Placebo

Dass die Vorstellungskraft heilen oder krank machen kann, klingt wie Zauberei – ist aber wissenschaftlich belegt. Ein hoffnungsvolles Gespräch mit dem Arzt hebt die Stimmung, während das Lesen eines Beipackzettels die beschriebenen Nebenwirkungen spürbar machen kann. Im ersten Fall spricht man vom Placebo-, im zweiten vom Noceboeffekt. Entscheidend ist die Erwartung des Patienten: Stellt er sich eine Besserung vor, setzt das Gehirn Botenstoffe frei, die den Körper darauf vorbereiten – und die erhoffte Wirkung tritt ein.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Diese selbsterfüllende Prophezeiung zeigt sich besonders bei Schmerzpatienten. Positive Gedanken können Schmerzsignale im Rückenmark dämpfen oder verstärken, körpereigene Opioide freisetzen und so die Schmerzverarbeitung beeinflussen.

Doch wie so oft im Leben hat das Gute einen schwereren Stand als das Schlechte. Das zeigt eine neue Studie der Placebo-Forscherin Ulrike Bingel von der Universität Duisburg-Essen, veröffentlicht im Fachjournal eLife. Sie belegt, dass negative Erwartungen das Schmerzempfinden stärker und nachhaltiger prägen als positive. Teilnehmer mit pessimistischen Erwartungen bewerteten ihre Schmerzen im Schnitt um elf Punkte höher (auf einer Skala von 0 bis 100) als unter neutralen Bedingungen. Optimistische Erwartungen senkten die Schmerzbewertung dagegen nur um vier Punkte. Der Noceboeffekt war also mehr als doppelt so stark wie der Placeboeffekt – bei identischen Versuchsbedingungen. Selbst eine Woche nach der ersten Scheinbehandlung blieb das Ergebnis nahezu unverändert. Das zeigt, wie nachhaltig der Erwartungseffekt wirkt.

Menschen rechnen offenbar eher mit dem Schlimmsten – und das beeinflusst die Schmerzverarbeitung. Evolutionsbiologen vermuten, dass diese Neigung das Überleben sicherte: Wer Gefahren früh erkannte, war vorsichtiger und lebte länger. Optimisten mögen glücklicher sein, doch ihr Leichtsinn konnte evolutionär zum Nachteil werden. Psychologen nennen dieses Phänomen Negativbias oder Negativverzerrung.

Für die Medizin ergibt sich daraus eine klare Lehre: Es reicht nicht, positive Erwartungen zu fördern (»Das wird schon wieder«). Ebenso wichtig ist es, unbeabsichtigte negative Erwartungen zu vermeiden.

Was also tun?

Müssen Sie Medikamente einnehmen? Mit welchen Emotionen nehmen Sie ihre Medikamente ein? Nehmen Sie sie mit optimistischen Heilserwartungen an oder eben nicht?
Zunächste: Beipackzettel mit Bedacht lesen – zu viel Detailwissen kann Nebenwirkungen verstärken.
Und vor allem: Die positive Wirkung des Medikaments bewusst in den Fokus rücken – am besten doppelt so intensiv.

Ideal wäre, dass die Einnahme der Medikamente stimmig und richtig für Sie wird – ein Placebo. Dann erst ist ihr Kohärenzgefühl stark.

Wie kann eine Ärztin dies positiv beeinflussen?

Wenn es einem Arzt gelingt, den Patienten davon zu überzeugen, dass eine Behandlung wirksam sein wird, dann tritt häufig tatsächlich Besserung ein – ganz gleich, ob der Arzt eine Therapie einleitet oder nicht. Die blosse Überzeugung, so scheint es, vermag die Medizin dann zu ersetzen. Ärzte können den Placebo-Effekt nutzen, um erstaunliche Veränderungen im Körper anzustossen. So vermag allein die Gabe von Scheinmedikamenten (die keinerlei Wirkstoffe enthalten) den Blutdruck zu verändern oder das zentrale Nervensystem anzuregen, körpereigene Schmerzmittel auszuschütten. Placebos sind dann besonders häufig wirksam, wenn nicht nur der Körper leidet, sondern auch die Psyche – etwa bei Depressionen, Schlaflosigkeit, Parkinson und bei den verschiedensten Arten von Schmerz, v.a. auch bei Migräne.

Besonders empfänglich für den Placeboeffekt sind Menschen, die generell zu Optimismus neigen. Denn wer die Dinge meist von ihrer guten Seite sieht, hört aus den Aussagen des Arztes eher das für ihn Positive heraus – und erhöht so die Chance, dass der Effekt eintritt. Wer dagegen eher die Risiken einer Behandlung wahrnimmt, Nebenwirkungen erwartet oder auch nur wenig Zutrauen zur Therapie hat, ruft womöglich das Gegenteil hervor: Je eher der Patient vom schlechten Verlauf einer Behandlung ausgeht, desto eher wird sie auch tatsächlich nicht wirken.

Doch welche Erwartung ein Patient hat, hängt nicht allein von seinem Naturell ab. Inzwischen konnten Forscher etliche weitere Faktoren ausmachen. So trauen Patienten Originalpräparaten eher als nachgeahmten Produkten (Generika), obwohl die Inhaltsstoffe gleich sind. Auch die Menge beeinflusst die Erwartung: Von vier Tabletten täglich versprechen sich Kranke mehr als von einer. Und wer viel Geld für eine Arznei bezahlt, glaubt an einen grösseren Effekt. Und: Wir sind sogar von der Wirkung einer Behandlung eher überzeugt, wenn sie besonders unangenehm ist. Eine Spritze hilft deshalb häufig besser, als Tabletten. Den wohl grössten Einfluss auf unsere Erwartung aber hat der Arzt. Kranke versprechen sich mehr von einer Behandlung bei einem Professor als bei einem Assistenzarzt; sie glauben an die Wirkung eines Medikamentes eher, wenn es ein Mediziner verabreicht und nicht ein Krankenpfleger.

Selbst der weisse Arztkittel scheint grosse Hoffnung zu wecken. Forscher vermuten, dass diese Ehrfurcht vor dem Heiler auch vielen alternativmedizinischen Verfahren zum Erfolg verhilft, etwa Homöopathie, Chiropraktik oder selbst Bioresonanz.

Der Placebo-Effekt könnte also künftig genutzt werden, um die Wirkung wissenschaftlich erforschter Behandlungen zu ergänzen, vielleicht sogar zu vervielfachen – indem Mediziner ihren Patienten gezielt vermitteln: Ich umsorge dich, verstehe dich und gebe dir ein wirksames Mittel gegen dein Leiden. Der Arzt ist selbst ein Heilmittel, wenn er seine Macht zu nutzen weiss; wenn er Einfühlungsvermögen und Verständnis zeigt, Wissen und Vertrauen vermittelt. Darauf beruht die Heilkunde seit Jahrtausenden – seit besondere Menschen in der Steinzeit begannen, Gebrechen durch Zauber zu behandeln. So sehr die Medizin seither zur Wissenschaft geworden ist: Auch heute noch profitieren die Patienten von viel Magie – und damit eigentlich von ihrer ureigenen Selbsthilfe!

Nutzen Sie also diesen „Placeboeffekt“, diese Selbsthilfe auch, indem die Einnahme der Medikamente für Sie im besten Fall stimmig und richtig, d.h. ihr Kohärenzgefühl dabei hoch ist und Ihre „Lebenskraft“ damit  gesteigert wird. Umso mehr Heilung ist möglich, umso mehr helfen Sie sich selbst.

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Letzte Aktualisierung von Dr.med. Thomas Walser:
30. Januar 2025