand geraten. Oder in eine Nebelbank, wo die Orientierung plötzlich weg ist. Mir scheint, das tatsächlich sehr gefährliche Virus verstärkt eine fiebrige Befindlichkeit, die schon da war. Diese demütige Haltung zeigt eindrücklich und mit viel Erfolg der Schweizerische Fussballnationalmannschaftstrainer: Dies, nachdem er eben den Fussballgott Italien aus der direkten WM-Qualifikation rausgeschossen hat – notabene mit mindestens 7 fehlenden Stammspieler…

    Sind Stress und Angst Gewohnheiten wie Rauchen oder schlechte Ernährung?

    Kann ich mir Angst abgewöhnen wie Rauchen, fragt sich Theresa Bäuerlein im Krautreporter: Angst kann man auch als ein Gefühl von Nervosität oder Unruhe denken, dieses Unbehagen, das man fühlt, wenn man sich etwas vorstellt, das man nicht unter Kontrolle hat. Dieses Gefühl löst dann ein bestimmtes Muster aus. Zum Beispiel fängt man an, sich Sorgen zu machen und verstrickt sich immer mehr in grübelnde Gedanken. Dieses Verhalten wird zur Gewohnheit. Wir bekommen für dieses Muster eine „Belohnung“, nämlich das Gefühl, etwas zu tun. Wir bekommen die Illusion, dass wir die angstauslösende Situation besser kontrollieren können. „Wenn wir ein unangenehmes Gefühl haben, löst es gewohnte Muster aus, mit denen wir das Gefühl schwächen oder auslöschen wollen. Wir fangen zum Beispiel an, zu grübeln und uns Sorgen zu machen. Das kann sich anfühlen, als würden wir tatsächlich etwas tun, um mit der Situation umzugehen. In Wirklichkeit lenkt es uns ab und gibt uns ein Gefühl von Kontrolle, auch wenn wir eigentlich keine haben.“ Der Psychiater und Neurowissenschaftler Judson Brewer meint, dass dieses Muster deshalb so erfolgreich ist, weil es uns davon abhält, die Angst wirklich zu spüren. Der Preis dafür ist jedoch, dass sich die Ängste weiter steigern können. Man kann sich Fragen stellen, zum Beispiel: „Was habe ich davon, wenn ich mir Sorgen machen?“ und so ein wirksames Gegengift gegen die Spirale aus Angst und Sorgenmachen aktivieren: die Neugier. Wichtig dabei, so Brewer, sei es, den ganzen Körper mit einzubeziehen. „Der Körper wird sehr unterschätzt. Unser Kopf ist ziemlich laut, deshalb kriegt er die ganze Anerkennung für alles. Währenddessen zieht unser fühlender Körper hinter den Kulissen die Hebel für unser Verhalten. Als Nächstes können wir uns also fragen: Was fühlt sich besser an? Hier kommt Neugier ins Spiel.“ Mithilfe dieser beiden Ressourcen – die Angst fühlen und neugierig sein – lässt sich das eingeübte Muster nach Brewers Erfahrungen abgewöhnen, so wie eine schlechte Angewohnheit. (Quelle: Silke Jäger in piqd.de) Weiterlesen: walserblog.ch/2022/03/05/angst-aufsuchen/ dr-walser.ch/angst-surfen.pdf

    Habe ich wirklich schon eine „Angststörung“?

    Jede zehnte Person, die sich an den Hausarzt wendet, schlägt sich mit einer Angststörung herum. Doch nur zur Hälfte wird die Angstkrankheit vom Arzt auch wirklich erkannt, da die Patienten selten von sich aus über ihre Angstgefühle sprechen, sondern in der Regel über körperliche Symptome berichten. Doch bereits mit vier einfachen Screening-Fragen kann der Hausarzt einer Angststörung auf die Spur kommen:

    • Fühlten Sie sich in letzter Zeit angespannt, nervös, angetrieben?1 Punkt
    • Machten Sie sich viel unnötige Sorgen oder ängstigten Sie sich sehr?1 Punkt
    • Waren Sie in letzter Zeit sehr reizbar?1 Punkt
    • Hatten Sie starke Mühe, sich zu entspannen?1 Punkt

    Falls mindestens 2 dieser Fragen bejaht werden, können noch weitere 5 Screening-Fragen beantwortet werden:

    • Haben Sie in letzter Zeit sehr schlecht geschlafen?1 Punkt
    • Hatten Sie regelmässig Kopf- oder Nackenschmerzen?1 Punkt
    • Hatten Sie regelmässig folgende Beschwerden: Zittern, Kribbelgefühle, Schwindelgefühle, Schwitzen, Druck auf der Brust, Atemnot, häufiges Wasserlassen, Durchfall?1 Punkt
    • Haben Sie sich unnötige starke Sorgen um Ihre Gesundheit gemacht?1 Punkt
    • Hatten Sie starke Mühe mit Einschlafen?1 Punkt

    >>> Beträgt das Total 6, so kann bereits zu fünfzig Prozent eine Angststörung vorliegen. Mehr als 6 Punkte vergrössern diese Wahrscheinlichkeit.

    Angst und Depression

    Die Zukunft macht uns Angst die Vergangenheit hält uns fest deshalb können wir die Gegenwart nicht geniessen. Angst vor dem Kommenden, vor der Zukunft – und Niedergeschlagenheit angesichts des Gewesenen, vor der Vergangenheit: Die Angst und Depression sind zwei Seiten derselben Medaille, ängstliche Menschen sind nicht selten auch depressiv und umgekehrt. Im Persönlichkeitsmodell der „Big Five“ sind Ängstlichkeit und Niedergeschlagenheit zwei Facetten ein und derselben Grundeigenschaft, des „Neurotizismus“, der emotionalen Labilität. Besonders frappant ist die Verkoppelung bei der „generalisierten Angststörung“, bei der sich die Angst verselbständigt hat und frei von Auslösern kommt und geht, wie sie will. Meist kommt erst die Angst im Leben, und wenn sie nicht vergehen will, gesellt sich in späteren Jahren die Depression hinzu. Auch Studien haben nun ergeben, dass Menschen während einer Depression ihr Denken auf die Vergangenheit fokussieren. Haben Menschen hingegen Angst, so gehen ihnen vor allem zukünftige Ereignisse durch den Sinn, die sie als Bedrohung empfinden. Vergangene Dramen stimmen also eher depressiv, künftige ängstlich! (A.Pomeranz, P.Rose: Is depression the past tense of anxiety? Int Journal of Psych, DOI: 10.1002/ijop.12050). Therapeutische Folgerungen zeigen zeitlich in die Mitte: Das achtsame Fokussieren auf die Gegenwart, auf das, was gerade in diesem Moment, im Hier und Jetzt geschieht, hilft sowohl gegen Angst als auch gegen die Depression!  Die verschiedensten Meditationsformen sind dazu häufig ein wirksames Instrument: Erst kürzlich (2023) berichteten US-Wissenschaftlerinnen im Fachblatt «Jama Psychiatry», dass das Meditationsprogramm «Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion» (MBSR) bei bestimmten Angsterkrankungen ebenso erfolgreich sein kann wie das Antidepressivum Escitalopram. Das gleiche Programm wurde schon mit besserer Schmerzregulation und mit Linderung von Migräne in Verbindung gebracht. Speziell die Yoga-typische Kombination aus Bewegung, Atemübungen und/oder Meditation scheint sich auf leichte und moderate Depressionen oder Angstzustände positiv auszuwirken, zumindest als ergänzende therapeutische Massnahme.

    Soziale Phobie

    Durch unsere evolutionäre Entwicklung und Biologie kann man sinnvoll die Soziale Angst erklären. Die Biologin Mary Jane West-Eberhard sagt dazu, dass unsere Fähigkeit zur Moral uns einen evolutionären Vorteil gebracht hat, weil sie uns bessere Partner verschafft. Wir alle suchen unentwegt nach den bestmöglichen Partnern für unsere Gruppe, unsere Projekte und natürlich die Liebesbeziehung. Und wir wollen jemanden, der gut ist, ehrlich, vertrauenswürdig, empathisch und der viele Ressourcen hat, die er mit uns teilen kann. Das ist soziale Selektion, sie führt zur Fähigkeit, moralisch zu handeln, zu lieben und sich zu binden.

    Und sie führt dazu, dass es uns sehr wichtig ist, was andere über uns denken… Dies wiederum zieht oft eine erdrückende soziale Angst nach sich.

    „All die Jahre habe ich mich gefragt, warum zum Teufel sich Menschen mit sozialer Angst so viele Sorgen darüber machen, was andere über sie denken. Die Antwort ist, dass die Evolution uns derart geformt hat: Wir denken sorgfältig und unentwegt darüber nach, was andere über uns denken, und versuchen, es anderen recht zu machen. Früher habe ich zu meinen Patienten mit Angststörung gesagt: Andere Leute denken gar nicht so viel über Sie nach! Warum sind Sie eigentlich so ichbezogen? Als ich es besser wusste, begann ich zu sagen: Sie sind eine sehr sensible Person, und das ist etwas Wunderbares. Es gibt Menschen, die es nicht interessiert, was andere über sie denken. Die sind das Problem, nicht Sie. Augenblicklich fingen meine Patienten an zu sehen, dass sie etwas Wertvolles an sich hatten und nicht fehlerhaft waren.“ (Randolph Nesse, Mitbegründer der evolutionären Medizin in Der Zeit, 12/23)

    Achtung: Disease Mongering

    In der Bevölkerung sind Angststörungen weit verbreitet. Grosse Studien zeigen, dass jede vierte befragte Person in ihrem Leben schon an einer Angststörung litt. Hier ist Achtsamkeit angebracht, um nicht dem „Disease Mongering“, meint: der Problem- und Mengenausweitung zu unterliegen. Krankheiten werden ins Gespräch gebracht und dann „verkauft“… Von der Pharmaindustrie in letzter Zeit massiv betrieben – so auch bei der „Sozialen Phobie“! Dasselbe gilt auch beim ADHS, der Glatze, Schüchternheit, Restless-Legs-Syndrom und der Impotenz… Bereits ein simpler Namenswechsel von der altbekannten „Schüchternheit“ zur „Sozialen Phobie“ hat weitreichende Folgen für die Einschätzung der „Krankheit“! So glaubten Teilnehmer einer Studie (M.E. Young et al.: The role of medical language in changing public perception of illness. PLoS ONE, 3/12, 2008, e3875) nicht nur, dass etwa „Hyperhidrosis“ oder „Androgenetische Alopezie“ sehr viel ernster zu nehmende Krankheiten seien, als ihre alltäglichen Namensvettern, sondern sie befürchteten obendrein, dass die mit medizinischen Fachausdrücken beschriebene Wehwehchen auch noch besonders selten sind. Ältere, bereits etablierte medizinische Fachbegriffe hatten diesen Effekt allerdings nicht (hier also „übermässiges Schwitzen“ oder „männlicher, genetischer Haarausfall“). Neuerdings hat sich also die Soziale Phobie als häufigste Angststörung entpuppt. Hauptsächlich das Sprechen in der Öffentlichkeit oder vor einer Gruppe fällt den Betroffenen extrem schwer, da sie eine Riesenangst vor den kritischen Blicken und dem vermeintlich vernichtenden Urteil ihrer Zuhörer haben. Auch die Kontaktaufnahme für Gespräche mit anderen Personen ist schwer beeinträchtigt, weil Patienten mit Sozialer Phobie befürchten, Dummheiten zu sagen und sich lächerlich zu machen. Es handelt sich um ein stilles Leiden, auf das sich nicht selten noch eine Depression aufpfropft. Es ist wichtig zu wissen, dass Betroffene der „wahren“ Sozialen Phobie vermehrt Suizidgedanken haben und gehäuft Suizidversuche unternehmen. Die Soziale Phobie kann mit zentralen Beziehungskonflikten des Menschen zusammenhängen. Dieser Beziehungskonflikt hat drei Komponenten: Die erste ist der Wunsch, „Ich möchte mich zeigen und Bestätigung bekommen.“ Dieser Wunsch, sich vor anderen zu bewähren, ist den Betreffenden meist gar nicht bewusst, weil in diesen Situationen die Angst dominiert. Der Wunscherfüllung steht eine bestimmte Erwartung – die zweite Komponente – entgegen: „Die anderen werden schlecht von mir denken.“. Daher rührt die Vermeidung, die dritte Komponente. In der Therapie geht es deshalb zentral darum, den verschütteten Wunsch nach sozialer Bestätigung wieder bewusst zu machen und ihn in einen Zusammenhang mit der sozialen Angst zu bringen.

    Klimaangst: Panik oder Verleugnung

    Immer häufiger begegnet mir bei Mitmenschen (wie auch bei mir) eine neue Angst, eine neue Art Weltschmerz, ein enormes Ohnmachtsgefühle durch die Klimakrise, die immer deutlicher und bewusster wird. Diese Angst ist primär eine sehr reale Angst (wie die, wenn ein wirklicher Löwe vor uns stehen würde) – sie steigert sich nun aber bei nicht wenigen in eine Panik – oder eben ins Gegenteil, in die Verleugnung.

    Manche Forscher sehen übrigens inzwischen einen Zusammenhang zwischen unserem Individualismus, dem zu mehr Konsum führenden Versprechen auf Selbstverwirklichung und der Umweltkrise. Es kann nun sogar sein, dass herkömmliche Psychotherapie-Ansätze Teil des Problems sind. Damit wurde auch mit geholfen, eine Kultur des Egoismus und der monströsen, mit fossilen Brennstoffen betriebene Wirtschaft, von der diese Kultur abhängig ist, zu erschaffen.

    Eine neue Art Psychotherapie sollte zunächst  klar machen, dass es darum geht, „die Ungewissheit auszuhalten“, die das Problem hervorruft, also über die „Reptilienhirn“-Reaktionen von Panik oder eben Verleugnung der Klimakrise hinauszukommen.

    Es tut uns nicht gut, diese Angst zu ersticken. Es tut uns nicht gut, vorzugeben, sie sei nicht existent. Stattdessen schauen wir uns an, was dahinter steckt. Und was hinter dieser Panik steckt, ist die Angst vor Verlust.

    Der Wendepunkt ist die Anerkennung meiner eigenen Sterblichkeit und dann auch der Sterblichkeit meiner Umgebung, meines Umfelds. Es ist die existentielle Angst vor dem Tod. Menschen neigen in der Folge dazu, sich zu öffnen, wenn sie sich den Themen Tod und Katastrophe stellen. Sie werden weniger panisch und sie können wieder produktiv aktiv werden und (gemeinsam) etwas gegen die Klimakatastrophe in Angriff zu nehmen. Denn es wird eine enorme kollektive Anstrengung nötig sein, die ohne all die individuellen nicht zu denken ist.

    Ängste nach der Krebsdiagnose

    Mit der Angst ist es so eine Sache. Sie wird kleiner, je mehr man sich ihr nähert. Deshalb lohnt es sich, behutsam auf das zuzugehen, vor dem man sich fürchtet: Was genau macht mir Angst? Sind es die nächsten Behandlungsschritte, die anstehen? Nebenwirkungen, die nach der Chemotherapie oder Bestrahlung auftreten könnten? Graut es mir vor allem davor, anderen zur Last zu fallen? Oder fürchte ich insgeheim, mich äusserlich zu verändern? Was hilft, ist, sich den bedrohlichen Gedanken zu stellen. Nimmt die Angst überhand, sollte man sich dafür psychotherapeutische Unterstützung holen. Eine meiner Patientinnen fürchtete sich am meisten davor, sie könnte eines Tages tot in ihrer Wohnung liegen und niemand findet sie. Dabei ruft ihre Schwester täglich an und würde sofort merken, wenn sie nicht ans Telefon geht. Die Frau musste das Szenario gezielt zu Ende denken, um ihm den Schrecken zu nehmen. Es ist immer besser, den Scheinwerfer in die Dunkelheit zu richten und sich das, wovor man sich fürchtet, einmal genau anzusehen. Bei den meisten weckt eine Krebserkrankung Gedanken an die eigene Endlichkeit – selbst wenn die Prognose gut ist. Erstaunlich vielen gelingt es, die Angst vor dem Tod zu bewältigen. Einigen hilft es, die eigene Beerdigung zu planen. Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht mit dem Thema befassen möchten. Manche können durch einen veränderten Bewusstseinszustand existenzielle Ängste bewältigen: An der Johns Hopkins University im US-amerikanischen Baltimore nahmen Krebspatienten begleitet von einem Psychotherapeuten den Wirkstoff Psilocybin ein, der in sogenannten magic mushroomsenthalten ist, also psychoaktiven Pilzen. Ähnliche Studien wurden in der Schweiz bereits mit LSD durchgeführt. Durch die Substanz schafften es die Patienten, eine neue Perspektive einzunehmen. Sie konnten die Widrigkeiten, die mit der Krankheit kamen, besser akzeptieren – und das auch noch Monate später. Einige kamen auf ihrem psychedelischen Trip sogar zu Einsichten, die ihre Einstellung zum Tod von Grund auf veränderten. Es geht aber auch weniger radikal: Hypnose kann ebenfalls erwiesenermaßen Ängste bei Krebspatienten lindern. Weiterlesen >>>

    Generalisierte Angststörung (GAD)

    Das Generalisierte Angstsyndrom (monatelang ununterbrochen anhaltende Angst und unnötige Sorgen) kommt einher mit eigentlichen Panikattacken, d.h. abgegrenzte, plötzliche Perioden mit Ängstlichkeit oder Furcht (ohne klare Ursache oder Phobie) mit diversen körperlichen Symptomen während der Attacken: Atemnot, Herzklopfen oder -rasen, Schmerzen oder Unwohlsein in der Brust, Erstickungs- oder Beklemmungsgefühlen; Übelkeit, Durchfall, Reizdarm; Benommenheit, Schwindel oder Gefühl der Unsicherheit oder der Unwirklichkeit, Kribbeln in Händen oder Füssen, Hitze- und Kältewellen, Schwitzen, Schwäche, Zittern oder Beben, Furcht zu sterben, verrückt zu werden oder während einer Attacke etwas Unkontrolliertes zu tun. Gemäss DSM-IV bzw. -V handelt es sich bei der GAD um eine übermässige Angst und Sorge (bezüglich mehrere Ereignisse oder Tätigkeiten), die während mindestens sechs Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten. Die Person kann die Sorgen nur schwer kontrollieren. Mindestens drei der folgenden Symptome kommen hinzu: 1. Ruhelosigkeit 2. Leichte Ermüdbarkeit 3. Konzentrationsschwäche oder Leere im Kopf 4. Reizbarkeit 5. Muskelspannungen 6. Schlafstörungen Obwohl sie die Angst im Namen trägt, zeigt sich die GAD meist nicht primär mit diesem Symptom! Körperliche Symptome, Schmerz, Schlafstörungen und Depression (in 90% bei der GAD auch vorhanden!) zeigen sich prominenter und zuerst! Deshalb wird die GAD in der Hausarztpraxis zu selten erkannt.

    Angst als Teenagerproblem

    Angststörungen haben Depressionen in den USA als häufigstes Teenager-Problem überholt. Was, wenn man es positiv sieht, auch damit zu tun haben  könnte, dass Teenager Hilfe suchen, wenn sie Angst haben. Diese  beruhigende Erklärung ist aber zu einfach, meinen Schulpsychologen: Wahrscheinlich liegt der Anstieg wirklich daran, dass mehr Teenager ernsthaft überfordert sind. „Es gibt nie den Punkt, an dem sie sagen können: Jetzt habe ich genug getan, jetzt kann ich aufhören“, sagt Suniya Luthar, Psychologie-Professor an der Arizona State University.

    Gleichzeitig wird Angst als Krankheit immer noch stärker unterschätzt als Depression, weil Angst – nun, normal und nachvollziehbar scheint. Es gibt wahrlich genug Gründe, aus denen Menschen sich fürchten können, und die Grenze zur Störung ist manchmal nur hauchdünn. Wenn man Glück hat und wie Jake in einer privilegierten Umgebung aufwächst, landet man als Angstpatient in einer behutsam geführten Institution mit Maltherapie und Achtsamkeitsübungen. Angstgeschüttelte Teenager aus schwächeren Schichten müssen einfach klarkommen oder sind Lehrern sogar willkommen, weil sie als schüchtern gelten und weniger Ärger machen.

    Smartphones und Social Media sind weitere Faktoren, die Ängste schüren. Smartphones geben eine Illusion von Kontrolle, aber  Facebook, Instagram etc sind das perfekte Medium, um sich ständig mit anderen zu vergleichen.

    Phobien

    Weitere häufige Angststörungen sind die einfachen Phobien (z.B. Furcht vor Sessel- oder Seilbahn, vor Tieren, vor dem Anblick von Blut), die Agoraphobie (Furcht vor Menschenmengen), etc..

    Therapie

    Angst ist primär ein lebenswichtiges Gefühl. Dies vor allem immer dann, wenn sie reale Gefahren anzeigt. Manchmal trauen sich die Menschen nicht, die reale Gefahr zu sehen, z.B. vor einer Trennung, einem Tod, einem atomaren Unfall. Man kann versuchen, Angst nicht mit allen „Huchs“ und „Achs“ zu zelebrieren, sondern auf etwas zu beziehen, um in ihrer Bedeutung erkannt zu sein. Angst kann immer auch als Impuls zum Nachdenken, zum Suchen genutzt werden. Also nicht gegen die Angst etwas tun, sondern aus ihr etwas machen: Um die Angst herumgehen, sie von allen Seiten angucken, ihr zuhören. Die besten drei Faustregeln sind:  Nicht versuchen, die Angst wegzumachen. Die Angst im Körper spüren. Herausfinden, was die Angst beschützen will. Was ist das Dümmste, was man tun kann? Zu sagen, sie sollen keine Angst haben. Ihnen irgendwelche Zahlen vorlesen und sagen, es sei gar nicht so schlimm. Kann ich mir die Angst abgewöhnen, da sie nur eine Gewohnheit ist? >>>

    Angst-machende oder -verstärkende Drogen absetzen!

    Beispiel Delilah: Die 16-Jährige wird von ihren Eltern zu Anna Lembke geschickt, weil sie zu viel kifft. Im Eingangsgespräch offenbart sie einen bestürzend umfangreichen Mix an Substanzen, die sie konsumiert. Ihr eigentliches Problem aber sei ein anderes: „Ich kiffe, weil ich Angst habe, und wenn Sie etwas gegen meine Ängste tun könnten, bräuchte ich das Gras nicht.“ Die Autorin befürchtet zunächst, das Mädchen werde sich gar nicht erst auf ihre Therapie einlassen, denn sie verlangt von der Jugendlichen Abstinenz – für mindestens vier Wochen. Lembke erläutert, warum: „Jede Droge, die die Belohnungspfade in unserem Gehirn so stimuliert wie Cannabis , verfügt über das Potenzial, in unserem Gehirn die Grundlinie, ab der wir Angst verspüren, zu verändern.“ Was sich beim Konsum von Cannabis so anfühle, als ob es Angstzustände lindere, könne in Wahrheit das Gefühl sein, eine Linderung der Entzugserscheinungen nach der Einnahme der letzten Dosis zu verspüren. Somit sei Cannabis die Ursache der Angstzustände und nicht ein Mittel, sie zu beheben. Vielleicht war diese Ansage genau das, was Delilah brauchte. Sie schaffte das „Dopaminfasten“ und befreite sich im Laufe der Therapie von ihren Ängsten. (Anna Lembke: Die Dopamin-Nation. Balance finden im Zeitalter des Vergnügens. Unimedica, 2022)

    Wann ist Angst vernünftig? Wann nicht?

    Das ist exakt die falsche Frage. Dafür ist es exakt der Punkt: Dass Menschen unfähig sind, ihre Gefühle wahrzunehmen, hat damit zu tun, dass sie von klein auf lernen, dass ein Gefühl wie Angst nicht sein darf. Aber wir brauchen die Angst, sie weist uns auf Gefahr hin. Beispielsweise: nicht auf die Strasse zu rennen, wenn ein Auto kommt. Doch wenn die Angst nicht sein darf, wenn wir sie unterdrücken, nimmt sie eine hinderliche Dynamik an. Wenn wir zum Beispiel einem kleinen Kind sagen: „Du musst keine Angst haben“ führt das nicht dazu, dass es sich beruhigt. Sondern dazu, dass es sich fragt, was es falsch gemacht hat. Das gilt für Kinder. Aber sollte man sich als Erwachsener nicht zusammenreissen? Im optimalen Fall sind Gefühle ein Hinweis darauf, etwas zu ändern. Wenn das aber nicht mehr funktioniert, wenn wir anfangen, Gefühle zu unterdrücken, schlägt Angst in Panik um. Oder in Gewalt. Oder in Depressionen. Gefühle sind ein schlaues Warnsystem unseres Körpers. Sie weisen darauf hin, dass etwas nicht in der Balance ist. Nur hat unsere Gesellschaft einen tragischen Umgang mit unangenehmen Gefühlen wie Angst, Trauer oder Verzweiflung. Weil es für uns schwierig ist, sie auszuhalten, versuchen wir sie auszuschalten, indem wir relativieren, beschwichtigen oder uns ablenken. Und machen so alles schlimmer. Was sagt man in dem Fall seinen Kindern, wenn sie Angst haben? „Du hast Angst, und ich verstehe das. Ich habe manchmal auch Angst.“ Diese zu benennen, ist wichtig, dem Kind zu versichern, dass es okay ist, dass es Angst hat, und dass man bei ihm bleibt. (teilweise zitiert von Tanja Walliser aus der Republik vom 07.03.20)

    Nicht WAS wir erleben, sondern WIE wir wahrnehmen was wir erleben, macht unser Schicksal aus

    Wir sind keine „Opfer“ unseres Schicksals. Nicht WAS wir erleben, sondern WIE wir wahrnehmen was wir erleben, macht unser Schicksal aus! Man darf sogar – analog unserer Wut (Niemand kann dich wütend machen, ausser Du selbst!) – von unserer Angst oder unserem Glück behaupten: Niemand kann dich ängstlich oder glücklich machen, nur du dich selbst. Doch… Konstruktivismus erklärt nicht alles. Es ist immer auch ein Mischmasch zwischen einer „realen Wirklichkeit“ (der Coronavirus!) und dem Konstruierten, Projizierten… Meine Lieblings­definition der Wirklichkeit stammt vom kanadischen Philosophen Charles Taylor (*1931): „Real ist das, womit man fertig werden muss, was nicht allein deshalb verschwindet, weil es nicht den eigenen Vorurteilen entspricht. Aus diesem Grund ist das, was man im Leben unweigerlich in Anspruch nehmen muss, etwas Reales bzw. etwas so annähernd Reales, wie man es zurzeit erfassen kann.“ (Aus: Charles Taylor, «Quellen des Selbst», S. 117) Davon gibt es eine Populärversion von John Lennon: «Life is what happens to you while you’re busy making other plans.» Nach diesen Definitionen ist das Coronavirus ungemein wirklich. Wir müssen mit ihm fertig werden, obwohl wir andere Pläne hatten. (Daniel Strassberg, 31.3. in der Republik)

    Angst und Hypnose

    Hypnose ist weit mehr ist als ein billiger Trick – auch bei Angst und Depression. Ihre Wirksamkeit wurde wiederholt wissenschaftlich belegt. Es existieren mehrere Metaanalysen, das sind Auswertungen möglichst aller relevanten Studien, die es zu einem Thema gibt. Zwei Metaanalysen von 2019 stellen eine Wirksamkeit bei Depressionen und Angstzuständen fest.

    Geh an die Orte, vor denen du dich fürchtest!

    „Fliehe vor dem, was bequem ist. Vergiss die Sicherheit. Lebe dort, wo du Angst hast zu leben. Zerstöre deinen Ruf. Sei berüchtigt. Ich habe lange genug versucht, klug zu planen. Von nun an werde ich verrückt sein.“ ~ Rumi

    Komfort und Sicherheit sind die verlockenden Ersatzprodukte des Egos für „das Echte“. Ich werde Komfort, Miswanting und Sicherheit auch in Zeiten von nahen Kriegswirren suchen und es wird mich immer wieder enttäuschen. Obwohl sie immer versagt haben, renne ich immer noch mit pathetischer Beharrlichkeit hinter ihnen her: dieses Mal, dieses Mal …

    Die drei grossen Orte unserer Ängste

    Die drei grossen Orte der Angst des Menschen  sind:

    Sie sind in jedem Krieg schmerzlich, unverdeckt und ungeschminkt im Zentrum. Sie sind aber auch ohne Krieg immer mit Dir, mehr oder weniger, verdeckt oder bewusst. Das angstmachende Unwägbare unserer Welt schürt sie alltäglich. Die meisten wichtigen Erfahrungen widerfahren uns, ohne dass wir sie geplant oder uns für sie entschieden hätten. Wir sind der Wirklichkeit ausgesetzt, wie der Mönch am Meer in Caspar David Friedrichs berühmtem Gemälde. Verliebtheit, Krankheit, Naturkatastrophen, Krieg, Pandemien, oft auch die Geburt des Nachwuchses, sind Ereignisse, die in den „normalen“ Alltag einbrechen und das Leben von Grund auf verändern. Obwohl sich viele Menschen im satten Westen über die Ereignislosigkeit ihres Lebens beklagen, tun sie alles, um sich das Leben bis in den letzten Winkel verfügbar zu machen. Um alles unter Kontrolle zu haben, lebt man gesund, plant die Zukunft und sichert sich gegen alle Unwägbarkeiten ab. Falls dies einmal nicht gelingt, ist man für alle Fälle gewappnet. Man könnte die Kultur als einen riesigen Apparat verstehen, der die Macht des Zufalls und das Eintreten von unerwarteten Ereignissen verhindern und ihre allfälligen Folgen abfedern soll. Mythen waren vielleicht die ersten Versuche der Menschheit, sich gegen den Absolutismus der Wirklichkeit (Hans Blumenberg) abzusichern. Später kamen Religion, Wissenschaft, Erziehung und Medizin hinzu, um nur einige der Abwehrstrategien zu nennen. In der Philosophie gab und gibt es aber immer auch Versuche, die Unverfügbarkeit des Glücks, des Todes, der Lebensgestaltung, ja selbst des Wissens zu denken – von den Stoikern der Antike über den amerikanischen Pragmatismus bis zum Existentialismus. In der Philosophie des 20. Jahrhunderts hatte das „Ereignis“ Hochkonjunktur, weil sich darin etwas zeigen soll, was durch die alltäglichen Routine verstellt ist. Aber auch auf einer viel trivialeren Ebene suchen wir in Zeiten des gefügig gemachten Lebens in Meditationskursen, Extremsportarten oder Horrorfilmen das Hereinbrechen dieser angstmachenden Ereignisse. Aber trotzdem werden die Ängste davor zur Gewohnheit, diese gefangene Energie zerstörerisch und kommt im schlimmsten Fall als Panikattacke oder generalsierte Angststörung zurück.

    Häufig bauen wir auch ein Abwehrsystem auf

    Wir versuchen auch Kontrolle über unsere Ängste, personifiziert in der Angst vor dem  Andersartigen, dem Fremden, zu erlangen und beginnen die Welt um uns in Gut und Böse einzuteilen, in Schwarz und Weiss. Wir beginnen ab- und auszugrenzen, werden zu Nationalisten, Rechts- oder Linksextreme. Diese abgrenzende Schwarz-Weiss-Malerei trifft man überall an: Wir werden Anhänger einer Sekte – oder auch nur schon Veganer und fühlen uns ganz „anders“ als die Mehrheit der Mitmenschen: ausgeschlossen, aber auch meist viel besser, edler…

    Genie als Ausweg aus der Angst

    Superstars wie Jay-Z oder Kendrick Lamar sind an Orten aufgewachsen, an denen nicht einmal ihr Überleben garantiert gewesen ist. Orte denen man nur als aussergewöhnliches Genie entkommen kann, weil es so etwas wie Chancengleichheit nicht gibt.

    „Ich habe Jay-Z einmal interviewt, und er wäre meiner Meinung nach in jedem Bereich herausragend gewesen, ob als Anwalt oder Manager. Es zeigt nur, was man draufhaben muss, um einen Ort wie die Marcy Projects zu überwinden. Und das Leben sollte so nicht sein. Man sollte nicht aussergewöhnlich sein müssen, um zu überleben.“ (die britische Schriftstellerin Zadie Smith). Man kann also in angstmachenden Orten aussergewöhnlich wachsen, selbst ein Genie werden, um zu „überleben“! Wie machen die das? Philosophen formulieren es so: Diese Grundängste können dich, wenn bewusst erlebt, auch wie Freundinnen immer wieder darauf hinweisen, dass ein „höheres Selbst“ (auch Spiritualität oder Übersinn genannt), welches über unser Ego hinausgeht, nicht sterben kann, nicht verlassen werden kann und immer den „grössten Wert“ ausmacht.

    „Auf der Angst surfen“ und neugierig bleiben

    Stelle dir Fragen wie: „Was bringt es mir, wenn ich mir Sorgen mache? “ So aktivierst du ein wirksames Gegengift gegen die Spirale aus Angst und Sorgen: die Neugier. Wichtig ist, den ganzen Körper einzubeziehen.

    Der Körper wird oft unterschätzt. Unser Kopf ist laut und erhält die ganze Aufmerksamkeit, während unser fühlender Körper im Hintergrund unser Verhalten steuert. Frage dich: Was fühlt sich besser an? Hier kommt die Neugier ins Spiel.

    Mit diesen beiden Ressourcen – die Angst fühlen und neugierig sein – lässt sich das eingeübte Muster ablegen, wie eine schlechte Angewohnheit.

    Wie surfe ich auf meinen Emotionen?

    Lass dich nicht von Emotionen überwältigen, sondern lerne, auf ihnen zu surfen wie auf einer Welle. Du zerbrichst, wenn du nicht mehr weißt, wo oben und unten ist. Strebe nach oben, zum Licht und zur Luft, um atmen zu können.

    Woher weiss man, wo oben ist?

    Loslassen ist der Schlüssel. Lass den Kampf los, wehre dich nicht gegen das, was passiert ist. Gegen das Schicksal. Denn das ist der erste Impuls.

    Wenn du kämpfst und deine Energie im Kampf verbrauchst, ertrinkst du leicht. Lässt du los, treibt dein Körper an die Oberfläche. So sind wir Menschen geschaffen, in der physischen Welt und metaphorisch.

    Welche Psychotherapierichtungen?

    „Die Angst, die es uns im Leben so schwer macht, entspringt nicht nur unserem biologisch-genetischen Substrat (ein pharmazeutisches Modell), nicht nur unserem Kampf mit unterdrückten instinktiven Trieben (ein Freudscher Standpunkt), nicht nur wichtigen, von uns verinnerlichten Erwachsenen, die vielleicht nicht mitfühlend, nicht liebevoll oder neurotisch waren (eine objektbezogene Position), nicht nur gestörten Denkformen (eine Position der kognitiven Therapie), nicht nur Scherben vergessener traumatischer Erinnerungen oder aktueller Lebenskrisen, die die Karriere und die Beziehung zu bedeutsamen Mitmenschen involvieren, sondern auch der Konfrontation mit unserer Existenz.“ (aus „In die Sonne schauen“ von Irvin D. Yalom). Es ist wichtig, zu verstehen, wie therapeutische Modelle Menschen Möglichkeiten bieten, sich selbst zu beschreiben. Diese Modelle sind aber keine objektiven Beschreibungen der Psyche, sondern Hilfsmittel, um sich an ihr abzuarbeiten. Das funktioniert aber nur, wenn man an bestimmte Konzepte glaubt. Haben wir wirklich „Kernüberzeugungen“? Sind wir wirklich von unseren „automatischen Gedanken“ geprägt? Allein dadurch, dass wir solche Vorstellungen äussern, können wir sie fast wahr machen. Indem wir an die Beschreibungen glauben, ermöglichen wir es der Therapie, von der Theorie in die Praxis zu gleiten.  Gesprächstherapie kann eine Begleitung zu aktiverem, bewussterem Leben sein. Die Verhaltenstherapie: „Hören Sie auf, sich die Szene vorzustellen – und entspannen Sie sich!“ (Joseph Wolpe. 1915-97). Hintergrund: Wer entspannt ist, kann nicht zugleich Angst empfinden – d.h., Menschen können nicht zwei entgegengesetzte Gefühle gleichzeitig fühlen. Also: Wer Tiefenentspannung als konditionierte Reaktion auf ein gefürchtetes Objekt erlernt hat, kann nicht zur selben Zeit Angst empfinden! „Problem Solving Treatment“ ist eine Kurzform einer kognitiven Therapie. Sie fokussiert auf dem Hier und Jetzt und hilft Patienten ihre eigenen Fertigkeiten und Ressourcen besser zu nutzen. Es wird ihnen erklärt, dass ihre Beschwerden mit psychosozialen Problemen zusammenhängen. Gelingt es diese Probleme zu lösen, könnten sich ihre Symptome bessern. Problem Solving erfolgt in folgenden Schritten:  Klärung und Definition des Problems, Wahl erreichbarer Ziele, Lösungsoptionen generieren, Wahl bevorzugter Lösungen, Implementierung bevorzugter Lösungen, Evaluation. Wirksamkeitsstudie hier>>>

    Kritische Gedanken zur Kognitiven Verhaltenstherapie

    Die Vorstellung, dass wir unsere automatischen Gedanken in Frage stellen und anpassen können, wie in der kognitiven Verhaltenstherapie eingeübt, gibt uns das Gefühl, die Kontrolle zu haben, aber das ständige Ringen mit unseren Gedanken kann selbst zu einer schlechten mentalen Angewohnheit werden: Wenn Sie sich ängstlich fühlen, besteht die beste Herangehensweise vielleicht nicht darin, Ihre ängstlichen Gefühle zu hinterfragen oder einen rationalen Gegenangriff zu starten, sondern einfach die Angst zu bemerken und sie dann vorübergehen zu lassen. Sie verschwindet von selbst. Wenn man sie wegschiebt oder sich mit ihr beschäftigt oder sich mit ihr herumschlägt, wird sie wachsen.

    Ich bin deshalb mittlerweile ein überzeugter Vertreter einer von Achtsamkeit geprägten Theorie der persönlichen Veränderung, die ihre Wurzeln in der sogenannten buddhistischen Psychologie hat.

    Ein Therapeut mit Wissen von den „Existentiellen, Letzten Fragen“ des Lebens greift die Angst vor dem Tod, die Freiheit zur Verantwortung und die Isolation im Leben direkt auf. Wenn man aber auf die Sinnlosigkeit trifft, kann der Therapeut dem Patienten dabei helfen, „von der Frage wegzuschauen“: Lösungen für das Engagement zu suchen, statt in das Problem der Sinnlosigkeit einzutauchen und durch dieses hindurchzuschwimmen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist, wie Buddha uns gelehrt hat, nicht erbaulich. Besser wäre es, in den Fluss des Lebens einzutauchen und die Frage davonschwimmen lassen. (Lesen Sie dazu das fantastische  Buch „Existentielle Psychotherapie“ von Irvin D. Yalom) Achtsamkeitstraining, z.B. die Mindfulness-Based-CognitiveTherapy (MBCT) kann den Betroffenen einen Weg weisen, ihren Ängsten und depressiven Episoden entgegenzutreten, sich selbst aus den düsteren Gedankenzirkeln zu befreien und vor Rückfällen zu schützen. Achtsamkeit hilft, statt im Tun-Modus, im Sein-Modus offen zu sein für die Erfahrung im jeweiligen Augenblick, ohne sie verändern zu wollen. Literatur dazu: Petra Meibert: Der Weg aus dem Grübelkarussel. Achtsamkeitstraining bei Depression, Ängsten und negativen Selbstgesprächen. Das MBCT-Buch. Kösel, 2014. Siehe dazu auch die zeitliche Zusammenhang zwischen Depression und Angst – und der Ausweg über die „Mitte“, über das „Hier und Jetzt“. 2023 berichteten US-Wissenschaftlerinnen im Fachblatt «Jama Psychiatry», dass das Meditationsprogramm «Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion»  (MBSR) bei bestimmten Angsterkrankungen ebenso erfolgreich sein kann wie das Antidepressivum Escitalopram. Das gleiche Programm wurde schon mit besserer Schmerzregulation und mit Linderung von Migräne in Verbindung gebracht. Speziell die Yoga-typische Kombination aus Bewegung, Atemübungen und/oder Meditation scheint sich auf leichte und moderate Depressionen oder Angstzustände positiv auszuwirken, zumindest als ergänzende therapeutische Massnahme. Aber Achtung: Viel hilft viel, das mag für Sonnencremes gelten, aber nicht für die „Achtsamkeit“! Vielmehr kann zu häufiges oder zu lang andauerndes Training negative Effekte haben (Willoughby B. Britton: Can mindfulness be too much of a good thing? The value of a middle way. Current Opinion in Psychology, 2018. DOI: 10.1016/j.copsyc.2018.12.011). Die dabei auftretende Selbstfokussierung kann Ängste und Depressionen nach sich ziehen. Man sieht hier ein interessantes Phänomen (wie häufig bei Medikamenten auch), dass Nebenwirkungen ähnliche Bilder wie die Indikationsdiagnose selbst produzieren kann. Auch hier gilt also „Alles mit Mass!“, was schon im Fries vom altgriechischen Tempel zu Delhi stand…

    Wie beruhigt man jemanden mit Panik?

    • Hat die Person noch rationale Impulse – dann liefere ihr den Realitätscheck. Frage nach, was genau sie fürchtet. Frage weiter nach. Frage sie, was alles eintreten wird. Lass sie alle Schreckensszenarien zu Ende denken. Tu das, weil bei Panik das Denken stecken bleibt. Beharrt das Gegenüber auf dem schwärzesten Szenario, lass es Alternativen denken. Zuhören. Nicht urteilen, keine Ratschläge, nicht relativieren – einfach nur zuhören. Und bei Bedarf Nachfragen stellen.
    • Als Angehöriger hilft: umarmen und festhalten. Bei Kindern nennt man das die Bärenumarmung. Aber es klappt auch bei Erwachsenen. Je fester, desto besser. (Aus dem gleichen Grund wird Schlachtvieh zusammengepfercht – Enge beruhigt.) Mit Vorteil ist man dabei grösser und stärker als die andere Person – falls nicht, mach dich so gross wie möglich. Denn jemand Grösseres und Stärkeres gibt Sicherheit.
    • Sei streng. Bei Panik sollte man scharf einfahren – das ist immer auch ein Beziehungsangebot. Aber man muss aus der Opferrolle rauskommen – und das ziemlich rigid. Befiehl der Person zu atmen, die Füsse auf den Boden zu stellen, schick sie unter die heisse Dusche, hol sie wieder heraus, mach einen Tagesplan. (Angst richtet sich immer auf die Zukunft; zurück auf den Boden kommt man durch basismässige, körperliche Dinge.) . Dazu zwei Zusatztipps:
    • Bei Paaren spielt gelegentlich die Paardynamik. Und der Partner ist die letzte Person auf Erden, die einen beruhigen kann. In diesem Fall hilf es, eine vernünftige Nachbarin zu rufen: Denn je fremder eine Person ist, desto erwachsener werden wir.
    • Angehörige sollten die Erlaubnis zur Wut haben. Wenn sie sagen: „Jetzt reicht’s!“ Nicht zuletzt, weil Wut eine andere Energie hat. Denn Angst spielt sich, wie gesagt, in der Zukunft ab; bei Streit bist du sofort zurück in der Gegenwart. . Das Dümmste, was du tun kannst: dich von der Angst anstecken zu lassen. Die gesunde Antwort auf Angst heisst: Mut!
    • Zu gehen. Etwa mit einem Satz wie: „Ich kann dein irrationales Gerede nicht mehr hören…“ Selbst unkontrolliertes Anschreien ist besser als Gehen.
      .
    • Wie beruhigst du dich selbst? Falls die Panik dich erwischt, hast du ähnliche Möglichkeiten wie oben. Etwa:
      • Entspanne Dich! Mach die Kurzform der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson: Leg Dich ins Bett (geht auch im Sitzen, z.B. im Flugzeugsitz!), spanne die Gesässmuskeln an, balle die Hände ganz fest zu Fäusten und drücke den Kopf ins Kissen. Zähle auf 30 und entspanne dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederhole etwa fünf bis sechs Mal.
      • Komm ins Hier und Jetzt! Achte auf 5 Dinge um Dich, die Du im Moment siehst. Dann auch 3 Dinge, die Du jetzt riechst. Und auch 5 Dinge, die Du um Dich abtasten kannst! Achte auf Deinen Atem – und mache ihn ruhiger, langsamer. Atme länger aus als ein! Nimm Deine Airpods aus den Ohren. leg Dein Smartphone weg und schalte es aus!
      • Sei streng mit dir. Komm aus der Opferrolle! Befiehl dir, eine alltägliche Sache nach der andern zu tun: aufstehen! Heisse Dusche! Kaffee machen! Et cetera. Es ist auch hilfreich, wenn du auf dich wütend wirst.
      • Beruhige dich wie ein Kind. Sei geduldig mit dir. Denn Angst ist etwas Natürliches.
      • Ruf jemanden an. Angst isoliert. Sie schrumpft, wenn man sich verbindet. Denn was in Notlagen wirklich hilft, ist Gemeinschaft. Angst trennt. Aber Gemeinschaft hebt Angst auf. (zitiert von Dorothee Wilhelm aus der Republik vom 07.03.20)

    Es existieren auch organische Krankheiten, die eine Angstsymptomatik zur Folge haben:

    Organische Angstursachen

    Gemäss einer Untersuchung (Arch Intern Med, März 97) litten über die Hälfte der Patienten mit der Diagnose „Panikattacke“ unter einer Herzrhythmusstörung mit schnellem Puls, der sog. paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie, die während Jahren nicht erkannt worden war! Dann kann das Ganze natürlich auch durch Einnahme von Drogen oder auch von Arzneimitteln verursacht sein!

    • Kaffee und Koffein in jeglicher Form ist eine der Drogen, die am stärksten empfindlich auf Ängste macht. Mit Angststörungen sollte man Kaffee meiden!

    Was kann man sonst noch tun?

    • Benütze Deine Airpods nur noch daheim gezielt für Onlinemeetings, im Homeoffice oder für YouTube oder einen Podcast – draussen nicht mehr. Dein Kopf wird durch das ständige Tragen von Airpods stets gefüllt. Sie nehmen Dir Deinen inneren Frieden. Du kannst gar nicht mehr zur Ruhe kommen. Alles Dinge, die Deine Angst steigern.
    • Anregung des Speichelflusses kann eine Panikattacke beenden. Mit Einsetzen einer vermehrten Salivation (z.B. mit Zitronensaft, sauren Bonbons, Kaugummi,…) wird der X. Hirnnerv, der Vagusnerv angeregt. Dieser ist der „Herrscher“ des parasympathischen Teils des vegetativen Nervensystems. Dadurch wird der sympathische Systemteil gehemmt und damit die Panikattacke, die diesem Teil zugehörig ist, leichter.
    • Rennen hilft sehr gut gegen krankhafte Panik – „Wegrennen“ oder Flüchten quasi: d.h. im Anfall sofort losrennen (und damit der Angst und dem schnellen Puls einen „Grund“ geben) und auch zwischendurch viel Lauftraining.
    • Schaukeln hilft: ein bis zwei Stunden täglich im Schaukelstuhl verbringen, beruhigt ungemein (wie der Säugling in den Mutterarmen)!
    • Schafft man es durch ein gewisses mentales Training, während der Attacke positive Tagträume zu initiieren, kann man sich manchmal frühzeitig aus diesem Anfall „ausklinken“.
    • Auch Kava-Kava-Extrakt (Pfefferartige Pflanze aus dem Pazifik) ist zur Behandlung generalisierter und diffuser Angstzustände mit körperlicher und vegetativer Symptomatik geeignet. Organische Ursachen oder endogene Depressionen sollten dabei ausgeschlossen sein. Als Stufenschema kann Kava-Kava im Anschluss an eventuell primär gegebenen Benzodiazepinen genommen werden (nie in der Schwangerschaft). Im Gegensatz zu den Benzodiazepinen weisen Kava-Kava-Extrakte kein Suchtpotential auf, besitzen jedoch vergleichenden Studien zufolge eine ähnlich hohe Wirksamkeit. Eine Sedierung tritt ebenfalls nicht auf. Autofahren oder Arbeiten an Maschinen sind ungestört möglich.
    • Nachrichten sehen (TV, Internet oder Zeitschriften) kann Ängste fördern! Eine Fitnessstudio-Kette in den USA lässt nicht zu, dass die Menschen beim Sport auf ihren Bildschirmen Nachrichten sehen. Das vertrage sich nicht mit der „Health Philosophy“ des Unternehmens. Dahinter steckt also die Annahme, dass es ungesund ist, Nachrichten zu sehen. Ob das wirklich stimmt, ist aus wissenschaftlicher Sicht noch unklar. Immerhin scheint erwiesen, dass Journalisten, die sich bei ihrer Arbeit regelmässig mit extremer Gewalt beschäftigen, öfter unter Problemen wie Angststörungen und Depressionen leiden. Gleichzeitig gilt aber auch, dass das häufige Betrachten solcher Bilder Menschen desensibilisiert. Inwiefern Nicht-Journalisten dieses Problem haben, ist wissenschaftlich aber noch nicht geklärt. Ein wichtiger Aspekt ist aber, dass die meisten Studien dazu vor Trumps Amtsantritt gemacht worden. Die Nachrichten sind seitdem deutlich stressiger geworden…
      Hier einige Websites, die sich speziell den „Good News“ widmen:
      https://cdn.repub.ch/pdf/2020/01/01/gute-nachrichten.pdf
      https://www.telegraph.co.uk/good-news/
      https://krautreporter.de/3151-99-gute-nachrichten-von-denen-du-2019-wahrscheinlich-nichts-mitbekommen-hast
      https://www.goodnewsnetwork.org/
      https://nur-positive-nachrichten.de/
      https://www.positive.news/

    • Ernährung: Eine grosse Studie scheint hier sehr interessant. Sie liefert zwar auch keine endgültigen Beweise, scheint aber Hinweise zu liefern, dass Menschen, die weniger Kohlenhydrate und mehr Obst essen, weniger unter Ängsten und Depressionen leiden. Was den Forschern ein neues Rätsel aufgibt, weil Kohlenhydrate die Produktion von Serotonin fördern (einer der Gründe dafür, warum Schokolade glücklich macht). Klar scheint immerhin, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Ernährung und Stimmung gibt.

    Interessante Literatur zum Thema:

    • David Servan-Schreiber: Die neue Medizin der Emotionen: Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente, 2003, Goldmann.
    • Panikattacken – Angst ohne Grund? Ursachen, Therapie, Praktische Hilfe zur Selbsthilfe, Christine Barsch/Inga-Maria Richberg, Mosaik-Verlag, 1996
    • Ängste verstehen und hinter sich lassen. Wie Sie belastende Ängste und Depressionen aufgeben, eigene Stärken entdecken und endlich Ihr Leben leben. Cornelia Dehner-Rau, Harald Rau, Trias, Stuttgart 2007 – sehr gelungen und alltagstauglich! Botschaft: Die Befreiung aus dem „inneren Gefängnis“ ist realisierbar!
    • Thorsten Glotzmann erzählt mit Selbstironie von den Erkenntnissen aus Philosophie, Wissenschaft und Spiritualität, die seine diffuse Angst erträglicher gemacht haben: Thorsten Glotzmann: Herr G. hat Angst. Und macht sich auf eine Reise durch Philosophie, Wissenschaft und Spiritualität.
    • Da ein „depressiver Zustand“ sehr viel Nähe zu Ängsten hat, lesen Sie auch: www.dr-walser.ch/depression/

    Die allgegenwärtige Angst vor dem Tod

    Jason, 8jährig auf die Frage, warum wir Angst vor der Dunkelheit hätten:

    „Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit, sondern vor Sachen in der Dunkelheit. Man weiss ja nie, was um die Ecke springen kann, wenn man nichts sieht. Also haben wir eigentlich Angst vor der Ungewissheit.“ (PhiloMag, 06/2021)

    Todesangst und Angst vor der Dunkelheit sind nah verwandt – „Es ist das Unbekannte, das wir fürchten, wenn wir auf den Tod und die Dunkelheit blicken, nichts weiter.“ (J.K. Rowling)

    Es ist nicht möglich, das wirklich Unbekannte zu fürchten. Was ich fürchte, ist nicht das Unbekannte, sondern das, was ich mir ausdenke, dass es passieren wird. Im Falle des Todes stelle ich mir vor, wie es wäre, nicht zu existieren; das macht mir eine Heidenangst. Wer wäre ich ohne meine kostbare, selbst geschaffene Identität?

    Das zerrissene Netz. Die letzte Zeichnung an der Dr. med. Anna Regula Hartmann-Allgöwer bis zu ihrem Tod 2025 gearbeitet hat.

    Die Angst vor dem Tod ist meiner Meinung nach allgegenwärtig, fest in uns verankert, prägt den innersten Kern unseres Seins. Sie spielt eine wesentlich grössere Rolle in unserer Psyche als gemeinhin angenommen wird. Ich glaube, dies ist unmöglich ganz auszumerzen. Dennoch können Therapeuten eine grosse Hilfe für Patienten mit übermässiger Todesfurcht sein. Wir können zwei Dinge tun: die Angst vor dem Tod lindern und die Erfahrung, sich des Todes bewusst zu werden als Weckruf nutzen, um auf mannigfaltige Weise persönliches Wachstum zu fördern. Ich werde mich hier kurz auf einige der wichtigsten Ideen konzentrieren, mit denen wir die Angst vor dem Tod vielleicht durch die Macht von Gedanken mildern können. Das Symmetrie-Argument Dafür stehen uns Therapeuten viele Argumente zur Verfügung, manche von ihnen sind seit über zwei Jahrtausenden Teil des Kanons der abendländischen Zivilisation. Epikur (341- 270 v. Chr.), einer unserer grossen Vorfahren im Geiste, entwickelte eine Reihe davon. Betrachten wir nur eines, das besonders überzeugend ist: Das »Symmetrie-Argument« in dem darauf hingewiesen wird, dass wir uns nach dem Tod im selben Zustand befinden wie vor unserer Geburt. Viele haben diesen Gedanken im Lauf der Jahrhunderte weiter ausformuliert. Keiner aber schöner als Vladimir Nabokov, der russische Romancier, der in seinen Memoiren schreibt, das Leben sei nur ein kurzer Lichtfunke zwischen zwei Ewigkeiten aus Dunkelheit. Diese beiden Ewigkeiten sind identisch und doch betrachten wir sie seltsamerweise ganz unterschiedlich: Voller Angst und Zittern beschäftigen wir uns mit der zweiten Dunkelheit und schenken der freundlicheren, vielleicht sogar tröstlichen ersten Dunkelheit kaum Beachtung. Ungelebtes Leben und die Angst vor dem Tod Wenn ich mit Patienten arbeite, die grosse Angst vor dem Tod haben, stelle ich oft schon am Beginn der Therapie folgende Frage: »Können Sie mir sagen, was genau Sie am Tod am meisten ängstigt?« Die Antworten sind sehr unterschiedlich und eröffnen häufig neue therapeutische Wege. Zum Beispiel hört man oft: »All die Dinge, die ich nicht getan habe.« Falls man dieser Entgegnung auf den Grund geht, ergibt sich ein für den Therapeuten sehr aufschlussreicher Gedanke: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Ausmass der Angst vor dem Tod und dem Ausmass, in dem man sich selbst verwirklicht hat. Je mehr Leben das Individuum bei sich selbst für ungelebt hält, desto grösser ist die Furcht vor dem Tod. Daher kann die Linderung dieser Furcht oft darin bestehen, dass der Therapeut dem Patienten hilft, sich zu verwirklichen. »Werde, der du bist«, sagte Nietzsche (und bezeichnete dies als einen seiner »granitenen Sätze«). Ich empfehle, den Gedanken therapeutisch zu nutzen. Wellen schlagen Wellen schlagen ist das Phänomen, konzentrische Wirkungskreise zu erzeugen, die andere über Jahre, Generationen, unendlich lange beeinflussen können. Ohne bewusste Absicht oder Kenntnis hinterlassen wir etwas von unserer Lebenserfahrung, irgendein Merkmal, eine Spur von Weisheit, eine gute Tat, Anleitung, Trost, etwas, das sich auf andere überträgt, so wie die von einem in den Teich geworfenen Kiesel verursachten Wellen sich ausbreiten, bis sie nicht mehr sichtbar und trotzdem auf einer Nano- Ebene noch wirksam sind. Die Vorstellung, etwas von uns zu vermitteln, auch ohne unser Wissen, ist eine Antwort an diejenigen, die behaupten, unsere eigene Endlichkeit bedeute unweigerlich Sinnlosigkeit und Schrecken. Natürlich meine ich nicht, dass unsere persönliche Identität erhalten bleibt. Der Wunsch danach, so stark er auch sein mag, ist vergeblich: Vergänglichkeit ist ewig. Therapeuten und andere Menschen in helfenden Berufen sind sich des Wellenschlagens oft besonders bewusst, wenn sie feststellen, dass sie nicht nur ihren Patienten helfen, sich zu verändern und zu wachsen, sondern damit auch eine Kettenreaktion von diesen Patienten zu anderen in Gang setzen – zu Kindern, Ehepartnern, Schülern und Freunden. (aus dem „Panamahut“ von Irvin D. Yalom)

    Todesangst bestimmt unsere Kultur

    Was lässt uns zu Helikoptereltern werden, warum raffen wir Reichtümer zusammen, warum schreiben wir Bücher oder spritzen uns Botox? Weil wir Angst vor dem Tod haben. Das Wissen um unsere Endlichkeit treibt uns jeden Tag an – selbst beim Shoppengehen. Ich habe, also bin ich (noch). Wir wollen alle nicht sterben, nicht mal die, die für einen gelassenen Umgang mit dem Tod plädieren – wie die Interviewpartner im folgenden Stück. Auch wenn sie ganz darauf vertrauen, dass unser Ende auch der Anfang für etwas Gutes sein kann. Sie haben sich eingehend damit beschäftigt. Wie genau sie die Angst vor dem eigenen Vergehen angegangen sind, bleibt zwar etwas im Nebulösen, aber mir gefällt in erster Linie, dass sie uns wieder einmal darauf hinweisen, warum wir machen was wir tun – jeden Tag. Was all dem zugrunde liegt. Das auch Konsum so ein Todvermeidungsgebaren ist. Klamottenkaufen. Brauche ich wirklich das achte Paar Chucks? Oder gebe ich da nur Geld aus, um mich zu trösten? Sehr empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Buch der Psychologie-Professoren Solomon, Greenberg und Pyszczynski der University of Arizona „Der Wurm in unserem Herzen – Wie das Wissen um die Sterblichkeit unser Lesen beeinflusst“. Interessantes Detail aus den von ihnen zitierten Studien: „Wenige Minuten, nachdem sie sich mit ihrer Vergänglichkeit befasst hatten, verlangte es Männer stärker nach ungeschütztem Sex und nach mehr Partnern oder Partnerinnen.“ Da sage nochmal einer, die Alleingänge unseres Unterbewusstseins wären nicht wahr und totaler Schmarrn! „Todesangst bestimmt unsere Kultur. Das spiegelt sich in Körperkult und Jugendwahn. Gier, Zeitnot, Hektik, das Gefühl, etwas zu verpassen, die Panik, dass einem die Zeit davon läuft, der Druck, dass man unbedingt Kinder bekommen will oder dass man ein Werk schaffen muss – dahinter steckt immer die Angst: Mein Gott, ich werde verschwinden, es muss dringend irgendetwas von mir weiterleben!“ (tabuthema-tod-1.pdf & tabuthema-sterben-2.pdf).

    Sich selbst gut kennen lindert die Angst vor dem Tod

    Eine Studie mit rund 2000 Teilnehmenden zeigte, dass Menschen, die sich selbst gut kennen, weniger Angst vor dem Tod haben. Das Gefühl, dass das Leben sinnvoll ist, hilft auch gegen die Angst vor dem Tod. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Zusammenhang zwischen empfundenem Lebenssinn und Todesangst komplexer ist, als bisher angenommen. Die Wissenschaftler arbeiteten mit der These der sozialpsychologischen Terror Management Theory, nach der Menschen sich Sinn fürs Leben schaffen, weil sie dann weniger Angst vor dem Tod haben. In den vier Studien beantworteten die Teilnehmenden Fragen wie, ob sie sich von sich selbst entfremdet fühlten und welche Auswirkungen dies auf ihre Angst vor dem Tod habe. Es zeigte sich, dass diejenigen, die ein Gefühl von Sinn im Leben und eine geringe Selbstentfremdung empfanden, am wenigsten Sorgen über ihren Tod machten. (Joseph Maffly-Kipp et al: When meaning in life protects against fear of death: The moderating role of selfalienation. Journal of Personality, 2023. DOI: 10.1111/ jopy.12875)

    PTBS – posttraumatische Belastungsstörung

    Das Gefühl, bedroht zu sein, niemandem vertrauen zu können, begleitet Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) durch ihre Tage und ihre Nächte. Grauenvolle Erinnerungen drängen sich in ihr Bewusstsein. Viele fühlen sich abgestumpft, gefühlstaub. Sie ziehen sich zurück. Sie gehen dem Gespräch über das Geschehene aus dem Weg. Oft sind frühe Missbrauchs- und Gewalterfahrungen die Ursache für die Erkrankung.

    Vielleicht sollten wir viel weniger über unsere Probleme reden

    Der US-Psychiater Bessel van der Kolk ist einer der renommiertesten und bekanntesten Traumatherapeuten. Zu seinen Verdiensten gehört es, den Blick auf die Erkrankung der Postraumatischen Belastungsstörung zu weiten und zu erkennen, dass nicht nur Kriegsveteranen davon betroffen sein können, sondern auch viele Menschen, die in ihrer Kindheit Missbrauch und Gewalt erfahren haben. In diesem Interview geht es um die Frage, was Traumata sind, und warum so viele Menschen in der westlichen Welt fest daran glauben, dass psychische Probleme sich am besten über Gesprächstherapien und Medikamente lösen lassen – und was es für Alternativen gibt.

    Schreckliche Ereignisse, so van der Kolk, werden nicht automatisch zu Traumata – es müssen Gefühle von Machtlosigkeit und Verlassenheit dazukommen. In der Frage der Heilung steht er Medikamenten eher kritisch gegenüber:

    „Traditionelle Psychopharmaka können sehr wichtig und hilfreich sein, wenn jemand schwere Symptome hat. Aber sie tun eben nicht mehr, als Symptome zu lindern, sie lösen nichts.“

    Ebenso zweifelt er an der Wirksamkeit therapeutischer Gespräche:

    „Zu wissen, warum alles falsch gelaufen ist, macht es nicht rückgängig. Es mag hilfreich sein, zu verstehen, welche Fehler man gemacht hat oder was man Schlimmes erlebt hat. Aber gelöst ist dadurch erst mal nichts.

    Damit es Menschen besser geht, müssen die Wege im Gehirn verändert werden, damit sie nicht mehr durch kleinste Reize in ihr traumatisches Erlebnis zurückgeworfen werden. Sie müssen körperlich spüren, dass es Vergangenheit ist und dass sie jetzt sicher sind. Das klappt aber meist nicht, indem man nachdenkt und redet (…)  Eine Traumatisierung passiert auf diesem Level, es ist eine sehr primitive Reaktion, weswegen der Verstand hier nur ganz schwer eingreifen kann. Auch nach Hunderten Gesprächen nicht.“

    Er empfiehlt eher andere, körperliche Methoden, Yoga zum Beispiel, Kampfsport, Tanzen und Theater. Auf die Frage, warum das funktionieren soll, sagt er:

    „Wieso funktioniert darüber sprechen? Ich finde es immer interessant, dass in unserer Kultur überhaupt nicht angezweifelt wird, dass und wie Sprachtherapie funktioniert, während alles andere sich erst einmal rechtfertigen muss. Auch die Wirkung von Medikamenten wird kaum hinterfragt. Die Wirkungsweise von Prozac zum Beispiel, eines der bekanntesten Antidepressiva, sei medizinisch nur teilweise verstanden, werde aber trotzdem gerne von Ärzt:innen verschrieben.“

    Deutschland, findet van der Kolk übrigens, habe das Trauma des Zweiten Weltkriegs ziemlich gut verarbeitet.

    „Die Deutschen sind viel weniger traumatisiert als noch vor einigen Generationen, auch weil sie ihre Kinder ganz anders behandeln als früher. Kinder bekommen heutzutage viel Aufmerksamkeit, ihnen wird zugehört. Eltern bemühen sich sehr, Sicherheit zu vermitteln, anstatt ständig zu drohen und zu strafen. Die ganze Kultur des Lernens hat sich völlig verändert, zum Glück. Und auf diese Weise ist die ganze Gesellschaft viel freier und freundlicher geworden.“ (Süddeutsche Zeitung)

    MDMA bei PTBS

    Nun weckt auch eine Partydroge neue Hoffnung: MDMA, in den 1980er-Jahren der Hauptbestandteil von Ecstasy (heute enthalten die Pillen oft auch andere Substanzen). Das Kürzel steht für Methylendioxymethylamphetamin. Der Stoff macht die Psychotherapie von PTBS wirksamer, das zeigte jetzt ein Forschungsteam um die Neurologin Jennifer Mitchell von der University of California. 2023 veröffentlichte es seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature Medicine. Die Patienten hatten zusätzlich zu einer Psychotherapie dreimal MDMA bekommen. Nach 18 Wochen waren 71 Prozent der Teilnehmenden so weit genesen, dass sie die Diagnosekriterien für PTBS nicht mehr erfüllten. In der Kontrollgruppe, die zusätzlich zur Psychotherapie ein Placebo-Mittel bekam, war das nur bei 48 Prozent der Fall. Zugleich wurden andere Nebenwirkungen wie eine körperliche Abhängigkeit nicht beobachtet. Im Sommer 23 bereits hatte die australische Zulassungsbehörde die Traumabehandlung mit MDMA erlaubt – als erste weltweit. Zugleich genehmigte sie die Therapie von Depressionen mit Psilocybin, dem Wirkstoff aus psychoaktiven Pilzen. Was sonst starkes Eingreifen des Therapeuten erfordert, geht mit MDMA oft fast wie von allein. Das Mittel wirkt wie ein Katalysator. Es löst die Angst vor der Erinnerung und, wichtiger noch, die Hemmung, darüber zu sprechen. Was genau dabei im Körper der Patienten vor sich geht, ist noch nicht vollständig erforscht. Klar ist, dass MDMA die Ausschüttung der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin im Gehirn erhöht und, besonders wichtig, die von Oxytocin. Jenem Hormon also, das Bindung und Vertrauen fördert. Der Stoff erleichtert den Patienten also die harte Arbeit der Konfrontation mit ihren Erlebnissen. Die Substanzen öffnen ein Fenster, das man in der Psychotherapie dann noch weiter aufdrücken kann.

    Weltschmerz

    In einer Zeit, in der wir mit Nachrichten über Kriege, politische Veränderungen und Konflikte konfrontiert werden, kann sich ein Gefühl der Überforderung und des Unbehagens breitmachen. Besonders in Zeiten des Rechtsrucks und der Eskalation des Nahost-Konflikts scheint alles zu viel zu sein. Dieses Gefühl, das viele von uns kennen, hat einen Namen: Weltschmerz. Kann man ihn heilen? Darüber hat Salon5, die Jugendredaktion von CORRECTIV mit der Psychotherapeutin Marlene Huemer gesprochen. Sie zeigt auch verschiedene Möglichkeiten auf, wie man mit Weltschmerz umgehen kann. In einem Beitrag auf Instagram präsentieren die jungen Menschen von Salon5 einige dieser Möglichkeiten. Ihr wichtigster Tipp: Weniger Zeit in den Sozialen Medien verbringen. Und, auch wenn es zu einfach klingt: Spazieren gehen!

    Wertvolle Links:

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    09. Mai 2025

  • Depression

    Depression

    Was ist eine „Depression“?

    „Die grösste aller Gefahren, sich selbst zu verlieren, kann sich in der Welt ganz leise ereignen, als ob es gar nichts wäre. Kein anderer Verlust kann so leise eintreten; jeder andere Verlust – ein Arm, ein Bein, fünf Euro, eine Frau, usw. – wird sicher bemerkt werden.“ (Kierkegaard) – Meine neue Lieblingsdefinition von „Depression“ (im Moment).

    Das Problem mit der Depression beginnt schon vor der Diagnose, nämlich bei der Definition, was eine Depression ist. Die Krankheit Depression wird aufgrund von Symptomen definiert und kann nicht aufgrund somatischer Marker definiert werden (Ausnahme: Entzündungsmarker?). Es könnte also auch sein, dass Ärzte die diagnostischen Kriterien etwas anders gewichten als die, die diese Kriterien erstellt haben.
    Zudem ist es schwierig auf einer kontinuierlichen Skala, die bei jedem Menschen zwischen „überhaupt nicht depressiv“ und „schwerst depressiv“ liegt, den Punkt festzulegen der Depression von Nicht-Depression unterscheidet.

    Disease Mongering

    Mit der Definition von allen psychischen Krankheiten verhält es sich ähnlich. 2013 enthielt das neue DSM 5, die international geltende «Bibel der psychischen Erkrankungen», zahlreiche zusätzliche Leiden und hatte bei vielen anderen die Hürde für eine Diagnose gesenkt. ADHS zum Beispiel erforderte nicht mehr sechs Symptome, sondern nur noch fünf. Dass sich psychische Erkrankungen fast immer nur an Symptomen orientierten und diese dann auch noch subjektiv interpretiert würden, komme «so in kaum einem anderen Bereich der Medizin vor», kritisiert der langjährige Direktor des amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH), Thomas Insel, seit Jahren. Er spricht gar von «Zuständen wie in vorwissenschaftlichen Zeiten».

    Tatsächlich gleichen viele Diagnosen eher eine Art Definitionsfrage. Und so wird aus der herkömmlichen Schüchternheit eine soziale Phobie oder aus der Trauer, die nach dem Tod eines nahestehenden Menschen länger als zwei Wochen andauert, eine Depression. Denkt man diese Entwicklung konsequent weiter, ist – überspitzt formuliert – irgendwann überhaupt niemand mehr psychisch gesund.

    Dass bereits eine „Miese Stimmung“ eine „Depression“ und damit krankhaft sein soll, davon ist hier also nicht die Rede. Ich plädiere dezidiert gegen das Diktat des „positiven Denkens„! Ich glaube sogar, dass diese „miese“ Stimmung zu einem grossen Teil durch das „positive Denken“ einer ganzen Kultur mitverursacht wird. Ich meine hier nicht nur die Methode des positiven Denkens, sondern gesellschaftlich immer weiter verbreitete Werte wie Spass, Fröhlichkeit, Zwangs-Optimismus (siehe dazu auch das sehr aktuelle Buch von Arnold Retzer (Miese Stimmung. Eine Streitschrift gegen positives Denken. S.Fischer, Frankfurt 2012).

    Auch der neue Hype des sogenannten „Manifestierens“ beschönigt die gleiche verblendete Logik, die behauptet, Armut sei eine Wahl, und die vielen politischen Desinformationen zugrunde liegt. Wenn die Realität nur das ist, was wir aus ihr machen, dann werden die Skrupellosesten die meiste Macht haben, die Zukunft zu gestalten. Weiterlesen >>>

    Menschen suchen nach Glück und Zufriedenheit. Doch auch Trübsinn hat Vorzüge:
    „Das Vergnügen traurig zu sein!“.

    Was tun? >>> direkt zu den Therapieansätzen

    Wie die Evolution unsere Biologie formt

     Oder: In welchen Situationen ist eine gedrückte Stimmung nützlich?

    Randolph Nesse gilt als Mitbegründer der evolutionären Medizin. Der Psychiater erforscht, wie die Evolution den Menschen geformt – und für bestimmte Krankheiten anfällig gemacht hat. Er schrieb ein Buch mit dem bekannten Evolutionsbiologen George Williams, war Gründungsdirektor des Centers for Evolution and Medicine an der Arizona State University. Mit ZEIT ONLINE spricht er 12/2022 über sein neuestes Buch „Good Reasons for Bad Feelings„.
    zeit.de/gesundheit/2022-12/mentale-gesundheit-depression-angst-evolution-randolph-nesse

    Seiner Ansicht nach kann Niedergeschlagenheit ein Hinweis darauf sein, dass wir gerade Energie verschwenden. Zum Beispiel, wenn wir ein Ziel verfolgen, das nicht zu unserer Lebenslage passt. Oder wenn das Erreichen des Ziels aussichtslos erscheint, wir aber nicht davon lassen können. Wenn wir in einer Sache blockiert sind. 

    Er plädiert dafür, auch mal aufzugeben und nicht verbissen an etwas festzuhalten, das uns offensichtlich gar nicht guttut: „In meiner Karriere gelangen mir allerdings einige der größten Heilungen, als ich Menschen geholfen habe zu realisieren, dass sie etwa seit fünfzehn Jahren an dieser Ehe arbeiten, aber eigentlich gar nicht mehr daran glauben, dass sie sie noch retten können. Dass sie jetzt den Status quo entweder akzeptieren müssen oder unter Schmerzen einen Schlussstrich ziehen. Im Aufgeben liegt oftmals der Schlüssel, um eine Depression zu überwinden.“

    Nur gute Menschen werden depressiv!

    Im Ansatz der Persönlichkeitstheorie tönt dies so:
    „Damit sich natürliche Traurigkeit in eine Depression verwandelt, muss man sich nur selbst die Schuld an dem Unglück geben, das einem widerfahren ist!“ (Dorothy Rowe)

    Wenn wir damit aufhören könnten, uns selbst die Schuld für schlimme Ereignisse in unserem Leben zu geben, würde die Depressionsrate rapide sinken, lautet Dorothy Rowes Prämisse. Und ihre Therapieerfolge sprechen für sich. Normalerweise wachsen wir in der Überzeugung auf, dass es in der Welt gerecht zugeht und uns Gutes widerfährt, wenn wir uns entsprechend verhalten. Doch was bedeutet das im Umkehrschluss? Wenn wir davon überzeugt sind, dass die Guten belohnt und die Schlechten bestraft werden, kommen wir zwangsläufig zu dem Schluss, dass wir für alles Schlechte in unserem Leben selbst verantwortlich sind.
    In solchen Situationen fragen wir oft: „Warum passiert das ausgerechnet mir?“ Wir blicken zurück, um herauszufinden, was wir beigetragen haben, selbst wenn es um eine Naturkatastrophe geht. Irrationale Schuldgefühle, Hilflosigkeit und Scham entstehen, eine Depression kann die Folge sein. Rowe ist der Ansicht, dass wir unsere Überzeugungen selbst erschaffen. Sobald uns das klar geworden sei, könnten wir uns von dem Glauben an eine gerechte Welt verabschieden und negative Erfahrungen, z.B. einen Jobverlust, rationaler verarbeiten. Katastrophen widerfahren uns nicht, weil wir zum Unglück verdammt sind oder sie verdienen. Wir sollten damit aufhören, Ereignisse persönlich zu nehmen, und uns darüber klar werden, dass Schlimmes einfach geschieht! (Nur gute Menschen werden depressiv – aus „Das Psychologie-Buch“, Dorling Kindersley, London, 2012)

    Weiterlesen: Auch „Einsamkeit“ muss nicht zur Depression führen.

    Ursache ist wohl schwache Plastizität unseres Hirns und nicht ein Mangel an Botenstoffe (v.a. Serotonin)

    Dauerstress und Depression

    Auf diesen starken Zusammenhang kam Forscher nun wieder bei der Enträtselung der antidepressiven Wirkung der psychedelisch wirkenden Drogen, wie Ketamin. Diese Droge verbessert die Übertragung von Informationen zwischen den Hirnzellen, stellten die Forscher fest. Sie lässt sogar neue Verbindungsstellen, Synapsen, entstehen. Herkömmliche Antidepressiva tun das auf Umwegen auch. »Plastizität« nennen Fachleute dieses Phänomen. Es ist entscheidend für das Lernen.
    Eine neue Hypothese war geboren: Depressionen entstünden, wenn diese Plastizität unseres Hirns sinke. Erhöhe man sie, lasse sich die Krankheit lindern.

    Für diese Vermutung spricht einiges, denn Stress senkt die Plastizität. Und Stress entsteht durch akute oder chronische Überlastungen genauso wie durch frühe Traumata – alles bekannte Ursachen von Depressionen. Wenn Menschen aber nicht mehr so gut Neues lernen können, bleiben sie leichter in Grübelschleifen hängen, ziehen sich zurück. Die Verbindungen (Synapsen) im Gehirn leiden, die Verbindungen im Leben ebenfalls.

    Eine weitere Erklärung für den Zusammenhang von Dauerstress und Depression führt über unseren Darm und sein Mikrobiom: Der Stress lässt unsere Darmflora massiv verarmen, was wiederum zur Depression führen kann (siehe weiter unten).

    Mangel an Botenstoffe?

    Lange Zeit glaubte man, dass ein Mangel an Botenstoffen, insbesondere an Serotonin, die Ursache für Depressionen sei. Diese Annahme beruhte auf der Wirkweise herkömmlicher Antidepressiva, die die Konzentration von Serotonin zwischen den Hirnzellen erhöhen. Obwohl sie vielen Patienten helfen, wirken sie nicht bei allen. Inzwischen ist klar, dass diese Serotonin-Hypothese nicht ausreicht. Vor mehr als 20 Jahren fiel Ärzten auf, dass es manchen depressiven Menschen nach einer Operation unter Vollnarkose mit dem Mittel Ketamin deutlich besser ging. Anfang des Jahrtausends bestätigten erste Tests an Patienten mit Depressionen die Wirkung des Stoffs. Es zeigte sich, dass Ketamin die Übertragung von Informationen zwischen den Hirnzellen verbessert und sogar neue Verbindungen – Synapsen – spriessen lässt. Fachleute nennen diesen Mechanismus “Plastizität”. Die neue Hypothese besagt, dass Depressionen dadurch entstehen, dass ebendiese Plastizität sinkt. Ein Gehirn, das sich nur noch wenig verändern kann, wird krank. Wenn bei Menschen mit Depressionen dieser Prozess gestört ist, lernen sie nicht mehr so gut Neues und bleiben in den immer gleichen Grübelschleifen hängen. Dazu passt, dass typische Auslöser einer Depression wie frühe Traumata und akute oder chronische Überlastung Stress verursachen – und dass Dauerstress wiederum die Plastizität senkt (siehe weiter oben).

    Ketamin gegen Depression

    Ketamin ist ein vielversprechendes Mittel gegen Depressionen. Die dissoziative Wirkung von Ketamin ist nicht entscheidend für seinen antidepressiven Effekt. Eine Übersichtsarbeit von 2020 ergab, dass nur in drei von acht Studien überhaupt ein Zusammenhang zwischen dissoziativen Symptomen und der antidepressiven Wirkung bestand. Und auch in diesen Fällen erklärten die rauschhaften Erfahrungen nur 12 bis 21 Prozent der Unterschiede in der Wirkung auf die Depression. Das unterscheidet Ketamin wahrscheinlich von psychedelischen Drogen wie Psilocybin und MDMA; bei ihnen ist der Rausch tiefgreifender und deshalb wohl wichtiger für die Wirkung.

    Plastizität an sich hilft aber noch nicht. Sie schafft nur die Möglichkeit, dass sich etwas ändert. Ob es besser wird oder sogar schlechter, hängt von der Umwelt ab. Damit Menschen mit Depressionen von der wiedergewonnenen Flexibilität im Hirn profitieren, brauchen sie hilfreiche Erfahrungen, wohltuende Begegnungen – und meist eine Psychotherapie.

    Symptome einer Depression

    „Wahre“ Schwere Depressionen gehören zu den quälendsten Leiden überhaupt: Kranke, die den jähen Schmerz eines Herzinfarkts und eine Depression erlebt hatten, hielten im Nachhinein die Depression für weitaus unangenehmer.
    Gemeinsam ist fast allen Depressionen die gedrückte, traurige Grundstimmung, die die Zukunft meist sehr schwarz und negativ aussehen lässt. In vielen Fällen ist der Zustand des Kranken in den Morgenstunden am schlechtesten – Sie können auch frühmorgendlich zwei oder mehr Stunden vor der gewohnten Zeit erwachen. Abends hellt sich die Stimmung wieder etwas auf.
    Nur wenige Depressive denken überhaupt nicht an Selbstmord.
    Interessenverlust, Unzufriedenheit, Lustlosigkeit und Freudlosigkeit, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle, Gefühle der Wertlosigkeit, Negativ-pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidale Gedanken oder Handlungen, Ein- bzw. Durchschlafstörungen mit Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf, Müdigkeit und Energielosigkeit, Appetitlosigkeit – auch mit Gewichtsverlust (mehr als 5% des Körpergewichts im letzten Monat), deutlicher Libidoverlust,  Entscheidungsschwierigkeiten, Leere und Reizbarkeit. Psychomotorisch kann eine Hemmung oder eine Agitiertheit bestehen.

    Jedes der folgenden Symptome verdoppelt etwa die Wahrscheinlichkeit einer Depression: Schlaflosigkeit (Insomnie), Müdigkeit, chronische Schmerzen, Veränderung in den Lebensumständen, ungeklärte physische Symptome, mäs­sige bis schlechte ­Gesundheit in Selbsteinschätzung der Patienten.

    Es gibt viele Screening-Methoden, der PHQ-9 («Patient Health Questionnaire-9») scheint am weitesten verbreitet zu sein und gute Qualitätscharakteristika aufzuweisen (Sensitivität/Spezifität bei je 85%). > www.depressionscreening100.com/phq

    Berechneter SkalensummenwertSchweregrad der Depression
    1-4Minimale depressive Symptomatik
    5-9Milde depressive Symptomatik
    10-14Mittelgradige depressive Symptomatik
    15-27Schwere depressive Symptomatik

    …und für Männer bestehen zudem oder alternativ noch andere Symptome: siehe hier

    Körperliche Symptome, die eine Depression maskieren können (sogenannte „larvierte Depression“)

    • Kopfschmerzen
    • Nacken-Schulterschmerzen (siehe gleich unten)
    • Rückenschmerzen
    • Atembeschwerden
    • Herzbeschwerden
    • Magen-Darm-Beschwerden
    • Rheumatische Beschwerden
    • Unterleibsbeschwerden

    Steifer Nacken, trübe Gedanken?

    Können unelastische Faszien zu Depressionen führen? Forschende haben den Zusammenhang in zwei Studien untersucht.

    Gibt es eine Wechselwirkung zwischen dem Fasziengewebe im Nacken- und Schulterbereich und der Neigung zu negativen Gedanken? Für diese Frage interessierten sich der Forscher Johannes Michalak und sein Team von der Universität Witten-Herdecke in zwei Studien. (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34955570/)

    Das Ergebnis: Womöglich haben Menschen mit Depressionen steifes, unelastisches Fasziengewebe. Das könnte es ihnen erschweren, negative Gedankenschleifen zu beenden.

    Für die erste Studie wurde zunächst die Steifigkeit des Fasziengewebes von 80 Depressiven und Nichtdepressiven gemessen. An der zweiten Studie nahmen 69 Personen teil, bei denen eine Depression festgestellt worden war. Rund die Hälfte massierte sich 30 Sekunden lang selbst Schultern und Nacken, indem sie über eine Faszien-Schaumstoffrolle hin und her rollten. Die Kontrollgruppe legte sich mit Nacken und Schultern auf die gleiche Rolle und bewegte sich nur auf und ab, sie massierten sich also nicht richtig.

    Anschliessend wurde allen eine Liste mit positiven und negativen Begriffen vorgelesen, die sie sich merken sollten. Diejenigen, die Schultern und Nacken mit der Schaumstoffrolle „geknetet“ hatten, merkten sich deutlich mehr positive Wörter. Die Autorinnen und Autoren betonen, dass es eine kurze Behandlung und ein vorübergehender Effekt war.
    (Susanne Ackermann, 15. Sep 2023 in PSYCHOLOGIE HEUTE)

    Angst und Depression

    Angst vor dem Kommenden, vor der Zukunft – und Niedergeschlagenheit angesichts des Gewesenen, vor der Vergangenheit: Die Angst und Depression sind zwei Seiten derselben Medaille, ängstliche Menschen sind nicht selten auch depressiv und umgekehrt. Im Persönlichkeitsmodell der „Big Five“ sind Ängstlichkeit und Niedergeschlagenheit zwei Facetten ein und derselben Grundeigenschaft, des „Neurotizismus“, der emotionalen Labilität. Besonders frappant ist die Verkoppelung bei der „generalisierten Angststörung“, bei der sich die Angst verselbständigt hat und frei von Auslösern kommt und geht, wie sie will.
    Meist kommt erst die Angst im Leben, und wenn sie nicht vergehen will, gesellt sich in späteren Jahren die Depression hinzu.
    Auch Studien haben nun ergeben, dass Menschen während einer Depression ihr Denken auf die Vergangenheit fokussieren. Haben Menschen hingegen Angst, so gehen ihnen vor allem zukünftige Ereignisse durch den Sinn, die sie als Bedrohung empfinden. Vergangene Dramen stimmen also eher depressiv, künftige ängstlich!
    (A.Pomeranz, P.Rose: Is depression the past tense of anxiety? Int Journal of Psych, DOI: 10.1002/ijop.12050).

    Ängste sind wie Rauchmelder, die zu sensibel eingestellt sind. Sie schrillen schon bei sehr wenig Rauch los und stellen uns auf Alarm – bis zur Panikattacke.

    Therapeutische Folgerungen zeigen zeitlich in die Mitte: Das achtsame Fokussieren auf die Gegenwart, auf das, was gerade in diesem Moment, im Hier und Jetzt geschieht, hilft sowohl gegen Angst als auch gegen die Depression!  Die verschiedensten Meditationsformen sind dazu ein fantastisches Instrument, jedoch auch Yoga, Tanzen, Singen und Spaziergänge in der Natur.

    Demütigungen und Kränkungen

    Neuere Studien zeigen, dass Demütigungen und Kränkungen zu den häufigsten Ursachen von Depressionen zählen.
    Wie schaff ich in solchen Situationen „Distanz zu mir“?

    Macht mein verarmtes Mikrobiom im Darm mich depressiv?

    In diesem interessanten Zusammenhang wird die Ernährung und die Entzündung bei der Depression immer wichtiger: Lesen Sie dazu weiter unten!
    Dies übrigens eine weitere Erklärung für den Zusammenhang von Dauerstress und Depression: Auch der Stress lässt unsere Darmflora massiv verarmen, was wiederum zur Depression führen kann.

    Besonderes bei der Frau

    Während der depressiven Episoden treten bei Frauen häufiger chronische Müdigkeit, gesteigerte Schläfrigkeit und eine psychomotorische Verlangsamung auf.
    Literatur: Kelly Brogan: „Die Wahrheit über weibliche Depression. Warum sie nicht im Kopf entsteht und ohne Medikamente heilbar ist.“ >> daraus: Die Depression ist ein Symptom. An irgendeiner Stelle im Körper gibt es eine Unausgewogenheit…

    Besonders bei Frauen hilft eine Ernährung, die reich an Gemüse und Ballaststoffen ist und Fleisch, Fast Food und Zuckerprodukte minimiert.
    Frau sollte aber ihr Eisen und Vitamin B12 im Blut messen lassen: zu tiefe Werte können auch depressive Symptome (Müdigkeit…) verursachen.

    Besonderes beim Mann

    Männer hingegen berichten eher von Schlaflosigkeit, motorischer Unruhe und gesteigerter körperlicher Erregbarkeit (auch chronische Schmerzen gehören hier dazu).
    „Male Depression“: Eine Depression äussert sich bei Männern oft untypisch. Männer, die ihre Depression „externalisieren“, versinken weder in Schwermut, noch wirken sie niedergeschlagen oder ziehen sich zurück. Sie nehmen zwar einen starken inneren Druck wahr, fühlen sich aber nicht psychisch krank. Vielmehr fallen sie auf, weil sie plötzlich und uncharakteristisch für ihren Charakter verärgert und gereizt sind, rasch die Be-herr-schung verlieren oder hohe Risiken eingehen, etwa im Strassenverkehr. Solche Auffälligkeiten werden – wenn überhaupt – als Persönlichkeitsstörung oder Neurose fehlinterpretiert. Männer kompensieren häufig durch verstärkten Konsum von Suchtmitteln wie Zigaretten und Alkohol, auch Sex und auch durch starke körperliche Aktivitäten wie Sport. Männer drücken ihr gesundheitliches Befinden weniger differenziert aus, verarbeiten ihre Beschwerden weniger introspektiv, funktionieren weiterhin im Alltag und suchen seltener Hilfe als Frauen.

    • vermehrter sozialer Rückzug, der oft verneint wird.
    • berufliches Überengagement, das mit Klagen über Stress maskiert wird.
    • Abstreiten von Kummer und Traurigkeit.
    • zunehmend rigide Forderungen nach Autonomie (in Ruhe gelassen werden).
    • zunehmende Intensität oder Häufigkeit von Wutanfällen, Impulsivität.
    • Hilfe von anderen nicht annehmen: das „Ich kann das schon allein“-Syndrom.
    • ab- oder zunehmendes sexuelles Interesse.
    • vermehrter bis exzessiver Alkohol- und/oder Nikotinkonsum.
    • anderes Suchtverhalten: TV, Sport, Glücksspiel, Internet etc..
    • ausgeprägte Selbstkritik, bezogen auf vermeintliches Versagen, Versagensangst.
    • andere für eigene Probleme verantwortlich machen.
    • verdeckte oder offene Feindseligkeit.
    • Unruhe und Agitiertheit
    • Chronische Schmerzen (siehe dazu diesen eindrücklichen Bericht bei Piqd www.piqd.de/gesundheit/manner-suchen-seltener-nach-hilfe-das-muss-sich-andern „Frauen suchen Hilfe – Männer sterben!“ Das ist der beunruhigende Titel einer Forschungsarbeit an der Universität Innsbruck. Dahinter steckt die These, dass Depressionen bei Männern oft nicht erkannt werden, weil Männer seltener Hilfe suchen.

      Männliche Vegetarier könnten ein höheres Risiko für Depressionen haben als Männer, die Fleisch essen! Darauf deutet eine Studie der USamerikanischen National Institutes of Health (NIH) mit mehr als 9.600 Männern hin: Vegetarische Kost bei Männern mit mehr Depressionen assoziiert.

      Ein Beispiel männlicher Depression: Nick Kyrgios und seine Ausraster!
      Der australische Tennisstar spricht in einem Interview 10/2020 über den ständigen Druck auf der Profi-Tour.

    Tennisspieler Nick Kyrgios hat seine Ausraster auf dem Platz mit seinem Kampf gegen innere Dämonen erklärt. Er habe Probleme mit Depressionen, sagte der 25-Jährige. «Ich bin eines Tages in Schanghai aufgewacht, es war vier Uhr am Nachmittag, und ich lag immer noch bei gezogenen Vorhängen im Bett. Ich wollte das Tageslicht nicht sehen», berichtete Kyrgios, der für sein temperamentvolles Verhalten berüchtigt ist. Er sei «an einem einsamen, dunklen Ort» gewesen. «Ich fühlte mich, als wäre niemand an mir als Person interessiert. Alle sahen mich nur als Tennisspieler und wollten mich benutzen. Ich verlor die Freude am Spiel und geriet ausser Kontrolle.» Der ständige Druck habe ihn in die Depression getrieben. Zuletzt im 2020 war Kyrgios im Tennisgeschäft die Stimme der Vernunft im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Er verzichtete auf die Teilnahme an den US und den French Open.

    Und seine emotionale Wendung:
    Im Verlaufe des Frühjahrs 2022 begann er konstanter zu spielen. «Ich hatte es einfach satt, die Leute im Stich zu lassen», sagte er nun. «Ich war sehr egoistisch. Ich war deprimiert, bemitleidete mich die ganze Zeit. Das wollte ich ändern. Ich schaute die Menschen um mich herum an, ich wollte sie nicht mehr enttäuschen. Jetzt mache ich sie stolz. Jetzt werden nicht mehr so viele negative Dinge über mich gesagt. Ich wollte das Narrativ verändern.»
    Die Liebe spielt dabei eine wichtige Rolle. Seit vergangenem Dezember ist er mit einer wunderbaren Frau zusammen. Nach seinen Matchs lässt er kaum eine Chance aus, sich bei ihr im Platzinterview zu bedanken.
    Der Unterschied zu früher ist bei Kyrgios, dass er es nun schafft, sich nach seinen Wutausbrüchen und Schimpftiraden wieder schnell zu beherrschen. Er verliert die Kontrolle nicht mehr. Der Ärger geht nicht mehr tief.

    Genau dies berichtet auch der Dalai -Lama, dass selbst er manchmal Ärger verspürt – diesem aber keinen grossen Platz gewährt, so dass dieser nicht tief gehen kann und schnell wieder weg ist.

    Weiterer prominenter Mann: Kevin-Prince Boateng

    Der frühere Fussballprofi fiel während seiner Karriere in eine Depression. Er sagt, wie er diese erlebte – und wie er seinen Stolz beiseitelegen musste, um sie zu überstehen.

    Copyright Tagesanzeiger

    „Solche psychischen Probleme sind natürlich tricky, weil sie sich ganz langsam in dein Leben schleichen. Es gibt nicht den Moment, in dem du sagst: Hier habe ich die Depression gefühlt. Sie kommt langsam, nimmt dir Kraft und Energie oder deinen Willen, irgendetwas zu tun. Und irgendwann sass ich dann da und war komplett leer.“

    Ausdruck einer anderen Krankheit oder einer Medikamenten-Nebenwirkung?!

    Immer muss ausgeschlossen werden, dass diese depressive Symptomatik nicht durch organische Erkrankungen bzw. die Einnahme von Arzneimitteln (Anabolika, Interferon, Isotretinoin, Kortikosteroide, Antibabypille, Antiepileptika) oder Drogen  (Alkohol, Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Kokain, Halluzinogene, Narkotika) verursacht werden.

    Abzugrenzen ist (v.a. beim älteren Menschen) eine Demenz (Alzheimer z.B.), die auch obige Symptome aufweisen kann. Die Orientierung ist bei der reinen Depression jedoch meist normal und in der Demenz gestört. Und die Psychomotorik ist beim Depressiven oft verändert und bei der Demenz meist normal (Genaueres dazu siehe auch hier).
    Ein sehr hilfreiches Instrument dazu ist die Cornell-Skala. Dieser Test umfasst 19 Items, welche Veränderungen der Stimmung, des Verhaltens, vegetativer Funktionen wie Appetit und Schlaf sowie weitere Störungen erfassen. Von anderen Depressionsskalen unterscheidet sich die Cornell-Skala dadurch, dass sie nicht nur durch ein Gespräch mit dem Patienten erhoben wird, sondern sich vor allem auf Beobachtungen der Pflegenden stützt, die im Zeitraum von einer Woche erhoben werden.

    Dann auch Neurologische Erkrankungen wie Zerebrovaskuläre Erkrankungen, Epilepsie, Hydrocephalus, Infektionen (inkl. HIV und Neurosyphilis), Migräne, Morbus Huntington, Morbus Parkinson, Morbus Wilson, Multiple Sklerose, Narkolepsie, Neoplasmen (Krebs), Schlafapnoe, Neurologisches Trauma.

    Dann Internistische Erkrankungen:
    Endokrinologische: Hyperaldosteronismus, Hyper- bzw. Hypoparathyreodismus, M.Cushing, M.Addison, PMS, Schilddrüse (Hypo-, Hyperthyreose).
    Infektionen und rheumatische Erkrankungen: Borreliose, HIV, Hepatitis B, Lues; Rheumatoide Arthritis; Polymyalgia rheumatica; Sjögren Syndrom, Systemischer Lupus Erythematodes; Tuberkulose.
    Diverse: Porphyrie, Urämie; Vitamindefizite (C, B12, Folsäure, Niacin, Thiamin), Eisenmangel.

    Depression (MDD) scheint durch Entzündungen mitverursacht oder verschlechtert (Entzündungsmarker sind regelmässig pathologisch).
    (J Neurol Neurosurg Psychiatry 2012;83:495-502: Depression: an inflammatory illness? Rajeev Krishnadas, J.Cavanagh; a review)
    Bei der Depression findet man auch meist eine Neuroinflammation, eine Entzündung der Nerven und des Hirns, was in einer grösseren Reizbarkeit für Schmerzen, in Hypersensibilitätszustände mündet. Deshalb findet man zusammen mit depressiven Zuständen auch häufig somatische Symptomenkomplexe, wie Reizdarm, Reizblase, Unterleibschmerzen (Beckenschmerzen), Kopfschmerzen – also Schmerzzustände aller Art.
    Man kann sich mit der Neuroinflammation auch erklären, weshalb mässige, aber regelmässige Bewegung die Depression stark bessert, da durch die Muskeltätigkeit ausgelösten Stoffwechselvorgänge die Neuroinflammation wesentlich vermindern.

    (Copyright Prof. Jürgen Sandkühler, Zentrum für Hirnforschung, Medizinische Universität, Wien; http://chr.meduniwien.ac.at)

    Dein Smartphone macht Dich depressiv.

    Generation „Kopf unten“ aufgepasst. Wer sein Smartphone häufig benutzt (also fast jeder), riskiert ernsthafte Depressionen.
    Das haben Forscher der University of Auckland festgestellt.
    Der Grund ist ganz einfach: Wer viel textet und surft, lässt auch viel den Kopf hängen. Buchstäblich.

    Wir bekommen nicht nur bei Selbstwertproblemen und mieser Stimmung eine schlechte Körperhaltung, sondern auch anders herum – eine schlechte Körperhaltung krümmt unseren Geist und dämpft unser Selbstwertgefühl.
    Nichts anderes passiert, während wir aufs Handy schauen: Kopf runter, Schultern runter. Nimm einem, der so da steht, das Smartphone aus der Hand und er sieht aus, als wäre er verdammt deprimiert. Dem Gehirn reicht diese Haltung als Signal, es zieht seinen Schluss aus dieser Haltung.
    Diese Körperhaltung ruiniert neben der Laune auch unser Selbstvertrauen und unsere Leistungsfähigkeit in Tests sowie die generelle Produktivität, ausserdem fällt es uns so schlechter, uns an gute Dinge zu erinnern, während sich die schlechten nur so aufdrängen.
    Über die Therapie dieser Haltungsstörung siehe hier auf dieser Website!

    Und… zum Digital-Detox hier in meinem Blog

    Die Arbeitswelt macht depressiv

    Die Welt des Lebendigen mit seinen Rhythmen und Zyklen (Atmung, Puls, Tag/Nacht, Jahreszeiten…) steht im Widerstreit mit dem modernen Projekt des linearen Fortschritts und des unaufhörlichen Wachstums unserer Wirtschaft, also mit unserer Arbeitswelt. Dies kann depressiv machen und in ein Burnout führen.
    Es braucht einen neue Versöhnung dieser gegensätzlichen Prinzipien, eine Arbeitswelt, in der auch die zyklische Regeneration von uns Menschen, aber auch der Natur um uns Platz hat.
    Vertiefen >>> Sternstunde Philosophie, 01/24 mit Thomas Fuchs, Psychiater und Philosoph

    Spätaufstehen macht depressiv

    Um 23% liesse sich das Risiko einer Depression verringern, wenn Spätaufsteher eine Stunde früher aufstünden (und zu Bett gingen). Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher nach der Auswertung von Daten aus mehreren Studien. Würden Spätaufsteherinnen es schaffen, zwei Stunden früher aus dem Bett zu kommen, liesse sich das Risiko weiter senken. Sie sollten tagsüber möglichst viel Licht bekommen. (Iyas Daghlas u.a.: Genetically proxied diurnal preference, sleep timing, and risk of major depressive disorder. JAMA Psychiatry, 2021)

    Antibabypille und Depression

    Spätestens seit 2016 wird die Depression bei jungen Frauen untrennbar mit der Pille verbunden. Damals zeigte eine grosse Untersuchung aus Dänemark, dass Frauen, die mit der Pille verhüteten, ein um 80 Prozent höheres Risiko hatten, in eine Depression zu rutschen. Die Selbstmordrate war sogar dreimal so hoch wie in der Kontrollgruppe (die absoluten Suizidzahlen lagen mit 71 Fällen unter den 500.000 Befragten allerdings auf sehr niedrigem Niveau).
    Den negativen Einfluss auf die Stimmung bestätigte aber zuletzt im Juni 2023 nochmals eine grosse Studie mit britischen Daten: Hier war das Risiko depressiver Symptome bei Patientinnen, die sich in ihrer Jugend für die Pille entschieden hatten, um 130 Prozent erhöht.

    Diagnostik-Test

    Sich selber testen: PHQ-Test!

    …und eher für Fachkräfte:

    Sehr hilfreich zur Abgrenzung gegen eine Demenz (Alzheimer) ist die oben beschriebene Cornell-Skala, die sich vor allem auf Beobachtungen der Pflegenden stützt.

    Die Hamilton-Skala (Hamilton Rating Scale of Depression – HRSD) ist ein standardisiertes diagnostisches Instrument für den Arzt zur Beurteilung des Schweregrades einer Depression. Die Hamilton Skala dient insbesondere dazu, die Wirksamkeit verschiedener Therapien, z.B. von Medikamenten in Zulassungsstudien, zahlenmässig exakt zu erfassen. Die Skala wurde 1960 von dem deutschstämmigen englischen Psychiater Max Hamilton (”Himmelschein”) eingeführt.
    In der ursprünglichen, auch heute noch oft verwendeten Fassung, werden 21 Symptomenkomplexe systematisch vom Untersucher mit Punkten bewertet.
    Untersuchungspunkte sind z.B. die depressive Stimmung (Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Wertlosigkeit), Schuldgefühle, Selbstmordgedanken, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden, Sexualität, Gewichtsverlust.
    Die Bewertung erfolgt aus dem Punktetotal. Je höher die Punktzahl, um so stärker ist die Depression. 66 ist die höchste, 0 die niedrigste erreichbare Punktzahl. Es gibt keinen “Normalwert”, aber es hat sich eingebürgert, ab 10 Punkten von einer leichten, ab 20 von einer mittelschweren und ab 30 von einer schweren Depression zu sprechen.
    Die Hamilton Scale in Englisch zum Download – Testinstrument für Ärzte, ungeeignet zur Selbstdiagnose!

    Kardiovaskuläre Erkrankungen und Depression

    Diese zwei Krankheiten scheinen häufig gekoppelt zu sein. Nach einem Herzinfarkt besteht ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine Depression und nach Hirnschlag ein 3-faches oder höher (Lesperance et al. Psychosomat Med 1996; Morris et al. Am J Psychiatry 1993).

    Depression fördert gestörte Schmerzwahrnehmung im Darm und damit den Reizdarm

    Depression und Angststörungen sind häufige, d.h. in etwa 40% Komorbiditäten des Reizdarmsyndroms. Aktuelle Daten weisen nun in Richtung einer gestörten Verarbeitung viszeraler Schmerzreize in den Gehirnen von IBS-Patienten (Neuroinflammation). Diese Auffälligkeiten sind umso ausgeprägter, wenn Patienten deutlichere Anzeichen einer Depression zeigen. Sie sind weniger gut in der Lage, Schmerzsignale aus dem Darm zentral zu unterdrücken.

    Zudem gibt es einen klaren Zusammenhang einer verarmten Darmbesiedlung (ungünstiges Mikrobiom) mit der Depression: siehe hier: Mikrobiom-und-Depressionen.pdf!

    Es existiert aber das Paradoxon!
    Männliche Vegetarier könnten ein höheres Risiko für Depressionen haben als Männer, die Fleisch essen! Darauf deutet eine Studie der USamerikanischen National Institutes of Health (NIH) mit mehr als 9.600 Männern hin:
    Vegetarische Kost bei Männern mit mehr Depressionen assoziiert.pdf

    Familiär gehäuft

    Es gibt Dispositionen zur Depression (gehäuft in Familien). Es existiert dann der Aspekt einer sog. Vererbung. Ich sage „sogenannt“, da genauso bei einer familiären Situation das Erleben der Nichtkontrolle von Unangenehmen eine Verringerung der Motivation, eine Passivität, eine Hilflosigkeit hervorrufen kann (also doch keine „Vererbung“).

    Das erschöpfte Selbst

    Die heutige Häufung von Depressionen und Suchtkrankheiten aller Art führt man auch auf die Überforderung des heutigen Menschen zurück, in Erfüllung des Versprechens der autonomen Persönlichkeit jederzeit für alles selbst verantwortlich sein zu sollen. Depressiv wird der Mensch demnach nicht, weil ihm Möglichkeiten verwehrt bleiben, sondern weil er die Illusion ertragen muss, dass ihm alles möglich ist. Unter diesem Druck fällt er empfindungslos zusammen und explodiert in der Sucht nach Reizen.
    Drückte Menschen früher eher die Tatsache nieder, dass sie keine (oder kaum eine) Wahl hatten – wobei sie eben darin Statussicherheit, eventuell auch Seelenruhe finden konnten – wird nunmehr die Wahl die Norm und die Unsicherheit ihr Preis.

    Bewegungsarmut und Depression

    Sicher 40% aller leichten Depressionen kommen ursächlich aus einem Bewegungsmangel im Alltag! Das Risiko ist um das Dreifache verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung erhöht. Weiterlesen >>>

    Endogen?

    „Endogene“ Depression (also von innen kommend) heisst vorerst mal: nicht induziert (z.B. durch andere schwere psychische oder körperliche Krankheit), nicht postinfektiös (nach schwerer Infektionskrankheit), nicht traumatisch (z.B. frühkindliche Trennung) – nicht „reaktiv“ also.
    „Endogen“ wurde auch wieder populär, da der Hirnstoffwechsel von Depressiven offensichtlich anders funktioniert und dies der Ansatz der antidepressiven Medikamente ist, die diesen Stoffwechsel wieder normalisieren und damit der Mensch überhaupt wieder fähig ist, die Denkmuster zu verändern. Diese Hirnstoffwechselstörung als Ursache und nicht als sekundäres Phänomen zu sehen, ist aber rein hypothetisch.
    Wir als Betreuer müssen die Hoffnung übernehmen, weil wir wissen, das Medikamente und Psychotherapie helfen können. Wir müssen die Frequenzen wieder etwas zum schwingen bringen („es gilt das Herz zu rühren, des Königs steinern Herz…“). Denn die Sinne etwas wahrzunehmen, sind beim Depressiven immer noch offen – im Gegensatz zum Geist.

    Burnout und Depression

    Es ist umstritten, wo die Definition eines „Burnout“ beginnt und wo die einer „Depression“ aufhört. Überschneidungen sind gross – Unterscheidung nur partiell möglich. Die Prophylaxe beider Zustände ist ähnlich – die Therapie zum Teil und betrifft beim Burnout häufiger in Arbeitssituationsverbesserungen: siehe dazu die eigene Seite über das „Burnout“ auf dieser Website.

    Therapieansätze

    Was tun?

    Als Hausarzt interessiert mich zuerst mal:
    Wie steht es um Ihre engsten Beziehungen?
    Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Wohnsituation?
    Und wie am Arbeitsplatz?
    Dies wären die drei wichtigsten Bereiche des Lebens, die zu körperlicher und seelischer Gesundheit beitragen. Stimmt es hier nicht, kann eine Depression die Folge sein.
    Es sind auch vor allem in obigen drei Dingen die eigenen Bedürfnisse, der „Innere Ruf“, deren Nicht-Befolgen in eine Depression münden kann!

    Bei einer Depression kommt es darauf an, sich gerade gegenteilig zu verhalten wie mit Depression. Also etwa so:

    • Kopf rauf. Blick nach vorn.
    • Sorgfältige Kleidung tragen. Sich schön machen.
    • Musik. Singen unter der Dusche – und ausserhalb (siehe unten).
    • Sport. Rausgehen.
    • Mit allen möglichen Leuten zu Spaziergängen abmachen.
    • Ein Internet/Social Media welches mir dient und von dem ich nicht beherrscht werde!

    Chorsingen hilft gegen Depressionen. Dies zeigt eine Übersichtsstudie der University of Queensland, Australien. Die Forscher analysierten dazu sieben Studien und fanden heraus: Durch das Gruppensingen fühlten sich die Teilnehmer weniger psychisch belastet. Regelmässiges Chorsingen macht Menschen emotional stärker und gibt ihnen Lebenssinn.
    („The European Journal of Health“, 2018)

    • Immer sollten persönliche, soziale Missstände aufgedeckt, angeschaut und verändert werden. Auch deshalb ist eine Gesprächs- oder andere Psychotherapie (auch eine Paartherapie kann sehr förderlich sein) bei einem Psychologen/-In oder psychotherapeutisch ausgebildeten Psychiater oder Hausarzt sehr erlösend. Ihr Hausarzt kennt gute Adressen oder kann Ihnen auch selbst mit Gesprächen und ev. sogar Medikamenten helfen. Er sollte auch seltene Ursachen, die zu denselben Symptomen führen können, ausschliessen (z.B. Veränderungen des Hirns).
      Schwerpunkte der Paartherapie bei Depression ist die Förderung der Kohäsion des Paares, der gegenseitigen Unterstützung, der Kommunikation der Partner, der gegenseitigen Akzeptanz und der Unabhängigkeit/Autonomie – aber auch der Abbau von ambivalentem Verhalten, Drohungen bezüglich Trennung, abschätziger Kritik/Abwertung, inadäquater Unterstützung und der Monotonie in der Beziehung (siehe auch meine Seite über „besseren Sex“!).
      Zur Persönlichkeitstheorie siehe hier oben >>>
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    • Bezwingen Sie negatives Denken:
      Alle Menschen haben die Tendenz, mehr über schlechte Erfahrungen nachzudenken als über positive. Das ist eine evolutionäre Anpassung – das Überwinden von gefährlichen oder verletzenden Situationen, die uns im Laufe des Lebens begegnen (Mobbing, Trauma, Verrat), hilft uns, sie in Zukunft zu vermeiden und in einer Krise schnell zu reagieren.
      Aber das bedeutet, dass Sie etwas härter arbeiten müssen, um Ihr Gehirn zu trainieren, negative Gedanken zu überwinden. Und so geht’s:
      Versuchen Sie nicht, negative Gedanken zu stoppen.
      Wenn Sie sich sagen: „Ich muss aufhören, darüber nachzudenken“, werden Sie nur noch mehr darüber nachdenken. Machen Sie sich stattdessen Ihre Sorgen zu eigen. Wenn Sie sich in einem negativen Kreislauf befinden, benennen Sie ihn: „Ich mache mir Sorgen um Geld.“ „Ich bin besessen von den Problemen auf der Arbeit.“ Behandeln Sie sich selbst wie einen Freund.
      Wenn Sie sich selbst gegenüber negativ eingestellt sind, fragen Sie sich, welchen Rat Sie einer Freundin geben würden, die niedergeschlagen ist. Versuchen Sie nun, diesen Rat auf sich selbst anzuwenden. Stellen Sie Ihre negativen Gedanken in Frage.
      Sokratisches Hinterfragen ist der Prozess des Hinterfragens und Änderns irrationaler Gedanken. Studien zeigen, dass diese Methode Depressionssymptome reduzieren kann. Das Ziel ist, Sie von einer negativen Denkweise („Ich bin ein Versager.“) zu einer positiveren zu bringen („Ich habe in meiner Karriere viel Erfolg gehabt. Dies ist nur ein Rückschlag, der nicht auf mich zurückfällt. Ich kann daraus lernen und besser werden.“) Hier sind einige Beispiele für Fragen, die Sie sich stellen können, um negatives Denken herauszufordern. Schreiben Sie zunächst Ihren negativen Gedanken auf, z. B. „Ich habe Probleme bei der Arbeit und zweifle an meinen Fähigkeiten.“
      Fragen Sie sich dann: „Was sind die Beweise für diesen Gedanken?“
      „Beruht er auf Fakten? Oder auf Gefühlen?“
      „Könnte ich die Situation falsch interpretieren?“
      „Wie könnten andere Menschen die Situation anders sehen?
      „Wie würde ich diese Situation sehen, wenn sie jemand anderem passiert wäre?“ Die Quintessenz: Negatives Denken passiert uns allen, aber wenn wir es erkennen und dieses Denken hinterfragen, machen wir einen grossen Schritt in Richtung eines glücklicheren Lebens.

      Dann machen Sie die »Was gut gelaufen ist«-Übung:

      Es gibt gute evolutionäre Gründe dafür, dass die meisten von uns nicht annähernd so geübt darin sind, der guten Ereignisse eingedenk zu sein, wie sie im Analysieren unglücklicher Vorfälle sind. Jene unter unseren Vorfahren, die viel Zeit damit verbracht haben, sich im Sonnenschein angenehmer Ereignisse zu räkeln, während sie sich besser auf Schlimmes vorbereitet hätten, haben die Eiszeit nicht überlebt. Um also die natürliche Neigung unseres Gehirns, sich auf Katastrophen einzustellen, überwinden zu können, müssen wir an der Fähigkeit des Denkens an Dinge, die gut gelaufen sind, arbeiten und sie einüben. Nehmen Sie sich in den folgenden Wochen jeden Abend, bevor Sie ins Bett gehen, zehn Minuten Zeit für diese Übung. Schreiben Sie drei Dinge auf, die heute gut gelaufen sind und warum sie gut gelaufen sind. Sie können ein Tagebuch oder Ihren Computer dazu verwenden, diese Ereignisse festzuhalten, aber es ist wichtig, dass Sie eine greifbare Aufzeichnung besitzen. Die drei Dinge müssen nicht weltbewegend wichtig sein (»Mein Mann hat heute auf dem Heimweg mein Lieblingseis zum Nachtisch besorgt«), aber sie können das natürlich auch sein (»Meine Schwester hat heute einen gesunden Jungen zur Welt gebracht«). Beantworten Sie nach der Benennung des positiven Ereignisses auch die Frage: »Warum ist es dazu gekommen?« Wenn Sie zum Beispiel geschrieben haben, dass Ihr Mann Eiscreme besorgt hat, dann notieren Sie: »Weil mein Mann manchmal sehr aufmerksam ist« oder »Weil ich daran gedacht habe, ihn anzurufen und ihn daran zu erinnern, in den Supermarkt zu gehen«. Oder wenn Sie geschrieben haben: »Meine Schwester hat gerade einen gesunden Jungen zur Welt gebracht«, dann könnten Sie als Grund angeben: »Weil der liebe Gott es gut mit ihr meint« oder »Weil sie während der Schwangerschaft alles richtig gemacht hat«.

      Darüber zu schreiben, warum die positiven Ereignisse in Ihrem Leben geschehen sind, mag sich zuerst seltsam anfühlen, aber bleiben Sie eine Woche lang dabei. Es wird immer leichter werden. Es ist wahrscheinlich, dass Sie nach etwa sechs Monaten geradezu süchtig nach dieser Übung sind und weniger deprimiert und glücklicher sein werden.
      (aus:
      Flourish – wie Menschen aufblühen: Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens, Martin Seligmann)

    • Das beste antidepressiv wirksame Medikament ist die ERNÄHRUNG!
    • Nichts bringt besser positive Gefühle zum Vorschein als Essen, das mit Liebe gekocht wurde.
    • Vegetarische Ernährung verbessert stark unser Mikrobiom (Darmbesiedlung mit Bakterien) und damit eine Depression! Dies gilt vielleicht für Männer nicht!
      Dabei aber das Eisen und Vitamin B12 im Blut im Auge behalten, da eine Mangel Depressions- ähnliche Symptome (Müdigkeit…) machen kann.
    • Kurzfasten, optimal als 16:8 wirkt antidepressiv, wahrscheinlich über eine stark antientzündliche Wirkung (gegen die Neuroinflammation).
    • Viel Fisch, aber auch Walnüsse, Oliven-, Raps- und Leinöl in der Ernährung stabilisiert auch die Seele. Ein niedriger Omega-3-Fettsäuren-Spiegel führt zu Serotoninmangel, was depressive Störungen hervorrufen kann.
      Ein Therapieversuch mit Fischöl-Kapseln jedoch scheint nach neusten Studien sogar kontraproduktiv! Eine Studie mit rund 18 ​000 Probanden aus dem Jahr 2021 gezeigt, dass bei über 50-jährigen Personen, die Omega-3 mit Fischölkapseln supplementierten, das Risiko einer Depression anstieg.
      V.a. in der Schwangerschaft hat die Mutter einen besonders hohen Omega-3-Bedarf – das Depressionsrisiko ist dann auch massiv erhöht. Fettiger Meerfisch und Leinöl (jeden Tag ein bis zwei Esslöffel) sind also in der Schwangerschaft sehr wichtig.
    • Eine Mediterrane Diät (Vollkornprodukte, Gemüse, Hülsenfrüchte, Früchte, Fisch, low-fat und ungesüsste Milchprodukte, mageres rotes Fleisch, Geflügel, rohe ungesalzene Nüsse, Eier, Olivenöl, …), bis 2 Gläser Wein pro Tag) wirkt prophylaktisch und auch therapeutisch gegen eine Depression! (http://www.evimed.ch/journal-club/artikel/detail/therapie-einer-depression-mit-diaet/)
    • Wer im Alter Depressionen vorbeugen möchte, sollte grünen Tee trinken – vier Tassen pro Tag halbieren das Risiko nahezu! (Takahashi H, Am J Clin Nutr 2009; 90: 1615-1622)
    • Dunkle Schokolade: Neuere Studien zeigen eine klar antidepressive Wirkung. „Das Problem ist, wenn man Menschen sagt, dunkle Schokolade sei gut, dann essen sie wahrscheinlich eine Menge dunkler Schokolade anstelle von Obst und Gemüse. Vor allem ist aber Bewegung und eine gute, ausbalancierte Ernährung wichtig“, betont Riba im Begleittext der Studie.
    • Mehr über Ernährung und Depression hier in meinem Blog: http://walserblog.ch/2015/10/09/brainfood/ !
    • Depression und Hypnose:
      Hypnose ist weit mehr ist als ein billiger Trick – auch bei Depression und Angst. Ihre Wirksamkeit wurde wiederholt wissenschaftlich belegt. Es existieren mehrere Metaanalysen, das sind Auswertungen möglichst aller relevanten Studien, die es zu einem Thema gibt. Zwei Metaanalysen von 2019 stellen eine Wirksamkeit bei Depressionen und Angstzuständen fest.
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    • Depressionen und psychodelische Drogen wie Ketamin!
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    • Der Verzicht auf die eigene Bedürfnis kann in eine DEPRESSION führen!
      Fragen nach den Ausnahmen: kein Problem ist ständig da oder immer gleich stark. Also Fragen nach problemfreien oder problemarmen Zeiten…
      Hier ist besonders wichtig, welche Teile des Lebens noch gelingen, wo es Inseln des Erfolges und der Zufriedenheit gibt. Was macht trotz Depression noch Freude oder was hat früher Freude bereitet (Freudentagebuch!)?!
      Welche positiven Effekte hat die Depression im System, im Lebenszusammenhang?
      z.B. Ich bekomme eine Pause, wenn ich überfordert bin… ich werde in Ruhe gelassen…
      Ich werde endlich beachtet und ein wenig versorgt… die anderen verlangen nicht mehr soviel von mir…
      Ich kann erleben, wer wirklich für mich da ist, wer mich wirklich so liebt, dass er auch so zu mir steht…
      Depressives Verhalten führt oft dazu, dass andere mehr Verantwortung übernehmen, mehr Rücksicht nehmen… So tritt Entlastung für den Leidenden auf…
      Eine Art Notbremse, ein Frühwarnsystem…
      Normalerweise kann ich nicht Nein sagen – jetzt geht es nicht anders…

    Lösungsorientiert ist auch die „Wunderfrage„: Wenn über Nacht ein Wunder passieren würde und das Problem würde wie weggezaubert aus dem Leben verschwinden: Was wäre morgen anders?
    Woran würdest Du nach dem Aufwachen als Erstes bemerken, dass das Problem weg ist? Ganz konkret?
    Was würdest du am Morgen danach als Erstes tun? Was dann?
    Wer würde als Erster bemerken, dass das Problem weg ist? Wer dann?
    Was würdest du am meisten vermissen in deinem Leben, wenn das Problem plötzlich weg wäre?
    Wenn du einen Grossteil der Probleme bewältigt hast, wie sehe dann dein Leben aus, was würdest du anders machen als heute?
    Woran würden die anderen eine Behebung/Verbesserung des Problems festmachen?
    Wer würde am meisten überrascht sein?
    Wer würde stark, wer schwach und wer gar nicht darauf reagieren, wenn es weg wäre? Wie stark würde jeder reagieren? Kannst du dies auf einer Skala von 1 bis 10 einschätzen (je höher der Wert, desto grösser die Reaktion)?

    • Achtsamkeitstraining, z.B. die Mindfulness-BasedCognitiveTherapy (MBCT) kann den Betroffenen einen Weg weisen, ihren Ängsten und depressiven Episoden entgegenzutreten, sich selbst aus den düsteren Gedankenzirkeln zu befreien und vor Rückfällen zu schützen. Achtsamkeit hilft, satt im Tun-Modus, im Sein-Modus offen zu sein für die Erfahrung im jeweiligen Augenblick, ohne sie verändern zu wollen.
      Literatur dazu: Petra Meibert: Der Weg aus dem Grübelkarussel. Achtsamkeitstraining bei Depression, Ängsten und negativen Selbstgesprächen. Das MBCT-Buch. Kösel, 2014.
      Siehe dazu auch die zeitliche Zusammenhang zwischen Depression und Angst – und der Ausweg über die „Mitte“, über das „Hier und Jetzt“!
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    • Sicher 40% aller leichten Depressionen kommen ursächlich aus einem Bewegungsmangel im Alltag! Das Risiko ist um das Dreifache verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung erhöht.
      Hier wird auch immer als zentrales Thema, die Besserung einer Neuroinflammation durch Bewegung angesehen.
      Was also bei Depressionen immer auch positiv wirkt sind tägliche Waldläufe, Wanderungen oder andere körperliche Betätigungen (Joggen: siehe hier!) (30 Minuten täglich, gemäss British Journal of Sports Medicine, Bd.35, S.114 – siehe auch Lawlor DA, Hopker SW. BMJ 2001; 322: 763-7).
      Die Dosis macht‘s! Sport scheint die seelische Gesundheit deutlich zu verbessern – doch zu viel bewirkt das Gegenteil! In einer Querschnittsstudie zeigten 3 bis 5 Trainingseinheiten mässiger Intensität pro Woche zu je 45 Minuten die besten Ergebnisse. (Sammi R. Chekroud und Kollegen in Lancet Psychiatry, 2018). Mehr war viel schlechter!
      Bei 44% aller leichten Depressionen ist der Bewegungsmangel sogar die Ursache!
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      Eine Metaanalyse mit 218 Originalarbeiten (14 170 Teilnehmende, 495 Behandlungsarme) verglich den antidepressiven Effekt verschiedener Sportarten gegenüber herkömmlichen Behandlungsoptionen (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [SSRI], Psychotherapie). Den besten Erfolg zeigten Spazieren («walking»), Joggen, Yoga und Krafttraining, wobei die Wirksamkeit mit der Intensität der Aktivität korrelierte. Insgesamt waren die erzielten Behandlungseffekte vergleichbar mit psychotherapeutischen und pharmakologischen Ansätzen, auch schnitt die Kombination von SSRI und Aktivität besser ab als die isolierte medikamentöse Therapie. Die Studie unterstreicht damit den wichtigen Stellenwert körperlicher Aktivität in der Behandlung einer Depression. (BMJ. 2024, doi.org/10.1136/bmj-2023-075847)
    • Schaukeln hilft auch: Es sollten aber schon ein bis zwei Stunden täglich sein (Schaukelstuhl, etc.
    • Yoga ist nicht nur gut für den Körper, sondern es ist auch gleich wirksam wie eine Psychotherapie. Zu diesem Ergebnis kommen Psychologen der Universität Jena. Sie werteten 25 Studien mit über 1300 Personen aus. Alle von ihnen machten klassisches Hatha-Yoga mit Atem- und Körperübungen, um psychische Störungen wie Depression, Süchte oder Ängste zu behandeln.(Deutsches Ärzteblatt,2016 – Studie aus Jena)
    • Neu wird auch wieder „partieller Schlafentzug“ als äusserst erfolgreich beschrieben: Während der zweiten Nachthälfte müssen sie wach bleiben (d.h. Wecker auf 2 – 3 Uhr stellen, falls sie um 22 oder 23 Uhr ins Bett gehen). In einer Woche wiederholen sie dies in drei Nächten und stoppen dann wieder. Dies ergibt bereits in 2/3 aller Fälle eine anhaltende Besserung. Bereits nach der ersten Nacht merken sie übrigens genau, ob diese Methode bei ihnen anschlägt, denn schon dann sollte eine klare stimmungsaufhellende Wirkung vorhanden sein.
      Der Nachteil dieser Therapie liegt auf der Hand: die Müdigkeit.
      An der Freiburger Uniklinik wird deshalb ein anderes Verfahren erprobt: der Schlafentzug mit anschliessender Schlafphasenverschiebung. Nach einer vollständig durchwachten Nacht dürfen die Patienten täglich sieben Stunden schlafen, allerdings zu vorgezogenen Zeiten: in der ersten Nacht von fünf Uhr nachmittags bis Mitternacht, in der zweiten von sechs bis eins usw., bis sie nach einer Woche wieder gewöhnliche Schlafenszeiten erreicht haben.
      Bei Depressiven scheint in irgendeiner Weise die Synchronisierung von Schlaf-Wach-Zyklus und inneren Rhythmen gestört zu sein. Dafür gibt es verschiedene Anhaltspunkte: Viele Patienten fühlen sich morgens besonders mies und abends relativ gut. Diese Leute sprechen übrigens besonders gut auf Schlafentzug und Schlafphasenverschiebung an!
      Ausserdem wirkt der partielle Schlafentzug in der zweiten Nachthälfte etwas besser als in der ersten. Und Vormittagsnickerchen nach einer durchwachten Nacht führen häufiger zu einem Rückfall in die Depression als Nachmittagsnickerchen.
      Dies alles bestätigt eine Hypothese, dass es in den frühen Morgenstunden eine kritische Phase gibt. Schläft ein depressiver Mensch zu diesem Zeitpunkt, wird eine Art Schalter umgelegt, der die Stimmung verschlechtert. Bleibt er hingegen in der kritischen Phase wach, umgeht er den Absturz in die Schwermütigkeit.
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    • Lichttherapie: Winterdepressionen, d.h. depressive Verstimmungen in der sonnen- und lichtarmen Jahreszeit (auch saisonale Depression genannt, seltener existiert also auch eine Sommerdepression!) kann durch morgendliches (zwischen 5:30 und 9:00) anstrahlen von 2’500 (für ein bis zwei Stunden) bis 10’000 (während 30 Minuten) Lux-Lampen (weisse Leuchtstoffröhren) sehr positiv beeinflusst werden. Bereits nach 10 bis 14 Tagen hebt sich die Stimmung. Es wird empfohlen, eine Lichttherapie solange durchzuführen, bis die Frühjahrssonne wieder mehr Licht liefert. (z.B. Archives of general Psychiatry, Vol. 58, No.1 (2001), S.69 – 75).

      Eine Möglichkeit „natürlicher“ Lichttherapie besteht darin, dass die Morgendämmerung simuliert wird: noch während die Betroffenen schlafen, wird ein Licht eingeschaltet und über ein bis zwei Stunden langsam heller gemacht, bis zur ungefähren Aufwachzeit die volle Lichtstärke erreicht ist.
      Winterdepressionen sind (im Gegensatz zur selteneren Sommerdepression) häufig von so genannten atypischen Depressionssymptomen begleitet; dazu gehören zum Beispiel vermehrter Schlaf und verstärkter Appetit (vor allem für Süsses) mit Gewichtszunahme.
      Auf www.chronobiology.ch findet sich eine Liste, welche die Schweizer Institutionen angibt, in denen eine Lichttherapie möglich ist. Diese Seite liefert auch weitere nützliche Infos, wie z.B. Adressen von Firmen, die Tischgeräte für die Heim-Lichttherapie vertreiben.
      Gemäss neueren Studien hilft die Lichttherapie aber auch sämtlichen über 60jährigen mit Major Depression: 1 Stunde morgens mit ca. 7500 Lux! (Arch Gen Psychiatry 68(1):61-70, January 2011 © 2011 to the American Medical Association; Bright Light Treatment in Elderly Patients With Nonseasonal Major Depressive Disorder-A Randomized Placebo-Controlled Trial. Ritsaert Lieverse, Eus et Al.)
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    • Botulinumtoxin unter die Haut zwischen die Augen gespritzt, dort wo sich die Zornesfalten bilden, kann eine (auch schwere) Depression stark verbessern.
      Als Begründung wird die sogenannte Facial-Feedback-Hypothese angesehen, eine gegenseitige Wechselwirkung von Emotionen und der Mimik (die umgekehrte Abhängigkeit ist ja altbekannt). Als Beispiel sind die Versuche bekannt, dass Menschen Comics anschauen und dabei einen Stift nur mit den Zähnen und nicht mit den Lippen im Mund halten. Diese Aktivierung der Lachmuskeln macht, dass die Comics lustiger empfunden werden!
      Diese Rückkoppelung vermag Botulinumtoxin nun offenbar zu unterbrechen.
      (J Psychiatr Res. 2012 Feb, Facing depression with botulinum toxin: A randomized controlled trial. Wollmer)
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    • Bei älteren Menschen mit Depression wirkt auch sehr gut:
      – mehr Kinobesuche
      – mehr Konzerte, Opern, Theater,…
      – mehr Kunstausstellungen!
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    • Medikamente Antidepressiva:
      Antidepressiv wirkende Medikamente (SSRI) können allein genommen oder mit Psychotherapie kombiniert werden. Sie sind laut umfassenden und neueren Studien leider nicht so wirksam, wie sie dargestellt werden. Psychotherapie ist bei leichten und mittelgradigen Depressionen wirksamer, als Medikamente es sind. Das gilt nicht unbedingt für die Akutbehandlung, wohl aber für die Wirkung auf lange Sicht.. Medikamente führen nach Absetzen häufiger zu einem Rückfall. Das Risiko für eine erneute depressive Episode steigt nach erfolgreicher Behandlung durch ein Medikament allein um das Drei- bis Fünffache. Bei frühzeitiger psychotherapeutischer Behandlung sinkt aber das Risiko für weitere Depressionen (Robert DeRubeis, Nature Review Neuroscience).
    • Antidepressiva können die Plastizität erhöhen – unter bestimmten Bedingungen:
      Auch herkömmliche Antidepressiva erhöhen die Plastizität im Gehirn, wie Forscher beim Ketamin gefunden haben, und zwar, indem sie an Kalzium-Kanäle von Nervenzellen andocken. Sie binden ausserdem – genauso wie Ketamin – an spezielle Rezeptoren der Hirnzellen und verändern deren Gestalt, sodass ein bestimmter Wachstumsfaktor besser andocken kann. Er sorgt dafür, dass mehr dieser Rezeptoren in die Hülle der Nervenzellen eingebaut werden und verstärkt so die Übertragung von Signalen (Cell: Casarotto et al., 2021).
      Und schliesslich könnte die neue Hypothese sogar eine Erklärung dafür liefern, warum Antidepressiva kein Allheilmittel sind und nicht in jedem Fall helfen. Dass sich Hirnzellen besser verschalten, ist nämlich nur die Grundbedingung für die Genesung. Medikamente können ein Fenster öffnen. Aber damit sich wirklich etwas zum Guten verändert, muss es draussen etwas Neues zu sehen geben.
      Zum Umlernen braucht es beides, Plastizität im Hirn und neue Erfahrungen: Aktivitäten, die Freude bereiten; Menschen, die einem guttun. Und manchmal eine Psychotherapie.
      Tatsächlich wirkt die Kombination von Antidepressiva und Psychotherapie besser als jede der Behandlungen allein, das zeigen verschiedene Metaanalysen (World Psychiatry: Cuijpers et al., 2020,Depression and Anxiety: Cuijpers et al., 2009, Psychological Medicine: Kamenov et al., 2017 ). Diese Situation wird mit einer Autopanne verglichen: Antidepressiva können das Auto reparieren, aber welche Richtung die Patienten danach einschlagen, hängt von vielen Faktoren ab. Eine Psychotherapie wirkt wie eine Beschilderung, die den Weg zur Genesung zeigt.
    • Die Erkenntnisse der Forscher fügen sich allmählich zu einem neuen Bild der Depression – und der Effekte von Antidepressiva: Die Medikamente wirken vermutlich gar nicht per se stimmungsaufhellend, sondern ermöglichen vor allem Veränderung, indem sie Menschen empfänglicher für Einflüsse von aussen machten.
      Das würde auch den merkwürdigen Befund der Wissenschaftlerinnen vom Istituto Superiore di Sanità erklären: Wenn das soziale Umfeld stabil ist, können die Medikamente dessen positiven Wirkungen verstärken. Wenn aber Beziehungen und Sicherheit fehlen, dann können die Pillen auch diese negativen Einflüsse verschärfen!
      Umso wichtiger ist es also, dass besonders Patientinnen und Patienten in schwierigen sozialen Situationen nicht nur Antidepressiva, sondern auch Unterstützung von Psychotherapeuten erhalten. Die Realität sieht jedoch anders aus: Gerade Kranke mit niedrigem Einkommen, einem geringen Sozialstatus und ohne Arbeit bekommen häufiger Psychopharmaka auf Dauer verschrieben. Und wer weniger gebildet ist, nimmt seltener eine Psychotherapie in Anspruch.
      Zudem leiden Menschen mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung ohnehin fast doppelt so häufig unter Depressionen wie Menschen mit einem hohen sozialökonomischen Status.
      Diejenigen, die es ohnehin nicht leicht haben, trifft es also gleich dreifach schwer: Sie bekommen eher eine Depression, ihnen helfen Antidepressiva offenbar im Schnitt weniger gut und sie erhalten seltener eine Psychotherapie. Höchste Zeit, nicht ein vermeintliches chemisches Ungleichgewicht zu behandeln – sondern ein soziales.
      (zitiert aus der ZEIT, 28. März 2023, von Stefania Kara)
    • Antidepressiva nützen nur, wenn der Patient diese auch will und sich eine gute Wirkung erhofft!
    • Medikamentöse antidepressive Therapie beginnt man mit niedriger Dosierung, eventuell zusammen mit Tranquilizer oder Hypnotikum, gibt möglichst rasch eine mittlere Dosis und wechselt das Mittel, wenn keine Zustandsverbesserung nach 3-4 Wochen und Maximaldosis während 10-14 Tagen.
      Auch ein hochdosiertes Johanniskraut-Extrakt über mindestens 3 und mehr Monaten eingenommen, kann wesentlich erleichtern. (Achtung: zahlreiche Interaktionen, die wahrscheinlich zum Teil auf Induktion CYP-450-abhängiger Enzyme beruhen, sind inzwischen beschrieben: erniedrigte Plasmaspiegel von oralen Antikoagulanzien, Digoxin, Ciclosporin, Theophyllin und trizyklische Antidepressiva, Durchbruchblutungen unter desogestrolhaltigen Antibabypillen und Symptome eines Serotoninsyndroms bei Kombination mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (neuere Antidepressiva). Zwei Wochen Abstand zwischen Einnahme von Johanniskraut und den Antidepressiva, aber auch vor Operationsnarkosen (!) erscheint ratsam. (arznei-telegramm 1/2000, 15)
    • Psychedelika (Ketamin) gegen Depressionen
      Wie wirkt dies?
      Der Körper wird leicht und schwebt.
      Das unaufhörliche Rasen negativer Gedanken stoppt. Plötzlich kann man sich auf ein Detail im Raum oder einen kleinen Teil seines Körpers konzentrieren.
      Es ist erleichternd, einfach mal eine Pause vom eigenen Kopf zu haben.
      Diese Leichtigkeit, diese Pause zu erfahren, ist wichtig für Patienten, die schon monatelang depressiv sind. Ketamin zeigt ihnen, dass dieses gute Gefühl noch in ihnen steckt, nur durch die Depression verschüttet.
      Man muss verstehen, was eine Depression mit der Lernbereitschaft des Menschen zu tun hat. Lernen ist eine wichtige Aufgabe des Gehirns. Wenn ich viel Französisch spreche, werde ich mit der Zeit immer besser. Das funktioniert, weil sich die Zellen im Hirn neu verdrahten.
      Die Depression dagegen ist eine Fehlfunktion des Lernens. Patienten kreisen immer um das gleiche Problem oder kommen nicht über ein Trauma hinweg. Heilung bedeutet, dass sie lernen, aus diesen Gedankenschleifen auszubrechen und eine andere Sichtweise auf ihr Problem einzunehmen.
      Man nimmt an, dass Psychedelika bei diesem Lernprozess helfen, indem sie die Neuroplastizität erhöhen. Das bedeutet: Die Nervenzellen werden kommunikativer. Ihre Zellfortsätze verlängern und verästeln sich. Sie wachsen zu Bäumchen und nehmen Kontakt mit Nachbarn auf.
      Wenn die Nervenzellen Bäume sind, so sind Psychedelika ihr Dünger. Sowohl Ketamin als auch klassische Psychedelika sorgen dafür, dass die Zellen der äusseren Hirnrinde ein Molekül herstellen, das die Nervenzellen anregt, zu wachsen und sich zu vernetzen. Unklar ist noch, wie lange die erhöhte Neuroplastizität anhält.
      Aber selbst wenn der Patient nur ein begrenztes Zeitfenster gewinnt, um aus der Blockade, die die Depression auslöst, herauszufinden, reicht das, um eine neue Erfahrung zu machen. Traut er sich wieder aus dem Haus, dann hat bereits eine Verhaltensänderung, ein Lerneffekt stattgefunden. Und das motiviert, weiter an der Depression zu arbeiten.
      Man kann sich das auch so vorstellen: Bei einer Depression laufen die Gedanken wie auf einer vorgespurten Loipe im Schnee. Und das immer wieder in der gleichen Spur. Einmal drin, kommt man schwer wieder raus. Psychedelika verwischen diese Loipe. Sie erlauben den Gedanken, neue Spuren durch den Schnee zu finden.

    …und dann noch:

    • Viele Internetseiten versprechen Hilfe bei depressiven Störungen. Doch welche wirken? Zu den von der Stiftung Warentest als wirksam getesteten Angeboten zählt moodgym.de.
      Fünf Übungsblöcke auf verhaltenstherapeutischer Basis helfen bei leicht depressiver Symptomatik, neue Wahrnehmung zu trainieren und unterstützendes Verhalten zu lernen, beispielsweise belastende Gedankenmuster durch neue zu ersetzen.
    • Depression & Erschöpfung:
      kostenlose Onlinetrainings von Universitäten-Gruppe:
      https://geton-training.de/: bei Tumorerkrankungen; bei koronaren Herzkrankheiten; bei Diabetes; bei Rückenschmerz und Arbeitsunfähigkeit
    • und ein interessantes Buch zum Thema:
      David Servan-Schreiber: Die neue Medizin der Emotionen: Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente, 2003, Goldmann.
    • Liebe und Kunst helfen uns, unsere Melancholie in gute Bahnen zu lenken – das Glück, traurig zu sein: Joke J. Hermsen, Melancholie in unsicheren Zeiten. HarperCollins, Hamburg 2021
    • Randolph Neeses Buch „Good Reasons for Bad Feelings lesen.
    • UNTER DER GLASGLOCKE:
      Depressionen sind eine Krankheit der Lebenswelt, eine des Leibes, des Raumes, der Zeit und mithin der Intersubjektivität. Depressionen haben heisst keine Zukunft zu haben, weder denken noch fühlen zu können, dass sich an der konturlosen Unzeit, die man sein Leben nennt, irgendetwas ändert. Es heisst, sich nicht da-seiend, nicht präsent zu fühlen, die Gegenwart als zähe Dauer zu erfahren – die Zeit zu erleben, anstatt sie zu leben – , und von einer lastenden Vergangenheit bedroht, beschämt und grausam erniedrigt zu werden. Was in vermeintlicher Nähe geschieht, fühlt sich unendlich fern an. Die Welt ist stumm, sie spricht nicht zu dir, oder in bedrohlicher Weise. Das Bewusstsein für jeden Horizont ist zerrüttet, das Angebot, das einem die Welt offeriert, verknappt sich auf radikale Weise. Potentialitäten verheissen nichts mehr, versprechen nur Schlimmeres vom Gleichen.
      (Christoph David Piorkowski veröffentlicht am 29 Juni 2022  in PhilosophieMagazin)

    Die beste Nachricht kommt ganz zum Schluss: Depressionen können sehr schwer sein – aber sie sind fast immer heilbar. Den allermeisten Menschen geht es irgendwann wieder gut, auch wenn sie sich das in ihren dunkelsten Tagen nicht vorstellen können.

    Das Leben wird wieder hell und leicht.

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    11. April 2025

  • Chronische Schmerzstörung

    Chronische Schmerzstörung

    Akuter und chronischer Schmerz

    Diagnostisch ist chronischer Schmerz von akuten Schmerzen zu unterscheiden, die aufgrund von Gewebeschädigungen (z.B. nach einer Operation oder Verletzung) auftreten und zeitlich limitiert sind. Auch Tumorschmerzen, die selbstverständlich medikamentös behandelt werden sollen, sowie neuropathische Schmerzen zählen nicht zur Kategorie der chronischen Schmerzen.
    Ein chronischer Schmerz hat immer eine psychogene Komponente, er hat seine Funktion als Alarmsignal verloren und hält in der Regel länger als sechs Monate an.
    2009: Die Diagnose F45.41 wird in die deutsche Version der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) aufgenommen: »Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren«.
    Diese Beschreibung der »Chronischen Schmerzstörung« und auch der »Somatisierungsstörung« macht deutlich, dass sowohl somatische als auch psychische Faktoren zur Symptomatik gehören. Etwa 17–20% aller Deutschen leiden unter chronischen Schmerzen, also etwa 13 Millionen Menschen. Durchschnittlich vergehen acht Jahre, bis die Diagnose gestellt wird. In dieser Zeit wird meist nach der (monokausalen) Ursache des Schmerzes geforscht. Unzählige Fachärzte, diagnostische Interventionen, Schmerzmittel (oftmals mit Suchtpotential) werden in Anspruch genommen, bis endlich – als Ultimo Ratio – auch seelische Aspekte in Betracht gezogen werden dürfen. Die Kosten dieser Behandlungen belaufen sich in Deutschland auf etwa 38 Milliarden Euro jährlich, wozu auch die Folgekosten zählen.

    Unsere Wunschvorstellung ist: Da ist eine Erkrankung, die lässt sich toll diagnostizieren. Dann hat man einen Schaden, den kann man toll behandeln oder operieren. Und dann ist man wieder beschwerdefrei. Doch so einfach ist es nicht. Das Ziel kann nicht sein, dauerhaft schmerzfrei zu leben.

    Glücklicherweise hat sich die professionelle Behandlung chronischer Schmerzerkrankungen in den vergangenen Jahren immer mehr von der ausschliesslichen Suche nach den organischen Auslösefaktoren gelöst und ein grösseres Verständnis für den subjektiven Charakter des Erlebens und seiner appellativen Ausdrucksfunktion entwickelt, die darauf verweist, dass ein Mensch leidet – und zwar an psychischen, sozialen oder familiären Umständen. Seelischer Schmerz stellt sich oft körperlich dar und wird häufig auch erst dann wahrgenommen, wenn er entsprechend penetrant somatisiert wird. Manch ein Kind bekommt ja auch erst dann Zuwendung von der Mutter, wenn es Bauchweh hat, und manch ein Arbeitnehmer kann nur mittels Schmerz seinen Unmut ausdrücken oder seine Grenzen markieren. In der Behandlung des chronischen Schmerzes muss multimodal und interprofessionell gearbeitet werden. Orthopäden und Physiotherapeuten, Anästhesisten und Körpertherapeuten arbeiten mit der Pflege und mit Psychotherapeuten eng zusammen und können dabei meistens eine deutliche Reduktion der Schmerzintensität erzielen.

    Erste Erkenntnisse

    Schmerzen sind real. Doch ihre Intensität spiegelt nicht immer eine Verletzung oder Schädigung wider. Das Gehirn interpretiert Signale, und diese Deutung prägen psychischer Zustand, Stresslevel und frühere Erfahrungen massgeblich.

    Halten Schmerzen lange an, sensibilisiert das Nervensystem sich dauerhaft – ein Prozess, den man „Sensibilisierung“ oder „Prägung“ nennt.

    Chronischer Stress, Angst, Depression, Schlafmangel oder die Furcht vor Bewegung beeinflussen die Schmerzverarbeitung stark und fördern die Chronifizierung.

    Patienten sollten ermutigt werden, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu bewegen, auch wenn das kurzfristig unangenehm ist. Bewegung beruhigt das überreizte Nervensystem und trägt wesentlich zur Genesung bei. Schmerzschübe bedeuten nicht zwangsläufig neuen Schaden. Sanfte Bewegung, etwa kurze Spaziergänge oder Aktivitäten auf passendem Niveau, beruhigt das Nervensystem. Entscheidend ist Regelmässigkeit, nicht Leistung. Bewegung gilt als Weg zurück zur Kontrolle über den eigenen Körper – nicht als Risiko.

    Kurze Entspannungsübungen, etwa bewusstes, langsames Atmen, helfen ebenso wie ein fester Schlaf-Wach-Rhythmus für besseren Schlaf.

    Sozial-gesellschaftliche Aspekte

    In seinem Essay „Palliativgesellschaft“ schreibt der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han: »Unser Verhältnis zum Schmerz verrät, in welcher Gesellschaft wir leben«. Seine Diagnose: »Die Schmerztoleranz sinkt rapide.« Uns sei etwas »ganz abhanden gekommen«, und zwar »die Kunst, Schmerz zu erleiden«.

    Früher war als Beispiel Zahnweh so weitverbreitet und immens, dass ein ganz anderer Umgang mit chronischen Schmerzen einfach notwendig und alltäglich war. Wenn die ganze Welt darunter leidet, trägt man den eigenen Schmerz auch einfacher.

    Man muss realisieren, dass ein bisschen Schmerz zum Leben dazugehört. Daraus folgt, dass unser Ziel nicht sein kann, dauerhaft schmerzfrei zu leben.

    Die Folge dieser falschen Erwartungen sieht man heute überall: die Flucht in die Schmerzmittel. Die Schwelle, ab der etwas genommen wird, sinkt kontinuierlich. Immer mehr von Ärzten verordnete Medikamente gehen über die Verkaufstische der Apotheken; In Deutschland im Jahr 2006 noch 468 Millionen Tagesdosen, 2021 schon 731 Millionen. In der Zürcher Schmerzambulanz sah ich so gut wie alle Patientinnen und Patienten nach ihrem Termin mit einem Packen Rezepte über den Gang laufen. Manche mussten, bevor sie die Rezepte bekamen, einen Vertrag unterschreiben, in dem sie versichern, ihre Medikamente nicht zu missbrauchen. In der Schweiz und in Deutschland wächst nämlich nicht nur die Zahl der Schmerzpatienten – sondern in ihrem Schatten auch die Zahl derer, die medikamentensüchtig sind.

    Schmerzmythen

    Schmerz verbinden viele Menschen noch immer mit Schuld, Sühne und Strafe. Die Hölle als ewiger Brennschmerz, der Hexenschuss und der Geburtsschmerz als Folge der Erbsünde prägen Vorstellungen, die auch heute noch Angst und Bedeutung tragen.

    Ein weiterer Mythos hält sich hartnäckig: „Echter“ Schmerz weist immer auf einen bedrohlichen körperlichen Schaden hin. Bleibt ein Schaden unentdeckt, gelten psychische Ursachen als wahrscheinlich. Dieser Dualismus, geprägt von Descartes, prägt bis heute unser Denken und Fühlen. Dazu passt die Annahme: „Wenn nichts mehr hilft, bleibt immer noch die Operation. “ Doch die häufigsten Schmerzen – Kopf- und Rückenschmerzen – beruhen zu über 80 % nicht auf nachweisbaren Schäden, sondern auf reversiblen Funktionsstörungen.

    Schmerz warnt vor Gefahr, meldet aber keinen Schaden.

    Wer Schmerzen als Folge von Verschleiss deutet, sieht Schmerz als Schadensmelder und reagiert oft mit Schonung und Abwarten. Das ist bei chronischen Schmerzen üblich, aber meist kontraproduktiv.
    Bewegung, Aktivität und dosierte Belastung helfen. Dafür brauchen wir ein besseres Verständnis der Ursachen und Möglichkeiten zur Selbsthilfe.

    Vom akuten zum chronischen Schmerz – Stress und die Neuroinflammation

    Dass lang anhaltender psychosozialer Stress zu Schmerzerkrankungen  führen kann, wurde in den letzten Jahren gut belegt. Eine wesentliche  Rolle spielen hier neuroinflammatorische Prozesse, also entzündliche  Vorgänge in unserem Nervensystem.
    Diese führen zusätzlich auch als Teufelskreislauf zu  Schlafstörungen, welche wiederum das Schmerzerleben noch  weiter verschlechtern. Beide Faktoren (chronischer Stress und Insomnie)  und ihre Folge, die Neuroinflammation sind auch bedeutsam beim  Fibromyalgie-Syndrom, der generalisierten Hypersensibilität – einer  typischen chronischen Schmerzerkrankung. Man spricht dann auch bei der  Fibromyalgie heute von einer generalisierten, Stress assoziierten,  neuroinflammatorisch mit bedingten Hypersensibilitätserkrankung.

    Neuroinflammation und Chronischer Schmerz durch Hypersensibilität oder Übererregbarkeit

    Das normale Immunsystem würde im Gehirn mehr Schaden anrichten, als zu schützen. Dort gibt es eigene Mechanismen der Krankheitsabwehr, vor allem die Neuroinflammation, die Entzündung von Nerven und Hirn. Akut kann eine Neuroinflammation als normales Zeichen einer guten Immunantwort z.B. während einer Grippe auftreten. Sie zeigt sich dann als allgemeine Malaise, grosse Müdigkeit, Kopfschmerzen und generalisierte Körper- oder Gliederschmerzen.

    Neuroinflammation kann in allen Gehirnregionen vorkommen, die für die Schmerzverarbeitung wichtig sind (Gyrus cinguli, Amygdala, Basalganglien, Präfrontalkortex, Somatosensorischer Kortex, …) und auch im Deszendierend-Hemmenden-System (körpereigene Schmerzabwehr).
    Die Neuroinflammation schützt unser Nervengewebe im Gehirn mit speziellen Zellen (Mikroglia) und einer starken Blut-Hirn-Schranke vor Krankheitserregern. Gerät diese Immunreaktion aber ausser Kontrolle kann sie dort überall zu Fehlfunktionen, vor allem zu einer verminderten Schmerzabwehr und Hypersensibilität, respektive Übererregbarkeit führen.
    Eine gesteigerte, pathologische Neuroinflammation tritt dann z.B. bei folgenden Krankheitszuständen auf, die durch Hypersensibilität und Übererregbarkeit geprägt sind: Schlafstörungen, Depression, Angststörungen, malignes Übergewicht (Adipositas), Diabetes mellitus, Reizdarm, Reizblase, chronische Spannungskopfschmerzen und eben weitere chronische Schmerzkrankheiten (auch Fibromyalgie) – auch Drogenkonsum (Opiate!) und im Extrem bei der Alzheimer-Krankheit, beim Morbus Parkinson und bei der Multiplen Sklerose. Erklärbar sind diese Kombinationen nur durch die gemeinsame Neuroinflammation.

    (Copyright Prof. Jürgen Sandkühler, Zentrum für Hirnforschung, Medizinische Universität, Wien; https://cbr.meduniwien.ac.at)

    So lässt sich dann auch ableiten, weshalb mässige, aber regelmässige Bewegung beim Chronischen Schmerzsyndrom hilft. Diese Muskelaktivität führt über diverse Stoffwechselvorgänge zu einer starken Verbesserung auch der Neuroinflammation. Die übermässige, leistungsbetonte Bewegung (Leistungssport) verstärkt aber im Gegensatz dazu die Neuroinflammation durch Ausschüttung der Hormone Cortisol, Adrenalin und Entzündungsstoffe, wie die Zytokine.

    Auch eine spezielle entzündungswidrige Ernährung, d.h. viele Pflanzen, wenig Alkohol und wenig Fleisch und viele Bitterstoffe (Polyphenole, wie schwarze Schokolade, Kaffee, bittere Öle (Lein-, Raps-, Olivenöl) senkt die neuroinflammatorische Neigung. Dies entspricht in etwa der „mediterranen Ernährung“. Weiter verweise ich auch auf das 16:8-Kurzfasten, welches enorm entzündungswidrig wirkt!

    2023 berichteten US-Wissenschaftlerinnen im Fachblatt «Jama Psychiatry», dass das Meditationsprogramm «Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion» (MBSR) bei einer Schmerzstörung sehr erfolgreich sein kann. Das gleiche Programm wurde schon mit der Linderung von Migräne in Verbindung gebracht. Speziell die Yoga-typische Kombination aus Bewegung, Atemübungen und/oder Meditation scheint sich auf bestimmte Krankheitsbilder wie chronische Schmerzen, leichte und moderate Depressionen oder Angstzustände positiv auszuwirken, zumindest als ergänzende therapeutische Massnahme.

    „Somatoforme Schmerzen“ als weitere Bezeichnung dieser Übererregbarkeit

    Weist jemand die vier unten stehenden Merkmale auf, ist dies charakteristisch für jene Menschen, die von ihren Beschwerden nicht nur körperlich, sondern auch psychisch stark in Mitleidenschaft gezogen werden, für die sogenannten „somatoformen Schmerzen“ (W.Rief et al.: Are psychological features useful in classifying patients with somatic symptoms? Psychomatic Medicine, 72/7, 2010, 648-55):

    • Um ihren Körper zu schonen, vermeiden sie jegliche physische Anstrengung.
    • Sie sind fest überzeugt, dass ihre Symptome ausschliesslich körperliche Ursachen haben, auch wenn ihr Arzt anderer Meinung ist.
    • Sie verbringen täglich viel Zeit damit, an ihre Beschwerden zu denken.
    • Sie schreiben sich eine schwache körperliche Konstitution zu und fühlen sich daher vielen Anforderungen des Alltags nicht gewachsen.

    Man spricht von somatoformen Schmerzstörungen, wenn die Ursache der Schmerzen in keinem Verhältnis zur Ausprägung des Schmerzverhaltens steht. Seit jeher gibt es nicht nur bei den Patienten, sondern auch bei den Fachleuten selbst Unbehagen an dieser unscharfen Ausschlussdiagnose. Hier wird häufig vergessen, dass es ein Schmerzgedächtnis gibt. Es ist gefährlicher Unsinn, dem Patienten hier das Gefühl zu vermitteln, seine Beschwerden seien „nur“ psychischer Natur. Das Körperliche und das Psychische wird im Gehirn in vergleichbaren Strukturen verarbeitet. Mit anderen Worten, ob Sie gemobbt oder geschlagen werden, es tut Ihnen beides weh. Deshalb ist es erklärbar, dass es mit ein wenig Übung Menschen schaffen, die Schaltzentrale der Schmerzen im Hirn, den sog. Anterioren Cingulären Kortex (ACC) oder Gyrus cinguli auch andersherum zu beeinflussen. Jeder muss dabei seine persönliche Strategie finden. Manche konzentrieren sich auf einen Körperteil, der nicht wehtut. Andere reden sich ein, der Schmerz sei harmlos und höre gleich auf. Wieder andere beschwören angenehme Bilder aus dem jüngsten Urlaub herauf… Der schmerzende Körperteil hat immer  und je chronischer, ein umso weiteres Tor zum Hirn. Wir öffnen mit diesen Übungen das Tor der „gesunden“, schmerzfreien Körperteile, die immer auch vorhanden sind und deren Zugang zum Hirn kleiner wurde. Als Beispiel konzentrieren wir uns beim Gehen oder Laufen bei einem schmerzenden Bein/Knie/Hüfte auf die schmerzfreie Gegenseite. Wir  werden uns bewusst, wie wir auf dieser gesunden Seite die Bewegung frei und im Gleichgewicht tun (Anleitung >>>). Dies können wir im Alltag bei allen Stellungen und Bewegungen tun. Dadurch wird das Tor für das Bewusstsein (also auch für die Schmerzen!) für die „kranke“ Seite/Körperteil kleiner und schwächer. Dieses Tor wird übrigens auch durch die psychiatrischen Medikamente (Antidepressiva, Antiepileptika), die bei chronischen oder somatoformen Schmerzen breit angewendet werden, verkleinert – aber nicht selektiv wie in obiger Übung, sondern auch das Tor der gesunden Körper- (und psychischen) Teile. Dies erscheint dann als „Nebenwirkung“ mit Benommenheit, Konzentrationsstörungen,… Chronische Schmerzen benötigen viel Raum in unserem Leben. Systemisch gesehen wäre es deshalb sinnvoll, zu betrachten, wie Menschen mit Schmerzen mehr Platz für Anderes im System schaffen. Ebenfalls sollte sich dabei das ganze System um sie herum verändern, d.h. besetzter Raum abgeben und Altes, Eingespieltes verlassen. Systemische Psychotherapie wäre also sehr hilfreich.

    Vom Schmerz und dem Leiden – weg von der Opferrolle

    Der Schmerz ist meist Schicksal, also unbeeinflussbar. Jedoch wenn aus Scherz Leiden wird, dort haben wir eine Wahl. Wir können wählen, ob wir in die Opferrolle des Leidgeplagten schlüpfen – oder eben nicht! Opfer sein ist gewählt, ist ein eigenes Urteil mit all seinen Gefühlen und Gedanken über uns selbst. Wählen Sie!

    Erkenntnis 1: Schmerzen frühzeitig angehen! Insbesondere die Neuroinflammation verhindern mit Bewegung und Ernährung

    Schmerzen werden meist längere Zeit ignoriert. Man geht üblicherweise erst zum Arzt, wenn bereits eine Chronifizierung begonnen hat. Doch dann liegt das Kind schon im Brunnen. Denn unser Gehirn prägt sich nicht nur Gedichte und Passwörter ein, es kann auch den Schmerz erlernen – und dann schlecht wieder vergessen. Der Schmerz muss also frühzeitig angegangen werden. Das gilt besonders für Rückenschmerzen. Da diese häufig als Reaktion auf Bewegungsmangel in Kombination mit Stress entstehen, ist hier eine Präventionsstrategie, gegebenenfalls auch kurzfristig unterstützt durch entzündungshemmende und schmerzstillende Medikamente, sehr hilfreich. In der Vergangenheit wurden viel zu viele Rückenschmerzen auf „eingeklemmte Bandscheiben“ zurückgeführt und dann meist erfolglos operiert – der Schmerz kam wieder. Frühzeitig mässige, aber regelmässige Bewegung beginnen! Aber ja nicht die übermässigen, leistungsbetonten! Diese verstärken sogar die Neuroinflammation durch Ausschüttung der Hormone Cortisol, Adrenalin…  Auch eine spezielle entzündungswidrige Ernährung, d.h. viele Pflanzen und viele Bitterstoffe (Polyphenole, wie schwarze Schokolade, Kaffee, bittere Öle (Lein-, Raps-, Olivenöl), aber wenig Alkohol und wenig Fleisch senkt die neuroinflammatorische Neigung drastisch. Dies entspricht in etwa der optimalen „mediterranen Ernährung“. Das 16:8-(oder 14:10-) Kurzfasten wirkt auch enorm entzündungswidrig.

    Erkenntnis 2: Schmerz ist subjektiv

    Genetische und epigenetische Faktoren bestimmen massgeblich mit, wie schmerzempfindlich jemand ist. Und wie gut er auf Medikamente anspricht. Wirksame Analgetika-Dosen können also sehr unterschiedlich sein. Auch der Gefühlshaushalt und die Umweltsituation beeinflussen die Schmerzintensität. Wer schlecht gestimmt ist, versinkt in seiner Pein. Wer Aufmunterung erfährt, setzt leichter über sie hinweg. Als machtvoller Modulator des Schmerzes haben sich überdies die individuellen Erwartungen erwiesen: Die Aussicht, dass Schmerz verursachende Beschwerden anhalten werden, vertieft die Qualen. Die Perspektive, sie bald los zu sein, lässt sie weniger schlimm erscheinen. Einen Schmerzpatienten also nie als Simulanten abqualifizieren! Jedoch nicht die Opferrolle der Leidgeplagten einnehmen! Der Schmerz ist meist Schicksal, also unbeeinflussbar. Jedoch wenn aus Scherz Leiden wird, dort haben wir eine Wahl. Wir können wählen, ob wir in die Opferrolle des Leidgeplagten schlüpfen – oder eben nicht! Opfer sein ist gewählt, ist ein eigenes Urteil mit all seinen Gefühlen und Gedanken über uns selbst. Wählen Sie!

    Auf dem Schmerz surfen!

    In „Unraveling the mystery of health“ (deutsch: „Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit“, 1997) beschreibt Antonovsky das Konzept der Salutogenese  anhand der Metapher eines Flusses: Die pathogenetische Herangehensweise (die sich ausschliesslich mit der Entstehung und Behandlung von Krankheiten beschäftigt) gleicht im Bild von Antonovsky dem Versuch, Menschen mit hohem Aufwand aus einem reissenden Fluss zu retten, rauszureissen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie sie da hineingeraten sind und warum sie nicht besser schwimmen können. Die Salutogenese hingegen sieht den Fluss als den Strom des Lebens: „Niemand geht sicher am Ufer entlang. Darüber hinaus ist für mich klar, dass ein Grossteil des Flusses sowohl im wörtlichen wie auch im herkömmlichen Sinn verschmutzt ist. Es gibt Gabelungen im Fluss, die zu leichten Strömungen oder in gefährliche Stromschnellen und Strudel führen. Meine Arbeit ist der Auseinandersetzung mit folgender Frage gewidmet: ‚Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer?’“ Diese Flussmetapher kann auf chronische Schmerzen, Tinnitus, etc. angewendet: Man darf sich dadurch nicht von den begleitenden Emotionen umhauen lassen, sondern kann lernen, auf ihnen zu surfen wie auf einer Welle. Manche Menschen zerbrechen daran. Du zerbrichst, wenn du nicht mehr weisst, wo oben und unten ist. Ich muss nach oben streben, zum Licht und zur Luft, um atmen zu können. Woher weiss man, wo oben ist? Loslassen. Den Kampf loslassen. Nicht kämpfen! Sich wehren gegen das, was passiert ist, gegen das Schicksal ist unser erste Impuls. Wenn du aber kämpfst und deine Energie im Kampf verbrauchst, ist es kaum möglich, nicht zu ertrinken. Wenn du loslässt, treibt dein Körper an die Oberfläche. So sind wir Menschen geschaffen, in der physischen Welt, aber auch metaphorisch. Der Schmerz kann so auch eine Inspirationsquelle sein, wie das Beispiel der französischen Schriftstellerin Colette zeigt. Nachdem sie 1940 durch eine schmerzhafte Arthritis nach und nach ans Bett gefesselt wurde, bleibt sie eine genaue Beobachterin. So beschreibt sie auch ihre Schmerzen en détail: „Vor allem gibt es jenen Schmerz, den immer jungen und aktiven Schmerz, der eine Inspirationsquelle für Erstaunen, Wut, Rhythmus und Herausforderung ist, Schmerz, der auf einen Waffenstillstand hofft, aber nicht auf das Ende des Lebens bedacht ist. Gut, dass es den Schmerz gibt.“ Zum Annehmen unseres „Schicksals“ als etwas Unveränderliches, aber  zur Wahrnehmung dieser Erlebnisse, unsere Urteile darüber, unsere Gedanken und Gefühle, die wir bewusst verändern können. Weiterlesen >>>

    Erkenntnis 3: Das beste Schmerzmittel ist ein vielseitiges, variables Vorgehen

    Neben frühzeitigen und nur kurzzeitig angewandte Medikamenten, die es dem Schmerzgeplagten erlauben, wieder Bewegungen auszuführen, die für ihn unerträglich waren. Diese werden dann moderat, wie oben beschrieben regelmässig ausgeführt und sind enorm wichtig. Auch eine spezielle Ernährung wirkt prophylaktisch gegen die Chronifizierung durch sich ausbreitende Neuroinflammation. Entspannungstechniken schliesslich verringern den chronischen Stress, verbessern den Schlaf und nehmen den Druck von den Muskeln und entlasten damit auch die Nozizeptoren (periphere sensorische Nervenendigung zur Schmerzempfindung); Verhaltenstherapie oder Einzel- und Gruppen-Psychotherapie vermittelt den Betroffenen ein Kohärenzgefühl und die Überzeugung, Probleme erfolgreich bewältigen zu können. Psychische Faktoren, Stress, Schlafstörungen, zuvor vernachlässigt und als blosse Reaktionen auf Schmerz eingestuft, sieht man heute als essentielle Komponente der Schmerzverarbeitung an. Die Funktion des Zentralnervensystems verschiebt sich damit deutlich: Vom rein passiven Überträger und Empfänger peripherer Schmerzsignale wird es zum aktiven Bearbeiter der ihm zufliessenden Impulse. Daraus ergeben sich neue Wege zur Schmerzkontrolle. Typischerweise reduziert ein Patient mit chronischen Schmerzen zuerst seine körperliche Aktivität. Schliesslich kommt es zum sozialen Rückzug – die Angst vor dem Schmerz bestimmt zunehmend den Tagesablauf. Da wir im Gehirn keine Löschtaste haben, muss der Patient in der Therapie wieder lernen, dass der Gang von A nach B, den er vorher mit grossen Schmerzen bewältigen konnte, nicht schmerzhaft ist. Früher haben wir den Fehler gemacht, dass wir den Patienten mit entsprechenden Mitteln und Massnahmen in erster Linie nur entspannt haben. Richtig ist jedoch, aktiv mit dem Patienten am Überschreiben, das heisst am Vergessen, zu arbeiten. Wir bezeichnen diesen Vorgang als „Re-Learning“. Die Alltagsbewegungen müssen neu erlernt werden. Im Rolfing geschieht dies durch Erlangen eines neuen Gleichgewichts mit schwingenden, katzenartigen Bewegungen mit minimaler Muskelaktivität und einem „Hängen im Bindegewebe“. Spüren von Gewicht, Dehnung und Stütze sind Leitlinien. Rolfing ist ein wunderbar salutogenetisches Konzept, eine Ressourcenarbeit im schönsten Sinne des Wortes, wo Symptome wie Schmerzen oder zum Beispiel eine Skoliose aus dem Fokus geraten und die freie, ökonomische Alltagsbewegung und -haltung wichtig werden – und erst sekundär und beiläufig dann vielleicht auch noch die obigen Symptome verschwinden. Im Allgemeinen ist wichtiger Ausgangspunkt eine Phase, in der der Patient vorübergehend durch den massiven Einsatz verschiedener Therapieformen schmerzarm oder gar schmerzfrei wird (oder auch „nur“ durch die einmalige Einnahme einer dissozierenden Droge! >>> siehe bei Erkenntnis 6). Auch wenn die Schmerzfreiheit nur einige Tage andauert, sind das wichtige Tage weg vom Schmerz, an denen der Patient merkt, was ihm gut tut. Im Anschluss daran lernt er, dass gewisse Bewegungen nicht wie früher wehtun. In dieser Phase muss der Hausarzt eng mit Psycho- und Physiotherapeuten zusammenarbeiten. Ein optimales Konzept auf dieser vielseitigen Basis wird hier beschrieben: stressbedingter-schmerz.pdf
    (Klinik: sanatorium-kilchberg.ch/behandlung-von-stressbedingten-erkrankungen)

    Erkenntnis 4: Anstatt Widerstand gegen den Schmerz, durchlässig dafür werden

    Statt dass Sie sich gegen den Schmerz (auch bei Lärm, Hitze, Kälte anwendbar) wehren und sich verkrampfen, versuchen Sie sich ganz durchlässig zu machen, wie ein Sieb und lassen Sie die Störung durch Sie hindurch fliessen, möglichst ohne ihr irgend einen Widerstand entgegen zu halten. Unser Körper reagiert auf Schmerz, Lärm oder andere Stressoren wie auf einen Angriff, vor dem wir uns naturgemäss zu schützen versuchen. Wir gehen in eine Abwehrhaltung mit allen vegetativen Schutzmassnahmen wie erhöhte Aufmerksamkeit, Alarmbereitschaft, Anspannung, usw. Um uns zu schützen, stellen wir etwas wie ein Schild dem Aggressor entgegen. Dies ist ein natürlicher Überlebensreflex, den wir mit dieser neuen Strategie des Erduldens und der Hingabe jetzt absichtlich abstellen wollen. Deshalb ist genau so schwierig, diesen „passiven“ Weg, uns durchlässig zu machen, zu gehen. Es ist, als würden wir uns entschliessen, die Alarmanlage abzuschalten und für uns beschliessen, diese berechnete Gefahr damit zu ignorieren und uns ganz zu entspannen. Wir lassen den Schmerz über uns oder durch uns ergehen. Siehe auch nochmals weiter unten bei „Meditation„.
    „Beugen sie sich über ihren Schmerz wie über ein Kind, das sie sanft streicheln möchten.“ (Jack Kornfield)

    Chronische Schmerzen und Spiritualität

    Leitfaden zur Integration spiritueller Aspekte in die Therapie chronischer Schmerzen: spiritualcare-leitfaden

    Chronischer Schmerz und MBSR – Achtsamkeit in der Schmerztherapie

    Jon Kabat-Zinn hat sein MBSR-Programm ursprünglich mit und für Patienten entwickelt, die an chronischen Schmerzen litten. Diese Patientengruppe ist psychotherapeutisch nicht einfach behandelbar, denn die Erwartung geht in der Regel dahin, dass der Schmerz durch die Behandlung ganz verschwinden soll. Der Schmerz wird meist als Zumutung – als Feind – erlebt, der mittels medizinischer Methoden besiegt werden muss. Am Ende läuft es aber darauf hinaus, dass Schmerz Leiden ist und dass es darum geht, dieses Leiden anzuerkennen. In der Psychosomatischen Schmerztherapie wird die Geschichte hinter dem Schmerz angehört und verstanden – oft eine Geschichte von Schlägen und Vernachlässigung –, und es wird den Patienten ein Methodenrepertoire an die Hand gegeben, das dazu beitragen kann, die psychische und somatische Intensität des Schmerzerlebens zu reduzieren. Betrachtet wird auch die individuelle Funktion des Schmerzes; bisweilen ist er unverzichtbar, da er ausdrückt, was mit Worten nicht gesagt werden kann, zum Beispiel den Schmerz nach sexueller Gewalt. Achtsamkeitsbasierter Umgang mit dem Schmerz geht davon aus, dass es kein Leben ohne Leiden geben kann. Der Schmerz wird also grundsätzlich angenommen, und zwar sowohl in seiner körperlichen als auch seiner seelischen Qualität, die nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Ein Verständnis für die Universalität des Leidens kann den individuellen Schmerz ein Stück weit normalisieren und entdramatisieren. In der therapeutischen Kleinarbeit ist es notwendig, die Abwehrtendenzen in Bezug auf den Schmerz und körperliches Erleben ganz allgemein in den Blick zu nehmen. Der Body Scan ist dazu gut geeignet, denn er trägt dazu bei, die Körperwahrnehmung über die schmerzenden Areale hinaus zu erweitern und neutrale Körperempfindungen wie auch angenehme Empfindungen zu registrieren. Es gibt unterdessen spezifische achtsamkeitsbasierte und achtsamkeitsintegrierende Behandlungsmanuale für Schmerzpatienten, zum Beispiel »Acceptance Commitment Therapy (ACT) for Chronic Pain« (Hughes et al. 2017) und »Achtsamkeitsbasierte Schmerztherapie« – ABST (Tamme 2010). Sie kombinieren psychoedukative Elemente mit bewährten therapeutischen Techniken und die Analyse des Schmerzes mit Meditation. Die Konfrontation mit dem unlustvollen Gefühl, das dem Schmerz zugeschrieben wird, ist dabei wesentlich. Sie kann beispielsweise im Rahmen einer Exposition mit Eiswürfeln erfolgen, bei der den Patienten Eiswürfel in die Hände gelegt werden. Wer sich der Erfahrung von Kälte und Unlust nicht zu öffnen vermag, wird noch kältere Hände bekommen und frieren. Wer sich der Erfahrung wirklich zuwendet, entwickelt warme, gut durchblutete Hände, die das Eis wie auch die Schmerzen schmelzen lassen. Solche Erfahrungspädagogik ist durchaus auch in der buddhistischen Meditationspraxis geläufig. Wer im Zen-Kloster in Japan zur Meditation einrückt, muss sich dem strengen Reglement unterwerfen. Im Winter ist es bitterkalt und die Räume sind ungeheizt. Dennoch müssen alle barfuss sitzen und laufen. Protest, weil man dies nicht gewohnt sei, ist zwecklos – entweder man sitzt der Vorschrift entsprechend oder man verlässt das Kloster. Nach vergeblichem Hadern, Zweifeln und dem erfolglosen Aufstand fügt man sich, denn die weite Anreise will der Europäer dann doch nicht umsonst gemacht haben. Und siehe da – wer die Situation annimmt, erlebt eine gesteigerte Durchblutung der Gefässe, und es wird warm. Die mentale Haltung hat alles verändert. »Genau diese Erfahrung wollte ich Ihnen ermöglichen«, kommentiert verschmitzt der strenge Mönchsälteste. Auch andere Formen der Schmerztherapie arbeiten mit dem Prinzip der Hinwendung, die präzise Beobachtung und Erforschung wechselnder Schmerzintensitäten und Qualitäten verbindet. Patienten mit chronischem Schmerz neigen dazu, Schmerzen immer gleich zu erleben, nämlich als »etwas«, das sie quält und demütigt. Die unterschiedliche Schmerzqualität, die wechselnde Schmerzintensität und die Abhängigkeit des Schmerzerlebens von psychischen oder sozialen Einflussfaktoren werden nicht wahrgenommen. Aus diesen Gründen ist es nachvollziehbar, dass Patienten dagegen aufbegehren und kämpfen. Sie kämpfen allerdings gegen Windmühlen, denn die Peiniger befinden sich nur in der eigenen Vorstellungswelt. Der Zusammenhang des Schmerzerlebens und der eigenen psychischen Verfassung erschliesst sich meist eher langsam, deshalb braucht es Geduld und multimodale Behandlungsansätze.

    Erkenntnis 5: Mensch hilf dir selbst!

    Bewegt euch! Aktiv zu werden bedeutet dabei nicht nur, sich körperlich zu bewegen, es heisst auch, sein Leben engagiert in die Hand zu nehmen. Probleme anzupacken, statt sie vor sich her zu schieben. Strategien einzuüben, wie sich prekäre Situationen ohne lähmende Angst und Stress bewältigen lassen. Auch dies sind Kompetenzen, die sich positiv auf die Schmerzmatrix auswirken. Optimale Ernährung gegen Entzündung (auch die so wichtige Neuroinflammation): mediterrane Ernährung: Weiterlesen >>>
    Mehr und besseren Schlaf! Zu wenig Schlaf senkt unsere Schmerzschwelle enorm und erschwert es uns, den Schmerz auszublenden. Schlaf und Schmerz sind eng miteinander  verbunden. >>> unseren Schlaf verbessern.

    Erkenntnis 6: Schmerzen lassen sich „verlernen“

    Das menschliche Gehirn ist enorm anpassungsfähig – sogar im hohen Alter. Und in dieser Plastizität liegt eine Hoffnung auch für Schmerzpatienten. Die nämlich, dass die Spuren, die eine über Jahre ertragene Pein im Zentralnervensystem hinterlässt, nicht irreversibel sind, sondern sich im Prinzip wieder verwischen lassen. Hier kann die Dissoziation durch psychedelische Drogen (Ketamin, Psilocybin, MDMA, LSD) helfen, indem im (einmaligen) „Trip“ der Schmerzpatient sich endlich wieder mal als Mensch ohne Schmerzen erleben kann. Er erlebt, dass neben seinem schmerzenden Sein „etwas Grösseres“ existiert, ein „höheres Selbst“, ein „liebende Selbst“ oder wie man es dann auch immer benennen will. Dieses heilende Erlebnis kann eine Besserungsphase von Wochen, ja Monate induzieren. Schon in den 60er Jahren gab es Untersuchungen, inwieweit LSD das Schmerzempfinden verändern kann. Also wie man unter dem Einfluss der Substanz, Schmerz wahrnimmt. Die Ergebnisse waren viel versprechend, denn Krebspatienten fühlten sich auf LSD um einiges besser als vorher. Dann wurden im Zuge des Verbotes von Psychedelika alle Untersuchungen in diese Richtung eingestellt. Und nun wieder aufgenommen. Die englische Beckely Foundation hat in Zusammenarbeit mit der Universität Maastricht eine erste Studie verwirklicht, die die Wirkung von LSD in Kleinstdosen auf das Schmerzempfinden untersuchte. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass LSD durchaus im Bereich der Painreliefer eine Rolle spielen kann: “This study in healthy volunteers shows that a low dose of LSD produces an analgesic effect in the absence of a psychedelic effect,” lead researcher Jan Ramaekers, a professor of Psychopharmacology and Behavioral Toxicology at Maastricht University, said in a statement. “The magnitude of the analgesic effect appears comparable to analgesic effects of opioids in the same pain model.” 20 Mikrogramm LSD reduzierten die Wahrnehmung von Schmerz um 20 Prozent. Das sind in etwa die Werte, die auch Opioide auszeichnen. Die Forscher hoffen in weiteren Studien weitere Erkenntnisse zu gewinnen und letztlich irgendwann die süchtig machenden Opioide durch das sehr viel ungefährlichere Psychedelika in Kleinstdosen ersetzen zu können.

    Schmerz und Hypnose

    Hypnose ist weit mehr ist als ein billiger Trick auch bei Schmerzen. Ihre Wirksamkeit wurde wiederholt wissenschaftlich belegt. Es existieren mehrere Metaanalysen, das sind Auswertungen möglichst aller relevanten Studien, die es zu einem Thema gibt. Die Metaanalyse einer britischen Forschergruppe aus dem Jahr 2019 kam zum Schluss, dass Hypnose Schmerzen um bis zu 42 Prozent verringern kann. Das gilt sowohl für chronische Schmerzen als auch für Schmerzen nach einer Operation.

    Erkenntnis 7: Völlige Schmerzfreiheit gibt es selten

    Eine Rest-Erinnerung an einen einmal empfundenen Schmerz wird aber in vielen Fällen bleiben. Von vornherein sollte nicht eine totale Schmerzfreiheit erwartet werden, aber eine klare Linderung. Die Lebensqualität ist also viel wichtiger. Machen Sie also wieder etwas Schönes für sich! Nur den Glücklichen ist es beschieden, den Schmerz in ihrem Leben völlig zum Schweigen zu bringen. Die anderen haben vielleicht jenes Verhältnis zu ihm zu finden, wie es der Philosoph Friedrich Nietzsche beschrieb: „Ich habe meinem Schmerz einen Namen gegeben und rufe ihn „Hund“, er ist ebenso treu, ebenso zudringlich und schamlos, ebenso unterhaltend, ebenso klug wie jeder andere Hund – und ich kann ihn anherrschen und meine bösen Launen an ihm auslassen.“

    Erkenntnis 8: Auch starke Schmerzmittel wirken nicht besser wie Physiotherapie oder Psychologie! Hände weg von Opiaten

    Starke Schmerzmittel (Opioide), die über einen längeren Zeitraum gegen chronische Schmerzen eingenommen werden, haben den gleichen Effekt wie eine Behandlung ohne Medikamente. Dies ist das Ergebnis einer umfangreichen Meta-Analyse von Wissenschaftlern der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Technischen Universität Darmstadt, die in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins British Journal of Pharmacology 04/2014 (Relative efficacy of opioids in chronic non-cancer pain: comparing the results of four meta-analyses on pharmacological and non-pharmacological interventions) veröffentlicht ist >>> mehr hier! Noch schlimmer ist, dass nach Absetzen von Opioiden ein Reboundphänomen entsteht, welches unsere Schmerzempfindung noch sensibler und stärker werden lässt!

    Achtung auch vor „schwächeren“ Schmerzmittel, wie Paracetamol

    Man weiss schon länger, dass Paracetamol das Mitgefühl für andere Menschen vermindern kann. Ansonsten ist Paracetamol kurzzeitig eingenommen (und nie über 4 Gramm pro Tag) durchaus okay.

    Alternative Schmerzmittel

    • Nur wenn wir im Tages-, Wochen- und Jahresverlauf jene Erholungspausen einhalten, die uns biologisch vorgeschrieben sind, kann unser Organismus seine Funktionen wie beim Resetting eines Computers immer wieder synchronisieren und Abweichungen vom Sollzustand (Schmerzzustände, Verspannungen, auch Blutdruckerhöhungen, etc… und bis zu krebsartigem Ausflippen von Organzellen mit Abwehrvorgängen des Immunsystems) ausgleichen. Ignorieren wir diese Bedürfnisse, werden die Abweichungen immer grösser, und damit verliert auch der Organismus immer mehr die Fähigkeit von selbst in seine Ordnung und Ruhe zurückzufinden. Unsere vorgegebenen biologischen Rhythmen scheinen auch tagsüber 90 Minuten lang zu sein (wie die 90 Minuten Tiefschlafphasen nachts): 70 Minuten Aktivität, dann 20 Minuten Ruhe und Erholung. Mein Vorschlag: Alle 60 Minuten tagsüber 10 Minuten Rückzug und Pause. So stellen Sie ihren inneren Rhythmus wieder von der Hamsterrad- zurück in die heilsame Ruhe-Frequenz und stärken so immens das Immunsystem. (Literatur dazu: Verena Steiner, Energiekompetenz, Pendo-Verlag 2005).
    • Der Rhythmus von Spannung und Entspannung (Kontakt und Rückzug, etc.) sollte auch über die (Arbeits-) Woche weg erhalten bleiben. Das optimale Modell für Schmerzgeplagte, d.h. Dauerstressgeplagte und Leute mit Burnout ist eine 80%-Arbeit mit einem ganzen freien Mittwoch!
    • Gegen Schmerzen hilft Koffein. Genauer: Schmerzmittel wirken um etwa 40 Prozent besser, wenn man sie zusammen mit Koffein einnimmt. Warum die Tasse Kaffee zum Aspirin so viel besser hilft, wissen die Forscher trotz unzähliger Studien der letzten Jahre mit Zehntausenden Patienten immer noch nicht so recht. Die Experten vermuten, dass die stimmungspuschende Wirkung des weltweit so beliebten „Nervengiftes“ gleichzeitig den Schmerz dämpft.
    • Selbsttherapie Alkohol hilft etwas – ist aber umstritten.
    • Auch Sauerkirschen können Schmerzmittel wie Aspirin oder Ibuprofen in der Hausapotheke schlicht überflüssig machen. Forscher von der staatlichen Universität im amerikanischen Bundesstaat Michigan berichten in dem Wissenschaftsmagazin „New Scientist“ (Muraleedharan Nair), dass die Anthocyanidine in den Sauerkirschen im Versuch bei Magen- oder Arthritis-Schmerzen bis zehnmal stärker als Aspirin wirkten. Der Verzehr von zwanzig Kirschen entspricht einer Wirkung von einem bis zwei Aspirin.
    • Ein anderes Schmerzmittel fanden die Forscher im Chili: Der Inhalts- und Geschmacksstoff des roten „Chili“-Pfeffers, Capsaicin, hat sich neuerdings auch als Schmerzmittel bewährt – vor allem bei Schmerzzuständen nach Amputationen und Juckreiz. Die Forscher hoffen, Capsaicin bald gezielt zur Behandlung auch anderer durch das Nervensystem verursachter Schmerzzustände einsetzen zu können.

    Verbunden sein hilft gegen Schmerz

    Körperliche Berührungen helfen enorm gegen Schmerzen! Bereits „Händchen halten“, aber auch auch Umarmungen durch vertraute Menschen mindern den Stresspegel unmittelbar. Dazu gehört auch Sex: Wie Neurologieprofessor James Couch von der Illinois University School of Medicine in einer Untersuchung zeigen konnte, fühlte sich fast die Hälfte der Frauen, die trotz (Kopf-)Schmerzen Sex hatten, „danach“ deutlich besser… Es ist ja eine Binsenweisheit, dass Stress und Bewegungslosigkeit Schmerzen verstärken und Glücksgefühle Schmerz mindert.

    Wie erreiche ich mehr Verbundenheit?

    Malen Sie einen Kreis. Dieser Kreis sind Sie. Zeichen Sie nun ein, wer Sie beeinflusst. Das können Menschen sein, lebende oder verstorbene, Vorbilder oder auch Tiere. Schreiben Sie die Namen auf oder malen Sie für sie ebenfalls Kreise. All diese kreisen wie Planeten um Sie als Sonne. Achten Sie beim Einzeichnen auf die Entfernung: Wer ist näher dran und wer weiter weg? Wenn Sie mögen, können Sie auch darüber nachdenken, für wen Sie als Sonne scheinen, und die Namen mit Pfeilen in beide Richtungen versehen. So werden Sie sich Ihrer Umgebung bewusst. Sie können sehen, was Sie erfüllt – und wo es vielleicht auch Lücken gibt. Das kostenlose App Prism Lite kann Ihnen dabei gut helfen.

    Stehen Sie jemandem im Umfeld bei, der Hilfe benötigt und sich freut, wenn wir uns um ihn sorgen. Wer dies tut, geht erfüllter durchs Leben. Es tut uns gut, neben dem Job eine Aufgabe zu haben, einen Ort, an dem wir nicht in erster Linie leisten müssen.

    Erschaffen Sie mehr Nischen, in denen Sie zu Hause sind, heimisch. Mit dem Begriff „Verbundenheit“ bekommen für mich „Heimat“, „Nostalgie“, aber auch „Placebo“ eine neue, stimmige Bedeutung. Beim Medikament/Mittel/Behandlung mit Placeboeffekt fühlt man sich abgeholt, heimisch, stimmig, kohärent, verbunden. Nostalgie bedeutet so viel wie das Glück, nach Hause zu kommen. Wenn wir das in einem geistigen Prozess tun, also uns vorstellen, nach Hause zu kommen, uns an Gerüche, Farben, Klänge, Naturorte, was auch immer unsere Heimat ausmacht, erinnern, führt dies dazu, dass die wahrgenommene Körpertemperatur steigt und wir weniger schmerzempfindlich sind – steckt schon im Wort nostos, griechisch für Heimkehr, und algos für Schmerz. Das ist wieder ein körperlicher Effekt, der über den Geist in Gang gesetzt wird. Man findet seinen Fokus und erinnert sich. Denn letztlich ist das ja wieder die Dimension der Verbundenheit, die wir dadurch bewusst herstellen können. Menschen sind in der Lage, ihren inneren Arzt zu aktivieren und ihre eigene Gesundheit zu stärken.

    Weiterlesen >>> walserblog.ch/2024/01/27/krank-und-zufrieden/

    Neuer Therapieansatz bei Chronischen Schmerzen im Bewegungsapparats

    Nicht-traumatische strukturelle Veränderungen, die bei Röntgenaufnahmen oder in MRT-Scans beobachtet werden – wie Knochensporn, Risse in der Rotatoren-Manschette der Schulter und Bandscheibendegeneration – kommen auch, meist bei Personen vor, die schmerzfrei sind. So können diese Veränderungen als Schmerzursachen fehlinterpretiert werden, was wiederum zu invasiven, riskanten und oft unnötigen (operativen) Behandlungen führen kann. Dies erzeugt eine gewisse Angst und Sorge beim Patienten, weil er denkt, dass er seinen Körper geschädigt hat und dass es notwendig ist, ihn zu korrigieren, zum Beispiel durch einen chirurgischen Eingriff. Viele Menschen erhalten so chirurgische Eingriffe, die nicht-traumatische Auffälligkeiten an Knochen, Gelenken, Sehnen und Knorpeln haben. Sie sind aber nicht die Ursache ihrer Symptome, sondern lediglich Veränderungen, die als Teil des Alterungsprozesses ganz normal sein können. Ich denke, dass wir alle ehrlicher zu unseren Patienten sein müssen, wenn es um die Unsicherheit geht, woher die Symptome kommen. Wir wissen, dass die Patienten bei vielen Beschwerden, wie zum Beispiel Schmerzen in Schultern und Rücken, viel grösseren Nutzen aus einfachen Haltungsveränderungen und einem gut durchdachten Trainingsprogramm ziehen wie aus einer Operation – und erst noch ohne die gefährlichen Nebenwirkungen der Eingriffe. Die Autoren eines Editorial im British Journal of Sports Medicine (Lewis J, et al: Brit J Sports Med (online) 25. Juni 2018) fordern, dass nicht-traumatische, anhaltende und beeinträchtigende Muskel-Skelett-Schmerzen ähnlich behandelt werden wie andere chronische Erkrankungen (z.B. Diabetes Typ II, Asthma und Bluthochdruck): Patienten werden ermutigt, sich zu bewegen und Sport zu treiben, auf einen besseren Schlafrhythmus zu achten, Stress abzubauen und mit dem Rauchen aufzuhören – das alles mit dem Ziel, Verantwortung für das eigene Wohlbefinden und für die eigene Gesundheit zu übernehmen.

    Sexueller Missbrauch?

    In grossen Studien wurden positive Assoziation zwischen sexuellem Missbrauch und einer Diagnose von nicht spezifischen chronischen Schmerzen (auch funktionalen gastrointestinalen Störungen, psychogenen Anfällen und chronischen Unterbauchschmerzen) gefunden (nicht aber mit Adipositas, Kopfschmerzen oder Fibromyalgie). evimed.ch/journal_club.php

    Der Schmerz philosophisch gesehen

    Der Schmerz wird philosophisch kaum beachtet, obschon er eine zentrale Stelle, man könnte sagen: eine Mittelstellung einnimmt. Der Schmerz kann im Schrei als Ursprung der Sprache betrachtet werden, und ist gleichzeitig das, was nicht zu Sprache kommt. Er ist das Privateste und zugleich das Universellste, er ist vollkommen intim und zugleich das Einfallstor des Anderen, der Gesellschaft. Dies sind nur einige Beispiele, wie der Schmerz als philosophischer Grundbegriff verstanden werden kann.

    Dimensionen des Schmerzes

    Sinnfragen

    Jede Ausschaltung von Schmerz wirkt angstlösend und hilft bei der Auslöschung aversiver Erinnerungen. Wir müssen einsehen, dass Schmerz, im Widerspruch zu der gelegentlich propagierten mystisch-religiösen Überhöhung, das Dasein des Menschen nicht veredelt. Er zerstört vielmehr seine Lebensqualität. Niemand soll sein Brot unter Tränen essen müssen. Chronischer Schmerz (und nicht der akute ist hier gemeint) kann aber dennoch ein Anlass für Sinnfragen sein. Schmerz entpuppt sich als „ungeformtes Gefühl“ im Körper, das sich schnell verändert, wenn der Patient – wie z.B. in der klassischen Homöopathie gefordert – ihn detailliert beschreibt, quasi hineingeht und ihn dadurch nicht mehr abspalten kann. Ich versuche dem Patienten zu zeigen, dass Schmerzen auch sozial-psychologische Nutzen haben können – und ich ihnen diese nicht wegnehmen kann, bevor sie nicht bereit sind, diese auch wirklich los zulassen. Hinter manchem chronischen Schmerzsyndrom taucht so auch die Fragen nach dem Sinn des Leidens auf. Zuerst mal sei klargestellt, dass es sicher sinnloses Leiden gibt! Es gibt Leiden, dass den Menschen in allen wesentlichen Kräften zerstört und völlig sinnlos ist. Es muss hier gleich auch eine Kritik an Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dalkes „Krankheit als Weg“ folgen. Ich zitiere Thomas Hartmann (aus „Der Sinn im Leiden – was uns heilen kann“): Gefährlich daran ist zum einen die pseudoobjektive, zementierende Zuschreibung, das heisst die kausale Verknüpfung von Leid und Symptom mit einem fixen Sinngehalt. Als müsste man nur das Lexikon aufschlagen und könnte für eine bestimmte Krankheit die passende Sinnursache nachlesen, was so gewiss nicht funktioniert. Zum anderen hat man diesem Ansatz zu Recht vorgeworfen, dass den Betroffenen durch die einseitigen kausalen Sinnzuschreibungen zu allem Elend hinzu auch noch ein schlechtes Gewissen gemacht wird…

    Fragen um Menschen aus der „Problemtrance“ in Lösungsräume zu führen

    Wichtig sind hier die Fragen nach den Ausnahmen: Kein Problem ist ständig da oder immer gleich stark. Die Fragen suchen also nach problemfreien oder problemarmen Zeiten… Hier ist besonders wichtig, welche Teile des Lebens noch gelingen, wo es Inseln des Erfolges und der Zufriedenheit gibt. Was macht trotz Schmerzen noch Freude oder was hat früher Freude bereitet? Lösungsorientiert ist auch die „Wunderfrage„: Wenn über Nacht ein Wunder passieren würde und das Problem würde wie weggezaubert aus dem Leben verschwinden: Was wäre morgen anders? Woran würdest Du nach dem Aufwachen als Erstes bemerken, dass das Problem weg ist? Ganz konkret? Was würdest du am Morgen danach als Erstes tun? Was dann? Wer würde als Erster bemerken,,dass das Problem weg ist? Wer dann? Was würdest du am meisten vermissen in deinem Leben, wenn das Problem plötzlich weg wäre? Wenn du einen Grossteil der Probleme bewältigt hast, wie sehe dann dein Leben aus, was würdest du anders machen als heute? Woran würden die anderen eine Behebung/Verbesserung des Problems festmachen? Wer würde am meisten überrascht sein? Wer würde stark, wer schwach und wer gar nicht darauf reagieren, wenn es weg wäre? Wie stark würde jeder reagieren? Kannst du dies auf einer Skala von 1 bis 10 einschätzen (je höher der Wert, desto grösser die Reaktion)?

    Der Verzicht auf die eigene Bedürfnis kann zu Schmerzen führen
    Schmerzen führen oft dazu, dass andere mehr Verantwortung übernehmen, mehr Rücksicht nehmen… So tritt Entlastung für den Leidenden auf… Welche positiven Effekte hat der Schmerz im System, im Lebenszusammenhang? z.B. Ich bekomme eine Pause, wenn ich überfordert bin… ich werde in Ruhe gelassen…Iich werde endlich beachtet und ein wenig versorgt… die anderen verlangen nicht mehr soviel von mir… Ich kann erleben, wer wirklich für mich da ist, wer mich wirklich so liebt, dass er auch so zu mir steht… Schmerz als eine Art Notbremse, ein Frühwarnsystem: Normalerweise kann ich nicht Nein sagen – jetzt geht es nicht anders… Zum Schluss noch der Philosoph Byung-Chul Han (im Interview, Das Magazin 39/2014): „Für Hegel ist der Schmerz die Negativität. Die Negativität des Schmerzes ist wesentlich für das Leben. Das Leben, das jede Negativität abstreift, verkommt, so Hegel, zum „toten Sein“. Das Positive, das Glatte, das Gesunde von heute hat etwas Lebloses, wie ein mit Botox behandeltes Gesicht. Ohne Negativität verkümmert das Leben zum Toten, ja zum Untoten. Die Negativität ist die belebende Kraft im Leben.“

    Meditation zum Umgang mit Schmerzen

    Indem wir uns an die nachfolgend gegebenen Erklärungen halten, beobachten wir die Schmerzempfindung mit ungeteilter, voller Aufmerksamkeit, ohne sie zu deuten, abzulehnen oder zu fürchten. Wir lassen uns auf die Erfahrung des Hier und Jetzt ein. Die Empfindung des Schmerzes bleibt unvermindert bestehen, wir leisten ihr allerdings keinen Widerstand mehr. Wir visualisieren einen wohltuenden leuchtenden Nektar (oder eine sonstige Flüssigkeit, die man liebt: zum Beispiel Honig – auch blaue Farbe scheint enorm entspannend und schmerzlindernd zu wirken (>>> Weiterlesen), der die Stelle des schlimmsten Schmerzes durchdringt. Nach und nach löst der Nektar den Schmerz auf und verwandelt ihn schliesslich in ein Wohlgefühl. Nun füllt dieser Nektar den ganzen Körper aus. Allmählich vergeht der Schmerz. Sollte er wieder zunehmen, verstärken wir sogleich die Kraft des Nektars, indem wir uns vorstellen, dass jedes Schmerz-Atom jetzt durch ein Wohlseins-Atom ersetzt wurde. Auf diese Weise können wir die Essenz des Schmerzes in Wärme und sogar Freude verwandeln. Dann probieren wir ein starkes Mitgefühl für sämtliche andere Lebewesen aufzubringen, die ebenfalls an Schmerzen leiden, die den meinen ähnlich oder sogar weitaus schlimmer sind. Ich wünsche mir sehr, sie können ebenfalls frei sein von diesen Schmerzen! In dem Moment erleben wir den Schmerz nicht mehr als Behinderung oder Belastung. Die Frag: „Warum ausgerechnet ich?“ fällt damit auch weg. Werden wir völlig von uns selbst in Anspruch genommen, so sind wir verletzlicher. Bestürzung, Ärger und ein Gefühl der Ohnmacht oder Furcht gewinnen dann leicht die Oberhand. Empfinden wir hingegen angesichts der leidvollen Erfahrung anderer starke Anteilnahme, wandelt sich Resignation zu Mut, Depression macht der Liebe Platz, und aus Engstirnigkeit wird Offenheit für alle, mit denen wir zu tun haben. Nun vertiefen wir uns einfach in die Betrachtung des Schmerzes. Selbst wenn es sich um einen stechenden Schmerz handeln sollte, fragen wir uns, welche Farbe, Form oder sonstige Eigenschaft er aufweist. Tatsächlich verliert der Schmerz in dem Mass, in dem wir ihn einzugrenzen versuchen, seine Kontur. Diese Haltung hilft uns aus der Rolle eines passiven Opfers heraus zu kommen. Stattdessen können wir dem Schmerz zu guter Letzt direkt begegnen und der Verheerung entgegenwirken, die er andernfalls in unserem Geist anrichten würde. Weiterlesen zur Meditation und Entspannung >>>

     

    Regelmässiges Kurzfasten gegen chronische Schmerzen

    In der letzten Zeit erlebt das Fasten, insbesondere das Kurzfasten – d.h. nur 24 bis maximal 72 Stunden lang nichts Festes essen und nur kalorienfreie Getränke trinken – selbst in der eher konservativen „Schulmedizin“ ein eigentliches Revival. Mit dieser Kürze der Fastenzeit vermeidet man viele starke Nebenwirkungen des längeren Nichts-Essens, wie die Übersäuerung der Gelenke (mit Gichtanfällen als Extrem) oder die Verstopfung und auch den nachträglichen Jo-Jo-Effekt, der bei regelmässigem Kurzfasten kaum auftritt. Das Kurzfasten ist – wie in meiner Hausarztpraxis x-fach erprobt – recht einfach realisierbar und meist sozial verträglich. Nehmen Sie dazu immer den Tag der Woche, an dem Sie meist am wenigsten Einladungen haben: zum Beispiel jeden Donnerstag. Man kann natürlich auch eine gemilderte Form einflechten: als Früchtetag, also einen ganzen Tag nur Früchte essen. Wieder entdeckt wurden die heilenden Seiten des Kurzfastens in der Onkologie (Tumortherapie) zur Verbesserung und Modulierung des Immunsystems vor Chemotherapien. Das positive Resultat, kurz skizziert, besteht aus mehr Wirkung der Medikamente gegen den Krebs mit weniger Nebenwirkungen auf andere Körperzellen! Wiederholtes kurzfristiges Fasten führt zu „zellulärem Selbstmord“ von Krebszellen! In neueren Studien findet man dabei, dass wiederholtes kürzeres Fasten effektiver und praktikabler ist als langfristiges. Das Fasten löst eine Art zellulären Stress aus. Bei gesunden Zellen führt dies zu Reaktionen, die gegen Schäden durch Sauerstoffradikale schützen. Solche Moleküle entstehen bei Hunger vermehrt. Ihre Produktion wird aber auch durch viele Chemotherapeutika (Medikamente gegen Krebs) angeregt und gilt als Hauptursache von deren starken Nebenwirkungen. 24 bis 72 Stunden Fasten vor der Chemotherapie bereitet normale Körperzellen offenbar gut auf hohe Konzentrationen von Sauerstoffradikale vor. Sie sind deshalb eher in der Lage, sich gegen die aggressiven Moleküle zu wehren. Krebszellen hingegen sind kaum fähig, diese Schutzmechanismen anzuschieben. Sie stellen sogar selber zusätzlich noch reichlich aggressive Moleküle her. Das führt dann dazu, dass sie letztlich „zellulären Selbstmord“ begehen! Diesen Effekt kann nun auch für Jedermann/-frau als einfache Verbesserung der Abwehr bei wiederkehrenden Infektionen diverser Ursachen benützt werden. Dann aber auch zur „Stoffwechsel-Erschütterung“ und als Wende bei schweren Krankheiten, wie eben bei chronischen Schmerzzuständen (Neuroinflammation! und natürlich auch alle Rheumatischen Leiden).

    Unterschied der Schmerzempfindung von Mann und Frau

    „Jeder kennt es: Man schneidet sich leicht in den Finger.
    Doch ab diesem Zeitpunkt denken Frauen und Männer höchst unterschiedlich:
    Frauen:
    Denken “Aua” stecken den Finger in den Mund, damit das Blut nicht durch die Gegend tropft.
    Nehmen mit der anderen Hand ein Pflaster aus der Packung, kleben es drauf und machen weiter…
    Männer:
    Schreien “Scheisse!”, strecken die Hand weit von sich und sehen in die andere Richtung, weil sie kein Blut sehen können.
    Rufen nach Hilfe, derweil bildet sich ein unübersehbarer Fleck auf dem Teppichboden.
    Müssen sich erst mal hinsetzen, weil ihnen so komisch wird und hinterlassen eine rote Spur wie bei einer Schnitzeljagd.
    Erklären der zu Hilfe Eilenden mit schmerzverzerrter Stimme, sie hätten sich beinahe die Hand amputiert…
    Weisen das angebotene Pflaster zurück, mit der festen Überzeugung, dass es für die grosse Wunde zu klein sei.
    Schlagen heimlich im Gesundheitsbuch nach, wie viel Blutverlust ein durchschnittlicher Erwachsener überleben kann, während sie in der Apotheke grosse Pflaster kauft.
    Lassen sich mit einem heldenhaften Gesichtsausdruck das Pflaster auf die Wunde kleben.
    Mann will Bier, um über den Schmerz hinweg zu kommen.
    Lupfen das Pflaster an, um zu sehen, ob es noch blutet, während sie zur Tankstelle fährt und Bier holt.
    Drücken an der Wunde so lange rum, bis sie wieder blutet…
    Mann macht ihr Vorwürfe, dass das Pflaster nicht fest genug geklebt war.
    Wimmern unterdrückt, wenn sie vorsichtig das alte Pflaster ablöst und ein neues draufklebt.
    Schleichen sich nachts in regelmässigen Abständen aus dem Bett, um im Badezimmer nach dem verdächtigen roten Streifen zu forschen, der eine Blutvergiftung bedeutet.
    Sind demzufolge am nächsten Tag völlig übernächtigt und übellaunig.
    Nehmen sich vormittags zwei Stunden frei für einen Arztbesuch, um sich nur zur Sicherheit bestätigen zu lassen, dass sie wirklich keine Blutvergiftung haben.
    Klauen nachmittags aus dem Notfallpack im Aufenthaltsraum der Firma einen Mullverband, lassen die blonde Sekretärin die Hand bandagieren und geniessen ihr Mitgefühl.
    Dermassen aufgebaut, gehen sie abends zum Stammtisch und erzählen grossspurig, dass die “Kleinigkeit” wirklich nicht der Rede wert wäre.“

    Dies ist wirklich nicht nur im Witz wahr, sondern auch durch Studien erhärtet: Der Mann erlebt den Schmerz viel intensiver als die Frau.

    Jedoch: Beim zweiten Mal mit demselben Schmerzimpuls empfindet der Mann dies als weniger intensiv, hingegen fühlen Frauen auch noch beim x-ten Mal den Schmerz gleich stark. Dies scheint die Ursache zu sein, dass chronische Schmerzen bei Frauen viel häufiger auftreten.

    Links

    • Dauerschmerz ist Dauerstress und sein Gegenspieler ist die tiefe Entspannung! >>> www.dr-walser.ch/entspannung/
    • Schmerzen aus Bindegewebe und Muskel: www.dr-walser.ch/rolfing/
    • Mein Blogbeitrag über Neuroinflammation und über die Hypersensibilität/Hochsensibilität.
    • Eine Seite in der das Thema auf den Punkt gebracht wird. Kurz und bündig werden die häufigsten Ursachen erläutert und weitere Infoquellen genannt: www.meine-gesundheit.de/schmerz.
    • Sehr umfangreich und übersichtlich für interessierte Laien, Betroffene und für Angehörige mit Abhandlungen über die Entstehung chronischer Schmerzen, Schmerztypen und verblüffende Gesichtswinkel (Lust, Religion…) bei www.medizinfo.de/schmerz/schmerz.htm.
    • Bei chronischen Schmerzen, die eine selbstständige Krankheit werden können, empfehle ich wärmstens Selbsthilfegruppen: www.schmerzliga.de ist eine deutsche, die sich für mehr Verständnis, bessere Diagnostik und Therapie einsetzt.
    • Chronische Schmerzen bei Männer als Teil einer Depression: www.piqd.de/gesundheit/manner-suchen-seltener-nach-hilfe-das-muss-sich-andern : „Frauen suchen Hilfe – Männer sterben!“ Das ist der beunruhigende Titel einer Forschungsarbeit an der Universität Innsbruck. Dahinter steckt die These, dass Depressionen bei Männern oft nicht erkannt werden, weil Männer andere Symptome zeigen und seltener Hilfe suchen. „…Als er nach einem Unfall ständig Kopfschmerzen hatte, ging er das so an, wie er es gewohnt war, wie Männer es immer noch lernen: Er begann zu kämpfen. Diverse Untersuchungen, Behandlungen, Schmerztagebuch. Er sammelte mögliche Trigger für den Schmerz: Koffein, Wetterumschwung, Stress, Schlafmangel… „Es geht nur so, dachte ich. Wenn ich besser auf meinen Körper höre, finde ich alle Trigger und damit das Ende der Schmerzen…“ Schmerz lass nach!

    Veröffentlicht am 09. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:

    16. Februar 2025