Neuroinflammation, ein Immunsystem nur fürs Gehirn
Unser Immunsystem würde im Gehirn mehr schaden als schützen. Daher hat das Nervensystem eigene Abwehrmechanismen, vor allem die Neuroinflammation, also die Entzündung von Nerven und Gehirn. Bei akuten Krankheiten signalisiert diese Entzündung eine gute Immunantwort. Sie äussert sich etwa bei einer Grippe durch allgemeines Unwohlsein (Malaise), grosse Müdigkeit (Malaise), Kopf- und Gliederschmerzen.
Die Neuroinflammation schützt unser Nervengewebe im Gehirn mit speziellen Zellen, den Mikroglia, und einer starken Blut-Hirn-Schranke vor Krankheitserregern.
Gerät diese Immunreaktion ausser Kontrolle, kann sie chronisch werden und zu Fehlfunktionen führen, vor allem zu Hypersensibilität (Überempfindlichkeit), Übererregbarkeit und vermehrten Schmerzen.
Diese gesteigerte, pathologische Neuroinflammation tritt bei folgenden Krankheitszuständen auf:
- Bei chronischen Schlafstörungen,
- Depression & Angsstörungen
- beim Metabolischen Syndrom (Malignes Übergewicht (Adipositas) & Diabetes & Arterienverkalkung)
- Reizdarm und Reizblase
- Chronisches Schmerzsyndrom, Chronisches Beckenschmerzsyndrom, Fibromyalgie
- auch beim Drogenabusus (Opiate!)
- weitere Überreizungskrankheit: Hyperreaktive Luftwege (Bronchien, Chronischer Schnupfen)
- Postcovid/Longcovid & Longcolds & CFS/ME
- und auch bei der Alzheimer-Krankheit, beim Morbus Parkinson und bei der Multiplen Sklerose.
Neuroinflammation und Chronischer Schmerz durch Dauerstress und Schlafstörungen
Dass lang anhaltender psychosozialer Stress zu Schmerzerkrankungen führen kann, wurde in den letzten Jahren gut belegt. Eine wesentliche Rolle spielen auch hier neuroinflammatorische Prozesse, also entzündliche Vorgänge in unserem Nervensystem. Diese führen zusätzlich auch zu Schlafstörungen (Insomnie), welche wiederum im Teufelskreislauf das Schmerzerleben noch weiter verschlechtern. Beide Faktoren (chronischer Stress und Insomnie) und ihre Folge, die Neuroinflammation ist auch bedeutsam beim Fibromyalgie-Syndrom. Man spricht denn heute auch bei der Fibromyalgie von einer generalisierten, Stress assoziierten, neuroinflammatorisch mit bedingten Hypersensibilitätserkrankung.

Es existiert eine klare Interaktion zwischen unserem Stoffwechsel im Dauerstress und dem Immunsystem. Steroidhormone (Adrenalin, Kortisol) werden bei Stress ausgeschüttet (auch bereits bei einer starken körperlichen Belastung, sprich Leistungssport) sind potente Immunsuppressoren, führen also zu einer Drosselung (bei akuten Belastungen günstig) oder Fehlfunktion (bei langzeitiger Ausschüttung). Fieber führt zu einer tiefen Veränderung im Metabolismus. Als exemplarisches Beispiel ist die Insulinresistenz und der Insulinsekretionsdefekt beim Diabetes in wesentlichen Aspekten eine pathologische Reaktion des Immunsystems – auch die wichtigsten Komplikationen des Diabetes: Herz-Kreislauf, Nieren- und Augen-Krankheiten.
Dieser Zusammenhang von Immunsystem und Stoffwechsel (auch Immuno-Metabolismus genannt) beschreibt Jacques Philippe schön in einem Artikel der Schweiz Med Forum 2018 (dabei aber auch die Ernüchterung der Therapieversuch mit antientzündlichen Medikamenten).
Auch die Zusammensetzung unserer Darmflora spielt in diesem Zusammenhang wahrscheinlich eine sehr grosse Rolle (Beispiel Diabetes: bei der Entstehung der Insulinresistenz).
Hypersensibilität und Übererregbarkeit (Hyperreaktivität)
Ständige Reize, die wenig abgefedert werden, sind bei uns Menschen am gefährlichsten. Dazu gehören Dauerstress, langzeitige Schlafstörungen, auch Traumatisierungen (psychischer oder körperlicher Art). Bei sensitiven Menschen auch bereits schon der alltägliche „kleine Ärger“, auch mehrmals tägliches Essen kleiner Mengen (kann zu Reizdarm führen) oder ständig viele kleine Mengen trinken (Reizblase).
Diese Reiz-Vorgeschichte lässt unser Immunsystem und unsere Psyche aus dem Ruder laufen und birgt die Gefahr für chronische Erregungs- oder Entzündungszustände, die heute in der Medizin als wichtige Grundursachen für die obengenannten Leiden gelten.
Wichtig ist hier klar gegen die Modediagnose „Hochsensibilität/Hochsensitivität“ abzugrenzen – die ist hier nicht gemeint!
Therapieansätze
So lässt sich dann auch ableiten, weshalb mässige, aber regelmässige Bewegung beim Chronischen Schmerzsyndrom hilft. Diese Muskelaktivität führt über diverse komplizierte Vorgänge (siehe folgende Abbildung) zu einer starken Verbesserung auch der Neuroinflammation. Die übermässige, leistungsbetonte Bewegung (Leistungssport) verstärkt hingegen die Neuroinflammation durch Ausschüttung der Hormone Cortisol, Adrenalin und Entzündungsstoffe, wie die Zytokine!

http://cbr.meduniwien.ac.at)
Auch eine spezielle entzündungswidrige Ernährung, d.h. viele Pflanzen, wenig Alkohol und wenig Fleisch, viele Bitterstoffe (Polyphenole, wie schwarze Schokolade, Kaffee, bittere Öle (Lein-, Raps-, Olivenöl) senkt die neuroinflammatorische Neigung. Dies entspricht in etwa der „mediterranen Ernährung“. Die vegetarische (ev. sogar sorgfältige vegane) Ernährung ist hier optimal, auch da damit unsere Darmflora massiv besser wird!
Weiter verweise ich auch auf das 16:8-Kurzfasten, welches enorm entzündungswidrig ist und so auch gegen die Neuroinflammation wirkt!
- Ernährung entzündungssenkend: mediterran; auch vegetarisch oder (sorgfältig) vegan (bessere Darmflora!); Kurzfasten, wie 16:8.
- Mehr Bewegung – mässig und regelmässig.
- Mehr Beruhigung, Entspannung, Innerer Frieden… Meditieren… Sie sind dadurch weniger gestresst und gereizt.
- Soziale Isolation vermeiden…
Ozytocin


Meditation + Achtsamkeitstraining


Entzündungshemmende Medikamente wirken nicht, schaden aber! Heute ist unbestritten, dass NSAR (Nicht-steroidale Antirheumatika, wie Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen…) eine protektive Wirkung gegen M. Alzheimer haben. In der Physicians Health Study nun konnte beim 25jährigen Follow-up bei über 600 Patienten mit einem M. Parkinson kein Hinweis gefunden werden, dass diese Analgetika auch das Risiko an einem Parkinson zu erkranken, reduzieren (Driver JA et al. Use of non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of Parkinson’s disease, BMJ 2011;342:d198). Die Nebenwirkungen dieser Medikamentengruppe sind aber bei Langzeitanwendung so häufig und vielfältig, teils dramatisch gefährlich, dass sie zur breiten Anwendung überhaupt nicht in Frage kommen!
Entzündungen bei Schmerzen: Unterdrücken oder zulassen?Wer die Neuroinflammation erforscht, legt den Grundstein für die Zukunft der Schmerztherapie. Medikamente gegen Schlüsselproteine wie CGRP, die Stärkung des Immunsystems und internationale Kooperation bilden die Basis für wirksame Behandlungen bei chronischen Schmerzen, Migräne, Rheuma und Gesichtsschmerzen.
Ein zentrales Molekül in Schmerz- und Entzündungsprozessen bei Migräne ist das Protein CGRP (Calcitonin Gene Related Peptide). Es reguliert die Durchblutung und fördert Entzündungen – ein Mechanismus, den die Migräneforschung zunehmend therapeutisch nutzt. Die Blockade von CGRP durch monoklonale Antikörper oder kleinmolekulare Substanzen dient bereits der Migräneprophylaxe. Dieser Ansatz könnte auch bei anderen Schmerzerkrankungen helfen, da CGRP-bedingte Gefässerweiterungen und Entzündungen in vielen Bereichen auftreten.
Schmerzerkrankungen entstehen oft durch Verletzungen oder Schädigungen, etwa bei einem Bandscheibenvorfall. Das Immunsystem reagiert darauf, indem es den Schaden beseitigt und Reparaturprozesse anstösst. Dabei entsteht eine niedriggradige Entzündung, die sich bei Migräne, Spannungskopfschmerz, Sinusitis, Arthrose, chronischem Rückenschmerz und möglicherweise auch bei Fibromyalgie zeigt.
Entzündungen zu unterdrücken, scheint jedoch nicht immer sinnvoll. Eine kanadische Studie zu chronischem Rückenschmerz legt nahe, dass schmerzstillende und entzündungshemmende Medikamente wie Ibuprofen (und vermutlich alle NSAR) keinen Vorteil bringen.
(Quelle: Neuroinflammation bei Rheuma, Migräne und Gesichtsschmerz: Entzündungen bei Schmerzen lieber nicht unterdrücken? – Medscape – 13. Oktober 2025.)
Massagen bei Neuroinflammation (z.B. Chronische Rückenschmerzen): Es ist ein Fehler hier zuviel und regelmässig zu massieren, da dies weitere Reize bedeuten, die schlussendlich die Neuroinflammation verstärken. Dasselbe kann übrigens auch von (so harmlos scheinenden) häufig wiederholten homöopathischen Mitteln (oder wiederholten energetischen Reizen, wie Akupunktur, Shiatsu, …) gesagt werden.
Soziale Isolation schützt zwar vor Infektionen (Corona!), doch der Stress des Abgeschiedenseins fördert seinerseits Entzündungen im Körper, wie bei einer Analyse von 30 Studien nachgewiesen wurde.Isolierte Personen, besonders Männer, haben mehr Entzündungsmarker im Blut.
Die Diabetesmedikamente GLP-1-Rezeptoragonisten sind eventuell auch sinnvoll bei der Neuroinflammation. Neurodegenerative Erkrankungen, v.a. der M. Parkinson, dürften angesichts des ungebrochenen Trends zur Langlebigkeit (in der 1.Welt) weiter zunehmen. Die sogenannte Neuroinflammation wird heute nicht mehr als Reaktion auf die Zelldegeneration des Zentralnervensystems (ZNS), sondern zumindest als eines der wichtigen «primum movens» in der Neurodegeneration angesehen. Aktivierte (Mechanismus?) Mikroglia (Makrophagen) sezernieren Entzündungsfaktoren (u.a. TNF, Interleukin-alpha), welche die Astrozyten zur Sekretion eines neurotoxischen Faktors verleiten (sog. Konversion der Astrozyten in einen neurotoxischen A1-Phänotypen). Dieser Faktor induziert dann Aggregate von alpha-Synuklein («Lewy bodies», Lewy-Neuriten), gefolgt von extrapyramidalen Bewegungsstörungen. Auf den ZNS-Mikrogliazellen wird der «glucagon-like peptide-1»-Rezeptor (GLP-1R) exprimiert, dessen Aktivierung diese Entzündungskaskade hemmt. Mittels eines pegylierten, ZNS-gängigen Agonisten bei zwei verschiedenen Mäusegruppen (transgene Erhöhung oder externe Zufuhr von Alpha-Synuklein-Aggregaten) führte dieser Agonist via die unter anderem aus Lymphozyten bekannte Hemmung von NF-kappaB in der Mikroglia zu einer Hemmung der Entzündungsantwort und einer Verlängerung der Überlebenszeit der dopaminergen Neuronen. Die Mäuse lebten auch länger mit signifikant reduzierter Verhaltens- und Bewegungsstörung. (Nature Medicine 2018, doi.org/10.1038/s41591-018-0051-5)
Sehr wichtige, aber seltene Neuroinflammation: die Autoimmunenzephalitis
Häufigkeit – Eine Autoimmunenzephalitis ist eine akute Entzündung des Gehirns und tritt jährlich bei 5 bis 10 von 1 Million Menschen auf. Die Häufigkeit variiert stark zwischen den Unterformen, am häufigsten ist die NMDA-Rezeptor-Enzephalitis.
Eine zweite Gruppe von Autoimmunenzephalitiden tritt in Verbindung mit bösartigen Tumoren auf.
Hauptsymptome – Meist beginnt die Erkrankung plötzlich mit Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörungen, Konzentrationsproblemen, psychiatrischen Auffälligkeiten, Wesensveränderungen oder epileptischen Anfällen. Gelegentlich kommen Bewegungs- oder Bewusstseinsstörungen hinzu.
Deshalb wird auch nicht selten primär eine Demenz oder Schizophrenie vermutet!
Diagnostik – Ärzte weisen die Autoimmunenzephalitis durch spezifische Autoantikörper im Blut oder Nervenwasser (Liquor) nach. Ergänzend erfolgen Schichtaufnahmen des Gehirns (MRT) und eine Hirnstrommessung (EEG). Zudem suchen sie stets nach bösartigen Tumoren.
Behandlung – Die Therapie setzt auf unterschiedlich starke Immuntherapien, die den Angriff des Immunsystems auf den Körper (durch Antikörper) unterdrücken.
Wichtig zu beachten – Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung entscheidet über die langfristige Prognose. Patienten mit Tumoren haben eine schlechtere Aussicht.
Veröffentlicht am 29. Juni 2019 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
17. November 2025


