Angst und Panik

„Wir haben gelernt, keine Angst zu haben. Jetzt bitten wir den Rest von Ihnen, keine Angst zu haben.“
Oleksij Resnikow, Verteidigungs­minister der Ukraine, 2022

„In meinem Leben habe ich unvorstellbar viele Katastrophen erlitten.
Die meisten davon sind nie eingetreten.“ Mark Twain

Was kann ich sofort gegen meine Angst tun?!

  • Entspanne Dich! Mach die Kurzform der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson: Leg Dich ins Bett (geht auch im Sitzen, z.B. im Flugzeugsitz!), spanne die Gesässmuskeln an, balle die Hände ganz fest zu Fäusten und drücke den Kopf ins Kissen. Zähle auf 30 und entspanne dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederhole etwa fünf bis sechs Mal.
  • Komm ins Hier und Jetzt! Achte auf 5 Dinge um Dich, die Du im Moment siehst. Dann auch 3 Dinge, die Du jetzt riechst. Und auch 5 Dinge, die Du um Dich abtasten kannst! Achte auf Deinen Atem – und mache ihn ruhiger, langsamer. Atme länger aus als ein! Leg Dein Smartphone weg und schalte es aus – und nimm Deine Airpods aus den Ohren!

Die Angst als Überbleibsel unserer Evolution

Angst ist vielleicht das älteste Gefühl der Menschheit. Ohne sie überlebt niemand. Die erste Antwort auf Gefahr ist bei keinem einzigen Tier der Kampf. Sondern immer die Flucht. Angst ist also etwas extrem Physisches – der Körper macht sich bereit zur Flucht. Das Herz pumpt. Der Atem geht schneller. Man scheisst – und wird dabei buchstäblich leichter. Der präfrontale Kortex schaltet ab. Angst ist deine beste Freundin in Gefahr. Panik hast du ab dem Moment, an dem die Angst nicht mehr funktional ist. Etwa wenn du erstarrst oder in die falsche Richtung rennst. Sie ist eine übersteigerte Angst, die in Schockstarre oder Aktionismus kippen kann.
Bei Angst und Panik erlebt man eine Notfallreaktion. Die ist extrem sinnvoll, wenn Sie von einem Löwen gejagt werden. Nur leider zündet sie bei uns häufig im falschen Moment: Es gibt Fehlalarme.

Die Rauchmelder-Erklärung verändert, wie Menschen über ihre Angststörung denken. Sie kooperieren viel besser in der Therapie, wenn ihnen erklärt wird, dass ihre Emotionen in anderen Situationen sinnvoll sein können, aber dass sie einfach zu viel davon haben.

Und tatsächlich ist es so, dass Menschen, die mehrere Panikattacken haben, oftmals erleben, wie die Schwelle sinkt – dass schon kleinere Reize ausreichen, um eine Attacke auszulösen. Dass hilft mir zu erklären, warum angsthemmende Mittel wichtig sind. Wenn sie die Feedbackschleifen blockieren und verhindern, dass es in den nächsten sechs Monaten zu einer Attacke kommt, wird das ganze System unempfindlicher.

„Unangenehme“ Gefühle?

„Gefühle wie Enttäuschung, Verlegenheit, Irritation, Groll, Wut, Eifersucht und Angst sind, anstatt schlechte Nachrichten zu sein, eigentlich sehr klare Momente, die uns lehren, wo wir uns zurückhalten. Sie lehren uns, aufzustehen, wenn wir das Gefühl haben, dass wir lieber zusammenbrechen und uns zurückziehen würden. Sie sind wie Boten, die uns mit erschreckender Klarheit genau zeigen, wo wir feststecken. Genau dieser Moment ist der perfekte Lehrer, und, zum Glück für uns, ist er bei uns, wo immer wir sind.“ Pema Chödrön

Die drei grossen Ängste des Menschen

  • Angst vor dem Tode
  • Angst, Verlassen zu werden
  • Angst, nichts wert und bedeutungslos zu sein

Alle drei sind unter sich verbunden – und das Zepter führt wohl immer die Todesangst. Alle drei begleiten uns auch durch unser ganzes Leben, mehr oder weniger. Sie sind immer irgendwie präsent. Wir sind trotz aller Sicherheitsmassnahmen extrem verwundbar. Wir können unser Leben nicht wirklich kontrollieren. Corona-Pandemie, die Klimakrise, Kriege und letztlich unsere Sterblichkeit sind soviel stärker, als wir das wahrhaben wollen. Wir haben verlernt, mit dieser Grundunsicherheit und Angst zu leben. Wie wäre es, wenn wir jetzt beginnen uns mit dieser Angst und dem Nicht-Wissen anzufreunden. Sie macht uns wach und hellhörig und sensibel füreinander. Diese drei Ängste können dich auch, wie liebe Freundinnen, immer wieder darauf hinweisen, dass ein „höheres Selbst“, welches über unser Ego hinausgeht, nicht sterben kann – auch nie verlassen werden kann und auch immer einen grossen Wert besitzt, ein grosses Licht, das wir nie verlieren! Der Körper ist im Geist – und nicht umgekehrt.

Das „höhere Selbst“, Demut, Mystik

Der Philosoph Ernst Tugendhat hat uns Menschen (in seinem Buch «Egozentrizität und Mystik») als Ich-Sager beschrieben: Wir können als sprachliche Wesen nicht anders, als von uns aus auf die Welt zu blicken. Drei Möglichkeiten macht er aus, um uns von dieser Ich-Fixierung auf die eigene Gegenwärtigkeit zu lösen. Eine erste, wenn wir lebensklug planend von aktuellen Bedürfnissen Abstand nehmen, um uns zukünftige eigene Wünsche erfüllen zu können. Eine zweite, wenn wir von uns absehen, um die legitimen Perspektiven anderer zu ihrem Recht kommen zu lassen. Das nennt man dann Ethik. Und Demut oder Mystik nennt er eine dritte Perspektive: Wenn wir unser Ich in Relation setzen zu etwas, was uns schlechterdings übersteigt. Was grösser ist als wir, wie zum Beispiel der gestirnte Himmel über uns, an den uns schon Kant erinnerte. Oder die Jahrtausende der Erdgeschichte, gegen die unser Leben sich wie ein Nichts ausnimmt. So könnte man das, was uns das Coronavirus über das Leben lehrt, sehen und dafür den Ausdruck «Demut» verwenden. Aber hat das alles wirklich diese grundsätzliche Dimension? Ja, die Dinge entgleiten uns, das ist schon ein sehr bestimmendes Gefühl. Es ist, als wären wir in Treibsand geraten. Oder in eine Nebelbank, wo die Orientierung plötzlich weg ist. Mir scheint, das tatsächlich sehr gefährliche Virus verstärkt eine fiebrige Befindlichkeit, die schon da war. Diese demütige Haltung zeigt eindrücklich und mit viel Erfolg der Schweizerische Fussballnationalmannschaftstrainer: Dies, nachdem er eben den Fussballgott Italien aus der direkten WM-Qualifikation rausgeschossen hat – notabene mit mindestens 7 fehlenden Stammspieler…

Sind Stress und Angst Gewohnheiten wie Rauchen oder schlechte Ernährung?

Kann ich mir Angst abgewöhnen wie Rauchen, fragt sich Theresa Bäuerlein im Krautreporter: Angst kann man auch als ein Gefühl von Nervosität oder Unruhe denken, dieses Unbehagen, das man fühlt, wenn man sich etwas vorstellt, das man nicht unter Kontrolle hat. Dieses Gefühl löst dann ein bestimmtes Muster aus. Zum Beispiel fängt man an, sich Sorgen zu machen und verstrickt sich immer mehr in grübelnde Gedanken.
Dieses Verhalten wird zur Gewohnheit. Wir bekommen für dieses Muster eine „Belohnung“, nämlich das Gefühl, etwas zu tun. Wir bekommen die Illusion, dass wir die angstauslösende Situation besser kontrollieren können.
„Wenn wir ein unangenehmes Gefühl haben, löst es gewohnte Muster aus, mit denen wir das Gefühl schwächen oder auslöschen wollen. Wir fangen zum Beispiel an, zu grübeln und uns Sorgen zu machen. Das kann sich anfühlen, als würden wir tatsächlich etwas tun, um mit der Situation umzugehen. In Wirklichkeit lenkt es uns ab und gibt uns ein Gefühl von Kontrolle, auch wenn wir eigentlich keine haben.“
Der Psychiater und Neurowissenschaftler Judson Brewer meint, dass dieses Muster deshalb so erfolgreich ist, weil es uns davon abhält, die Angst wirklich zu spüren. Der Preis dafür ist jedoch, dass sich die Ängste weiter steigern können. Man kann sich Fragen stellen, zum Beispiel: „Was habe ich davon, wenn ich mir Sorgen machen?“ und so ein wirksames Gegengift gegen die Spirale aus Angst und Sorgenmachen aktivieren: die Neugier. Wichtig dabei, so Brewer, sei es, den ganzen Körper mit einzubeziehen.
„Der Körper wird sehr unterschätzt. Unser Kopf ist ziemlich laut, deshalb kriegt er die ganze Anerkennung für alles. Währenddessen zieht unser fühlender Körper hinter den Kulissen die Hebel für unser Verhalten. Als Nächstes können wir uns also fragen: Was fühlt sich besser an? Hier kommt Neugier ins Spiel.“
Mithilfe dieser beiden Ressourcen – die Angst fühlen und neugierig sein – lässt sich das eingeübte Muster nach Brewers Erfahrungen abgewöhnen, so wie eine schlechte Angewohnheit. (Quelle: Silke Jäger in piqd.de)
Weiterlesen: walserblog.ch/2022/03/05/angst-aufsuchen/
dr-walser.ch/angst-surfen.pdf

Habe ich wirklich schon eine „Angststörung?“

Jede zehnte Person, die sich an den Hausarzt wendet, schlägt sich mit einer Angststörung herum. Doch nur zur Hälfte wird die Angstkrankheit vom Arzt auch wirklich erkannt, da die Patienten selten von sich aus über ihre Angstgefühle sprechen, sondern in der Regel über körperliche Symptome berichten. Doch bereits mit vier einfachen Screening-Fragen kann der Hausarzt einer Angststörung auf die Spur kommen:

  • Fühlten Sie sich in letzter Zeit angespannt, nervös, angetrieben?1 Punkt
  • Machten Sie sich viel unnötige Sorgen oder ängstigten Sie sich sehr?1 Punkt
  • Waren Sie in letzter Zeit sehr reizbar?1 Punkt
  • Hatten Sie starke Mühe, sich zu entspannen?1 Punkt

Falls mindestens 2 dieser Fragen bejaht werden, können noch weitere 5 Screening-Fragen beantwortet werden:

  • Haben Sie in letzter Zeit sehr schlecht geschlafen?1 Punkt
  • Hatten Sie regelmässig Kopf- oder Nackenschmerzen?1 Punkt
  • Hatten Sie regelmässig folgende Beschwerden: Zittern, Kribbelgefühle, Schwindelgefühle, Schwitzen, Druck auf der Brust, Atemnot, häufiges Wasserlassen, Durchfall?1 Punkt
  • Haben Sie sich unnötige starke Sorgen um Ihre Gesundheit gemacht?1 Punkt
  • Hatten Sie starke Mühe mit Einschlafen?1 Punkt

>>> Beträgt das Total 6, so kann bereits zu fünfzig Prozent eine Angststörung vorliegen. Mehr als 6 Punkte vergrössern diese Wahrscheinlichkeit.

Angst und Depression

Die Zukunft macht uns Angst die Vergangenheit hält uns fest deshalb können wir die Gegenwart nicht geniessen. Angst vor dem Kommenden, vor der Zukunft – und Niedergeschlagenheit angesichts des Gewesenen, vor der Vergangenheit: Die Angst und Depression sind zwei Seiten derselben Medaille, ängstliche Menschen sind nicht selten auch depressiv und umgekehrt. Im Persönlichkeitsmodell der „Big Five“ sind Ängstlichkeit und Niedergeschlagenheit zwei Facetten ein und derselben Grundeigenschaft, des „Neurotizismus“, der emotionalen Labilität. Besonders frappant ist die Verkoppelung bei der „generalisierten Angststörung“, bei der sich die Angst verselbständigt hat und frei von Auslösern kommt und geht, wie sie will. Meist kommt erst die Angst im Leben, und wenn sie nicht vergehen will, gesellt sich in späteren Jahren die Depression hinzu. Auch Studien haben nun ergeben, dass Menschen während einer Depression ihr Denken auf die Vergangenheit fokussieren. Haben Menschen hingegen Angst, so gehen ihnen vor allem zukünftige Ereignisse durch den Sinn, die sie als Bedrohung empfinden. Vergangene Dramen stimmen also eher depressiv, künftige ängstlich! (A.Pomeranz, P.Rose: Is depression the past tense of anxiety? Int Journal of Psych, DOI: 10.1002/ijop.12050). Therapeutische Folgerungen zeigen zeitlich in die Mitte: Das achtsame Fokussieren auf die Gegenwart, auf das, was gerade in diesem Moment, im Hier und Jetzt geschieht, hilft sowohl gegen Angst als auch gegen die Depression!  Die verschiedensten Meditationsformen sind dazu häufig ein wirksames Instrument: Erst kürzlich (2023) berichteten US-Wissenschaftlerinnen im Fachblatt «Jama Psychiatry», dass das Meditationsprogramm «Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion» (MBSR) bei bestimmten Angsterkrankungen ebenso erfolgreich sein kann wie das Antidepressivum Escitalopram. Das gleiche Programm wurde schon mit besserer Schmerzregulation und mit Linderung von Migräne in Verbindung gebracht.
Speziell die Yoga-typische Kombination aus Bewegung, Atemübungen und/oder Meditation scheint sich auf leichte und moderate Depressionen oder Angstzustände positiv auszuwirken, zumindest als ergänzende therapeutische Massnahme.

Soziale Phobie

Durch unsere evolutionäre Entwicklung und Biologie kann man sinnvoll die Soziale Angst erklären. Die Biologin Mary Jane West-Eberhard sagt dazu, dass unsere Fähigkeit zur Moral uns einen evolutionären Vorteil gebracht hat, weil sie uns bessere Partner verschafft.
Wir alle suchen unentwegt nach den bestmöglichen Partnern für unsere Gruppe, unsere Projekte und natürlich die Liebesbeziehung. Und wir wollen jemanden, der gut ist, ehrlich, vertrauenswürdig, empathisch und der viele Ressourcen hat, die er mit uns teilen kann. Das ist soziale Selektion, sie führt zur Fähigkeit, moralisch zu handeln, zu lieben und sich zu binden.

Und sie führt dazu, dass es uns sehr wichtig ist, was andere über uns denken… Dies wiederum zieht oft eine erdrückende soziale Angst nach sich.

„All die Jahre habe ich mich gefragt, warum zum Teufel sich Menschen mit sozialer Angst so viele Sorgen darüber machen, was andere über sie denken. Die Antwort ist, dass die Evolution uns derart geformt hat: Wir denken sorgfältig und unentwegt darüber nach, was andere über uns denken, und versuchen, es anderen recht zu machen. Früher habe ich zu meinen Patienten mit Angststörung gesagt: Andere Leute denken gar nicht so viel über Sie nach! Warum sind Sie eigentlich so ichbezogen? Als ich es besser wusste, begann ich zu sagen: Sie sind eine sehr sensible Person, und das ist etwas Wunderbares. Es gibt Menschen, die es nicht interessiert, was andere über sie denken. Die sind das Problem, nicht Sie. Augenblicklich fingen meine Patienten an zu sehen, dass sie etwas Wertvolles an sich hatten und nicht fehlerhaft waren.“ (Randolph Nesse, Mitbegründer der evolutionären Medizin in Der Zeit, 12/23)

Achtung: Disease Mongering!

In der Bevölkerung sind Angststörungen weit verbreitet. Grosse Studien zeigen, dass jede vierte befragte Person in ihrem Leben schon an einer Angststörung litt. Hier ist Achtsamkeit angebracht, um nicht dem „Disease Mongering“, meint: der Problem- und Mengenausweitung zu unterliegen. Krankheiten werden ins Gespräch gebracht und dann „verkauft“… Von der Pharmaindustrie in letzter Zeit massiv betrieben – so auch bei der „Sozialen Phobie“! Dasselbe gilt auch beim ADHS, der Glatze, Schüchternheit, Restless-Legs-Syndrom und der Impotenz… Bereits ein simpler Namenswechsel von der altbekannten „Schüchternheit“ zur „Sozialen Phobie“ hat weitreichende Folgen für die Einschätzung der „Krankheit“! So glaubten Teilnehmer einer Studie (M.E. Young et al.: The role of medical language in changing public perception of illness. PLoS ONE, 3/12, 2008, e3875) nicht nur, dass etwa „Hyperhidrosis“ oder „Androgenetische Alopezie“ sehr viel ernster zu nehmende Krankheiten seien, als ihre alltäglichen Namensvettern, sondern sie befürchteten obendrein, dass die mit medizinischen Fachausdrücken beschriebene Wehwehchen auch noch besonders selten sind. Ältere, bereits etablierte medizinische Fachbegriffe hatten diesen Effekt allerdings nicht (hier also „übermässiges Schwitzen“ oder „männlicher, genetischer Haarausfall“). Neuerdings hat sich also die Soziale Phobie als häufigste Angststörung entpuppt. Hauptsächlich das Sprechen in der Öffentlichkeit oder vor einer Gruppe fällt den Betroffenen extrem schwer, da sie eine Riesenangst vor den kritischen Blicken und dem vermeintlich vernichtenden Urteil ihrer Zuhörer haben. Auch die Kontaktaufnahme für Gespräche mit anderen Personen ist schwer beeinträchtigt, weil Patienten mit Sozialer Phobie befürchten, Dummheiten zu sagen und sich lächerlich zu machen. Es handelt sich um ein stilles Leiden, auf das sich nicht selten noch eine Depression aufpfropft. Es ist wichtig zu wissen, dass Betroffene der „wahren“ Sozialen Phobie vermehrt Suizidgedanken haben und gehäuft Suizidversuche unternehmen. Die Soziale Phobie kann mit zentralen Beziehungskonflikten des Menschen zusammenhängen. Dieser Beziehungskonflikt hat drei Komponenten: Die erste ist der Wunsch, „Ich möchte mich zeigen und Bestätigung bekommen.“ Dieser Wunsch, sich vor anderen zu bewähren, ist den Betreffenden meist gar nicht bewusst, weil in diesen Situationen die Angst dominiert. Der Wunscherfüllung steht eine bestimmte Erwartung – die zweite Komponente – entgegen: „Die anderen werden schlecht von mir denken.“. Daher rührt die Vermeidung, die dritte Komponente. In der Therapie geht es deshalb zentral darum, den verschütteten Wunsch nach sozialer Bestätigung wieder bewusst zu machen und ihn in einen Zusammenhang mit der sozialen Angst zu bringen.

Klimaangst: Panik oder Verleugnung!

Immer häufiger begegnet mir bei Mitmenschen (wie auch bei mir) eine neue Angst, eine neue Art Weltschmerz, ein enormes Ohnmachtsgefühle durch die Klimakrise, die immer deutlicher und bewusster wird. Diese Angst ist primär eine sehr reale Angst (wie die, wenn ein wirklicher Löwe vor uns stehen würde) – sie steigert sich nun aber bei nicht wenigen in eine Panik – oder eben ins Gegenteil, in die Verleugnung.

Manche Forscher sehen übrigens inzwischen einen Zusammenhang zwischen unserem Individualismus, dem zu mehr Konsum führenden Versprechen auf Selbstverwirklichung und der Umweltkrise. Es kann nun sogar sein, dass herkömmliche Psychotherapie-Ansätze Teil des Problems sind. Damit wurde auch mit geholfen, eine Kultur des Egoismus und der monströsen, mit fossilen Brennstoffen betriebene Wirtschaft, von der diese Kultur abhängig ist, zu erschaffen.

Eine neue Art Psychotherapie sollte zunächst  klar machen, dass es darum geht, „die Ungewissheit auszuhalten“, die das Problem hervorruft, also über die „Reptilienhirn“-Reaktionen von Panik oder eben Verleugnung der Klimakrise hinauszukommen.

Es tut uns nicht gut, diese Angst zu ersticken. Es tut uns nicht gut, vorzugeben, sie sei nicht existent. Stattdessen schauen wir uns an, was dahinter steckt. Und was hinter dieser Panik steckt, ist die Angst vor Verlust.

Der Wendepunkt ist die Anerkennung meiner eigenen Sterblichkeit und dann auch der Sterblichkeit meiner Umgebung, meines Umfelds. Es ist die existentielle Angst vor dem Tod. Menschen neigen in der Folge dazu, sich zu öffnen, wenn sie sich den Themen Tod und Katastrophe stellen. Sie werden weniger panisch und sie können wieder produktiv aktiv werden und (gemeinsam) etwas gegen die Klimakatastrophe in Angriff zu nehmen. Denn es wird eine enorme kollektive Anstrengung nötig sein, die ohne all die individuellen nicht zu denken ist.

Ted-Talk über Umgang mit der Klimaangst >>> verwandt: Angst in Zeiten des Coronavirus

Ängste nach der Krebsdiagnose

Mit der Angst ist es so eine Sache. Sie wird kleiner, je mehr man sich ihr nähert. Deshalb lohnt es sich, behutsam auf das zuzugehen, vor dem man sich fürchtet: Was genau macht mir Angst? Sind es die nächsten Behandlungsschritte, die anstehen? Nebenwirkungen, die nach der Chemotherapie oder Bestrahlung auftreten könnten? Graut es mir vor allem davor, anderen zur Last zu fallen? Oder fürchte ich insgeheim, mich äusserlich zu verändern?
Was hilft, ist, sich den bedrohlichen Gedanken zu stellen. Nimmt die Angst überhand, sollte man sich dafür psychotherapeutische Unterstützung holen. Eine meiner Patientinnen fürchtete sich am meisten davor, sie könnte eines Tages tot in ihrer Wohnung liegen und niemand findet sie. Dabei ruft ihre Schwester täglich an und würde sofort merken, wenn sie nicht ans Telefon geht. Die Frau musste das Szenario gezielt zu Ende denken, um ihm den Schrecken zu nehmen. Es ist immer besser, den Scheinwerfer in die Dunkelheit zu richten und sich das, wovor man sich fürchtet, einmal genau anzusehen.

Bei den meisten weckt eine Krebserkrankung Gedanken an die eigene Endlichkeit – selbst wenn die Prognose gut ist. Erstaunlich vielen gelingt es, die Angst vor dem Tod zu bewältigen. Einigen hilft es, die eigene Beerdigung zu planen. Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht mit dem Thema befassen möchten.

Manche können durch einen veränderten Bewusstseinszustand existenzielle Ängste bewältigen: An der Johns Hopkins University im US-amerikanischen Baltimore nahmen Krebspatienten begleitet von einem Psychotherapeuten den Wirkstoff Psilocybin ein, der in sogenannten magic mushroomsenthalten ist, also psychoaktiven Pilzen. Ähnliche Studien wurden in der Schweiz bereits mit LSD durchgeführt. Durch die Substanz schafften es die Patienten, eine neue Perspektive einzunehmen. Sie konnten die Widrigkeiten, die mit der Krankheit kamen, besser akzeptieren – und das auch noch Monate später. Einige kamen auf ihrem psychedelischen Trip sogar zu Einsichten, die ihre Einstellung zum Tod von Grund auf veränderten. Es geht aber auch weniger radikal: Hypnose kann ebenfalls erwiesenermaßen Ängste bei Krebspatienten lindern.

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Generalisierte Angststörung (GAD)

Das Generalisierte Angstsyndrom (monatelang ununterbrochen anhaltende Angst und unnötige Sorgen) kommt einher mit eigentlichen Panikattacken, d.h. abgegrenzte, plötzliche Perioden mit Ängstlichkeit oder Furcht (ohne klare Ursache oder Phobie) mit diversen körperlichen Symptomen während der Attacken: Atemnot, Herzklopfen oder -rasen, Schmerzen oder Unwohlsein in der Brust, Erstickungs- oder Beklemmungsgefühlen; Übelkeit, Durchfall, Reizdarm; Benommenheit, Schwindel oder Gefühl der Unsicherheit oder der Unwirklichkeit, Kribbeln in Händen oder Füssen, Hitze- und Kältewellen, Schwitzen, Schwäche, Zittern oder Beben, Furcht zu sterben, verrückt zu werden oder während einer Attacke etwas Unkontrolliertes zu tun. Gemäss DSM-IV bzw. -V handelt es sich bei der GAD um eine übermässige Angst und Sorge (bezüglich mehrere Ereignisse oder Tätigkeiten), die während mindestens sechs Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten. Die Person kann die Sorgen nur schwer kontrollieren. Mindestens drei der folgenden Symptome kommen hinzu:
1. Ruhelosigkeit
2. Leichte Ermüdbarkeit
3. Konzentrationsschwäche oder Leere im Kopf
4. Reizbarkeit
5. Muskelspannungen
6. Schlafstörungen

Obwohl sie die Angst im Namen trägt, zeigt sich die GAD meist nicht primär mit diesem Symptom! Körperliche Symptome, Schmerz, Schlafstörungen und Depression (in 90% bei der GAD auch vorhanden!) zeigen sich prominenter und zuerst! Deshalb wird die GAD in der Hausarztpraxis zu selten erkannt.

Angst als Teenagerproblem

Angststörungen haben Depressionen in den USA als häufigstes Teenager-Problem überholt. Was, wenn man es positiv sieht, auch damit zu tun haben  könnte, dass Teenager Hilfe suchen, wenn sie Angst haben. Diese  beruhigende Erklärung ist aber zu einfach, meinen Schulpsychologen: Wahrscheinlich liegt der Anstieg wirklich daran, dass mehr Teenager ernsthaft überfordert sind. „Es gibt nie den Punkt, an dem sie sagen können: Jetzt habe ich genug getan, jetzt kann ich aufhören“, sagt Suniya Luthar, Psychologie-Professor an der Arizona State University.
Gleichzeitig wird Angst als Krankheit immer noch stärker unterschätzt als Depression, weil Angst – nun, normal und nachvollziehbar scheint. Es gibt wahrlich genug Gründe, aus denen Menschen sich fürchten können, und die Grenze zur Störung ist manchmal nur hauchdünn. Wenn man Glück hat und wie Jake in einer privilegierten Umgebung aufwächst, landet man als Angstpatient in einer behutsam geführten Institution mit Maltherapie und Achtsamkeitsübungen. Angstgeschüttelte Teenager aus schwächeren Schichten müssen einfach klarkommen oder sind Lehrern sogar willkommen, weil sie als schüchtern gelten und weniger Ärger machen.
Smartphones und Social Media sind weitere Faktoren, die Ängste schüren. Smartphones geben eine Illusion von Kontrolle, aber  Facebook, Instagram etc sind das perfekte Medium, um sich ständig mit anderen zu vergleichen.

Phobien

Weitere häufige Angststörungen sind die einfachen Phobien (z.B. Furcht vor Sessel- oder Seilbahn, vor Tieren, vor dem Anblick von Blut), die Agoraphobie (Furcht vor Menschenmengen), etc..

Therapie

Angst ist primär ein lebenswichtiges Gefühl. Dies vor allem immer dann, wenn sie reale Gefahren anzeigt. Manchmal trauen sich die Menschen nicht, die reale Gefahr zu sehen, z.B. vor einer Trennung, einem Tod, einem atomaren Unfall. Man kann versuchen, Angst nicht mit allen „Huchs“ und „Achs“ zu zelebrieren, sondern auf etwas zu beziehen, um in ihrer Bedeutung erkannt zu sein. Angst kann immer auch als Impuls zum Nachdenken, zum Suchen genutzt werden. Also nicht gegen die Angst etwas tun, sondern aus ihr etwas machen: Um die Angst herumgehen, sie von allen Seiten angucken, ihr zuhören. Die besten drei Faustregeln sind:  Nicht versuchen, die Angst wegzumachen. Die Angst im Körper spüren. Herausfinden, was die Angst beschützen will. Was ist das Dümmste, was man tun kann? Zu sagen, sie sollen keine Angst haben. Ihnen irgendwelche Zahlen vorlesen und sagen, es sei gar nicht so schlimm.  (z.B. der Coronavirus…).

Kann ich mir die Angst abgewöhnen, da sie nur eine Gewohnheit ist? >>>

Angst-machende oder -verstärkende Drogen absetzen!

Beispiel Delilah: Die 16-Jährige wird von ihren Eltern zu Anna Lembke geschickt, weil sie zu viel kifft. Im Eingangsgespräch offenbart sie einen bestürzend umfangreichen Mix an Substanzen, die sie konsumiert. Ihr eigentliches Problem aber sei ein anderes: „Ich kiffe, weil ich Angst habe, und wenn Sie etwas gegen meine Ängste tun könnten, bräuchte ich das Gras nicht.“ Die Autorin befürchtet zunächst, das Mädchen werde sich gar nicht erst auf ihre Therapie einlassen, denn sie verlangt von der Jugendlichen Abstinenz – für mindestens vier Wochen. Lembke erläutert, warum: „Jede Droge, die die Belohnungspfade in unserem Gehirn so stimuliert wie Cannabis , verfügt über das Potenzial, in unserem Gehirn die Grundlinie, ab der wir Angst verspüren, zu verändern.“ Was sich beim Konsum von Cannabis so anfühle, als ob es Angstzustände lindere, könne in Wahrheit das Gefühl sein, eine Linderung der Entzugserscheinungen nach der Einnahme der letzten Dosis zu verspüren. Somit sei Cannabis die Ursache der Angstzustände und nicht ein Mittel, sie zu beheben. Vielleicht war diese Ansage genau das, was Delilah brauchte. Sie schaffte das „Dopaminfasten“ und befreite sich im Laufe der Therapie von ihren Ängsten.
(Anna Lembke: Die Dopamin-Nation. Balance finden im Zeitalter des Vergnügens. Unimedica, 2022)

Wann ist Angst vernünftig? Wann nicht?

Das ist exakt die falsche Frage. Dafür ist es exakt der Punkt: Dass Menschen unfähig sind, ihre Gefühle wahrzunehmen, hat damit zu tun, dass sie von klein auf lernen, dass ein Gefühl wie Angst nicht sein darf. Aber wir brauchen die Angst, sie weist uns auf Gefahr hin. Beispielsweise: nicht auf die Strasse zu rennen, wenn ein Auto kommt. Doch wenn die Angst nicht sein darf, wenn wir sie unterdrücken, nimmt sie eine hinderliche Dynamik an. Wenn wir zum Beispiel einem kleinen Kind sagen: „Du musst keine Angst haben“ führt das nicht dazu, dass es sich beruhigt. Sondern dazu, dass es sich fragt, was es falsch gemacht hat. Das gilt für Kinder. Aber sollte man sich als Erwachsener nicht zusammenreissen? Im optimalen Fall sind Gefühle ein Hinweis darauf, etwas zu ändern. Wenn das aber nicht mehr funktioniert, wenn wir anfangen, Gefühle zu unterdrücken, schlägt Angst in Panik um. Oder in Gewalt. Oder in Depressionen. Gefühle sind ein schlaues Warnsystem unseres Körpers. Sie weisen darauf hin, dass etwas nicht in der Balance ist. Nur hat unsere Gesellschaft einen tragischen Umgang mit unangenehmen Gefühlen wie Angst, Trauer oder Verzweiflung. Weil es für uns schwierig ist, sie auszuhalten, versuchen wir sie auszuschalten, indem wir relativieren, beschwichtigen oder uns ablenken. Und machen so alles schlimmer. Was sagt man in dem Fall seinen Kindern, wenn sie Angst haben? „Du hast Angst, und ich verstehe das. Ich habe manchmal auch Angst.“ Diese zu benennen, ist wichtig, dem Kind zu versichern, dass es okay ist, dass es Angst hat, und dass man bei ihm bleibt. (teilweise zitiert von Tanja Walliser aus der Republik vom 07.03.20)

Nicht WAS wir erleben, sondern WIE wir wahrnehmen was wir erleben, macht unser Schicksal aus!

Wir sind keine „Opfer“ unseres Schicksals. Nicht WAS wir erleben, sondern WIE wir wahrnehmen was wir erleben, macht unser Schicksal aus! Man darf sogar – analog unserer Wut (Niemand kann dich wütend machen, ausser Du selbst!) – von unserer Angst oder unserem Glück behaupten: Niemand kann dich ängstlich oder glücklich machen, nur du dich selbst. Doch… Konstruktivismus erklärt nicht alles! Es ist immer auch ein Mischmasch zwischen einer „realen Wirklichkeit“ (der Coronavirus!) und dem Konstruierten, Projizierten… Meine Lieblings­definition der Wirklichkeit stammt vom kanadischen Philosophen Charles Taylor (*1931): „Real ist das, womit man fertig werden muss, was nicht allein deshalb verschwindet, weil es nicht den eigenen Vorurteilen entspricht. Aus diesem Grund ist das, was man im Leben unweigerlich in Anspruch nehmen muss, etwas Reales bzw. etwas so annähernd Reales, wie man es zurzeit erfassen kann.“ (Aus: Charles Taylor, «Quellen des Selbst», S. 117)
Davon gibt es eine Populärversion von John Lennon: «Life is what happens to you while you’re busy making other plans.» Nach diesen Definitionen ist das Coronavirus ungemein wirklich. Wir müssen mit ihm fertig werden, obwohl wir andere Pläne hatten.
(Daniel Strassberg, 31.3. in der Republik)

Welche Psychotherapierichtungen?

„Die Angst, die es uns im Leben so schwer macht, entspringt nicht nur unserem biologisch-genetischen Substrat (ein pharmazeutisches Modell), nicht nur unserem Kampf mit unterdrückten instinktiven Trieben (ein Freudscher Standpunkt), nicht nur wichtigen, von uns verinnerlichten Erwachsenen, die vielleicht nicht mitfühlend, nicht liebevoll oder neurotisch waren (eine objektbezogene Position), nicht nur gestörten Denkformen (eine Position der kognitiven Therapie), nicht nur Scherben vergessener traumatischer Erinnerungen oder aktueller Lebenskrisen, die die Karriere und die Beziehung zu bedeutsamen Mitmenschen involvieren, sondern auch der Konfrontation mit unserer Existenz.“ (aus „In die Sonne schauen“ von Irvin D. Yalom).

Es ist wichtig, zu verstehen, wie therapeutische Modelle Menschen Möglichkeiten bieten, sich selbst zu beschreiben. Diese Modelle sind aber keine objektiven Beschreibungen der Psyche, sondern Hilfsmittel, um sich an ihr abzuarbeiten. Das funktioniert aber nur, wenn man an bestimmte Konzepte glaubt.
Haben wir wirklich „Kernüberzeugungen“? Sind wir wirklich von unseren „automatischen Gedanken“ geprägt? Allein dadurch, dass wir solche Vorstellungen äussern, können wir sie fast wahr machen. Indem wir an die Beschreibungen glauben, ermöglichen wir es der Therapie, von der Theorie in die Praxis zu gleiten. 

Gesprächstherapie kann eine Begleitung zu aktiverem, bewussterem Leben sein.

Die Verhaltenstherapie: „Hören Sie auf, sich die Szene vorzustellen – und entspannen Sie sich!“ (Joseph Wolpe. 1915-97). Hintergrund: Wer entspannt ist, kann nicht zugleich Angst empfinden – d.h., Menschen können nicht zwei entgegengesetzte Gefühle gleichzeitig fühlen. Also: Wer Tiefenentspannung als konditionierte Reaktion auf ein gefürchtetes Objekt erlernt hat, kann nicht zur selben Zeit Angst empfinden!
„Problem Solving Treatment“ ist eine Kurzform einer kognitiven Therapie. Sie fokussiert auf dem Hier und Jetzt und hilft Patienten ihre eigenen Fertigkeiten und Ressourcen besser zu nutzen. Es wird ihnen erklärt, dass ihre Beschwerden mit psychosozialen Problemen zusammenhängen. Gelingt es diese Probleme zu lösen, könnten sich ihre Symptome bessern. Problem Solving erfolgt in folgenden Schritten:  Klärung und Definition des Problems, Wahl erreichbarer Ziele, Lösungsoptionen generieren, Wahl bevorzugter Lösungen, Implementierung bevorzugter Lösungen, Evaluation. Wirksamkeitsstudie hier>>>

Kritische Gedanken zur Kognitiven Verhaltenstherapie

Die Vorstellung, dass wir unsere automatischen Gedanken in Frage stellen und anpassen können, wie in der kognitiven Verhaltenstherapie eingeübt, gibt uns das Gefühl, die Kontrolle zu haben, aber das ständige Ringen mit unseren Gedanken kann selbst zu einer schlechten mentalen Angewohnheit werden: Wenn Sie sich ängstlich fühlen, besteht die beste Herangehensweise vielleicht nicht darin, Ihre ängstlichen Gefühle zu hinterfragen oder einen rationalen Gegenangriff zu starten, sondern einfach die Angst zu bemerken und sie dann vorübergehen zu lassen. Sie verschwindet von selbst. Wenn man sie wegschiebt oder sich mit ihr beschäftigt oder sich mit ihr herumschlägt, wird sie wachsen.

Ich bin deshalb mittlerweile ein überzeugter Vertreter einer von Achtsamkeit geprägten Theorie der persönlichen Veränderung, die ihre Wurzeln in der sogenannten buddhistischen Psychologie hat.

Ein Therapeut mit Wissen von den „Existentiellen, Letzten Fragen“ des Lebens greift die Angst vor dem Tod, die Freiheit zur Verantwortung und die Isolation im Leben direkt auf. Wenn man aber auf die Sinnlosigkeit trifft, kann der Therapeut dem Patienten dabei helfen, „von der Frage wegzuschauen“: Lösungen für das Engagement zu suchen, statt in das Problem der Sinnlosigkeit einzutauchen und durch dieses hindurchzuschwimmen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist, wie Buddha uns gelehrt hat, nicht erbaulich. Besser wäre es, in den Fluss des Lebens einzutauchen und die Frage davonschwimmen lassen. (Lesen Sie dazu das fantastische  Buch „Existentielle Psychotherapie“ von Irvin D. Yalom)

Achtsamkeitstraining, z.B. die Mindfulness-Based-CognitiveTherapy (MBCT) kann den Betroffenen einen Weg weisen, ihren Ängsten und depressiven Episoden entgegenzutreten, sich selbst aus den düsteren Gedankenzirkeln zu befreien und vor Rückfällen zu schützen. Achtsamkeit hilft, statt im Tun-Modus, im Sein-Modus offen zu sein für die Erfahrung im jeweiligen Augenblick, ohne sie verändern zu wollen. Literatur dazu: Petra Meibert: Der Weg aus dem Grübelkarussel. Achtsamkeitstraining bei Depression, Ängsten und negativen Selbstgesprächen. Das MBCT-Buch. Kösel, 2014.
Siehe dazu auch die zeitliche Zusammenhang zwischen Depression und Angst – und der Ausweg über die „Mitte“, über das „Hier und Jetzt“.

2023 berichteten US-Wissenschaftlerinnen im Fachblatt «Jama Psychiatry», dass das Meditationsprogramm «Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion»  (MBSR) bei bestimmten Angsterkrankungen ebenso erfolgreich sein kann wie das Antidepressivum Escitalopram. Das gleiche Programm wurde schon mit besserer Schmerzregulation und mit Linderung von Migräne in Verbindung gebracht. Speziell die Yoga-typische Kombination aus Bewegung, Atemübungen und/oder Meditation scheint sich auf leichte und moderate Depressionen oder Angstzustände positiv auszuwirken, zumindest als ergänzende therapeutische Massnahme.

Aber Achtung: Viel hilft viel, das mag für Sonnencremes gelten, aber nicht für die „Achtsamkeit“! Vielmehr kann zu häufiges oder zu lang andauerndes Training negative Effekte haben (Willoughby B. Britton: Can mindfulness be too much of a good thing? The value of a middle way. Current Opinion in Psychology, 2018. DOI: 10.1016/j.copsyc.2018.12.011).
Die dabei auftretende Selbstfokussierung kann Ängste und Depressionen nach sich ziehen. Man sieht hier ein interessantes Phänomen (wie häufig bei Medikamenten auch), dass Nebenwirkungen ähnliche Bilder wie die Indikationsdiagnose selbst produzieren kann. Auch hier gilt also „Alles mit Mass!“, was schon im Fries vom altgriechischen Tempel zu Delhi stand…

Wie beruhigt man jemanden mit Panik?

Hat ein Mensch Panik, bleiben drei Möglichkeiten:

    • Hat die Person noch rationale Impulse – dann liefere ihr den Realitätscheck. Frage nach, was genau sie fürchtet. Frage weiter nach. Frage sie, was alles eintreten wird. Lass sie alle Schreckensszenarien zu Ende denken. Tu das, weil bei Panik das Denken stecken bleibt. Beharrt das Gegenüber auf dem schwärzesten Szenario, lass es Alternativen denken. Zuhören. Nicht urteilen, keine Ratschläge, nicht relativieren – einfach nur zuhören. Und bei Bedarf Nachfragen stellen.
    • Als Angehöriger hilft: umarmen und festhalten. Bei Kindern nennt man das die Bärenumarmung. Aber es klappt auch bei Erwachsenen. Je fester, desto besser. (Aus dem gleichen Grund wird Schlachtvieh zusammengepfercht – Enge beruhigt.) Mit Vorteil ist man dabei grösser und stärker als die andere Person – falls nicht, mach dich so gross wie möglich. Denn jemand Grösseres und Stärkeres gibt Sicherheit.
    • Sei streng. Bei Panik sollte man scharf einfahren – das ist immer auch ein Beziehungsangebot. Aber man muss aus der Opferrolle rauskommen – und das ziemlich rigid. Befiehl der Person zu atmen, die Füsse auf den Boden zu stellen, schick sie unter die heisse Dusche, hol sie wieder heraus, mach einen Tagesplan. (Angst richtet sich immer auf die Zukunft; zurück auf den Boden kommt man durch basismässige, körperliche Dinge.) . Dazu zwei Zusatztipps:
    • Bei Paaren spielt gelegentlich die Paardynamik. Und der Partner ist die letzte Person auf Erden, die einen beruhigen kann. In diesem Fall hilf es, eine vernünftige Nachbarin zu rufen: Denn je fremder eine Person ist, desto erwachsener werden wir.
    • Angehörige sollten die Erlaubnis zur Wut haben. Wenn sie sagen: „Jetzt reicht’s!“ Nicht zuletzt, weil Wut eine andere Energie hat. Denn Angst spielt sich, wie gesagt, in der Zukunft ab; bei Streit bist du sofort zurück in der Gegenwart.
      .
      Das Dümmste, was du tun kannst:
    • dich von der Angst anstecken zu lassen. (Die gesunde Antwort auf Angst heisst: Mut.)
    • zu gehen. Etwa mit einem Satz wie: „Ich kann dein irrationales Gerede nicht mehr hören…“ Selbst unkontrolliertes Anschreien ist besser als Gehen.
      .
      Wie beruhigst du dich selbst? Falls die Panik dich erwischt, hast du ähnliche Möglichkeiten wie oben. Etwa:
    • Entspanne Dich! Mach die Kurzform der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson: Leg Dich ins Bett (geht auch im Sitzen, z.B. im Flugzeugsitz!), spanne die Gesässmuskeln an, balle die Hände ganz fest zu Fäusten und drücke den Kopf ins Kissen. Zähle auf 30 und entspanne dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederhole etwa fünf bis sechs Mal.
    • Komm ins Hier und Jetzt! Achte auf 5 Dinge um Dich, die Du im Moment siehst. Dann auch 3 Dinge, die Du jetzt riechst. Und auch 5 Dinge, die Du um Dich abtasten kannst! Achte auf Deinen Atem – und mache ihn ruhiger, langsamer. Atme länger aus als ein! Nimm Deine Airpods aus den Ohren. leg Dein Smartphone weg und schalte es aus!
    • Sei streng mit dir. Komm aus der Opferrolle! Befiehl dir, eine alltägliche Sache nach der andern zu tun: aufstehen! Heisse Dusche! Kaffee machen! Et cetera. Es ist auch hilfreich, wenn du auf dich wütend wirst.
    • Beruhige dich wie ein Kind. Sei geduldig mit dir. Denn Angst ist etwas Natürliches.
    • Ruf jemanden an. Angst isoliert. Sie schrumpft, wenn man sich verbindet. Denn was in Notlagen wirklich hilft, ist Gemeinschaft. Angst trennt. Aber Gemeinschaft hebt Angst auf. (zitiert von Dorothee Wilhelm aus der Republik vom 07.03.20)

Es existieren auch organische Krankheiten, die eine Angstsymptomatik zur Folge haben:

Organische Angstursachen

Gemäss einer Untersuchung (Arch Intern Med, März 97) litten über die Hälfte der Patienten mit der Diagnose „Panikattacke“ unter einer Herzrhythmusstörung mit schnellem Puls, der sog. paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie, die während Jahren nicht erkannt worden war! Dann kann das Ganze natürlich auch durch Einnahme von Drogen oder auch von Arzneimitteln verursacht sein!

  • Kaffee und Koffein in jeglicher Form ist eine der Drogen, die am stärksten empfindlich auf Ängste macht. Mit Angststörungen sollte man Kaffee meiden!

Was kann man sonst noch tun?

  • Benütze Deine Airpods nur noch daheim gezielt für Onlinemeetings, im Homeoffice oder für YouTube oder einen Podcast – draussen nicht mehr. Dein Kopf wird durch das ständige Tragen von Airpods stets gefüllt. Sie nehmen Dir Deinen inneren Frieden. Du kannst gar nicht mehr zur Ruhe kommen. Alles Dinge, die Deine Angst steigern! .
  • Anregung des Speichelflusses kann eine Panikattacke beenden. Mit Einsetzen einer vermehrten Salivation (z.B. mit Zitronensaft, sauren Bonbons, Kaugummi,…) wird der X. Hirnnerv, der Vagusnerv angeregt. Dieser ist der „Herrscher“ des parasympathischen Teils des vegetativen Nervensystems. Dadurch wird der sympathische Systemteil gehemmt und damit die Panikattacke, die diesem Teil zugehörig ist, leichter.
  • Rennen hilft sehr gut gegen krankhafte Panik – „Wegrennen“ oder Flüchten quasi: d.h. im Anfall sofort losrennen (und damit der Angst und dem schnellen Puls einen „Grund“ geben) und auch zwischendurch viel Lauftraining.
  • Schaukeln hilft: ein bis zwei Stunden täglich im Schaukelstuhl verbringen, beruhigt ungemein (wie der Säugling in den Mutterarmen)!
  • Schafft man es durch ein gewisses mentales Training, während der Attacke positive Tagträume zu initiieren, kann man sich manchmal frühzeitig aus diesem Anfall „ausklinken“.
  • Auch Kava-Kava-Extrakt (Pfefferartige Pflanze aus dem Pazifik) ist zur Behandlung generalisierter und diffuser Angstzustände mit körperlicher und vegetativer Symptomatik geeignet. Organische Ursachen oder endogene Depressionen sollten dabei ausgeschlossen sein. Als Stufenschema kann Kava-Kava im Anschluss an eventuell primär gegebenen Benzodiazepinen genommen werden (nie in der Schwangerschaft). Im Gegensatz zu den Benzodiazepinen weisen Kava-Kava-Extrakte kein Suchtpotential auf, besitzen jedoch vergleichenden Studien zufolge eine ähnlich hohe Wirksamkeit. Eine Sedierung tritt ebenfalls nicht auf. Autofahren oder Arbeiten an Maschinen sind ungestört möglich.

  • Ernährung: Eine grosse Studie scheint hier sehr interessant. Sie liefert zwar auch keine endgültigen Beweise, scheint aber Hinweise zu liefern, dass Menschen, die weniger Kohlenhydrate und mehr Obst essen, weniger unter Ängsten und Depressionen leiden. Was den Forschern ein neues Rätsel aufgibt, weil Kohlenhydrate die Produktion von Serotonin fördern (einer der Gründe dafür, warum Schokolade glücklich macht). Klar scheint immerhin, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Ernährung und Stimmung gibt.

Interessante Literatur zum Thema:

  • David Servan-Schreiber: Die neue Medizin der Emotionen: Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente, 2003, Goldmann.
  • Panikattacken – Angst ohne Grund? Ursachen, Therapie, Praktische Hilfe zur Selbsthilfe, Christine Barsch/Inga-Maria Richberg, Mosaik-Verlag, 1996
  • Ängste verstehen und hinter sich lassen. Wie Sie belastende Ängste und Depressionen aufgeben, eigene Stärken entdecken und endlich Ihr Leben leben. Cornelia Dehner-Rau, Harald Rau, Trias, Stuttgart 2007 – sehr gelungen und alltagstauglich! Botschaft: Die Befreiung aus dem „inneren Gefängnis“ ist realisierbar!
  • Da ein „depressiver Zustand“ sehr viel Nähe zu Ängsten hat, lesen Sie auch: www.dr-walser.ch/depression/

Die allgegenwärtige Angst vor dem Tod

Jason, 8jährig auf die Frage, warum wir Angst vor der Dunkelheit hätten:
„Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit, sondern vor Sachen in der Dunkelheit. Man weiss ja nie, was um die Ecke springen kann, wenn man nichts sieht. Also haben wir eigentlich Angst vor der Ungewissheit.“ (PhiloMag, 06/2021)

Todesangst und Angst vor der Dunkelheit sind nah verwandt – „Es ist das Unbekannte, das wir fürchten, wenn wir auf den Tod und die Dunkelheit blicken, nichts weiter.“ (J.K. Rowling)

Es ist nicht möglich, das wirklich Unbekannte zu fürchten. Was ich fürchte, ist nicht das Unbekannte, sondern das, was ich mir ausdenke, dass es passieren wird. Im Falle des Todes stelle ich mir vor, wie es wäre, nicht zu existieren; das macht mir eine Heidenangst. Wer wäre ich ohne meine kostbare, selbst geschaffene Identität?

Die Angst vor dem Tod ist meiner Meinung nach allgegenwärtig, fest in uns verankert, prägt den innersten Kern unseres Seins. Sie spielt eine wesentlich grössere Rolle in unserer Psyche als gemeinhin angenommen wird. Ich glaube, dies ist unmöglich ganz auszumerzen. Dennoch können Therapeuten eine grosse Hilfe für Patienten mit übermässiger Todesfurcht sein. Wir können zwei Dinge tun: die Angst vor dem Tod lindern und die Erfahrung, sich des Todes bewusst zu werden als Weckruf nutzen, um auf mannigfaltige Weise persönliches Wachstum zu fördern. Ich werde mich hier kurz auf einige der wichtigsten Ideen konzentrieren, mit denen wir die Angst vor dem Tod vielleicht durch die Macht von Gedanken mildern können.
Das Symmetrie-Argument Dafür stehen uns Therapeuten viele Argumente zur Verfügung, manche von ihnen sind seit über zwei Jahrtausenden Teil des Kanons der abendländischen Zivilisation. Epikur (341- 270 v. Chr.), einer unserer grossen Vorfahren im Geiste, entwickelte eine Reihe davon. Betrachten wir nur eines, das besonders überzeugend ist: Das »Symmetrie-Argument« in dem darauf hingewiesen wird, dass wir uns nach dem Tod im selben Zustand befinden wie vor unserer Geburt. Viele haben diesen Gedanken im Lauf der Jahrhunderte weiter ausformuliert. Keiner aber schöner als Vladimir Nabokov, der russische Romancier, der in seinen Memoiren schreibt, das Leben sei nur ein kurzer Lichtfunke zwischen zwei Ewigkeiten aus Dunkelheit. Diese beiden Ewigkeiten sind identisch und doch betrachten wir sie seltsamerweise ganz unterschiedlich: Voller Angst und Zittern beschäftigen wir uns mit der zweiten Dunkelheit und schenken der freundlicheren, vielleicht sogar tröstlichen ersten Dunkelheit kaum Beachtung.
Ungelebtes Leben und die Angst vor dem Tod
Wenn ich mit Patienten arbeite, die grosse Angst vor dem Tod haben, stelle ich oft schon am Beginn der Therapie folgende Frage: »Können Sie mir sagen, was genau Sie am Tod am meisten ängstigt?« Die Antworten sind sehr unterschiedlich und eröffnen häufig neue therapeutische Wege. Zum Beispiel hört man oft: »All die Dinge, die ich nicht getan habe.« Falls man dieser Entgegnung auf den Grund geht, ergibt sich ein für den Therapeuten sehr aufschlussreicher Gedanke: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Ausmass der Angst vor dem Tod und dem Ausmass, in dem man sich selbst verwirklicht hat. Je mehr Leben das Individuum bei sich selbst für ungelebt hält, desto grösser ist die Furcht vor dem Tod. Daher kann die Linderung dieser Furcht oft darin bestehen, dass der Therapeut dem Patienten hilft, sich zu verwirklichen. »Werde, der du bist«, sagte Nietzsche (und bezeichnete dies als einen seiner »granitenen Sätze«). Ich empfehle, den Gedanken therapeutisch zu nutzen.
Wellen schlagen Wellen schlagen ist das Phänomen, konzentrische Wirkungskreise zu erzeugen, die andere über Jahre, Generationen, unendlich lange beeinflussen können. Ohne bewusste Absicht oder Kenntnis hinterlassen wir etwas von unserer Lebenserfahrung, irgendein Merkmal, eine Spur von Weisheit, eine gute Tat, Anleitung, Trost, etwas, das sich auf andere überträgt, so wie die von einem in den Teich geworfenen Kiesel verursachten Wellen sich ausbreiten, bis sie nicht mehr sichtbar und trotzdem auf einer Nano- Ebene noch wirksam sind. Die Vorstellung, etwas von uns zu vermitteln, auch ohne unser Wissen, ist eine Antwort an diejenigen, die behaupten, unsere eigene Endlichkeit bedeute unweigerlich Sinnlosigkeit und Schrecken. Natürlich meine ich nicht, dass unsere persönliche Identität erhalten bleibt. Der Wunsch danach, so stark er auch sein mag, ist vergeblich: Vergänglichkeit ist ewig. Therapeuten und andere Menschen in helfenden Berufen sind sich des Wellenschlagens oft besonders bewusst, wenn sie feststellen, dass sie nicht nur ihren Patienten helfen, sich zu verändern und zu wachsen, sondern damit auch eine Kettenreaktion von diesen Patienten zu anderen in Gang setzen – zu Kindern, Ehepartnern, Schülern und Freunden. (aus dem „Panamahut“ von Irvin D. Yalom)

Sich selbst gut kennen lindert die Angst vor dem Tod

Eine Studie mit rund 2000 Teilnehmenden zeigte, dass Menschen, die sich selbst gut kennen, weniger Angst vor dem Tod haben. Das Gefühl, dass das Leben sinnvoll ist, hilft auch gegen die Angst vor dem Tod. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Zusammenhang zwischen empfundenem Lebenssinn und Todesangst komplexer ist, als bisher angenommen. Die Wissenschaftler arbeiteten mit der These der sozialpsychologischen Terror Management Theory, nach der Menschen sich Sinn fürs Leben schaffen, weil sie dann weniger Angst vor dem Tod haben. In den vier Studien beantworteten die Teilnehmenden Fragen wie, ob sie sich von sich selbst entfremdet fühlten und welche Auswirkungen dies auf ihre Angst vor dem Tod habe. Es zeigte sich, dass diejenigen, die ein Gefühl von Sinn im Leben und eine geringe Selbstentfremdung empfanden, am wenigsten Sorgen über ihren Tod machten.
(Joseph Maffly-Kipp et al: When meaning in life protects against fear of death: The moderating role of selfalienation. Journal of Personality, 2023. DOI: 10.1111/ jopy.12875)

Todesangst bestimmt unsere Kultur

Was lässt uns zu Helikoptereltern werden, warum raffen wir Reichtümer zusammen, warum schreiben wir Bücher oder spritzen uns Botox? Weil wir Angst vor dem Tod haben. Das Wissen um unsere Endlichkeit treibt uns jeden Tag an – selbst beim Shoppengehen. Ich habe, also bin ich (noch). Wir wollen alle nicht sterben, nicht mal die, die für einen gelassenen Umgang mit dem Tod plädieren – wie die Interviewpartner im folgenden Stück. Auch wenn sie ganz darauf vertrauen, dass unser Ende auch der Anfang für etwas Gutes sein kann. Sie haben sich eingehend damit beschäftigt. Wie genau sie die Angst vor dem eigenen Vergehen angegangen sind, bleibt zwar etwas im Nebulösen, aber mir gefällt in erster Linie, dass sie uns wieder einmal darauf hinweisen, warum wir machen was wir tun – jeden Tag. Was all dem zugrunde liegt. Das auch Konsum so ein Todvermeidungsgebaren ist. Klamottenkaufen. Brauche ich wirklich das achte Paar Chucks? Oder gebe ich da nur Geld aus, um mich zu trösten? Sehr empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Buch der Psychologie-Professoren Solomon, Greenberg und Pyszczynski der University of Arizona „Der Wurm in unserem Herzen – Wie das Wissen um die Sterblichkeit unser Lesen beeinflusst“. Interessantes Detail aus den von ihnen zitierten Studien: „Wenige Minuten, nachdem sie sich mit ihrer Vergänglichkeit befasst hatten, verlangte es Männer stärker nach ungeschütztem Sex und nach mehr Partnern oder Partnerinnen.“ Da sage nochmal einer, die Alleingänge unseres Unterbewusstseins wären nicht wahr und totaler Schmarrn! „Todesangst bestimmt unsere Kultur. Das spiegelt sich in Körperkult und Jugendwahn. Gier, Zeitnot, Hektik, das Gefühl, etwas zu verpassen, die Panik, dass einem die Zeit davon läuft, der Druck, dass man unbedingt Kinder bekommen will oder dass man ein Werk schaffen muss – dahinter steckt immer die Angst: Mein Gott, ich werde verschwinden, es muss dringend irgendetwas von mir weiterleben!“ (tabuthema-tod-1.pdf & tabuthema-sterben-2.pdf). Wertvolle Links: kostenlose Onlinetrainings von Universitäten-Gruppe: https://geton-training.de/ www.psychic.de/ Selbsthilfe Ratgeber bei Angststörungen, Panikstörungen und Phobien. www.depression-diskussion.de Forum für Depressionen und psychologische Erkrankungen. Julian Goldie recently created a guide about his experiences with anxiety and top tips for managing it: https://relaxlikeaboss.com/anxiety-sucks/ Zur Klimaangst: Die Dauerbeschallung mit schlechten Umweltnachrichten macht traurig, ängstlich, verzweifelt, wütend – manchmal alles zugleich. Diese Gefühlslage beschreiben viele Menschen, die sich im vergangenen Jahr durch Fridays For Future zum ersten Mal mit der Klima- und Umweltkrise auseinandergesetzt haben. Renée Lertzman fand ihren eigenen Weg aus dem „Tunnel“. Sie ging zurück an die Uni und studierte den Zusammenhang zwischen Trauma, Trauer und Kreativität und ist inzwischen eine anerkannte Umweltpsychologin und Autorin des Standardwerks Environmental Melancholia: Psychoanalytic dimensions of engagement. In diesem Ted Talk stellt sie im Grunde kurz die Kernbotschaft ihres Buches vor. Es ist normal, dass man sich durch den Klimawandel ängstlich oder überfordert fühlt. Lertzman beschreibt auch, dass es die allermeisten Menschen, egal welcher politischen Couleur, beunruhigt. Diese Gefühle müssen uns aber nicht lähmen oder gegeneinander aufbringen, sondern sie lassen sich in etwas Produktives verwandeln. Doch das benötigt psychologisches Geschick. https://www.ted.com/talks/renee_lertzman_how_to_turn_climate_anxiety_into_action

PTBS – posttraumatische Belastungsstörung

Das Gefühl, bedroht zu sein, niemandem vertrauen zu können, begleitet Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) durch ihre Tage und ihre Nächte. Grauenvolle Erinnerungen drängen sich in ihr Bewusstsein. Viele fühlen sich abgestumpft, gefühlstaub. Sie ziehen sich zurück.
Sie gehen dem Gespräch über das Geschehene aus dem Weg.
Oft sind frühe Missbrauchs- und Gewalterfahrungen die Ursache für die Erkrankung.

PTBS: Vielleicht sollten wir viel weniger über unsere Probleme reden

(zitiert von Theresa Bäuerlein in Piqd, 08.01.2024)
Der US-Psychiater Bessel van der Kolk, Jahrgang 1943, ist einer der renommiertesten und bekanntesten Traumatherapeuten. Zu seinen Verdiensten gehört es, den Blick auf die Erkrankung der Postraumatischen Belastungsstörung zu weiten und zu erkennen, dass nicht nur Kriegsveteranen davon betroffen sein können, sondern auch viele Menschen, die in ihrer Kindheit Missbrauch und Gewalt erfahren haben. In diesem Interview geht es um die Frage, was Traumata sind, und warum so viele Menschen in der westlichen Welt fest daran glauben, dass psychische Probleme sich am besten über Gesprächstherapien und Medikamente lösen lassen – und was es für Alternativen gibt.
Schreckliche Ereignisse, so van der Kolk, werden nicht automatisch zu Traumata – es müssen Gefühle von Machtlosigkeit und Verlassenheit dazukommen.
In der Frage der Heilung steht er Medikamenten eher kritisch gegenüber:
„Traditionelle Psychopharmaka können sehr wichtig und hilfreich sein, wenn jemand schwere Symptome hat. Aber sie tun eben nicht mehr, als Symptome zu lindern, sie lösen nichts.“
Ebenso zweifelt er an der Wirksamkeit therapeutischer Gespräche:
„Zu wissen, warum alles falsch gelaufen ist, macht es nicht rückgängig. Es mag hilfreich sein, zu verstehen, welche Fehler man gemacht hat oder was man Schlimmes erlebt hat. Aber gelöst ist dadurch erst mal nichts.
Damit es Menschen besser geht, müssen die Wege im Gehirn verändert werden, damit sie nicht mehr durch kleinste Reize in ihr traumatisches Erlebnis zurückgeworfen werden. Sie müssen körperlich spüren, dass es Vergangenheit ist und dass sie jetzt sicher sind. Das klappt aber meist nicht, indem man nachdenkt und redet (…)  Eine Traumatisierung passiert auf diesem Level, es ist eine sehr primitive Reaktion, weswegen der Verstand hier nur ganz schwer eingreifen kann. Auch nach Hunderten Gesprächen nicht.“
Er empfiehlt eher andere, körperliche Methoden, Yoga zum Beispiel, Kampfsport, Tanzen und Theater. Auf die Frage, warum das funktionieren soll, sagt er:
„Wieso funktioniert darüber sprechen? Ich finde es immer interessant, dass in unserer Kultur überhaupt nicht angezweifelt wird, dass und wie Sprachtherapie funktioniert, während alles andere sich erst einmal rechtfertigen muss. Auch die Wirkung von Medikamenten wird kaum hinterfragt. Die Wirkungsweise von Prozac zum Beispiel, eines der bekanntesten Antidepressiva, sei medizinisch nur teilweise verstanden, werde aber trotzdem gerne von Ärzt:innen verschrieben.“
Deutschland, findet van der Kolk übrigens, habe das Trauma des Zweiten Weltkriegs ziemlich gut verarbeitet.
„Die Deutschen sind viel weniger traumatisiert als noch vor einigen Generationen, auch weil sie ihre Kinder ganz anders behandeln als früher. Kinder bekommen heutzutage viel Aufmerksamkeit, ihnen wird zugehört. Eltern bemühen sich sehr, Sicherheit zu vermitteln, anstatt ständig zu drohen und zu strafen. Die ganze Kultur des Lernens hat sich völlig verändert, zum Glück. Und auf diese Weise ist die ganze Gesellschaft viel freier und freundlicher geworden.“

MDMA bei PTBS

Nun weckt auch eine Partydroge neue Hoffnung: MDMA, in den 1980er-Jahren der Hauptbestandteil von Ecstasy (heute enthalten die Pillen oft auch andere Substanzen). Das Kürzel steht für Methylendioxymethylamphetamin. Der Stoff macht die Psychotherapie von PTBS wirksamer, das zeigte jetzt ein Forschungsteam um die Neurologin Jennifer Mitchell von der University of California. 2023 veröffentlichte es seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature Medicine. Die Patienten hatten zusätzlich zu einer Psychotherapie dreimal MDMA bekommen. Nach 18 Wochen waren 71 Prozent der Teilnehmenden so weit genesen, dass sie die Diagnosekriterien für PTBS nicht mehr erfüllten. In der Kontrollgruppe, die zusätzlich zur Psychotherapie ein Placebo-Mittel bekam, war das nur bei 48 Prozent der Fall.
Zugleich wurden andere Nebenwirkungen wie eine körperliche Abhängigkeit nicht beobachtet.

Im Sommer 23 bereits hatte die australische Zulassungsbehörde die Traumabehandlung mit MDMA erlaubt – als erste weltweit. Zugleich genehmigte sie die Therapie von Depressionen mit Psilocybin, dem Wirkstoff aus psychoaktiven Pilzen.

Was sonst starkes Eingreifen des Therapeuten erfordert, geht mit MDMA oft fast wie von allein. Das Mittel wirkt wie ein Katalysator. Es löst die Angst vor der Erinnerung und, wichtiger noch, die Hemmung, darüber zu sprechen.

Was genau dabei im Körper der Patienten vor sich geht, ist noch nicht vollständig erforscht. Klar ist, dass MDMA die Ausschüttung der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin im Gehirn erhöht und, besonders wichtig, die von Oxytocin. Jenem Hormon also, das Bindung und Vertrauen fördert. Der Stoff erleichtert den Patienten also die harte Arbeit der Konfrontation mit ihren Erlebnissen. Die Substanzen öffnen ein Fenster, das man in der Psychotherapie dann noch weiter aufdrücken kann.

Weltschmerz

In einer Zeit, in der wir mit Nachrichten über Kriege, politische Veränderungen und Konflikte konfrontiert werden, kann sich ein Gefühl der Überforderung und des Unbehagens breitmachen. Besonders in Zeiten des Rechtsrucks und der Eskalation des Nahost-Konflikts scheint alles zu viel zu sein. Dieses Gefühl, das viele von uns kennen, hat einen Namen: Weltschmerz.
Kann man ihn heilen? Darüber hat Salon5, die Jugendredaktion von CORRECTIV mit der Psychotherapeutin Marlene Huemer gesprochen. Sie zeigt auch verschiedene Möglichkeiten auf, wie man mit Weltschmerz umgehen kann. In einem Beitrag auf Instagram präsentieren die jungen Menschen von Salon5 einige dieser Möglichkeiten. Ihr wichtigster Tipp: Weniger Zeit in den Sozialen Medien verbringen. Und, auch wenn es zu einfach klingt: Spazieren gehen!

Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
11. Januar 2024

Krebs und Genesung

Die Diagnose akzeptieren, aber nicht die Prognose!

Unerklärliche Rückbildungen von Krebstumoren, die als unheilbar galten, sogenannte „Spontanremissionen“ sind sehr interessant für die medizinische Forschung. Was haben diese Leute gemeinsam? Daraus könnte man viel zur alternativen Krebsheilung lernen! Eines ist aber dabei sicher: Diese „Wunderheilungen“ sind zu selten, als dass man sich darauf verlassen und auf eine konventionelle Behandlung verzichten könnte.

Was also ist diesen Leuten mit „Krebsheilung“ gemeinsam:

  • Viele Patienten, die überraschend wieder gesund geworden sind, berichten, dass sie sich und ihr Leben grundlegend verändert haben.
  • Die meisten besassen einen sehr starken Lebenswillen, das heisst, wie Caryle Hirshberg es ausdrückt: 
    Sie akzeptierten die Diagnose, aber nicht die Prognose!

    So sagte eine Frau zu ihrem Arzt, der ihr noch maximal ein Jahr zu leben gab: „Hören Sie zu, ich bin jetzt 55, und ich lade Sie hiermit zu meinem 60. Geburtstag ein, denn ich habe vor, dann noch da zu sein.“ Über 70 Prozent der Befragten kreuzten Selbstcharakterisierungen an wie „kämpferischer Geist“, „Betrachtung der Krankheit als Herausforderung“, „Übernahme von Verantwortung“ und am häufigsten (75 Prozent) „Glaube an einen positiven Ausgang“.
    Lesen Sie dazu meine Ausführung des Kohärenzgefühls.
  • Ausserdem hielten 70 Prozent spirituelle Faktoren wie Glaube, Meditation und Gebete für sehr wichtig. „Es ist interessant festzustellen, dass Beten oft mit jenen seelischen Zuständen einhergeht, die wir bei ungewöhnlichen Heilungen ausgemacht haben: die besondere Konzentration auf einen Gegenstand, seelische Entspannung und Entlastung, Ausschalten des rationalen Denkens, Visualisierungen, aktive Imagination und einheitliche Intentionen…“
  • Auch die soziale Unterstützung scheint eine grosse Rolle zu spielen (soziale Anerkennung und Integration). Zum Beispiel waren über 70 Prozent der Überlebenden waren seit mehr als 20 Jahren verheiratet, 40 Prozent sogar schon seit 30 Jahren.
  • Schliesslich betätigten sich drei Viertel der befragten genesenen Patienten regelmässig und teilweise ernsthaft künstlerisch-kreativ.
  • Viele stellten ihre Ernährung grundlegend (vor allem auf hochwertige Nahrungsmittel, die möglichst wenig bearbeitet sind) um. >>>mehr über Krebs und Ernährung
  • Eine stoische Lebenshaltung kann sehr viel zu Innerem Frieden beitragen – aber auch zu mehr Lebendigkeit!
    Einer meiner Patienten hatte eine Blasenentzündung. Ich sagte ihm, das sei ungewöhnlich für einen Mann in seinem Alter, und ordnete weitere Tests an. Das Ergebnis: Er hatte Prostatakrebs.
    Die Blasenentzündung war ein Glücksfall gewesen, dank ihr wurde der Krebs sehr früh erkannt. Dieser Mann hat nie geraucht, trinkt nicht, macht Sport und ernährt sich extrem gesund. Ein geringeres Risiko für Prostatakrebs hätte er nur haben können, wenn er eine Frau gewesen wäre. Trotzdem wurde er krank. Aber statt zu verzweifeln und das Schicksal zu verfluchen, wandte er die Grundsätze an, von denen er gelernt hatte, dass sie ein gutes und glückliches Leben möglich machen.
    1. Stell dir vor, was hätte passieren können, das noch schlimmer gewesen wäre – statt dir das zu wünschen, was besser gewesen wäre.
    2. Ändere, was du ändern kannst – und akzeptiere, was du nicht ändern kannst.
    3. Erlaube der Angst nicht, dein Leben zu beherrschen.
    .
  • Eine prospektive Beobachtungsstudie untersuchte den Zusammenhang von sportlicher Aktivität und dem Auftreten von Rezidiven bei Brustkrebspatientinnen in Hinblick auf die Überlebensrate. 2987 erkrankte Krankenschwestern wurden in 5 verschiedene Aktivitätsgruppen eingestuft und über mehrere Jahre begleitet. Frauen in der mittleren Gruppe (3 bis 5 Stunden Spazieren gehen pro Woche) hatten, verglichen mit der inaktiven Gruppe, das niedrigste relative Risiko an den Folgen des Krebses zu sterben (RR= 0.50). Die sportlicheren Teilnehmerinnen hatten ebenfalls ein geringeres Mortalitätsrisiko als die Inaktiven, aber weniger Gewinn als die mittlere Gruppe. Es scheint, dass moderate körperliche Aktivität ein wichtiger Faktor zur Senkung des Rezidivrisikos ist, vermutlich nicht nur bei Brustkrebs.

Lebensstil – ein Faktor bei der Krebsbehandlung

In vielen Studien wurden ein holistischer Zugang im Management von Krebserkrankungen diskutiert. (Craig Hassed MBBS, Australian Family Physician 2006;35(4)
Hirshberg und Barasch fassen die Charakteristika so zusammen:
„Wir fanden mehrere Gemeinsamkeiten: eine Entschlossenheit weiterzuleben, die sich auf das Selbstwertgefühl gründete, eine typische Konzentration auf das Positive und ein reiches Innenleben, das den einzelnen selbst angesichts des Todes noch mit den Freuden des Lebens beglücken kann.“
Noch kürzer könnte man es auf den Punkt bringen:
Was Menschen, die besser mit Krankheiten fertig werden, auszeichnet, ist ein „fester Glaube“ und ein „fester Wille“.
Man entdeckt bei manchen Überlebenden auch ein Verhalten, dass man als „positive Verleugnung“ bezeichnen könnte. So geht ein Mann, einfach weiterhin zur Arbeit und sagt, dass die Krankheit für ihn „nur wenig Realität besitzt“. Und eine Frau, die von einem bösartigen Bauchtumor genesen ist, erklärte: „Ich habe die Diagnose, dass es eine bösartige Krebserkrankung ist, zur Kenntnis genommen, aber eigentlich nie das Thema Tod als eine Alternative für mich angesehen.“

Man kann zu dem Schluss kommen dass es nicht den richtigen Weg zur Heilung gibt. Jeder Mensch, der den Krebs erfolgreich bekämpft hat, hat das vielmehr auf seine eigene, einzigartige Weise getan.

Nach dem bisherigen Stand des Wissens ist es für Arzt und Patient zur Zeit unmöglich, Spontanremissionen bewusst und gezielt herbeizuführen. Andererseits kann man darauf hinweisen, dass es, gerade weil Ärzte so wenig über diese Phänomene wissen, menschlich nicht vertretbar und wissenschaftlich unhaltbar sei, genaue Prognosen über die nach einer Krebsdiagnose verbleibende Lebenszeit abzugeben.
Und Caryle Hirshberg zog aus ihrer Forschung die Erkenntnis: „Statt uns so viele Sorgen über falsche Hoffnungen zu machen, sollten wir vielleicht der Gefahr, unnötige Verzweiflung auszulösen, ebenso grosse Aufmerksamkeit schenken.“

Schönreden kontraproduktiv

Was hier beschrieben wird, ist nicht das „Positive Denken“ (Positive Thinking) mit seinen aufmunternden Formeln, das heute hoch im Kurs ist. Wichtig ist dabei das Mass des bestehenden Selbstwertgefühls. In grossen Studien (z.B. Joanne V. Wood et al: Positive self-statements. Psych Science, 5/2009, 1467) zeigte sich, dass Menschen mit geringem Selbstwertgefühl sich selbst widersprechen, wenn sie positive Gedanken wie Mantras wiederholen. Auf diese Weise wird eine vorhandene negative Selbsteinschätzung nur noch verstärkt!
Hier wird im Gegensatz von Ansprechen von vorhandenen Ressourcen gesprochen, die dadurch verstärkt werden.

„Krieg gegen den Krebs“ ist keine gute Metapher

Wenn wir von der Krankheit Krebs reden, ist die Sprache ziemlich kriegerisch. Wer der Krankheit erliegt, hat nicht genug „gekämpft“, das Deutsche Krebszentrum in Heidelberg bezeichnet Krebszellen als „gefährliche Schläfer“, Nixon rief schon 1972 die Wissenschaft zum „war on cancer auf“.
Diese Sprache ist einerseits verständlich und sinnvoll, weil sie Menschen das Gefühl gibt, nicht hilflos zu sein. Sie hat aber auch einen Nachteil. Die martialische Art, wie wir über die Krankheit sprechen, bestimmt nicht unwesentlich, wie wir sie erleben“. Die Oma der Autorin dieses Zeit-Artikels etwa war kein Kämpfertyp. Die Forderung, gegen ihren Darmkrebs zu „kämpfen“, hätte sie überfordert und sie sich noch hilfloser fühlen lassen. Ihr Tod lässt sie als Verliererin erscheinen. Wer kämpft, muss ausserdem stark sein – und kann Ängste kaum zulassen, die im Heilprozess wichtig sein können: Weiterlesen

Therapie durch ein erfülltes Leben

Die „Meaningful Life Therapy“ (MLT, etwa „Therapie durch ein erfülltes Leben“), die Jinroh Itamie vom Shibata Hospital in Japan entwickelt hat, zielt darauf ab, die Furcht vor dem Tod zu bewältigen, die mit chronischen Krankheiten wie Krebs einhergeht, und herauszufinden, wie die Patienten ein erfülltes Leben führen können. Man kann dadurch, die Selbstheilungskräfte des Körpers stärken.
Die Therapie folgt fünf Grundregeln. Der Patient soll

  • sich aktiv an der Bewältigung der Krankheit beteiligen und sich nicht nur auf den Arzt verlassen;
  • sich kurzfristige Lebensziele setzen und jeden Tag bewusst einer sinnvollen Tätigkeit Zeit widmen;
  • etwas für andere tun;
  • lernen, mit der Angst vor dem Tod umzugehen, und den Lebenswillen stärken;
  • den Tod als natürliches Phänomen akzeptieren (wie Stürme oder Erdbeben) und sich so praktisch und konstruktiv wie möglich auf den eigenen Tod vorbereiten.

Diese Leitgedanken soll der Kranke seinem Alltag zugrunde legen, jeden Tag dieselbe Zeit für ihre Befolgung aufwenden und jeden Tag dieselben Ziele verfolgen – unabhängig vom Gesundheitszustand. Er soll versuchen, weiterhin als normales Mitglied in der Gemeinschaft weiterzuleben. Keinesfalls ist aber die MLT ein Programm in fünf Schritten „So heile ich Krebs“. Es handelt sich vielmehr um Anregungen, wie man das Leben – auch mit der Krankheit – positiv und sinnerfüllter gestalten und erst in zweiter Linie dadurch vielleicht verlängern kann.

Weitere Strategien gegen die Todesangst hier auf dieser Website!

Die Krebsreise

Moses G.Steinvorth schlägt in seinem sehr brauchbaren Büchlein „Die Krebsreise“ vor, die Krebserkrankung als eine „Reise“ zu betrachten. Dieses Bild der Reise legt nahe, Krebs als einen Prozess zu erleben, als einen Vorgang und nicht als ein „Ding“, das man „hat“ oder „nicht hat“. Die Krebserkrankung ist immer in Entwicklung begriffen, sieht in jedem Moment wieder anders aus und kann sich auch zurück entwickeln. Krebs ist immer in Bewegung. Der Augenmerk ist auf den Verlauf gelenkt (statt auf die elende Frage nach dem „Warum“!) und der Verlauf ist das, was man am ehesten selbst beeinflussen kann. Auch wenn man nicht genau weiss, wo die Reise hingeht, kann man doch auf die Route Einfluss nehmen, wie man das vielleicht auf einer Abenteuerreise tun würde. Auch wenn Sie in gewisser Weise eine „Pauschalreise“ gebucht haben, können Sie doch immer noch auf einzelne Umstände der Reise Einfluss nehmen und sie evtl. nach Ihrem individuellen Geschmack verändern. Sie können kleine Touren auf eigene Faust unternehmen und ganz sicher auch einmal die Umgebung ohne Touristenführer und ohne die „Herde“ der übrigen Pauschaltouristen erkunden. Es ist enorm wichtig, hier alle Möglichkeiten der Individualisierung zu nutzen, weil Ihr persönlicher Heilungsprozess etwas ganz Einmaliges ist und viel mit Ihrer besonderen Persönlichkeit zu tun hat: kein Mensch wird genau auf dieselbe Art gesund wie der andere. Jeder ist anders!

Sie können das Bild der „Reise“ auch noch so verstehen, dass Sie aufgefordert sind, eine Reise „nach innen“ anzutreten, wenn Sie wieder gesund werden wollen; eine Reise, die Sie vielleicht in dunkle und unheimliche innere Gegenden führen wird, die Sie gewöhnlich lieber meiden, eine Art „Heldenreise“ also, wo Sie durchaus damit rechnen müssen, dass Sie manchmal mit alten Gespenstern oder inneren Drachen und Dämonen kämpfen müssen. Reisen sind oft ziemlich anstrengend; man kämpft auch gegen miserables Wetter und Unbill, wird vielleicht sogar verletzt. Sie ist aber auch interessant und spannend und lässt einem zum Schluss häufig sehr viel reifer und bereichert zurück.

Ängste nach der Krebsdiagnose

Mit der Angst ist es so eine Sache. Sie wird kleiner, je mehr man sich ihr nähert. Deshalb lohnt es sich, behutsam auf das zuzugehen, vor dem man sich fürchtet: Was genau macht mir Angst? Sind es die nächsten Behandlungsschritte, die anstehen? Nebenwirkungen, die nach der Chemotherapie oder Bestrahlung auftreten könnten? Graut es mir vor allem davor, anderen zur Last zu fallen? Oder fürchte ich insgeheim, mich äusserlich zu verändern?
Was hilft, ist, sich den bedrohlichen Gedanken zu stellen. Nimmt die Angst überhand, sollte man sich dafür psychotherapeutische Unterstützung holen. Eine meiner Patientinnen fürchtete sich am meisten davor, sie könnte eines Tages tot in ihrer Wohnung liegen und niemand findet sie. Dabei ruft ihre Schwester täglich an und würde sofort merken, wenn sie nicht ans Telefon geht. Die Frau musste das Szenario gezielt zu Ende denken, um ihm den Schrecken zu nehmen. Es ist immer besser, den Scheinwerfer in die Dunkelheit zu richten und sich das, wovor man sich fürchtet, einmal genau anzusehen.

Bei den meisten weckt eine Krebserkrankung Gedanken an die eigene Endlichkeit – selbst wenn die Prognose gut ist. Erstaunlich vielen gelingt es, die Angst vor dem Tod zu bewältigen. Einigen hilft es, die eigene Beerdigung zu planen. Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht mit dem Thema befassen möchten.

Manche können durch einen veränderten Bewusstseinszustand existenzielle Ängste bewältigen: An der Johns Hopkins University im US-amerikanischen Baltimore nahmen Krebspatienten begleitet von einem Psychotherapeuten den Wirkstoff Psilocybin ein, der in sogenannten Magic Mushrooms enthalten ist, also psychoaktiven Pilzen. Ähnliche Studien wurden in der Schweiz bereits mit LSD durchgeführt. Durch die Substanz schafften es die Patienten, eine neue Perspektive einzunehmen. Sie konnten die Widrigkeiten, die mit der Krankheit kamen, besser akzeptieren – und das auch noch Monate später. Einige kamen auf ihrem psychedelischen Trip sogar zu Einsichten, die ihre Einstellung zum Tod von Grund auf veränderten. Es geht aber auch weniger radikal: Hypnose kann ebenfalls erwiesenermassen Ängste bei Krebspatienten lindern.

Der Tod als Grenzüberschreitung

Ich erlebe immer wieder in meiner Praxis, dass Menschen, die über ihre Komfortzone hinaus an ihre Grenzen gelangen ein enormes Potential zum Wachstum haben und dies als grosse Chance erfahren. Auch der Tod, der so nah verwandt mit der Krebserkrankung ist, wird häufig von jemandem, der „gut gelebt“ hat als  faszinierendes Grenzerlebnis wahrgenommen. Jetzt, da er das Leben kennen gelernt hat, möchte er auch wissen, was es mit dem Tod auf sich hat. Das Leben kennt er nun und es war wunderbar. Jetzt will er sehen, was der Tod ist. Er ist bereit zu einem neuen Abenteuer.

Was hilft bei der Fatigue?

Fatigue ist eine stark belastende Nebenwirkungen der Chemotherapie. Sie ist eines der am stärksten belastenden Symptome für die Patienten, weil es die Alltagsaktivitäten einschränkt. Wir Ärzte thematisieren diese Nebenwirkung auch wenig, weil wir keine effiziente Therapie dafür haben.
Während der Chemotherapie sind 60 bis 96% der Patienten von einer Fatigue betroffen. Auch 6 Monate nach der Chemotherapie berichten noch ca. 30% der Patienten über mässige bis starke Fatigue.

Operation, Chemotherapie und Bestrahlungen schädigen den Organismus zunehmend und führen einerseits zu körperlichen Symptomen, andererseits fördern sie aber auch psychische Erkrankungen. Die Menschen sind ständig schlapp und müde, klagen über Herzrasen und Kurzatmigkeit und weisen Symptome auf, die bis hin zur manifesten Depressionen reichen.

Chinesische Bewegungsform – Qigong:
Das in einer Studie (www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6771138/) erforschte Qigong gehört zu den gering intensiven Bewegungsarten – es geht vorwiegend um die Muskeldehnung. Nach der chinesischen Lehre wird die Lebensenergie „Qi“, der Blutfluss und körperlicher Funktionalität gefördert.

Baduanjin Qigong ist leicht zu erlernen, das Aktivitätslevel ist für Patienten mit chronischen Erkrankungen angemessen. Eine spezielle Ausrüstung wird nicht benötigt. Die Übungen können zu Hause oder draussen, alleine oder in der Gruppe ausgeübt werden. Üben in der Gruppe fördert nach Meinung der Autoren auch die Adhärenz, längerfristig dabei zu bleiben.
Die Patienten wurden zunächst per App eingeladen, sie sahen sich dann Videos an, in denen die Übungen erklärt wurden. Das war ein Aufwand von 2 x 40 Minuten. Die Patienten mussten 5 x pro Woche Qigong machen, wobei eine Session jeweils 20 bis 40 Minuten dauerte. Das war also schon sehr intensiv.
In der Interventionsgruppe hatten nach 24 Wochen weniger Patienten moderate bis starke Fatigue. Der Unterschied war mit 23,2% in der Interventionsgruppe vs. 59,1% in der Nichtinterventionsgruppe signifikant. Die moderate bis starke Fatigue ist also um mehr als die Hälfte zurückgegangen, das ist sehr beeindruckend.
Interessant ist, dass sich nach 12 Wochen noch keine Unterschiede gezeigt haben. Das heißt, wir müssen die Patienten motivieren, diese Übungen nicht nur über 3 Monate zu machen, sondern dauerhaft. Das ist m.E. neben der guten Wirkung die wichtigste Botschaft.

Und… falls man keinen Zugang zu einer Qigong-Gruppe in der Nähe findet: Bewegung aller Art, so intensiv betrieben, hilft auch (wenn auch vielleicht nicht gar so effektiv). Untersuchungen zufolge können Betroffene durch ein tägliches Ausdauertraining von nur 30 Minuten ihre körperliche Leistungsfähigkeit immens steigern. Sowohl die psychischen als auch die physischen Fatigue-Symptome werden parallel dazu gemindert. In Einzelfällen verschwinden sie sogar ganz. (M.Houf, Sportmedizin Update 2010)

Die Fatigue ist wohl auch eine Form von Neuroinflammation.

Kurzfristiges Fasten – kein längeres!

Wiederholtes kurzfristiges Fasten (also nur 16 bis 72 Stunden) führt zu „zellulärem Selbstmord“ von Krebszellen (Autophagie)! In neueren Studien fand man, dass wiederholtes Kurzfasten effektiver und praktikabler ist als langfristiges. Das Fasten löst eine Art zellulären Stress aus. Bei gesunden Zellen führt dies zu Reaktionen, die gegen Schäden durch Sauerstoffradikale schützen. Solche Moleküle entstehen bei Hunger vermehrt. Ihre Produktion wird aber auch durch viele Chemotherapeutika angeregt und gilt als Hauptursache von deren starken Nebenwirkungen. 24 bis 72 Stunden Fasten vor der Chemotherapie bereitet normale Körperzellen offenbar gut auf hohe Konzentrationen von Sauerstoffradikalen vor. Sie sind deshalb eher in der Lage, sich gegen die aggressiven Moleküle zu wehren. Krebszellen hingegen sind kaum fähig, diese Schutzmechanismen anzuschieben. Sie stellen sogar selber zusätzlich noch reichlich aggressive Moleküle her. Das führt dann dazu, dass sie letztlich „zellulären Selbstmord“ begehen!
Eine optimale Möglichkeit wäre an der Mehrheit der Tage eine 16:8-Ernährung!

Führen Sie also nicht von sich aus längere Fastenkuren aus (welche katastrophale Folgen auf den Krebsverlauf haben können) – lassen Sie sich durch einen erfahrenen Arzt begleiten! Vor allem das kurze Fasten vor und nach Chemotherapieschüben muss mit den behandelnden Ärzten abgesprochen sein!

Drogen in der Therapie gegen Krebssymptome

Die vielfältige gute Wirkung von Cannabis gegen verschiedenen Symptomen von Krebs selbst (z.B. Schmerzen) wie auch der Chemotherapie (z.B. Übelkeit) ist schon länger bekannt.
Auch Psilocybin aus Magic Mushrooms wirkt gut und lang andauernd gegen Angstgefühle und Depressionen bei Krebskranken im fortgeschrittenen Stadium. Die einmalige (orale) Einnahme von Psilocybin wirkte mehrere Monate lang!
Dasselbe kann von LSD gesagt werden. (Pilot Study of Psilocybin Treatment for Anxiety in Patients With Advanced-Stage Cancer. Grob CS et al., Arch Gen Psychiatry. 2010 Sep)

Mehr zur Therapie durch Dissoziation (seine gesunden, liebenswerten, freudvollen Seiten erleben!) mit psychedelischen Drogen >>>

Krebstherapien – alternative vs. konventionelle

Die Wissenschaftler einer grossen Metastudie, die die statistischen Analysen getrennt nach Krebsart durchführten, berichten, dass die Alternativmedizin – im Vergleich zur konventionellen Behandlung – mit einem Anstieg des Sterberisikos bei Brustkrebspatientinnen um fast das 6-Fache assoziiert gewesen sei. Bei Darmkrebspatienten stieg das Risiko zu sterben bei alleiniger Alternativbehandlung um das 4,5-Fache und bei Lungenkrebspatienten um das 2-Fache.
Die alternativmedizinische Behandlung war zudem mit einer signifikant schlechteren 5-Jahre-Überlebensrate assoziiert als die konventionelle Therapie: Brustkrebs 58,1% versus 86,6%, Lungenkrebs 19,9% versus 41,3% und Darmkrebs 32,7% versus 79,4%. Median wurden die Patienten 66 Monate nachbeobachtet.

Auffällig war, dass die Alternativmedizin in der 4. untersuchten Untergruppe, nämlich bei den Prostatakrebspatienten, keinen Nachteil darstellte. Sie war im Vergleich zur konventionellen Behandlung nicht mit einem signifikant erhöhten Sterberisiko assoziiert. Und die 5-Jahres-Überlebesrate war ähnlich (86,2% vs 91,5%). Doch die Wissenschaftler hatten das schon kommen sehen: „Dieses Ergebnis kommt nicht unerwartet angesichts der langsamen natürlichen Progression von Prostatakarzinomen und der kurzen medianen Nachbeobachtung.“
(Johnson SB, et al: Journal of the National Cancer Institute (online) 10. August 2017)

Der Krebskranke und seine Angehörigen

Wer von seinem Arzt die Diagnose Krebs erhält, muss diese schlechte Botschaft relativ schnell selbst überbringen: dem Partner, den Kindern, den Eltern oder Freunden. Die Psychoonkologin Martina Prinz-Zaiss aus Freiburg unterstützt Krebspatienten und ihre Angehörigen dabei, über die Krankheit zu sprechen (aus DIE ZEIT, 40/2022):
Wie sage ich meinen Angehörigen, dass ich Krebs habe?
Martina Prinz-Zaiss: Das Wichtigste ist Offenheit. Ich erlebe immer wieder Patienten, die ihrer Familie häppchenweise von der Krankheit erzählen. Das ist gut gemeint, man will seine Liebsten nicht ängstigen. Gerade die Menschen, die einen gut kennen, spüren jedoch, dass da mehr ist, als man gerade sagt. Und das löst genau die Ängste und Sorgen aus, die man vermeiden möchte.

Warum genau sind viele Patienten nicht hundertprozentig offen?
Martina Prinz-Zaiss: Weil die Angehörigen mantraartig wiederholen: »Du schaffst das!« – »Du bist stark!« – »Du musst kämpfen!« Das ist für Menschen mit Krebs schwer auszuhalten. Sie wollen Familie und Freunde nicht enttäuschen, doch die Therapie verlangt ihnen viel Kraft ab.

Was raten Sie in solchen Fällen?
Martina Prinz-Zaiss: Ein Erkrankter muss nicht dauernd den Kampfgeist hochhalten und den Tapferen spielen. Er darf sich elend fühlen, und er darf und sollte auch darüber sprechen. Sich gegenseitig Ängste einzugestehen ist wichtig. Seitens der Angehörigen sollte es allerdings kein Dauerthema werden. Die Betroffenen haben meist ein gutes Gespür dafür, welche Gedanken sich ihre Nächsten machen. Aber sie sollten nicht die ganze Zeit Trost spenden müssen, wenn sie mit sich selbst beschäftigt sind. Als Angehöriger gilt es, mit dem Patienten mitzuschwingen, seine Tiefs auszuhalten und ihn einfühlsam zu begleiten, wenn es ihm schlecht geht. Ihn zu fragen: Was kann ich tun? Was brauchst du? Und zwar ohne ungebeten Ratschläge und Empfehlungen zu geben.

Wie gehe ich damit um, wenn meine Liebsten immer wieder »Du packst das«-Parolen äußern?
Martina Prinz-Zaiss: Wer an Krebs erkrankt ist, sollte sich abgrenzen, wann immer er das Bedürfnis danach verspürt. Zum Beispiel dann, wenn er gerade eben keine Durchhalteparolen hören kann. Es ist in Ordnung, nicht ans Telefon zu gehen, wenn Freunde und Familie anrufen, oder Besuch abzulehnen. »Ich kann jetzt nicht« oder »Mir geht es nicht gut« reichen als Begründung aus, wenn überhaupt. Der Selbstschutz geht vor. Die Liebsten meinen es nur gut, sehen allerdings oft nicht, wie sehr ein »Du packst das« unter Druck setzen und demoralisieren kann, eben wenn man es gerade mal nicht packt. Die Therapie ist so unfassbar anstrengend, das kann sich niemand vorstellen, der das nicht selbst erlebt hat.

Gerade Eltern von erwachsenen Krebskranken scheinen viel Trost vom Patienten zu benötigen.
Martina Prinz-Zaiss: Für Eltern ist es furchtbar, wenn ihr Kind lebensbedrohlich erkrankt. Sie sind dann sehr in Not und Sorge und wollen natürlich gerne beruhigt werden. Es ist aber nicht die Aufgabe der Betroffenen, sie zu trösten. Das sollten andere Familienmitglieder oder Freunde übernehmen.
»Für Eltern ist es furchtbar, wenn ihr Kind lebensbedrohlich erkrankt. Sie sind dann sehr in Not und Sorge und wollen natürlich gerne beruhigt werden«

Wie stärke ich meine Angehörigen, ohne Trost spenden zu müssen?
Martina Prinz-Zaiss: Fast allen hilft es, wenn sie etwas tun können. Geben Sie Ihren Angehörigen Aufgaben, überlegen Sie, was eine sinnvolle Unterstützung für Sie wäre. Vor allem Männer können sich durch das aktive Tun besser stabilisieren. Davon profitieren dann wiederum auch die Patienten.

Wie spreche ich mit Kindern über meine Krebserkrankung?
Martina Prinz-Zaiss: Grundsätzlich gilt auch hier: offen sein und auf keinen Fall die Erkrankung verheimlichen, auch wenn es mit der besten Absicht geschieht. Weiß ein Kind nicht, was los ist, warum es Papa schlecht geht und Mama oft traurig ist, sucht es schnell die Schuld bei sich selbst. Als erkrankter Vater oder als erkrankte Mutter kann man sagen: »Ich habe eine schwere Krankheit und werde dagegen behandelt.« Es darf auch das Wort Krebs fallen. Weil viele Kinder, übrigens auch viele Erwachsene, Krebs mit Tod assoziieren, gehört auch immer der Satz dazu: »Ich kann wieder gesund werden.« In den meisten Fällen ist Krebs heute kein Todesurteil mehr. Das Wissen darum kann dem Ganzen die Schwere nehmen.

Sollte man die Themen Tod und Sterben generell vermeiden?
Martina Prinz-Zaiss: Im Gegenteil! Man sollte sie frühzeitig mit in die Gespräche aufnehmen. Wenn die Diagnose Krebs gefallen ist, ist die Angst vorm Sterben und Tod sowieso da, bei allen Beteiligten. Sie auszusprechen entlastet enorm. Ebenso wie mit seinen Liebsten bestimmte Dinge zu regeln. Die Hoffnung wird ja nicht kleiner, weil man Vorkehrungen trifft. Viele Patienten fühlen sich jedoch besser, wenn sie dieses Thema einmal für sich und mit ihrer Familie durchgespielt haben.
»Es mag vielleicht einen bösartigen Tumorbefund geben, aber der oder die Kranke besteht noch zu 99 Prozent aus gesunden Zellen«

Gibt es noch weitere Tabus, wenn man über Krebs spricht?
Martina Prinz-Zaiss: Viele Krebspatienten empfinden Scham, weil sie krank sind. Sie fühlen sich versehrt, nicht mehr vollständig, reden aber kaum darüber. Einige haben auch Schuldgefühle. Sie nehmen an, dass der Krebs die Strafe dafür ist, dass sie sich falsch verhalten haben. Manche sind wütend auf die Erkrankung, das Universum. Andere sind neidisch auf den gesunden Partner oder die gesunden Freunde. All diese Gefühle sind normal und sollten nicht tabuisiert werden. Was nicht bedeutet, dass man über diese Gefühle sprechen muss.

Wie erhalten wir einen normalen Umgang mit Krebs in der Sprache?
Martina Prinz-Zaiss: Indem wir uns klarmachen, dass Krebs nicht automatisch Sterben und Tod bedeutet. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich viel getan. Viele Krebspatienten können geheilt werden, bei anderen kann der Krebs in eine chronische Erkrankung umgewandelt werden. Es mag vielleicht einen bösartigen Tumorbefund geben, aber der oder die Kranke besteht noch zu 99 Prozent aus gesunden Zellen. Das sollte der Ausgangspunkt für jedes Gespräch über Krebs sein.

Bücher

Für Krebskranke und Angehörige gibt es mittlerweile eine Reihe guter Bücher. Mit dem Phänomen Spontanheilung befassen sich:
* Eva-Maria Sanders: Leben! Ich hatte Krebs und wurde gesund, Nymphenburger Verlag, München 1997
* Caryle Hirshberg, Marc Ian Barasch: Gesund werden aus eigener Kraft, Droemer Knaur, München 1997 + Unerwartete Genesung. München 1995
* Bernie Siegel: Prognose Hoffnung, Düsseldorf 1988
* Greg Andersen: Der Krebsüberwinder, Freiburg 1998
* Moses G. Steinvorth: Die Krebsreise, Deutscher Psychologen Verlag, Bonn 2004
* Herbert Kappauf, Walter M. Gallmeier: Nach der Diagnose Krebs – Leben ist eine Alternative, Herder, Freiburg i. Br.

für Kinder:

* Andrea Caprez, Nadia Khan: Sven. Edition Moderne, Zürich 2006
* Christophe Badoux, Nadia Khan: Fatmas fantastische Reise. Edition Moderne, Zürich 2006
* Online-Spiele von Andrea Caprez für Kinder mit Moyamoya: www.strapazin.ch/moyamoya

Eindrücklicher Film über Krebs und Genesung (schweizerdeutsch)

Foto von Aarón Blanco Tejedor auf Unsplash

Veröffentlicht am 14. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
09. Oktober
2023