Burnout

Psychisch-Physischer Erschöpfungszustand

Ich habe in meiner Hausarztpraxis den Begriff „Burnout“ wenig in den Mund genommen, da er meist für die betroffenen Menschen implizierte, dass sie alleine durch die Arbeit „ausgebrannt“ sind und selbst wenig dagegen tun können. Natürlich existieren klar Burnout-fördernde Arbeitsstellen und ist das Burnout eine Folge von chronischer Arbeitsbelastung, resp. eines chronischen Stresszustands – jedoch sind die eigenen Voraussetzungen, Ressourcen und Reaktionen darauf genau so wichtig. Es existieren also auch klare Eigenschaften, die wir mitbringen, die dann zu diesem „Psychisch-Physischen Erschöpfungszustand“ führen – und so habe ich dann das „Burnout“ sinnvollerweise bezeichnet.
Die Erschöpfung ist das zentrale Symptom.

Menschen brennen nicht aus, weil eine Tätigkeit zu anstrengend oder eine Verantwortung zu gross ist. Sie brennen aus, wenn sie keinen persönlichen Einfluss auf ihr Tun nehmen können, ohnmächtig sind. Mit Achtsamkeitsübungen und Entspannungsstrategien ist da oft nicht geholfen.
Statt die eigene Erschöpfung zu individualisieren, ist es für die Betroffenen hilfreicher, das „Empörungspotential ihres Burnouts“ (Ursula Nuber, Psychologie Heute, 01/2016) zu erkennen. Schliesslich wehrt sich unser Organismus gegen Überreglementierung, Ausbeutung und Allverfügbarkeit. Burnout ist daher eine Kompetenz. Wer ausbrennt, sollte sich das nicht als Schwäche oder Versagen auslegen, sollte nicht schamvoll den Kopf senken und schuldbewusst daran arbeiten, seine Akkus wieder aufzuladen. Schliesslich kann er stolz sein auf sein Engagement – „müdstolz„, wie es Peter Handke einmal nannte. Ein Müdstolzer weiss um seine Leistung und hat daher kein Problem damit, sich und anderen einzugestehen: „Ich kann unmöglich allem gerecht werden!“.

Die Arbeitswelt macht krank…

Es wäre entlastend, wenn man sagen könnte: Logisch bin ich gerade in einer Krise, denn die Welt ist es auch. Ich glaube, es wäre allgemein besser, wenn es bei psychischen Problemen nicht immer nur den Impuls gäbe, «nach innen zu schauen» und das Individuum in die Pflicht zu nehmen. Im letzten Jahrhundert (zu Beginn und vor allem in den Dreissigjahren) war es „in“ – und man konnte es ruhig zeigen, dass man häufig einen „Nervenzusammenbruch“ hatte. Die Welt war zu stressig für das Individuum und mit diesem Zusammenbruch schuf man sich, durch die Gesellschaft allgemein legitimiert, eine Auszeit, in der man wieder zu Kräften kam.
Wie wohltuend wäre auch heute wieder ein solches Narrativ. Eines, das psychische Probleme im Kontext der Zeit sieht und unterstreicht, wie schwierig es manchmal ist, nicht durchzudrehen. Eines, das Burnouts nicht nur kuriert, sondern auch fragt: Warum macht die Arbeitswelt krank? Eines, das Ängste nicht nur behandelt, sondern auch wissen will:
Wie machen wir dieses Welt weniger schrecklich?

Die Sinnlosigkeit der Arbeit

Der Ausdruck Burnout verschleiert, dass die Erschöpfung kein quantitatives Problem ist, sondern auch mit der Sinnlosigkeit der Arbeit zu tun haben könnte, damit, nicht selbst über die Ziele der Arbeit bestimmen zu können, damit, gegen die eigenen Interessen oder moralischen Über­zeugungen handeln zu müssen, oder mit dem Gefühl, nichts bewirken zu können. Er verschleiert auch, dass die Erschöpfung, die inzwischen ja selbst (oder gerade?) in Aktivistinnen­kreisen ein zunehmendes Problem darstellen soll, weniger eine Folge der Arbeits­menge als eine Folge der nagenden Furcht ist, letztlich könnte alles für die Füchse gewesen sein.

Was tun? Vielleicht könnten wir damit anfangen, wenigstens den Begriff Burnout fallen zu lassen. Denn wer sich selbst ein Burnout diagnostiziert, versteht sich, ohne es zu merken, als Dampf­maschine. Er spielt dabei den Mächtigen in die Hände, für die es weniger ermüdend ist, über Quantitäten zu streiten als über Inhalte, über Arbeits­mengen als über politische und soziale Konflikte.
(der erschöpfte Daniel Strassberg in der Republik, 14.06.22)

Arbeit kann Dein Hirn vergiften!

Es hat sich in einer seriösen Studie gezeigt, dass sich im Laufe eines anstrengenden Bürotages etliche toxisch wirkende Abfallstoffe im Gehirn ansammeln, die dazu führen, dass am Ende des Tages das allseits bekannte Erschöpfungsgefühl einsetzt. Auch Entscheidungen, die am Ende des Arbeitstages getroffen werden, sind generell als schlechter zu bewerten als Entscheidungen, die in der ersten Tageshälfte getroffen werden. Hinzu kommt die immense Bedeutung der Ernährung im Laufe des Tages. So werden mit einem Gefühl der Sättigung bessere kognitive Entscheidungen getroffen, während ein Hungergefühl eher der Feinmotorik dient. Konterkariert wird die Qualität der Entscheidung aber wiederum durch die vorherige Arbeitsdauer. Am Ende des Arbeitstages werden eher Entscheidungen bevorzugt, die einen geringeren Aufwand nach sich zu ziehen scheinen.
Die StudienautorInnen empfehlen mehr Pausen während eines Arbeitstages und eine Umstrukturierung der Aufgaben im Laufe dieser Arbeitstage, um den Einfluss der externen Faktoren positiver für sich zu nutzen.
(Studie: Wiehler A, Branzoli F, Adanyeguh I, Mochel F, Pessiglione M. A neuro-metabolic account of why daylong cognitive work alters the control of economic decisions. Curr Biol. 2022 Aug 22;32(16):3564-3575.e5. doi: 10.1016/j.cub.2022.07.010. Epub 2022 Aug 11. PMID: 35961314. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35961314/)

Totalerschöpfung

Burnout umfasst eine tiefe Identitätskrise, die oftmals ihren Ursprung in zu hohen Erwartungen an eine Situation hatte. Die letztendliche Totalerschöpfung ist das sozial akzeptierte Zeichen nach aussen, dass etwas nicht stimmt. Burnout ist allerdings mehr als Erschöpfung, die auch entstehen kann wenn man wegen Termindruck drei Wochen durcharbeitet oder fünf Freunden am Stück beim Umzug hilft. Burnout entsteht früher und geht tiefer. Wer selbst noch in der Lage ist, die Reissleine zu ziehen und aktiv Dinge zu tun, die einem gut tun, ist zum Glück noch ein Stück vom Burnout entfernt.

Fabienne Riener hat in ihrem wunderbaren Text (hier) beschrieben, wie Burnout entsteht: Meistens eben nicht von drei Nachtschichten in einer Woche, sondern eher dann, wenn man lange auf ein Ziel hinarbeitet und regelmässig seine Grenzen überschreitet. Ein spannender Text, den alle lesen sollten, die öfter mal länger arbeiten.
Chronischer Stresszustand (Dauer-Dysstress), viele Reize, grosse Anforderungen wirkt auf den Sympathikus, auf unsere katabole Seite des Vegetativen Nervensystem (via Cortisol vor allem) und kann in Verlust von Neuroplastizität des Hirns münden (Atrophie des Hippocampus, Schrumpfung der Hirnzellen)! Dies ist zwar schon reversibel (durch Entspannung, Bewegung,…), aber dennoch alarmierend.

Vita activa vs. Vita contemplativa

Die Vita activa beschreibt eine Lebensform, bei der praktische Arbeit und soziale Betätigung im Vordergrund stehen. Die Vita contemplativa hingegen ist dem Betrachten und der Kontemplation gewidmet. Die Menschen definieren sich heutzutage oft über ihre Vita activa, indem sie viel arbeiten und danach noch für einen Triathlon trainieren.
Die Anerkennung für den Teil unseres Lebens, der der Vita contemplativa zugeordnet wird, fehlt oft, obwohl er genauso wichtig ist.
Es ist auch Teil der Sinnfrage, die sich die Menschen stellen. Sie fragen sich nicht nur, was der Sinn ihrer Arbeit ist, sondern auch, was der Sinn ihres Lebens ist.
Eine Möglichkeit, um mehr Vita contemplativa in den Alltag zu integrieren, ist pro Tag eine halbe Stunde in der Natur zu verbringen, zum Beispiel am See oder im Wald spazieren zu gehen. Der Wald ist zwar eine massive Reizüberflutung, aber er ist auch eine, die erdet. Ganz im Gegensatz zu einem iPad oder iPhone. Die Welt hier drin kann unser Gehirn nicht verstehen und mündet in einer Erschöpfung.

Burnoutsymptome

Das Standard-Messinstrument bei Burnout ist der Maslach Burnout Inventory, der 3 Dimensionen untersucht: Emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit.

Typische Burnout Symptome sind:

  • Konzentrationsprobleme, permanente Müdigkeit, Mattigkeit, Kraftlosigkeit und Erschöpfung – und dies alles nicht nur an einem besonders schlechten Arbeitstag, sondern oft.
  • Lustlosigkeit, Übellaunigkeit, Gereiztheit
  • Gefühle des Versagens, der Sinnlosigkeit, der Ineffektivität
  • Gefühl von Überforderung und Angst, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein
  • mangelndes Interesse am Beruf, Kunden/Patienten oder Aufgabenbereich, Gleichgültigkeit gegenüber Projekten, die man normalerweise spannend finden würde.
    Daraus resultierender Zynismus (bis Depersonalisierung)

Körperliche Symptome können ähnlich wie bei der Depression sehr vielfältig auftreten:

  • Schlafstörungen
  • Kopfschmerzen
  • Verspannungen
  • Rückenschmerzen
  • unspezifische Schmerzen
  • erhöhtes Schmerzempfinden
  • veränderter Blutdruck
  • Engegefühle in Brustkorb und Hals, Atemnot
  • Libidoverlust
  • Zyklusstörungen bei der Frau
  • Suchtverhalten (zur „Eigentherapie“ der psychischen Symptome…)
  • Atypische Gewichtsveränderungen
  • Magen-Darm Beschwerden

Stadien der Entstehung und begleitende Schlafstörungen

  • Stadium 1) STRESS: Einschlafstörungen
  • Stad. 2) BURNOUT: Ein- und Durchschlafstörungen
  • Stad. 3) FOLGEKRANKHEITEN – als Beispiel die Depression: Früherwachen

Burnout und Depression

Es ist umstritten, wo die Definition eines „Burnout“ beginnt und wo die einer „Depression“ aufhört. Überschneidungen sind gross – Unterscheidung nur partiell möglich. Die Prophylaxe beider Zustände ist ähnlich – die Therapie zum Teil und betrifft beim Burnout häufiger in Arbeitssituations-Verbesserungen (siehe weiter unten).
Als Musterbeispiel soll die weltweite Situation der Landwirte stehen: In einer Umfrage von 2018 soll in Deutschland jeder vierte Bauer Burnout gefährdet sein. Studien zur psychischen Situation von Landwirten zeigen dabei, dass (in Kanada) jeder vierte Landwirt, sein Leben nicht lebenswert findet oder in den vergangenen 12 Monaten an Suizid gedacht hat. Eine amerikanische Pilotstudie fand unter Landwirten heraus, dass 75 Prozent der Landwirte an einer Angststörung leiden, mehr als die Hälfte litt an Depressionen. In Frankreich nahmen sich im Jahr 2017 650 Landwirte das Leben. Die Suizidrate lag damit 50 Prozent höher, verglichen mit dem Rest der Bevölkerung.
Mehr über die Depression hier >>>

Burnout als Ende des Sebstoptimierungszwangs

Hierzu Juli Zeh, die selbst ein Burnout erlebte, in einem Interview mit dem Tagesspiegel vom 5.11.18:
Ab den 60er Jahren hiess es doch: Sei anders! Finde dich selbst!
Die Grundidee war, den Menschen von Zwängen und übergeordneten Mustern zu befreien, in die er hinein gepresst wird. Sei es die Religion, die patriarchale Familie, der hierarchische Arbeitgeber. Erst mal ein schöner Gedanke. Nur, was tun mit dieser individuellen Freiheit? Aha, Selbstverwirklichung. Diesen Raum muss man dann auch füllen. Dass das mit enorm viel Druck verbunden ist, haben viele nicht bedacht.
Die Chance wird zum Imperativ: Du musst deine Freiheit nutzen, du musst gut sein, glücklich sein. Das führt dazu, dass schon Dreijährige im Kindergarten Chinesisch lernen sollen, damit sie mit 24 Jahren einen guten Job bekommen. Die Biografie muss bis ins Letzte durchgeplant sein, nur keinen Fehler machen. Wie soll man sich denn entspannen, wenn man zu dieser Optimierung gezwungen ist, egal worum es geht, Sport, Sex, Liebe, Familie?
Dies führt unweigerlich irgendwann ins Burnout, in die absolute Erschöpfung!

Burnout, auch eine gestörte Fähigkeit zur Empfindung positiver Emotionen?

Die Realität eines Menschen wird durch seinen Fokus bestimmt. Ganz ähnlich ist es mit dem Gefühl, das seine Wahrnehmung beeinflusst. Ganz oft, wenn wir uns leer und ausgebrannt fühlen, vergessen wir, dass sich dadurch, was wir wahrnehmen, verändert und achten nicht mehr auf die übrige Welt um uns herum. So erinnern sich etwa Personen, die sich gestresst oder ausgebrannt fühlen, bei einer Reihe positiver, neutraler und negativer Bilder mit erstaunlicher Detailtreue an das, was auf den negativen Bildern zu sehen ist, wo hingegen sie keine Fakten von den positiven oder neutralen Bildern zu berichten wissen.
Aus evolutionsbiologischer Sicht möge das auch sinnvoll sein. Wenn Sie auf der Flucht vor einem Säbelzahntiger sind, achten Sie vielleicht darauf, wer Sie noch gerne zum Mittagessen hätte oder was Ihnen bei der Flucht im Weg ist, aber Sie werden wohl nicht innehalten und einen schönen Regenbogen bewundern. Für das Überleben unserer Art ist das auch gut so, doch für das individuelle Wohlbefinden und Glück ist das verheerend.
Burnout ist im Grunde die gestörte Fähigkeit zur Empfindung positiver Emotionen – und Interventionen, die bei Burnout erfolgreich sind, haben offenbar alle etwas gemeinsam: Sie alle steigern die Fähigkeit einer Person, positive Emotionen zu erleben: Weiterlesen.

Elternburnout

Manchmal geraten Eltern in eine Erschöpfung, die anders aussieht als das Jobburnout. Die Mütter und Väter entwickeln Fluchtfantasien, träumen davon, die Familie zu verlassen, vernachlässigen ihre Kinder, können keine emotionale Beziehung mehr zu ihnen aufbauen und neigen sogar zu Gewalt. Sie sind erschöpft davon, dass sie Eltern sind.
Zwei Studien erbrachten die Bestätigung, dass Elternburnout anders ist als Jobburnout. Fluchtgedanken etwa seien charakteristisch für Eltern – vielleicht weil sie sich nicht krankmelden und bei Erschöpfung nicht ohne weiteres erholen könnten. Die Wirkung auf die Kinder sei gravierend, schreiben die Autoren. Betroffene berichteten übereinstimmend von ihrem Scheitern, emotionale Bindungen zu den Kindern zu pflegen, und von ihrer Aggressivität.
Ob die Erscheinungsformen Ursache oder Folge des Elternburnouts sind, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Es könne auch sein, dass es eine gemeinsame Ursache für die erhöhte Neigung gebe, bei Stress in Fluchtgedanken zu verfallen und die Kinder aus den Augen zu verlieren, etwa ausgeprägter Neurotizismus. Es gibt Hinweise auf Anfälligkeiten: etwa mangelnde Unterstützung des sozialen Netzwerks, der Wunsch, eine perfekte Mutter oder ein perfekter Vater zu sein, fehlende Unterstützung durch den Partner oder fehlende Fähigkeiten, mit Stress und heftigen Emotionen umzugehen.
(Moïra Mikolajczak u. a.: Parental burnout: What is it, and why does it matter? Clinical Psychological Science, 7/6, 2019. DOI: 10.1177/2167702619858430)

Abgrenzung zu Erschöpfung und chronischer Fatigue bei ME/CFS und weiteren Ursachen

Was hilft prophylaktisch und auch therapeutisch gegen das Burnout?

  • Nein sagen lernen! Sie können nicht immer allen alles recht machen, ob im Beruf oder in Beziehungen! Wer keine Grenzen ziehen kann, wird unzufrieden und hat bald das Gefühl, dass andere mehr über die eigene Energie und Zeit verfügen als man selbst. Lernen Sie ihre eigenen Bedürfnisse kennen und leben Sie danach.
    Die Arbeitsstelle scannen auf Situationen, in denen wir ohnmächtig sind: Überreglementierung, Ausbeutung und Allverfügbarkeit. Burnout ist eine Kompetenz. Wer ausbrennt, sollte sich das nicht als Schwäche oder Versagen auslegen, er kann stolz sein auf sein Engagement – „müdstolz„. Ein Müdstolzer weiss um seine Leistung und hat daher kein Problem damit, sich und anderen einzugestehen: „Ich kann unmöglich allem gerecht werden!“
    Er empört und wehrt sich an der richtigen Stelle.
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  • Seine Resilienz vergrössern. Die „Resilienz“ ist unsere Kraft zum „Gedeihen trotz widriger Umstände“.
    Dazu ausführlich hier: /krise/
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  • Dann ist in unserer Zeit des Dauerstress die Entspannung das A und O. Der Rhythmus von Spannung und Entspannung (Kontakt und Rückzug, etc.) sollte auch über die Arbeitswoche weg erhalten bleiben. Das optimale Modell für Dauerstressgeplagte und Leute mit Burnoutgefährdung ist eine 80%-Arbeit mit einem ganztägig freien Mittwoch!
    Ein tägliches Mittagsschläfchen von 30 bis 45 Minuten (nicht länger!) wäre natürlich optimal!
    Weiterlesen: /entspannung/
    Auch im Winter kann man saisongerechter Leben und sich bei kürzerem Tageslicht und grösserer Nachtlänge mehr zurückziehen, zur Ruhe kommen und länger Schlafen: also mehr erholen und entspannen (mehr dazu).
    Allgemein lässt sich sagen, dass ein Stärken des Parasympathikus (anabole Seite, regenerativ) hilft (für bessere Verdauung, gegen Schlafstörung und für optimale Reparation).
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  • In der «Müdigkeits­gesellschaft» gehen alle Mitglieder permanent an die Grenzen ihrer Mobilisierbarkeit, der Burnout wird zur Universal­pathologie, zum permanent drohenden Leistungs­infarkt. Dem setzt Byung-Chul Han in seinem neuen Buch „Vita contemplativa“ ein Ethos des Flanierens, des Schlenderns, des Verweilens entgegen.
    Denn alles, was der menschlichen Existenz nach Han einen wirklichen Sinn gibt – die Liebe, das Fest, die Kunst­erfahrung –, hat sein Geheimnis darin, nicht zweck­gerichtet zu sein, kein Ziel zu haben und Zeit zu beanspruchen für nichts als sich selbst. «Das Leben», schreibt Han, «erhält seinen Glanz erst von der Untätigkeit (…) Das wahre Leben beginnt in dem Moment, in dem die Sorge um das Überleben, die Not des schieren Überlebens aufhört. Der letzte Zweck menschlicher Anstrengungen ist die Untätigkeit.»
    Und das Zeremoniell der Untätigkeit – hier werden Hans Reflexionen unmittelbar politisch – ist auch ein Korrektiv für unser «instrumentales Natur­verständnis», das die Welt nur als Ressource betrachtet und unseren Zwecken unterwirft.
    Etwas überspitzt gesagt: Um die Natur zu schonen, die fossilen Brenn­stoffe im Boden zu lassen, müssen wir zuallererst unser Grund­ethos ändern. Um Ressourcen zu sparen, müssen wir wieder lernen, zu verschwenden: unsere Zeit. Wir müssen die Welt so annehmen, wie sie ist. Bei ihr verweilen. Um sie zu betrachten und zu feiern.
    (aus „Die Ökologie des Verschwendens“ von Daniel Binswanger, die Republik 01/23)

  • Distanz zur Arbeit erhöhen: Keine ständige Erreichbarkeit zu Hause, also keine Arbeitsmails, natürlich auch keine Telefons. Aber auch keine ununterbrochene Erreichbarkeit während der Arbeit! Um konzentriert zu arbeiten, müssen Perioden von 30 bis 40 Minuten völlig störungsfrei sein! Deshalb:
    – Zeitfenster festlegen, wann man erreichbar ist und wann nicht.
    – Antwortfristen festlegen (nicht sofort, sondern dann, wenn es passt).
    – Push-Nachrichten ausschalten.
    – Nein-Sagen, auch mal zum Chef, wenn es sein muss!
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  • Ein Internet, welches mich beherrscht – und nicht umgekehrt, macht krank und brennt aus: Weiterlesen>
  • Aufgaben delegieren: Man muss nicht immer alles selber machen – und auch nicht sofort – und auch nicht perfekt!
    Perfektionismus (höchste Ansprüche an sich selbst, strenge Selbstkritik und die ständige Sorge, Fehler zu begehen) kann krank machen, depressiv und ausgebrannt. Therapeutisch hilft, dem „Inneren Kritiker“ mit Mitgefühl zu begegnen. Menschen, die trotz leistungsfordernder Gedanken in schwierigen Momenten achtsam und liebevoll zu sich waren oder eigene Misserfolge eher als Teil der menschlichen Entwicklung sahen, geht es darauf wesentlich besser.

Stellen Sie sich die dazu die Frage: „Wem gehört mein Leben?!“ (Robert Betz)

Wer nicht zum Burnout neigt

Menschen, die offen, fair, verträglich und gewissenhaft sind, haben ein geringeres Risiko, ein berufliches Burnout zu erleiden. Dies ergab eine Onlinestudie mit rund 500 Erwerbstätigen. Diejenigen, die laut dem Hexaco-Persönlichkeitsmodell bei diesen Eigenschaften höhere Werte erzielten, berichteten zum zweiten Befragungszeitpunkt seltener über Burnoutsymptome als die Personen mit hohen Werten beim Neurotizismus und mit höherer Emotionalität.
Das Forschungsteam schlussfolgert: Menschen mit den Eigenschaften Ehrlichkeit und Bescheidenheit, Verträglichkeit und Extraversion verhalten sich im Job anders. Sie engagieren sich, legen Wert auf wechselseitige Fairness und sind gut im Strukturieren und Organisieren. Sie sehen auch die negativen Aspekte ihres Jobs. Dies befähige sie, sich damit auseinanderzusetzen und aktiv etwas zu verändern.
Wer das nicht macht, neigt dazu, sich emotional zu distanzieren, schnell zu überfordern und erschöpft zu fühlen, und gerate so schneller in ein Burnout.
(Karolien Hendrikx u.a.: Personality and burnout complaints: The mediating role of proactive burnout prevention behaviors at work. Scandinavian Journal of Psychology, 2024. DOI: 10.1111/sjop.13005)

Aber wie sagt man es nun dem Chef?

Es erleben heute deutlich mehr Menschen als noch vor zwanzig Jahren chronische Erschöpfung durch Arbeit. Das ist nicht nur schlecht für persönliche Schicksale, sondern auch für die Produktivität von Unternehmen. Weswegen viel dafür spricht, dass nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Chefs verstehen, was Burnout ist.
Erraten kann er oder sie es nicht, selbst wenn er oder sie schon sensibilisiert ist? Drei gute Argumentationshilfen dazu können Sie hier finden.

Warum Ärztinnen mehr Burnout entwickeln als Ärzte

Der grösste Unterschied zwischen Ärztinnen und Ärzten besteht in der Erwartung, die wir an sie haben. Und das hat Folgen: Ärztinnen sind gefährdeter für Burnouts.
Wir (Patientinnen und Patienten) wünschen uns eine einfühlsame Behandlung nach den aktuellen medizinischen Erkenntnissen. Ärztinnen sind eher in der Lage als ihre männlichen Kollegen, beide Erwartungen gleichermassen zu erfüllen: Sie zeigen mehr Empathie im zwischenmenschlichen Umgang. Das lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass sie mehr Fragen stellen und sich mehr Zeit für Gespräche nehmen. In Ärztin-Patienten-Gesprächen geht es häufiger um Gefühle verglichen mit Arzt-Patienten-Gesprächen. Deshalb bekommen Ärztinnen häufiger das Prädikat „gut“ als ihre männlichen Kollegen.
Wenn sich aber ein Arzt als besonders einfühlsam zeigt, wird ihm im Gegensatz dazu eher das Prädikat „sehr gut“ verliehen. Allein schon deshalb, weil wir seltener die Erfahrung machen, dass Männer über Gefühle reden, sind wir positiv überrascht und schätzen in der Folge auch die fachlichen Qualitäten des Arztes höher ein. Diese Verknüpfung passiert bei Ärztinnen seltener und weniger stark.
Wie seltsam: Wir wünschen uns einfühlsamere Medizin, bewerten sie aber unterschiedlich, je nachdem, ob wir sie von einer Frau oder einem Mann bekommen. Wir schimpfen auf die kalte, unpersönliche Apparatemedizin und verurteilen gleichzeitig den sanfteren Ansatz als weniger kompetent, womöglich weniger hilfreich – zumindest tendenziell.
Relevant ist dieses Phänomen allein schon deshalb, weil inzwischen die Hälfte der Mediziner weiblich sind und zwei Drittel der Medizinstudenten. Frauen prägen die Medizin der Zukunft. Aber auch wir Patienten. (Quelle: Silke Jäger, piqd, 5.5.18).
Daraus entsteht eine Dynamik, die zur Folge hat, dass Ärztinnen schneller und anders ausbrennen als Ärzte. Der weiterführende Text erklärt sehr anschaulich, wieso: burnout-bei-aerztinnen.pdf
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Millennials brennen speziell aus…

Das Gefühl permanenter psychischer Überlastung drängt vor allem die Generation der zwischen 1981 und 1996 Geborenen (Millennials) sowohl zum Dauerarbeiten, wie auch zum Dauerndwegwollen. Das Lesen dieses fundierten Essay lohnt sich natürlich auch für andere Geburtsjahrgänge:
www.buzzfeednews.com/article/annehelenpetersen/millennials-burnout-generation-debt-work

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Zur Lektüre: Byung-Chul Han: «Vita contemplativa oder von der Untätigkeit». Ullstein, Berlin 2022. 128 Seiten, ca. 37 Franken.

Veröffentlicht durch Dr.med. Thomas Walser am 07. Mai 2018
Letzte Aktualisierung:
21. März 2024

Mit Resilienz die Krise meistern

Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände

Mit „Resilienz“ wird in der psychologischen Forschung die psychische und physische Stärke bezeichnet, die es Menschen ermöglicht, Lebenskrisen, wie schwere Krankheiten oder auch ein Burnout ohne langfristige Beeinträchtigungen zu meistern. Kurz: Gedeihen trotz widriger Umstände.
Resilienz ist eine Fähigkeit, die jeder Mensch lernen kann. Je früher er sie erwirbt, um so besser. Am leichtesten in den ersten zehn Lebensjahren. Doch auch Erwachsene sind zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens grundsätzlich in der Lage, ihre Widerstandsfähigkeit zu schulen.

Resiliente Menschen kann man mit einem Boxer vergleichen, der im Ring zu Boden geht, ausgezählt wird, aufsteht und danach seine Taktik grundlegend ändert (resilience = englisch: Elastizität, Spannkraft – „resilire“, lat. abprallen). Resilienz wurde auch schon „the mental muscle everyone has“ genannt oder das „Immunsystem unserer Seele“.

Die Resilienz lässt sich in drei Subtypen mit verschiedenen Bewältigungsszenarien unterteilen. Das Bild eines Baums, der heftigem Wind ausgesetzt ist, verdeutlicht sie: Ein massiver Stamm kann den Sturm unbeschadet überstehen – das ist Resistenz. Vielleicht wird der Baum auch durchgeschüttelt und die Äste verbiegen sich, nehmen danach jedoch wieder ihre alte Form ein. Dann spricht man von Regeneration. Möglich ist aber auch, dass die Äste dauerhaft ihre Wuchsrichtung ändern, um künftigen Stürmen weniger Angriffsfläche zu bieten. Diese Resilienzstrategie heisst Rekonfiguration.

Wir können mit dem, was das Schicksal einem antut, gut oder schlecht umgehen. Der Resiliente hat beschlossen, gut damit umzugehen.

Wie lernt man dies?

Man weiss eigentlich noch zu wenig darüber. Doch die meisten Forscher gehen von einer Wechselwirkung zwischen individuellen Möglichkeiten und sozialen Angeboten aus. Ruhiges Temperament und eine höhere Intelligenz scheinen resilientes Verhalten zu begünstigen. Sicher ist, dass vor allem die Zugehörigkeit zu einen grösseren Verbund von Menschen, der über die Familie hinausgeht, für die Herausbildung von Resilienz wichtig ist. Man sollte eingebettet sein. Resiliente Kinder haben sehr viel mehr Unterstützung von religiösen Gemeinschaften, von Nachbarn, Freunden, Lehrern und Verwandten, wie zum Beispiel Grossmüttern, erhalten. Die Familie kann, aber muss dabei keinen hohen Stellenwert haben.
Die Annahme, dass einmal gemachte schlechte Erfahrungen das gesamte weitere Leben prägen, wird durch die Resilienzforschung für viele Fälle widerlegt. Auch wenn in Kindheit und Jugend keine resilienzfördernden Erfahrungen gemacht werden konnten, muss niemand sich seinem Schicksal hilflos ausgeliefert fühlen. Resilienz kann in jedem Lebensalter erlernt werden. In ihrer Broschüre The road to resilience nennt die Amerikanische Psychologenvereinigung (www.apahelpcenter.org) zehn Wege, die zum Ziel führen (hier):

  • Resiliente Menschen akzeptieren die Krise und die damit verbundenen Gefühle. Sie lassen sich Zeit. Sie wissen: Weglaufen hilft nicht. Es wird eine Zeit kommen, dann werden sie wissen, was zu tun ist. Bis dahin suchen sie sich einen Ort, an dem sie wohl fühlen, und lassen dort ihren Gefühlen freien Lauf.
    Resiliente Menschen schämen sich nicht ihrer Tränen, ihrer Wut, ihrer Ängste. Sie reissen sich nicht zusammen und versuchen nicht, ihre Gefühle einzufrieren. Sie sorgen für sich selbst.
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  • Resiliente Menschen suchen nach Lösungen. Sie glauben an die eigene Kompetenz. Sie verlassen die Opferrolle und werden aktiv:
    Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, auf Krisen zu reagieren. Man kann klagen: „Warum passiert gerade mir das? Womit habe ich das verdient? Wie konnte das geschehen? Es ist so schrecklich, das überstehe ich nicht!“ Man kann aber auch sagen: „Ich habe nicht erwartet, dass mir so etwas Schreckliches widerfährt. Aber nun ist es geschehen, es liegt nicht in meiner Macht, es ungeschehen zu machen. Vor mir liegt eine äusserst schwierige und schmerzhafte Zeit – was kann ich tun, damit es mir gelingt, sie zu meistern?“
    Resiliente Menschen, so zeigt die Forschung, wählen die zweite Möglichkeit. Sie grübeln nicht unentwegt über ein Problem nach, sind keine „Jammerlappen“, sondern sind sogar im tiefsten Schmerz in der Lage, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. „Wir können nicht beeinflussen, was mit uns geschieht, aber wir können entscheiden, welche Folgen das Geschehene für uns hat“ (vergleiche mit dem Kohärenzgefühl der Salutogenese!).
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  • Resiliente Menschen lösen ihre Probleme nicht allein. Sie bauen auf ihre sozialen Kontakte:
    Ein ganz wichtiges Merkmal der Resilienz ist, dass krisengebeutelte Menschen bereit sind, mit anderen über ihre Sorgen zu sprechen. Resiliente Menschen versuchen erst gar nicht, ihre Schwierigkeiten im Alleingang zu lösen. Wie psychologische Studien übereinstimmend belegen, wird mit Schicksalsschlägen besser fertig, wer in eine Familie eingebunden ist oder ein festes soziales Netz von Freunden besitzt. Das gilt für Kinder wie für Erwachsene. Dabei achten Resiliente darauf, dass sie sich in ihrer Not an die richtigen Personen wenden. Sie suchen sich Menschen, die sich nicht von ihren Gefühlen verunsichern lassen, die einfühlend und unterstützend sind, die ihnen Mut machen und sie an ihre Stärken erinnern. Sie meiden Menschen, die nur Sprüche klopfen à la „Die Zeit heilt alle Wunden“, „Du musst stark sein, schon wegen der Kinder“, „Es lohnt nicht, über verschüttete Milch zu weinen“ , „Anderen geht es noch schlechter als dir“, „Das Leben geht weiter“ oder „Wenn ich irgend etwas für dich tun kann, ruf mich an“.
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  • Resiliente Menschen fühlen sich nicht als Opfer:
    Menschen, die mitten in einer Krise stecken, machen die Situation oft durch ihre Einstellung noch schlimmer, als sie ohnehin schon ist. Sie haben jegliche Hoffnung auf Änderung verloren, sehen nur noch alles grau in grau und betrachten sich als Opfer der Situation.
    Häufig benutzen sie Formulierungen wie „Ich kann nicht“, „Niemals mehr werde ich glücklich sein“, „Warum nur ist das Leben so ungerecht zu mir?“, „Ich weiss nicht, was ich tun soll“.
    Auch resiliente Menschen sind nicht gegen das Opfergefühl gefeit. Doch nach einer gewissen Zeit gelingt es ihnen, anders über ihre Situation zu denken. Statt „Ich kann nicht“ zu sagen und damit dem Gefühl Ausdruck zu verleihen, völlig die Kontrolle über das Geschehen verloren zu haben, sagen sie „Ich will es versuchen…“.
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  • Resiliente Menschen bleiben optimistisch. Krisen werden nicht als unüberwindliches Problem betrachtet:
    Eine optimistische Lebenseinstellung ist das wichtigste Merkmal der Resilienz. Ohne die feste Überzeugung, dass irgendwann, früher oder später, sich die Dinge wieder zum Positiven wenden werden, ist Widerstandsfähigkeit nicht denkbar. Dieser gesunde Optimismus darf nicht mit positivem Denken verwechselt werden. Positives Denken verleugnet die Realität, will die negativen Ereignisse schönreden. Optimistisches Denken dagegen ist kein Wunschdenken, es erkennt die Realität an, geht aber davon aus, dass negative Ereignisse, gleich welcher Art, eine befristete Angelegenheit sind und es auch wieder bessere Zeiten geben wird.
    Ein weiteres Merkmal optimistisch denkender Menschen: Sie verallgemeinern nicht. Wenn sie eine Niederlage einstecken müssen, dann denken sie nicht „Ich tauge nichts“, sondern: „Diesmal hatte ich keinen Erfolg, das nächste Mal wird es wieder klappen“.
    Martin Seligman ist überzeugt davon, dass jeder Mensch optimistisch denken lernen kann, je früher, desto besser. Deshalb hat er ein Programm entwickelt, das Eltern und Lehrern Anleitungen an die Hand gibt, wie sie Kinder zu optimistischem, resilientem Denken erziehen können (Martin E.P.Seligman, Kinder brauchen Optimismus, Rowohlt Verlag). Hier hat jeder Erziehende/Lehrer eine eigentliche Verpflichtung und kann mit seinem Handeln im alltäglichen Umfeld dazu beitragen, dass das Kind Vertrauen in die eigene Kraft und die eigene Fähigkeiten gewinnt, dass es sich selbst als wertvoll erlebt und dass es durch seine eigenen Handlungen Veränderungen bewirkt. Kernpunkte der Resilienz (wie: – Suche dir einen Freund und sei anderen ein Freund. – Fühle dich für dein Verhalten verantwortlich. – Glaube an dich selbst.) sollen Kindern beigebracht werden.

    Resilienz hat auch gar nichts mit dem modernen Hype des „Manifestieren“ zu tun. Das Konzept des Manifestierens beschönigt die gleiche verblendete Logik, die behauptet, Armut sei eine Wahl, und die vielen politischen Desinformationen zugrunde liegt. Wenn die Realität nur das ist, was wir aus ihr machen, dann werden die Skrupellosesten die meiste Macht haben, die Zukunft zu gestalten.
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  • Resiliente Menschen geben sich nicht selbst die Schuld:
    Am Beginn einer Krise sind Schuldgefühle fast unvermeidlich. Die Betroffenen quälen sich mit Selbstvorwürfen. „Hätte ich nur nicht soviel gearbeitet, dann wäre sie heute noch bei mir“, „Wenn ich ihm nur nicht erlaubt hätte, Motorrad zu fahren … „“,Wäre ich nur aufmerksamer gewesen“. Resiliente Menschen unterscheiden sich jedoch von anderen dadurch, dass sie ziemlich bald diese Selbstanklagen beenden und ihren eigenen Anteil an der Krise realistisch einschätzen. Sie erklären sich das Geschehen nicht mehr ausschliesslich internal („ich allein bin schuld“), sondern erkennen auch, was andere oder die Umstände dazu beigetragen haben. je mehr es gelingt, externe Faktoren verantwortlich zu machen, desto geschätzter ist das eigene Selbstwertgefühl, desto grösser die Chance, über einen Schicksalsschlag schneller hinwegzukommen.
    Der Münchner Psychologe Dieter Frey konnte dies in Studien mit Unfallopfern belegen. Zwei Tage nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus wurden die Patienten gefragt: Wer ist schuld am Unfall? Wäre er vermeidbar gewesen? Glauben Sie, Ihre Genesung beeinflussen zu können? Das Ergebnis: Patienten, die ihrer Situation eine positive Seite abgewinnen konnten und glaubten, nicht selbst schuld am Unfall zu sein, erholten sich schneller von ihren Verletzungen als Unfallopfer, die mit ihrem Schicksal haderten („Warum gerade ich?“) und den Unfall für vermeidbar hielten. Diese Menschen brauchten im Schnitt 140 Tage, ehe sie ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten, während die optimistischen bereits nach 80 Tagen an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten.
  • Resiliente Menschen planen voraus. Sie nehmen eine Langzeitperspektive ein und entwickeln realistische Ziele:
    Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass Ihr Arbeitsplatz irgendwann gefährdet sein könnte? Halten Sie es für möglich, dass Ihre Ehe scheitert? Was ist, wenn Ihr Vermieter Ihnen kündigt und Sie umziehen müssen? Sind Sie vorbereitet aufs Älterwerden? Resiliente Menschen, so zeigt die Forschung, halten nichts für selbstverständlich. Sie rechnen mit den Wechselfällen des Lebens und beschäftigen sich gedanklich damit. Die Frage „Was wäre, wenn…“ stellen sie sich auch in Zeiten, in denen noch kein Anlass zur Sorge besteht. Auf diese Weise sind sie auf die „vorhersehbaren Veränderungen“ im Leben vorbereitet, zu denen nach dem Psychiater Frederic Flach (Resilience. The Power to Bounce Back When the Going Gets Tough!, New York 1997) vor allem bestimmte Zäsuren und Übergangsphasen gehören: Heirat, die Geburt eines Kindes, der Tod der eigenen Eltern, Berufswechsel, Scheidung, Älterwerden. Resiliente Menschen werden von diesen Wendepunkten des Lebens und den damit verbundenen Problemen nicht völlig überrascht, weil sie sich gedanklich darauf vorbereiten.
    Auch H. Norman Wright (Resilience. Rebounding When Life’s Upsets Knock You Down, Michigan 1997) ist überzeugt davon, dass vorausplanendes Krisenmanagement die Resilienz stärkt. Seiner Ansicht nach müsste beispielsweise so manche Ehe nicht vor dem Scheidungsrichter enden, wenn sich die Paare mit den Problemen und Herausforderungen beschäftigen würden, die im Laufe des Zusammenlebens auftreten können. Auch Paare, die sich ein Kind wünschen, können durch Vorausplanung vielen Krisen der Elternschaft die Schärfe nehmen. Und Menschen, die sich mit den Facetten des Älterwerdens auseinandersetzen, bewältigen die damit verbundenen Veränderungen besser.
    Resilienz, die Elastizität eines Bungeebandes, benötigen wir nicht nur wenn schlimme Ereignisse uns auf eine schwere Probe stellen. Resilienz ist auch ein wichtiger Schutz vor Alltagsstressoren, die immer zahlreicher und intensiver auf uns einwirken. „Es ist eine Sache, durch Zeiten der Unsicherheit und Instabilität zu gehen, wenn die Welt um uns herum einigermassen stabil ist“, meint Frederic Flach. „Aber es ist etwas völlig anderes, wenn die Veränderungen um uns herum immer zahlreicher werden und sich ganze Gesellschaften im Umbruch befinden.“
    Noch ist das Scheitern „das grosse moderne Tabu “ , wie der Soziologe Richard Sennett schreibt. „Wie wir mit dem Scheitern zurechtkommen, wie wir ihm Gestalt und einen Platz in unserem Leben geben, mag uns innerlich verfolgen, aber wir diskutieren es selten mit anderen.“ Die Ergebnisse der Resilienzforschung sind ein erster wichtiger Schritt, dieses Tabu zu brechen.
    ( Ursula Nuber „Psychologie Heute“ (Mai 1999 und Sept.05) )

Resilienzkritik

Was in der momentanen Resilienzbegeisterung ausgeblendet wird, sind ihre zwiespältigen impliziten Botschaften, so die Handlungsfähigkeit durch Selbstoptimierung – suggeriert wird damit die Idee von Bemeisterung und Kontrolle. In der Vorstellung einer solchermassen smarten Anpassung geraten die eigentlichen Ursachen und Hintergründe der Resilienzerfordernisse aus dem Fokus. Die Verantwortung für das Zurechtkommen in einer sozial gefährdeten und massiv bedrohten Ökosphäre wird an die Einzelnen verschoben. Fragen nach dem wirtschaftlichen und politischen Kontext dieser Bedrohungen und nach deren Verantwortlichen verschwinden. Sollten wir aktuell vielleicht eher rebellisch statt resilient leben und damit die systemischen Ursachen der sozialen und ökologischen Krisen infrage stellen?

Zudem: Angst, Schwäche und Hilflosigkeit kommen im Resilienznarrativ nicht vor. Der zukunftsfähige Mensch hat sich erfolgreich angepasst und verantwortet sein seelisches Überleben scheinbar allein. Muss sich schämen, wem dies nicht gelingt? Was geschieht, wenn wir vom Bedürfnis nach Überlegenheit und Kontrolle um jeden Preis loslassen?

Resilienz bedeutet aber noch etwas: einen Lernprozess zu durchlaufen. Und der basiert immer auf Transformation. In der Suche nach Neu-Anpassung verändern wir uns, unsere Sicht auf und unseren Bezug zur Welt. Jenseits der Selbstoptimierungslogik eröffnet sich ein Feld kritischer Kreativität. Können wir in gemeinsamer Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Krisen lernen, unser Zusammenleben mit und auf diesem Planeten neu, anders und vor allem besser zu gestalten? So verstanden – ein Tusch auf die Resilienz!
(Vera Kattermann in Psychologie Heute, 01/2024)

Burnout

Burnout umfasst eine tiefe Identitätskrise, die oftmals ihren Ursprung in zu hohen Erwartungen an eine Situation hatte. Die letztendliche Totalerschöpfung ist das sozial akzeptierte Zeichen nach aussen, dass etwas nicht stimmt. Burnout ist allerdings mehr als Erschöpfung, die auch entstehen kann wenn man wegen Termindruck drei Wochen durcharbeitet oder fünf Freunden am Stück beim Umzug hilft. Burnout entsteht früher und geht tiefer. Wer selbst noch in der Lage ist, die Reissleine zu ziehen und aktiv Dinge zu tun, die einem gut tun, ist zum Glück noch ein Stück vom Burnout entfernt.
Fabienne Riener hat in diesem wunderbaren Text aufgeschrieben, wie Burnout entsteht, meistens nicht von drei Nachtschichten in einer Woche, sondern eher dann, wenn man lange auf ein Ziel hinarbeitet und regelmässig seine Grenzen überschreitet. Ein spannender Text, den alle lesen sollten, die öfter mal länger arbeiten.
Mehr über das Burnout hier >>>

Krisen? Verlust?

Zurzeit sind wir bereits in fünf Krisen gefangen: Artensterben, Klimakrise, Pandemie, der russische Angriffskrieg und die millionenfache Flucht aus der Ukraine. In zwei weitere bewegen wir uns hinein: Schon begonnen hat eine globale Nahrungsmittelknappheit, die aller Wahrscheinlichkeit nach noch mehr Flüchtende nach Europa bringen wird, diesmal von Süden, da, wo demnächst gehungert wird. Das sind dann sieben Krisen, und da reden wir noch nicht von der Inflation, von der Krise der Globalisierung oder der westlichen Demokratien.

In Anbetracht dieser Angriffe auf unsere Resilienz, wie sollen wir zuversichtlich bleiben?

Ich habe in letzter Zeit über das Verlieren nachgedacht und darüber, wie sehr es ein integraler Bestandteil unserer gesamten Vorstellung vom Universum – und vor allem von Krisen ist. Ich bin ständig am Verlieren. Ich verliere Vitalität. Ich verliere Würde. Ich verliere Geld. Ich verliere meine Jugend. Ich verliere meinen Hund, und langsam, unausweichlich verliere ich meinen Verstand. Irgendwo habe ich gelesen: „Was das Ego zu verlieren fürchtet, ist der Verlust selbst.“ Das Ego gedeiht, indem es sich am Verlust labt. Jedes Mal, wenn es mich davon überzeugen kann, zu glauben, dass ich etwas oder jemanden verloren habe, verstärkt es die Idee der Trennung; und was ist das Ego anderes als die Idee der Trennung?
Könnten wir gemeinsam damit beginnen, die Grundvoraussetzung der Idee des Verlustes zu hinterfragen? Wie würden wir dann „äussere“ Ereignisse wie die Pandemie unserer Zeit oder das Ableben eines geliebten Menschen erleben?
Es gibt dabei einige Hindernisse, die im Wege stehen. Das erste ist, dass ich zutiefst süchtig nach allen Gefühlen bin, die mit Verlust verbunden sind. Ich werde „entziehen“ müssen. Wie einige von euch wissen, macht eine Entzug keinen Spass, und sie ist auch nicht angenehm. Die zweite Herausforderung könnte darin bestehen, dass ich die Gültigkeit des breiten Spektrums von Gefühlen in Frage stellen muss, die von der Gesellschaft sanktioniert werden, wenn es um Verlust geht, und dabei könnte es so aussehen, als würde ich meine Menschlichkeit in Frage stellen. Das tue ich. Ist es nicht an der Zeit, unsere menschliche Verkleidung zu durchschauen und unsere „unveränderliche Göttlichkeit“ zurückzufordern?

Die Zehn Gebote als Krisenprophylaxe

Peter Modler beschreibt in seinem Buch „Die Königsstrategie – so meistern Männer berufliche Risiken“ realitätsnah den „selbstmörderischen Luxus“ vermeintlicher Souveränität, aber auch, wie es Managern gelingen kann, die „persönliche Resettaste“ zu drücken.Dies ist spätestens dann nötig, wenn die Herausforderungen der Arbeit die persönlichen Bindungen in der Partnerschaft, zu Familie, Freunden und selbst zum eigenen Körper zerstören und die Brücken zum Leben jenseits der Arbeit brechen.
Die Empfehlungen des Autors fassen sich am besten zusammen in den „Zehn Geboten des Königs“:

  • Du sollst auf die kleinen Fehler achten!
  • Du sollst keine Angst haben vor einem Rückzug!
  • Du sollst feiern!
  • Du sollst nicht fett werden!
  • Du sollst ein sexuelles Leben haben!
  • Du sollst die Initiative zurückgewinnen!
  • Du sollst keine Angst haben, etwas anders zu machen als alle anderen!
  • Du sollst rechtzeitig um Rat fragen!
  • Du sollst deine Kinder kennen!
  • Du sollst keine Angst vor einem Neuanfang haben!

Trainingsprogramm aus der Krise

Manche Wälder auf der Erde müssen brennen, damit neues Leben in ihnen entstehen kann. Auch der Mensch ist dafür gemacht, Krisen zu bewältigen, etwa den Tod der Eltern seelisch zu verkraften oder den Verlust des Arbeitsplatzes oder eben auch die Corona-Pandemie. Die Psyche ist widerstandsfähig. Wissenschaftlerinnen und Forscher bezeichnen diese Fähigkeit als Resilienz. Die meisten Menschen überstehen einen Schicksalsschlag, ohne dass sie etwa eine Angststörung entwickeln, depressiv werden oder suchtkrank. Aber Resilienz zeigt sich auch darin, dass man seelische Not rechtzeitig ernst nimmt, sich Unterstützung und Hilfe holt – und dadurch schneller wieder stabil oder gesund wird.
Wie die Natur das Feuer braucht der Mensch sogar Krisen. Wer im Laufe seines Lebens mehrere belastende Ereignisse erlebt, besitzt ein geringeres Risiko, psychisch krank zu werden, als jemand, der keine negativen Erfahrungen macht (Psychological Science: Seery et al., 2013).
Die Kurve verläuft allerdings U-förmig: Zu viele oder zu harte Schicksalsschläge machen einen psychisch anfälliger.
Die grundsätzlich gute Nachricht: Das Gehirn schützt uns in Krisenzeiten. Welche neurobiologischen Mechanismen dafür verantwortlich sind, wissen Forscher bisher noch nicht so genau. Doch welche psychologischen und sozialen Mechanismen uns widerstandsfähig machen, welche mentalen und emotionalen Resilienzfaktoren eine Rolle spielen, ist inzwischen gut untersucht. In den vergangenen 50 Jahren sind ganze Forschungszweige entstanden. Es gibt auch spezielle Zentren, die sich der Resilienz widmen.
Oliver Tüscher arbeitet im Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) in Mainz und weiss: »Viele Menschen kommen gut durch eine Krise, das hat auch Covid-19 gezeigt. Aber es gibt eben auch manche, denen es schwerer fällt.« Tüscher und seine Kollegen wollen vor allem herausfinden, wie man genau diese Gruppe unterstützen kann. Dachte man lange Zeit, dass eine widerstandsfähige Seele grösstenteils Glückssache sei, sind die Wissenschaftlerinnen heute überzeugt: Resilienz lässt sich bis zu einem gewissen Grad entwickeln und trainieren. Und zwar nicht nur als Kind, sondern auch in erwachsenem Alter.
Für manchen seelischen Lernprozess braucht der Mensch ein Gegenüber. Anderes kann man sich jedoch auch im Alleingang aneignen. So gibt es inzwischen zahlreiche Apps und Onlineprogramme, die dabei helfen sollen, resilienter zu werden. Das Mainzer LIR hat etwa speziell für die Corona-Zeit einen kostenlosen Kurs entwickelt und gibt auf seiner Website Tipps, wie man seine psychische Gesundheit in der Pandemie stärken kann.
(Quelle: Andrea Böhnke aus DIE ZEIT No.33 / 2020)

7 Faktoren, die die Resilienz fördern:

Welche Methoden besonders wirksam sind, ist Gegenstand umfangreicher Forschung. Befragungen und Studien, in denen die Teilnehmer sich selbst einschätzen, legen nahe, dass die folgenden sieben Faktoren die Resilienzfähigkeit am verlässlichsten fördern können.
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1. Das soziale Netz erweitern (oder verengen)
Sozial eingebunden zu sein gilt als einer der wichtigsten Resilienzfaktoren. Damit ist nicht nur gemeint, dass man einen Partner hat, eine Familie, auf die man sich verlassen kann, und Freunde. Es geht ebenso um die Beziehungen zu Kollegen, Mitgliedern des Sportvereins, Nachbarn. Wer herausfinden möchte, ob er privat und im Job gleichermassen gut aufgefangen wird, kann sein soziales Netz einmal spielerisch visualisieren. In der Resilienzambulanz des LIR kommt dafür die folgende Technik zum Einsatz: Man schreibt zunächst seinen Namen mittig auf ein grosses Blatt. Dann setzt man jeweils in eine der vier Ecken die Namen wichtiger Personen aus den Bereichen Beruf, Partnerschaft/Familie, Freunde, Nachbarschaft/Verein und zieht Kreise um jeden Namen – je wichtiger die Person, desto grösser der Kreis. Nun verbindet man den eigenen Kringel mit den Kringeln der anderen und zwar abgestimmt, nach der Qualität der Beziehung. Die Linien können etwa dick sein (viel Kontakt) oder dünn (wenig Kontakt), gerade (positive Beziehung) oder wellenförmig (schwierige Beziehung). Diese Methode macht Lücken oder Ungleichgewichte im sozialen Netz sichtbar: Zum Beispiel, dass man zwar einen verlässlichen Partner hat, aber keine vertrauenswürdige Bezugsperson im Büro. Oder dass man viele flüchtige Bekanntschaften pflegt, aber keine tiefergehende Beziehung. »Das sind Anzeichen dafür, dass man sein soziales Netz weiter weben sollte – oder auch enger knüpfen«, sagt Resilienzforscher Oliver Tüscher. Also etwa oberflächliche Kontakte reduzieren und sich auf die wesentlichen konzentrieren, die man als ausgewogen und unterstützend erlebt.
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2. Verzerrte Wahrnehmungen des Gehirns erkennen
Gemäss diversen Befragungen wurde eine Zunahme der psychischen Belastungen und Störungen durch die Corona-Pandemie beobachtet (Schweiz oder Deutsches Ärzteblatt). Um einen ersten Eindruck der aktuellen Verfassung der Menschen zu erhalten, hatten Forscher verschiedener renommierter Universitäten in Deutschland zusammen mit Kollegen aus ganz Europa 5.000 Menschen befragt. (PsyArXiv: Veer et al., 2020.
In einer ersten Auswertung der Ergebnisse kündigen die Forscher an, dass die Studie erstmals beweisen soll, dass Menschen seelisch widerstandsfähiger sind, wenn sie einer schlechten Erfahrung etwas Gutes abgewinnen können. Probanden etwa, die sich über den blauen Himmel in der Lockdownphase freuen konnten, oder darüber, auf dem Weg zur Arbeit nicht im Stau zu stehen und mehr Zeit mit der Familie zu haben, erlebten die Pandemie als weniger belastend. Das Konzept der sogenannten positiven Neubewertung einer zunächst schwierigen Situation, auf Englisch Positive Reappraisal, ist zwar schon länger bekannt. So weiss man etwa aus der Stressforschung, dass man Belastungen besser bewältigt, wenn man sich nach dem ersten Gefühl der Überforderung darauf besinnt, welche Stärken, Ressourcen und Möglichkeiten man vielleicht doch hat, um die Schwierigkeiten in Einzelschritten anzugehen. Die Resilienzforscher haben bislang nur vermutet, dass diese Erweiterung des Blickwinkels auch resilienter machen könnte.
Eine wirksame Methode, das meinen verschiedene Forscher (Explore: Garland et al., 2009; BMJ Open: Joyce et al., 2018), um die positive Neubewertung zu trainieren, ist die Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR). »Achtsamkeit kann ein Weg sein, um an sich negative emotionale Ereignisse in einem ersten Schritt neutral beziehungsweise nicht zu bewerten, um dann in der Lage zu sein, dieses Ereignis neu und gegebenenfalls positiver zu bewerten«, sagt Resilienzforscher Oliver Tüscher. Man lenkt hierbei seine Aufmerksamkeit wieder auf den aktuellen Moment – der meist weniger dramatisch ist als das Katastrophenszenario, das man sich im Kopfkino gerade ausmalt. Gedanken wie: Es wird alles ganz furchtbar werden und bergab gehen. Und zum anderen hilft Mindfulness, solche natürlichen Negativverzerrungen des Gehirns in Gefahrenlagen als solche wahrzunehmen – und sie besser loszulassen. Denn das Gehirn neigt bei Gefahr und unter Einfluss von Stresshormonen dazu, die Situation im Zweifel als bedrohlicher einzuschätzen, als sie ist. Dieser evolutionäre Schutzmechanismus führt dazu, dass sich der Blick aufs Überleben verengt – und man dabei vieles ausblendet. Mit Methoden wie dem MBSR lernt man, auch in sehr fordernden und belastenden Situationen noch das Positive im Leben mitzubekommen, also das, was einen seelisch nährt und einem Kraft gibt. Und das man sonst vor lauter Konzentration auf die Problembewältigung eher einfach übersehen hätte.
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3. Bereiche identifizieren, die sich kontrollieren lassen
Wer überzeugt ist, seine eigene Situation günstig beeinflussen zu können, ist resilienter. In der Psychologie wird diese Fähigkeit als Selbstwirksamkeitserwartung bezeichnet. Das zeigen verschiedene Studien (International Journal of Behavioral Medicine: Luszczynska, 2004; Behaviour Research and Therapy: Benight/Bandura, 2004; zusammenfassend: Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter: Bengel/Lyssenko, 2012).
Man sollte in einer schwierigen neuen Lage etwas suchen, das man kontrollieren kann.
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Doch es gibt freilich Situationen, die sich nicht oder nur schwer kontrollieren lassen. Sei es, weil einem gekündigt wird, weil sich der Partner trennt oder ein neues, gefährliches Virus um die Welt geht. Doch auch in diesen Situationen lässt sich eine gute Selbstwirksamkeitserwartung erleben. Erster Schritt: Zunächst einmal akzeptieren, dass eine Situation komplex ist. »Auch wenn man etwas gerade nicht komplett ändern kann, so kann man doch Bereiche identifizieren, in denen man selbst Herr oder Herrin der Lage ist«, sagt Resilienzforscher Tüscher. Alles, bei dem man das Gefühl hat, dass das, was man tut, zu einem Ergebnis führt. Ein Beispiel: Während des Corona-Lockdowns durfte man zwar nicht ins Fitnessstudio gehen, konnte aber Work-out zu Hause machen oder Sport im Freien. Man war Herr oder Herrin seiner körperlichen Aktivität.
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4. Nachrichtenpausen einlegen
Bildung und Wissen gelten allgemein zwar als Schutzfaktoren für die Gesundheit – auch die der Seele. DieDynaCORE-C-Studie weist jedoch darauf hin, dass Nachrichten in der Corona-Zeit für die Befragten einer der belastendsten Faktoren waren. Speziell in dieser Krise rät das Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz daher, bewusste Informationspausen einzulegen, also nicht süchtig von früh bis spät News aufzusaugen. Damit sich die erschütterte Seele auch mal ein paar Stunden erholen kann. Auch sei es ratsam, nur vertrauenswürdige, seriöse Quellen heranzuziehen, so die Resilienzexperten. Also nicht solche, die gezielt Ängste schürten, Verschwörungstheorien verbreiteten oder Misstrauen säten. Das schützt nicht nur vor gefährlichem Fehlverhalten in der Pandemie – sondern es schützt auch die eigene Psyche.
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5. Krisen als Trainingslager sehen
»Was mich nicht umbringt, macht mich stärker«, sagte einst der Philosoph Friedrich Nietzsche. Forscher wissen heute, dass manche Menschen tatsächlich gestärkt aus einer Krise hervorgehen. Sie sprechen auch von posttraumatischer Reifung, auf Englisch Posttraumatic Growth. Einige Menschen entwickeln durch einen Schicksalsschlag etwa neue Interessen, fühlen sich mit anderen verbundener und schätzen sich selbst und das Leben mehr wert (Resilienz und posttraumatische Reifung: Sprung et al., 2018). Das macht sie wiederum psychisch stärker in einer nächsten Krise. Was hinter dem Phänomen der posttraumatischen Reifung steht, weiss die Wissenschaft noch nicht genau, so ist etwa noch nicht abschliessend geklärt, ob die Betroffenen nur den Eindruck haben, innerlich gewachsen zu sein – oder ob sie es tatsächlich sind. Doch so oder so: Die Fähigkeit, mit einer schwierigen Situation fertig zu werden, kann man auch in der Situation lernen – und entwickelt dadurch womöglich seine Resilienz für die Zukunft weiter. Wissenschaftler nennen diese Krisenbewältigungskraft auch Coping-Fähigkeit.
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6. Realistisch optimistisch sein
Menschen mit einer realistisch-optimistischen Grundhaltung sind resilienter als andere. In Krisen wie der Corona-Pandemie ist es allerdings für viele eine Herausforderung, eine Balance zwischen den Extremen zu finden: der grossen Besorgtheit auf der einen Seite (»Wir werden vielleicht bald sterben«) und der Sorglosigkeit auf der anderen (»Die Gefahr ist vorüber«). Resilienzprogramme im Internet nutzen oft die Methode des expressiven Schreibens, um das realistisch-optimistische Denken zu schulen. Man schreibt sich hierbei sprichwörtlich alle Gedanken und Gefühle von der Seele. Verschiedene Studien belegen, dass die Technik wirkt (zusammenfassend: Verhaltenstherapie: Horn et al., 2004). In einigen Fällen konnten die Probanden durch das Schreiben etwa besser ihre Emotionen regulieren. Sie verwendeten in Gesprächen mit anderen auch mehr soziale und positive Wörter und konnten ihre Selbstwirksamkeitserwartung verbessern.
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7. Den Körper miteinbeziehen
Es klingt mitunter immer noch überraschend, aber die Seele lebt und wirkt eben nicht isoliert in uns: Wer seine Psyche in Krisenzeiten oder auch präventiv schützen will, sollte auf seinen Körper achten (Health and Quality of Life Outcomes: Liu et al., 2017; Biological Psychology: Haase et al., 2016). Das bedeutet: So gut es geht ausreichend schlafen, sich Zeit nehmen für regelmässige Mahlzeiten, sich bewegen und gerade in Stresszeiten eher wenig Alkohol trinken.
(Copyright bei DIE ZEIT No. 33 / 2020)
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Kostenlose Onlinetrainings zur Steigerung der Resilienz von div. Universitäten:
geton-training.de/

Resilienz in der Pandemie

Zunahme der psychischen Belastung in der Pandemiezeit

Achtung Verzerrung dieser Befragung:
In der Pandemie nahmen drei Tendenzen massiv zu:
Die Enttabuisierung der psychischen Erkrankungen vor allem durch die Social Media (deshalb ist auch die Zunahme bei Jugendlichen so viel stärker).
Dann befinden wir uns im Zeitalter der Psychologisierung (Stichwort „Worried Well“)
Und die Disease Mongering, also …

Resilienz bei Abtreibungen

Als 2022 der Oberste Gerichtshof der USA entschied, jahrzehntelang geltendes Abtreibungsrecht zu kippen (auch bekannt unter der Bezeichnung „Roe vs Wade“), bezog sich das Gericht unter anderem auf wissenschaftliche Studien, die nahelegten, dass Abtreibungen das Risiko für psychische Krisen dramatisch erhöhen. Das zeigt, wie wichtig wissenschaftliche Arbeiten für die juristische Beurteilung von politischen Anliegen sind. Doch was wäre, wenn die wissenschaftlichen Arbeiten fatale Fehler enthielten?

Genau das wirft nun eine Gruppe von Wissenschaftler:innen mehreren Studien vor, die auch bei der Entscheidung 2022 eine wichtige Rolle spielten. Der Fall ist ins Rollen geraten, nachdem vor Kurzem drei Studien zurückgezogen wurden, die sich mit der Sicherheit der sogenannten Abtreibungspille Mifepristone beschäftigten. Auch sie waren in Gerichtsverhandlungen zur Gesetzeslage herangezogen worden, damit sich die Richter ein Urteil bilden.

Weitere vier Studien sehen die Wissenschaftler:innen sehr kritisch und verlangen ebenfalls, dass die Magazine, in denen sie veröffentlicht wurden, die Arbeiten zurückziehen. Da in den USA inzwischen Verhandlungen über Abtreibungen an der Tagesordnung sind, hält es die Kritiker-Gruppe für sehr wichtig, dass die Grundlage, auf der die Urteile beruhen, nicht durch Junk-Science beeinflusst wird, also durch Publikationsmüll.

Genau das seien die Studien, die herausgefunden haben wollen, dass Abtreibungen zu einem höheren Risiko für psychische Krisen führen. Denn sie hätten ernste methodische Fehler. Das sehen Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen so, darunter auch Expert:innen in biomedizinischer Statistik. Die Methoden, die in diesen Studien benutzt wurden, sind ihrer Ansicht nach nicht dazu geeignet, zu Aussagen dieser Art zu kommen.

Stattdessen sei es wissenschaftlicher Konsens, dass die psychische Gesundheit nach einer Abtreibung vor allem dadurch bestimmt ist, wie sie vor der Abtreibung war. Ausserdem seien Frauen, die ungewollt schwanger werden, immer psychisch belastet – egal ob sie abtreiben oder das Kind bekommen. Und: Frauen, die nicht abtreiben dürften, litten sowohl psychisch als auch finanziell.

(…)

In der Wissenschaft gibt es eigentlich etablierte Mechanismen, die dafür sorgen, dass Publikationsmüll entsorgt wird. Doch dieses Beispiel zeigt, dass diese Mechanismen nicht mehr greifen, wenn politische Interessen mit unlauteren Methoden durchgesetzt werden sollen. Dabei spielt auch das unsägliche Geschäftsmodell der Wissenschaftsmagazine eine bedeutende Rolle. Ein Experte schätzt, dass eigentlich eine von 50 Studien zurückgezogen werden müsste und nicht eine von 500, wie es derzeit der Fall ist.
(Quellen: Silke Jäger in forum.eu, 29.04.24 & theguardian.com/world/2024/apr/28/junk-science-papers-abortion-cases)

Lesen Sie dazu auch die verwandte Seite über die Krebsheilung! und die Verwandtschaft zum Kohärenzgefühl von Antonovsky !

…und mein Blogbeitrag über „Burnout“: walserblog.ch/2017/11/06/burnout/

Über die existentiellen „letzten Fragen“ im Leben, z.B. die allgegenwärtige Angst vor dem Tode!

Veröffentlicht am 13. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
16. Mai 2024

Salutogenese

From cure to care – von der Pathogenese zur Salutogenese und zur Selbstheilung

„From cure to care“: Der Aufruf der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer neuen Sichtweise in der Medizin, weist in eindrücklich klarer Form auf den Kernunterschied zwischen „Krankheits-“ und „Gesundheitsmedizin“ hin: Die Erstere hat sich darauf spezialisiert, Krankheiten zu kurieren – sie versteht unter Gesundheit das Nichtvorhandensein von Krankheit – während die Andere sich um die Gesundheit sorgt – sie versteht unter Gesundheit das Vorhandensein von Lebensqualitäten (siehe hierzu mehr hier: www.dr-walser.ch/gesund/).

Ich mache auch nicht mehr die spaltende Unterscheidung von Schul- zur Alternativmedizin, sondern nur noch von salutogenetisch ausgerichteter Medizin und Ärzt*innen und pathogenetisch. Beide Arten Gesundheitsverständnis findet man sowohl in der Schul-, wie auch in der Komplementärmedizin („Gurumedizin„!).

 Ist Heilung möglich? Nein! Nur Selbstheilung!

Gesundheit „gelingt“ statt dass sie „gemacht“ wird.
Welches sind die Bedingungen, damit es gelingt?

  • Der Mensch will, dass er gesund wird (er vertraut sich)!
  • Der Arzt/Therapeut vertraut darauf, dass der Mensch im Grunde gut ist!
  • Der Kranke kann dem „Heiler“ vertrauen.
    Und dieses Vertrauen hat eng zu tun mit den drei Faktoren der salutogenetischen Grundhaltung (dem sogenannten Kohärenzgefühl):
  • 1.) Er versucht seinen Prozess verstehen zu können.
  • 2.) Er hat das Bewusstsein, dass er beim Heilungsprozess mitbeteiligt ist.
  • 3.) Er hat dabei auch das Gefühl, dass all dies einen Sinn hat.
Je mehr Vertrauen in sich, in Arzt/Therapeuten und umgekehrt >>> je weniger Angst! Je mehr Kohärenz (Stimmigkeit und Zuversicht) in unserem Hirn, je weniger Inkohärenz (Chaos, Unsicherheit, Unstimmigkeit) >>> je weniger Angst!

Vom „Warum?“ zum „Wozu ist es gut?“.

Seit Beginn meiner Praxistätigkeit habe ich vermieden, zu Beginn eines Gesprächs “Was fehlt Ihnen?” zu sagen. Auch «Warum?» tritt immer mehr in den Hintergrund. Bereits im Verlauf des ersten Kontakts wird dagegen wichtig, die Frage aufzuwerfen “Wozu ist es gut?!”
(Lesen Sie dazu auch meine Seite über Genuss und Schuldgefühle in der Medizin: www.dr-walser.ch/genuss/).

Die Hausarztarbeit beginnt bereits vor der Sprechstunde. Wenn ich in meiner Arbeit salutogenetisch wirken will, ist es sehr förderlich, wenn ich als Arzt/Therapeut grundsätzlich Vertrauen in meinen Mitmenschen habe und er „im Grunde gut“ ist (Lies das mutmachende Buch von Rutger Bregman). Ich selbst sollte wissen und spüren, welches meine eigenen gesundmachenden Ressourcen sind. Ich weiss, was mir Freude macht  und für was ich mich begeistern kann. Nur wer selbst vertraut, gesund lebt und sich zu pflegen weiss, kann diese „Gesamthaltung“ auch weitergeben.

Aus der Hirnforschung wissen wir wiederum, dass nur ein Arzt, der mit Begeisterung und Freude seine Patienten einlädt und ermutigt, ja inspiriert, eine neue Haltung einzunehmen, überhaupt Veränderungen erreichen kann. Das Hirn des Patienten wird sich nur durch Freude oder Begeisterung verändern: The brain runs on fun!

Fragen Sie sich also, was Sie von einem Arzt erwarten, der Ihre gesunden Ressourcen ansprechen soll und nicht nur Ihre kranken Seiten?! Ist er auf Ihren Schmerz fixiert? Dazu den Witz:
Patient: „Überall wo ich meinen Finger hinhalte, tut’s mir weh. Was habe ich, Herr Doktor?!“
„Sie haben ihren Finger gebrochen!“.
(Mehr zum Lachen: www.dr-walser.ch/witz/!)

Fragen Sie sich auch, ob Ihre Hausärzt*in/Therapeut*in Sie als einzigartige Persönlichkeit sieht? Pflegt sie die Beziehung zu Ihnen? Pflegt sie ebenfalls die Beziehung zu anderen Ärzt*innen (besucht sie Balintgruppen, Ärzte-Qualitätszirkel, etc.)? Wie gesund wirkt sie eigentlich selbst?! Ist sie begeistert von ihrem Beruf?! Und kann sie die Dinge mit Begeisterung rüberbringen?! Sieht sie mich als Mensch und „ganz“, d.h. auch als Teil meiner Nächsten, meiner Familie, in meinem Beruf…? Interessiert sie sich auch für meine Bewegung, für meine Ernährung, meine Liebe, wie ich mich pflege? Interessiert sie sich auch für meine Ängste, vor allem meine existentiellen Ängste (vor Tod, vor Einsamkeit, vor der Sinnlosigkeit der Krankheit, des Lebens,…)?  Bezieht sie mein Umfeld mit ein? Schickt sie mich nur zu weiteren Profis des Gesundheitswesens, wie z.B. Physiotherapeut*innen oder rät sie mir, mich auch durch eine Freund*in massieren zu lassen? Braucht sie auch selbst ihre Ressourcen, z.B. berührt sie mich auch mit den Händen oder spricht sie nur? Überweist sie mich in eine Kuranstalt (unter lauter Kranken) oder rät sie mir, sich einige Tage in meinem Lieblingsgasthof in den Bergen (unter Gesunden) zu erholen? Glaubt sie an meine Heilung (oder besser: Selbstheilung)?!

Positiv-realistische Weltsicht der Salutogenese

Man kann die positiv-realistische Einstellung der Salutogenese am besten mit zwei einfachen Handlungsmaximen beschreiben:

  • Rechne mit dem Schlimmsten, aber hoffe auf das Beste! Viele Menschen belasten sich mit Negativszenarien, die selbst dann, wenn sie nicht eintreffen, erheblichen Stress verursachen (etwa, wenn man bei jedem Wehwehchen eine tödliche Krebserkrankung befürchtet). Besser ist es, wenn du in jeder Situation zunächst einmal ein positives Ergebnis erwartest, da dies nicht nur mit angenehmeren Gefühlen verbunden ist, sondern dich auch stärker motiviert, deine Ziele zu erreichen.
  • Sei aber gefasst, wenn das Ergebnis negativ ausfallen sollte und dir ein schwerwiegendes Übel widerfährt. Denn auch dann solltest du versuchen, das Beste aus deiner Lage zu machen: Entweder indem du daran arbeitest, das Übel zu überwinden, oder indem du lernst, es besser zu ertragen. Hierauf bezieht sich auch die zweite Maxime:
    Ertrage, was du nicht verändern kannst, aber verändere, was du nicht ertragen musst
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Anders ausgedrückt:

  • Geh im Zweifelsfall vom Guten aus!
    In den meisten Fällen wird man dann bestätigt werden, weil die meisten Menschen im Grunde gut sind (Lies Rutger Bregman „im Grunde gut“!).
  • Versuche, den anderen zu verstehen, auch wenn du keine Zustimmung aufbringen kannst!
    Beispiele: Norwegisches Gefängniswesen, Nelson Mandela… (auch dies ist wunderbar klar in Rutger Bergmans Buch „im Grunde gut“ beschrieben)

ICE = Ideas, Concerns, Expectations!

Eine wunderbare Art, die Welt eines Menschen verstehen zu lernen (für Ärzt*innen oder Therapeut*innen), der dich aufsucht und dir seine „Symptome“ schildert, ist das Erfragen seiner eigenen IDEEN über all die Dinge, die ihm widerfahren.
Dies kann auch die „Patient*in“ mit sich selbst tun.
Darin äussern sich dann auch seine/Ihre BEDENKEN und auch die ERWARTUNGEN, die er/sie an die Medizin im Allgemeinen und auch an mich als Arzt hat.
Dieses Interesse an der Erschaffung seiner Welt (was jeder Mensch zu jeder Minute auf seine ureigene Art tut – und auch in Liebesbeziehungen zu soviel Missverständnisse führt!) – dieses Interesse lässt mich noch nach Jahrzehnten als Arzt begeistert arbeiten!

Es geht also um Bewusstwerdung, dass wir unsere eigene Welt oder „Wahrheit“ bauen. Niemand kann dich wütend machen – ausser du selbst! Dieser Wahrheitsgehalt wird deutlich, wenn man sich die unterschiedliche Reaktionen von Menschen auf Verkehrsstaus, schlechte Nachrichten oder persönliche Kritik vor Augen führt.

Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie (und auch ich) glauben, dass wir unsere Wirklichkeit verändern können, sobald wir Verantwortung für unsere Weltsicht und für das Leben, das wir uns schaffen, übernehmen („Wahrheit kann nur ertragen werden, wenn man sie selbst entdeckt!“).

Fritz Perls: „Beziehung ist Anerkennung von Unterschieden!“ – und dies gilt auch für die therapeutische!

Das Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky

Das Konzept der Salutogenese wurde vom israelisch-amerikanischen Soziologen Aaron Antonovsky (1923 – 1994) entwickelt. Seine beiden Hauptwerke dazu sind „Health, stress and coping: New perspectives on mental and physical well-being“ (1979) und „Unraveling the mystery of health. How people manage stress and stay well“ (1987).
Aus Kritik an dem vor allem biomedizinischen Krankheits- und Präventionsmodell gibt Antonovsky der Frage, warum Menschen gesund bleiben, den Vorrang vor der Frage nach den Ursachen von Krankheiten und Risikofaktoren. Primär geht es um die Bedingungen von Gesundheit und Faktoren, welche die Gesundheit schützen und erhalten.
In „Unraveling the mystery of health“ (deutsch: „Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit“, 1997) beschreibt Antonovsky das Konzept der Salutogenese – im Vergleich zur Schulmedizin – anhand der Metapher eines Flusses:
Die pathogenetische Herangehensweise (die sich ausschliesslich mit der Entstehung und Behandlung von Krankheiten beschäftigt) gleicht im Bild von Antonovsky dem Versuch, Menschen mit hohem Aufwand aus einem reissenden Fluss zu retten, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie sie da hineingeraten sind und warum sie nicht besser schwimmen können. Die Salutogenese hingegen sieht den Fluss als den Strom des Lebens: „Niemand geht sicher am Ufer entlang. Darüber hinaus ist für mich klar, dass ein Grossteil des Flusses sowohl im wörtlichen wie auch im herkömmlichen Sinn verschmutzt ist. Es gibt Gabelungen im Fluss, die zu leichten Strömungen oder in gefährliche Stromschnellen und Strudel führen. Meine Arbeit ist der Auseinandersetzung mit folgender Frage gewidmet: ‚Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer?'“

Diese Flussmetapher kann auf chronische Schmerzen, Tinnitus, etc. angewendet: Man darf sich dadurch nicht von den begleitenden Emotionen umhauen lassen, sondern kann lernen, auf ihnen zu surfen wie auf einer Welle. Manche Menschen zerbrechen daran. Du zerbrichst, wenn du nicht mehr weisst, wo oben und unten ist. Ich muss nach oben streben, zum Licht und zur Luft, um atmen zu können.
Woher weiss man, wo oben ist?
Loslassen. Den Kampf loslassen. Nicht kämpfen!
Sich wehren gegen das, was passiert ist, gegen das Schicksal ist unser erste Impuls. Wenn du aber kämpfst und deine Energie im Kampf verbrauchst, ist es kaum möglich, nicht zu ertrinken. Wenn du loslässt, treibt dein Körper an die Oberfläche. So sind wir Menschen geschaffen, in der physischen Welt, aber auch metaphorisch.

Gesundheits- und Krankheitskontinuum

Der üblichen (dichotomen) Trennung in gesund und krank (Gesundheit schliesst hierbei Krankheit aus – und umgekehrt.) stellt das Konzept der Salutogenese ein Kontinuum mit den Polen Gesundheit / körperliches Wohlbefinden und Krankheit / körperliches Missempfinden (health ease / disease continuum) gegenüber. Weder völlige Gesundheit noch völlige Krankheit sind für lebende Organismen wirklich zu erreichen. Jeder Mensch, auch wenn er sich (überwiegend) als gesund erlebt, hat auch kranke Anteile, und solange Menschen am Leben sind, sind auch noch Teile von ihnen gesund. Die Frage, so Antonovsky, ist also nicht, ob jemand gesund oder krank ist, sondern wie nahe bzw. wie entfernt er von den Endpunkten Gesundheit und Krankheit jeweils ist.

aus DIE ZEIT, No.51/2020

Kohärenzgefühl – Gefühl der Stimmigkeit und Zuversicht

Den zentralen Aspekt des salutogenetischen Modells bildet für ihn das Kohärenzgefühl (sense of coherence, SOC – Kohärenz bedeutet Zusammenhang, Stimmigkeit.). Ausgangspunkt für die Überlegungen Antonovskys ist die Annahme, dass der Gesundheits- bzw. Krankheitszustand eines Menschen (sieht man von Faktoren wie Krieg, Hunger oder schwierigen hygienischen Umständen ab) wesentlich durch eine individuelle, psychologische Einflussgrösse (oder vielleicht besser „Geisteshaltung“, resp. ein geistiges Konstrukt, welches seelischer Einflüsse unterliegt) bestimmt wird, nämlich durch die Grundhaltung des Individuums gegenüber der Welt und dem eigenen Leben. Von dieser Grundhaltung hängt es seinem Verständnis nach nämlich massgeblich ab, wie gut Menschen in der Lage sind, vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens zu nutzen. Je ausgeprägter das Kohärenzgefühl einer Person ist, desto gesünder ist sie bzw. desto schneller wird sie gesund und bleibt es. Eine erste Definition Antonovskys beschreibt das Kohärenzgefühl als „eine grundlegende Lebenseinstellung, die ausdrückt, in welchem Ausmass jemand ein alles durchdringendes, überdauerndes und zugleich dynamisches Gefühl der Zuversicht hat, dass seine innere und äussere Erfahrenswelt vorhersagbar ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die Angelegenheiten so gut entwickeln, wie man vernünftigerweise erwarten kann“ („Health, stress and coping: New perspectives on mental and physical well-being“ ,1979). Aus dieser Definition wird zugleich auch deutlich, dass diese Grundeinstellung zum Leben fortwährend mit neuen Lebenserfahrungen konfrontiert und von ihnen beeinflusst wird.

Einschub aus der Hirnphysiologie: Das Kohärenzgefühl ist eventuell eine gute Einfügung der Amygdala-Reize im Hippocampus, was unsere Ängste verbessert. Und die Inkohärenz (Chaos, Unstimmigkeit, Unsicherheit) in unserem Hirn erzeugt Angst.

Aus drei Faktoren – so Antonovsky – setzt sich die Grundhaltung, die Welt zusammenhängend und sinnvoll zu erleben, zusammen:

  1. Gefühl von Verstehbarkeit (sense of comprehensibility)
    Das Gefühl von Verstehbarkeit meint die Fähigkeit von Menschen bekannte und auch unbekannte Stimuli als geordnete, konsistente, strukturierte Informationen verarbeiten zu können.
  2. Gefühl von Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit (sense of manageability)
    Das Gefühl von Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit ist die Überzeugung eines Menschen, dass er geeignete Ressourcen zur Verfügung hat, um den Anforderungen zu begegnen – wozu auch der Glaube an die Hilfe anderer Menschen oder einer höheren Macht zählt.
  3. Gefühl von Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutsamkeit (sense of meaningfulness)
    Das Gefühl von Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutsamkeit ist das Ausmass, in dem man das Leben als emotional sinnvoll empfindet: Dass wenigstens einige der vom Leben gestellten Probleme und Anforderungen es wert sind, das man Energie in sie investiert, dass man sich für sie einsetzt und sich ihnen verpflichtet; dass sie eher willkommene Herausforderungen sind, als Lasten, die man gerne los wäre.
    Antonovsky sieht diese motivationale Komponente als den wichtigsten Aspekt des Kohärenzgefühls an, denn ohne das Erleben von Sinnhaftigkeit neigt der Mensch dazu, das Leben vor allem als Last zu empfinden und jede weitere sich stellende Aufgabe als Qual.

Antonovsky geht davon aus, dass das Leben immer stressvoll ist. Stress ist nicht zu vermeiden. Entscheidend aber ist, ob ich dem stressvollen Ereignis, etwa einer Prüfung, Sinn verleihen kann, ob mir klar ist, dass diese Prüfung notwendig ist (zum Beispiel, um mir bewusst zu machen, ob ich genügend Kompetenz besitze, um dann in einem bestimmten Bereich zu arbeiten), ob ich die Prüfungsfragen verstehe (Verstehbarkeit), ob ich mit der Prüfungssituation zurecht komme (pünktlich sein, nicht panisch sein, mir genügend Zeit für jede Frage nehme, usw.). Das wäre die Handhabbarkeit.

Ein stark ausgeprägtes Kohärenzgefühl führt dazu, dass ein Mensch flexibel auf Anforderungen reagieren kann. Es aktiviert die für diese spezifische Situation angemessenen Ressourcen und wirkt damit als flexibles Steuerungsprinzip, das den Einsatz verschiedener Verarbeitungsmuster (Copingstrategien) in Abhängigkeit von den Anforderungen anregt.

Vergleichen Sie auch dieses Kohärenzgefühl mit der „Resilienz„, die psychische und physische Stärke bezeichnet, die es Menschen ermöglicht, Lebenskrisen, wie schwere Krankheiten ohne langfristige Beeinträchtigungen zu meistern. Kurz: Gedeihen trotz widriger Umstände!
Auch mit dem psychologischen Begriff der „Selbstwirksamkeit“!

Entwicklung und Veränderung des Kohärenzgefühls

Das Kohärenzgefühl entwickelt sich im Laufe der Kindheit und Jugend und wird von den gesammelten Erfahrungen und Erlebnissen beeinflusst. Während sich das Kohärenzgefühl in der Adoleszenz noch umfassend verändern kann, ist es mit etwa dreissig Jahren, so Antonovsky, ausgebildet und relativ stabil. Im Erwachsenenalter ist es deshalb nur noch schwer veränderbar, und eine solche Veränderung erfordert eine harte und kontinuierliche (z.B. therapeutische) Arbeit.
Ob sich ein starkes oder ein schwaches Kohärenzgefühl herausbildet, hängt für Antonovsky vor allem von den gesellschaftlichen Gegebenheiten ab, d.h. insbesondere von der Verfügbarkeit generalisierter Widerstandsressourcen, die ein starkes Kohärenzgefühl entstehen lassen.

Ressourcen

Verena Steiner teilt in ihrem Buch „Energiekompetenz“ die Ressourcen des Menschen in drei Bereiche auf:

Ich-Bereich
physisch emotional mental
Atmung
Schlaf, Rhythmus
Gesundheit
Fitness
Ernährung
Sinne
Selbstachtung
Selbstvertrauen
Stimmung
Lebensfreude
Optimismus
Sozialkompetenz (mit Sich-Einfühlen-Können in andere und Beziehungsfähigkeit)
Wille
Selbstdisziplin
Konzentration
Realitätssinn
geistige Offenheit
fachliche Kompetenzen
Beziehungs-Bereich
zu Menschen zur Arbeit zu Dingen
Partnerschaft
Familie, Freundschaft
Gemeinschaft
Interesse
Commitment
Arbeitsfreude
Achtsamkeit
Ordnung, Ästhetik
Vollendung
Perspektiven und Lebenssinn
Ziele                                                                    Engagement für die Gesellschaft
Herausforderungen                                         Reflexion, Philosophie
Träume, Hoffnung                                            Religion, Spiritualität

Dauerstress schwächt Kohärenz und Lebensmut

Menschen, die ihr Leben als kohärent – also als sinnvoll, versteh- und bewältigbar – empfinden, sind vor Krankheiten besser geschützt. Allerdings hängt, das Kohärenzempfinden auch seinerseits von körperlichen Einflüssen ab: Gerät der Organismus dauerhaft aus dem Gleichgewicht, zum Beispiel durch permanenten Stress, so senkt dies auf längere Sicht das Kohärenzgefühl; die Betreffenden empfinden dann ihren Alltag zunehmend als sinnentleerte Zumutung.

Auf diesen Zusammenhang machte jetzt wieder ein schwedisches Forschungsteam aufmerksam (Psychosomatic Medicine, Bd. 68/5, 2006). Petra Lindfors und ihre Kollegen von der Uni Stockholm griffen auf medizinische Labordaten von 369 gesunden Frauen zurück, die im Alter von 43 Jahren einen ärztlichen Routinecheck absolviert hatten. Für jede Teilnehmerin wurde nun abgezählt, in wie vielen Kennwerten (etwa Blutdruck, Blutfette, maximale Pumpleistung des Herzens, Waist-Hip-Ratio) sie im riskanten oberen Viertel landeten. Die individuelle Summe dieser Risikowerte bildete ein Mass für die so genannte „allostatische Last“: das Ausmass der Abweichung vom physiologischen Gleichgewicht.

Sechs Jahre später wurden die Frauen nochmals kontaktiert und füllten einen Fragebogen zu ihrem Kohärenzempfinden aus. Sie wurden gefragt, inwieweit sie „die Dinge, die ihnen alltäglich widerfahren“ im Grossen und Ganzen verstehbar fänden, ob Probleme sie hoffnungslos stimmten oder eher zur Suche nach Lösungen anspornten und ob sie den Alltag als „eine Quelle persönlicher Befriedigung“ empfinden. Es stellte sich heraus: Je höher die „allostatische Last“ einer Teilnehmerin sechs Jahre zuvor ausgefallen war, desto schlechter stand es nunmehr um ihren Sinn für Kohärenz. (Übrigens: Auch Rauchen, geringe Bildung und ein Singleleben waren der Kohärenz abträglich.).

Die „allostatische Last“ ist ein Mass dafür, wie stark das Gleichgewicht des Körpers gestört ist – mutmasslich vor allem durch wiederholten und chronischen Stress. Stress ist eine natürliche Anpassungsreaktion des Körpers auf Anforderungen; er ist unschädlich, wenn der gestresste Organismus anschliessend ausreichend Zeit findet, sich wieder von dem Aufruhr zu erholen. Ist dies nicht gewährleistet, zum Beispiel weil der Stress über Tage und Wochen anhält, so findet der Körper nicht wieder vollständig zum Gleichgewicht zurück: Allostatische Last häuft sich an.

Dieses körperliche Ungleichgewicht wirkt sich offenbar auch seelisch aus und schmälert das Kohärenzempfinden und damit den Lebensmut – ein Teufelskreis, fürchten die schwedischen Untersucher: „Ein schwaches Kohärenzempfinden wird die Kapazität eines Menschen, seinen Alltag erfolgreich zu bewältigen, weiter reduzieren, was wiederum Spannung und Stress verstärkt, die körperlichen Ressourcen verschleisst und das Gesundheitsrisiko erhöht.“ Andererseits gilt wohl auch umgekehrt: Wer sein Leben als kohärent und sinnhaft empfindet, baut Stress rascher ab und schont seine körperlichen Ressourcen.

Dauerstress ist Atemlosigkeit, Spannung, Enge. Die neuen „Simultanten“ unserer Beschleunigungs-Gesellschaft („Zeit ist Geld!“) leben im Dauerstress von simultan, d.h. nebeneinander machen von e-mailen, simsen, essen, telefonieren, das Kind versorgen, sich fortbewegen…!

Stress ist übrigens auch „ansteckend“! Man sollte sich von gestressten Menschen fernhalten um selber zur Ruhe zu kommen.

Meditation greift hier ein und kann diesen Teufelskreislauf von Dauerstress durchbrechen.

Selbstwirksamkeit

Unter Selbstwirksamkeit (self-efficacy beliefs) versteht man in der Psychologie die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Geprägt wurde der Begriff von dem amerikanischen Psychologen Albert Bandura.
Albert Bandura erforschte in zahlreichen Experimenten und Studien seit den 1960er-Jahren, wie das menschliche Verhalten und Denken durch Lernen und selbstbezogene Überzeugung beeinflusst wird. Eine wesentliche Erkenntnis Banduras war, dass Menschen meistens nur dann eine Handlung beginnen, wenn sie davon überzeugt sind, dass sie diese Handlung auch tatsächlich erfolgreich ausführen können. Diese Überzeugung, eine Handlung erfolgreich ausführen zu können, bezeichnete Bandura als Selbstwirksamkeits-Überzeugung, wobei in vielen Fällen unerheblich ist, ob die Person tatsächlich zur Ausführung in der Lage ist oder nicht: Ohne Selbstwirksamkeits-Überzeugung werden Herausforderungen oft nicht angenommen.

Selbstwirksamkeit ist das zentrale Konstrukt in Banduras Social Cognitive Theory (SCT) und wird heute in vielen Bereichen angewendet:

  • Gesundheitsprävention: Mit Selbstwirksamkeit schaffen es Menschen eher, schädliche Verhaltensweisen zu ändern (Rauchen, Alkohol)
  • Therapie: Selbstwirksamkeit spielt eine Schlüsselrolle bei der Therapie von Phobien und Ängsten
  • Sport: Selbstwirksamkeit ermöglicht Sportlern ihre Leistung zu steigern und im Wettkampf abzurufen

Aufbau von Selbstwirksamkeit

Nach Bandura können Selbstwirksamkeits-Überzeugungen auf vier Wegen vermittelt werden:

  1.  Durch Erfolgserlebnisse:
    Erfolgserlebnisse führen auf natürliche Weise zu einer Stärkung von Selbstwirksamkeit. Auf der anderen Seite führen wiederholte Misserfolge – vor allem wenn die Ursachen dafür der eigenen Person zugeschrieben werden – zu einer Schwächung von Selbstwirksamkeit.
  2. Beobachten von erfolgreichen Modellpersonen:
    Wird der Erfolg anderer Personen beobachtet, die einem selbst wichtig oder ähnlich sind, so stärkt das ebenfalls die Selbstwirksamkeit. Weiter verstärkt werden kann dieser Effekt noch dadurch, dass die Modellpersonen öffentlich belohnt werden.
  3. Einfluss sozialer Gruppen:
    Soziale Gruppen haben oft einen negativen Einfluss auf die Selbstwirksamkeit. Hört man immer wieder von anderen Menschen, dass man ein Versager ist, werden Selbstwirksamkeits-Überzeugungen nachhaltig geschwächt.
  4. Interpretation von Emotionen und Empfindungen:
    Gerade unter Druck nehmen viele Menschen körperliche Empfindungen (feuchte Hände, Zittern, Herzrasen) als Zeichen für ein mögliches Scheitern wahr. Durch Übungen können Menschen lernen, diese Empfindungen neu zu interpretieren, z.B. als Zeichen freudiger Erregung. (Quelle: Bandura, Albert (1997). Self-efficacy: The exercise of control. New York: W. H. Freeman)

Regenerationsfähigkeit und Plastizität

Die Kraft unserer Ressourcen zeigt sich auch in der  unglaublichen Regenerationsfähigkeit des menschlichen Körpers:

Ein wunderbares Beispiel für diese enorme Plastizität und Regenerationsfähigkeit ist das vollständige Nachwachsen einer amputierten Fingerendkuppe (dies auch trotz freiliegendem Knochen!) unter einem sehr einfachen Folienverband – ohne Operation, ohne Antibiotika und selbst ohne Desinfektion! Wir sind hier wirklich der Eidechse mit ihrem nachwachsenden Schwanz sehr ähnlich.
(D.Hoigné, U.Hug: Amputationsverletzungen am Fingerendglied: Regeneration mittels Folienverband; Schweiz Med Forum 2014;14(18):356-360)

Parasympathikus

An anderem Ort habe ich Vergleiche von Kohärenzsteigerung durch Kräftigung des parasympathischen Teils des Vegetativen Nervensystems (orientalisch gesehen: Stärkung des Yin) angestellt: /parasympathikus/!

Rolfing

Rolfing, die strukturelle Körperarbeit, die ich auch ausübe, ist ein wunderbar salutogenetisches Konzept, eine Ressourcenarbeit im schönsten Sinne des Wortes, wo Symptome wie Schmerzen oder zum Beispiel eine Skoliose aus dem Fokus geraten und die freie, ökonomische Alltagsbewegung und -haltung wichtig werden – und erst sekundär und beiläufig dann vielleicht auch noch die obigen Symptome verschwinden.

Lesen Sie dazu noch mehr auf meiner Website:

Weiterführende Literatur:
Rutger Bregman, „Im Grunde gut“, rowohlt 2020

Ich habe hier einiges aus dieser Quelle zitiert:
Jürgen Bengel, Regine Strittmatter & Hildegard Willmann: „Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert“. Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung Band 6, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln 2001

Veröffentlicht am 27. Mai 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
17. Juni 2022