Kategorie: Allgemein

  • Guter „Sex“ – sinnlich und bewusst Paar sein – gute Beziehung

    Guter „Sex“ – sinnlich und bewusst Paar sein – gute Beziehung

    „Schöne Sexualität“ ist nicht abrufbar, sie muss erschaffen werden

    Sexualität ist Körperkunst.
    Die Sexualität ist gelernt.

    Die Schönheit der Sexualität liegt weniger in ihr selbst als in den Beteiligten. Sie wird daher immer wieder neu erschaffen und in die Sexualität hineingetragen. Wie schön Sexualität dann wird, hängt somit wesentlich davon ab, wer wir selbst sind und wie wir mit dem Leben umgehen. So erklärt sich, warum ältere Menschen davon ausgehen, dass sie im jetzt „weitaus besser im Bett“ sind als früher. Sie können sich ihrem Gegenüber leichter zu erkennen geben und müssen sich und dem anderen nicht mehr so viel vormachen. So fühlt sich ein reifer Mann durch eine selbstbewusst auftretende Frau nicht bedroht. Er kann sich von dieser auch auffangen und stützen lassen. Eine reife Frau kann initiativ werden und muss sich für ihre erotischen Wünsche nicht mehr rechtfertigen.

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    Beziehung ist Anerkennung von Unterschieden (Fritz Perls)

    Sie können dies in Form eines „Zwiegesprächs“ tun: regelmässige Gespräche mit Ihrem Partner, deren Zeitpunkt im Voraus vereinbart wurden. Jeder hat 15 bis 20 Minuten Zeit um über alles zu sprechen, was ihm in den Sinn kommt. Er wird dabei nie unterbrochen. Er kann zuerst über sich sprechen, dann, wie er den Partner erlebt – und dann auch über die Beziehung. Man ist völlig frei in Struktur und Inhalt. Nach 15 Minuten schweigender Pause hat der zweite 15 bis 20 Minuten Zeit. Es sollte auch nachher eine gewisse Zeit das Gesagte nicht kommentiert werden. Man benützt diese Zwiegespräche zur Differenzierung vom anderen, um seine Einzigartigkeit, die Unterschiede herauszuarbeiten.
    So verhindern Sie, dass sich Routine und Langweile einschleichen und eine scheinbare „Komfortzone“ breit macht, die durch ihr Festgefahren sein auf Dauer eher einschränkt als sexuell belebt. Und noch etwas: Wahre Intimität muss sich keineswegs immer nur wohlig anfühlen  – sie kann auch verunsichern!


    Exotic becomes erotic

    Lähmt eine zu grosse Gleichheit die Lust?
    Das ist ein Dauerthema, denn ein Paar braucht beides: Wert- und Weltvorstellungen sollten sich ähnlich sein, ebenso wie die soziale Herkunft. Letzteres ist politisch nicht korrekt, empirisch aber relativ gut nachgewiesen. Aber wenn sich zwei Partner zu ähnlich sind, wird es bald reizlos und Langeweile kommt auf. In der Paartherapie kommt es häufig auf die Frage an, wie ein Paar mit Unterschieden umgeht: Empfindet es sie als bedrohlich oder als belebend? Paare, die immer in der Wir-Logik denken, also „Wir fahren immer nach Italien in den Urlaub“ oder „Wir sind Vegetarier“, haben ein Problem. Die anderen, differenzierteren Paare ertragen Unterschiede nicht nur besser, sondern sie finden sie sogar interessant. Sie haben in aller Regel das lebendigere Leben und ihre Beziehung erweist sich auch als entwicklungsfähiger. Es braucht also ein Optimum an Unterschied. Zu wenig ist bedrohlich, zu viel aber auch.

    Intimität („Selbstenthüllung“): Mehr als nur den Körper zeigen

    Intimität wird nicht nur auf körperlichem Weg oder durch gegenseitiges Vertrauen, Akzeptanz, Empathie, Bestätigung und gegenseitige Enthüllungen möglich. Bewältigte Konflikte, Selbstbestätigung und einseitige Preisgabe tragen dazu mindestens ebenso effektiv bei. Man kann einen Menschen nur dann wirklich lieben, wenn man ihn auch richtig kennt.

    Sexualität als Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung

    Nutzen Sie auch die Sexualität dazu, sich in Ihren Persönlichkeiten weiter zu entwickeln und zu denjenigen zu werden, die sie sein wollen. Begrüssen Sie es nicht, wenn Sie glauben, dass der andere für sie vorhersagbar und vertraut geworden ist. Damit schwindet nämlich der Reiz des Neuen und beginnt der andere als interessantes Individuum zu verblassen. Begrüssen Sie lieber jeden neu erkannten Unterschied zu Ihnen als Ausdruck von Besonderheit. Jede festgestellte Eigenartigkeit bewahrt sie über kurz oder lang zugleich vor Enttäuschungen, die immer dann entstehen, wenn Sie von sich selbst auf den anderen rückschliessen.
    Und bedenken Sie: 1. Kaum jemand ist schon zu Beginn einer bestimmten Paarbeziehung für diese „beziehungsfähig“. Dies wird man meist erst durch die jeweilige Beziehung selbst. 2. Wir suchen uns keinen Menschen aus, der perfekt zu uns passt, denn auch wir selbst sind nicht perfekt.

    Selbstwert nicht vom Partner abhängig machen

    Verzichten Sie darauf, sich den anderen „zurechtzuschmieden“, indem er irgendetwas tun, einsehen oder zugeben soll. Sie benutzen ihn sonst nur als „Aussenstation“ für die eigene Person, die Gutes für Sie tun und Mängel beheben soll. Konzentrieren Sie sich lieber auf sich selbst und geben Sie sich selbst das, was Sie vom anderen sehnlichst erwarten (Selbstbestätigung bzw. Selbstregulation anstelle von Fremdbestätigung bzw. Fremdregulation). Öffnen Sie sich Ihrem Partner, ohne von ihm zu erwarten, dass er Gleiches tut oder Ihre Äusserungen akzeptiert. Machen Sie auch ihr sexuelles Selbstwertgefühl nicht vom anderen und dessen Reaktion abhängig. Indem Sie sich dem anderen zeigen, wie Sie sind, geben Sie sich bereits selbst die Bestätigung, so auch sein zu dürfen! Permanente Auseinandersetzungen darüber, wie etwas wirklich war, sind ein verlässlicher Gradmesser dafür, wie abhängig man von der Bestätigung durch andere ist. Auch Ängste (Defizite in der Selbstregulation) sind ein wichtiger Hinweis auf eine noch unzureichende Differenzierung. Und nicht zu vergessen: Wer sich von der Meinung anderer abhängig macht, wird dadurch manipulierbar!

    Leidenschaftsparadox

    In der Liebe ist derjenige stärker, der weniger will. Das Leidenschaftsparadox wurde vom amerikanischen Paartherapeut Delis so umschrieben: Ein Partner investiert emotional mehr in die Beziehung als der andere. Je mehr der Liebende vom anderen will, desto weniger gibt der zurück. Der eine fühlt sich zurückgestossen, der andere fühlt sich bedrängt. Der Liebende fragt nach Liebesgeständnissen, fordert Liebesbeweise, klagt Zuwendung ein, ist eifersüchtig. Dieser Versuch wird zum Problem, für dessen Lösung er gehalten wird. Aus Sicht des Werbenden ist sein Verhalten kein Kontrollversuch. Und doch mündet sein Verhalten in den unglücklichen Versuch, den anderen zu einem Liebesbekenntnis zu drängen, ohne ihn zu drängen. Und je drängender der Wunsch gezeigt wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass er nicht erfüllt wird.

    Es gilt auch: Der Langsamste bestimmt das Tempo (auch in der Paartherapie) – der Schnellste wird genervt…

    In Partnerschaften gilt also grundsätzlich „wer weniger will, ist mächtiger“. Und wer Bedürftigkeit zeigt, wirkt unattraktiv (ausser auf Sadisten). Der Satz „Ich brauche dich“ ist nur am Anfang der Beziehung attraktiv. Denn wer sich auf eigene Ressourcen und ein gutes Selbstwertgefühl stützen kann, ist attraktiv. Klammern dagegen führt zur Distanzierung. Und Reisende kann man nicht aufhalten. Wenn im Verlauf einer ambivalenten Bindung zunehmen, ist der Partner meistens nicht mehr aufzuhalten. Wer gehen will, wird gehen. Früher oder später. (Weiterlesen über Fremdgehen)

    Berührungsarmut oder „Touch Isolation“ der Männer

    Ein Mann, der eine Frau anfasst – was denken Sie bei diesem Bild? Viele denken sich gar nichts. Viele andere dürften ein mulmiges Gefühl haben, denn ein Mann, der eine Frau anfasst, da schwingt heutzutage auch oft die Frage mit: „Darf der das?“ Wir sind misstrauisch geworden und zwar leider oft gegen Männer im Generellen.
    Die Wurzeln des Misstrauens gehen tief, sie beginnen in der Kindheit und zwar mit sexistischen Männlichkeitsvorstellungen, die Eltern auf ihre Söhne projizieren. In einer altmodischen Weise denken wir immer noch, zu viele liebevolle Berührung mache unsere Söhne zu weich, zu weiblich.
    Eltern kuscheln ihre Söhne weniger als ihre Mädchen. Sie lesen ihnen weniger vor. Sie ermuntern sie häufiger, nicht zu weinen – kurz: Sie halten sie emotional häufiger an der kurzen Leine. Mit der Folge, dass Jungs Berührungen bald nur noch in zwei Arten kennen: Schulhofprügeleien und Teamsport. Und später dann: Dating und Sex.
    Diese Einschränkung packt eine grosse emotionale Last auf die Schultern der Mädchen: Sie sind nun der manchmal einzige Ausweg, den Jungs aus einer „Touch Isolation“ finden. Diese beschreibt den Zustand, der Männern kaum Möglichkeiten alltäglicher Berührungen einräumt: „Berührungsarmut“ ist die Folge. Alles konzentriert sich nun auf die Paarbeziehung, was auch mal zu Potenzproblemen führen kann.

    „Young men starving for touch seek it in the sexual realm, often exclusively from their partners. This makes frequency of sex a challenging issue for couples.“ (Mark Greene: https://goodmenproject.com/featured-content/why-men-keep-demanding-megasahd/)

    Einer der Gründe, warum Männer häufiger Sex wollen, als Frauen? – Eine interessante Sicht. Bislang musste immer das Testosteron als Erklärung herhalten – war einfacher.

    Auch in der „Verschmelzung“ bei sich bleiben

    „Sexuelle Verschmelzung“ kann sehr erregend sein, geht auf Dauer aber mit der Gefahr einher, dass sich die Beteiligten nicht mehr als Individuen erleben. Der andere dient dann immer mehr nur als Ersatzteil (bzw. wie eine Transfusion) zur eigenen Vervollkommnung. Er oder sie wird nicht mehr als Person mit eigenen Wünschen und Rechten erkannt und darf sich dann kaum noch verändern, weil von seinem Verhalten das eigene Selbstgefühl abhängt. Hinzu kommt die Gefahr, dass beide Partner sich auf ein Minimalprogramm von Erlebnis- und Verhaltensweisen einigen, um die Verschmelzungsmöglichkeit nicht zu gefährden. Keiner traut sich dann mehr, Wünsche zu äussern, bei denen er nicht von vornherein sicher sein kann, dass sie der andere nicht zurückweist. Auf Dauer kann sich so eine „tyrannische Harmonie“ einstellen, deren Langweile erdrückt. Entwickeln Sie daher die Fähigkeit, auch im engen emotionalen und körperlichen Kontakt dem anderen nahe zu sein und doch zugleich auch an sich selbst festzuhalten, also Ihr Selbstgefühl zu wahren. Üben Sie, Ihre Wünsche nach Bindung und Autonomie immer wieder neu auszubalancieren. Bleiben Sie nicht nur dem anderen, sondern auch sich selbst treu! Die Alternative „Halte an dir oder mir fest“ ist alles andere als zwingend. Es ist möglich, dem anderen sehr verbunden zu sein und doch gleichzeitig man selbst zu bleiben. Es ist eine Illusion anzunehmen, in einer glücklichen Beziehung müsse alles synchron (wie beim Eiskunstlauf) vonstatten gehen. Bei einer „emotionalen Verschmelzung“ laufen die Beteiligten Gefahr, sich gegenseitig Funktionen zu übertragen, um so ihr eigenes Selbst aufblähen zu können. In einem solchen Fall werden Sie dann vom anderen nicht „begehrt“, sondern schlicht „gebraucht“. Im Gegensatz zu einer immer sinnvollen wechselseitigen Unterstützung wird bei einer „Funktionsübertragung“ an den anderen (z. B. Selbstwertstützung) das Funktionsniveau des einen Partners herab- und das des anderen heraufgesetzt. Dominanz, Einschüchterung, beschwichtigende Unterordnung und emotionaler Rückzug sind häufige Begleiterscheinungen. Eine stabile und differenzierte Persönlichkeit braucht dagegen nicht zu befürchten, sich in einer Beziehung „aufzulösen“ oder „verschlungen“ zu werden. Ausserdem erträgt sie es, alleine zu leben. Auch in einer Partnerschaft hat „differenziert“ (= unterschieden sein, man selbst bleiben) nichts mit „ichbezogenem Streben“, reinem „Individualismus“ oder „Egoismus“ zu tun. Ein solches Verhalten beschreibt die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Individualität und das Bedürfnis nach Miteinander in ein Gleichgewicht zu bringen und die eigene Identität zu bewahren. Differenzierte Menschen sind selbstbestimmt und brauchen daher nicht auf Unabhängigkeit zu pochen. Also scheuen Sie sich nicht, sicht- und spürbar Positionen zu beziehen, die Sie als Person erscheinen lassen. Dann werden Sie von Ihrem Partner auch „erkannt“.

    Meditation schlägt Orgasmus

    Der Orgasmus ist wohl in unserer Kultur so wichtig weil es eine der seltenen Möglichkeitien ist, wenige Sekunden unseren Kopf loszulassen. In der Mediation erreichen wir dasselbe über viel längere Zeit. Lose your head and come to your sense!

    Auch in Dauerbeziehungen überraschen und Neues entdecken

    Zuerst mal staunen Sie mit etwas Distanz auf die Täuschung des „Modell Monogamie“, welches selbst leidenschaftlichen (Ehe-)Sex noch nach Jahren verspricht. Die Ent-Täuschung:  Es verhindert (meist) mit den Jahren jegliche Leidenschaft. Ehesex hat aber meist eine andere, genau so bedeutende Rolle: Es dient der Bewahrung des Guten und Bewährten und ist ein „Kontinuitätsritual“ – man/frau feiert damit seine (langjährige) Paarbeziehung.

    Und falls man/frau es trotzdem suchen will: Nicht Gewohnheit und eingefahrene Verhaltensweisen erwecken sexuelle Leidenschaft, sondern Überraschung und ungewohnte neue Reize. Ein bewährtes „Liebesmittel“ besteht für Paare darin, sich immer wieder neu zu entdecken (den anderen insbesondere auch sexuell zu erkunden). Dazu können beide Partner ihren Beitrag leisten, indem sie immer mehr von sich selbst zeigen (d. h. von ihrem Denken, Fühlen und Verhalten) und andererseits beim Partner nach unbekannten Seiten forschen. Nur so kann letztlich eine umfassende Intimität entstehen, bei der man sich eben nicht nur körperlich „entblösst“, sondern sich auch seelisch als der- oder diejenige zeigt, als der oder die man sich selbst fühlt oder verwirklichen will. Teilen Sie also Ihrem Partner möglichst Ihre momentanen Gedanken und Gefühle mit, insbesondere auch ihre Wünsche und Fantasien an das sexuelle Miteinander. Gehen Sie Konflikten nicht aus dem Weg und benennen Sie mögliche Defizite und Enttäuschungen, aber bitte in einer Form, die den anderen wertschätzt.
    Lesen Sie dazu auch meinen Blogbeitrag übers Lebendigsein.

    Kein Sex

    Auch die Sexualpädagogin und Forscherin Emily Nagoski widersetzt sich der Vorstellung, dass regelmässiger Sex ein Hauptbestandteil jeder festen Beziehung sein sollte. Nagoski – die offen über ihre eigene Auszeit vom Sex in der Ehe spricht – befürwortet weder obligatorischen Sex, noch ermutigt sie dazu, sexuelle Standards in Bezug auf Regelmässigkeit oder Sexverhalten anzustreben. In Anlehnung an die Arbeit der kanadischen Sexologin Peggy Kleinplatz ist Nagoski der Ansicht, dass wenig Verlangen manchmal ein Beweis für gutes Urteilsvermögen sein kann. „Es ist nicht dysfunktional, wenn man keinen Sex will, den man nicht mag“, sagt Nagoski.

    Während die einen polyamore und offene Beziehungen ausprobieren, wehren sich andere gegen den Druck, überhaupt Sex zu haben. In den USA haben die Menschen insgesamt weniger Sex als früher – unabhängig von Rasse, Geschlecht, Region, Bildungsniveau und beruflichem Status.
    (www.nytimes.com/2024/04/17/magazine/sexless-marriage.html)

    „Die meisten von uns sind zu sehr auf die Libido fixiert oder darauf, Sex haben zu wollen, was eine Menge unnötigen Stress und Unsicherheit verursacht. Begehren ist der Hauptgrund, warum Menschen aller Geschlechterkombinationen eine Sexualtherapie aufsuchen“.
    „Sogar ich muss daran erinnert werden, dass es nicht um Verlangen geht. Es geht um Genuss.“
    Nagoskis Ansatz betont, dass es beim Sex mehr darauf ankommt, wie sehr man das, was man hat, geniesst, als darauf, wie oft oder wie stark das Verlangen danach ist – eine Ansicht, die sie als essenziell, aber oft übersehen betrachtet. Und wie gross die Rolle ist, die Stress spielen kann.

    „Lust entsteht nur unter ganz bestimmten Umständen, und die postindustrielle Welt des 21. Jahrhunderts schafft diese Umstände nicht sehr oft. Wir sind alle überwältigt, erschöpft, gestresst. Da muss man sich natürlich anstrengen, um aus dem alltäglichen Gemütszustand in einen sexy Gemütszustand zu gelangen.“

    Sie glaubt, dass Frauen davon besonders stark betroffen sind.

    „Wenn Frauen mit Erregung und Lust zu kämpfen haben“, erklärt sie in „Come as You Are“, „liegt das nicht daran, dass das Gaspedal nicht stimuliert wird, sondern daran, dass die Bremsen zu stark betätigt werden.“

    Nagoski weiss, dass es leichter gesagt als getan ist, Paaren zu raten, „einfach gemeinsam Lust zu empfinden“. Für die meisten Menschen, auch für sie selbst, gibt es eine lange Liste von Dingen, die ihre Sexualität bremsen können. In den letzten Jahren hatte sie mit der Perimenopause, einer Rückenverletzung und dem langen Covid zu kämpfen, der schwere Gefässprobleme verursacht hat. Monatelang konnte Nagoski kaum zu ihrem Briefkasten gehen. Und sie befindet sich immer noch in der Heilungsphase. Trotz allem glaubt sie, dass der Sex mit ihrem Ehemann heute besser ist als je zuvor.
    (https://www.nytimes.com/2024/01/18/well/family/emily-nagoski-book-come-together.html)

    Zusammen feiern – und Streit nicht so wichtig nehmen

    Richtig streiten kann mit einer Spotmetapher erläutert werden:
    Im Fussballspiel, wie auch im Streit ist der Gegner kein Feind, den man venichten will. Gegner messen sich und geben sich zum Schluss die Hand und beglückwünschen sich zum Wachstum in der Beziehung.
    Im Streit geht es um „Differenzierung“: Seine Haltung von derjenigen des Partners zu differenzieren, damit man in seinem Unterschied gesehen und respektiert wird.

    Harmoniebedürftige Paare haben häufig Angst, die Beziehung halte einen Streit nicht aus.
    Es braucht viel Vertrauen, sich richtig zu streiten.

    „Paartherapie“ besteht seltsamerweise gewöhnlich darin, den Partnern beizubringen, wie man besser miteinander streitet. Dies kann eine unerträgliche Beziehung in eine kaum erträgliche Beziehung verwandeln. Das ist zumindest etwas. Man sollte jedoch mehr daran interessiert sein, wie man eine gute Beziehung in eine hervorragende Beziehung verwandeln kann. Shelly Gable, Psychologieprofessorin der University of California in Santa Barbara, hat demonstriert, dass die Art und Weise, wie man zusammen feiert, mehr über eine starke Beziehung aussagt, als die Art und Weise, auf die man streitet.

    Als Beispiel ist eine „aktive und konstruktive“ Reaktion auf eine Äusserung des Partners ein gutes Beispiel. Ihr Partner berichtet von einer Gehaltserhöhung. Sie darauf: »Das ist fantastisch! Ich bin so stolz auf dich. Ich weiss, wie wichtig dir die Beförderung war. Bitte erzähle mir ganz genau, wie das gelaufen ist. Wo warst du, als dein Chef dir das mitgeteilt hat? Was hat er gesagt? Wie hast du reagiert? Wir sollten ausgehen und das feiern.« Nonverbal bleiben Sie in Augenkontakt und bringen positives Gefühl durch ein echtes Lächeln, Berührung und Lachen zum Ausdruck.
    Dies ist aktiv und konstruktiv und fördert das Wohlbefinden innerhalb eines Paares.

    Weniger positiv wirkt ein „passiv und konstruktives“ Verhalten, wie: „Das sind gute Nachrichten.“

    Die (negative) Reaktion kann bis „passiv und destruktiv“ gehen. Man geht gar nicht auf die Stärke des Partners ein, geschweige den, feiert sie.

    John Gottman hat eine Statistik erstellt, indem er den Gesprächen von Ehepaaren ein ganzes Wochenende lang zugehört hat. Er unterschied die positiv-konstruktiven von negativ-destruktiven Aussagen. Eine Rate von 3:1 bedeutet bereits, dass man auf eine Scheidung zusteuert.
    Es bedarf schon einer Rate von 5:1, um eine starke und liebevolle Partnerschaft vorhersagen zu können – fünf positive Aussagen für jede kritische Bemerkung, die man seinem Partner gegenüber macht.
    Ein gewohnheitsmässiges Verhältnis von 1:3 bei einem Ehepaar ist eine totale Katastrophe.

    Das Danken nicht verlernen

    Zu den positiven Dingen gehört sicher das gegenseitige Danken. Hierzu eine wunderbare Übung: das Dankbarkeitstennis oder auch Dankbarkeitsdoppel. Es funktioniert folgendermassen:

    • Sie stellen einen Timer auf drei Minuten.
    • Sagen Sie nun Ihrem Gegenüber etwas, für das Sie ihm oder ihr dankbar sind.
    • Die Person antwortet mit etwas, für das sie dankbar ist.
    • Der Vorgang wird wiederholt, bis die drei Minuten um sind.

    Kleine Warnung: Egal, ob Sie das Spiel in der Familie, im Büro oder mit Freundinnen spielen werden, es ist hilfreich für jede Art von Beziehung. Wahr ist aber auch, dass Sie mit dem Vorschlag erst mal Skepsis ernten werden; Augenrollen, Arme-vor-der-Brust-Verschränken, lautes Aufstöhnen – die typischen Gesten der Geringschätzung halt. Fehlende Wertschätzung ist der deutlichste Indikator für Probleme in einer Beziehung. Das ist der Moment, in dem Sie auf die Drei-Minuten-Regel hinweisen. Sagen Sie: Es sind doch nur drei Minuten, lasst es uns ausprobieren. Und schauen Sie dann, was passiert.

    Der Appetit kommt beim Essen

    Warten Sie nicht bis alles genau „stimmt“ für Ihren Sex – sondern beginnen Sie sich auch mal ohne Lust zu streicheln und zu zärteln. Die Lust wird mit der Belebung des Körperlichen dann automatisch langsam steigen. Falls Sie immer warten, bis alle Randbedingungen stimmen, kann es Wochen vergehen – und dann ist meist auch die ganze Beziehung schon ziemlich im Eimer…

    Vorsicht vor Techniktipps

    Lösen Sie sich von der Erwartung, für jedes persönliche und damit auch sexuelle Problem gebe es eine bestimmte psychologische Technik, bei der es nur darauf ankommt, sie richtig anzuwenden. Solche Techniken gibt es nicht. Hüten Sie sich insbesondere vor einer technikfixierten Sexualität, bei der die Befolgung bestimmter Anweisungen „Erfüllung“ verspricht. Ein solches Vorgehen zieht oft die Aufmerksamkeit vom Partner ab, lenkt die Konzentration auf eigene Empfindungen und erzeugt regelrecht einen Orgasmuszwang. In einer solchen Situation ist es kein Wunder, wenn man auf den Partner kaum noch Lust verspürt, der Kontakt zum anderen verloren geht und die sexuelle „Begegnung“ ihren Reiz verliert. Das gilt insbesondere, wenn man auch noch dem Rat mancher Sexualtherapeuten folgt, sich in der Fantasie einen anderen Partner vorzustellen. Machen Sie sich bewusst, dass „sexuellen Problemen“ keineswegs nur körperliche Funktionsstörungen oder ein Libidomangel zugrunde liegen kann. Mindestens genau so bedeutsam sind Beziehungsprobleme, die sich eher selten durch Fertigkeiten und Techniken lösen lassen als vielmehr durch persönliche Reifungsschritte.

    Vorsicht vor Medikamenten, die das Sexualverhalten beeinflussen sollen

    Flibanserin ist ein Beispiel, das gut die Macht der Pharmaindustrie in diesem lukrativen Geschäft aufzeigt und wie damit das Verhalten der Konsumentinnen beeinflusst wird (hier aus dem Swiss Medical Forum 2016;16(36):732

    6 Sexkiller: Diese populären Medikamente stören Potenz und Orgasmus

    Es ist wichtig zu wissen, wie sich bestimmte verbreitete Medikamentenklassen auf die Sexualität auswirken können. Hier sind 6 Wirkstoffklassen, mit denen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Nebenwirkungen Schwierigkeiten haben können.

    1. Herz-Kreislauf: Antihypertensiva

    Wir gehen automatisch davon aus, dass einem Patienten mit kardiovaskulären Problemen seine Gesundheit wichtiger ist als seine Erektionsfähigkeit. In der realen Welt ist das jedoch nicht immer der Fall.
    Die Erektion ist eine vaskuläre Funktion. Daher führt alles, was die Blutzufuhr zum Penis beeinträchtigt, zu einer sogenannten erektilen Dysfunktion. Aus diesem Grund sind Antihypertensiva (z.B. Spironolacton oder alle Thiazide) berüchtigt, weil sie sich negativ auf die Erektionsfähigkeit auswirken.
    Da während der sexuellen Stimulation der Puls einer Person ansteigt, gehören Betablocker wie Metoprolol, die zu allem Überfluss eben diesen Anstieg der Herzfrequenz begrenzen sollen, mit Blick auf die Sexualität zu den schlimmsten Vertretern dieser Medikamentengruppe.

    2. Prostata: Alphablocker

    Ich verschreibe auch Alphablocker als First-Line-Therapie gegen die benigne Prostatahyperplasie. Sie sind billig, generisch und wirken wirklich gut. Leider können sie das Sexualleben eines Mannes in zweierlei Weise negativ beeinflussen.
    Erstens senken die Medikamente der 1. Generation (z.B. Terazosin und Prazosin) auch den Blutdruck und bringen daher das gleiche Problem wie alle Blutdrucksenker mit sich: Sie verringern den Blutfluss zum Penis und schwächen daher das Steifwerden.
    Die 2. Nebenwirkung, die auch bei den neueren Generationen von Alphablockern (z.B. Tamsulosin oder Silodosin) häufig gesehen wird, ist die retrograde Ejakulation. Seien wir ehrlich: Für manche Männer fühlt sich Sex ohne Ejakulation nicht „richtig“ an.
    Alphablocker entspannen die Muskeln im Blasenhals, sodass das Ejakulat in die Blase statt aus dem Penis gelangt. Diese Nebenwirkung ist sehr patienten- und medikamentenspezifisch, sodass ein Wechsel des Alphablockers das Problem nicht immer löst.

    3. Depressionen: SSRI

    Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind eine der zahlreichen Medikamentenklassen, die zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Vertreter wie Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin, Citalopram und Escitalopram haben alle eine sexuelle Nebenwirkung, die sowohl für Männer als auch für Frauen sehr beeinträchtigend sein kann. Sie verzögern nämlich die Ejakulation bzw. den Orgasmus.
    Diese Nebenwirkung ist so häufig, dass umgekehrt sogar niedrig dosiertes Paroxetin bei Männern gegen vorzeitige Ejakulation eingesetzt wird.

    4. Andere Antidepressiva

    Fast alle Antidepressiva können die Libido negativ beeinflussen, etwa trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin, Doxepin, Imipramin, Nortriptylin), Monoaminoxidase(MAO)-Hemmer (Phenelzin, Tranylcypromin) und antipsychotische Wirkstoffe (Thioridazin, Thiothixen, Haloperidol).
    Einige Antidepressiva, wie z.B. Citalopram (siehe oben unter Punkt 3), können die Spermienzahl dramatisch senken oder sogar eine Azoospermie verursachen.
    Ich möchte keinesfalls vorschlagen, Depressionen aufgrund dieser Nebenwirkungen nicht medikamentös zu behandeln. Doch sollten die Patienten über die Nebenwirkungen aufgeklärt werden, damit sie und ihre Angehörigen wissen, was sie zu erwarten haben.

    5: Krebs: Medikamente beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom

    Bis vor einigen Jahren noch beschränkten sich die therapeutischen Möglichkeiten bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Prostatakarzinom auf die chemische Kastration. Heute gibt es eine Reihe von guten Wirkstoffen, die sowohl das Überleben der Betroffenen verlängern als auch ihre Lebensqualität deutlich erhöhen.
    Leider spielt es keine Rolle, ob der Patient eine Hormontherapie der 1. Generation (Leuprolid) oder eines der Medikamente der neueren Generation (Darolutamid, Enzalutamid, Apalutamid oder Abirateron) erhält.
    Sie alle vermindern die Libido drastisch, indem sie den Testosteron-Spiegel senken. Da das zugrunde liegende Karzinom hormonsensitiv ist, gibt es keine geeignete Möglichkeit, den Serum-Testosteron-Spiegel zu erhöhen, ohne dabei das Risiko einzugehen, dass das Krebswachstum zunimmt.

    6. Potenz: PDE5-Hemmer (Phosphodiesterase-5-Hemmer)

    Ja, mir ist klar, dass PDE5-Hemmer (Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil und Avanafil) eingesetzt werden, um Männern zu Erektionen zu verhelfen. Daher mag es seltsam erscheinen, diese Mittel in eine Diskussion über Medikamente einzubeziehen, die das Sexualleben eines Patienten beeinträchtigen können.
    Aber diese Medikamente haben, wie alle wirksamen Medikamente auch Nebenwirkungen. Nach der Einnahme dieser Substanzen können sich Kopfschmerzen, eine verstopfte Nase, Gesichtsrötung und Sodbrennen einstellen und den Spass verderben.

    Stimulation durch Sinn und Bedeutung

    Die Fähigkeit, Sexualität Sinn und Bedeutung zu verleihen, hat das menschliche sexuelle Potenzial enorm erweitert. So erklärt sich, warum manche Menschen auch trotz geringer körperlicher Erregung zum Orgasmus kommen oder sogar ohne Orgasmus intensiven Sex erleben können. Dabei geht es meist weniger um exotische Liebesstellungen als vielmehr um inneres Wachstum. Dagegen können Bedeutungen, die man selbst bestimmten Vorgängen zuschreibt, oder ungünstige Vorstellungen, die man sich von anderen macht, Lust töten. Dazu kann es beispielsweise kommen, wenn man als „sexuell Nehmender“ Leistungsdruck oder Schuldgefühle verspürt. Auch Wut und Ärger können Lust rauben. Dagegen kann die Vorstellung, durch ein bestimmtes Verhalten Regeln zu verletzen, je nach Person lustfördernd oder lustdämpfend wirken. Das Erregungsniveau beeinflussen auch Vorstellungen davon, inwieweit der andere zu einem passt und ob das Ambiente oder die sonstigen Umstände als günstig oder störend erlebt werden. Angst kann in geringer Dosierung Erregung fördern und Langweile vermeiden, in zu grosser Dosis aber Lust verhindern. Schliesslich gehört ein gedankliches Hintergrundgeräusch, bei dem man das aktuelle Geschehen selbst pausenlos kommentiert, zu den gängigen Lusttötern. Da die Triebimpulse und Sinnesreize sexuelles Begehren mit zunehmendem Alter weniger stark stimulieren, die Erregungs- und Orgasmusschwelle also ansteigt, können hilfreiche (!) Gefühle und Gedanken umso bedeutsamer für die Lusterzeugung werden. Dabei kommt es dann darauf an, Erotik, Begehren, Leidenschaft, Liebe und emotionale Verbundenheit zu fördern (sich z.B. von emotionaler Verbundenheit in der Sexualität leiten zu lassen).

    Sich sexuell authentisch verhalten

    Verzichten Sie auf widersprüchliche Botschaften, bei denen Sie Ihrem Partner verbal versichern, alles sei so in Ordnung, während Sie nonverbal auf Veränderung drängen. Bemühen Sie sich auch in diesem Lebensbereich darum, sich echt („authentisch“) zu verhalten. Ihr Partner wird dies registrieren und Ihnen danken. Machen Sie sich bewusst, dass Sie vor allem etwas von sich selbst verraten (von Ihren Wünschen, Vermutungen, Werten usw.), wenn Sie das Verhalten Ihres Partners „deuten“. Kompromisse oder Zug-um-Zug-Vereinbarungen („Ich bediene stärker deine Vorlieben, dann bediene du auch stärker die meinen.“) bringen nicht immer das erwartete Ergebnis: Zwar kommt es zum vereinbarten Verhalten, aber das begleitende Desinteresse wird vom „Bedienten“, sobald er „an der Reihe ist“, als mangelndes Begehren gespürt. Ein solches Ergebnis bremst dann die Lust oft mehr, als dass es sie fördert. Und letztlich bekommt doch keiner das, was er vor allem wollte.

    Einstellungen und Verhalten ändern, nicht nur das Denken

    Erwarten Sie nicht, dass sich Ihre Sexualität allein durch „bemühtes“ Denken verändert. Ohne eine entsprechende Änderung Ihrer Einstellungen, wird sich wenig verändern. Denken Sie auch an die von einigen Paaren praktizierte Möglichkeit, Konflikte „im Bett auszuschlafen“. Unsere Geschlechtsorgane mögen zum Sex geeignet sein, zur Ausübung von Liebe sind Kopf und Herz oft viel begabter. Wenn die Geschlechtsorgane einmal ihren Dienst versagen, braucht die Liebe also nicht zu versiegen und können auch andere Wege gefunden werden, um Sexualität zu leben. Und bedenken Sie: Damit sich in einer Paarbeziehung nichts bewegt, bedarf es beider Partner. Wenn man eine Veränderung in Gang setzen will, reicht dagegen meist schon einer aus.

    Den Partner „bis zur Entspannung umarmen“

    Finden Sie einen neuen Zugang zueinander, indem Sie sich tagsüber nicht nur die gesellschaftlich üblichen und maximal 4 bis 5 Sekunden dauernden Umarmungen zugestehen. Wenn Sie sich Umarmungen gönnen, die so lange anhalten, bis die beiden Beteiligten sich entspannt fühlen, werden Sie merken, dass es dafür auf einen besonderen „Stand“ ankommt: Es gelingt fast nur, wenn jeder auf den eigenen Füssen steht, sich auf sich selbst konzentriert und sich selbst beruhigt. Bereits wenn einer sich auf den anderen stützt, rückt die Entspannung für beide schon in die Ferne. In der Art sich zu umarmen, spiegelt sich immer auch etwas die Art und Weise wider, wie man durchs Leben geht.

    Sich beim Vorspiel verständigen

    Machen Sie sich bewusst, dass die Art und Weise des sexuellen Vorspiels den Umgang eines Paares mit Intimität und die Machtverhältnisse in der Beziehung widerspiegelt. Haben Sie sich beispielsweise schon einmal gefragt, wer von Ihnen beiden darüber entscheidet, wann das Vorspiel beendet ist und der Hauptakt beginnt? Das Vorspiel ist in aller Regel ein Verständigungsprozess darüber (oft mit unbewusstem „Handeln und Feilschen“), auf welcher Ebene von Intimität, Erotik Bedeutungserleben und emotionaler Verbundenheit sich die sexuelle Begegnung im weiteren Verlauf entfalten soll. Das Vorspiel gibt insbesondere die emotionale Grundstimmung und die Bedeutungsebene vor. Manchmal ist das Vorspiel für den einen und der folgende Teil für den anderen Partner gedacht. Sexuelle Probleme lassen sich daher nicht selten, durch Veränderungen des Vorspiels verringern.

    Vorspiel und Orgasmus mit offenen Augen

    Offenbar schliesst die Mehrheit westlicher Menschen bei sexuellen Begegnungen die Augen. Wenn Sie zu diesem Personenkreis gehören, bieten sich Ihnen neue Erlebensmöglichkeiten, wenn Sie künftig die Augen auch beim Vorspiel öffnen und ihren Partner damit näher an sich heran bzw. in sich hineinblicken lassen. Sex mit offenen Augen (= einer offenen Seele) signalisiert Ihrem Partner, dass Sie ihn bei sich haben wollen. Möglicherweise werden Sie sich dann Ihrer eigenen Person besonders intensiv bewusst und entwickeln das Gefühl, dass Sie Ihrem Partner extrem nahe und völlig preisgegeben sind. Ausserdem werden Sie dann vermutlich auch den erwähnten „Verständigungsprozess“ besser registrieren und so Neues über Ihre Beziehung erfahren. Vielleicht merken Sie dann auch, dass Sie bislang beim Liebemachen weit weg voneinander waren und sich ganz auf ihre eigenen Sinnesempfindungen konzentriert haben, so dass sich zwar die Körper berührten, die Personen aber nicht wirklich begegneten. Jedenfalls gehören sexuelle Begegnungen mit Blickkontakt zu den Formen intensivster Intimität. Sex mit offenen Augen setzt voraus und fördert, dass man sich bedingungslos aufeinander einlässt und an den Erregungsmustern des anderen teilhat (so dass man auch von den eigenen Sinneserfahrungen nicht mehr abgelenkt wird). Anfänglich mag das Öffnen der Augen noch ein Akt der Tapferkeit sein, ein Akt der Selbstbejahung ist es immer. Wer dem Partner nicht ins Auge blicken will, sieht vielleicht auch bei anderen Dingen weg bzw. hat generell Angst, dem Leben ins Auge zu blicken.

    Den anderen wirklich berühren

    Manche Paare streicheln sich, ohne dabei den anderen wirklich zu spüren. Sie spüren zwar Haut, aber nicht den Partner. Von einer echten Kontaktaufnahme kann dann keine Rede sein. Wie steht es mit Ihnen? Berühren Sie den anderen auch in seinem Wesen und seinen Gefühlen? Manchmal hilft es, Bewegungen zu verlangsamen, um den Kontakt besser zu spüren. Wer beim gemeinsam Tanz Kontakt erlebt, kann diese Erfahrung auf die Sexualität übertragen.

    Kitzligkeit als Spiel und Hindernis für freie Sexualität >>>

    Monogamie –
    Loyalität und „wohlwollendes Wegsehen“ sind da wichtiger als sexuelle Treue

    „Modell Monogamie“: Das Modell, das verspricht, in einem monogamen Rahmen leidenschaftliche Gefühle zu ermöglichen, ist trügerisch.

    Ulrich Clement plädiert neben dem „wohlwollenden Wegsehen“ für eine starke Loyalität zum Partner, die sie durch allfällige Affären nicht infrage gestellt wird: Auch wenn du mal schlecht mit mir umgehst, auch wenn du mir dich zumutest – eine Verletzung ist kein Kündigungsgrund. Das Risiko ist allerdings, dass man vorher nicht weiss, ob dies auch klappen wird.
    Kontrolle und Sicherheit ist nicht möglich.

    Loyalität, wie Clement sie versteht und die Bindung und Freiheit gleichzeitig ermöglichen soll, wird zuerst gegeben. Erst geben und dann sehen, was passiert. Zu diesem Zweck plädiert Clement weiter dafür, Privatheit zu respektieren. Wer auf den Anspruch verzichte, alle Lebensbereiche des Partners zu kennen, wer zugestehe, dass die Partnerschaft nur ein Teil des Lebens ist, der könne Monogamie-Falle entkommen, die die Bindung zu einem Gefängnis mache. Diese Privatheit umfasse Teile des Lebens, die man für sich oder mit anderen lebe und die deshalb den anderen nur begrenzt etwas angehen würden. Aus diesem Grund müssten sie auch nicht durch betonte Geheimhaltung geschützt sein. Diese Haltung erfordere, dass man Unsicherheiten tolerieren könne, Bescheidenheit, Grosszügigkeit und Mut. Ob man das könne, zeige sich ähnlich wie beim Schwimmen erst, wenn man ins Wasser gehe und nicht gleich aufgibt, auch wenn man mal mehr Wasser schluckt, als einem lieb ist.
    Voraussetzungen seien folgende:

    • Loyalität wird als wichtiger definiert als sexuelle Treue.
    • Respekt wird vor Rivalität gesetzt.
    • Der sexuelle Unterschied wird akzeptiert und damit auch, dass die Partner einander nicht vollständig oder vielleicht nicht einmal in erster Linie sexuell entsprechen.

    Respekt (und Vertrauen) ist der wichtigste Faktor in einer Beziehung

    Because without it, you will be building on sand.
    Ohne Respekt kein Vertrauen und ohne Vertrauen kein Gefühl von Sicherheit. Der Rest der Welt ist schon respektlos genug — ständig! Wir brauchen einen Ort, wo Respekt eine Grundeinstellung ist und wo wir ihn einfordern können.

    Vertrauen ist eine Haltung, mit begrenztem Wissen umzugehen und akzeptiert somit Privatheit. Weil Vertrauen Nichtwissen voraussetzt, kann es nur teilweise erworben, sondern muss in erster Linie gegeben werden.
    Weiterlesen zu Respekt und Vertrauen auch weiter unten bei „Affäre“ >>>

    Beziehungen dauern länger bei drei Eigenschaften der Persönlichkeit

    Für die Chancen einer langdauernden Beziehung sind übrigens vor allem zwei Eigenschaften wichtig:

    • Gewissenhaftigkeit und
    • Offenheit für Neues!
      Etwas schwächer dann noch
    • die (soziale) Verträglichkeit (ein netter Mensch sein).

    Lesen Sie mehr über diese Persönlichkeitsmerkmale in meinem Blog.

    Sexuelle „Störungen“ sind „Persönlichkeitsstörungen“

    Lesen Sie dazu die phantastischen und äusserst brauchbaren Bücher von David Schnarch: „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“, 2006 und „Intimität und Verlangen“, 2011 – und von
    Ulrich Clement: „Guter Sex trotz Liebe“, 2006 und „Wenn Liebe fremd geht“, 2009.

    In sexuellen Problemen Alltagsprobleme wiedererkennen

    Betrachten Sie „sexuelle Probleme“ nicht als isolierte Ereignisse, die sich „nur im Bett“ ereignen. Oft sind sie Ausdruck der Art und Weise, wie Sie auch sonst mit dem Leben umgehen. Weiten Sie daher immer auch Ihren Blick und fragen Sie sich, ob Ihnen an Ihrem Denken, Fühlen und Verhalten manches auch aus anderen Situationen bekannt vorkommt. Sexualität ist für viele Menschen wie ein Mikroskop, indem sie sich plötzlich viel deutlicher bzw. spürbarer wahrnehmen können als im Routinebetrieb des Alltags. So wird sich ein Selbstwertproblem über kurz oder lang auch in der Sexualität bemerkbar machen (etwa wenn man ein eher unauffälliger Mensch sein und bleiben will). Wer sich schon im Alltag nicht „verbunden“ fühlt, wird auch in der Sexualität nicht unbedingt „Verbundenheit“ erleben. Da es oft um grundsätzliche Verhaltensmuster geht, kann sich „sexuelle Weiterentwicklung“ sogar auf Ihr gesamtes Leben günstig auswirken. Nutzen Sie also Ihre Sexualität auch als hilfreiches und wirksames Instrument der Selbsterkenntnis und Selbstentfaltung.

    Sich von Vergangenem lösen

    Haften Sie nicht an der Vorstellung, dass Ihre Vergangenheit so mächtig ist, dass diese eine befriedigende Sexualität unmöglich macht. Letzteres ist natürlich dann der Fall, wenn die dauernde Beschäftigung mit der Vergangenheit so viel Energie verzehrt, dass für sexuelles Begehren nichts mehr zur Verfügung steht. Wenn sie darauf achten, was sich in Ihrer heutigen Sexualität abspielt, kommt die Vergangenheit automatisch auch zum Zug. Sie kann dann allerdings im hier und jetzt und in ihren Auswirkungen auf das heutige Geschehen aufgearbeitet werden.

    Konflikte lösen

    Partner haben keinen Anlass zur Veränderung, solange die Nichtveränderung folgenlos ist. Frage dazu: „Angenommen, Mein Partner ändert sein Verhalten nicht so, wie ich es mir erhoffe: Was folgt für mich daraus?“. Die Frage nach Verhaltenskonsequenzen ist also viel wichtiger, als nach Gefühlen oder nach Ursachen!

    Und wenn beide nichts ändern wollen, soll man dies als Entscheidung akzeptieren und nicht als Unfähigkeit: „So kann man es auch machen.“ (Uli Clement).

    Es ist gut vom Personenfokus auch zum Prozessfokus zu wechseln – und dass sich beide Partner als „passive Opfer“ erleben: „…und dann können Wir gar nicht mehr anders als…“. Dann stellt sich die Folgefrage: „Möchten wir das so weitermachen?“ und macht es damit zu einer Entscheidung, wie man sich zur Eigendynamik stellen möchte.

    Grundsätzlich gilt, dass ein nachhaltiger Ausstieg aus dem Konfliktzirkel (Streitspirale, Differenzierung) erst möglich ist, wenn beide Partner das Gefühl haben, dass ihre verletzliche Seite vom anderen wahrgenommen wird.
    Stagnation geht dabei nur symmetrisch (die Selbstachtung/der Stolz lässt es nicht zu, dass… – oder dann macht man dicht, um sich zu schützen…).
    Die Veränderung geht dann asymmetrisch (eine/r muss den Anfang machen).

    Eine Ausstiegsmöglichkeit zwischen Gefühl und Handlung ist das Finden meines Glaubenssatzes (oder Kernüberzeugung) dahinter – dieser erklärt meine Verletzlichkeit.

    Paare, die Konflikte lösen wollen, sollten versuchen, das während eines gemeinsamen Spaziergangs zu tun. Synchrones Gehen entspannt die Konfliktsituation – es verbessert die Stimmung, setzt Kreativität frei und fördert so die Bereitschaft zur Versöhnung. Gemeinsames Spazierengehen scheint beide Partner in die Lage zu versetzen, wieder konsensfähige Standpunkte einzunehmen und weniger zu konkurrieren (gemäss eines Forschungsüberblicks – DOI: 10.1037/a0040431).

    Fremdgehen / Affäre / „Betrug“

    Literatur: Ulrich Clement, „Wenn Liebe fremdgeht: Vom richtigen Umgang mit Affären“: super praktisch und pragmatisch.

    Die Affäre als Scheitern des einen oder anderen Partners oder als Hinweis auf eine schlechte Beziehung zu sehen, ist zu einseitig. Der Haken liegt eher im „Modell Monogamie“ als bei den Personen. Affären kann man nur gerecht werden, wenn man sie vor dem Hintergrund dessen betrachtet, was von einer monogamen Beziehung erwartet wird – nämlich alles.

    Fast alle Fremdgeher erleben in der Affäre besseren Sex als zuhause. Die Affäre hat erotisch die besseren Karten. Erst auf dem Hintergrund der Ehe bekommt die Affäre jedoch ihre kontrastierende Gestalt. Die Affäre ist so gesehen keine Alternative zur Ehe, sondern auf sie angewiesen. Und umgekehrt: Die Affäre kann die Qualität der Ehe erst zum Ausdruck bringen.

    Es stellen sich zuerst mal wichtige Fragen wie:

    • „Welche Bedeutung hat diese Aussenbeziehung?“
      Bagatellisieren Sie nicht und spielen Sie die Bedeutung nicht herunter!
    • „Was ist überhaupt passiert?“
      Überlegungen für den Betrogenen/die Betrogene nach Auffliegen der Affäre: – Auch wenn es dich lockt, frag nicht nach allen Details, insbesondere nicht nach den sexuellen! & Bremse deinen Partner, falls er dir mehr gestehen will, als dir lieb ist.
    • „Wie konnte es dazu kommen?“
      Mache keine Gegenrechnungen auf, auch wenn du denkst, dass der andere irgendwie auch mitschuldig ist! – speziell für den Untreuen: Zeige dich nicht als zerknirschten Sünder, sondern übernimm Verantwortung für das, was du getan hast.
    • „Was gilt noch?“
      Bleib bei deinen Werten und mach dir nicht jene deines Partners zum Massstab.
    • „Was ist verloren?“
    • „Was kann gerettet werden?“

    Entscheidet sich einer der Partner gegen die Beziehung, setzt dessen Nein sich durch. Nein ist stärker als Ja. Bei einer Ambivalenz zwischen beiden Partnern ist es besser, zwei unabhängige Fragen daraus zu machen:
    1) Will ich mit meinem Partner zusammenbleiben?
    2) Will ich mit dem/der Geliebten eine neue Beziehung beginnen?
    Er/sie trennt sich von seinem bisherigen Partner, weil er diese Beziehung beenden möchte. Nicht weil er/sie eine neue Beziehung beginnen will, der die alte Beziehung im Weg steht.

    Mythen zum Fremdgehen, die allesamt so nicht stimmen, denen aber ein Körnchen Wahrheit auch nicht abzusprechen ist:

    • Mythos 1: Affären sind immer ein Beweis, dass mit der Beziehung etwas nicht stimmt.
    • Mythos 2: Eine gelegentliche Affäre tut einer langweiligen Ehe gut.
    • Mythos 3: Männer sind von Natur aus untreu.
    • Mythos 4: Der Untreue liebt weniger als der Betrogene.
    • Mythos 5: Der Betrogene ist immer zumindest mitschuldig an der Affäre.
    • Mythos 6: Nach einer Affäre ist die Beziehung nicht mehr zu retten.

    Hohe Schule dagegen ist, darüber sprechen zu können, was die Affäre wirklich ausmacht. Welche Sehnsucht den Involvierten geleitet hat. Welche Hoffnung ihn hingezogen hat. Die Emotionen und Bedeutungen, die jemanden in eine Affäre treiben, haben meist mit Sehnsucht zu tun. Diese betrifft eine bestimmte Art der emotionalen Verbundenheit, Selbstvergewisserung, Selbstfindung, der erotische Reiz des Neuen, Freiheit, auch den Wunsch, verlorene Teile des Selbst wieder zu finden.

    Das Argument, bei Affären gehe es nur um Sex, ist falsch. Sex ist nie „nur Sex“. Es werden immer auch andere, nicht sexuelle Bedeutungen aktiviert: Bestätigung der eigenen Attraktivität, die Erhöhung des Selbstwertgefühls, sich in den Augen des Affärenpartners neu sehen, Trost. Umgekehrt macht der Sex die Affäre erst zur Affäre. Sex macht den Unterschied und markiert den Übergang.

    Die Tatsache, dass Affären Dramen mit offenem Ausgang sind zeigt, dass der Kern des Dramas die Rivalität ist. Wer sich auf eine Affäre mit einem gebundenen Partner einlässt, begeht eigentlich Hausfriedensbruch auf sexuellem Gebiet. Sexualfriedensbruch. Harmlose Affären gibt es – so gesehen – nicht. Es gibt bestenfalls verharmloste Affären, deren Bedeutung heruntergespielt wird.

    Ein Betrogener, der sich gar nicht eifersüchtig zeigt, begeht einen Fehler, da er vermutlich mehr Eindruck machen würde, wenn er sich mit seiner Eifersucht positionieren würde. Ist Eifersucht nach Aufdecken einer Affäre da, wäre es falsch, sie zu verdrängen, denn jemand, der so vorgeht, setzt den Inhalt vor die Form. Die Eifersucht hat Recht! Sie ist ein wichtiger Indikator dafür, ob einem an der Beziehung etwas liegt.

    Die Kernstrategie des Moralisierens zielt darauf, Schuldgefühle zu machen.

    Deshalb ist es klüger, die Eifersucht zum Freund zu machen und als sinnvolles Gefühl zu akzeptieren.
    Es hilft, wenn man die Eifersucht als Teil unseres biologischen Programms annimmt. Wie einen Reflex, den man nicht in der Hand hat. Es hilft einem, wenn man denkt, man müsse das nicht bändigen.

    Swinger-Paare. Für sie steht und fällt der Reiz ausserpartnerschaftlicher Sexualität mit der Kunst, die Eifersucht gut in den Griff zu bekommen. Das gelingt dadurch, dass eine strikte Unterscheidung zwischen emotionaler und sexueller Treue vorgenommen wird. Das geht nur mit einem grossen Aufwand in der Diskussion um Abstimmung von Grenzen und Spielregeln. Diese Grenzen sehr genau auf die Bedürfnisse und Empfindlichkeiten der beiden Partner abzustimmen erfordert sehr viel Aufmerksamkeit und Empathie. Dabei lernen sich die Partner sehr genau kennen, erfahren die Grenzen ihrer Eifersucht, ihre Ansprüche, ihre Verlustängste. Nach Clement ermöglichen diese Verhandlungen sogar innigere Nähe-Erlebnisse als die sexuelle Ausschliesslichkeit. Für manche Swinger kann die Eifersucht sogar produktiv und reizvoll erlebt werden. Ihnen gelingt es, ein begrenztes Mass an Eifersucht so zu erotisieren, dass es den Reiz erhöht, den Partner bei sexueller Aktivität mit anderen zuzusehen. Dies erfordert allerdings ein hohes Mass an Selbstwahrnehmung und eine sehr feine Abstimmung mit dem Partner. Das gelingt nur, wenn die emotionale Loyalität auf stabiler Grundlage steht.

    Was tut weh, wenn es weh tut?
    Es lassen sich vier Ebenen unterscheiden:

    • Die sexuelle Öffnung des einen bedroht die Ausschliesslichkeit der Paarbeziehung. „Gehört mir“ der Partner noch? Damit eng verbunden ist der Angriff auf die eigene Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit, die beim Vergleich mit dem Rivalen herausgefordert wird. Ob ich will oder nicht, ich vergleiche mich mit dem Rivalen, der ja gegenwärtig eine hohe, ja höhere Faszination auf meinen Partner ausübt als ich.
      Man ist infrage gestellt. Was ist am Rivalen, dass sie so von ihm eingenommen ist? Was kann er mit ihr erleben, dass er mit mir vermisst? Die Fragerei über sexuelle Details macht die Kränkung konkret und quält beide. Die Details bringen keine Aufklärung, sondern bebildern und intensivieren den Schmerz.
    • Die Loyalitätsverletzung, der Verrat: Paarbeziehungen basieren auf (meist impliziten) Beziehungsverträgen. Verträge sind für schlechte Zeiten vorgesehen – die guten Zeiten brauchen keinen Vertrag. In einem Bündnis sichert der Vertrag den Schwächeren ab. Und der im Moment schwächere ist der betrogene Partner. Deshalb braucht er die Loyalität jetzt mehr und dringender und deshalb wird er sie auch einfordern. Indem er sich in eine Position bringt von „Das steht mir zu“, begibt er sich auf eine gefährliche und tragische Ebene, weil er auf die relevanten Gefühle keinen Einfluss nehmen kann. Liebe ist immer ein hoher, kein niederer Beweggrund.
      Gegen Liebe ist kein Kraut gewachsen. Auch kein Argument oder Beziehungsvertrag.
      Während die sexuelle Kränkung wieder heilen kann, wenn man die Wunden nicht neu aufreisst, hinterlässt Verrat einen Riss in der Beziehung, auch wenn die Affäre beendet ist.
    • Die soziale Demütigung: Der Betrogene sieht sich blossgestellt und blamiert vor jenen, die es wissen. Wobei es beim Ehrverlust einen Unterschied gibt: „Der Gehörnte“ ist die klassische Figur des betrogenen Mannes, die der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Und er bleibt es, wenn er sich nicht rächt – am Rivalen, an der untreuen Frau oder an beiden. Der Gehörnte ist ein Mann. Die Frau ist betrogen, aber nicht gehörnt. Und ihr werden auch, wenn es herauskommt, dass sie hintergangen wurde, andere Reaktionen entgegengebracht, eher Mitgefühl als Häme. Gesellschaftlich gesehen ist das Betrogenwerden für den Mann eine grössere Blamage als für die Frau. Dabei ist Untreue im sozialen Umfeld ein besonderer Härtefall von Kränkung. Hier sind die Folgen dramatisch. Kritisch sind auch Affären am Arbeitsplatz. Wenn Arbeitsplatzhierarchien und sexuelle Verbindungen vermischt werden, hat das fast immer Folgen. Meist negative. „Never fuck the company“ lautet der klare Rat in solchen Fällen. Denn wenn es sich um eine Affäre handelt, bringt die Dreieckskonstellation die anderen Beteiligten in Loyalitätskonflikte, die auf die Akteure zurückschlagen. Affären am Arbeitsplatz liefern wunderbares Material für Tratsch, Häme und Mobbing. Und wer erst einmal Gesprächsthema ist, hat nicht mehr in der Hand, wie sein Image gehandelt wird. Affären am Arbeitsplatz kennen meist mehrere Verlierer und selten einen Gewinner.
    • Die vierte Ebene sind Scheingefechte. Diese werden geführt, um dem auszuweichen, was die beiden Partner sich nun eigentlich zu sagen hätten. Etwa, was den untreuen Partner angezogen hat, was das erotische Fernweh ausmacht. Dass er sich dem anderen zumutet, auch wenn es weh tut. Und umgekehrt, dass dem Betrogenen zugehört wird in dem, was er zu sagen hat. Worum es ihm geht, unabhängig von der eigenen Kränkung. Stattdessen werden Scheingefechte geführt. Das Erste ist die Abwertung des Affärenpartners, ein simpler Versuch, das eigene angeschlagene Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Das Zweite ist der Versuch, dem untreuen Partner ein irgendwie krankes Verhalten zu unterstellen. Scheinbar tröstlich für den betrogenen Partner, der solche Diagnosen stellt, ist, dass er damit die Interpretationshoheit für sich reklamiert oder zumindest auf diese Weise eine Art Kontroll-Illusion wahren kann. Diese Bewältigungsstrategie wird auch von manchen untreuen Partnern selbst bemüht. Sie ist attraktiv, weil damit die eigene Schuld abgeschwächt wird. Ein letztes Scheingefecht liegt in der Taktik, dass der untreue Partner sich in grösserem Umfang charakterlich und moralisch selbst bezichtigt. Der Trick der Selbstbeschuldigung liegt darin, dass dem anklagenden Partner der Wind aus den Segeln genommen wird. All diese Scheingefechte können die grosse Chance zunichtemachen, die sich in der aufgewühlten Gefühlslage bietet: Sich zu trauen, dem anderen seine Angst, seine Sehnsucht, seine Verführbarkeit, seine nackte Seele zuzumuten.

    Bei Affären spielt Bindungsambivalenz eine zentrale Rolle. Die gegensätzlichen Wünsche, sich an jemanden zu binden und zugleich autonom zu bleiben, finden in einer Affäre die perfekte Bühne.

    In Partnerschaften gilt grundsätzlich „wer weniger will, ist mächtiger“. Und wer Bedürftigkeit zeigt, wirkt unattraktiv (ausser auf Sadisten). Der Satz „Ich brauche dich“ ist nur am Anfang der Beziehung attraktiv. Denn wer sich auf eigene Ressourcen und ein gutes Selbstwertgefühl stützen kann, ist attraktiv. Klammern dagegen führt zur Distanzierung. Und Reisende kann man nicht aufhalten. Wenn im Verlauf einer ambivalenten Bindung zunehmen, ist der Partner meistens nicht mehr aufzuhalten. Wer gehen will, wird gehen. Früher oder später.

    Affären kommen irgendeinmal an den Punkt, an dem sich die Frage stellt, ob alles so bleiben soll, ob es besser ist Schluss zu machen, oder wie anders es weitergehen soll.

    Affären sind ein Raum ohne Rechte und Pflichten. Alles Gegebene ist geschenkt. Das macht die Herzen weit und die Liebe gross. Aber das ist auch keine Kunst. Aber wenn es dann ernst wird, liegt die Bruchstelle vieler Aussenbeziehungen unmittelbar vor.

    Vertrauen ist eine Haltung, mit begrenztem Wissen umzugehen und akzeptiert somit Privatheit. Weil Vertrauen Nichtwissen voraussetzt, kann es nur teilweise erworben, sondern muss in erster Linie gegeben werden.

    Nach Clement spielt es durchaus eine Rolle, wie das Geheimnis geschützt wird, durch Verschweigen, durch Leugnen oder durch aktives Lügen. Letztlich geht es für ihn um die Frage, ob ein Privatleben neben der Ehe geben darf, ob Partner das Recht haben, alles von ihrem Partner zu erfahren bzw. ob Partner die Pflicht haben, alles mitzuteilen.

    „Wenn du die Wahrheit nicht aushalten kannst, frage mich lieber nicht. Weil ich es dir sagen würde.“

    Der Betrogene möchte manchmal einen Ansatzpunkt à la „Was habe ich falsch gemacht“, damit er besser damit umgehen kann. Das macht es dann erklärbar und damit aushaltbarer, als wenn es völlig rätselhaft wäre.

    Wer sich auf eine längere Affäre einlässt, schafft sich damit eine Nische, in der er etwas leben kann, was sonst in seinem normalen Alltag nicht möglich ist, was die Sache attraktiv macht. Er sucht etwas, was sonst nicht lebt. Er sucht sich damit eigentlich selbst. Es hat etwas Rauschhaftes sich zu vervielfältigen in verschiedenen Rollen.

    Das Recht auf Privatheit hält Uli Clement für die moralisch zentralen Fragen. Diese Fragen müssen individuell beantwortet werden.

    Er unterscheidet drei Verläufe von Fremdgehen:

    • Man übergeht’s und macht so weiter, wie wenn nichts geschehen wäre.
    • Man quält sich durch, kommt aber nicht aus dem Trauma raus. Zum hundertsten Mal muss es immer wieder nochmals besprochen werden.
    • Man nimmt’s als Krise, aus der eine Chance werden kann. Das Paar sagt, wir kommen aus einer Phase und etwas Neues steht an. Dazu braucht es eine Zwischenbilanz, zu sehen wer der andere überhaupt ist, ihn mit neuen Augen anzusehen. Diese Paare können einen neu Weg finden und sich gewissermassen nochmals neu heiraten und sich als Paar nochmals neu erfinden. Das ist die beste Variante, das kriegen aber nicht alle hin.

    Treue versus respektvolles Wegsehen: Clement meint, letztlich gibt es keine gute Lösung und deshalb bleibe es immer lebendig. Clement meint, beim respektvollen Wegsehen tue es eben nicht so weh, weil man es nicht wirklich weiss, sondern nur vermutend in Kauf nimmt und diese Möglichkeit bewusst wohlwollend wegsehend verdrängt. Das sei eine lebbare Möglichkeit, die aber nicht für jeden gelten könne. Es sei auch nicht spiessig, das sei ihm zu herablassend, wenn es lebbar sei, dann sei es lebbar.

    Die Kunst des richtigen Geständnisses:
    Die Entscheidung, eine Affäre offenzulegen, setzt zunächst eine Aufrichtigkeit gegenüber den eigenen Motiven voraus. Diese können sein:

    • Das eigene Gewissen entlasten
    • Ausgleich um etwas heimzuzahlen
    • Versuch, die eigenen Zweifel zu beenden, etwa wenn der untreue Partner hin- und hergerissen ist mit Entscheidungsschwierigkeiten.
    • Fairness aus der Überlegung heraus, dem anderen die Information schuldig zu sein, damit dieser die Möglichkeit erhält, eigene Entscheidungen zu treffen.

    Es ist jedenfalls keineswegs so, dass das Geheimnis nur den Untreuen schont. Clement ist der Auffassung, dass der Involvierte nicht gesenkten Hauptes, sondern aufrichtig dafür gerade steht, was er getan hat. Mit dem Bekenntnis mutet er sich dem andern zu und akzeptiert, dass dieser in seiner Reaktion auf das Bekenntnis frei ist. Es geht nicht darum, haarklein alle Details zu berichten, sondern für seine Handlungen und seine Motive geradezustehen:

    • Bagatellisiere nicht und spiele die Bedeutung nicht herunter.
    • Mache keine Gegenrechnungen auf, auch wenn du denkst, dass der andere irgendwie auch mitschuldig ist.
    • Zeige dich nicht als zerknirschten Sünder, sondern übernimm Verantwortung für das, was du getan hast.
    • Sei bereit, die emotionale Reaktion deines Partners zu ertragen und zu akzeptieren.
    • Zahle den Preis. Nach einem Untreue-Geständnis ist der Partner in der moralischen Vorwurfs-Offensive und zudem häufig übernächtigt – ein explosives Gemisch!

    Überlegungen für den Betrogenen nach Auffliegen der Affäre:

    • Auch wenn es dich lockt, frag nicht nach allen Details, insbesondere nicht nach den sexuellen.
    • Bremse deinen Partner, falls er dir mehr gestehen will, als dir lieb ist.
    • Bleib bei deinen Werten und mach dir nicht jene deines Partners zum Massstab.
    • Gestehe dir Racheimpulse zu, aber wäge gut ab, ob es klug ist, ihnen nachzugeben.

    Bei der Nachbearbeitung wird die Phase der Bedeutung kommen. Für wen bedeutet die Affäre was und mit welcher Konsequenz? Rachegelüste bis hin zu Mord- oder Selbstmordfantasien sind Versuche, durch Vernichtung Eindeutigkeit herzustellen. Der Rivale wird abgewertet oder blossgestellt, die Untreue wird pathologisiert oder moralisch in Grund und Boden verurteilt.

    Entscheidet sich einer der Partner gegen die Beziehung, setzt dessen Nein sich durch.
    Nein ist stärker als Ja.
    Bei einer Ambivalenz zwischen beiden Partnern ist es besser, zwei unabhängige Fragen daraus zu machen:
    1) Will ich mit meinem Partner zusammenbleiben?
    2) Will ich mit dem/der Geliebten eine neue Beziehung beginnen?
    Er trennt sich von seinem bisherigen Partner, weil er diese Beziehung beenden möchte. Nicht weil er eine neue Beziehung beginnen will, der die alte Beziehung im Weg steht. Ehrlicher ist schliesslich, diese Entscheidung selbstvalidiert und nicht partnervalidiert zu treffen.

    Die Frage, die sich Paare stellen könnten ist, ob sie sich als Paar neu gründen wollen. Was finde ich heute an meinem Partner attraktiv? Würde ich ihn noch einmal heiraten? Von welchen Gewohnheiten in unserer Beziehung sollten wir uns trennen? Welche Art Beziehung möchte ich mit ihm? Welchen Alltag will ich? Welche neuen Verabredungen wollen wir treffen?

    Modell Monogamie: Das Modell, das verspricht, in einem monogamen Rahmen leidenschaftliche Gefühle zu ermöglichen, ist trügerisch.

    Clement plädiert neben dem wohlwollenden Wegsehen für eine starke Loyalität zum Partner, die sie durch allfällige Affären nicht infrage gestellt wird: Auch wenn du mal schlecht mit mir umgehst, auch wenn du mir dich zumutest – eine Verletzung ist kein Kündigungsgrund. Das Risiko ist allerdings, dass man vorher nicht weiss, ob dies auch klappen wird. Kontrolle und Sicherheit ist nicht möglich.

    Loyalität, wie Clement sie versteht und die Bindung und Freiheit gleichzeitig ermöglichen soll, wird zuerst gegeben. Erst geben und dann sehen, was passiert. Zu diesem Zweck plädiert Clement weiter dafür, Privatheit zu respektieren. Wer auf den Anspruch verzichte, alle Lebensbereiche des Partners zu kennen, wer zugestehe, dass die Partnerschaft nur ein Teil des Lebens ist, der könne Monogamie-Falle entkommen, die die Bindung zu einem Gefängnis mache. Diese Privatheit umfasse Teile des Lebens, die man für sich oder mit anderen lebe und die deshalb den anderen nur begrenzt etwas angehen würden. Aus diesem Grund müssten sie auch nicht durch betonte Geheimhaltung geschützt sein. Diese Haltung erfordere, dass man Unsicherheiten tolerieren könne, Bescheidenheit, Grosszügigkeit und Mut. Ob man das könne, zeige sich ähnlich wie beim Schwimmen erst, wenn man ins Wasser gehe und nicht gleich aufgibt, auch wenn man mal mehr Wasser schluckt, als einem lieb ist.
    Voraussetzungen seien folgende:

    • Loyalität wird als wichtiger definiert als sexuelle Treue.
    • Respekt wird vor Rivalität gesetzt.
    • Der sexuelle Unterschied wird akzeptiert und damit auch, dass die Partner einander nicht vollständig oder vielleicht nicht einmal in erster Linie sexuell entsprechen.

    Partnerschaftliche Übergangssituationen

    Die Orientierung in Übergangssituationen (wie in Affäre-Zeiten) konzentriert sich auf drei Komponenten:

    1. Bewahrung des Guten und Bewährten
      Wie feiern wir uns als Paar? Haben wir Kontinuitätsrituale (siehe oben unter „Ehesex“)
    2. Verabschiedung des Überlebten
      Vorwürfe aufgeben (alte Affären…) – Was kann ich im Guten verabschieden? Was behindert mich? Was hindert mich am „loslassen“?
      Abschiedsritual (Brief an das Alte, Überlebte…) – z.B. auch Brief senden an alte Affäre („Ich bin wieder da, wo ich war – es war wichtig, aber…“).
    3. Verwirklichung des Neuen
      auch: Wie wollen wir die neue Phase unser Partnerschaft beginnen?
      Initiationsritual „neu heiraten“

    Nichtveränderung

    Welcher Partner besetzt eher die Veränderungsseite, welcher die Nichtveränderungsseite?
    Vorteile und Nachteile für „das Problem“ und für eine Lösung bewusst machen.
    Unter welchen Bedingungen wird eine Veränderung vollzogen?
    Was ist ein günstiger Zeitpunkt dies zu vollziehen?
    Welche Dosierung, welches Ausmass an Veränderung ist günstig?

    Zurück zum „Nein im Sex“

    Sie möchten keinen Sex in ihrer Beziehung, Heisst das nun:
    Mit Ihrem Partner nicht?
    Unter diesen Umständen nicht?
    So nicht mehr wie bisher?
    Auf eine bestimmte Art nicht?

    Dann: So also nicht. Wie dann?
    Was wäre die Form von Sex, zu der Sie Ja sagen können/wollen?

    Kann eine „offene Beziehung“ oder Polyamorie die Lösung sein?

    Zuerst mal ist Ehrlichkeit und Vertrauen das Allerwichtigste!
    Als Beispiel muss man/frau sich fragen, was ich mir dadurch erhoffe: Ist es, dass ich mir sexuell von anderen Männern/Frauen erhoffe, was mein Partner mir nicht geben kann? Und gibt es vielleicht auch einen Teil in ihr/ihm, dem es ganz recht ist, dass er/sie leidet? Manche Paare denken, die Öffnung der Beziehung nehme den Druck raus und bringe die Leichtigkeit zurück. Sie wundern sich dann, wenn Probleme sich verstärken, statt zu verschwinden.

    Wenn sich ein Paar für eine offene Beziehung entscheidet, sollten sich beide fragen: Was halte ich aus und was nicht? Bei solchen Regeln schwingt immer auch ein bisschen Angst mit: Man möchte in einem festgelegten Rahmen fremdgehen, ohne sich schlecht zu fühlen oder die Kontrolle über den Partner zu verlieren. Aber der Satz »Du darfst dich nicht verlieben« ist ein Witz. So etwas kann man doch gar nicht versprechen!

    Monogamie kommt heutzutage oft verstaubt rüber. Wir assoziieren sie mit weniger Lust, weniger Sex und moralisch auferlegten Verpflichtungen. Dabei ist die exklusive Partnerschaft zweier Menschen besser als ihr Ruf. Wir müssen uns bloss trauen, echte Nähe zu geben und sie auch zuzulassen. Anhaltend guter Sex gelingt durch Ehrlichkeit und Vertrauen.

    Manchmal denke ich, das Konzept »offene Beziehung« ist ein Symptom unserer Zeit, in der viele ständig auf der Suche nach etwas Besserem sind, anstatt an etwas festzuhalten – und das Jetzt zu akzeptieren, wie es ist. Akzeptanz und Respekt sind für mich die wichtigsten Werte in einer Beziehung! Sie allein machen das Mitgefühl mit dem Partner aus.

    Man kann heutzutage alles Mögliche konsumieren, das findet natürlich auch Einzug in die Liebe. Wir haben verlernt, Unangenehmes auszuhalten und Beziehungen zu reparieren, statt sie wegzuwerfen. Wird es mal schwierig, ist das doch eigentlich die perfekte Gelegenheit, sich als Paar weiterzuentwickeln. Man sollte mit dem Partner darüber sprechen: Warum bin ich gerade unzufrieden, und was fehlt mir? Stattdessen lautet das Motto oft: Wenn ich die Bestätigung, die ich mir wünsche, von dir nicht mehr bekomme, suche ich sie eben woanders.

    Unter welchen Voraussetzungen kann eine offene Beziehung denn wirklich funktionieren?

    Es gibt viele intakte offene Beziehungen, das ist ganz wichtig zu erwähnen. Voraussetzung dafür ist eine dauerhafte und ehrliche Kommunikation in viel Vertrauen. Dies erfordert einen gewissen Reifegrad der Beziehung und eine stabile Vertrauensbasis. Wohlwollen gegenüber dem Partner und seiner Sexualität ist dabei die beste Richtlinie. Beide Partner müssen mit der Öffnung der Beziehung einverstanden sein, niemand sollte sich zu etwas gedrängt fühlen.

    Nachdenkenswertes für Paare

    • Jemanden nicht verlieren wollen ist etwas ganz anderes, als sich ausdrücklich für diese Person zu entscheiden.
    • Man kann zwar den Partner wechseln, sich selbst entkommt man aber nicht.
    • Genuss steigert sich oft dadurch, dass man über ihn redet. Verfallen Sie bei sexuellen Begegnungen also nicht in Sprachlosigkeit. Tauschen Sie Ihre Erfahrungen und Ihr Erleben aus.
    • Gehen Sie nicht der Versuchung auf den Leim, Ihren Partner in jahrelanger mühseliger Kleinarbeit zu ändern, um sich dann von ihm zu trennen, weil es sich nicht mehr um die Person handelt, die Sie einmal geheiratet haben.
    • Verzichten Sie möglichst auf Alkohol. Dieser verlangsamt die nervlichen Reaktionsabläufe. Wenn man sich unter Alkohol „beflügelt“ fühlt, hat dies meist damit zu tun, dass Alkohol vorübergehend Angst und Anspannung verringert.
    • Die Flucht zu ergreifen, ist etwas anderes, als sich vorher abzunabeln und erst dann zu gehen.
    • Achten Sie darauf, wenn Ihr Partner wütend reagiert: Welche Kindheitserinnerung könnte dahinterstecken? Wer das versteht, lernt, auch das Kind im anderen zu lieben.
    • Stellen Sie Ihrem Partner jede Woche eine neue Frage wie: „Was beschäftigt dich gerade am meisten? “ oder „Wovon träumst du aktuell? “ So entdecken Sie sich immer wieder neu.
    • Gehen Sie täglich mindestens eine halbe Stunde zusammen spazieren – ohne Handy.
    • Schreiben Sie eine „Bedienungsanleitung“ für Ihre Beziehung. Notieren Sie Ihre wichtigsten Wünsche und Bedürfnisse für ein erfülltes Miteinander. Alles, was die Würde und Autonomie des Partners wahrt, ist erlaubt. Vereinbaren Sie konkrete Schritte, besonders für Situationen, in denen Ihre Vorstellungen auseinandergehen.
    • Umarmen Sie sich jeden Tag mindestens zwei Minuten – als Pause im Lärm des Alltags. Nackt? Umso besser.
    • Der Drittelmix: Ein Drittel der Zeit gehört Ihnen allein, ein Drittel Ihrem Partner. Das letzte Drittel teilen Sie. So bleibt genug Abstand, um sich auf die gemeinsame Zeit zu freuen. Erstellen Sie eine Liste mit drei Spalten: Was ist Ihnen wichtig, was Ihrem Partner, was Ihnen beiden?
    • Nehmen Sie nicht jeden Streit an. Atmen Sie tief durch und fragen Sie stattdessen: „Was wünschst du dir wirklich von mir? “
    • Unterschiedliche Lebensrhythmen sind kein Problem. Geht einer früher ins Bett, begleiten Sie ihn für zehn Minuten. Kuscheln Sie, erzählen Sie, was Sie gefreut hat, und wofür Sie dankbar sind. Der eine schläft entspannt ein, der andere geniesst den Abend.
    • Spielen Sie! Ob Halma, Backgammon oder Tennis – es verbindet, macht Spass und zeigt neue Seiten am anderen.
    • Bevor der Tag beginnt, nehmen Sie sich einen Moment für Nähe: Kuscheln Sie oder geniessen Sie einen stillen Augenblick zusammen. Das stärkt die Verbindung und senkt den Stress. Als tägliches Ritual gibt es Ihrer Beziehung Halt.
    • Niemand weiss genau, was im anderen vorgeht – auch nach 20 Jahren nicht. Reagieren Sie ärgerlich oder enttäuscht, könnte ein Missverständnis dahinterstecken. Fragen Sie lieber: „Wie hast du das gemeint? “ oder „Wie fühlst du dich gerade? “
    • Können Sie Ihrem Partner nicht entspannt in die Augen sehen, verschieben Sie wichtige Gespräche. Erst wenn der Blickkontakt wieder stimmt, sollten Sie das Thema angehen.
    • Das Wichtigste bleibt die Beziehung zu sich selbst. Eine Partnerschaft lebt davon, dass beide mit sich im Reinen sind. Erledigen Sie, was Sie aufschieben, und seien Sie stolz auf Ihr Leben. Räumen Sie auf, nehmen Sie ab, schreiben Sie das Buch, das Sie immer schreiben wollten!
    • Die eigentliche Fähigkeit zum Lieben entwickelt sich dann, wenn ein Paar nicht mehr auf Wolken schwebt.
    • Solange die Partner von wechselseitiger Bestätigung abhängig sind, kontrolliert immer die Person, die das geringere Bedürfnis nach Intimität hat, den Grad an Intimität in der Beziehung.
    • Manche „Sexualstörungen“ haben eine gesunde Wurzel: Sie sind ein „nein“ zu einem Geben, um zu bekommen, ein „nein“ zu Benutztwerden und Abkapselung, ein „nein“ zu Missbrauchserfahrungen in der Vergangenheit.
    • Manche Menschen unterdrücken den Teil in sich, der etwas will: Ihnen ist dann vieles egal, so dass sie auch nicht enttäuscht werden können.
    • Zu streiten ist einfacher, als den Partner zu begehren.
    • Gewöhnlich sehen wir einen Gegenstand nur so lange an, bis wir ihn etikettieren können.
    • Eine sexuelle Krise bedeutet nicht unbedingt, dass die Beziehung zerbricht, sondern kann ein entscheidender Teil des Prozesses sein, der ihre Reifung vorantreibt.
    • Wer aus Angst vor Missbilligung seine erotischen Wünsche und Vorstellungen nicht mitteilt, wird nie etwas Neues ausprobieren und so neue Erfahrungen machen können.
    • Etwas für den Partner zu tun, bedeutet noch nicht, auch wirklich bei ihm zu sein.
    • Manche scheuen sich, ihren Mund einzusetzen, wo sie Genitalkontakt gewohnt sind. Manche scheuen sich, ihre Genitalien einzusetzen, wo ihr Herz beteiligt ist.
    • Das Freisein von Angst und Zwang mag das Kennzeichen einer guten Partnerschaft sein – aber es ist nicht ihr Wegbereiter.
    • Man sollte sich unter sexueller Kompatibilität lieber den Willen vorstellen, ungleiche Vorlieben gut zu nutzen. Geht man richtig damit um, wird aus dem eigenen Partner der richtige.
    • Sicherlich ist jedes Eheversprechen „in guten wie in schlechten Zeiten“ gültig, aber es beruht auf der Annahme, dass die Partner alles in ihren Kräften stehende tun, um ihre Unzulänglichkeiten zu überwinden, und nicht darauf, dass der Partner sich auf Verlangen mit ihnen abfinden muss.
    • Bei Paaren mit einem hohen Differenzierungsgrad funktioniert Monogamie anders: Sie hört auf eine belastende Vereinbarung mit dem Partner oder der Beziehung zu sein, und wird zu einer Vereinbarung mit sich selbst. Die Beziehung lebt mehr von der persönlichen Integrität und gegenseitigem Respekt als von Deprivation und Brutalität. In einer solchen Beziehung ist eine Affäre mehr ein Selbstbetrug als ein Betrug am Partner (da man sich das Versprechen selbst und nicht dem Partner gegeben hat).
    • Einen „Seitensprung“ muss man mit sich selbst ausmachen. Die Treue zu sich selbst, zu seinen eigenen Massstäben des Lebens, das ist letztlich das einzige Mass für unser Handeln – und es ist ein hartes Mass. Die eigenen Grenzen zu ziehen ist schwieriger als den anderen zum Wächter seiner Tugend zu machen.
    • Menschen, die sich nicht eingestehen, dass sie hassen, schaden denen, die sie „lieben“ in höchstem Masse. Denn man kann nicht etwas kontrollieren, dessen Existenz man nicht zugeben will.
    • Wahre Reue beinhaltet mehr als ein verbales Anerkennen. Sie erfordert auch eine unmittelbare Änderung des Verhaltens.
    • Auch der beste Bergsteiger kann niemals einen Berg „beherrschen“, sondern immer nur sich selbst!
    • Man bekommt sich selbst nicht vom Partner zurück, sondern man hört auf, sich selbst aufzugeben.
    • Undifferenzierte Menschen verlangen deshalb von ihrem Partner so viel Verständnis, weil sie sich selbst nicht recht verstehen. Sie fühlen sich verstanden, angenommen und geschätzt, wenn der Partner sie im gleichen Licht sieht, wie sie sich selbst.
    • Wer mit sich selbst zufrieden ist, ist meist auch mit der Partnerschaft zufriedener.
    • Wer sagt „ich bekomme in der Beziehung nicht, was ich will“, gibt sich in dieser Beziehung selbst nicht das, was er erwartet.
    • Frühere Generationen haben erkannt, dass es die Qualität einer Partnerbeziehung fördert, wenn ein, zwei Dinge am Tag ungesagt bleiben.
    • Gefühle, die wir rechtfertigen sind gewöhnlich nicht diejenigen, die wir wollen.
    • Wer im anderen das Beste anspricht, bringt damit auch das Beste zum Vorschein.
    • Das Reden und Denken sollte man dem Teil der eigenen Person überlassen, den man als den besten empfindet.
    • Austern produzieren Perlen nicht etwa, weil sie etwas Schönes schaffen wollen. Perlen sind das Nebenprodukt eines Versuchs, die durch ein Sandkorn hervorgerufene Irritation zu vermindern.
    • Die Erwartung, dass der andere Ängste und Stress abpuffert und wir nicht selbst Fähigkeiten zu ihrer Regulierung entwickeln müssen, nimmt jeder Beziehung ihre Flexibilität und macht beide Partner stressanfälliger.
    • Wenn man sich die ganze Zeit mit Freunden über Beziehungsprobleme unterhält, ist dies keine wirkliche der Erholung dienende Auszeit.
    • Man kann die neue Welt nicht erreichen, ohne den sicheren Hafen zu verlassen.
    • Man kann nicht unablässig an der Beziehung „arbeiten“!
    • Paare in glücklichen Beziehungen machen in einem Verhältnis von 5:1 mehr positive als negative Aussagen übereinander.
    • Viele Partner kämpfen lieber gegeneinander als gegen sich selbst.
    • Der beste Sex und die innigste Intimität in einer Beziehung resultieren oft aus gegenseitigem Respekt. Respekt ist ein hervorragendes Bindeglied.
    • Paradoxerweise rettet das Aussprechen wichtiger Dinge, die man für „Beziehungskiller“ hält, häufig die Beziehung. Empathie ist keine Entschuldigung mit notwendigen Informationen hinter dem Berg zu halten.
    • Es ist weniger dramatisch, den Respekt zu verlieren, als diesen Respektverlust nicht an- bzw. auszusprechen.
    • Die Erkenntnis, mit verschiedenen Menschen die gleichen Schwierigkeiten zu haben, führt oft zum Erreichen der „kritischen Masse“, dem Punkt, an dem Veränderung möglich wird.
    • Menschen, die lauthals verkünden „Ich habe ein Recht auf meine Gefühle“ wollen, dass jeder andere sich so verhält, als wären ihre Gefühle stimmig, seine aber nicht.
    • Unsere Fehler und die Handlungen, die wir bereuen, hindern uns nicht daran, das zu werden, was wir sein können. Sie sind vielmehr ein notwendiger Bestandteil dieses Prozesses. Ohne diese Hürden und Umwege gäbe es keine Differenzierung.
    • Einsamkeitserfahrungen können dazu beitragen, die Verbundenheit mit allem und jedem zu erleben.
    • Freiheit heisst nicht, sich vom anderen zu entfernen, sondern sich so zu steuern, dass in der Beziehung Raum für zwei Menschen ist.
    • Dem klassischen Eheversprechen sollten zwei Sätze hinzugefügt werden: „Ich werde immer Halt in mir selbst finden.“ Und: „Obwohl ich damit rechne, verletzt zu werden, will ich um der Glückseligkeit willen durchhalten.“
    • Bei schweigenden Ehepartnern wissen beide, dass der andere nicht hören will, was man denkt.
    • „Die Kommunikation klappt zwischen uns nicht“ lässt sich meist übersetzen mit „Ich weigere mich diese Botschaft zu akzeptieren – schick mir eine andere.“
    • Die normale Neurose ist unser Bedürfnis, durch das Beschwichtigen anderer unsere „indirekte Selbstakzeptanz“ sicherzustellen.
    • Je angespannter wir sind, umso reptilienhafter (also unvernünftiger) reagieren wir.
    • Wenn ein Baby herumgereicht wird, wirkt es auf die Beteiligten wie ein Joint. Wenn das Schamhaar zu spriessen beginnt, umarmen sich Eltern und Kinder, als seien sie Besenstiele.
    • Eine Umarmung sollte das Herz ebenso füllen wie die Arme.
    • Stille ist keine Abwesenheit von Schall, sondern die Gegenwart von Frieden.
    • Man sollte nicht nur die Haut des anderen berühren, sondern auch sein Wesen und seine Gefühle.
    • „Wenn ein Mädchen heiratet, tauscht sie Aufmerksamkeiten vieler Männer gegen die Unaufmerksamkeit eines einzelnen ein.“ (Helen Rowland)
    • Das sexuelle Repertoire eines Paares erweitert sich eher durch Konflikte als durch Kompromisse.
    • Wir wollen Entscheidungen, die nichts kosten, und Lösungen, die keine Angst einflössen.
    • Niemand „fickt“ sein Unterstützungssystem.
    • „Gnadenfick“ ist ein Betrug an dem, was Sexualität sein kann. Ein Partner lässt den anderen „ran“, um ihn sich vom Hals zu schaffen. Das Ziel ist nicht, den Partner zu „nehmen“, sondern es „hinter sich zu bringen“, damit man morgen verschont bleibt.
    • Zu wachsen bedeutet nicht, sich von seinen Gefühlen zu reinigen (sie „auszudrücken“, also aus sich heraus), sondern sie vermehrt in sich aufzunehmen.
    • Nur wenige beginnen eine Therapie, um etwas an sich selbst zu ändern. Gewöhnlich suchen sie nach Möglichkeiten, ihre Situation oder ihren Partner zu ändern, während sie selbst so bleiben wollen, wie sie sind.
    • Spielen Sie immer die dieselben Lieder? Warum machen Sie es beim Sex anders?
    • Techniken lösen keine zwischenmenschlichen Probleme, das geht nur durch innere Veränderungen.
    • Manche Menschen erwarten, dass andere ihre Gedanken lesen und sich dann so verhalten, wie sie selbst es getan hätten.
    • Suche in jedem Problem oder Dilemma nach der noch ungelösten Entwicklungsaufgabe.
    • Menschen mit einem hohen Differenzierungsgrad kümmern sich weder darum, wie sie wirken, noch suchen sie Anerkennung für ihr differenziertes Verhalten. Es geht ihnen allein darum, wer sie sind und wie sie sein wollen.
    • Solange wir unser Selbstgefühl von anderen beziehen, wird uns nie die Freude zuteil, ganz wir selbst zu sein.
    • Spirituelles Erwachen wird oft mit einer Transzendierung jeglichen Verlangens gleichgesetzt. Aber manche Formen von Verlangen befreien uns: das Verlangen nach Weisheit, Mitgefühl, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Grosszügigkeit zum Beispiel.
    • Glück besteht darin, nicht alles zu brauchen.
    • Das Durchleben der Einsamkeit ist eine Möglichkeit, sich mit sich selbst zu identifizieren und Liebe und Staunen für das Wunder des Lebens zu empfinden (Clark Moustakas).
    • Wir versuchen ständig, die Welt zu einer anderen zu machen, als sie ist (Ernest Becker).
    • „Sünde“ ist unsere Weigerung zu begehren und uns zu entwickeln, unsere Weigerung, an uns selbst zu glauben, und unsere Bereitschaft, unter unserem Potential zu leben.
    • Wir müssen uns vor Gott für all die guten Dinge verantworten, die unsere Augen sahen und die wir nicht geniessen wollten (Rabbiner Abba Areka im Talmud).
    • Eine wirkliche gute Beziehung bedeutet auch, dass man umso verletzlicher ist, denn man hat dann besonders viel zu verlieren.
    • Eine wunderbare Paarbeziehung macht das Leben nicht leicht oder schmerzlos. Es macht die Mühe nur lohnender und den Schmerz sinnvoller.
    • Oscar Wilde: „Es gibt nur zwei Tragödien im Leben. Die eine ist, nicht zu bekommen, was man möchte. Und die andere ist, es zu bekommen.“
    • Glück füllt nicht die Leere, die entsteht, wenn man sich endlich von Komplexen befreit und Konflikte gelöst hat.
    • Vertrauen in einer Paarbeziehung hängt besonders davon ab, was man sich selbst zutraut. Vertrauen muss man/frau – im Wissen von seinem Unwissen und der mangelnden Kontrolle – geben und kann es kaum erwerben.
      (teilweise aus David Schnarch „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“ zitiert – herzlichen Dank!)

    Sex und Herzkrankheit

    „Wagemutiger Sex?“ (von Jan Schweitzer aus DIE ZEIT 06/2022)
    Sex geht immer. Egal, wo das Wort auftaucht, ob im Internet, im Radio oder in der Zeitung: Die Menschen klicken darauf, sie hören hin, fangen an, einen Artikel zu lesen. (Was glauben Sie, warum wir diese Überschrift gewählt haben?) Anders ist es mit dem echten, aktiv vollzogenen Sex: Der geht nicht immer. Zumindest dann nicht, wenn man ein schwaches Herz hat. Viel zu gefährlich sei die Belastung während des Aktes für das kranke Organ, so glauben viele.
    Eine neue Studie im medizinischen Fachblatt JAMA Cardiology gibt nun Entwarnung – auf den ersten Blick. Britische Forscher haben die Daten von 6847 Menschen ausgewertet, die an einem plötzlichen Herztod gestorben waren. Das Ergebnis: Nur 0,2 Prozent der Herzopfer waren während des Sex oder bis zu einer Stunde danach verschieden. In absoluten Zahlen: Bei elf Männern und sechs Frauen hatte die spezielle körperliche Anstrengung das Herz so sehr überlastet, dass sie tödlich endete. Die Überanstrengten waren im Mittel erstaunlich jung, nämlich 38 Jahre.
    Entwarnung also für Herzkranke? Nicht ganz. Natürlich, 17 von 6847 sind nur sehr wenige. Aber vielleicht hatten die anderen 6830 überhaupt keinen Sex mehr, weil sie Herzbeschwerden befürchteten oder ihre körperliche Verfassung solch eine Aktivität gar nicht erst zuliess – dann konnten sie natürlich auch nicht beim Sex sterben. Und die 17 waren vielleicht jene Wagemutigen, denen das egal war, die sich zuvor sogar noch mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug gestürzt, an Wrestling-Kämpfen oder dem New-York-Marathon teilgenommen hätten. Befragen konnte man die Probanden aus offensichtlichem Grund nicht mehr.
    Etwas gewagt wäre auch die Argumentation älterer Semester, sich mit einem kranken Herzen auf der sicheren Seite zu fühlen. Diesen Umkehrschluss – »Es sind ja nur Junge beim Sex gestorben, also kann mir 70-Jährigem nichts passieren!« – kann man aus der Studie leider auch nicht ziehen.
    Man sollte in die Studienergebnisse also nicht allzu viel hineininterpretieren. Und sich auch nicht allzu viele Gedanken machen, wenn man Sex haben möchte. Der geht (fast) immer.

    Links zu diesem Thema auf dieser Website:

    – Speziell zur „Impotenz“ des Mannes >>>
    – Zum Wunsch, den Anderen so zu lieben wie er ist (bedingungslose Liebe): walserblog.ch/tantra/
    – Übertriebene Kitzligkeit als Problem für freien Sex: walserblog.ch/kitzligkeit/
    – Autonomie und Verbindung: walserblog.ch/autonomie-und-verbindung/
    – Fragen als Haupttor zum Anderen: walserblog.ch/fragen/

    Ich gebe auch Paarcoachings/Paartherapie >>>

    Veröffentlicht am 06. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    15. Mai 2025

  • Genuss und Schuldgefühle

    Genuss und Schuldgefühle

    „Ob gesund oder krank, habe ich mich immer willig von den Gelüsten leiten lassen, die sich in mir regten. Ich räume meinen Wünschen und Neigungen großen Einfluss ein. Ich liebe es nicht, Übel durch Übel zu heilen; ich verabscheue die Heilmittel, die beschwerlicher sind als die Krankheit. (…) Alles, was ich mit Unlust zu mir nehme, ist mir schädlich, und nichts ist mir schädlich, was ich mit Lust und Hunger genieße; nie ist mir Nachteil aus einem Beginnen erwachsen, das mir großes Vergnügen bereitete. Und so habe ich meinem Vergnügen gar grosszügig vor allen ärztlichen Ratschlüssen den Vortritt gegeben.“
    (Michel de Montaigne, Essais: Von der Erfahrung, S. 861f.)

    Was tut mir gut?

    Schrecklich, die moralsaure Vorstellung wie all unsere versauten Nahrungsmittel uns verseuchen und verpilzen, uns wurmstichig zernagen…
    Ich plädiere hingegen zu fragen: „Was tut mir gut?“ und nicht immer „Was kann mir schaden?“.
    Wir sollten wieder lernen, freudvoll und schuldenfrei zu geniessen.

    Selbstoptimierung? Da mache ich nicht mit

    „Ich sage immer: Guilty Pleasure gibts nicht. Es gibt nur Pleasure oder kein Pleasure. Leute, die sagen, sie tun Dinge ironisch – na ja, ich mag dafür meine Zeit nicht aufwenden. Das Wichtigste ist doch: Ich werde gut unterhalten.“

    Giulia Becker, deutsche Autorin und Podcasterin zum Geniessen von Reality-TV im Interview mit dem Tagesanzeiger, «Selbstoptimierung? Da mache ich nicht mit»

    Soziale Kontrolle durch Gesundheit

    Die Medizin ist aufs Negative fixiert, sie liebt Warnungen vor Gefahren. Wie andere Religionen hat die Medizin mittlerweile ein eigenes Moralsystem geschaffen: Rauchen, Weissbrot, Chips, Salz oder Fett essen, ein Stubenhocker sein, keine Kondome benutzen, Alkohol, Nikotin oder Haschisch konsumieren, Sonnetanken, keinen Motorradhelm tragen: All diese Dinge sind unmoralisch – der Preis solcher Sünden ist ein früher Tod. Die Folgen dieses Moralsystems sind Schuldgefühle. Und die erzeugen massiven, krankmachenden Stress, senken das Wohlbefinden und können sogar zu Depressionen führen.
    Die Moral, die soziale Kontrolle, funktioniert heute nicht mehr über Sex, sondern über Gesundheit! Die Kontrolle funktioniert über den Körper-, Schlankheit-, Fitnesskult, über die Ernährung und die Leistungsfähigkeit. Seit Sparta gibt es eine Form von Gesundheitsfaschismus. Das gehört zum menschlichen Dasein. Der Kult von Reinheit, Stärke, Körper – bis hin zur Rassenreinheit im Nationalsozialismus (Siehe dazu auch der spannende Artikel über die neuen vielen Guidelines in der Medizin hier:  Guidelines: the new catechism of modern medicine? Levi M.; Netherl J Med 2012 (August); 70: 253-4: guidelines.pdf)

    Gesundheitsbewegungen hatten immer etwas zutiefst Antiliberales. Umgekehrt hat der Genuss immer etwas Subversives, Ideentreibendes, Verdächtiges. Dadurch bekommt Rauchen heute langsam den ambivalenten Status von Pornografie: Etwas Abstossendes und Anziehendes zugleich.

    In dieser ambivalenten Situation trennen sich auch die Glückssucher von den Unglücksvermeider, zwei völlig verschiedene Typen: Die einen stellen ihr Leben völlig auf Sicherheit ein (kein Rauch, gesundes Essen, keine AKW…) und die anderen suchen das Glück, den Exzess und sind bereit, Unglück (und frühen Tod und Krankheit durch Rauchen, etc.) zu riskieren!

    Zur Bedeutung des Exzess in der Menschheitsgeschichte ein berauschender Beitrag aus der Republik: kurze-geschichte-des-lasters.pdf

    Essen ist der neue Sex

    Mittlerweile ist es üblich, dass sich auch die ganz Braven einmal pro Woche einen sogenannten Cheatday gönnen. So jedenfalls wird es unter dem entsprechenden Hashtag in den sozialen Medien propagiert. Die «Cheater», sprich Betrüger, gehen dann allerdings nicht in eine Bar und schleppen dort zwecks Geschlechtsverkehr ein Date ab. Nein, sie dürfen an jenem Tag bloss essen, was ihnen beliebt. Also nicht nur gesundes Zeug, sondern vielleicht auch etwas Schokolade oder gar eine Fertigpizza.
    Klingt eigentlich sympathisch. Ist es aber nicht. Wer sich verpflegungsstechnisch entspannen will und auch mal Süsses und Fettiges zu sich nimmt, begeht offenbar nichts weniger als einen Betrug. Als wären wir unserem Essen moralisch verpflichtet und könnten Gemüse oder Chiasamen hintergehen. Die Vorstellung mag amüsieren. Doch sie offenbart, wie verkrampft, ja dogmatisch unser Verhältnis zur Nahrungsaufnahme geworden ist. Man isst nicht mehr vorzüglich oder miserabel, sondern richtig oder falsch. Es gibt gute und böse Lebensmittel. Wer gesund speist, lebt besser, länger, glücklicher.
    Diese neue Moral hat voll aufs Volk übergegriffen: Die moderne Mutter sorgt sich nicht mehr, dass die Tochter an einer Party richtig küsst, sondern dass sie falsch isst. Das Essen (und andere Mediziner-Dauer-Themen, wie Bewegung, Rauchen,…) haben in unserer Gesellschaft den moralischen Stellenwert eingenommen, den Sex bis vor ein paar Jahrzehnten noch innegehabt hat! Gesunde Ernährung ist zum moralischen Imperativ geworden. Vegetarier, Veganer und Fruktarier basteln aus dem Inhalt ihres Kühlscharnks – oder besser: aus dem, was sich nicht darin findet – eine ganze Lebenshaltung. Und übrigens meist eine, mit der man sich moralisch besser fühlen kann, mit der man sich so schön vom dumben Rest der Menschheit abheben lässt. Gourmetsendungen im TV werden als Foodporn bezeichnet. Der Bioladen um die Ecke wird zum Glaubenstempel erkoren. Und wie bei jeder installierten Moral wird irgendwann vom Recht zum Widerstand Gebrauch gemacht und wird richtig cool: Im Internet gehört das Food-Selfie mittlerweile zum guten Ton. Models beissen gierig in eine Pizza oder schlecken lüstern eine Glace. Schaut alle her, wie verwegen ich bin! Junk-Food als Verführung in der Welt der oralen Enthaltsamkeit…(teils zitiert aus der Sonntagszeitung vom 20.01.2019 und Nicole Althaus in „Essen ist der neue Sex“ aus der NZZ am Sonntag vom 22.6.14 – Danke!)

    Hauswartsyndrom

    Die WHO listet 3350 Grenzwerte für Pestitzidrückstände in Lebensmittel auf. Das stumpft ohnehin ab und erhöht den Widerwillen gegen gesundheitsförderliche Ratschläge. Risiken breiten sich seit etwa dreissig Jahren in der medizinischen Literatur in den Medien und im Bewusstsein der Menschen geradezu epidemisch aus. Die meisten Menschen haben grosse Angst vor dem Sterben. Deshalb sind sie offen für vieles, was Gefahren und Risiken vermeintlich minimiert. Dies anderen Menschen ständig vorzuhalten, nenne ich „Hauswartsyndrom“: Man macht den anderen durch (unhaltbare) Massregelungen schuldig und dies gibt Macht. Über Schuldgefühle kann man Menschen führen. Wünschenswert wäre aber, Menschen über Achtung und Respekt vor anderen Menschen, vor Tieren, der Natur, vor Gegenständen zu führen. Was voraussetzt, dass man sich selber achtet. Wir müssen wieder lernen, Verantwortung für uns selber zu übernehmen. Verantworten heisst sich selber antworten. Indem ich mir selber antworte, entscheide ich, ob ich etwas als gesundheitsschädlich erachte oder nicht. Konkret: Wenn ich abends zu viel getrunken habe, erbringe ich anderntags nicht die gleiche Leistung; vielleicht bin ich gereizt. Nehme ich das bewusst wahr, kann ich gelassen reagieren, ohne quälende Schuldgefühle: Du hast dir gestern geschadet, das nächste Mal passt du besser auf (es kann aber auch das nächste Mal schief laufen).

    Selbstbeobachtung

    Wie kann man diese Selbstbeobachtung fördern? Indem man fünf Minuten pro Tag dasitzt und nichts macht – nicht Radio hört, nicht fernsieht, nicht im Internet surft, nicht Zeitung liest. Nur dasitzt. Und sich beobachtet und Fragen stellt: Willst du auf diese Weise alt werden, so wie du heute lebst? Mit welchen Gefühlen bist du heute aufgestanden? Was hast du für eine Beziehung zu deiner Partnerin, deinem Partner? Gestern hast du zuviel getrunken – wie stehst du heute dazu? Es braucht sehr, sehr wenig, um mit sich selber Kontakt aufzunehmen. Eine andere Möglichkeit, Distanz zu sich selber zu schaffen, ist ein Tagebuch führen. Oder abends vor dem Zubettgehen eine Zeichnung von sich selber machen. Was für Farben nehme ich? Was bedeuten diese Farben? Oder man kann den Tag auf ein Tonband sprechen.
    Betrachten Sie die Ereignisse aus einer anderen Perspektive, entwickeln Sie eine distanziertere, umfassendere Sicht. Abgrenzung verhindert Wachstum. Oder mit Albert Einstein ausgedrückt: „Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit dem Radius Null – und das nennen sie dann ihren Standpunkt.“
    Solche Methoden kann jede Person anwenden; sie verlangen weder psychologisches Wissen noch eine Therapie.

    Genuss vs. Selbstkontrolle

    Es herrscht noch immer die Auffassung, dass primär Selbstkontrolle helfe, ein zufriedenes und erfolgreiches Leben zu führen, indem langfristige Ziele über kurzfristiges Vergnügen gestellt werden. Doch es ist Zeit umzudenken, zeigen neuere Studien.
    Selbstkontrolle ist zwar durchaus wichtig für ein Leben, das als sinnhaft und erfolgreich empfundenen wird. Aber die Fähigkeit, lustvolle Aktivitäten zu geniessen, trägt mindestens ebenso viel zur Lebenszufriedenheit bei.
    Dabei stehen beide Fähigkeiten nicht im Widerspruch zueinander. Für ein zufriedenes und erfolgreiches Leben sind beide wichtig. Es gilt, im Alltag – einmal mehr – die richtige Balance zu finden.
    „Selbst-Kontrolle“ kann so neu als „Empathie zu sich selbst“ gesehen werden – und schliesst so den Genuss sicher nicht aus.
    Die Studien zeigen: Menschen, die sich dem Genuss ungeteilt hingeben können, erleben nicht nur kurzfristig mehr Wohlbefinden, sondern weisen generell eine höhere Lebenszufriedenheit auf. Sie leiden zudem weniger an Depressions- und Angstsymptomen.
    Dabei zeigte sich aber, dass man sich in Genuss- oder Entspannungsmomenten nicht gedanklich ablenken lassen darf, um davon zu profitieren. Das Grübeln über Aktivitäten oder Aufgaben, die man stattdessen erledigen sollte, untergräbt das unmittelbare Bedürfnis, sich zu entspannen.
    Sich einfach häufiger einen Abend auf dem Sofa, ein gutes Essen oder ein Bier mit Freunden zu gönnen, führt also nicht automatisch zu mehr Zufriedenheit, so das Fazit der Forscherinnen. Man darf gleichzeitig nicht abgelenkt sein vom Genuss. Und das sei offenbar «nicht ganz so leicht».
    (Katharina Bernecker, Uni Zürich & Daniela Becker, Leibniz-Institut für Wissensmedien, Germany: The ability to pursue hedonic goals and its consequences for well-being)

    Weiterlesen >>>

    Willenskraft? Selbstkontrolle? Nein: Gewohnheiten

    Wir überschätzen uns und unsere Willenskraft und unsere Selbstkontrolle. Wir glauben, wenn wir uns nur am Riemen reissen, könnten wir jederzeit unser Verhalten steuern und unsere Ziele erreichen. Das stimmt aber leider nicht.

    Wann soll man skeptisch werden? die „Guru-Medizin“

    Lassen Sie sich nicht den Genuss am Leben vergällen und madig machen, z.B. von sog. Therapeuten, die ein Bild vom Menschen als Müllhalde haben, der entgiftet werden muss (Darmspülungen, Entgiftung, Ausleitung, Dauerbrause, Detoxikationen…), die ein Horrorszenario von Umweltgiften, Pilzen und Mikroorganismen ausmachen – „madig“ eben…
    Es scheint auch viel „Galle“ da zu sein, eine aggressive Art, sich von sämtlichen „Nichtgläubigen“ abzugrenzen. Schulmediziner grenzen z.B. Homöopathen aus – und umgekehrt, Impfverfechter Impfgegner,…
    Skeptisch soll man als mündiger Mensch werden, wenn also von schrecklichen Menschenbildern ausgegangen wird, wenn nur auf die kranken Seiten fokussiert wird und nicht auch auf die gesunden, wenn „gallig“ abgegrenzt wird – und auch wenn teure Behandlungen und Apparate als das Einzigrichtige verkauft wird (Stichwort „Guru-Medizin“). Gegen Elektrosmog und Wasseradern benötigt man keine tausendfränkigen Abschirmungen – man findet im Internet auch Bastelanleitungen für wenige Fränkli. Das Bett verstellen oder den Radiowecker, das Freihandtelefon, den Router und Repeater ausziehen und das Smartphone nachts in den Flugmodus setzen, kann schon reichen. Diätpläne müssen nicht teuer erkauft werden (ernaehrung/). Auch Fitness nicht (jogging/). Anti-Aging auch nicht (anti-aging/). Amalgam soll nicht auf ein Mal rausgerissen werden: max. zwei Plomben im Jahr sind für unseren Körper noch tragbar. Nicht gegen alles und jedes impfen – aber auch nicht nichts: individuell entscheiden (www.impfo.ch).

    Was ist gesund?

    Man darf ja gar nicht so laut verkünden, dass Gesundheit eigentlich sehr einfach zu erlangen ist. Ärzte würden ja arbeitslos:
    Lebe massvoll, lustvoll, natürlich und mit viel Bewegung!

    Der Geist soll in eine glückliche Stimmung kommen. dafür ist Warmherzigkeit der Schlüsselfaktor. Wenn Sie ein gutes Herz haben, einen offenen Geist und sich und andere Menschen achten, werden Sie gesund. Betrachten Sie die Dinge aus einer anderen Perspektive, entwickeln Sie eine distanzierte, umfassendere Sicht.
    Wer sich zu sehr mit dem eigenen Ich beschäftigt, kreist um sich selbst, und das schafft vor allem Beklemmungen. Man sollte sich für etwas anderes interessieren als nur für die eigene Haut und Haare!
    Auf meiner Seite über Salutogenese habe ich viel über Dinge geschrieben, die Ihre Haltung zu Ihrer Gesundheit verändern können – und über die Resilienz in Krisenzeiten.
    Die „Entgiftung und Entschlackung“ jeder unserer Körperzelle mittels der wunderbaren Autophagie anregen: ganz einfach mit dem Intervallfasten! (walserblog.ch/2019/01/12/detox-intervallfasten/)

    Schuldfreier Genuss

    Auch in der Medizin gibt es zum Glück Gegengewichte: z.B. David Warburton, Professor für Psychopharmakologie im südenglischen Reading begann ein weltweites Netzwerk mit Leuten zu spinnen, welche die heilsame Wirkung von Dingen ergründen, „die uns Spass machen“. Heute sind fünfzig Freuden- und Genussforscher aus 13 Ländern miteinander verbündet, von Soziologinnen bis Medizinern. Ihr programmatischer Name: Arise (Associates for Research into the Science of Enjoyment ). Sie konnten in zahlreichen Arbeiten zeigen, dass so „schreckliche“ Dinge, wie Schokolade, Kaffee, Alkohol, … bei schuldfreiem Genuss mehr heilen als schaden.
    Es wurde sogar gezeigt, dass ein Stück Schokoladenkuchen (oder was man sonst sehr gern mag) zum Frühstück zu besseren Abnehmen (mehr und andauernd) führt, als bereits schon ein genussfeindliches Frühstück (Steroids, 77 (2012) 323-331).

    Vor beinahe 50 Jahren stellten Psychologen die These auf, dass die Menschheit einen Hang zum Guten hat: Auch unsere menschliche Sprache neigt zum Guten. Sie enthält mehr positive Wörter als negative. Dies haben jetzt amerikanische Mathematiker bestätigt («Pnas», online). Dazu haben sie einen immensen Datensatz mit mehreren Milliarden Wörtern ausgewertet. Als Quelle dienten Filmuntertitel, Songtexte, Romane, Zeitungsartikel und andere Dokumente in zehn verschiedenen Sprachen. In allen Quelltypen waren positiv besetzte Wörter in der Überzahl. Fazit: Wir reden lieber über die Sonnenseiten des Lebens.

    www.mutmacherei.net: Wollen Sie endlich mal was anderes hören als Bankenrettung, Kernschmelze und Wirtschaftslobby? Die Mutmacherei bringt Ihnen wirkliche good news, die Sie staunen lassen!

    …und der sinnvolle „The Happy Broadcast“: www.maurogatti.com/the-happy-broadcast

    Hier muss auch ein Medienprojekt erwähnt werden, welches – leider eine Seltenheit in der Medienszene – speziell zur Verbreitung positiver Nachrichten und Geschichten des Gelingens erschaffen wurde: www.visionews.net.

    Schuldfrei und genussreich Sonnetanken

    Wer Sonne meidet, stirbt früher!
    Zu diesem Schluss kommt eine Langzeitstudie aus Schweden: Zu strenge Regeln im Umgang mit der Sonne können der Gesundheit mehr schaden als nutzen. Die Behörden haben in der Gesellschaft die Vorstellung gefördert, dass die Sonne ausschliesslich gefährlich sei. «Dieses Bild muss sich verändern.», so die Studienleiter.
    So hatten Studienteilnehmerinnen, welche die Sonne mieden, ein doppelt so hohes Risiko an Herz- und Kreislaufkrankheiten zu sterben, als extreme Sonnenanbeterinnen. Ihre Lebenserwartung sank im Vergleich um bis zwei Jahre. Diese Resultate überzeugen auch den Hautarzt Mark Anliker aus Winterthur. «Das Ergebnis ist eindeutig und stimmt auf jeden Fall. Wer mehr Sonne tankt, lebt länger.» Was genau für die bessere Lebenserwartung der Sonnenanbeterinnen verantwortlich ist, lässt die Studie offen. Die Forscher weisen auf einen möglichen Zusammenhang mit der verstärkten Produktion von Vitamin D hin. Für Anliker ist ein gesamthaft gesünderer Lebensstil wahrscheinlicher: «Wer viel draussen an der Sonne ist, ist häufig auch körperlich aktiv. Hinzu kommt die frische Luft und das psychische Wohlbefinden.» Mehrere Studien belegen, dass die Sonne gegen Depression hilft. «Besonders morgens und abends. Das helle Sonnenlicht setzt über die Netzhaut Glücksgefühle im Gehirn frei und wirkt positiv aufs Gemüt.»
    Ein Freipass für stundenlanges Sonnenbaden ist die Studie aber nicht. «Es geht darum, täglich etwa eine halbe Stunde Sonne an Sie hilft bei Ekzemen, Schuppenflechten, Akne und Allergien.»

    Selbstoptimierung

    Die Philosophin Ariadne von Schirach beschreibt in Ihrem Buch «Du sollst nicht funktionieren» die Folgen dieses Leistungsdruckes der Selbstoptimierung als fatal:

    „Jenseits von Burn-Out, Einsamkeit und Angst ist doch das Schlimmste an der unablässigen Selbstoptimierung dieser überall bemerkbare Verlust von Lebensfreude. Wir verlernen, uns gehen zu lassen. Die Fähigkeit, Hingabe, Lust und Rausch zu erleben und zu geniessen, kommt uns durch diese dauernde Selbstbeobachtung und -kontrolle abhanden. Doch das ist nicht alles.

    Die Philosophie rät seit Jahrtausenden, der Mensch solle sich um seine Seele kümmern. Das bedeutet, eine Beziehung zu seinem Inneren zu haben – zu seinen Gefühlen, Träumen und Werten. Zu seiner eigenen Lebendigkeit. Wenn diese Beziehung verloren geht, verlieren wir auch den Sinn unseres Lebens.

    Selbstoptimierung als eine Form von Kontrolle suggeriert nun Sicherheit. Auch angesichts der umfassenden Beschleunigung versuchen wir, an etwas festzuhalten: an unserer Jugend oder an unserer Leistungsfähigkeit.

    Zugleich versuchen wir uns immer wieder auf allen möglichen Märkten zu beweisen – vom Dating- bis zum Arbeitsmarkt.

    Dadurch wird der Selbstwert zum Marktwert. Dabei vergisst man leicht, dass jeder Mensch, genau so wie jedes Stück Natur und jedes Tier, an sich wertvoll ist. Dieses Wissen müssen wir uns zurückerobern.

    Also zurück zur Authentizität?

    Da muss man differenzieren: Das Authentische des Menschen ist nicht nur sein Inneres, sondern eben Inneres und Äusseres zusammen. Diese puritanische Haltung, wir müssten uns nur auf das Innere konzentrieren und der verlogenen äusseren Welt abschwören, bringt uns auch nicht weiter.

     Was bringt uns denn weiter? Wäre ein Mittelmass aus Selbstoptimierung und Lebenskunst optimal?

    Ich glaube, der entscheidende Gedanke hinter dieser Frage betrifft nicht nur das Mass, sondern auch die Motivation. Es ist sinnvoller, die Energie, die wir in die Optimierung unseres Selbst stecken, dafür zu nutzen, das Bild, das wir abgeben möchten, mit unserer inneren Wirklichkeit in Korrespondenz zu bringen.

    In einer Zeit, in der die Welt so sinnlos und brutal wirkt, liegt es an jedem Einzelnen, Widerstand gegen Konkurrenz, Kälte und Gier zu leisten. Das beginnt mit einem nutzlosen Lächeln, das wir dem anderen schenken, anstatt ihn oder sie einfach nur abzuchecken. Es ist an der Zeit, wieder Lieben zu lernen und das Leben zu wagen, anstatt es nur zu verwalten.“

    Zu Tantra als Grundhaltung mit Annehmen der Lust und des Körpers als „Tempel der Seele“ – im Gegensatz zur etwas rigid-streng-moralischen Grundhaltung in der westlichen Medizin: walserblog.ch/2016/12/14/tantra/

    „Fuck it, bitch. Stay fat!“
    Dieses Buch von Samantha Irby „We never meet in real life“ war mal dringend nötig. Das Thema ist nicht neu – ein Rant gegen Diäten – aber wie sie’s aufschreibt lässt den Leser auf diese tiefe, behäbige Weise lachen, die Alltagsweisheit signalisiert. Kostprobe:
    „Do you really need another article about how important it is to eat a big breakfast full of healthy fats and whole grains to curb afternoon snacking? NO, YOU DO NOT. You need bitches to write about how comfortable maternity jeans are for women who aren’t really pregnant. And sexy ways to remove a bra that has four hooks. I’m always amused when they encourage you to eat “instead” foods, like eating an apple when you really want to rub a bacon cheese­burger all over your boobs is a fair substitute.“ 

    Weiterlesen >>>

    Diätlos glücklich – ein Plädoyer für den Genuss

    Zur Bedeutung des Exzess in der Menschheitsgeschichte ein berauschender Beitrag aus der Republik: kurze-geschichte-des-lasters.pdf

    Letzte Aktualisierung durch Dr.med. Thomas Walser:
    03. Januar 2025

  • Entspannung – Meditation

    Entspannung – Meditation

    Ich bin in einer Welt, die in mir ist. (Paul Valéry)
    Wer nicht ab und zu in sich geht, trifft irgendwann dort niemand mehr an
    .

    Hier stelle ich Ihnen verschiedene einfache Methoden zu Entspannung vor, die leicht erlernbar, jederzeit verfügbar und sofort effektiv sind. Um eine länger andauernde Wirkung zu erzielen, müssen Sie jedoch zum festen Bestandteil der täglichen Routine werden.

    Dauerstress und Entspannung

    In unserer Zeit des Dauerstress ist die Entspannung das A und O. Der Rhythmus von Spannung und Entspannung (Kontakt und Rückzug, etc.) sollte auch über die Arbeitswoche weg erhalten bleiben. Das optimale Modell für Dauerstressgeplagte und Leute mit Burnout ist eine 80%-Arbeit mit einem ganzen freien Mittwoch! Auch im Winter kann man „saisongerechter“ Leben und sich bei kürzerem Tageslicht und grösserer Nachtlänge mehr zurückziehen, zur Ruhe kommen und länger Schlafen: also mehr erholen und entspannen (mehr dazu hier).

    Gelassenheit und Innerer Frieden

    In der Entspannung werden wir gelassener und erleben den inneren Frieden. im Ryoanji-Schrein in Kyoto steht die einfache Lebensweisheit
    „Zufrieden sein mit dem, was man hat.”
    Den Glauben, dass wir dauerhaft Freude finden und Schmerz vermeiden können, nennt der Buddhismus das Samsara, jenen unentrinnbaren Kreislauf der sich unablässig dreht und dreht und uns grosses Leid beschert. Ihn als Illusion zu entlarven und jeden Moment (entspannt) anzunehmen wie er ist, darin liegt die Befreiung. Dazu kann uns die Meditation helfen. Mehr über den Inneren Frieden mit seinen „kleinen“ Störungen.

    Und mehr über Entspannung durch weniger moralische, aber mehr ethisch faire Lebenshaltung und mehr Bescheidenheit.

    Illustration by Maurice Sendak from Open House for Butterflies by Ruth Krauss

    Eine weniger moralische, dafür ethisch faire Lebenshaltung entspannt

    Zuallererst will ich kurz erklären, was für mich der wichtige Unterschied von Moral und Ethik ist:

    Unter „MORAL“ meine ich hier die subjektive Bewertung von Menschen auf Grundlage tradierter Vorstellungen von GUT und BÖSE oder Schuld und Sühne. Sie wird so vor allem in monotheistischen Religionen gepflegt und führt dort zum gefährlichen, moralischen Dualismus: Nächstenliebe und Fremdenhass. Es gibt aber nichts Relativeres als Gut und Böse. Je nach Kultur ist es sehr unterschiedlich, wer die Vertreter des Guten sind und was das absolute Böse ist. Für IS-Terroristen sind wir das Übel, für uns sind sie die Bösen. Moralische Kategorien führen also sicher nicht zur Lösung von Konflikten. Im Gegenteil.
    Moralisten denken problemorientiert. Sie beschäftigen sich mit den Übeln der Welt, mit dem vermeintlichen Gegensatz von »Gut« und »Böse«, aus dem sie einen beträchtlichen Teil ihres Selbstwertgefühls ziehen. Ihr Vergeltungsbedürfnis entspringt ihrem Geltungsbedürfnis.

    Dies beeinflusst auch unser alltägliches Denken und führt zum «Empörialismus» (Michael Schmidt-Salomon), zu mehr Stress durch Empörung und durch die vielen kleinen Ärgernisse über den ganzen Tag weg.
    Weiterlesen >>>

    Unter „ETHIK“ verstehe ich dagegen die objektive Bewertung von Handlungen anhand des Massstabs, ob sie die Interessen anderer angemessen berücksichtigen, ohne jemanden zu schädigen:
    Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu!

    Ethiker denken lösungsorientiert. Sie beschäftigen sich mit den Möglichkeiten, die Ungerechtigkeiten aus der Welt zu beseitigen. Ethiker verzichten darauf, sich selbst durch die Abwertung anderer aufzuwerten, und suchen nach Problemlösungen, die die Interessen aller Betroffenen fair berücksichtigen. Die Menschenwürde steht im Zentrum.
    Dies ist sicher eine Haltung, die im Alltag zu sehr viel weniger Stress und Ärger führt. Ethisch faires Verhalten entspannt also sehr.

    Bescheidenheit entspannt

    Bescheidenheit ist angebracht in Angesicht unserer mickrigen Hirnleistung! Dieses stark überschätzte Organ leistet gerade mal 50 Bit/s. Es besteht aber ein chaotisches Netzwerk von Milliarden Faktoren über die wir keine Kontrolle haben. Allein schon  die Augen senden uns pro Sekunde etwa 10 Mio Bit an Information!

    Unser sogenannte „Ich“ ist also eine mühsam geforderte Konstruktionsleistung des Gehirns. Wir müssen uns quasi unsere eigene Welt in jedem Moment neu konstruieren. Jede*r für sich seine eigene Welt, da es keine eine einzigartige gibt. Es ist ein „virtuelles Theaterstück“ (M. Schmidt-Salomon).

    Stolz auf eine eigene Leistung zu sein oder sich über etwas zu schämen, wird – unter diesen Umständen gesehen – ziemlich lächerlich und unbedeutend!
    Beides benötigt viel Anstrengung und Energie: Selbstoptimierung beim Stolz und die Angst vor Versagen, vor Blamage bei der Scham.
    Bescheiden zu bleiben und auf Stolz und Scham zu verzichten, entspannt also enorm!

    Unter diesen Gesichtspunkten wird auch ziemlich unverständlich, dass wir häufig annehmen, wir könnten in einem Paarkonflikt als Beispiel genau wissen, welche „Wahrheit“ die einzig richtige sei! Es gilt viel eher: „Beziehung ist Anerkennung von Unterschieden“ (Fritz Perls) – und dies ist sehr entspannend.

    Übrigens, nur das wir uns richtig verstehen:
    Nimm das, was Du tust ernst – aber Dich selbst nicht so wichtig!

    (Literatur und Quelle: „Entspannt Euch!“ von Michael Schmidt-Salomon, Piper 2019)

    Weiterlesen über die goldene Regel der Ethik >>>

    Langeweile

    Mit ständigem Pausenfüllen durch News und Smartphones verlieren wir hier im Westen auch noch die letzte Art unserer „Meditation“, die LANGEWEILE.

    Langeweile ist nicht unnütz. Der Mensch sollte seinem Gehirn auch tagsüber ein wenig Erholung gönnen. Denn wenn die Gedanken schweifen, entsteht manch gute Idee. Das menschliche Gehirn braucht Phasen der geistigen Abwesenheit, um gesund zu bleiben, zeigen auch medizinische Studien.

    Das mobile Internet und seine Benützung kann in die Isolation führen, weil man die Fähigkeit zum Alleinsein und zur „Langweile“ verliert. Erst das Alleinsein ermöglicht, sich selber zu finden und mit anderen eine Bindung einzugehen. Können wir das nicht, wenden wir uns den anderen zu, um uns nicht ängstigen, ja um uns überhaupt erst lebendig zu fühlen. Die anderen werden zu einer Art Ersatzteilager für das, was uns fehlt.

    Einer Generation, die Alleinsein als Vereinsamung erfährt, mangelt es an Autonomie. Diese zu entwickeln ist für Heranwachsende aber lebenswichtig.

    Was wir Langeweile nennen, ist wichtig für unsere Entwicklung. Es ist die Zeit der Imagination, in der man an nichts Bestimmtes denkt, seine Vorstellung wandern lässt. Ich erinnere mich daran, stundenlang in der Natur gesessen zu haben, ohne ein Buch, ohne irgendetwas. Ich habe aufs Wasser geschaut oder in die Berge, vor mich hingeträumt, war einfach Kind.

    Die Jungen schätzen ein Kommunikationsmedium, in dem man Verlegenheit und Unbeholfenheit ausblenden kann. Man zieht sich zurück, bevor man abgelehnt wird.
    Smartphones befriedigen drei Fantasien: dass wir uns immer sofort an jemanden wenden können, dass wir immer angehört werden und dass wir nie allein sind.

    Entspannungsmethoden

    Hier stelle ich Ihnen verschiedene einfache Methoden zu Entspannung vor, die leicht erlernbar, jederzeit verfügbar und sofort effektiv sind. Um eine länger andauernde Wirkung zu erzielen, müssen Sie jedoch zum festen Bestandteil der täglichen Routine werden. Es gibt natürlich noch weitere, sehr bewährte Entspannungsmethoden wie zum Beispiel autogenes Training, Tai Chi, Yoga, Feldenkrais und Rolfing. Im Rolfing lernen Sie zum Beispiel eine alltägliche Bewegung, die mit einer Entspannung des Körpers beginnt – und nicht mit einer Kontraktion (der Muskeln). Die Entspannung erfolgt auch durch Erlangen eines neuen Gleichgewichts mit schwingenden, katzenartigen Bewegungen mit minimaler Muskelaktivität und einem „Hängen im Bindegewebe“. Spüren von Gewicht, Dehnung und Stütze sind Leitlinien. Ökonomie also.
    Meditation ist eigentlich mehr als Entspannung – und trotzdem bespreche ich sie hier, da sie eine Weiterführung der einfachen Entspannungsmethode ist. An anderem Ort habe ich Vergleiche von Entspannung durch Kräftigung des parasympathischen Teils des Vegetativen Nervensystems oder „orientalisch“ betrachtet, durch Stärkung des Yin, angestellt ( parasympathikus/).
    Sogenannt „alltägliche“ Ärger, „kleine“ Sorgen, die meinen Inneren Frieden stören…
    Nicht was wir erleben, sondern wie wir wahrnehmen was wir erleben, macht unser Schicksal aus.
    All dies erfordert eine grosse Achtsamkeit für das Hier und Jetzt.

    Wald- oder Parkspaziergang (ohne Smartphone und Airpods)

    Wie wichtig regelmässige Bewegung in der Natur ist, hat bereits 2019 ein Forschungsteam der Universität Michigan in einer Studie bewiesen, die im Fachmagazin «Frontiers in Psychology»  veröffentlicht wurde. Das Besondere an diesen Erkenntnissen ist, dass schon bereits nach einem 20-minütigen Spaziergang der Stresspegel, und damit auch der erhöhte Kortisolspiegel, gesenkt wird. Im Rahmen der Studie wurden Stadtbewohner dazu aufgefordert, während acht Wochen mindestens dreimal pro Woche für mindestens zehn Minuten in die Natur zu gehen.
    Die Probanden mussten vor und nach dem Spaziergang jeweils Speichelproben abgeben. Der stressreduzierende Effekt war am grössten, wenn die Teilnehmer dreimal wöchentlich während 20 bis 30 Minuten im Wald unterwegs waren. Aber auch ein kurzer Spaziergang im Park hatte eine beruhigende Wirkung, Voraussetzung für den Erfolg war allerdings, dass man bei Tageslicht unterwegs ist und dass man weder ein Handy, noch sonstige elektronische Gadgets benutzt. Auch auf sportliche Betätigung sollte während der Studiendauer verzichtet werden.
    Was den positiven Effekt eines kurzen Spaziergangs betrifft, ging man lange davon aus, dass ein längerer Aufenthalt im Grünen nötig sei, um eine entspannende Wirkung zu erzielen. Dass es nur 20 bis 30 Minuten braucht, um diesen positiven Effekt zu erzielen, wird hoffentlich auch Couch-Potatoes motivieren, öfters frische Luft zu schnuppern.

    SOS-Übungen gegen den Stress

    Die Anspannung steigt. Sie werden hektisch. Der Rücken schmerzt. Diese Übungen helfen, Körper und Geist zu entspannen:

    • Erdung: Sich barfuss hinstellen. Füsse beckenbreit und parallel. Augen schliessen. Becken ganz sanft wie eine Schublade leicht nach hinten gleiten lassen – ohne Bauch- und Gesässmuskeln – nicht kippen. Bauchwand entspannen. Brustbein hängt frei und ist senkrecht. Schultern nicht nach oben ziehen, sondern locker auf den Oberkörper hinlegen (wie grosses Tuch) – Arme hängen in Schultergelenken. Der Kopf balanciert auf der Mittelachse durch die Ohren – wie eine Boje auf ruhigem Wasser.
    • Fäuste: Eine Kurzform der progressiven Muskelentspannung reicht meist: Legen Sie sich ins Bett, spannen Sie die Gesässmuskeln an, ballen Sie die Hände ganz fest zu Fäusten und drücken Sie den Kopf ins Kissen. Zählen Sie auf 30 und entspannen Sie dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederholen Sie etwa fünf bis sechs Mal. Hier finden Sie die erweiterte Form dieser Muskelentspannung >>>
    • Atmung: Eine Minute täglich die tiefe Bauchatmung machen. In dieser Minute atmet man sechsmal tief ein und wieder aus, so dass die Bauchdecke sich spürbar hebt und senkt – längere Aus- als Einatmung. Dies ausschliesslich durch die Nase.
    • Sprünge: Wer während eines langen Schreibtischtages schnell Dampf ablassen muss, kann sich ein Springseil zulegen. Seilspringen braucht wenig Platz und treibt den Puls schnell in die Höhe. Oder als Alternative (ohne zusätzliches Gerät) Treppen runter- und wieder hochlaufen, dabei zwei Stufen auf einmal nehmen.
    • Lachen: Im Stress neigen wir dazu, die Stirn in Falten zu legen und die Zähne aufeinander zubeissen. Im Lachen, das man sich auch selbst schenken kann, ist das Gesicht dagegen entspannt und man kommt innerlich zur Ruhe.
      Witze regen dazu an >>>

    Hier ein paar Methoden zu Entspannung:

    Progressive Muskelentspannung (nach Edmund Jacobson)

    Bei der progressiven Muskelentspannung werden verschiedene Muskelgruppen kräftig angespannt und dann ganz langsam wieder entspannt. Sie lässt sich sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause praktizieren. So gehen Sie vor: Beginnen Sie mit der rechten Hand und ballen Sie sie, so stark es geht, während fünf bis sieben Sekunden. Dann entspannen Sie ganz langsam, während zwanzig bis dreissig Sekunden. Konzentrieren Sie sich dabei voll und ganz auf die Empfindung in Hand und Unterarm. Denken Sie an gar nichts anderes und spüren Sie, wie sich die langsame Entspannung anfühlt. Als Nächstes nehmen Sie sich die linke Hand vor, dann die Stirn und so fort, wie in der Tabelle angegeben. Halten Sie die vorgegebenen Zeiten (fünf bis sieben Sekunden anspannen und zwanzig bis dreissig Sekunden entspannen) ein und lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit ganz auf die jeweilige Muskelgruppe. Das aufmerksame Spüren ist entscheidend.

    Ablauf für progressive Muskelentspannung
    anspannen durch:Muskelgruppe
    1)   zuerst die rechte und dann die linke Faust machenHand und Unterarm
    2)   Stirn runzelnStirnpartie
    3)   Zähne zusammenbeissen,Mundwinkel zurückziehenKiefermuskulatur
    4)   Kinn auf Brust pressenNacken und Hals
    5)   zuerst die rechte und dann die linke Fussspitze gegen das Knie ziehenFuss und Unterschenkel

      Eine Kurzform davon ist häufig auch sehr wirksam: Legen Sie sich ins Bett, spannen Sie die Gesässmuskeln an, ballen Sie die Hände ganz fest zu Fäusten und drücken Sie den Kopf ins Kissen. Zählen Sie auf 30 und entspannen Sie dann alle Muskeln wieder. Das Ganze wiederholen Sie etwa fünf bis sechs Mal. Lesen Sie hier noch Weiteres zur „Ruhe als Heilmittel“!

    4/7 oder 7/11-Atmung

    Um zwischendurch zur Ruhe zu kommen, hilft diese Atmung. Sie wird auch von Ersthelfern benutzt, um sich selber und andere in Notsituationen zu beruhigen, und geht so: Augen schliessen, durch die Nase einatmen und dabei bis sieben (oder vier) zählen. Dann ausatmen und bis elf (oder 7) zählen. Wenn wir das Ausatmen länger machen als das Einatmen, beruhigt sich unser Nervensystem und ermöglicht es uns, eine Verbindung zum gegenwärtigen Moment herzustellen, an dem wir sonst vielleicht vorbei gehetzt wären.

    Voraussetzung für gutes Atmen sind immer gut durchgängige Nasengänge:
    Nasenatmung provozieren – Mundatmung verhindern:
    vor allem nachts (hilft auch gegen das Schnarchen):
    Mund mit kleinem, Briefmarkengrossen Stück chirurgischem Gewebeband, das man vor dem Einschlafen auf die Mitte des Lippenspalts geklebt hat. Man gewöhnt sich nur langsam daran (deshalb in erster Nacht vielleicht nur 30 Minuten, dann 60, usw…).
    Tagsüber (vor allem während Sport) ist das Nasenatmen eine Bewusstseinsübung. Ein Mensch mit chronisch verstopfter Nase sollte erreichen, dass er schlussendlich ausschliesslich mit geschlossenem Mund, nur noch durch die Nase atmen kann!

    Weitere Atemübungen in meinem Blog: walserblog.ch/2019/09/21/atem

    Neurogenes Zittern

    Man geht in eine Körperhaltung, die für unser Hirn schwer zu kontrollieren ist. Nach kurzer Zeit lässt dann die Kontrolle über unsere Muskulatur nach und wir beginnen unwillkürlich zu Zittern. Dies lässt man ganz zu – und entspannt sich dabei enorm. Eine einfache Stellung dazu, ist, sich auf den Rücken und die Fusssohlen zusammen zu legen. Man lässt die Knie seitlich auseinanderfallen und hebt das Becken ein paar Zentimeter vom Boden ab. Langsam beginnt dann unweigerlich ein leichtes Zittern in Beinen und Bauch, das sich langsam auf den ganzen Körper ausbreiten kann. Falls das Neurogene Zittern noch nicht beginnt, kann man die Stellung verstärken, indem man die Knie etwas mehr zusammenbringt. Wenn das Zittern erfolgt, kann man das Becken auch wieder auf den Boden auflegen. Es zittert dann meist auch weiter. Man lässt dies geschehen und verstärkt die dabei entstehende Entspannung mit tiefem Atmen.

    Die Freeze Frame Methode

    Diese Methode beruht darauf, die anspannende Situation bewusst wahrzunehmen und sie – gleichsam in den Wahrnehmungsrahmen eingefroren – aus Distanz zu betrachten und durch Atmung zu beruhigen. Die drei Schritte des Freeze Frame sind die folgenden: Schritt 1 – Anspannung erkennen und Wahrnehmung »einfrieren« Wenn Sie merken, dass Sie eine Situation stresst, nehmen Sie den Stress ganz bewusst wahr. Spüren Sie das unangenehme Gefühl und halten Sie es aufrecht, wie wenn Sie einen Film anhalten und so eine Szene einfrieren würden. Distanzieren Sie sich dann von der »eingefrorenen« Wahrnehmung und stellen Sie sich das Bild mit dem irregulären Herzrhythmus vor. Schritt 2 – Durch das Herz atmen Wechseln Sie dann zum Bild mit der kohärenten Schwingung. Durch langsames Ein- und Ausatmen bringen Sie Ihr Herz zurück in diesen regelmässigen Rhythmus: Holen Sie langsam während fünf Sekunden Luft und stellen Sie sich dabei vor, Sie würden durchs Herz einatmen. Dann halten Sie Ihre Hand auf den Solarplexus – die Stelle zwischen Bauchnabel und Brustkorb – und atmen langsam während fünf Sekunden aus. Stellen Sie sich dabei vor, wie der Herzrhythmus durch die langsame Atmung moduliert wird und zurück zur regelmässigen Schwingung findet. Schritt 3 – Ein positives Bild visualisieren Während Sie weiter während fünf Sekunden ein- und während fünf Sekunden ausatmen, stellen Sie sich nun eine entspannte Szene vor – was immer Ihnen am besten gefällt. Verwenden Sie dasselbe Bild immer und immer wieder, bis Sie eine Konditionierung erreichen und das beruhigende Bild ganz automatisch beim bewussten, langsamen Atmen kommt. Mit zunehmender Praxis werden diese drei Schritte automatisiert. Ohne ausdauerndes Training geht es jedoch nicht. Üben Sie den Freeze Frame zum Beispiel zunächst, wenn Sie abends nach Hause kommen. Später können Sie die Methode auch am Arbeitsplatz einsetzen.

    Stopping – Innehalten

    Stopping bedeutet, innezuhalten und sich gedanklich eine kurze Auszeit zu nehmen, um zu sich selber zu kommen und sich an das zu erinnern, was einem im Leben wichtig ist. Im Verlauf eines Tages gibt es unzählige Gelegenheiten fürs Stopping: beim Warten, bis der Kaffee aufgebrüht ist, vor der Ampel, beim Hochfahren des Computers, beim Sandwichlunch auf der Parkbank, in der Strassenbahn oder beim Rasenmähen. Was Sie beim Stopping tun, ist einfach: Sie klinken sich mit einigen bewussten, ruhigen Atemzügen aus Ihrer Aktivität gänzlich aus und richten Ihre Aufmerksamkeit ganz bewusst nach innen. Besinnen Sie sich dann zum Beispiel:

    • auf Ihre Dankbarkeit, dass Sie gesund sind
    • darauf, dass Ihnen eine bestimmte Beziehung viel bedeutet
    • darauf, was Ihnen lieb und teuer ist im Leben
    • auf etwas, worauf Sie sich freuen können
    • darauf, dass Sie sich selber wieder einmal ein Kompliment machen oder irgendetwas tun sollen, das Ihrer Seele gut tut.

    Ein derartiger Stopp kann bloss ein paar Sekunden dauern oder sich über einige Minuten oder eine Viertelstunde erstrecken. Er entspannt Körper und Geist und tut der Seele wohl. Denn wenn wir uns besinnen, tauchen wir von der Oberfläche in die Tiefe, wo wir auf die Dinge stossen, die für unser Dasein wirklich von Bedeutung sind. Wenn Sie zehn bis fünfzehn Stopps auf einen intensiven Tag verteilen, werden Sie einen kumulativen Effekt spüren: Diese Ruhepunkte unterbrechen den steten Aufbau der Anspannung und halten Sie so vergleichsweise tief. Damit Sie an die Stoppings denken, gilt es, sie in regelmässig wiederkehrende Situationen einzuplanen: bevor Sie etwas beginnen, bei Wartezeiten oder beim Treppensteigen. Sie können zu Beginn auch einen Timer benützen, der Sie immer wieder erinnert. Ein Kleber an der Agenda oder am Notizblock kann ebenfalls hilfreich sein, ebenso Ihr Journal, das mithilft, Ihre Wachsamkeit zu erhöhen und Ihre Vorsätze einzuhalten. Das Mantra (auf dem Kleber) könnte „WAM“ heissen: „Wait a Moment!“ (die Zeit ist gekommen, inne zu halten, zu atmen und mir ein Lächeln zu schenken. Genug “erschaffen” , “Einfach Sein”. Die Natur und unsere Kinder/Enkel sind unsere Lehrer…).

    Mit Blaulicht zur Entspannung

    Sorgen Sie in einem ruhigen Raum für eine blaue Beleuchtung und legen Sie sich dann für zehn Minuten entspannt hin! Dies wirkt enorm viel stärker als bei Weisslicht. Aber Achtung: Blaulicht in der letzten Stunde vor dem Einschlafen abends (z.B. vom Smartphone oder Computer!) verhindert das Ausschütten des Einschlafhormons Melatonin und man liegt länger wach.

    Mobiles Internet (Smartphones, Tablets) und Alleinsein oder Langeweile

    Das Zücken des Smartphones  in jeder Pause, in der Langeweile aufkommen könnte, kann in die Isolation führen, weil man die Fähigkeit zum Alleinsein verliert. Erst das Alleinsein ermöglicht es, sich selber zu finden und mit anderen eine Bindung einzugehen. Können wir das nicht, wenden wir uns den anderen zu, um uns nicht ängstigen, ja um uns überhaupt erst lebendig zu fühlen. Die anderen werden zu einer Art Ersatzteillager für das, was uns fehlt. Einer Generation, die Alleinsein als Vereinsamung erfährt, mangelt es an Autonomie. Diese zu entwickeln ist für Heranwachsende aber lebenswichtig. Was wir Langeweile nennen, ist wichtig für unsere Entwicklung. Es ist die Zeit der Imagination, in der man an nichts Bestimmtes denkt, seine Vorstellung wandern lässt. Ich erinnere mich daran, stundenlang in der Natur gesessen zu haben, ohne ein Buch, ohne irgendetwas. Ich habe aufs Wasser geschaut oder in die Berge, vor mich hingeträumt, war einfach Kind. Das menschliche Gehirn braucht die Langeweile – Neurologen sprechen vom „Default Mode Network“ und meinen damit einen freischwebenden Leerlaufmodus, in dem Gedanken ziellos umherschweifen können. Es entstehen Denkpausen, in denen das Gehirn Eindrücke verarbeitet, es also gewissermassen geistig verdaut. Die Jungen schätzen ein Kommunikationsmedium, in dem man Verlegenheit und Unbeholfenheit ausblenden kann. Man zieht sich zurück, bevor man abgelehnt wird. Smartphones befriedigen drei Fantasien: dass wir uns immer sofort an jemanden wenden können, dass wir immer angehört werden und dass wir nie allein sind. Und: Wir leben in einer Kultur des gesenkten Blickes: Smartphone, Laptop, Touchscreen… Es tut uns sehr gut, den Blick wieder zu heben! Schauen Sie wieder in Sonnenuntergänge. Sie fesseln die Blicke. Man bleibt stehen, der Blick ist offen, nicht-fixiert, gehoben auf den Horizont gerichtet: Man kommt zur Ruhe! Wie komm ich von dieser Dauernutzung des Smartphones weg?! Versuchen Sie es mit einer Smartphone-Diät:

    So können Sie den Smartphone-Stress reduzieren

    • Schalten Sie alle Benachrichtigungen (Pushes, Mitteilungen) aus die Sie nicht zwingend brauchen.
    • Verbannen Sie jene Apps vom Homescreen, die sie am meisten stressen oder löschen Sie diese am besten gleich.
    • Nehmen Sie regelmässig digitale Auszeiten: Legen Sie das Smartphone beim Essen weg, lassen Sie es während einer Wanderung im Rucksack, oder versuchen Sie gar, mal 24 Stunden ganz auf das Handy zu verzichten.
    • Erklären Sie das Schlafzimmer zur handyfreien Zone.
    • Finden Sie heraus, mit welchen Apps Sie am meisten Zeit verbringen und versuchen Sie gezielt, dort zu reduzieren.
    >>> aus der Sonntagszeitung vom 12.05.2019

    Die meisten Menschen würden eigentlich lieber weniger Zeit mit ihrem Smartphone verbringen. Eigentlich. Und das wäre auch eine gute Idee, denn die Hinweise mehren sich, dass der Smartphone-­Gebrauch eine ganze Palette negativer Folgen haben kann: Eine exzessive Handynutzung beeinträchtigt den Schlaf, die Beziehung, das Gedächtnis, die Aufmerksamkeitsspanne, die Kreativität, die Produktivität sowie die Fähigkeiten, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Es gibt indes noch einen weiteren Grund, die Beziehung zu den Geräten zu überdenken. Indem sie die Spiegel des Stresshormons Cortisol chronisch anheben, bedrohen die Handys nämlich die Gesundheit generell und verkürzen möglicherweise sogar das Leben.
    Weiterlesen in meinem Blog >

    Inner Smile

    Der Mönch Thich Nhat Hanh hat einmal geschrieben: »Die beste Methode, alle Muskeln des Körpers zu entspannen, besteht darin, beim Atmen sanft zu lächeln.« Lächeln oder lachen führt zur Ausschüttung von Hormonen, die die Stimmung heben und Körper und Geist entspannen. Dies nutzt die Methode des Inner Smile. So gehen Sie vor: Lächeln Sie zunächst einfach einmal still für sich selbst, sowohl mit dem Mund als auch mit den Augen. Vielleicht stellen Sie sich dabei eine heitere Situation vor, zum Beispiel Ihr Spiel mit einem jungen Hund. Vertiefen Sie dabei auch Ihre Atmung und beachten Sie, wie sich beim Lächeln Zuversicht und Stimmung heben. Da Sie nicht ewig vor sich hin lächeln können, versuchen Sie nach einer Weile, das Lächeln zu verinnerlichen und die gute Stimmung zu halten. Üben Sie den Inner Smile, wo immer es geht: vor einem Telefongespräch, beim Schlangenstehen, im Strassenverkehr oder im Supermarkt, beim Kochen, am Feierabend, bei der Arbeit oder vor einer Sitzung. Mit etwas Übung werden Sie die heitere Stimmung und die damit gekoppelte positive Aktivierung auch für weniger geliebte Tätigkeiten aufrechterhalten können. Es wird Sie entspannen. Der Inner Smile lässt sich auch gut ins Stopping oder in die Freeze Frame Methode einbauen. Und wie bei diesen Methoden ist auch beim Inner Smile ein kumulativer Effekt zu beobachten. Je häufiger Sie ganz bewusst lächeln, umso besser ist seine stimmungshebende und entspannende Wirkung. Rolling Hier noch eine wunderbare und einfache Übung zur tiefen Relaxation: das Hin- und Herrollen von Mary Bond (Relaxing in the Dentist`s Chair) – auch vor und nach weiteren unangenehmen, verspannenden Alltagssituationen…

    (Copyright bei der Cartoonistin¢)

    Meditation

    Meditation bedeutet „Nicht-Tun“! Man kann sie nicht durch konzentriertes Tun erreichen. Aber damit ist nicht gemeint, dass du nichts zu tun bräuchtest. Um zu diesem „Nicht-Tun“ zu kommen, muss man sehr viel tun. Nichttun (ohne S) ist dabei aktiv – und Nichtstun wäre passiv.
    Meditation heisst die Aufmerksamkeit ganz sanft, aber sehr präzise immer wieder in den Moment zurückzubringen. Dann loslassen und im Erleben der Bewusstheit selbst verweilen. Nach ein paar Sekunden von neuen Gedanken weggetragen werden. Sich erinnern, zurückkehren in den Moment. usw…
    Matthieu Ricard meint in „Jenseits des Selbst: Dialoge zwischen einem Hirnforscher und einem buddhistischen Mönch„: „Wir sollten das naive Bild von der Meditation korrigieren, das im Westen immer noch vorherrscht, nämlich dass da jemand sitzt, seinen Geist leert und entspannt. Natürlich gibt es ein entspannendes Element, in dem Sinn, dass man innere Konflikte los wird und inneren Frieden pflegt, indem man sich selbst von Spannungen befreit. Das Leeren des Geistes geschieht in dem Sinn, dass man seinen mentalen Konstrukten oder dem linearen Denken nicht weiter nachgeht und in der klaren Frische des gegenwärtigen Augenblicks verweilt. Aber es handelt sich weder um ein »Leeren« noch um eine geistlose Entspannung, sondern vielmehr um einen Zustand lebhafter Bewusstheit, der viel mehr beinhaltet. Man versucht auch nicht, die aufkommenden Gedanken zu verhindern, was unmöglich ist, sondern man versucht, sie zu befreien, während sie noch im Entstehen begriffen sind.“

    Meditation, das „passive Bewusstsein“, erlebt in jüngster Zeit einen regelrechten Forschungsboom mit folgenden Ergebnissen:

    • Meditation erhöht Wachheit, Klarheit und Achtsamkeit. Das Hirn reagiert weniger auf „unwichtige“ Reize.
    • Menschen, die meditieren können nach kurzer Zeit offenbar besser mit Stress umgehen.
    • Ihr Immunsystem wurde gestärkt.
    • Forscher fanden in einer Hirnregion, dem orbifrontalen Kortex, durchgängig mehr graue Zellen bei Meditierenden als bei anderen. Der orbifrontale Kortex ist das sog. Brodmann-Areal 10 des präfrontalen Kortex (siehe Abb.) und ist für die Selbsterkenntnis zuständig. Der präfrontale Kortex ist die Kommandozentrale für höhere kognitive Funktionen. Deshalb ist das Erlernen und Ausüben von Meditationen eine wunderbare Prophylaxe gegen den Ausbruch einer Demenz >>>
    • Meditieren verbessert auch das zwischenmenschliche Miteinander. Man verhält sich danach freundlicher zu Unbekannten und reagiert weniger misstrauisch als andere. Das Mitgefühl kann sich steigern.
      .
    • Nach Scharfetter (1987) ist eine gelungene Meditation durch folgende Erfahrungsqualitäten bestimmt:
      – Entspannung, Ruhe und Gelassenheit
      – Erhöhte Stresstoleranz
      – Aktivität und Wachheit
      – Selbsterfahrung (Identität, Integrität, Akzeptanz)
      – Autonomie, Unabhängigkeit
      – Geringerer Druck zur Defensive
      – Grössere Stimmungsstabilität und Affektkontrolle
      – Harmonische, heitere Gelassenheit und Zufriedenheit
      – Verbesserte Wahrnehmung und Konzentration
      – Erhöhter Einfallsreichtum, Leistungsfähigkeit, Kreativität
      – Verbesserte Beziehungsfähigkeit
      – Liebe, Mitgefühl, Mitfreude, innerer Gleichmut, Frieden

    Seit die Wirkung der Meditation mit bildgebenden Verfahren erforscht wird, sind die Wissenschaftler wie elektrisiert. Bislang war sie behaftet mit dem Bild von Mönchen und Nonnen, die in Klöstern einen kontemplativen Lebenswandel führten – oder mit asketischen Yogis, tief versunken im Lotossitz. Meditation macht nicht nur den Geist frei. Die revolutionäre neue Erkenntnis ist, dass sich auch Gehirnfunktionen und selbst die Gehirnanatomie durch Meditation zum Positiven beeinflussen lassen. Die innere Einkehr kann die Art und Weise, wie wir mit Stress, mit Schmerzen, mit seelischen und körperlichen Problemen, mit uns selbst und anderen umgehen, radikal verändern.

    Eine wunderbar bebilderte Zusammenfassung von verschiedenen Aspekten der Meditation finden Sie hier: www.dr-walser.ch/meditation.pdf

    Kritische Sicht auf die allgegenwärtige Achtsamkeit und alltäglich praktizierte Meditation

    Achtsamkeit (Mindfulness-Konzepte) und Meditation können narzisstisch machen und die Welt vom Denken abhalten. Es kann als „Tranquilizer“ (siehe Interview mit Oxford-Professor Theodore Zeldin) wirken und damit keine sozialen Probleme lösen, die meist die eigentlichen Ursachen von Angst und Stress sind.
    Es ist also wichtig, dass man diese Entspannungsdinge auf dieser Seite ausübt UND TROTZDEM HINAUSGEHT IN DIE WELT, UM SIE ZU VERBESSERN!
    Viel hilft viel, das mag für Sonnencremes gelten, aber nicht für den Hype „Achtsamkeit“! Vielmehr kann zu häufiges oder zu lang andauerndes Training negative Effekte haben (Willoughby B. Britton: Can mindfulness be too much of a good thing? The value of a middle way. Current Opinion in Psychology, 2018. DOI: 10.1016/j.copsyc.2018.12.011).

    Die dabei auftretende Selbstfokussierung kann Ängste und Depressionen nach sich ziehen. Man sieht hier ein interessantes Phänomen (wie häufig bei Medikamenten auch), dass Nebenwirkungen ähnliche Bilder wie die Indikationsdiagnose selbst produzieren kann.
    Achtsamkeitstraining (im Hier und Jetzt sein) wird denn auch bei Ängsten als Therapie genutzt.
    Auch bei Gefühlen von Dankbarkeit, Empathie oder Autonomie gibt es ein Zuviel! Auch hier gilt also „Alles mit Mass!“, was schon im Fries vom altgriechischen Tempel zu Delhi stand… Auch Fabrice Midal („Die innere Ruhe kann mich mal“, 2018) warnt vor der Meditation als Teil einer heute so häufigen Selbstoptimierung und Perfektionieren. „…am Ende meditiert man nur wirklich, wenn man sich freimacht von dem Diktat, etwas zu erreichen zu müssen, etwas in Gang zu setzen, ein Ziel zu verwirklichen.“ Seelenfrieden entsteht erst durch das „Transformieren der Widrigkeiten des realen Lebens“.

    Anstelle von Optimierung durch die Meditation, kann man sich durch sie berühren lassen. Die Resonanz in mir wird dadurch zur treibenden Kraft.

    Die entspannungsinduzierte Angst

    Zudem existiert gerade bei Ängstlichen eine Furcht, sich zu entspannen. Dies hat auch schon einen Namen: „Relaxation Induced Anxiety„. Es ist eine eigentliche Furcht vor dem emotionalen Kontrast, die Angst im emotionalen Zustand einen Angstzustand noch extremer zu erleben, als wenn man bereits verkrampft und verspannt ist.

    Copyright Psychologie_Heute¢

    Alles mit Mass: Der Hype mit der Achtsamkeit und der Meditation

    Die Achtsamkeit wird heute vermarktet als Gegenmittel gegen die achtlose Schnelllebigkeit. Meist wird aber wieder eine schnelllebige dreiminütige Drive-In-Meditation, ein eigentliches McMindfulness beworben. Sie ist selbst Teil der Beschleunigung- und Selbstoptimierungskultur geworden. Ursprünglich war die Meditation im Buddhismus aber ein ethisches Konzept, das eine von Mitgefühl und Toleranz geprägte Haltung umfasste. Im Westen wird Achtsamkeit aber in erster Linie auf Entspannung und Konzentration reduziert. Sie ist idealerweise die Praxis, sich allen Erfahrungen in wohlwollender Offenheit zuzuwenden und sie zu erkunden. Dabei ist es unwichtig, ob es sich um angenehme, unangenehme oder neutrale Erlebnisse handelt. Manchmal mag diese Praxis zur Entspannung führen, sie führt aber vor allem dazu, toleranter mit den unvermeidbaren und nicht kontrollierbaren Ereignissen umzugehen, die unser Leben so oft bestimmen.

    (aus einem interview mit Luise Reddemann in Psychologie Heute, 02/2017)

    Wie also „etwas ernsthafter“, aber mit Mass einsteigen?

    Suchen Sie z.B. am Wohnort einen Kurs in „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ (MBSR = Mindfulness-Based Stress Reduction nach Jon Kabat-Zinn). In diesen (meist) acht Wochen hat man dann schon einen Rahmen, lernt andere Menschen kennen und kann vielleicht eine eigene lokale Übungsgruppe bilden. Beim MBSR meditiert man zum Beispiel indem sie ihren Atem beobachten. Sie üben Yoga. Beim „Body Scan“ nehmen sie systematisch wahr, was sie an verschiedenen Körperstellen empfinden, bewerten es aber nicht. Ferner setzen sie sich damit auseinander, was Stress bewirkt und wie man ihm vorbeugen kann.
    In dieser Website habe ich verschiedene Meditationsmethoden vorgestellt:
    – bei Schmerzen: dr-walser.ch/schmerz/
    – gleich hier etwas weiter unten: eine Atemmeditation.
    – Bewegungsmeditation zur Zentrierung: dr-walser.ch/gleichgewicht/

    Den Bäumen zuhören

    „Wenn wir gelernt haben, den Bäumen zuzuhören, dann erreicht die Kürze und die Schnelligkeit und die kindliche Hastigkeit unserer Gedanken eine unvergleichliche Freude. Wer gelernt hat, den Bäumen zuzuhören, der will kein Baum mehr sein. Er will nichts anderes sein als das, was er ist. Das ist Heimat. Das ist das Glück.“ ~ Hermann Hesse

    Auf Bäume hören, eine wunderbare Meditationsanleitung. Das Ego wird sagen: „Den Bäumen zuhören? Du hörst doch auf nichts!“ Eben. Das ist der Punkt. Die Stille der Bäume ist der Klang der Weisheit. Ich werde lernen, den Bäumen zuzuhören, indem ich in meinem Geist Raum schaffe. Und wenn ich schon dabei bin, lerne ich, den Felsen, den Blumen und dem Wind zuzuhören. Das ist Heimat!

    Vipassana

    Die historisch erste Verwendung des Wortes „Vipassana“ findet sich in den Lehren des Buddha. Meditation wurde vom „Buddha „Vipassana“ genannt. Mit Vipassana meinte er, sich selbst realistisch, kontinuierlich und allumfassend zu beobachten. Es gibt unterdessen sehr viel Zentren, die in 5- oder 10-Tage-Kursen diese einfache Meditationstechnik (ruhig sitzen und Atem oder Körperempfindungen durchscannen) kostenlos weitergeben. Paul R. Fleischmann hat darüber eindrücklich geschrieben >>> vipassana.pdf

    Angst und Entspannung

    „Hören Sie auf, sich die Szene vorzustellen – und entspannen Sie sich!“ (Joseph Wolpe). Hintergrund: Wer entspannt ist, kann nicht zugleich Angst empfinden – d.h., Menschen können nicht zwei entgegengesetzte Gefühle gleichzeitig fühlen. Also: Wer Tiefenentspannung als konditionierte Reaktion auf ein gefürchtetes Objekt erlernt hat, kann nicht zur selben Zeit Angst empfinden! Man beachte aber die Einschränkung durch die entspannungsinduzierte Angst, die gerade bei ängstlichen Menschen auftreten kann.

    Zudem können wir in der Meditation Gefühle, vor allem die unangenehmen, wie Angst, Wut und (übermässige) Trauer genau gleich behandeln, wie Gedanken. Gedanken lassen wir wie Vögel vorbeiziehen. Sie kommen permanent wieder, aber wir lassen sie nicht auf/in unserem Kopf ihr Nest bauen. Und hinter den Vögel oder Wolken (je nach favorisierter Vorstellung) liegt immer der blaue Himmel.
    Genau so behandeln wir die ständig auftauchenden Gefühle: Ängste und Wut stellen wir uns als krähende, aggressive Vögel (Raben, Elstern…) oder dunkle Wolken vor – die wir aber auch einfach weiterziehen lassen bis wir den blauen Himmel wieder sehen.
    Leichtere und auch angenehme Gedanken oder Gefühle sind wie Gekräusel durch den Wind auf der Wasseroberfläche. Wenn dann der Wind wieder nachlässt, wird der See/das Meer ruhig und glatt – und unser Ego wird wieder ein Teil des grossen Ganzen…

    Glück im Leben

    Wir halten Glück für etwas Zufälliges, was ich nicht ganz zutreffend finde. Glück hat mit Wachsamkeit zu tun, mit dem Bemerken der Gelegenheiten, die sich einem bieten – also mit dem bewussten Leben der Übergänge und dem Wahrnehmen der vielen Zwischenräume im Alltag (also auch dieser alltäglichen Meditationspausen >> siehe dazu meinen Blogbeitrag: walserblog.ch/2015/05/04/uebergaenge-zwischenraeume/
    Man kann dem eigenen Glück nachhelfen – wenn man sich nicht auf einen Standpunkt versteift, sondern beweglich, offen und weit bleibt.

    Und… Sinn toppt Glück!

    Alles ist jederzeit FÜR mich

    Zufriedenheit ist eben doch mehr als die Summe der täglichen Wohlfühlmomente. Wahres Glück besteht nicht darin, ständig und überall „gut drauf“ zu sein. Glück ist ein Einverstandensein mit dem Leben, das „auch das Unglück mit umfasst“, wie es der Philosoph Wilhelm Schmid ausdrückt. „Wenn wir überlegen, was das Allerbeste und das Allerschlimmste war, das uns in den letzten Jahren widerfahren ist“, schreibt die Glücksforscherin Sonja Lyubomirsky, „dann werden wir überrascht feststellen, dass es oft ein und dasselbe ist.“
    Wenn ich „Vertrauen“ entwickle, dass alles zu jeder Zeit FÜR mich ist. Dass auch das grösste Unglück, unser Schicksal ein „Geschenk“ enthält – und nur mein Urteil, meine Wahrnehmung davon wichtig ist. Diese Gedanken und Gefühle sind abhängig von meinen Glaubenssätzen, die ich mit mir herumtrage, aber auch jederzeit wandelbar mit dem Stellen der Frage „Wozu ist das gut?„. Es stellt sich schlussendlich eine tiefe Dankbarkeit ein, für das, was ist. Pema Chödrön, eine buddhistische Nonne und Schriftstellerin:
    Nichts verschwindet jemals, bevor es uns nicht gelehrt hat, was wir wissen müssen.

    Weiterlesen zum Wohlbefinden durch Kindness: walserblog.ch/2021/01/16/kindness/

    Die Verschmelzung mit unseren Gedanken auflösen

    Übungen aus der AKZEPTANZ- UND COMMITMENTTHERAPIE (ACT)

    Immer öfter wird in neueren Psychotherapieformen (und schon lange Zeit z.B. im Zen-Buddhismus) nicht mehr der Inhalt der Gedanken als das eigentliche Problem betrachtet, sondern die Art und Weise, wie wir mit unseren Gedanken umgehen und nach welchen Prinzipien unser Verstand funktioniert. Nicht was wir denken ist das Problem, sondern wie wir unsere Gedanken beurteilen.

    Eine der wissenschaftlich am besten untersuchten Methoden ist die sogenannte Acceptance and Commitment Therapy, kurz ACT genannt. Sie zielt unter anderem darauf ab, gegen Gedanken nicht länger zu kämpfen, sondern sie als das zu erkennen, was sie sind: Gedanken, einfach nur Gedanken. Die wesentlichen Kognitionen und deren Wirkung werden erfasst, aber es wird kaum am Inhalt der Gedanken gearbeitet, sondern vielmehr an der gleichmütigen Beobachtung der Gedanken, im Wissen, dass es ja nur Gedanken sind.
    „Kognitive Fusion“ nennt ACT die seltsame Angewohnheit, jeden Gedanken für wahr zu halten. Die ACT kennt zahlreiche Methoden, die uns helfen, uns von unserem Gedankenstrom zu distanzieren.

    Viele dieser Methoden sind amüsant und oft unerwartet: Gedanken vorbeiziehen lassen Setzen Sie sich an einen ruhigen Ort, schliessen Sie die Augen und beobachten Sie Ihre Gedanken. Dabei können Sie sich vorstellen, dass Ihre Gedanken wie ein Zug an Ihnen vorbeifahren – auf jedem Waggon ein Gedanken. Sie können sich alternativ auch vorbeiziehende Wolken, Vögel oder Blätter, die auf einem Fluss dahinschwimmen vorstellen.

    Atemmeditation von Peter Schröter >>>

    Die „Denkfabrik“ als eigenständiges Wesen wahrnehmen – der Innere Beobachter Meditation ist Gedanken sparen.
    In unserem Verstand haben wir zwei Teile, einen inneren Beobachter und einen Denker. Jedermann ist fähig, seine Gedanken zu beobachten und ihnen zu folgen. Dieser beobachtende Teil unseres Verstandes identifiziert sich nicht mit den Gedanken, er wird nicht von den Gedanken mitgerissen. Er leitet uns im Labyrinth der Gedanken, aber im normalen, unkontrollierten Verstand ist er sehr schwach. Manchmal wird er wach und versucht an Kraft zu gewinnen, aber der andere Teil, der Denker, die Gedankenfabrik, unterdrückt ihn wieder in Sekundenschnelle. Wenn wir meditieren sind wir Beobachter im Verstand. In diesem Fall wird das Laufband der Gedankenfabrik verlangsamt bzw. stillgelegt. So lässt die Überproduktion der Fabrik nach. Der Verstand wird stiller. Stellen Sie sich vom Standpunkt des „Inneren Beobachters“ aus Ihre „Denkfabrik“ als plappernden Papagei vor. Papageien können nicht wirklich selbst denken, sondern plappern lediglich nach, was sie irgendwann aufgeschnappt haben. Jede Diskussion mit dem Papagei ist überflüssig. Wenn Sie antworten, glaubt er, dass Sie mit ihm spielen wollen, und redet nur noch mehr. Geben Sie Ihrem Geist ruhig auch einen Namen wie etwa „Köpfchen, Köpfchen“, „Der kleine Nörgler“, „Affenzirkus“. So fällt es leichter, die Gedanken als Verstandsproduktionen zu verstehen.
    (Weiterlesen >>> Achtsamkeitsmeditation)

    „Und“ statt „aber“
    Oft halten uns Gedanken davon ab, etwas zu tun. Beispielsweise würde jemand gerne auf eine Party gehen, hat aber den Gedanken: „Ich würde gerne auf die Party gehen, aber ich habe Angst, weil ich dort so viele Leute nicht kenne.“ Das „aber“ bewirkt in der Regel eine Handlung, nämlich zu Hause zu bleiben. Wenn Sie nun aus dem „aber“ ein „und“ machen, merken Sie, dass Sie Ihrem Gedanken gar nicht folgen müssen: „Ich würde gerne auf die Party gehen, und ich habe Angst, weil ich dort so viele Leute nicht kenne.“ Nun können Sie mit Lust und Angst auf die Party gehen.

    Gedanken als Gedanken benennen
    Es ist leichter, Gedanken nicht mehr als Wahrheit zu verstehen, wenn man sie bewusst als Gedanken benennt. Sie können es sich angewöhnen zu sagen: „Ich habe den Gedanken, dass ich unzuverlässig bin“, statt: „Ich bin unzuverlässig.“ Übernehmen Sie Verantwortung.(teilweise zitiert aus Andreas Knuf, „Ruhe da oben!“ und Psychologie Heute,  4 / 2011)

    Eine schöne Zusammenfassung von S.W. über die ACT habe ich hier angefügt >>> ACT.PDF

    Danke Doris und Peter für die Anregungen

    ACHTSAMKEIT: Nur das beachten, was gerade ist

    Eine der wirksamsten Möglichkeiten, um emotionale Erregung und daraus folgendes Grübeln in den Griff zu bekommen, bietet die Achtsamkeitsmeditation. Bei dieser Form des Geistestraining geht es darum, die eigenen Gedanken, Gefühle und Empfindungen von Augenblick zu Augenblick urteilsfrei zu beobachten. Man betrachtet sie einfach als das, was sie sind: Gedanken, Gefühle, Empfindungen. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir dies erlernen, durchbrechen wir damit die Assoziationskette, die jeder einzelne Gedanke normalerweise auslöst: „Ich muss endlich aufhören, ständig über die Arbeit nachzugrübeln“ wird zu: „Interessant, eben ist ein Gedanke an meine Jobprobleme in mir aufgestiegen.“ Wann immer diese Feststellungen doch wieder in Bewertungen münden („Ich sollte mit der Fertigstellung des Projekts wirklich nicht bis zwei Minuten vor Terminschluss warten!“), versucht man, zum Prozess des reinen Beobachtens zurückzukehren.

    Eine sehr nützliche Anleitung dazu liefert die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, Mindfulness-Based Stress ReductionMBSR ist ein von dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn in den späten 1970er Jahren in den USA entwickeltes Programm zur Stressbewältigung durch gezielte Lenkung von Aufmerksamkeit und durch Entwicklung, Einübung und Stabilisierung erweiterter Achtsamkeit. Sie ist eine weltanschauungsneutrale Methode, die mittlerweile in zahlreichen medizinischen Einrichtungen angeboten wird. Wenn Sie diese Methode ausprobieren möchten, können Sie mit folgender Atemübung beginnen:

    • Wählen Sie eine Tageszeit, zu der Sie besonders wach und aufmerksam sind.
    • Setzen Sie sich mit geradem Rücken auf den Boden oder einen Stuhl, entspannt, aber aufrecht, in einer Haltung, in der Sie nicht schläfrig werden.
    • Konzentrieren Sie sich nun auf Ihren Atem, auf die Empfindungen, die er in Ihrem Körper auslöst. Achten Sie darauf, wie sich Ihre Bauchdecke mit jedem Einatmen hebt und mit jedem Ausatmen wieder senkt.
    • Konzentrieren Sie sich auf Ihre Nasenlöcher und achten Sie auf die unterschiedlichsten Empfindungen, während der Atem ein- und wieder ausströmt.
    • Wenn Sie merken, dass Ihre Gedanken abschweifen oder Gefühle in Ihnen auftauchen, kehren Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit einfach zum Atem zurück.

    Sobald Sie das Gefühl haben, das achtsame Atmen zu beherrschen, lassen Sie diesen Konzentrationsanker los und fokussieren Sie sich auf den Bewusstseinsinhalt, der im Augenblick am dominantesten ist – einen Gedanken, ein Gefühl oder eine Körperempfindung. Schulen Sie Ihre Achtsamkeit für das, was gerade da ist, ohne darüber nachzudenken oder es zu bewerten. (bearbeiteter Auszug aus Richard Davidsons Buch „Warum wir fühlen, wie wir fühlen“, 2012, Arkana Verlag, München)
    Eine wunderschöne Atemübung (von Dalai Lama) zur alltäglichen Wertschätzung von mir selbst und allen Menschen finden Sie in meinem Blog: walserblog.ch/2019/09/21/atem/
    Seit geraumer Zeit mache ich wieder mal zwei schöne und einfache Aufmerksamkeitsübungen, die meinen Tag wunderbar einrahmen: morgens bleib ich noch etwas im Bett liegen und mache mit einem ausgedehnten Bodyscan (den Körper von den Zehen bis zum Scheitel langsam durchwandern – und Teil für Teil spüren, wie er sich gerade anfühlt: warm/kalt, ent- oder gespannt, etc. – ohne zu werten.) ein „gesammeltes Aufstehen“. Ich stürze mich dadurch nicht sofort in die anstehenden sog. Pflichten! Und abends vollführe ich einen Tagesrückblick, vom Jetzt retour bis zum morgendlichen Aufstehen – Schritt für Schritt. Sehr einfach – sehr effektiv!

    Bodyscan

    Legen Sie sich bequem auf eine Matte oder Decke. Spüren Sie, wie sich die Bauchdecke sanft hebt und senkt. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit dann auf den rechten Fuss. Nehmen Sie die Zehen des rechten Fusses genau wahr, lenken Sie die Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen von ihnen. Spüren Sie alle Empfindungen. Das kann zum Beispiel Wärme oder Kälte sein, ein Kitzeln, Kribbeln, Druck, Schmerzen, Muskelanspannungen oder ein „Nichts“. Nehmen Sie all das wahr und benennen Sie es still für sich – ohne es zu bewerten oder zu verändern. Nehmen Sie sich Zeit dafür. Wenn Sie gedanklich abschweifen, seien Sie geduldig mit sich und lenken die Aufmerksamkeit einfach wieder zurück zu der Stelle, an der Sie gerade waren. Achten Sie dann auf die Fusssohle, den Spann, auf das Fussgelenk, den Unterschenkel, das Knie und den Oberschenkel. Machen Sie dasselbe mit der linken Seite.
    Auf diese Weise durchstreifen Sie den ganzen Körper. Wandern Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit vom Steissbein aus jeden einzelnen Wirbel der Wirbelsäule entlang nach oben und weiter bis zur Kopfhaut. Dann nehmen Sie die Stirn wahr und bewegen sich mit der Wahrnehmung wieder nach unten. Spüren Sie die Augen und Ohren, die Nase und die Wangen, auch den Mund, das Innere des Mundes und das Kinn. Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit erst die linke und dann die rechte Schulter entlang, über den Arm und die Hand hinab bis in jeden einzelnen Finger. Nehmen Sie sich Zeit für jede Körperstelle. Achten Sie nun wieder einige Züge lang auf die Atmung. Dann beenden Sie die Übung und öffnen die Augen.
    Manchen Menschen hilft es, die Übung zu hören: Sie können sich eine Anleitung auf das Smartphone sprechen und dann abspielen. Der Bodyscan dient auch zur Entspannung und zum Einstieg in die Meditation. Am besten übt man ihn jeden Tag.

    Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie wird heute z.B. sehr erfolgreich in der Behandlung von Zwangsstörungen angewendet >>> Weiterlesen
    Achtung: Achtsamkeit wird heute als Allheilmittel auch inflationär vermarktet: Weiterlesen >>>

    Achtsamkeit schafft Verbindung

    Bei der Ausübung von Achtsamkeit geht es immer ums Ankommen. Ankommen im Hier und Jetzt. Wir kommen heim, nach Hause. Wir finden zu uns.
    Wir sind viel gerannt, aber wir sind nie angekommen. Wir suchen immer noch etwas, sehnen uns nach etwas und haben es nie gefunden. Wir rennen immer weiter und wissen nicht, wie lange und wie weit wir noch rennen und suchen müssen. Wir wissen nicht mal wonach wir suchen.
    Vielleicht suchen wir nach Glück, nach was wir meinen, nicht zu haben.
    Doch das Wunder des Lebens ist nur im gegenwärtigen Moment verfügbar.
    Die Achtsamkeitspraxis (wie z.B. im Zen-Buddhismus) hilft heimzukommen ins Hier und Jetzt. So können wir intensiver Leben, in Verbindung – und verschwenden es nicht.

    Schönreden kontraproduktiv

    Was hier beschrieben wird, ist nicht das „Positive Denken“ (Positive Thinking) mit seinen aufmunternden Formeln, das heute hoch im Kurs ist. Wichtig ist dabei das Mass des bestehenden Selbstwertgefühls. In grossen Studien (z.B. Joanne V. Wood et al: Positive self-statements. Psych Science, 5/2009, 1467) zeigte sich, dass Menschen mit geringem Selbstwertgefühl sich selbst widersprechen, wenn sie positive Gedanken wie Mantras wiederholen. Auf diese Weise wird eine vorhandene negative Selbsteinschätzung nur noch verstärkt! Hier wird im Gegensatz von Ansprechen von vorhandenen Ressourcen gesprochen, die dadurch verstärkt werden. als Beispiel:

    Meditation bei chronischen Schmerzen und gegen Entzündungen

    Studien zeigen, dass Meditationen bei Chronischen Schmerzen und Entzündungen stark helfen können. Dies basiert offensichtlich auf komplexen Vorgängen im Hirn (und nicht auf endogenen Opiaten).

    Yoga mit Meditation hilft gegen Vorhofflimmern

    In dieser Studie wurden die Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern zunächst mit drei Monaten sportlichen Aktivitäten ihrer Wahl behandelt. Anschliessend nahmen die Leute drei Monate lang an einem überwachten Yoga-Programm mit Atemübungen, Yoga-Stellungen, Meditation und Entspannung teil. Keiner der Probanden hatte vorher bereits Erfahrung mit den fernöstlichen Übungen. Es zeigte sich, dass während der Yoga-Interventions-Phase die Episoden von Vorhofflimmern um die Hälfte zurückgingen. Ausserdem verringerten sich Angst- und Depressions-Symptome und die Lebensqualität stieg. Als Wirkungsmechanismus werden günstige Einflüsse auf den Sympathikotonus diskutiert.

    Nicht was wir erleben, sondern wie wir wahrnehmen was wir erleben, macht unser Schicksal aus.

    Weiterlesen >>>

    Dauerstress und Entspannung

    Weiterlesen >>>

    Sinn-im-Leben vs. Dauerstress (und Link zur Chronischen Entzündung!):
    walserblog.ch/2021/07/04/sinn-im-leben/

    Spirituelle Entwicklung und Lebensaufgaben im Alter

    Weiterlesen >>>

    Kann Spiritualität Nachhaltigkeit?

    Diese Frage ist für mich kein Argument für irgendwas. Auf der Suche nach »etwas zwischen Himmel und Erde« zu sein, sich »selber etwas zu suchen« mag gerade für Individualisten mit einem Hauch von Identitätskrise verlockend sein. Omas Rosenkranz tut es halt für viele nicht mehr. Doch diese Reise führt oft vom Regen in die Traufe. Die alten religiösen Traditionen der eigenen Vorfahren über Bord zu werfen, fühlt sich nur auf den ersten Blick frei und wild an. Heute Mantras singen, morgen das Chi suchen – spätestens wer dann Gleichgesinnte sucht, stösst wieder auf Rituale, Regeln, Meister.
    Mit Spiritualität bauen sich viele ein Weltbild nach dem Wünsch-dir-was-Prinzip auf: Ein bisschen Buddhismus für den friedfertigen Ruf, ein wenig Hinduismus für die Farben und trendigen Symbole und irgendetwas »indianisches« noch, um die eigene Individualität zu unterstreichen. Die Religionen, die dabei als Rohstofflager dienen, werden entfremdet benutzt. Ich finde: Die Aufklärung, der Humanismus und so manche weltliche Utopie haben genug Material zum Bau eines schönen Weltbildes. (Marius Hasenheit im Magazin transform vom 14.04.2021)

    Wie Meditation krank machen kann

    Meditation hat ein überwiegend positives Image. Laut einer Umfrage von Statista Consumer Survey hat fast jeder Vierte im Alter von 18 bis 64 Jahren eine Meditationsapp auf seinem Handy. Der Markt boomt, denn Meditation gilt als Heilmittel gegen Stress und psychische Beschwerden und als Produktivitäts- und Selbstoptimierungstool.

     Genau deswegen haben Betroffene aber Schwierigkeiten, bei Nebenwirkungen gehört und verstanden zu werden. Auch Anbieter:innen von Meditationskursen-, -seminaren und –Apps warnen wohl nicht genug vor den möglichen Nebenwirkungen, bzw. sehen   die Verantwortung bei den Meditierenden sehen.

     „Die Schuldzuweisung an das Opfer ist wahrscheinlich die häufigste Reaktion. Das gibt es in vielen verschiedenen Varianten (…) Der normale Meditationslehrer will hilfreich sein, und dann zu hören, dass man Schaden angerichtet hat, das ist eine sehr schwierige Art von Feedback.“ Das sagt die US-amerikanische Psychologin Willoughby Britton von der Brown University. Sie konnte in einer zehnjährigen Langzeitstudie nachweisen, dass etwa jeder zehnte Meditierende Nebenwirkungen entwickelt, die ihn im Alltag stark einschränken. Angst, traumatische Flashbacks und Hypersensibilität sind laut Britton die häufigsten Nebenwirkungen von Meditation.

    Wie wenig auf Risiken hingewiesen wird, zeigt auch eine Recherche des investigativen Magazins Vollbild: 
    Vollbild fragte im Selbstversuch bei rund 20 Meditationsanbietern einen Kurs an und gab an, dass die vermeintliche Interessentin psychische Probleme habe. Nur wenige rieten, vorab einen Arzt oder Therapeuten aufzusuchen. Auf den Webseiten der Anbieter gab es vorab keinerlei Hinweise zu Risiken und Nebenwirkungen von Meditation.

    (Piqd von Theresa Bäuerlein, 30.09.24 über tagesschau.de/investigativ/swr/meditation-risiken-nebenwirkungen)

    Quellen:

    • Hier zitiere ich von Verena Steiner aus ihrem sehr spannenden und brauchbaren Buch „Energiekompetenz“ (Pendo Verlag, 2005).
    • Dann auch aus einem Interview mit Sherry Turkle, Professorin am MIT, Massachusetts Institute of Technology, TagiMagi 26/2012
    • Franz Petermann, Dieter Vaitl: Entspannungsverfahren. Beltz, 2009
    • Tim Parks: Die Kunst stillzusitzen. Kunstmann, 2010
    • Ulrich Ott: Meditation für Skeptiker, O.W.Barth, 2010
    • Peter Malinowski: Flourishing – welches Glück hätten Sie gern? Irisiana, 2010
    • Jon Kabat-Zinn: Im Alltag Ruhe finden – Meditationen für ein gelassenes Leben. Knaur, 2010
    • Gerald Hüther: Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Vandenhoeck&Ruprecht, 2009
    • S.C. Hayes u.a.: Akzeptanz und Commitment Therapie: Ein erlebnisorientierter Ansatz zur Verhaltensänderung. CIP-Medien, München 2004
    • M.Wengenroth: Das Leben annehmen. Huber, Bern 2008
    • Andreas Knuf: Ruhe da oben! Der Weg zu einem gelassenen Geist. Arbor, Freiburg 2010
    • Matthew Johnstone: Den Geist beruhigen, Kunstmann (eine illustrierte Einführung in die Meditation mit starken, einprägsamen Bilder)

    Warum nicht anders? : der Alltag als Übung von Lehner, Anna; Stolle, Michael; House of Competence (Karlsruhe), 2019

    Meditations-App

    (aus der SONNTAGSZEITUNG, 10.01.21)

    Mensch werde wesentlich.

    Der Himmel ist in dir. Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir; Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für. Wie Gott im Menschen: Gott ist noch mehr in mir, als wann das ganze Meer in einem kleinen Schwamm ganz und beisammen wär. Der Mensch ist Ewigkeit. Ich selbst bin Ewigkeit, wann ich die Zeit verlasse Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse. Zufall und Wesen: Mensch, werde wesentlich! Denn wann die Welt vergeht, So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht. Beschluss: Freund, es ist auch genug. Im Fall du mehr willst lesen, So geh und werde selbst die Schrift und selbst das Wesen. (Angelus Silesius, 1674 – aus dem Cherubinischen Wandersmann)

    Veröffentlicht am 05. Juni 2017 durch Dr.med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    17. Januar 2025

  • Normalvarianten!

    Normalvarianten!

    Hier beschreibe ich kurz einige Normalvarianten unseres Körpers, die häufig für Aufregung sorgen und als etwas Krankhaftes angesehen werden.

    Dazu ein sinnvoller Satz von Gerhard Kocher („Vorsicht Medizin!“):
    Es gibt vier Kategorien von Menschen:
    gesunde Gesunde, kranke Gesunde, gesunde Kranke und kranke Kranke

    Disease Mongering

    Krankheiten ins Gespräch bringen und dann „verkaufen“ wird von der Pharmaindustrie in letzter Zeit massiv betrieben – so bei der „erektilen Dysfunktion“, beim ADHS, der Glatze, Schüchternheit, Schwitzen, Restless-Legs-Syndrom, Soziale Phobie, Depression,…!
    Also aufgepasst auf Problem- und Mengenausweitung!
    Achten Sie auch darauf, dass ein simpler Namenswechsel von den altbekannten „Potenzstörungen“ zur „erektilen Dysfunktion“ weitreichende Folgen für die Einschätzung der „Krankheit“ haben kann! So glaubten Teilnehmer einer Studie  (M.E. Young et al.: The role of medical language in changing public perception of illness. PLoS ONE, 3/12, 2008, e3875) nicht nur, dass etwa „Hyperhidrosis“ oder „Androgenetische Alopezie“ sehr viel ernster zu nehmende Krankheiten seien, als ihre alltäglichen Namenvettern, sondern sie befürchteten obendrein, dass die mit medizinischen Fachausdrücken beschriebene Wehwehchen auch noch besonders selten sind. Ältere, bereits etablierte medizinische Fachbegriffe hatten diesen Effekt allerdings nicht (hier also „übermässiges Schwitzen“ oder „männlicher, genetischer Haarausfall“).

    Das DSM-5 definierte 2022 neu die Diagnose «Mangelndes sexuelles Verlangen der Frau». Wenig später brachte die Firma Sprout Pharmaceutical in den USA die weibliche Sex-Pille Addiy mit dem Wirkstoff Filibanserin auf den Markt. In der Schweiz ist sie nicht zugelassen.
    Im DSM-5 war auch neu, dass eine längere Trauerphase als «Depression» gilt. Psychiater sollten sie nun mit Medikamenten behandeln. Ein Riesengeschäft für Hersteller von Antidepressiva.
    Eine neue Diagnose war auch «Agoraphobie», die Angst vor Situationen, bei denen es kein Entrinnen gibt. Sie kann auftreten in Zügen, die im Tunnel stehen bleiben oder in Flugzeugen, die auf der Startbahn warten müssen. Auch hier die Lösung in der Psychiatrie: Antidepressiva.

    Also Achtung vor Cyberchondrie!

    Zellulite oder Cellulitis

    „Ich hab lieber Orangenhaut als gar kein Profil!“ – Ina Müller

    „Das Leben ist eine sehr endliche Veranstaltung, und ab einem bestimmten Punkt ist man auf der anderen Seite.
    Ich bin mit Mitte 50 aus dem Paradies der Unsterblichkeit gekippt. Ich habe immer gespielt, nichts wirklich ernst genommen, aber auf einmal war er da, der Moment, und ich merkte: Jetzt bin ich angeschossen…“
    Ulrich Tukur, deutscher Schauspieler
    Dies kann auch für die „Zellulitis“ gelten, wo Frauen vielleicht schon zwischen 20 und 30 aus diesem“Paradies der Unsterblichkeit“ kippen.

    Ist dies wirklich eine „Krankheit“?

    Die „Zellulitis“ (oder Cellulite, etc..) ist eine sog. „Illustrierten-Krankheit“, d.h. sie ist absolut „gemacht worden“! Eine offensichtlich einträgliche Kosmetik- und Therapeuten-Industrie ist nun schwer daran interessiert, dass diese völlig normale Variante der Haut einer Frau auch weiterhin von den „Opfern“ als Krankheit empfunden und hartnäckig therapiert wird. Der Begriff bezeichnet eine bei Frauen im Oberschenkel- und Gesässbereich auftretende Veränderung des Unterhaut-Fettgewebes. Subjektiv werden Spannungsgefühl oder diffuse Spontanschmerzen (Kneifschmerz) angegeben. Beim Zusammenschieben der Haut entsteht das „Orangenhaut-“ oder „Matratzen-Phänomen“. Für entzündliche Vorgänge im Sinne einer Fett- (Pannikulitis) oder Gefässentzündung (Vaskulitis) fand sich in eingehenden Forschungsarbeiten nie ein Hinweis. Das obenbeschriebene Phänomen ist denn auch auf, in diesen Körperregionen bei Frauen normalerweise vorkommenden Bindegewebsbrücken aus der Tiefe durch die Fettschicht zur Haut (wie die Knöpfe bei Matratzen!) zurückzuführen. Es wird stärker sicht- und auch fühlbar, wenn die Fettschicht dicker ist oder durch Wasser aufgeschwollen ist und die „Knöpfe“ dabei eingezogen werden. Weniger sichtbar wird also alles durch Abnehmen oder Angehen der Wasserschwellung. Beides ist durch Laufen, Radfahren, etc. gesund und billig erreichbar.

    Jedermann, jede Frau erlebt irgendwann im Leben diesen „Kipppunkt, an dem ich aus dem Paradies der Unsterblichkeit falle“. Das Thema Kranksein und Altwerden ist bis dahin nur was für Greise und Looser – und plötzlich werde ich selbst konfrontiert mit „Krankheit“, Altwerden, Unattraktivität… Eine Krise beginnt und wird häufig sofort bekämpft mit (unsinnigen und meist unwirksamen) Therapiemarathons.

    Der aktuelle Selfiewahn mit seiner überrissenen Selbstinszenierung und Eigenbewunderung macht diese Krise nur noch krasser und den Absturz aus der Makellosigkeit ins vermeintlich Unbedeutende noch viel dramatischer.

    Am besten durchschaut man das Ganze aber als frauenbehindernden Betrug einer völlig nutzlosen, teuren und unnötigen Industrie!

    Schönheit ist ein davoneilender Hase – und Hässlichkeit lässt sich nicht so leicht definieren und ist durch sich wandelnde gesellschaftliche Vorstellungen geprägt (Sehe ich nicht in letzter Zeit mehr Frauen, auch junge, die selbstbewusst ihre Oberschenkel mit Anzeichen von Z. der Umwelt präsentieren?!). Hässlich ist ein Mensch, der sich selbst dafür hält. „Ich bin ich und ich ist schön“ (auch der Titel eines guten Buches von Alicia Giménez- Bartlett). Wer sich zu sehr mit dem eigenen Bild beschäftigt, kreist um sich selbst, und das schafft vor allem Beklemmungen. Man sollte sich für etwas anderes interessieren als für die eigene Haut und Haare (Lesen Sie dazu auch meine Seite zum Geniessen des Lebens).

    Die Meinung der unbestechlichen Kosmetik-Kritikerin Paula Begoun >>>

    Erythrosis interfollicularis colli

    Erythrosis oder Rubeosis (=Rötung) mit punktförmiger (weisslicher) Aussparungen der Follikel, v.a. seitlich am Hals, als Folge dauernder Sonneneinwirkung bei Land- u. Bauarbeitern, Seeleuten, aber auch bei vielen sonstigen Menschen.
    Falls dennoch kosmetisch extrem störend kann mit einer Laserbehandlung gut behandelt werden.

    Landkartenzunge (Lingua geographica)

    Die „Landkartenzunge“ oder auf gescheit: „Lingua geographica“ ist eine Zunge, die rote Flecken auf dem Zungenrücken aufweist, welche sich in wenigen Tagen verändern können und einen 2-3 mm breiten grau-gelblichen Saum zeigen, was dann wie eine Landkarte aussieht.
    Je nach Untersuchung haben 2-15% der Bevölkerung eine solche Zunge. Sie kann im frühen Kindesalter beginnen und während des ganzen Lebens bestehen, sie kann aber auch im späteren Lebensalter plötzlich auftreten. Gerade diese Menschen, deren Zunge vorher völlig normal war, leiden unter einer gewissen Empfindlichkeit auf Nahrungsreize (eine ständige Empfindlichkeit besteht in ca. 4% und wird als psychosomatischer Hintergrundfaktor angesehen). Sie sind nicht selten verunsichert, hinsichtlich der Bedeutung z.B. als krebsartige Veränderung. Diese Ursache kann man aber völlig ausschliessen!
    Die Ursache der Landkartenzunge ist unbekannt.
    Abgrenzen muss man ein Eisen-, Vit.B12- oder Folsäure-Mangel, auch eine chronisch-atrophische Candida-Glossitis (Hefepilzinfekt) und selten der Lichen ruber planus auf der Zunge. Auch Amalgam hat nichts damit zu tun.
    Die wichtigste Massnahme bei der Landkartenzunge ist die Beruhigung, dass sie völlig harmlos ist und z.B. kein Krebsrisiko und keine Pilzinfektion dahintersteckt.
    Es gibt weder Behandlungsmöglichkeiten, die eine Lingua geographica ausheilen, noch solche, welche den unmittelbaren Schub positiv beeinflussen. Andererseits sind spontane Ausheilungen bekannt, die bei etwa 25% der Betroffenen schliesslich einmal eintreten.

    Schwarze Haarzunge

    eine harmlose Keratinisierung: siehe ausführlicher auch bei Wikipedia: wikipedia.org/wiki/Schwarze_Haarzunge
    Therapie: täglich mit Zahnbürste (am besten Elektro) kräftig putzen.

    Laptop Computer induced Erythema ab Igne

    Was heisst: Durch Laptop (auf den Oberschenklen) ausgelöstes „Rötung durch Feuer (Batteriewärme!)“:
    In dem einen Fall handelte es sich um einen 50-jährigen Mann, der auf dem linken Oberschenkel einen braunen, leicht rötlichen Fleck aufwies; der symptomlose Ausschlag war zwei Wochen nach dem Kauf eines Laptops aufgetreten, den der Patient seither viele Stunden am Tag benutzte, meist auf den Oberschenkeln platziert. Das Hitzeerythem beschränkte sich auf das linke Bein, weil sich die Wärmequelle (Akku) des Laptops auf der linken Unterseite des Geräts befand.
    Im zweiten Fall wies eine 48-jährige Frau netzförmige Pigmentierungen (Livedo) auf den Oberschenkeln auf, rechts stärker als links. Auch hier war ein Laptop auf dem Schoß der Auslöser; dieser hatte die Hitzequelle rechts.

    Das Erythema ab igne (thermale Keratose) tritt normalerweise auf, wenn man sich längere Zeit zu nahe an einer Feuerstelle befindet, nach Verwendung von Wärmekissen etc. Die Hitze kann Epithelveränderungen auslösen, ähnlich wie UV-Licht, in seltenen Fällen (nach Jahren) Plattenepithelkarzinome.
    Laptops gehören – auch wenn sie so heissen – nicht auf den Schoss!
    (Bilic M et al.: Erythema ab igne induced by a laptop computer. J Am Acad Dermatol 50 (2004) 973-974 – Jagtman BA: Erythema ab igne due to a laptop computer. Contact Dermatitis 50 (2004) 105)

    Reibeisenhaut (Keratosis pilaris)

    „Reibeisenhaut“, medizinisch auch Keratosis pilaris oder Keratosis follicularis, ist eine anlagebedingte Verhornungsstörung der Haarfollikel. Sie zeigt sich meist schon in der Kindheit durch follikulär, das heisst an den Haarfollikel gebundene, spitzkegelige hautfarbene ggf. auch entzündlich gerötete Hornkegel. Diese treten meist an den Oberarm-Streckseiten, den seitlichen Wangen und den Aussenseiten der Oberschenkel auf. Wenn die Papeln auch am Penis vorhanden sind, kann auch Lichen nitidus vorliegen.
    Reibeisenhaut muss nicht behandelt werden, da es eine Normalvariante der menschlichen Haut ist. Bisher ist auch noch keine angemessene und zufriedenstellende Behandlung gefunden worden. Ein Vergleich einer Behandlung dieses Leidens ist wie wenn man einen schwarzhäutigen Afrikaner weisshäutig machen will…

    Asymptomatische Bakteriurie

    Bei alten Menschen (über 70) sind Bakterien im Urin ohne Symptome keine Krankheit! Grosse Studien zeigen, dass dies normal ist und nicht behandelt werden muss.

    Corona glandis (oder Hirsuties papillaris Penis)

    der »Eichelkranz«; der wulstartige Rand der Peniseichel (Glans = vordere eichelförmige Verdickung des Penis) gegen den Penisschaft hin.
    Wird von den Männern, obwohl 14-48% aller Männer diesen höckrigen Kranz sein Eigen nennt, häufig als „Pickelchen“ oder sonst was Krankhaftes angesehen.
    Diese Höckerchen sind völlig normal und sollten nicht behandelt werden!
    Es sind meist auch kleine sog. ektopische Talgdrüsen, wie unten beim Fordyce-Zustand beschrieben (siehe Photos):

    aus Hausärzteforum Stadtspital Zürich, 18.04.2024

    Papillome am Scheidenausgang

    Das Pendant bei der Frau sind die absolut harmlosen Papillome, kleine fleischfarbene, weiche, perlenförmige Papeln an der Vulva, teils einzeln, teils gruppiert stehend.
    Diese Normvariante der vestibulären Schleimhaut – die vestibuläre Papillomatose – wird häufig als Genitalwarzen fehlgedeutet. Die Genitalwarzen sind aber im Unterschied zu Paillomen nicht auf das Vestibulum (Eingang) beschränkt. Die filiformen (fadenförmigen) oder blumenkohlartigen Kondylomwucherungen (Condylomata accuminata = spitze Genitalwärzchen) tendieren zudem dazu, an der Basis zusammenzuwachsen, und färben sich nach Applikation von 5%iger Essigsäure weiss.
    Papillome (die sich durch Essigsäure nicht verfärben) stellen eine normale anatomische Variante dar, analog den perlenförmigen Penispapeln beim Mann (siehe oben). Die korrekte Diagnose vermeidet unnötige weitere Diagnostik sowie Fehlbehandlungen.

    „Fordyce Zustand“ der Mundschleimhaut oder am Penis

    50% aller Mundschleimhautveränderungen, die mir als Hausarzt von den Patienten gezeigt werden – in der Ansicht, es handle sich um etwas Krankhaftes! Dies ist ein komplett normales Talgdrüsenauftreten an untypischen Orten in der Mundschleimhaut (sog. heterotope oder ektopische Talgdrüsen).
    Es handelt sich um eine anatomische Variante. Auf der Schleimhaut finden sich sattgelbe, durch die Schleimhaut hindurchschimmernde Knötchen. Beim embryonalen Verschluss der Gesichtsspalte wurden diese Talgdrüsen von der äusseren Haut nach innen verlagert. Bei 25% der Frauen und 30% der Männer anzutreffen. Kinder sind frei davon.


    hier in typischer Lokalisation an der Oberlippe

    hier unten auch am Penisschaft (sehr häufig):

    Ein „Tumor“ in beiden Achselhöhlen

    Wie ein speziell ausgebildeter Muskel in den Achselhöhlen einen Tumor vortäuschen kann: Lesen Sie darüber Genaueres in folgendem Artikel aus der Schweiz Med Forum: www.dr-walser.ch/axillary-arch-muskel.pdf

    Ein „Tumor“ am kindlichen Fuss

    Ein häufiger Grund für fehldiagnostizierte Exostosen oder Ganglien (Überbeine) beim Kind: der Lego-Spieler-Fuss! Hier finden Sie darüber einen zusammenfassenden Artikel im Schweiz Med Forum: lego-spieler-fuss.pdf

    Hyposphagma

    Als „Hyposphagma“  ist eine meist harmlose, scharf umrissene Unterblutung der Bindehaut des Auges. Ärzte sagen auch subkonjunktivale Blutung dazu.
    Das Hyposphagma imponiert als „akutes rotes Auge“, wobei die Verfärbung auf den Raum zwischen Lederhaut und Bindehaut beschränkt ist, ohne Beteiligung der angrenzenden Hornhaut. Die Blutung selbst ist allgemein schmerzlos, auch kommt es dadurch zu keiner Einschränkung der Sehschärfe.
    Hyposphagmata können als harmlose Folge unter alltäglichen Umständen auftreten, jedoch auch das Symptom einer ernsthaften Erkrankung sein. Mögliche Ursachen sind:

    Differentialdiagnostisch ist das Hyposphagma gegenüber einer Bindehautentzündung abzugrenzen. Wenn keine begleitenden Verletzungen oder Fremdkörper vorliegen, ist eine Behandlung der subkonjunktivalen Blutung nicht erforderlich, da der Bluterguss abgebaut wird und nach etwa 10-14 Tagen resorbiert ist.


    (aus
    Wikipedia – Danke!)

    Haarausfall beim Mann (Androgenetische Alopezie)

    „Das Leben ist eine sehr endliche Veranstaltung, und ab einem bestimmten Punkt ist man auf der anderen Seite.
    Ich bin mit Mitte 50 aus dem Paradies der Unsterblichkeit gekippt. Ich habe immer gespielt, nichts wirklich ernst genommen, aber auf einmal war er da, der Moment, und ich merkte: Jetzt bin ich angeschossen…“
    Ulrich Tukur, deutscher Schauspieler

    Jedermann, jede Frau erlebt irgendwann im Leben diesen „Kipppunkt, an dem ich aus dem Paradies der Unsterblichkeit falle“. Die Männer häufig schon mit 30 bis 40 Jahren beim Auftreten eines genetischen Haarausfalls. Lesen Sie über diesen schwierigen Wendepunkt im Männerleben und den Umgang damit hier: www.dr-walser.ch/haarausfall-bei-maenner.pdf

    Fersensporn

    Der Diagnosebegriff „Fersensporn“ ist kaum auszurotten. Er entspricht dem subjektiven Empfinden eines vertikalen Stachels im Fersen, welcher bei Belastung schmerzhaft wird. Hat jemand mit diesem Fersenschmerz im Röntgenbild dann zufällig eine horizontal (!) gerichtet „Stachelbildung“ (Verkalkung) am Ansatz der Plantarfaszie am Fersenbein, ist die Diagnose „Fersensporn“ nicht mehr zu verhindern.
    Weiterlesen.

    Schluckauf – Singultus

    Singultus entsteht durch die unwillkürliche, unilaterale Kontraktion des linken > rechten Zwerchfells mit unmittelbar darauffolgendem Glottis-Schluss, der das charakteristische Geräusch erzeugt. Es gibt unzählige Namen für dieses Geräusch (im Schweizerdeutschen etwa: Gluxer, Gluxi, Higger, Higgi, Hitzgi, Hixer …). Die Frequenz beträgt 4–60/min.

    Akuter Singultus dauert <2 Tage, ist selbstlimitierend, harmlos, aber lästig. Hält er >2 Tage an oder persistiert sogar >1 Monat, ist er lebensbehindernd und abklärungsbedürftig.

    Zu Manövern gegen akuten Singultus gehören:

    1. CO2-Anstieg erzielen: Atem lange anhalten oder in einen Sack rückatmen;

    2. Vagusstimulation: eiskaltes Wasser oder Essig trinken, Druck auf Carotis oder Augenbulbus, Gurgeln, Ohrspülungen;

    3. Bizzares: sexuelle Stimulation (Orgasmus), rektale Massage. Bei chronischem Singultus wirken diese Manöver nicht.

    Folgende Medikamente können Singultus verursachen: Dexamethason, Benzodiazepine, Cisplatin, Opioide und Levodopa. Alkohol ist ein häufiger Auslöser.

    Erkrankungen, die chronischen Singultus auslösen: gastroösophagealer Reflux (GERD), kardiale Erkrankungen, Erkrankungen des Zentralnervensystems wie zum Beispiel Aneurysma, Tumoren, Parkinson, Multiple Sklerose sowie otorhinolaryngologische Erkrankungen.

    Auch psychische Konstellationen können einen persistierenden Singultus auslösen: Stress, Aufregungen, Angst mit Hyperventilation.

    Die auslösende Erkrankung gehört zuerst behandelt: Ein Versuch mit Säureblockern ist empfehlenswert, da GERD zu den häufigsten Ursachen zählt.

    Wirksame Medikamente gegen chronischen Singultus: Chlorpromazin, Metoclopramid, Baclofen, Gabapentin.

    Akupunktur sollte versucht werden, wenn Medikamente nicht wirksam sind.

    Bei nicht beherrschbarem Singultus stehen invasive Massnahmen wie Vagus-Stimulation oder Phrenikus-Blockade zur Verfügung.
    (Quelle: StatPearls. 2022, http://www.ncbi.nlm.nih.gov.books/NBK538225)

    Mehr über Fokussierungen auf normale Sensationen/Signale unseres Körpers durch ungenügende Hemmung der Signale unseres Nervensystems/Sinnesorgane zum Hirn >>>

    Weiterlesen über Organe und „Anhängsel“ unseres Körpers, die manchmal als „überflüssig“ angesehen werden und (unnötig) entfernt werden… mit Folgen >>>

    Die meisten Bilder auf dieser Seite sind aus dem exzellenten DermAtlas der John Hopkins University: https://jddonline.com/project-atlas-a-z

    Veröffentlicht am 06. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    19. April 2024

  • Rauchen und Stopp!

    Rauchen und Stopp!

    Rauchen ist unsexy: „Kissing a smoker is like licking an ashtray!“

    Was tun?

    Lesen Sie meine Einschüchterungen am besten NICHT, was Sie sich mit Rauchen antun…
    Man hat gemerkt, dass das Nikotin-Craving neben der Verhaltens-Konditionierung (Gewohnheit) klar im Zusammenhang steht mit einer selektiv verminderten Amygdala-Antwort des Hirns auf Angstsignale. Dies besteht auch bei allen anderen Drogenabhängigen und ist eventuell auch eine vor bestehende Verletzlichkeit dieser Menschen. Deshalb wirken wohl auch die angstmachenden Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln rein gar nichts! (Onur OA, et al.: Overnight deprivation from smoking disrupts amygdala responses to fear. Hum Brain Mapp 2011;May 26)

    …und denken Sie darüber nach, was viel schädlicher ist als Nikotin:
    Der neue Zeitgeist der Nulltoleranz!
    Die Moral und damit die soziale Kontrolle funktioniert heute nicht mehr über Sex, sondern über Gesundheit! Die Kontrolle funktioniert über den Körper-, Schlankheits-, Fitnesskult, über die Ernährung und die Leistungsfähigkeit. Seit Sparta gibt es eine Form von Gesundheitsfaschismus. Das gehört zum menschlichen Dasein. Der Kult von Reinheit, Stärke, Körper – bis hin zur Rassereinheit im Nationalsozialismus. Gesundheitsbewegungen hatten immer etwas zutiefst Antiliberales. Umgekehrt hat der Genuss immer etwas Subversives, Ideentreibendes, Verdächtiges. Dadurch bekommt Rauchen heute langsam den Status von Pornografie. Etwas Abstossendes und Anziehendes zugleich.

    In dieser ambivalenten Situation trennen sich auch die Glückssucher von den Unglücksvermeider, zwei völlig verschiedene Typen: Die einen stellen ihr Leben völlig auf Sicherheit ein (kein Rauch, gesundes Essen, keine AKW…) und die anderen suchen das Glück, den Exzess und sind bereit, Unglück (und frühen Tod und Krankheit durch Rauchen, etc.) zu riskieren!

    Schädlichkeitsbewertung unterschiedlicher Drogen nach Nutt et al.,
    mit Aufteilung in Schäden für Konsumenten (hellgrau) und Schäden für andere (dunkelgrau)

    Wie war es vor dem Rauchen?

    Gehen Sie in sich und suchen Sie nach bildhaften Erinnerungen von Situationen, in denen Sie sich und die Welt geliebt – gesund gelebt und sich gut dabei gefühlt haben. Vielleicht war es ein Urlaub als Sie Kind waren: Sie machten lange Strandwanderungen mit einem Freund, und abends sass man auf der Düne und sah in den Sonnenuntergang. Sie rannten als Kind um die Wette und spielten ausgelassen. Lassen Sie diese Bilder in sich leben und führen Sie sich vor Augen, dass dabei der Atem ganz frei lief, ohne das eine Zigarette im Spiel war.

    Wie hat alles angefangen?

    Gehen Sie zurück, wie alles angefangen hat: Begannen Sie in den Jugendjahren zu rauchen, als das Interesse am anderen Geschlecht begann? War dies ein Riesenstress und war die Zigarette die richtige Droge zur Überwindung von Angst und Scham? Oder war das Rauchen in diesen frühen Jahren ein Versuch, etwas zu sein? Erwachsen zu sein? War das Rauchen ein Teil der Rebellion gegenüber dem Elternhaus? Ein Zusammengehörigkeitsritual Ihrer Peergroup?
    Nun sind Sie aber in der heutigen Situation: Die Angst und Scham hat sicher ab- und Ihr sozialer Status zugenommen. Die Rebellion ist wohl nicht mehr nötig und die Rituale des Zusammenseins haben sich verändert. Ist die Zigarette wirklich noch notwendig?!

    Probieren Sie, auf Ihren Körper zu hören

    Ich sage den Leuten nicht, dass sie mit Rauchen aufhören sollen, das bringt nichts! Stattdessen helfe ich ihnen, in ihre Körper zu sehen. Die meisten meiner Patient*innen haben mit zwölf oder 13 Jahren angefangen zu rauchen, um in der Schule cool zu sein oder um zu rebellieren.
    Das Gefühl der Coolness und die Rebellion sind dann die Belohnung.
    Um diese Belohnung zu bekommen, überwinden sie die Tatsache, dass Zigaretten schlecht schmecken, dass ihnen vielleicht sogar übel davon wird, weil es ja ein Gift ist. Als Nächstes entwickelt der Körper eine Nikotinsucht. Das Verhalten wird negativ verstärkt, weil die Leute sich schlecht fühlen, wenn sie nicht rauchen. Sie achten nur noch darauf, dass sie Nikotin bekommen, nicht darauf, wie Rauchen sich eigentlich anfühlt.
    Die Lösung wäre, sich dahin zu bringen, beim Rauchen wieder aufmerksam zu werden, auf den Körper zu hören. Wie fühlt sich Rauchen eigentlich an? Was habe ich davon? Auf einmal merken Sie: Zigaretten schmecken furchtbar! Ich sauge überhitzten Rauch in meine Lunge! Es stinkt. Mein Partner hasst, wie mein Atem riecht.
    Das Verhalten wird damit entzaubert. Das ist ein sehr wichtiger Schritt, um mit dem Rauchen aufzuhören.
    Judson Brewer hatte mit dieser Behandlung in einer Studie fünfmal so hohe Erfolgsquoten wie ein Programm namens „Freedom from Smoking“, das in den USA als ein Goldstandard gilt.

    „Meditativ“ Rauchen…

    Machen Sie aus jedem Zug an Ihrer Zigarette eine „Meditation“: Warten Sie nach einem Zug, werden Sie sehr langsam, sehr achtsam auf das, was diese kleine Dose Droge wirklich bei Ihnen bewirkt! Sie müssen dazu wirklich Pausen machen, abwarten und sehr genau in sich rein fühlen. Sie werden merken, dass bereits kleinere Dosen das bewirken, was Sie wirklich von einer Zigarette erwarten.  Und…auf einmal merken Sie: Zigaretten schmecken furchtbar! Ich sauge überhitzten Rauch in meine Lunge! Es stinkt.
    Alles wird bewusster – und die Anzahl Zigaretten und die Anzahl Züge an jeder Zigarette werden sich automatisch reduzieren.

    Dann: Leben Sie als Raucher „Ihr Feuer“? Und wo – neben dem Rauchen – in Ihrem Leben?! Und wie leben Sie den Genuss in Ihrem Leben?
    Ist Rauchen „Ihr Genuss“?

    Wie beginne ich das Stoppen: mit Willenskraft? Nein: mit Gewohnheiten

    Wir überschätzen uns und unsere Willenskraft. Wir glauben, wenn wir uns nur am Riemen reissen, könnten wir jederzeit unser Verhalten steuern und unsere Ziele erreichen. Das stimmt aber leider nicht.

    Und… es ist nie zu spät, mit Rauchen aufzuhören >>>

    Die grösste Sucht… und die gefährlichste…

    Ein Drittel der Männer und ein Fünftel der Frauen in der Schweiz und in Deutschland rauchen, sind also nikotinabhängig. Damit ist Rauchen unsere grösste Sucht – und sie ist auch die gefährlichste. Die im Tabakrauch bislang etwa 7000 analysierten verschiedenen Chemikalien neben Nikotin verursachen eine endlose Reihe gesundheitlicher Störungen- und massive Umweltschäden. Man kann heute ruhig behaupten, dass jede Zelle und jedes Organ im menschlichen Körper durch Rauchen geschädigt wird.

    Rauchen ist auch eine massive Umweltzerstörung

    Das Rauchen schadet laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Umwelt enorm. Jedes Jahr kosteten Herstellung und Konsum von Tabak mehr als acht Millionen Menschenleben, 600 Millionen Bäume, 200’000 Hektar Land sowie 22 Milliarden Tonnen Wasser und setzten rund 84 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) frei, rechnet die WHO in einem neuen Bericht unter dem Titel «Tabak: Vergiftung unseres Planeten» vor. Die CO2-Menge entspreche dem Ausstoss von etwa 17 Millionen benzinbetriebenen Autos jährlich.

    Tabakprodukte enthalten über 7000 giftige Chemikalien, die beim Wegwerfen in die Umwelt gelangen.Rund 4,5 Billionen Zigarettenfilter landen jedes Jahr in Ozeanen und Flüssen, auf Trottoirs und Böden und an Stränden. Die Kosten für die Beseitigung weggeworfener Tabakerzeugnisse tragen dabei immer die Steuerzahler und nicht die Industrie. Dies kostet China jährlich etwa 2,6 Milliarden Dollar und Indien etwa 766 Millionen Dollar.
    Die WHO fordert Länder und Städte auf, die Industrie bei der Beseitigung der Tabakreste stärker in die Pflicht zu nehmen. Ausserdem soll die Politik ein Verbot von Zigarettenfiltern in Betracht ziehen. Diese enthalten Mikroplastik und tragen stark zur Plastikverschmutzung bei. Ihr gesundheitlicher Nutzen ist hingegen nicht nachgewiesen, so die WHO. (Mai 2022)

    Heilungsschritte

    Vergegenwärtigen Sie sich alle Heilungsschritte, die nach dem Rauchstopp sofort eintreten.

    Die Risiken des Rauchens steigen mit der täglichen Dosis linear (sind aber auch schon bei wenigen Zigaretten pro Tag massiv), mit der Zeitdauer aber exponentiell. Deshalb ist eine Reduktion der Zigarettenmenge oder Wechseln auf eine „schwächere“ Zigarette nur wenig wirksam, jedoch ein Stopp (oder Pause – siehe Länge bis Besserungen unten) enorm viel wirksamer!
    Sobald die letzte Zigarette geraucht ist, beginnt im Körper eine Reihe Veränderungen: Innerhalb von 20 Minuten erniedrigen sich der Blutdruck, die Körpertemperatur und die Herzschlagfrequenz auf die Werte, welche man als Nichtraucher hätte. Die Temperatur der Hände normalisiert sich. Die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit steigt.  Der Altersschwund der Sehschärfe verringert sich. Die Zähne erhalten nach der Reinigung ihre normale Farbe zurück. Nach acht Stunden ist der Raucheratem verschwunden und das Giftgas Kohlenmonoxid ist in den roten Blutkörperchen durch Sauerstoff ersetzt worden. Die Muskeln werden leistungsfähiger. Schon nach 24 Stunden ist das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, gesunken. Nach 48 Stunden finden Veränderungen in den Nervenenden statt, welche den Geruchs- und den Geschmackssinn wieder verfeinern. Die Blutgefässe in Magen und Darm arbeiten wieder optimal – dadurch verbessert sich die Nahrungsaufnahme. Das Risiko für Magenkrebs sinkt bereits.
    Innerhalb von drei Tagen wird man wieder besser atmen können. Innerhalb zwei oder drei Monaten verbessert sich die Blutzirkulation. Damit wird das Gehen erleichtert, und die Lungenkapazität erhöht sich um bis zu 30 Prozent. Zwischen einem und neun Monaten verebbt die chronische Reizung der Nasennebenhöhlen, und die feinen Härchen in den Lungen, welche Fremdstoffe entfernen helfen, sind wieder nachgewachsen, was dem Raucherhusten ein Ende bereitet. man ist allgemein wieder leistungsfähiger. Schlafstörungen verschwinden, der Schlaf wird tiefer. Zwischen 6 bis 12 Monate nehmen auch die Durchblutungsstörungen (Kribbeln, Schmerzen) der Hände und Füsse ab.
    Nach einem Jahr ist das Risiko einer Erkrankung der Herzkranzgefässe halb so gross wie das eines Rauchers. Die gelben Ränder an den Händen verschwinden. Zwischen 1 bis 2 Jahre sinkt die Thrombosegefahr in den Venen der Beine auf 50 Prozent. Nach zwei Jahren fällt das Risiko eines Herzinfarktes auf nahezu normale Werte. Die Parodontose (Zahnfleischentzündung) geht zurück. Nach 4 Jahren sinkt das Risiko für Lippen-, Mundhöhlen- und Zungenkrebs auf 50 Prozent. Nach fünf Jahren nimmt das Risiko eines Schlaganfalles ab, das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, ist wesentlich geringer gegenüber früher, das Risiko für Krebserkrankungen der Speiseröhre ist nur noch halb so gross wie das des Rauchers. Nach zehn Jahren sterben so wenige frühere Raucher an Lungenkrebs wie Nichtraucher. Die präkanzerösen Zellen sind von gesunden Zellen ersetzt worden. Nach 15 Jahren ist auch das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung nicht mehr grösser als das eines lebenslänglichen Nichtrauchers.

    Also: Wer starkes Rauchen für nur ein Jahr unterbricht, hat bereits wieder eine viel bessere Lungenfunktion – und senkt das Risiko, früher zu sterben. Dies sagen auch Margit Pelkonen und ihr Team von der finnischen Universität in Kupio. Sie untersuchten während 30 Jahren finnische Raucherinnen und Raucher. Messungen des Lungenvolumens zeigten, dass eine einjährige Pause genügte, um die Lunge zu regenerieren. Allerdings noch nicht vollständig. Die besten Lungen hatten die kategorischen Nichtraucher. Die Forscher wollen damit Raucher mit missglücktem Aufhörversuch ermutigen, es erneut zu versuchen. Auch wenn sie wieder rückfällig würden, sei das noch lange kein Grund, frustriert zu sein.

    Ein Rauchstopp verbessert auch das seelische Gleichgewicht

    Ein Streit mit dem Partner oder Ärger bei der Arbeit – in solchen Situationen scheint eine Zigarette zu helfen. Doch Nikotin beruhigt die Nerven nur kurzfristig. Besser für die Psyche ist ein Rauchstopp. Zu diesem Schluss kommt eine neue Übersichtsstudie der unabhängigen Cochrane-Forscher 2021. Sie analysierten über 100 Studien mit insgesamt rund 170’000 Frauen und Männern. Nach dem Rauchstopp litten die Teilnehmer weniger an Stress, Ängsten und Depressionen als jene, die weiter rauchten. Den allermeisten geht es nach dem Rauchstopp deutlich besser. Nur in den ersten Tagen ist man wegen des Entzugs nervös oder unausgeglichen. Dann ist es wichtig, dass das Umfeld die Betroffenen unterstütze. Zudem soll man einen günstigen Zeitpunkt mit wenig Stress wählen und das Rauchzeug ganz verschwinden lassen.

    Nehme ich beim Rauchstopp nicht viel Gewicht zu?

    NEIN!
    Durchschnittlich nimmt man nach dem Stoppen mit den Zigaretten nur etwa 2 bis 5 Kilogramm zu. 10% nehmen sogar etwas ab! Und meist hat man nach einem Jahr wieder sein Ausgangsgewicht erreicht.

    Auch wer nach dem Rauchstopp (vorübergehend) zunimmt, lebt gesünder

    Wer mit dem Rauchen aufhört, verringert sein Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich – auch wenn er an Gewicht zunimmt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Schweizer und US-Forschern, die gestern im «Journal of the American Medical Association» veröffentlicht wurde. Teilnehmer, die nicht an Diabetes litten und mit dem Rauchen aufhörten, hatten ein um gut 50 Prozent geringeres Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Dies sei trotz Gewichtszunahme der Fall gewesen, die im Schnitt nur bei 2,5 bis 3,5 Kilogramm lag, wie die Forscher von der Medizinischen Poliklinik der Universität und des Unispitals Lausanne berichten. Auch bei Diabetikern sank das Herz-Kreislauf-Risiko, allerdings nicht um einen statistisch signifikanten Wert. An der Langzeitstudie hatten zwischen 1984 und 2011 mehr als 3200 Menschen in den USA teilgenommen.

    In den Vereinigten Staaten ist Rauchen die häufigste Ursache von vermeidbaren Todesfällen, wie es in der Untersuchung weiter heisst. Die Gewichtszunahme ist den Forschern zufolge die grösste Sorge der Raucher, die aufhören wollen. Demnach machten sich etwa 50 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Männer Sorgen, nach einem Rauchstopp zuzunehmen, was sie davon abhalten könne, das Rauchen einzustellen. Amerikaner, die mit dem Rauchen aufhören, nehmen im Schnitt 3 bis 6 Kilo zu. Das zusätzliche Gewicht bleibt einige Zeit bestehen. Bei Diabetikern kann eine Gewichtszunahme die schädlichen Auswirkungen ihrer Erkrankung verschlimmern.
    (aus dem Tages-Anzeiger vom 14.3.13)

    Warum nimmt man eigentlich zu?

    Der Grund liegt meist nicht darin, dass man mehr und anders isst, sondern in einer veränderten Zusammensetzung der Darmflora nach dem Rauchstopp! Bei Menschen nach dem Rauchstopp verschiebt sich vorübergehend die Population der Darmbewohner in Richtung derjenigen Bakterienstämme, die auch bei Fettleibigen dominieren.

    Arbeit schadet Rauchern

    Nikotinabhängige, die mehr als 50 Stunden pro Woche schuften, geben ihr Laster seltener auf als andere! Damit nicht genug: Im Durchschnitt qualmen sie sogar mehr. Und Exraucher werden in Stressphasen häufiger rückfällig, wie eine umfangreiche Analyse ergeben hat (j.socscimed.2014.04.031).
    Also: Weniger arbeiten wenn Sie mit Rauchen aufhören und dabei bleiben wollen!

    Wie abhängig bin ich?

    Um besser und standardisiert beurteilen zu können, wie
    sehr ein Mensch vom Nikotinkonsum abhängig ist, wird von behandelnden Ärzten zunehmend
    der Fagerström-Test verwendet. Beantworten Sie
    die Fragen, indem Sie die richtigen Kontrollkästchen antippen und die Punkte
    werden automatisch zusammengezählt. Zeigen Sie das Ergebnis Ihrem Arzt:

    1. Wann nach dem Aufstehen rauchen Sie Ihre erste Zigarette?
    • innerhalb von 5 Minuten (= 3 Punkte)
    • 6 bis 30 Minuten (2 Punkte)
    • 31 bis 60 Minuten (1 Punkt)
    • nach 60 Minuten (0 Punkte)

    2. Finden Sie es schwierig, an Orten, wo das Rauchen verboten
    ist (z.B. Kirche, Bücherei, Kino usw.) das Rauchen zu unterlassen?

    •  Ja (1 Punkt)
    • Nein (0 Punkte)

    3. Auf welche Zigarette würden Sie nicht verzichten wollen?

    • die erste am Morgen (1 Punkt)
    • andere (0 Punkte)

    4. Wie viele Zigaretten rauchen Sie im allgemeinen pro Tag?

    • bis 10 (= 0 Punkte)
    • 11 bis 20 (1 Punkt)
    • 21 bis 30 (2 Punkte)
    • 31 und mehr (3 Punkte)

    5. Rauchen Sie am Morgen im allgemeinen mehr als am Rest des
    Tages?

    • Ja (1 Punkt)
    • Nein (0 Punkte)

    6. Kommt es vor, dass Sie rauchen, wenn Sie krank sind und
    tagsüber im Bett bleiben müssen?

    • Ja (1 Punkt)
    • Nein (0 Punkte)

    Ihr Punktetotal: 

    0 bis 2 Punkte
    stellt keine bzw. eine nur sehr geringe
    Nikotinabhängigkeit dar: Ein Aufhören wird "kinderleicht" sein und
    jederzeit gelingen!

    3 bis 4 Punkte: geringe Nikotinabhängigkeit: Das Stoppen
    wird Ihnen relativ einfach fallen. Tun Sie es!

    5 bis 10 Punkte: mittlere bis hohe Nikotinabhängigkeit. Das Aufhören
    wird etwas schwieriger, aber gelingt mit den untenstehenden Tricks!

    Wie schaffe ich es also aufzuhören?

    Dazu Mark Twain: "It's easy to quit smoking. I've done it hundreds of times!"

    Mit dem Rauchen aufzuhören, ist nicht einfach, aber Millionen Menschen haben es geschafft, und so können Sie es auch.
    Den Kampf gegen den inneren Schweinehund ist hier sehr eindrücklich beschrieben.

    Ist es nur eine Sache meines Willens?

    Nein! Der Einsatz von "Willenskraft" ist letztlich anstrengend und nutzlos und eine Vorbereitung auf das Versagen. Wenn ich die Überzeugungen, die die Gewohnheiten gewählt haben, transformiere, ändern sich die Gewohnheiten selbst. Sie müssen heute nicht kämpfen, um keine Zigarette zu rauchen. Sie verändern den "Selbsthass", der diese selbstzerstörerische Gewohnheit gewählt hat. Lernen Sie, sich und der Welt mehr zu vertrauen, zu lieben. Gehen Sie nochmals zurück, wie alles begann (siehe oben)...

    Vorbereiten auf die Entwöhnung

    • Man darf zuerst mal behaupten, dass auch ein spontaner, rascher Entschluss sehr erfolgreich sein kann! Nach einer neueren Studie zeigte es sich , dass nicht vorausgeplante Stoppversuche sogar mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen als solche, die von langer Hand zu einem späteren Zeitpunkt geplant waren: http://bmj.bmjjournals.com/cgi/content/full/332/7539/458 .
    • Setzen Sie ein Datum fest, an dem Sie mit dem Rauchen aufhören wollen.
    • Versuchen Sie, einen Freund/eine Freundin zu überzeugen, ebenfalls, mit Ihnen, mit dem Rauchen aufzuhören. So können Sie sich gegenseitig unterstützen. Der Lebenspartner, der auch raucht, stoppt nach Möglichkeit gleichzeitig!
    • Mit Rauchen zu stoppen ist eine ganz natürliche Entwicklung, falls man jeden Tag beginnt etwas zu laufen! Leicht wird das selbstverständlich nicht, aber Rauchen und tägliches Lauftraining passen einfach nicht zusammen.  Und das Laufen hilft sehr, die Entzugserscheinungen zu überwinden oder schon gar nicht aufkommen zu lassen (z.B. keine Gewichtszunahme!). Sich mehr zu Bewegen und dann das Rauchen aufzugeben bedeutet den symbolischen Abschied von seinem früheren Leben.
    • Notieren Sie sich, wann, wo und wie Sie rauchen. Schreiben Sie auf, bei welchen Gelegenheiten Sie gewöhnlich eine Zigarette anzünden: beim Frühstück, nach dem Essen, beim Autofahren oder... Dahinter schreiben Sie Ihre jeweilige Stimmungslage.
    • Ändern Sie Ihre Rauchgewohnheiten. Legen Sie Ihre Zigaretten an einen anderen Platz. Halten Sie sie nicht in der Hand, die Sie meistens benutzen. Nehmen Sie die Schachtel nicht überallhin mit, so dass Sie beim Lesen, Autofahren, Telefonieren und so weiter rauchen müssen.
    • Bestimmen Sie eine Stelle, an der Sie rauchen und nirgendwo anders.
    • Wenn Sie rauchen möchten, warten Sie einen Moment ab, bevor Sie die Zigarette anzünden. Versuchen Sie zunächst etwas anderes zu machen, wie Kaugummi zu kauen oder ein Glas Wasser zu trinken und warten Sie, ob das Bedürfnis vergeht.
    • Kaufen Sie nur jeweils eine Schachtel.
    • Hilfsmittel wie Pflaster oder Pillen sind nicht nötig – sie können, gemäss neueren Studien die Chancen sogar  verringern: Betroffene sind versucht, die Verantwortung auf das Hilfsmittel abzuwälzen statt die Sache selber in die Hand zu nehmen. Dabei findet der Entzug überwiegend im Kopf statt.
      Zu diesem Schluss kamen auch australische Wissenschaftler. Sie analysierten 511 Rauchstopp-Studien. Das Ergebnis: Die meisten Nikotin-Aussteiger gewöhnen sich ihr Laster ganz ohne Unterstützung ab.
    • Und falls Sie darauf fixiert sind: Fragen Sie Ihren Arzt nach Medikamenten, die die Entzugssyndrome mildern und das Verlangen nach Nikotin reduzieren. Sie können beispielsweise Nikotin-Pflaster oder Kaugummi für die ersten «Nichtraucherwochen» bekommen. (siehe weiter unten)
    • Planen Sie bereits gut, wie Sie sich viel mehr bewegen können (damit Sie nicht nach dem Rauchstopp zunehmen). Markieren Sie dreimal in der Woche grüne Balken von je einer Stunde in Ihrer Agenda und planen Sie darin diejenige Art von Bewegung, die Sie auf lange Zeit lustvoll tun wollen.

    Am ersten Entwöhnungstag 

    • Werfen Sie alle Zigaretten fort und stelIen Sie die Aschenbecher weg.
    • Ändern Sie Ihre morgendlichen Gewohnheiten, besonders Ort und Zeit, an denen Sie normalerweise frühstücken. Oder frühstücken Sie auswärts.
    • Wenn Sie unbedingt rauchen müssen, tun Sie stattdessen irgend etwas anderes. Plagt Sie die Lust auf eine Zigarette, sollten Sie einen kurzen, strammen Spaziergang um den Häuserblock machen. Der Grund: Bewegung aktiviert das Belohnungszentrum im Hirn. Das hebt die Stimmung und hilft gegen Entzugssymptome!
    • Stecken Sie sich etwas in den Mund wie Kaugummi, harte Bonbons oder Zahnstocher.
    • Markieren Sie bereits einen dieser einstündigen grünen Balken in der Agenda für einen lustvolle Bewegung. Denn leichte sportliche Betätigung mindert die Entzugserscheinungen enorm.
    • Belohnen Sie sich am Ende des Tages. Schauen Sie sich einen Film an oder essen Sie Ihr Lieblingsgericht.

    Nicht-Raucher bleiben

    • Treiben Sie regelmässig Sport: Gehen Sie spazieren, fahren Sie Rad oder treiben Sie den Sport, der Ihnen gefällt. Bereits ein fünfminütiger Spaziergang aktiviert das Belohnungszentrum im Hirn und senkt das Verlangen nach Zigaretten und mildert die mit der Rauchentwöhnung oft einhergehenden Symptome wie Stress, Beklemmung und Konzentrationsschwierigkeiten.
    • Denken Sie an die positiven Wirkungen des Nichtrauchens, beispielsweise an Ihr positives Selbstbild: Sie sind in der Lage, mit schlechten Gewohnheiten zu brechen. Denken Sie auch an den gesundheitlichen Gunsten, den Sie und Ihre Familie davontragen, wenn sie in einer rauchfreien Umgebung leben und schliesslich an das Vorbild, das Sie anderen setzen.
    • Wenn Sie Stress spüren, denken Sie über das Problem nach und versuchen Sie es zu lösen. Sagen Sie sich, dass durch Rauchen nichts wirklich besser wird.
    • Essen Sie regelmässig, so, dass Sie nie hungrig sind. Niemals das Hungergefühl mit einer Zigarette ablenken.
    • Stecken Sie das Geld, das Sie für Zigaretten ausgeben würden, in eine Spardose und beobachten Sie, wie sich der Betrag vermehrt. Planen Sie, sich etwas Besonderes davon zu kaufen.
    • Erzählen Sie anderen Leuten, dass Sie mit dem Rauchen aufgehört haben. Ihre Freunde, die immer noch rauchen.. möchten wissen, wie Sie es geschafft haben.
    • Wenn Sie trotz alledem mal eine Zigarette rauchen müssen, geben Sie Ihr Vorhaben, Nichtraucher zu werden, nicht gleich vollständig auf. Selbst schon kürzere Pausen bringen Ihrer Gesundheit sehr viel Nutzen! Viele ehemalige Raucher haben mehrere Versuche gebraucht, bevor sie es endgültig geschafft haben, Nichtraucher zu werden. Machen Sie weiter! Auch Sie schaffen es!
    • Entwerfen Sie Strategien gegen die diversen möglichen Nikotinentzugssymptome:

    App erleichtert Unterstützung beim Rauchstopp

    Der Rauchstopp ist einfacher, wenn man von nahestehenden Personen zum Durchhalten motiviert wird. Eine neue App für Mobiltelefone erleichtert es Ausstiegswilligen, sich in einer Krise mit einer Freundin oder einem Freund zu vernetzen und um Unterstützung zu bitten. Mit diesem Programm können auch zwei Rauchende gemeinsam aufhören. Tabakfachleute der Universität Genf entwickelten die App. Mehr Infos unter www.smokefree.ch.
    (Bundesamt für Gesundheit)

    Kwit (für Android und iOS, kostenlos):
    Die App unterstützt Menschen nach dem Rauchstopp. Sie zeigt, welche Fortschritte die Gesundheit macht und wie viel Geld man bereits gespart hat. Speziell: Die App funktioniert wie ein Spiel. Man kann zu immer höheren Erfolgs-Levels aufsteigen. Wenn die Lust auf eine Zigarette quält, zieht man eine Motivationskarte und erhält einen Tipp, wie man widersteht. Die App ist schön gemacht und abwechslungsreich. Allerdings muss man sich registrieren. Zudem sind einige Funktionen nur in der Abo-Version für Fr. 8.- pro Monat verfügbar, zum Beispiel Angaben zur gewonnenen Lebenszeit oder unbeschränkte Einträge ins Tagebuch. Das ist zu teuer.
    Fazit: Die Gratis-Version erleichtert den Kampf gegen das Nikotin. Die Abo-Version kann man sich sparen. Apple & Android

    Übrigens: eine Bemerkung zu den abschreckenden Aufschriften auf den Zigarettenpackungen

    Warnhinweise auf Zigarettenpackungen sind doch hilfreich! Sie helfen Ex-Rauchern dabei, Nichtraucher zu bleiben. Dies konnten Forscher des Health Centre for Tobacco Control in St. Carlton, Australien 2012 in einer Studie mit 2000 Teilnehmern bestätigen. Über die Hälfte gaben an, dass Warnhinweise wie  «Rauchen kann tödlich enden» und Bilder von kranken Lungen sie davon abschreckten, erneut zur Zigarette zu greifen. Den grössten abschreckenden Effekt stellten die Forscher fest, wenn Text und Bilder auf den Packungen immer wieder neu gestaltet werden.

    Medikamente zur Nikotinentwöhnung?

    Am besten hören Sie mit einem Schlag auf. Hilfsmittel wie Pflaster oder Pillen sind nicht nötig – sie können die Chancen sogar verringern: Betroffene sind versucht, die Verantwortung auf das Hilfsmittel abzuwälzen statt die Sache selber in die Hand zu nehmen. Dabei findet der Entzug überwiegend im Kopf statt.
    Zu diesem Schluss kamen auch australische Wissenschaftler. Sie analysierten 511 Rauchstopp-Studien. Das Ergebnis: Die meisten Nikotin-Aussteiger gewöhnen sich ihr Laster ganz ohne Unterstützung ab.
    Wenn in einer Paarbeziehung beide rauchen, hören wenn möglich auch beide gleichzeitig damit auf. Sonst ist die Gefahr eines Rückfalls zu gross. Und: Wer sich nach dem Rauchstopp körperlich mehr bewegt, verbessert seine Erfolgschancen nachweislich.

    "Wenn eine medikamentöse Hilfe angezeigt erscheint, stellen Nikotinpräparate wegen ihrer vergleichsweise geringen Risiken die erste Wahl dar." (pharma-kritik)

    Nikotinersatzpräparate

    Nikotin kann paradoxerweise verwendet werden, um sich von einer Nikotinabhängigkeit zu befreien. Die sogenannte Nikotinersatztherapie erhöht die Chance, mit dem Rauchen aufzuhören. Es stehen verschiedene Darreichungsformen wie Kaugummis, Pflaster und Mundsprays zur Verfügung.
    Lesen Sie den ausführlichen Artikel im PharmaWiki hier >>>
     www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Nicotin

    und auf meiner Website hier >>> nikotinep/

    Die Antidiabetesmittel Ozempic oder Wegovy als Antisuchtmittel?

    Es hat sich nun gezeigt, dass Semaglutid & Co neben dem Appetit auch ein Suchtverlangen (gegen Rauchen, Alkohol,...) unterdrückt. Dies passt natürlich zum gehypten Auftritt dieser Medikamente. Die Social-Media-Posts gehen nun mit Erfolgsmedlungen durch die Decke...
    In solcher Euphorie wird immmer übers Ziel ausgeschossen, weshalb man noch nicht mit gutem Gewissen diese neue Indikationsausweitung als bare Münze nehmen kann.
    Zudem hatten wir dies schon etliche Male, dass eine Sucht mit Medikamenten behandelt wurde, worauf man darauf regelmässig von diesen neuen Mittel abhängig wurde, deren Langzeit-Nebenwirkungen man noch gar nicht kennt. Dies geschah auch intensiv mit Amphetaminen zum Abnehmen, mit Nikotinersatzpräparate gegen das Rauchen, usw..

    Warten wir also die laufenden Studien aus der Forschung ab - und auf mehr Langzeiterfahrung.
    Weiterlesen >>>

    E-Zigaretten zur Nikotinentwöhnung (Dampfen oder Vaping)

    Man muss wissen, dass man hier nur eine Sucht mit der anderen ersetzt, was beim Entzug  allgemein nicht erwünscht ist! Die meisten Benützer von E-Zigaretten bleiben bei diesen.
    Zudem sind die Langzeitschäden offensichtlich sehr gefährlich und unabsehbar!

    E-Zigaretten: Achtung: Einstiegsdroge mit unbekannten Langzeitfolgen!

    Hier eine sehr entlarvende, unabhängige und recht eindeutige Arbeit aus dem Arzneitelegramm 2/14 zu den "modernen" E-Zigaretten >>> e-zigaretten.pdf

    Schon 2016 zeigen Studien, dass «Dampfen» überhaupt nicht harmlos ist:
    E-Zigaretten gelten als saubere Alternative zu Tabakprodukten. Doch amerikanische Forscher schlagen Alarm: Die Geräte schaden den Atemwegen.
    E-Zigaretten sind besonders beliebt bei Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren. Das zeigt das Schweizer Suchtmonitoring. Sie werden häufig auch von Jugendlichen benützt, die vorher nie geraucht haben - gelten also als Einstiegsdroge zum späteren Rauchen!
    Und die Geräte sind nicht harmlos: Sie verdoppeln das Risiko, an Bronchitis zu erkranken! Auch bei ehemaligen E-Zigarette-Benützern treten Atemwegskrankheiten häufiger auf. Das haben Forscher der University of Southern California herausgefunden. Sie untersuchten über 2000 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren.
    Gleichzeitig warnt auch die nordamerikanische Gesundheitsbehörde United States Public Health Service, der «Dampf» aus E-Zigaretten enthalte ein problematisches Chemikaliengemisch von Konservierungsmitteln, Duft- und Geschmacksstoffen und Verneblungsmitteln, also schädliche Stoffe wie Metalloxide, Lösungsmittel und Aromen. Das darin enthaltene Nikotin kann natürlich auch süchtig machen. Es verführt allgemein zu anhaltenderem Gebrauch als mit normalen Zigaretten. Die toxischen Einwirkungen werden dadurch stärker und unbestimmter
    Dazu kommt: Explodierende E-Zigaretten führen immer wieder zu schweren Verbrennungen, vor allem im Gesicht.
    Deshalb: Hände weg von E-Zigaretten. Ich plädiere sogar für ein Verkaufsverbot unter 18 Jahren. E-Zigaretten sind höchstens als vorübergehende Ausstiegshilfe für schwere Raucher geeignet.

    Weitere Studie, die zeigt, dass es für unsere Lungen- und Bronchienzellen keine Rolle spielt, ob klassische Zigaretten geraucht oder E-Zigaretten und Hochtemperatur-Tabakerhitzer benützt werden. Toxizität, Oxidativer Stress, Entzündungsreaktionen und Remodelling waren gleich schlimm!
    (Sohal SS et al.: IQOS exposure impairs human airway cell homeostasis: direct comparison with traditional cigarette and e-cigarette. ERJ Open Res 2019;5:00159-2018.)

    Doppelkonsum erhöht das Risiko

    Jeder achte Raucher nutzt auch E-Zigaretten. Das zeigen Daten des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums. Viele greifen nach dem Umstieg aufs Dampfen wieder zur herkömmlichen Zigarette. Andere rauchen, wenn der Akku der E-Zigarette leer ist. Fachleute nennen das Doppelkonsum.

    Er schadet besonders: Das Lungenkrebsrisiko vervierfacht sich. Forscher der Ohio State University belegen das mit einer Studie an über 30.000 Teilnehmern. Das überrascht kaum: E-Zigaretten enthalten Hunderte Chemikalien, einige davon lösen nachweislich Krebs aus.

    Für die Umwelt sind die Billigprodukte eine grosse Belastung:
    Denn sie enthalten relativ grosse Akkus. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bezeichnet solche Einwegprodukte als «Ressourcenverschwendung». Die Behörde hat ausgerechnet, wie hoch der Materialverbrauch ist. «Je nach Batterie in der Einweg-E-Zigarette wirft man pro Monat etwa den Akku eines kleinen Smartphones weg». Wer jeden Monat vier Einweg-E- Zigaretten konsumiert, verschleisst demnach ungefähr die Batterie eines iPhone SE. Das Problem verschärft sich allerdings, weil ein Grossteil der E-Zigaretten oft im Abfall statt im Recycling landen. Wie bei Mikrowellen, Staubsaugern und anderen Elektrogeräten üblich, könnten aber auch die Dampfapparate in jede Verkaufsstelle zurückgebracht werden. Doch oft wissen Konsumentinnen und Konsumenten nicht, dass sie diese Geräte zurückbringen müssen. Die Rücklaufquote ist deshalb sehr niedrig.
    Zudem: Wenn sie im Abfall landen, kann es gefährlich werden!
    Wenn E-Zigis im Abfall landen, ist das nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern birgt auch Gefahren. Die enthaltenen Lithium-Ionen Batterien können leicht in Brand geraten. Das ist beim Transport in den Fahrzeugen der Kehrichtabfuhr gefährlich und kann auch in den Kehrichtverbrennungsanlagen zu grossen Bränden führen.

    Karies durch E-Zigaretten und Vapen

    E-Zigaretten, ursprünglich als Nikotinersatz und Entwöhnungshilfe eingesetzt, erfreuen sich durch das zusätzliche Verdampfen von feinen Aromen einer grossen Beliebtheit (sogenanntes «Vapen»). Zunehmend vapen auch Personen, die noch nie geraucht haben, und leider gehören auch Kinder und Jugendliche dazu. Allerdings häufen sich die Berichte der damit verbundenen Gesundheitsrisiken, sodass vor dessen Genuss nur abgeraten werden kann.
    Ein weiteres Risiko des Vapens scheint nun auch Karies zu sein: In den USA wurde während drei Jahren bei 13 216 Personen im Alter von 16–40 Jahren mit Kariesdiagnose festgehalten, ob sie – neben den klassischen Kariesrisiken (unzureichendes Zähneputzen, Naschen, Drogenkonsum) – E-Zigaretten benutzen oder vapen. 136 Personen bestätigten, 13 080 verneinten dies. Während E-Rauchende/Vapende in 79,1% der Fälle in eine hohe Kariesrisikogruppe gehörten, war dies bei den Nichtvapenden bei 59,6% der Fall (p <0,001). (JADA. 2022, doi.org/10.1016/j.adaj.2022.09.013)

    Hier noch ein positiver Aspekt >>>

    Cytisin aus der Pflanze Goldregen

    Cytisin ist ein Alkaloid, das in Pflanzen der Leguminosae-Familie vorkommt und in Osteuropa bereits seit den 60er Jahren als Antitabakmedikament (Markenname: Tabex) gebraucht wird. Es ist wie Vareniclin ein partieller nikotinerger Acetylcholinrezeptor. Ausserhalb Osteuropas ist es relativ unbekannt. Die Kosten sind tief im Vergleich zu anderen Nikotinersatztherapien und die Behandlung ist kurz (25 Tage). In einer grösseren Studie war Cytisin besser als die herkömmliche Nikotinersatztherapie, es traten aber innerhalb von 6 Monaten fast doppelt so viele Nebenwirkungen (v.a. Nausea, Erbrechen, Schlafstörungen) in der Cytisin-Gruppe auf.  (Walker W, Howe C, Glover M et al: Cytisine versus Nicotine for Smoking Cessation. New Engl J Med 2014;371:2353-62)

    Nikotinrezeptoragonist Vareniclin (Champix)

    Der partielle Champix erhöht bei gesunden motivierten Rauchern die Chance, ein Jahr lang nicht zu rauchen, gegenüber Plazebo unwesentlich. Das bedeutet andererseits, dass trotz umfangreicher psychologischer Begleitmassnahmen, die unter Alltagsbedingungen in der Regel nicht in diesem Ausmass zu realisieren sind, die meisten Anwendern weiter rauchen. Vareniclin ist dem Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion (ZYBAN) langfristig nicht überlegen. Nur in firmengesponserten Untersuchungen schneidet das Konkurrenzprodukt häufig wenig schlechter ab. Vergleiche mit Nikotinersatztherapie zeigen auch in etwa dieselbe Wirkung. Vareniclin ist aber wesentlich schlechter verträglich: 30% klagen über Übelkeit, ebenso viele über Schlafstörungen.
    Nebenwirkungen zusammengefasst:
    1 von 3 leidet unter Übelkeit.
    1 von 15 hat abnorme Träume.
    1 von 23 leidet an Schlaflosigkeit.
    1 von 50 hat Kopfschmerzen.
    1 von 143 entwickelt bei/unter Therapie schwerwiegende Nebenwirkungen (Verletzungen, Infekte, Krebs...).

    Kosten: Ein Behandlungszyklus von 12 Wochen kostet ca. 600.- CHF, also etwa 500.- Euro.
    (Am Fam Physician, 2017 Sep 1;96)

    Meines Erachtens kommt der Nikotinagonist allenfalls als Mittel der letzten Reserve in Betracht, wenn eine medikamentöse Unterstützung bei der Nikotinentwöhnung erforderlich ist und Nikotinersatztherapie fehlgeschlagen hat. (arznei-telegramm 2007; 3: 26). Ich rate klar davon ab!
    Ein Nachteil von Champix gegenüber den Nikotinersatzpräparaten ist auch, dass es eine Gewichtszunahme nach dem Rauchstopp nicht bremst. Ob Vareniclin sinnvoll mit einer anderen Pharmakotherapie (z.B. Nikotinpflaster) kombiniert werden kann, ist vorläufig unbekannt. Der Vorteil einer verlängerten Einnahme von Vareniclin über 24 statt 12 Wochen ist nicht vorhanden.

    Zudem lesen Sie auch mein "Nachwort für Schnellschiesser", was auch für Champix gilt!

    Erleichtern Antidepressiva den Rauchstopp?

    Von den gängigen Antidepressiva haben sich lediglich Bupropion und Nortriptylin als umstrittene Entzugsbegleiter erwiesen. Ihnen gemeinsam ist die noradrenerge Wirkkomponente, die ebenso wie eine dopaminerge offenbar den Verzicht aufs Rauchen erleichtern soll. Serotonerge haben dagegen bislang enttäuscht (die üblichen SSRI).
    Was bislang aber noch überhaupt nicht untersucht wurde: Ob vielleicht nur die Nebenwirkungen dieser Substanzen zum Entwöhnungserfolg beitragen. So macht Bupropion einem Teil der Konsumenten den Mund trocken - mag sein, dass die Zigarette dann einfach nicht mehr schmeckt.
    Eine neuere Studie zeigt, dass Bupropion als Zusatztherapie zu herkömmlichen Raucherentwöhnungsprogrammen (Nikotinsubstitution und Beratung) die Raucherabstinenzrate nicht erhöht (www.evimed.ch/cgi-bin/WebObjects/nuSite.woa/evimed/journal_club.html?rubricseq=120&tocexternalid=853)

    Ich rate ebenfalls von Antidepressiva ab.

    Weshalb verdienen die Tabakmultis noch immer viel?!

    Die Umsatzsteigerung wird mit teuren Preisen bei Zigaretten erreicht. Die Konsumenten machen dafür aber Steuererhöhungen verantwortlich. Da der Tabakindustrie ständig Konsumenten durch früheren Tod abhandenkommen, müssen jüngere Leute ein positiveres Bild vom Rauchen bekommen, damit sie trotz allem anfangen. Dafür wird auch zu zweifelhaften Methoden (Schleichwerbung) in Social-Media-Kanälen gegriffen.
    In diesem Video lernt man die Tricks und Kniffe kennen, die erklären, warum die Tabakindustrie weiterhin so erfolgreich ist:

    Weitere interessante Links aus der infomed-screen:

    Tobacco Control
    Das Rauchen von Tabak - meistens in Form von Zigaretten entspricht einer krankhaften Sucht mit ungewöhnlich dramatischen Folgekrankheiten. Betroffene Individuen sind dieser Krankheit in den meisten Fällen hilflos ausgeliefert, die Gesellschaft ist daran gewöhnt, das Suchtverhalten zu tolerieren und die Behörden und Regierungen begünstigen mit ihrer passiven Haltung in unerhört zynischer Weise das vorzeitige Ableben der Süchtigen. Diese Realität, die offensichtlich der Tabakindustrie seit langem bekannt ist, ist wohl vielen Ärztinnen und Ärzten zu wenig bewusst. Dank dem umfangreichen Antitabak-Aktivismus im Internet offeriert dieses Medium eine ausgezeichnete Informationsbasis zum Problem des Rauchens.
    So kann man beispielsweise mit dem Editorial «Nicotine Addiction» im British Medical Journal ( http://www.bmj.com/cgi/content/full/320/7232/391 ) beginnen und sich anschliessend über eine der zahlreichen Antitabak-Sites ein sehr umfassendes Bild verschaffen, wie die Industrie vorgegangen ist und auch heute noch vorgeht, wenn es darum geht, junge Leute süchtig zu machen.
    Zum Beispiel: Zigarettenproduzenten extrahieren das Nikotin zunächst aus dem Tabak, um es dann in bis zu vierfacher Konzentration wieder beizufügen. Dies fördert das Süchtigwerden von Erstrauchern und schafft neue Kunden.

    Die interessantesten internationalen Adressen sind die folgenden:

    www.tobaccofactfile.org
    das Tobacco Control Resource Centre der britischen Ärztegesellschaft - sehr informativ!

    http://www.cdc.gov/tobacco/
    Die «Tobacco Information and Prevention Source» der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention.

    http://www.tobacco.org/
    «Tobacco BBS»: eine sehr vielfältige Site mit einer Riesenauswahl von aktuellen News.

    http://tc.bmjjournals.com/
    Die Adresse der Zeitschrift «Tobacco Control (ein Abo ist notwendig)

    Ergänzend noch ein paar Schweizer Adressen:

    http://www.at-schweiz.ch/
    Die Adresse der Arbeitsgemeinschaft Tabak-Prävention Schweiz

    http://www.proaere.ch/
    Pro Aere, die schweizerische Gesellschaft für rauchfreie Luft und gegen die Tabaksucht

    https://www.stopsmoking.ch/
    Ein computergestütztes Entwöhnungsprogramm

    Die Liste könnte Seiten füllen!

    Tabaklobby  und Kinderfänger - wie cool ist rauchen wirklich? zu den Machenschaften der Tabakindustrie (Schweiz Med Forum 2011; 11(21 und 22:389-393))

    Was man sich mit Rauchen antut:

    • Allgemein gesagt, altert unser Körper mit jeder Zelle und jedem Organ viel schneller: gut sichtbar wird dies an einer Raucherhaut, die jünger welk und faltig wird. 30% aller Todesfälle bei den 35- bis 69-Jährigen sind nikotinbedingt.
    • Krebsfördernd
      (bisher über 70 karzinogene Stoffe im Tabakrauch analysiert): Lunge, obere Atemwege, Speiseröhre, Bauchspeicheldrüse, Blase, Magen, Brust, Leber, Niere, Leukämie, Dickdarm, Prostata, Lymphom, Plasmozytom, Gebärmuttermund
    • Bedingt oder mitbedingt:
      Lungentuberkulose, chronisch obstruktive Lungenkrankheit, Pneumonie, ischämische Herzerkrankungen (Herzinfarkt, Angina pectoris,...), Aortenaneurysma, Arteriosklerose, Hypertonie, Hirnschlag, Hirnblutung (verdoppeltes Risiko für intrazerebrale Hämorrhagien und Subarachnoidalblutungen - T.Kurth et al., Stroke 2003;34:1151-1155),
      Magengeschwüre, Schilddrüsenunterfunktion, Durchblutung (kalte Hände
      und Füsse), chronische Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung),Leberzirrhose,...
      Rauchen öffnet einem bakteriellen Angriff Tür und Tor: invasive Pneumokokken-Infektionen (Bakteriämie, Meningitis, etc. bei Immunkompetenten) treten fast nur bei Raucher auf!
      Auch das Risiko einer akuten Entzündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis) korreliert mit der Anzahl der gerauchten Zigaretten.
      Rauchen verstärkt auch die chronische Darmentzündung M.Crohn - dort ist
      jede Zigarette zuviel! Rauchen beschleunigt  und verschlimmert den Verlauf einer MS (Arch Neurol 66(7):858-864, July 2009)!

    • Auch wenig Rauchen ist schlecht fürs Herz:  Frauen, die "nur" drei bis fünf Zigaretten pro Tag rauchen, verdoppeln bereits ihr Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. Dasselbe Schicksal erleiden Männer, die sechs bis neun Zigaretten täglich rauchen. Schon kleine Tabakmengen, so das Fazit einer grossangelegten dänischen Studie (12'000 Männer und Frauen während 22 Jahren), können die Gesundheit erheblich schädigen!  (Prescott E et al., Importance of light smoking and inhalation habits on risk of myocardial infarction and all cause mortality, J Epidemiol Community Health. 2002 Sep;56(9):702-6.)

      Die Lungenfunktion nimmt leider auch bei weniger als 5 gerauchten Zigaretten pro Tag schnell ab (siehe Studie von 2019 aus Kopenhagen).

    Null-Toleranz beim Rauchen

    Die anamnestische Angabe von sogenannten «pack-years» für den  Zigarettenkonsum subsumiert eine relativ vorhersehbare Dosis-(Neben-)Wirkungs-Beziehung. Das dürfte aber nur bedingt zutreffen. Eine  Metaanalyse von immerhin 141 Kohortenstudien fand für Personen, die  lediglich eine Zigarette pro Tag rauchten, folgende Risikoveränderungen im Vergleich zu Niemals-Rauchern: Zunahme um 48 respektive 25% für koronare Herzkrankheit oder Schlaganfall für Männer. Bei Frauen fiel – wie vermutet – die Risikoerhöhung noch prominenter aus: 57 respektive 31% mehr. Interessant ist auch der Befund, dass bei Konsum einer Zigarette pro Tag bereits etwa die Hälfte des Risikos (im Vergleich zum Konsum eines ganzen Pakets pro Tag!) eingefahren wird, eine solche kardiovaskuläre Erkrankung zu erleiden. (BMJ 2018, doi.org/10.1136/bmj.j5855)

    • "Man nimmt doch mit Rauchen ab - und dies ist doch gesund?"
      Im Gegenteil: Obwohl RaucherInnen einen kleineren BMI haben als Nichtraucher, haben sie eine metabolisch gefährlichere Fettverteilung, d.h. sie haben eher mehr Bauchfett, also eine Apfelform des Körpers (siehe www.dr-walser.ch/metabolisches_syndrom/). (Obesity Research 13:1466-1457.August 2005.)
      .
    • Rauchen fördert Demenz
      In der so genannten Whitehall II-Studie liessen die kognitiven Leistungen zwischen dem 44. bis 69. Lebensalter bei Rauchern signifikant schneller ab als bei Nichtrauchern. Dies gilt auch für Ex-Raucher, deren Werte sich erst nach 10jähriger Abstinenz wieder denen der Nichtraucher annäherten. Laut der Studie war bei einem 50-jährigen Raucher ein ähnlicher geistiger Abbau zu beobachten wie bei einem 60-jährigen Nichtraucher. Bei Frauen war dies weniger deutlich. (S.Sabia et al., Arch Gen Psychiatry, Feb. 2012)
    • Rauchen lässt das Gehirn schrumpfen
      Nahezu alle Bereiche des Gehirns sind betroffen, wie eine neue Studie zeigt. Die durch Tabak verursachten Schäden sind offenbar nicht zu reparieren.
      Die Psychiater und Radiologen von der Washington University in St. Louis zeigen im Fachmagazin «Biological Psychiatry», wie eng Rauchen und Gehirngrösse zusammenhängen. Das Team um Laura Bierut hat dazu auf den Datensatz der UK Biobank zurückgegriffen und in die Studie mehr als 32’000 Erwachsene aufgenommen, deren Hirngrösse mittels bildgebender Verfahren erfasst wurde. Dabei zeigte sich, dass bei jenen Probanden, die regelmässig geraucht haben, die Hirngrösse kleiner war als beim altersentsprechenden Durchschnitt.
      «Bis vor kurzem haben Wissenschaftler die Auswirkungen des Rauchens auf das Gehirn tendenziell übersehen oder vernachlässigt», sagt Bierut in einer Pressemitteilung. «Das lag auch daran, dass wir uns auf die furchtbaren Schädigungen von Herz und Lunge konzentriert haben.» Doch je genauer die Folgen für das zentrale Nervensystem untersucht wurden, desto deutlicher zeigte sich, wie schlecht Rauchen für das Gehirn ist. Das Denkorgan altert vorzeitig, und damit steigt das Risiko für Raucher, schon früh an kognitiven Einschränkungen zu leiden oder an Demenz zu erkranken.
      Das Forscherteam stellte weiter fest, dass es eine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung gibt. Je mehr Zigarettenpackungen pro Jahr und während der gesamten Raucherkarriere bisher konsumiert worden waren, desto kleiner das Gehirn. «Das klingt schlecht, und das ist auch schlecht», sagt Bierut. «Zu einem geringeren Hirnvolumen kommt es mit zunehmendem Alter sowieso. In einer alternden Gesellschaft ist das ein wichtiger Punkt, denn Alter und Rauchen ergänzen sich als Risikofaktoren für eine Demenz.» Etwa 14 Prozent aller Alzheimererkrankungen weltweit führen Forscher auf Zigarettenkonsum zurück.
      Nahezu alle Bereiche des Gehirns sind bei Rauchern laut Studie von den Schrumpfungsprozessen betroffen, die weisse wie die graue Substanz, auch wenn letztere stärker beeinträchtigt war. Besonders ausgeprägt waren die Schädigungen zudem in der Hirnrinde und dem Hippocampus. Diese beiden Regionen sind besonders für kognitive Leistungen wie Sprache, abstraktes Denken und das Erinnerungsvermögen zuständig. Auch die als Ventrikel bezeichneten Hohlräume im Gehirn waren bei den Rauchern grösser als bei den Nichtrauchern.
      Als mögliche Ursache für die Hirnschrumpfung kommen mindestens zwei Mechanismen infrage. Einerseits wirken Nikotin und viele andere in Tabakprodukten enthaltene Substanzen als Zellgifte, die sich schädlich auf die Schutzbarriere der Blut-Hirn-Schranke auswirken. In der Folge kann das Hirngewebe direkter angegriffen werden. Andererseits drosseln die Inhaltsstoffe von Zigaretten und anderen Tabakwaren die Durchblutung in den Hirnarterien und tragen dazu bei, dass die Blutgefässe schneller verkalken. Diese Schädigungen kumulieren sich und beschleunigen so den Volumenverlust des Gehirns.
      Offenbar ist der Rückgang der Hirnmasse irreversibel, denn auch Menschen, die schon vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört haben, weisen kleinere Gehirne auf als jene, die nie geraucht haben. Die gute Nachricht ist immerhin, dass der Schwund nicht weiter voranschreitet, wenn Abhängige den Tabakkonsum beendet haben. Die ursprüngliche Grösse des Gehirns wird allerdings nicht wieder erreicht.

    • Sehen: Bei Rauchern kann bereits das Rauchen einer Zigarette die Blutzufuhr zum Sehnerv drastisch reduzieren.
      Raucher leiden deshalb hochsignifikant mehr unter degenerativen Augenerkrankungen (z.B. der Makuladegeneration, die zur Erblindung führt). Daneben spielt hier auch die Neurotoxizität der Zigaretten eine Rolle.
    • Schlafen: Rauchen führt zu Einschlafstörungen: Nichtraucher schlafen nach einer guten Viertelstunde ein. Die Raucher schaffen dies erst nach mehr als 25 Minuten, und wer mehr als 20 Zigaretten raucht, bezahlt das pro Stück mit einer weiteren halben Minute! Ausserdem setzt bei den Rauchern nachts häufiger kurz der Atem aus (Schlaf-Apnoe-Syndrom), und ihre Beinmuskeln zucken häufiger. Von beidem wacht man meist nicht auf, ist aber morgens weniger ausgeschlafen. Diese Symptome sind intensiver, je länger jemand geraucht hat und je mehr es täglich war.
    • Depression: Rauchende Studenten (Uni Belgrad und Pristina) leiden zwei- bis dreimal häufiger an Depressionen als Nichtraucher. Es gibt viele sonstige Hinweise, dass Rauchen und Depressionen eng miteinander verbunden sind.
    • Hören: Eine grosse Studie bei ca. 4000 Personen zwischen 48 und 92 Jahren ergab, dass Raucher ein 1.7fach höheres Risiko haben, vorzeitig einen Hörverlust im Alter zu erleiden. Das Innenohr reagiert eben sehr empfindlich auf ungenügende Sauerstoffzufuhr.(R.G. Matschke, HNO Berlin 1999: 47, 599-601)
    • Impotenz und Unfruchtbarkeit: Jede Zigarette wirkt wie ein Tritt in die Weichteile. Obwohl die Tabakwerbung immer noch mit dem Klischee von Männlichkeit arbeitet, ist Nikotin ein Potenzkiller ersten Ranges: es fördert Potenzprobleme, da es Blutgefässe verengt und die Blutzufuhr zum besten Mannsstück proportional mit der Zigarettenanzahl fällt. Wie stark Rauchen potenzschädigende Einflüsse hat, zeigt eine Studie der Boston University Medical School. Während nur 25 Prozent der männlichen Bevölkerung rauchen, waren von 1000 erektionsgestörten Männern 78 Prozent Raucher. Und selbst wenn sie "es" schaffen: Bei Rauchern leidet die Spermaqualität und -quantität ganz beträchtlich (http://www.jr2.ox.ac.uk/bandolier/band102/b102-5.html).
    • Rauchende Männer haben vermehrt Haarausfall. Der Zigarettenkonsum zerstört die Haarfollikel. Auch die Papillen werden beschädigt, die Blut und Hormone für das Haarwachstum liefern. Rauchen könnte aber auch die Produktion von Östrogenen erniedrigen, die den Effekten der männlichen Sexualhormone, der Androgene, entgegenwirken (Archives of Dermatology, Bd.143, S.1401).
    • Knochen: Das beste, was man für seine Knochen tun kann, ist - Nichtrauchen. So zeigen Studien, dass Raucher durchschnittlich 276 Tage benötigten, bis ihre gebrochenen Schienbeine wieder heil waren; Nichtraucher gesundeten doppelt so schnell und konnten nach genau 146 Tagen wieder richtig laufen.
      Raucher müssen zudem mit einem vierfach grösseren Risiko leben, dass ihre Knochen nicht richtig zusammenwachsen. Rauchende Frauen haben vermehrt Osteoporose im Alter.
    •  Schmerzen, z.B. Rückenschmerzen: 
      in Rauchstopp kann bei Menschen mit Rückenschmerzen ein wichtiger Beitrag zur Behandlung sein. Eine Studie im Journal of Bone and Joint Surgery (2012; 94: 2161-2166) dokumentiert eine signifikante Linderung der Schmerzen, wenn die Patienten auf das Rauchen verzichteten. Es zeigte sich: Wer weiterrauchte, hatte nach der Behandlung (Physiotherapie, Schmerzmittel oder beides) gleich viel Schmerzen wie vorher. Wer aufhörte, dem tat der Rücken weniger weh. Rauchen ist also nicht nur ein Risikofaktor für viele schmerzhafte Erkrankungen, zu denen neben den Folgen der Atherosklerose (Koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit) auch der chronische Rückenschmerzen gehören. Raucher sind generell schmerzempfindlicher als andere Menschen, berichtet Glenn Rechtine von der Universität von Rochester. Von den 5.333 Bandscheiben-Patienten, die sich an der Klinik mit axialer (Rückenschmerzen) oder radikulärer (Beinschmerzen) Symptomatik vorgestellt haben, gaben aktive Raucher in allen Schmerzskalen höhere Werte. Nichtraucher würden generell über weniger Schmerzen klagen, meint Rechtine. Der Orthopäde führt die vermehrte Schmerzempfindlichkeit auf die Wirkung von Nikotin zurück.
      Der Ratschlag an alle Rückenschmerzpatienten lautet deshalb, das Rauchen aufzugeben. Patienten, die ihn befolgten, erlebten der Studie zufolge in den folgenden acht Monaten eine deutliche Linderung ihrer Beschwerden, während es bei den Patienten, die weiter rauchten, keine signifikanten Verbesserungen gegeben habe.
    • Rheuma: Raucher haben ein höheres Risiko, eine Rheumatoide Arthritis zu bekommen. ...und bei ihnen wirken dann auch noch die typischen Anti-Rheuma-Medikamente ca. um 50% schlechter! Dies ist das Resultat einer Forschungsarbeit von Wissenschaftlern der Medizinischen Klinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Die Forscher konnten nachweisen, dass Zigarettenrauch körpereigene Eiweisse verändern kann. Das Immunsystem attackiere dann diese Eiweisse.
    • Tabak macht ungeschickt: Nikotinkonsum mindert die feinmotorische Geschicklichkeit (New Scientist, Vol.164, No.2214, 1999, S.25).
    • Kinder und Passivrauchen: Eine rauchende Schwangere hat mehr Früh-, Fehl- und Totgeburten. Es besteht eine höhere perinatale Sterblichkeit und mehr Missbildungen (auch bei alleinigem väterlichen Rauchen) und ein um ca. 200 g niedrigeres Geburtsgewicht. Im Säuglingsalter ist das Risiko für den plötzlichen Kindstod massiv erhöht. Im Kleinkindesalter: mehr Mittelohrentzündungen und häufigere akute Erkrankungen der Atemwege. Ältere Kinder leiden häufiger an chronischen Erkrankungen der Atemwege, Asthma und haben ein höheres Allergie- und auch Krebsrisiko (Non-Hodgkin-Lymphom, akute lymphoblastische Leukämie, Wilmstumor). Selbst im Erwachsenenalter haben Personen ein höheres Lungenkrebsrisiko, die in der Kindheit Passivrauchen ausgesetzt waren und bei Frauen zeigt sich eine etwa um die Hälfte reduzierte Fruchtbarkeit, wenn ihre Mütter während der Schwangerschaft geraucht haben.
    • Starke Raucher nehmen (im Zigarrenrauch mit Radon, etc.) Radioaktivität auf, die jährlich ca. 250 Lungen-Röntgenbildern entsprechen.
    • Rauchen kann Schmerzen verstärken: Raucher klagen bis zu 50 Prozent häufiger über starke Schmerzen in Gelenken und Muskeln als Nichtraucher. Dies fand ein Forscherteam des Southampton General Hospital bei der Befragung von rund 13000 Personen heraus. Selbst Ex-Raucher leiden unter stärkeren Schmerzen als Nie-Raucher. Die Forscher vermuten, dass entweder Nikotin die Schmerzwahrnehmung im Hirn nachhaltig verändert oder dass der Tabakrauch verschiedene Körpergewebe direkt schädigt.
      Auch Migräne oder Cluster-Kopfschmerzen werden nach Rauchstopp stark gebessert.
    • Passivrauchen macht auch Katzen krank: Die Stubentiger atmen den Zigarettenrauch nicht nur ein, sie lecken sich die giftigen Substanzen auch noch aus dem Fell. Katzen in Raucherhaushalten erkranken laut US-Forschern mehr als doppelt so häufig wie ihre Artgenossen in rauchfreien Wohnungen, unter anderem an Lymphdrüsenkrebs. (Elizabeth R.Bertone et al., Am J Epidemiol 2002; 156:268-273)
    • Auch für die Leber gefährlich: Hannover (D) – Rauchen ist nicht nur schädlich für die Lunge und für das Herz, sondern auch für die Leber. Das schreibt die Deutsche Leberstiftung in einer Mitteilung. Der Grund: Die Leber filtert Giftstoffe aus dem Blut, darunter auch Nikotin. Besonders verheerend ist das Rauchen, wenn die Leber bereits angegriffen ist. Nikotin verschlimmert beispielsweise eine Fettleber. Wer mehr als ein Pack Zigaretten pro Tag raucht, riskiert eine Leberzirrhose.
      (Deutsche Leberstiftung)

     Chemie-Cocktail in der Zigarette

    Zigaretten sind hochkomplexe Chemie-Cocktails. Erstmals in der Schweiz nahm das Institut für Rechtsmedizin in Bern die Mischung unter die Lupe. Mit erschreckendem Resultat.

    Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit», das weiss inzwischen jedes Kind. Manche Raucher achten deshalb darauf, nur Zigaretten mit möglichst tiefem Teer- und Nikotingehalt zu rauchen. Doch diese beiden Angaben sind nur die Spitze des Eisberges. Zigaretten enthalten daneben unzählige giftige Substanzen, die ebenfalls der Gesundheit schaden.

    Eine komplexere Mischung als Designerdrogen

    Die Konsumentenmagazine Kassensturz, A bon entendeur und saldo liessen zwölf Zigarettenmarken im Institut für Rechtsmedizin in Bern (IRM) untersuchen. Das Ergebnis ist erschreckend: Das Labor entdeckte rund 50 chemische Substanzen. 35 Chemikalien mischt die Zigarettenhersteller möglicherweise absichtlich in den Tabak. Selbst bei der beliebten Marke American Spirit, die auf der Packung mit «100 Prozent zusatzfreiem natürlichem Tabak» wirbt, hat das Institut Substanzen gefunden, die vermutlich beigemischt wurden.

    Werner Bernhard, Direktor der chemischen Abteilung am IRM, ist von der hohen Zahl an Stoffen überrascht: «In Heroin beispielsweise finden wir bei Routineanalysen bis zu sieben chemische Stoffe. Nicht mal bei Designerdrogen stossen wir auf eine so hochkomplexe Chemikalienbombe.»

    Besonders bedenklich findet der Chemiker die in dem Chemie-Cocktail gefundenen Amine: «Nicht alle davon kommen im natürlichen Tabak vor. Die Hersteller müssen sie in den Tabak gemischt haben. Dank ihnen wird mehr Nikotin freigesetzt und aufgenommen. Im Hirn können sie die Nikotinwirkung verstärken.»

    Dank den Aminen macht die Tabakindustrie die Raucher schneller und stärker süchtig. Selbst bei so genannten leichten Zigaretten mit einem niedrigen Nikotingehalt erreichen die Hersteller mit Aminen, dass der Körper mehr Nikotin aufnimmt als bei unbehandelten Zigaretten mit einem hohen Nikotingehalt. Auch Light-Zigaretten machen deshalb schnell süchtig.

    In der Chemiemixtur der Zigarettenindustrie entdeckte das Institut viele weitere, zum Teil giftige Substanzen, wie Rückstände von Herbiziden oder Lösungsmitteln. Xylol etwa, das unter anderem als fettlösendes Putzmittel gebraucht wird, fand das Labor in 8 der 12 untersuchten Zigaretten. Dieser Stoff ist laut Lebensmittelverordnung in Zigaretten verboten. Oder Pyridin, eine hochgiftige, möglicherweise zugesetzte Substanz.

    Dazu Edgar Oehler, Präsident der Vereinigung der Schweizerischen Zigarettenindustrie: «Das Pyridin besteht aus zahlreichen Substanzen, die als natürliche Stoffe in der Tabakpflanze vorkommen. Die Mitglieder unserer Vereinigung - Philip Morris SA, Japan Tobacco International AG Dagmersellen, British American Tobacco Switzerland SA - bestätigen, dass sie den Zusatz Pyridin nicht als Additiv verwenden.»

    Bundesamt ist alarmiert und will intervenieren

    Beim Bundesamt für Gesundheit in Bern (BAG) zeigt man sich ob der erschreckenden Resultate alarmiert: «Unter den im Tabak festgestellten Zusatzstoffen befinden sich allem Anschein nach solche, die laut Verordnung nicht zugelassen sind», sagt Thomas Zeltner, Direktor des BAG. «Wir werden die Resultate bestätigen lassen und dann bei den Zigarettenherstellern intervenieren.»

    Neben den illegal vorhandenen Stoffen gelangen mit dem Rauch einer Zigarette aber auch offiziell zugelassene Stoffe in den Körper, von denen man aber nicht weiss, wie sie sich im Verbrennungsprozess verändern und welchen Schaden sie im Körper anrichten.

    Benzaldehyd beispielsweise, im künstlichen Bittermandelaroma enthalten, überdeckt den herben Geruch des Tabaks. Kakao soll insbesondere Jugendlichen - ähnlich wie der Zucker in Alcopops - das Rauchen versüssen. Und der beliebte Zusatz von Menthol (nicht auf den Packungen deklariert), das auf die Schleimhäute eine betäubende Wirkung hat, überdeckt die Reizung der Atemorgane und erleichtert dem Konsumenten das tiefe Inhalieren des süchtig machenden Nikotins.

    Überhaupt scheint es, dass die Hersteller mit allen Mitteln, die ein chemisches Labor zur Verfügung stellt, versuchen, den Tabak zu überdecken, das Rauchen rauchfrei und die Konsumenten schneller süchtig zu machen. 600 solche Substanzen mussten die Hersteller bei Gerichtsprozessen in den USA 1998 offen legen.

    Clive Bates, Direktor der britischen Organisation Action on Smoking and Health in London, findet klare Worte für die Chemie-Cocktails der Tabakhersteller: «Die Verwendung der Zusatzstoffe und die chemische Veränderung des Rauches ist ein zentraler Teil der Marketingstrategie der Zigarettenhersteller.»

    «Bund muss Grenzwerte und Verbote festlegen»

    Angesichts der Tendenz der Tabakhersteller, den Chemie-Cocktail in ihren Zigaretten immer noch komplexer zu machen, fordert Werner Bernhard vom IRM jetzt ein Eingreifen des Gesetzgebers. «Für einige natürlich vorkommende Stoffe und für die Zusätze brauchen wir Grenzwerte im Gesetz, andere müssen ganz klar verboten werden.»

    Äusserst komplexe Mixtur

    Die Resultate des Institutes für Rechtsmedizin in Bern geben Hinweise auf den Zusatz einer Vielfalt von Substanzen, welche nicht erlaubt sind. Einige sind nicht 100-prozentig nachweisbar, was auf den Zusatz äusserst komplizierter Mischungen von Chemikalien während der Herstellung der Zigaretten hinweist. Weitere Analysen zur Bestätigung und Feststellung der Konzentration der Zusätze sind laut Untersuchungsleiter Werner Bernhard notwendig.
    - Pyridin: Kann die Verfügbarkeit des Nikotins erhöhen und eine zusätzliche Wirkung auf das Zentralnervensystem ausüben. Ist laut Verordnung des Bundes nicht zugelassen. Unangenehm riechendes Lösungsmittel, wirkt haut- und schleimhautreizend.
    - Xylol: Entfettendes Lösungsmittel. Steht im Verdacht, Krebs zu erregen.
    - Benzaldehyd: Künstliches Bittermandelaroma, wie es in Parfüms verwendet wird.
    - Menthol: Alkohol, der die Wahrnehmung der Schleimhautreizung dämpft.
    - Phenolderivate: Zusatzstoffe, die dafür sorgen, dass Plastik nicht spröde wird.
    (Monika Balmer Copyright © Saldo, 17.2001, 24. Oktober 2001 )

    Bronchuskarzinom: zu spät, um das Rauchen aufzugeben?

    Nach der Diagnose eines Bronchuskarzinoms glauben viele Betroffene, es sei nun zu spät, um das Rauchen aufzugeben. Evidenz zu dieser Frage bringt eine prospektive Kohortenstudie, in die zwischen 2007 und 2016 Betroffene mit nicht-kleinzelligem Bronchuskarzinom in den Stadien I–IIIa aufgenommen worden waren. 517 Studienteilnehmende rauchten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung des Bronchuskarzinoms. Von ihnen gaben 220 (43%) das Rauchen daraufhin auf, die übrigen 297 (57%) rauchten weiter. Der weitere Verlauf wurde bei allen jährlich mit strukturierten Interviews erfasst. Bezüglich Tumorhistologie, Tumorstadium und Behandlung bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Bei Personen, die nach der Diagnosestellung das Rauchen aufgegeben hatten, dauerte es bis zum Tod am Bronchuskarzinom median 8 Jahre, bei denjenigen, die weiter rauchten, 6 Jahre. Das mittlere progressionsfreie Überleben betrug 5,7 gegenüber 3,9 Jahren, die mediane Überlebenszeit betrug insgesamt 6,6 gegenüber 4,8 Jahren. 3-Jahre- und 5-Jahre-Überlebensraten ergaben dasselbe eindeutige Bild. Diese Unterschiede waren in allen Untergruppen (Alter, Histologie, Tumorstadium, Therapiemodalitäten, Anzahl der Zigaretten-«pack-years», Begleitkrankheiten, Alkoholkonsum) vorhanden. Vom Rauchstopp profitierten besonders jene, die das Rauchen in den ersten drei Monaten nach Diagnosestellung aufgegeben hatten.
    Weiterlesen >>> rauchstopp-spaet.pdf

    (Copyright beim Cartoonisten/Illustrator)

    Nachwort für "Schnellschiesser"

    Ich halte es allgemein bei neuen Medikamenten mit der 7-Jahre-Regel:
    Erst wenn ein Medikament 7 Jahre auf dem Markt ist, können exaktere Daten über die Nebenwirkungen aufgestellt werden - und erst nach 7 Jahren verschreibe ich ein Arzneimittel, das sich positiv bewährt hat! Bei Lifestylemedikamenten würde ich diese Zeit sogar auf 10 oder 15 Jahre ausdehnen, da die Gründe zur Einnahme nicht lebenswichtig sind, die User mehrheitlich junge Menschen sind und deshalb später auftretende Nebenwirkungen verheerend wären! (Lasser KE, et al. Timing of new black box warnings and withdrawals for prescription medications. JAMA 2002;287:2215-20: Rund 10% der in den Jahren 1975-99 von der FDA registrierten, rezeptpflichtigen Medikamente haben sich seither für schwere ADRs (adverse drug reactions) eine "black box warning" zugezogen oder wurden aus dem Markt genommen - in der Hälfte der Fälle im Laufe der ersten 7 Jahre nach Registrierung! Fazit: Die Sicherheit registrierter
    Medikamente lässt sich erst abschliessend beurteilen, wenn ein Medikament mehrere Jahre auf dem Markt war.

    Das Rauchen war aber gleichzeitig auch immer etwas geradezu Göttliches, was keineswegs nur an der Verkörperung des „Blauen Engels“ durch Marlene Dietrich, einer der grössten Raucherikonen des 20. Jahrhunderts, lag. Denn die Zigarette, das müssen selbst militante Nichtraucher zugeben, diente kulturhistorisch oft als Verstärker der Schönheit. Ob bei Humphrey Bogart oder Lauren Bacall, James Dean oder Marlene Dietrich, Steve McQueen oder Claudia Cardinale: Hier galt die Zigarette nicht als stinkendes Suchtmittel, sondern diente als ästhetisches Add-on, das Erotik und Eleganz, Laszivität und Lässigkeit ausstrahlte. Weiterlesen >>>

    gute Literatur:

    - Vera Kaltwasser, Mit Achtsamkeit zum Nichtrauchen, 2013, Beltz

    - Maja Storch, Rauchpause, Huber-Verlag, Bern

    Letzte Aktualisierung durch Thomas Walser:
    11. Juni 2025